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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 4
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3063]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+Römische Geschichte
+
+Viertes Buch
+Die Revolution
+
+von Theodor Mommsen
+
+The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Contents
+
+ Viertes Buch—Die Revolution
+ KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
+ KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
+ KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus
+ KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft
+ KAPITEL V. Die Völker des Nordens
+ KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
+ KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+ KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates
+ KAPITEL IX. Cinna und Sulla
+ KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung
+ KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
+ KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung
+ KAPITEL XIII. Literatur und Kunst
+
+
+
+
+Viertes Buch
+Die Revolution
+
+
+“Aber sie treiben’s toll;
+Ich fürcht’, es breche”.
+Nicht jeden Wochenschluß
+Macht Gott die Zeche.
+
+Goethe
+
+
+
+
+KAPITEL I.
+Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
+
+
+Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit
+Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den
+Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern
+gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete
+mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu
+lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in
+hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem
+ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse
+Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der
+Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu
+entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den
+schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den
+noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen,
+asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen
+Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die
+einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung
+kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die
+italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die
+Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat
+traf.
+
+Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten,
+wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig
+unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und
+Korsen fortwährend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand
+eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den
+beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen
+Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht
+worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
+Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander;
+gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
+verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
+Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse
+phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden
+Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
+zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende
+Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die
+römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
+Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische
+Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica
+wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206),
+für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen
+gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur
+als Marktort ^1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward
+veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen
+Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven,
+tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen
+freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia
+als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach
+der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575,
+576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört
+die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen
+die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse
+traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus
+fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden
+gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine
+große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen
+Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche
+Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an
+das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der
+Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena)
+zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die
+Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195)
+nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der
+Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der
+gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb
+der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar
+verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir
+noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius
+Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des
+Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach
+Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am
+rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das
+Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward
+zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch
+ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden
+sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen
+und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann
+ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner
+am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf
+die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre
+Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem
+Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als
+Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine,
+den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
+Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
+beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
+Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser
+römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
+unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und
+zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht
+verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen
+weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung,
+nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß
+suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien
+Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken
+Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich
+befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig;
+die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten
+flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten
+sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen.
+Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius,
+gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu
+ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer
+eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische
+Bürger getötet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien,
+blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall
+ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia
+(Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin
+Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem
+zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten
+die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der
+Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die
+abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser
+und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von
+Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die
+Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß
+die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich
+befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten,
+freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen
+wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius
+in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die
+erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit
+demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten
+Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo
+die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika
+gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In
+die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer
+beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle
+des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon
+als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei
+Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung
+und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis
+ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der
+Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt
+werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach
+Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die
+Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig
+erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner
+Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen
+Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
+wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der
+ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden
+mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren
+Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den
+Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der
+Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß,
+wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
+Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
+nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu
+statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
+entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
+Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden
+Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
+Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg
+beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte,
+sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in
+der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
+Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen
+Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den
+Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
+Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu
+Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen
+Rechte wiedereingesetzt wurden.
+
+———————————————————-
+
+^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
+conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae
+in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden
+beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig,
+daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
+
+————————————————————
+
+Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere
+eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits
+durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und
+vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür
+gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der
+Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation,
+die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der
+Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der
+Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die
+erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu
+haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder
+mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser
+Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben
+soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und
+Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die
+Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre
+Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine
+Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine
+Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der
+Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere
+Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor
+Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio
+Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des
+Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts
+mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen,
+infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und
+Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen
+Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward
+auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus
+begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius
+Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte
+schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus
+im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im
+folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
+errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba
+richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten
+Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze
+überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker
+wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
+geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils
+niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
+Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden
+Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze
+der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
+Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr,
+wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung
+zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
+heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.
+
+Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien
+erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des
+Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die
+spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen
+Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas
+Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche
+turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius
+Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte
+auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe
+rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
+abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie
+einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
+Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter
+Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas
+zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches
+Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen
+wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den
+Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
+einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
+Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
+zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
+der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
+wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur
+Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch
+mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand
+auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz
+zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt
+gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und
+selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen
+sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom
+Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der
+geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch
+auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so
+unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen.
+Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt,
+verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem
+schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied
+ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel
+seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand
+er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu
+haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine
+Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
+jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
+treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
+daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen
+zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht
+allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen
+Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit
+erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation
+meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der
+Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im
+nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre
+seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte
+er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte
+Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der
+römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - später
+ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde
+vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen
+wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz
+- Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und
+weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen
+erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen
+Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt
+und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar
+übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen
+Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus
+Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben
+von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den
+verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die
+beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht
+viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte
+spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner
+günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des
+Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von
+Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und
+nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine
+Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die
+Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten
+nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der
+feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten
+die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr
+Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während
+Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein
+Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus
+Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der
+Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen,
+allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam
+abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf
+das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die
+Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer
+Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach
+Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff
+Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und
+Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge
+Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die
+Führer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus
+römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die
+übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg
+bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer
+ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von
+Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es
+gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich,
+wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit
+Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der
+Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt
+ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale
+Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen
+Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die
+Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
+Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
+wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
+heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und
+bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts
+wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
+das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus
+vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte
+Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139)
+nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der
+nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus
+Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder
+Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm
+übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die
+Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben
+hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht
+genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen
+anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern,
+und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an
+die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen
+von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals
+seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs
+neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten
+Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas,
+Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt
+noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit
+Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen
+Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
+des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das
+Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer
+Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
+Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
+ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
+fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
+an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
+ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern
+Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines
+Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition
+scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang
+über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben.
+Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen
+als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.
+
+————————————————————-
+
+2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es
+steht fest, daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert
+(App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam
+(Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht
+(App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv.
+54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre
+(Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige
+Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p.
+591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die
+Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern,
+mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der
+nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht
+ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also
+nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner
+Feldherrnschaft berechnen.
+
+———————————————————-
+
+Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner
+heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den
+keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg
+ausgebrochen. Viriathus’ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144)
+die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war
+dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach
+Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der
+südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch
+gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für
+unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er
+bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte;
+nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche
+Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia
+und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit
+diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der
+größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur
+Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus
+jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes,
+und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg
+fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen
+Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so
+stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der
+völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte
+so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den
+Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu
+erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein;
+auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen
+zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen
+günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
+Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr
+beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß.
+Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene
+Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue
+Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die
+Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um
+sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen
+Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht
+etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner
+kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins
+Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die
+Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während
+dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und
+beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die
+Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug
+gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat
+die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man
+beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius.
+Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner
+den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht
+minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die
+Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als
+die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die
+Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit,
+Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies
+falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia
+heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das
+Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
+angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
+in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten
+sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
+durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
+Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein
+Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
+Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
+dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
+Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
+Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der
+Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch
+nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag
+zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die
+Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf
+diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
+hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen
+hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen
+gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten
+Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu
+büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den
+feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen
+verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig
+anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände
+auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia,
+Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’
+Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus,
+schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen
+über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter
+nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie
+Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der
+jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß
+befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er,
+unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten,
+die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als
+Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen
+hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen
+war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den
+Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte
+seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh
+abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische
+Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem
+hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt.
+Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius
+Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und
+da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim.
+Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so
+nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der
+kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten
+Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur
+Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit
+zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar
+geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der
+souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen.
+Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und
+Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen
+Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf
+diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward,
+begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor
+allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000
+Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da
+der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen
+und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit
+den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu
+vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu
+züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst
+gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem
+numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten
+unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen
+Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000
+Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens
+8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf
+an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit
+nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht,
+und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam,
+rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des
+Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie
+hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die
+numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor
+allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal
+führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen,
+den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von
+reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so
+ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache
+Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den
+Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte
+zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu
+stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr,
+als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des
+letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel
+an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit
+wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine
+rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen,
+war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer
+Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten,
+erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt,
+mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer
+der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern,
+denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen
+wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an
+Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen
+Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten
+meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der
+wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und
+Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische
+Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei,
+auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft
+angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie
+um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der
+Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu
+gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie.
+Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der
+Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen
+wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht,
+ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621
+(133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.
+
+Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition
+gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und
+Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen
+diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.
+
+Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die
+römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius
+Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen
+Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia
+(Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog
+ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische
+Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des
+Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen,
+hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden
+durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach
+einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der
+römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner
+und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel
+wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische
+Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das
+neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er
+konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger
+zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle
+Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit
+hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt
+zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien
+eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den
+Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius
+Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen
+des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die
+fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
+unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie
+zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der
+Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in
+den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
+Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische
+Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und
+zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische
+Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht
+bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
+den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in
+Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
+oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln
+gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
+Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht,
+diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen
+lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
+nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder
+leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln
+niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der
+Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das
+blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
+Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und
+die Landschaft reich an Korn und Vieh.
+
+In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller
+Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die
+afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die
+Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren
+Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren.
+Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu
+teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein
+muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens
+einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor
+seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder
+Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und
+Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der
+römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder
+Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein
+die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger
+Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten
+Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch
+Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der
+Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache
+und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern,
+zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos
+und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen
+zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land
+verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen
+Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß
+die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen
+ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen
+müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg
+führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all
+dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei
+jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte
+sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn
+die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe
+gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601
+153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der
+Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den
+Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen,
+drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit
+aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle
+war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin
+führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
+als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu
+richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte
+Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
+Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft
+aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen
+Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische
+Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt,
+griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen,
+hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer
+so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche
+die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der
+Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und
+Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der
+vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
+und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
+gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros,
+welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte,
+nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron
+seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern
+zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom
+Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
+Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen
+Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment
+von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar
+sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu
+widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt
+war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu
+erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der
+Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
+brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die
+der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge
+insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen
+preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
+vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der
+römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
+die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
+für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden
+Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der
+überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen
+Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
+erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß
+in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
+Augustus noch nicht am Euphrat standen.
+
+Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das
+einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in
+römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische
+Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand
+des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der
+Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was
+von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig
+war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen
+war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es
+fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder
+ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen
+und energisch durchzuführen.
+
+Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen
+gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des
+Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter
+Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte,
+befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen
+des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es
+auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit
+übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche
+Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig
+fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden
+ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten
+des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren
+zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der
+Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des
+karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen
+Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem
+Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als
+Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
+(860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß
+Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
+Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen
+Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als
+abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach
+langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine
+zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne
+genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu
+fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
+sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
+die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage
+zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die
+Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser
+Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der
+einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen
+Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht
+durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen
+den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die
+wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und
+das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen
+zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner
+ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem
+Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom
+Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese
+Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer
+der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen
+Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
+vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der
+kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene
+Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
+politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
+römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem
+gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht
+unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
+sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es
+scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren,
+die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu
+bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen
+Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
+und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität
+beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
+forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den Krieg mit
+Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.
+
+Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
+Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in
+Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der
+Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran
+dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
+die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
+wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
+Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus
+der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung
+je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
+die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein
+starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
+Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich
+wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
+der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem
+Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer
+gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
+Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte
+einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des
+Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
+überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen
+Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen
+Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die
+Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
+Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in
+der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
+Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung,
+daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
+verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
+verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
+Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
+Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die
+Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
+einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
+auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes
+Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
+gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu
+nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
+Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
+der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen
+in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
+Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des
+Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an
+Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
+Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
+herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die
+Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene,
+obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen
+zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde
+überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten
+sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und
+Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag
+zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen
+Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das
+Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen
+des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte:
+Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der
+Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000
+Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde
+von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des
+karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.
+
+Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige
+Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen
+brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht
+gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg
+zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden
+- und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die
+italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe
+zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein.
+Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die
+Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode
+verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die
+Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der
+zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht
+hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser
+zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß
+die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten
+Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die
+Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage,
+was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt.
+Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien
+doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe
+Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
+karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter
+Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt
+(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
+versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu
+beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der
+karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr
+Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie
+den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
+Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
+und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach
+ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
+zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
+Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur
+begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
+daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu
+sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
+verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
+er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
+kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen
+Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als
+man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche
+Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte
+weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich
+der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
+sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die
+karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne
+Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel
+verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von
+Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten
+die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
+Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
+gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
+die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert,
+daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der
+Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
+Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz
+befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle
+Rüstungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
+sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in
+Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
+zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
+wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
+Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl
+rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
+wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
+und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
+Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
+vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und
+Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
+Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung
+der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und
+Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
+Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme der wenigen, welche
+mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
+des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
+ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
+welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
+die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt
+heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils
+die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens
+an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man
+beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
+von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
+entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
+den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei
+erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit
+Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste,
+Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das
+ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine
+unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
+dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
+phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
+Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die
+Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer
+Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die
+Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten
+noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der
+natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der
+Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und
+verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
+um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
+Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
+gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
+öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze
+unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
+in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder
+bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen
+entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
+wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
+dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
+Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern
+die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen
+und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große
+volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen
+gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu
+verteidigen.
+
+Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die
+Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner.
+In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap
+Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine
+Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen
+Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der
+schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
+ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
+den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
+die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe
+von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago.
+Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen
+zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
+natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung.
+Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
+Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
+vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der
+Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt
+haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts,
+wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren
+Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der
+Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder-
+und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten 4.
+Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern zusammengefügte Wall
+erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die mächtigen vier
+Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 und
+gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und
+Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin-
+und Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg),
+ein verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der
+Unterfläche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in
+diese Mauer an ihrem südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des
+Kapitols in den römischen Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug
+den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel
+des Heilgottes. Die Südseite der Stadt bespülte teils der seichte
+Tunesische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel
+südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gänzlich von
+dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten
+Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von
+Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die
+schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß
+breiter Mündung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
+und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
+Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den äußeren
+gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
+ostwärts sich wendend, die Landzunge und den Außenhafen aus-, dagegen
+den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in den letzteren gleich
+einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des Kriegshafens lag
+der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der Stadtseite
+offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der eigentlichen
+Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit großenteils
+mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der heutigen
+El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich
+anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel,
+dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt.
+Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen
+die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus
+und waren nur zugänglich auf den beiden Hauptstraßen nach Utica und
+Tunes über jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer
+geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze der Hauptstadt und
+wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste
+Stellung darbot.
+
+—————————————————————-
+
+3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden,
+daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur
+unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap
+Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu
+Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der
+Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.
+
+4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten
+Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):
+
+Außenmauer
+
+2 Meter = 6½ Fuß
+
+Korridor
+
+9 Meter = 6 Fuß
+
+Vordermauer der Kasematten
+
+1 Meter = 3¼Fuß
+
+Kasemattensäle
+
+4,2 Meter = 14 Fuß
+
+Hintermauer der Kasematten
+
+1 Meter = 3¼Fuß
+
+Gesamttiefe der Mauer
+
+10,1 Meter = 33 Fuß
+
+oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½
+Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die
+eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu
+haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer
+Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche
+Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die
+Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist
+und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer
+vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwürfe (Carthage and
+her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen
+Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist.
+Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um
+die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern
+von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite
+des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
+stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und
+Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben
+jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden,
+dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer
+verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in
+entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
+Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
+längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu
+Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
+Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
+Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie
+lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch
+ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
+Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore
+in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
+Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
+einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
+Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
+Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.
+
+5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung
+der Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest
+ist noch 12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch.
+
+6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben
+eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der
+Eingänge wird nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des
+Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt
+durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die
+Säle voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß.
+
+7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt
+haben wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf
+dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der
+halben Höhe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf
+den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen.
+
+8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta.
+
+9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin
+bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
+die Griechen dasselbe verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen
+Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
+eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p.
+37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen
+Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
+
+———————————————————-
+
+Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde
+noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst
+und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der
+Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die
+zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb
+freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die
+Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches
+Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der
+Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von
+den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.
+
+Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen,
+als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu
+beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein
+Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte
+an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen
+begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern
+Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum
+Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre
+Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon
+Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der
+Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an
+dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend
+geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten,
+einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die
+römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht
+weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie
+fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark
+besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust
+zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben
+würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des
+tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern
+zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch
+viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus.
+So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im
+Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn
+Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der
+begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für
+sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod
+des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer
+völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die
+karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu
+schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die
+Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen
+Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die
+erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast
+mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für
+den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der
+Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem
+Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen
+Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn
+zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach
+dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das
+Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen
+Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon
+verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut.
+Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre
+Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer
+zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen,
+Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich,
+nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter
+dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das
+Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen
+Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher
+empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und
+doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte
+als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager
+wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato,
+der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor
+seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch
+seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben -
+auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische
+Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten
+^10.”
+
+——————————————————————-
+
+^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.
+
+——————————————————————-
+
+Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel
+herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
+und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
+der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun
+gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der
+Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen
+Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel
+Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den
+ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal
+verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar
+genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort
+war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig.
+Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit
+800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen,
+mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen
+Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die
+inneren Zerwürfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den
+gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner
+Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen - als
+die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere
+Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der
+afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der
+außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den
+libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für
+diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben
+sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit
+das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des
+Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in
+einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral
+Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der
+Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit
+entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite
+der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche
+Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die
+Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon
+einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war
+der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als
+sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und
+fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die
+Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte
+Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt,
+und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu
+behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr
+sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago
+zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit,
+um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die
+Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien
+Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten
+abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher
+die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der
+Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel
+der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen
+Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf
+die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe
+gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein
+Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die
+Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den
+Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung
+an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst
+dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen
+bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen
+Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels
+sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft
+eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich
+selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig
+abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken,
+durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt,
+und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu
+stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes
+Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte.
+Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne
+Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der
+von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind
+benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst
+die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend
+versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in
+den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die
+Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen
+dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten
+Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere
+wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch
+im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne
+daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten
+beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des
+Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig
+karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den
+Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung
+gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal
+sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres
+an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die
+Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit
+Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete
+römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten
+Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer
+gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber
+stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der
+Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage
+gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai,
+welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem
+angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf
+der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit
+beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen
+durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die
+Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine
+eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die
+Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen.
+Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme
+der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in
+seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall
+wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land-
+wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den
+äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu
+sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes
+befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche
+Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose
+Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter
+herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger
+und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar
+die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet
+hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen,
+zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff
+gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden
+und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm
+abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der
+ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und
+so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber
+der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den
+kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von
+diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn
+von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines
+nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die
+Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser
+festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor
+und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage,
+schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll
+Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf
+den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten.
+Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
+Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher
+Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger
+Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
+zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
+ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und
+25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig
+die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
+mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
+des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für
+den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als
+nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel
+anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen;
+einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es
+ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter
+den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios
+erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren
+untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd,
+seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann
+sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager
+wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im
+stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden
+größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker
+verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische
+Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das
+bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk,
+ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen
+ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten
+weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des
+Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.
+
+Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist
+glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens
+richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio
+Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre
+geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn,
+die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu
+machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago
+gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der
+Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und
+Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch
+Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn
+Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der
+karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
+einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken,
+Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die
+fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
+hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen
+Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
+Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
+statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher
+Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.
+
+Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die
+Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen
+überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht
+ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr
+bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia
+den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung,
+Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür
+verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die
+karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das
+heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von
+Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
+gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die
+übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter
+beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten,
+blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige
+Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei
+Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon,
+daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
+verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
+andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig
+abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
+Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter,
+dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte
+dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den
+Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
+ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
+seiten der Römer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestädte
+Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
+Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistädte;
+dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das
+Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
+Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches
+Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen
+Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und
+ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
+Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig
+als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die
+Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für
+allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
+mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
+wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung
+der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute,
+welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten
+und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis
+dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften
+auszubeuten begannen.
+
+Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe
+der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit
+des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in
+sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande
+zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo
+der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf
+Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die
+Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach
+griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
+Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151),
+vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich
+in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des
+Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike.
+Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier
+behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu
+haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem
+Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König
+Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige
+Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den
+König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich
+wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf
+Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten
+festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des
+Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte,
+ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet
+entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei
+römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen
+sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt
+versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise
+fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den
+thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester,
+und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer
+Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und
+obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über
+das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und
+darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz
+Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so
+entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn
+achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger
+als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker
+Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu
+sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden
+und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den
+Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der
+römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste
+Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne
+Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und
+pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen
+die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor
+Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen
+Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging
+fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt
+des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in
+grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres
+römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und
+drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein.
+Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand;
+allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer
+ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine
+Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen
+leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach
+Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach
+einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.
+
+Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten
+nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt
+gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor,
+den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die
+Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich
+Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische
+Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische
+Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das
+Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die
+Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen
+Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
+empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien
+abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen
+Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen
+Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien
+vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im
+Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel
+die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in
+Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So
+erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die
+Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war
+nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit
+kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation,
+jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch
+wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als
+Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte,
+eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf
+die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner
+alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach
+der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher
+Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion
+auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor
+Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den
+fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
+auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der
+zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht
+hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten,
+als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation
+der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.
+
+Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen
+Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen
+Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit
+unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden
+Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die
+große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’
+Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und
+Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch
+weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die
+natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils
+für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen
+Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme,
+die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein
+werden.
+
+—————————————————————-
+
+^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als
+diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den
+thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der
+Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen
+Dingen’. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung
+von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von
+Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.
+
+—————————————————————
+
+Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst
+der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten
+wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen
+Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum
+Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden
+Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der
+Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer
+ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes
+Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten
+Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des
+allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604
+(150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten
+achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht
+aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den
+Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen
+Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so
+deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König
+Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade
+verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine
+Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward;
+wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den
+Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen
+aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei
+zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg
+und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung
+der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte
+wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend
+nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die
+Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische
+Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich
+Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum
+Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere
+Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den
+gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war
+keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie
+wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so
+sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um
+nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit,
+um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.
+
+Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der
+zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der
+Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der
+Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
+Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
+Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
+Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die
+Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer
+bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
+wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder
+vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward,
+verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten.
+Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur
+Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides
+berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß
+der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der
+soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen
+Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und
+politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter
+ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von
+Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische
+Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
+erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
+fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht
+als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward
+abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs,
+setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten
+Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen
+Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete
+römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die
+Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um
+ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und
+unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die
+unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen
+Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen.
+Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt
+Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen
+auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte
+Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im
+Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
+auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie
+dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den
+Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen
+Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel
+einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende
+Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht
+habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise,
+so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende
+Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der
+römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier
+festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man
+an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim
+und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch
+beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln
+gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der
+mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum
+erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in
+Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der
+Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg
+Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren
+Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen
+Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen
+müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu
+beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine
+Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu
+veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen
+Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten,
+erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die
+allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei
+und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten,
+erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste
+Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag
+förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen
+Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach
+Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem
+Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der
+römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen.
+Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu
+Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die
+Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der
+Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem
+Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die
+geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung
+unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung
+beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten
+Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten.
+Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die
+Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu
+Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um
+Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der
+Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu
+bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu
+senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm
+es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als
+dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward,
+war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es
+wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen;
+eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die
+Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte
+die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei
+Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war
+beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine
+Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen
+Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst
+um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische
+Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde
+geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden
+Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den
+Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum
+Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum
+Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen;
+seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des
+Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten
+Führer. Diäos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl
+übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl,
+12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die
+Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den
+Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
+Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt.
+Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische
+Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
+sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
+dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul
+Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier
+eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer,
+ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen
+römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee
+bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten
+nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in
+Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten
+standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps
+auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
+Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber
+Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar
+das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage
+zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
+von den Römern besetzt.
+
+Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft
+mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen,
+der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken
+erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs-
+und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules
+Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies
+er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption
+aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhältnismäßig unbemittelt
+war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß
+von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen
+seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward
+aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen
+des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen,
+umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten
+Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die
+geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später
+erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder
+Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
+überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und
+anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den
+Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den
+isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
+definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
+Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
+die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche
+aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand
+in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der
+Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus
+versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt
+und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das
+Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste,
+nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem
+Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als
+oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine
+Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur
+Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen
+Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich durch die römische
+Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche
+das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und
+Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward sogar
+nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet,
+sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des
+Grundbesitzes beseitigt.
+
+————————————————————
+
+^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in
+Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt,
+die einst solche Beutegaben trugen.
+
+^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz
+geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit
+hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG
+1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist
+ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland
+damals von den Römern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1.
+Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom
+entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel
+Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die
+“Ruten und Beile” des römischen Statthalters fortan auch in
+Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55)
+und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543)
+sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
+2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die
+makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war.
+Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
+anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien
+Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B.
+Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z.
+B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische
+Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den
+Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und
+eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte
+dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen
+Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis
+sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz
+Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet
+werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das
+Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder
+latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der
+caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus
+Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen
+zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia
+hervor; sie ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle
+Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind
+ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen
+Stellung.
+
+Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien
+Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse
+des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht
+änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß
+statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden
+Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit
+Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt
+der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen
+Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche
+oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des
+Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der
+ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.
+
+——————————————————————-
+
+Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und
+Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden
+entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken
+umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung
+der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein
+düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl
+des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei
+nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
+bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
+nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
+sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder
+Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an
+Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des
+isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu
+römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”,
+der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen
+Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
+muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
+Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die
+Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und
+die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention
+erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles
+damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück
+für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von
+Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei
+weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen
+Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes
+hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
+begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment
+Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das
+Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
+von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
+Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
+welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
+in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
+Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren
+grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser
+Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit “für hart und
+barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu
+entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
+die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
+numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche
+durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten
+ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts
+weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
+aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
+sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel.
+Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
+erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
+anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
+Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei
+der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift
+man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und
+weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch
+die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für
+die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen
+Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
+wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit
+586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von
+Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die
+korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der
+Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
+
+—————————————————
+
+^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen
+griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne
+Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die
+Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den
+Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat.
+34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße
+auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.
+
+——————————————————
+
+Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
+getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
+entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren
+Weltteil.
+
+In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich
+von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
+Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf
+das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
+strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie
+sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
+Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen.
+Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im
+Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens
+und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und
+kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von
+denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf
+den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem
+immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
+erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt;
+es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem
+Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine
+diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon
+schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb
+freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen
+Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der
+Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach
+dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen
+und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich
+gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller
+Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und
+Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer
+zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche
+eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer
+Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im
+Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von
+Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte
+keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und
+Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz
+schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die
+eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich
+herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
+wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch
+die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und
+obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten
+Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß
+vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen
+Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer
+gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in
+ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616
+138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der
+Vormundschaft über Eumenes’ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit
+römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos
+Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter
+Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit
+der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei
+beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu
+hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen
+lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die
+syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten
+entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg,
+den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? - 605 182-149), ein
+Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich
+vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention -
+freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine
+erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt
+worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines
+Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle
+des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches
+Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des
+unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im
+Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von
+seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über
+den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein
+plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der
+Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die
+Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent
+testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich
+den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen
+Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei
+Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung
+der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden.
+Das Testament lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die
+Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer
+Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien
+entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die
+Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein
+natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen
+Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa
+und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem
+festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre
+Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen,
+mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen;
+da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der
+Sonnenstadt” ^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen
+Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis
+sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen
+thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft.
+Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und
+die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien,
+Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht
+erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein
+und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des
+Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr,
+der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer
+der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als
+Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den
+Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen
+dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und
+schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den
+Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu
+stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren,
+die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben
+(Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit
+ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward
+Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger
+Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in
+Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet.
+Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die
+definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas
+plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im
+karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den
+Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit
+von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien;
+Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen
+Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen;
+das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der
+gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils
+beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt
+worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde
+behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste
+kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.
+
+————————————————————
+
+^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
+Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von
+Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20),
+erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben
+und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des
+Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der
+Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den
+(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu
+entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König
+als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen
+Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu
+denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als
+Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch
+fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb.
+31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines
+Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die
+Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer
+Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter
+Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in
+einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der
+bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere
+Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich
+die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen
+dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg
+erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen
+Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt
+hätten”.
+
+^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die
+“Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment.
+Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches
+Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des
+Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also
+konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen
+der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und
+den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
+städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis
+in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die
+Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser
+umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
+römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
+fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
+innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
+benutzen.
+
+^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde
+geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten
+Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur
+gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem
+in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
+
+——————————————————————————
+
+Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das
+Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer,
+die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte
+Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten
+Verhältnissen bestehen.
+
+Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V.
+Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der
+Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und
+Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
+Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
+auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin
+fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse,
+wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden
+Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum Lohn der Treue
+gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
+Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe
+Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte
+Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche
+Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran
+grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.
+
+Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer”
+oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und
+Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König
+Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der
+bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich
+bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz
+ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten
+Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen
+ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das
+Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen;
+allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein
+Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue
+Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
+Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind,
+sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die
+paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
+dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich
+wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für
+beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben
+nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte.
+Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das
+:Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu
+bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes
+und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie
+umfaßt zu haben, während Groß -Armenien und Sophene eigene unabhängige
+Reiche bildeten.
+
+Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das
+Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen
+geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen
+die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis
+hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der
+Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der
+Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat
+nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der
+politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn
+dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und
+Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das
+syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene
+Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie
+und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in
+Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort
+stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom
+lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und
+des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos
+Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170)
+gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor
+(573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den
+Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um
+seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide
+Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und
+wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward
+Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als
+König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den
+königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat
+beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse
+regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag
+von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den
+militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß
+Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist
+ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens
+zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben
+abgefunden. “Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange
+nachher ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie
+von Land und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal,
+daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen
+Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit
+Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der
+innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch
+endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten.
+Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel
+erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent
+von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent
+Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten
+Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach
+Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen
+Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten
+und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat
+zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im
+Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe
+schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle
+ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens
+daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten
+verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet.
+Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an
+römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem
+Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und
+Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ
+dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der
+Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward
+Demetrios als König des Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig,
+daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß
+Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten,
+sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte
+und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat
+auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der
+römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und
+entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der
+Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig,
+auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus
+den Augen zu verlieren.
+
+Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so
+leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und
+jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen
+Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich
+wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht
+lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra
+unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige
+baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
+der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
+Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
+dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
+bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
+das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener
+König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der
+Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
+angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der
+Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der
+beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien
+im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre
+Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen
+Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte
+namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen
+Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines
+Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte
+Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem
+Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der
+Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die
+wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
+hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in
+seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in
+religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit,
+auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem
+solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und
+durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste
+Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die
+eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen
+Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst
+tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
+zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den
+Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit
+gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
+Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
+zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
+Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation
+sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die
+Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der
+Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags,
+die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms
+versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten
+gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen,
+blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen
+Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen
+Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des
+Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere
+Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den
+syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die
+Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald
+darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn,
+von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und
+Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 (615 139).
+
+————————————————————-
+
+^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel Israel”
+und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder “der Erlösung Sions”.
+Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören
+nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.
+
+—————————————————————
+
+Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die
+gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene
+Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die
+Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem
+und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser
+gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in
+weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis
+eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion
+gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser
+Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große
+Partherreich. Die “Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in
+das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im
+heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen
+schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen
+Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes
+erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der
+sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der
+eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich
+weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen
+Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch
+innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich.
+Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der
+großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der
+verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch
+die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste
+zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia
+und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der
+nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte
+der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im
+nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von
+Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich
+unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine
+Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete
+Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art
+waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter
+ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch
+die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen
+zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der
+Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte
+unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die
+Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische
+Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur
+stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die
+Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von
+Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen
+Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen
+Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf
+die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte
+Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern,
+daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der
+parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer
+nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische
+Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische
+Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst
+dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der
+Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das
+Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel
+das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an
+Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den
+andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in
+seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
+einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
+vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
+mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten
+oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische
+Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
+Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
+Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
+Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren
+asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
+eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
+den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
+Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien
+und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner
+Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die
+mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
+unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
+noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
+vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den
+Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche
+Landschaften.
+
+Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der
+Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die
+bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander
+ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe.
+Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien
+und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben
+mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das
+seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der
+römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
+Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte
+Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von
+Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis
+bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
+Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat,
+nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
+fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
+die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
+Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein,
+was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit
+Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
+Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.
+
+Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen
+Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als
+daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet,
+Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst
+so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten
+in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte
+hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal
+für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit
+Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer.
+Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und
+wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
+ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen
+Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
+vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
+furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
+Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien,
+von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten
+Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen
+sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah
+nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare
+Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die
+gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche
+gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des
+Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im
+Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den
+mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern
+und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die
+andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt
+sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu
+kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich
+selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu
+Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien
+nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch
+eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten
+des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen
+seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen
+und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch
+weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als
+habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
+was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein
+schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war
+ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der
+ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
+achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für
+schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus
+führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: “Lügner sind
+all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege
+verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten
+“Insel der hundert Städte” eine blühende Ortschaft nach der andern in
+Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und
+die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für
+die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr
+geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn
+zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
+Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
+Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
+zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
+letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie
+gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen
+die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
+scheint, ohne Erfolg.
+
+Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft
+eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der
+syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos
+Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte
+(608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu
+befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien,
+mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein
+gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die
+hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte
+ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und
+Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens
+durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der
+Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach
+Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was
+sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer
+machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere
+Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten,
+wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz
+gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige
+ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige
+daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu,
+die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem
+Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten
+Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und
+freundlichem Geschäftsverkehr.
+
+Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der
+römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht
+bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil
+und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe,
+die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm;
+sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die
+Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien
+zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen,
+ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen
+und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses
+Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare
+Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch
+und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen,
+wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten,
+wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der
+unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar,
+wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch
+das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und
+kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu
+regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen.
+Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in
+Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines
+Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der
+Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein
+schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die
+Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die
+angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung
+auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse
+Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen
+der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die
+spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier,
+wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die
+bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den
+römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und
+durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das
+frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch
+Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die
+feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift,
+sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen
+Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden
+Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine
+seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den
+Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah,
+ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt
+ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der
+bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien
+und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand
+selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den
+Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den
+römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des
+Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die
+Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so
+gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor
+Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die
+Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß
+der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft
+ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil
+sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung
+der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren
+Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der
+Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem
+rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der
+Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum
+gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen
+durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten
+Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern
+der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den
+Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer
+auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf
+seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze
+ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der
+unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und
+afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man
+nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und
+spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die
+besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß
+es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche
+Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung
+namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von
+den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im
+Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der
+erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem
+freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung
+durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum
+Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der
+einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen,
+erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal
+ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen
+veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem
+verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es
+ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen
+Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward.
+Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia
+an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche,
+Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten
+Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale
+ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und
+werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien
+regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der
+Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein
+Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia
+eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits
+den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe
+die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
+selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
+ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
+seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene
+Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
+behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
+bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er
+gescheitert.
+
+
+
+
+KAPITEL II.
+Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
+
+
+Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der
+römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche
+bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der
+Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in
+dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller
+Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und
+geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit
+Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen
+Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und nah, und
+wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und
+Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
+bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
+keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
+machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
+Zwietracht.”
+
+So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das
+Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu
+verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae
+und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter
+geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate
+saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien
+festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das
+Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso
+unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit
+entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und
+schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im
+Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war
+längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des
+Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat
+mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so
+weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch
+vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der
+Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren
+und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes
+Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis
+endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im
+Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam
+an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage
+des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik
+unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden.
+Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff
+vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht
+als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit
+überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der
+regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung
+ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes
+Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes
+Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz
+der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu
+verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die
+Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der
+Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es
+gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich
+untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger
+Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt
+ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und
+gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen.
+Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den
+lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem
+man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem
+bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger
+Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings
+fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis
+zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
+Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder
+gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die
+Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war
+eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde
+folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
+Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
+niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
+vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
+Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß
+der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen
+Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der
+Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das
+Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische
+(617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das
+Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden
+bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen,
+bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf
+den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu
+verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem
+regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die
+sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
+erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
+des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das
+mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
+nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
+war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der
+Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes
+von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil
+ward (um 609 145).
+
+————————————————————
+
+^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat
+beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551
+203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind
+Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162)
+nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547,
+554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169,
+168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig
+als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von
+diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen
+Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus
+Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602
+(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der
+gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv.
+ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p.
+55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.
+
+——————————————————-
+
+Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich
+bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
+Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in
+den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu
+spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen
+Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und
+zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des
+politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in
+den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische
+Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche
+Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die
+Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man
+entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle
+überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der
+Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch
+alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden
+Koterien.
+
+Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn
+als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des
+Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange
+Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden
+wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie
+in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich
+verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine
+“Ehre”, und militärische, politische, juristische Kapazitäten
+wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die
+tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz
+auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten
+die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die
+politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu
+wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war.
+Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige
+Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in
+den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene
+und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen
+aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das
+übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel
+ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel
+fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem
+Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder
+Bewerber bei seinem “Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei
+Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme
+Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat
+kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich
+der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von
+feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die
+Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und
+beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die
+Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen
+Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben
+einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften
+Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener
+Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und
+recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es
+geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der
+politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die
+Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller
+Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung
+zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595
+(159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu
+mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des
+dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge
+war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit
+derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von
+Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das
+Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger
+zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die
+Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst
+von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit
+sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der
+Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als
+daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es
+den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des
+Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.
+
+In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die
+zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch
+unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen
+Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode
+gehört werden, wollten die “Optimaten” den Willen der Besten, die
+“Popularen” den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in
+dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich
+selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für
+Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder
+Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen
+und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in
+den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer
+Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über
+diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich
+miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den
+Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr
+ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war.
+Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die
+Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen
+Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment
+aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen
+des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern
+viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie
+konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es
+gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich
+politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und
+ging seiner völligen Auflösung entgegen.
+
+Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution
+eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor,
+sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die
+römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche
+also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt
+ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
+uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich
+suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der
+Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit
+dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen
+Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und
+demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne
+eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen
+Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen
+Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben
+Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
+veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende
+Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft
+vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine
+Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier
+seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die
+Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man
+schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das
+heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in
+strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise,
+daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus
+mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige
+hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als
+industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in
+beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen,
+die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen,
+sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung
+auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau;
+schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in
+Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war
+als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine
+Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue
+Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften
+Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts
+auszurichten war.
+
+Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von
+Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und
+den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten.
+Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen
+unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit
+seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er
+bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter
+Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als
+Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse
+bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch
+in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter
+Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft
+mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im
+karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während
+für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
+die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
+Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch
+betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
+Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung
+beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
+Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
+Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
+verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme
+Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das
+Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
+kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und
+Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln
+ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den
+Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
+ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
+daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den
+verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen
+Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen
+Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware
+an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
+10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
+gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
+geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
+überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen
+Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß
+dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem
+Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr
+Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch.
+Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der
+Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft
+wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden
+regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die
+Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf,
+Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher
+sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese
+wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern
+einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward
+allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen
+Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht
+worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den
+Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - so war
+zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen
+Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen
+zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der
+eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde
+nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen
+an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und
+nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger
+zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient
+nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien
+gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die
+Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen
+Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die
+Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als
+römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige
+Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84
+Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und
+unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens
+römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die
+römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und
+welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem
+Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben
+werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel
+bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der
+Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in
+Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu
+sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in
+ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an
+Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische
+Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder
+doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer
+Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der
+Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß
+bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die
+Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich
+nicht beteiligten.
+
+—————————————————————
+
+2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst
+durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand
+eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr
+verträgt als ein andrer sonst”.
+
+3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum
+von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß
+diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets
+und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern
+zukam.
+
+—————————————————————
+
+Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller
+Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick
+in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der
+römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein
+Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft
+selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat
+brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß
+dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch
+geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies
+nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären
+als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr
+für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die
+Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei
+abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats
+durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische
+Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.
+
+Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden
+Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten
+Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen
+Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man
+in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven
+aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es
+begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu
+Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die
+aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg
+gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen “Sonnenstädter” war
+wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am
+ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des
+Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal
+im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur
+Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in
+industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder
+Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen
+erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar
+in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab
+sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren,
+töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon
+ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen
+Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave
+Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der
+Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer
+syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia
+selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere
+“Feldherr” des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos,
+durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von
+nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die
+den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven
+gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein
+kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber,
+dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter
+miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren
+Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner
+größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu
+schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel
+in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben
+sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich
+genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und
+konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen
+unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der
+Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor
+der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der
+Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung
+zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an
+Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso
+und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr
+durch den Hunger als durch die Waffen 4.
+
+————————————————————————-
+
+4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am
+wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen
+des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.
+
+————————————————————————-
+
+Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem
+römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen
+gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die
+ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft
+übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für
+jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die
+Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr
+bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der
+Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht,
+prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen
+oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe
+der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung
+trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des
+Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber
+nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische
+Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die
+aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
+lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne
+Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
+mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
+eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
+zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel
+an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren
+waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider
+begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die
+Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war
+denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius
+Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000
+Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger
+möglich, das Kapital zu schonen.
+
+Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere
+Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit
+und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah
+in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen
+Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der
+Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu
+verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische
+Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur
+Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der
+italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige
+Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen
+Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren
+Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem
+Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der
+Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu
+begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche
+Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem
+bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit
+darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der
+Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes
+durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war
+dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen
+können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von
+Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere
+Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige
+Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der
+Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht,
+sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung
+segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung
+gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich,
+außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum
+(Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange
+hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der
+Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues
+Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land
+zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen
+Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm
+war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet
+zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen
+unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die
+Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht
+fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die
+Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
+übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also
+geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
+auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne
+Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging
+- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde
+stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie
+der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die
+Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der
+Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum
+Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie
+Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft
+herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische
+Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen
+und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte
+die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen
+Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort
+keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt
+laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber
+nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die
+Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den
+Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen
+Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595
+(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
+wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
+Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000
+waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken,
+indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147)
+auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt -
+ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren
+Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in
+Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es
+bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.
+
+So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat
+eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch
+das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen
+und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier
+nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht;
+aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und
+sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der
+Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen
+nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius
+Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem
+Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am
+Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß.
+Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen
+Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern
+der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen
+liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den
+Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht
+hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren
+unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und vor allen
+Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und
+literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in
+diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das
+geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch
+seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in
+dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte
+dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen
+Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen
+Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht
+eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen
+Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der
+Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke
+mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren
+griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher
+plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von
+denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige
+Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger
+Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und
+Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in
+Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch
+mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden
+Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus
+dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen
+Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden
+pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier
+begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick
+zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so
+wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine
+Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten
+Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern
+berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu
+wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar
+half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und
+arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege.
+Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein
+tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen
+den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz
+durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der
+Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung
+einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen
+mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer
+der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als
+Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu
+den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder
+zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als
+Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen
+Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft
+ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten.
+Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die
+Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren
+nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen
+der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius
+(Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer
+Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des
+unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes
+vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden
+italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem
+Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war,
+und ward fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er
+war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur
+sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
+rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß
+dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
+vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
+hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
+schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
+Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des
+Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
+auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam,
+nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
+Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
+hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter
+angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
+Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten.
+Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.
+
+Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem
+Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser
+Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius
+Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul
+577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines
+römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der
+abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele
+hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er
+durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm
+verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
+Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die
+Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte
+und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
+durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und
+zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes
+Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.
+
+Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher
+ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner
+sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und
+bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand
+des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den
+Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere
+von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur,
+sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher
+bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und
+Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine
+griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister
+teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner
+Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die
+Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des
+strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der
+tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an
+Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die
+Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit
+aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und
+steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute,
+denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner
+Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius
+Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der
+angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen
+Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war
+und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so
+rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil
+er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche
+Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich
+aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im
+Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder
+Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen
+Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine
+Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb
+der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder
+Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten
+halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem
+häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand
+diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem
+Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war
+kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber
+wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die
+ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive
+mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617
+(147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus’ Werk; daß
+der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden
+ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem
+gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der
+Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen
+und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende
+Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern
+philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer
+Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich
+trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es
+nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte
+den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu
+gedenken.
+
+Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat.
+Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische,
+militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen
+eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln
+dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die
+aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit
+Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen,
+sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung
+bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in
+diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden
+Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man
+durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz
+vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte
+Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines
+Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des
+Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach
+die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten
+Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von
+Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden,
+jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und
+für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu
+bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in
+Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen
+Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen,
+scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene
+Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils
+an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als
+freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber
+das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die
+Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei
+Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen
+und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem
+Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der
+wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was
+Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach
+angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr
+ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert
+sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu
+in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der
+beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte
+Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die
+regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz
+hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische
+Anwendung geblieben war.
+
+Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren
+wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und
+seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in
+ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm
+den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die
+Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren.
+Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von
+der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich
+überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht
+werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war.
+Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die
+Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man
+nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende.
+Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung;
+natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die
+flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die
+Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie
+Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein
+verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines
+Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt
+den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei
+Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie
+weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte
+in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die
+Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies
+darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die
+Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege
+waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen
+Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag
+für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn
+wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der
+öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher.
+Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform
+überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das
+letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß
+entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und
+diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von
+ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf
+diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben
+dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu
+gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und
+wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der
+Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und
+die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja
+zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande
+hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich
+interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die
+Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die
+Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
+allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
+Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes
+nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem
+Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
+Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an
+den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
+erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
+Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward
+immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte
+Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den
+Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen
+Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz
+vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene
+Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die
+Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben
+Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde,
+war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem
+nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine
+persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr
+ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst
+von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere
+Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
+seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß
+er erst am Anfang stand. Das “Volk” war ihm zu Dank verpflichtet; aber
+er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
+als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
+blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer
+neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch
+das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und
+Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
+den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
+des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt,
+gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue
+Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über
+Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über
+die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als
+Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen
+Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet
+haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich
+nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung
+darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein
+zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese
+verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in
+Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
+zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
+aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
+für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für
+Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich
+wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache
+aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward.
+Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und
+unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm
+seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch
+Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der
+Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem
+Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran;
+die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der
+Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die
+Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward
+geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die
+sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein
+Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel
+der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des
+Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach
+der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu
+geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute
+auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul
+Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als
+der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso
+unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der
+Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher
+Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie
+könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast
+niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander,
+als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen
+zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen
+begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des
+Kapitols und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius
+Rufus stritten sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der
+sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die
+Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch
+Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den
+Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders
+zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht
+erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der
+ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie
+diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
+Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man
+hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen
+der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
+die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell
+daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
+rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
+überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige
+einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius
+Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große
+Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art
+rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor
+allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
+hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
+vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald
+darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
+gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
+Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
+Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
+verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
+Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich
+darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder
+nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach
+der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.
+
+Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu
+gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen
+Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer
+Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden
+italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
+Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
+obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die
+Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
+sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die
+bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend
+erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung
+die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten
+Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in
+der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich
+zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß
+gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die
+Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des
+Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle
+Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der
+bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich
+schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt
+durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl
+in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm
+zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene
+Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt,
+konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische
+Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen
+zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz
+befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt
+leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert,
+war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen
+Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen
+Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den
+Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen
+Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat
+konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden
+Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr
+klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen
+Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua
+und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten
+tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten
+Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch
+Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog,
+beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu
+nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172).
+Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung,
+sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und
+nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation;
+dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des
+Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene
+Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger
+bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß
+für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit
+festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die
+Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr
+wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern
+von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten
+Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle
+der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln
+festgestellt wurden.
+
+———————————————————————-
+
+5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19)
+teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des
+Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind
+dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm
+festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen
+Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren
+nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.
+
+———————————————————————
+
+Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische
+Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene
+tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes
+Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel
+größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des
+italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum
+begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten
+Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und
+Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und
+wünschten.
+
+Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der
+einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat
+dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und
+patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um
+diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats
+eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war
+Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
+Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
+Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
+Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die
+tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik
+gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern
+für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche
+und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt
+es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf
+aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber
+vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der
+wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu
+oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
+Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des
+Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
+denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger
+verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den
+Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die
+die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische
+Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
+großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu
+vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
+klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der
+Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der
+städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
+System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
+Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in
+England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler
+Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
+allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der
+die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
+Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu
+fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
+Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar
+hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig
+aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand
+sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
+Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in
+den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden
+dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß
+nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die
+Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
+Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
+obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten.
+Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es
+auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger
+erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den
+Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
+Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
+bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
+abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die
+Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas
+darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward,
+schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner
+auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
+anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
+Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach
+er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu
+schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich
+die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt
+geschickt habe?
+
+Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und
+für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man
+diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen,
+Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur
+Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese
+sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt
+Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse
+und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf
+einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen
+Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken,
+so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht
+bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten
+in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen
+nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat
+verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des
+Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den
+ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des
+Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der
+Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
+gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch
+die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
+festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß
+redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden,
+den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen.
+Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht
+unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist
+für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß
+dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
+Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab-
+und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
+Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne
+Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger,
+durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
+wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
+Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
+die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die
+demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den
+Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und
+Verzweiflung erpreßten weiteren “Reformen”, der Leibwache von der Gasse
+und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für
+Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
+Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und
+verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet
+sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging;
+allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen
+geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die
+besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus
+die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also
+verderb’ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des
+Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten,
+schrieb ihm die eigene Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein
+Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend
+uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach
+nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der
+Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod
+ihrer Kinder.
+
+
+
+
+KAPITEL III.
+Die Revolution und Gaius Gracchus
+
+
+Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung
+wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen
+Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber
+nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes
+benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz
+selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch
+gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen
+begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623
+131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei
+des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war,
+selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein
+Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem
+Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde
+ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
+bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl
+wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen
+nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für
+Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
+Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
+auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in
+Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer
+der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
+Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der
+Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und
+Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an
+Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
+derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus
+leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als “den
+ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern
+eingewiesen habe”, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die
+Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen
+Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
+Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die
+Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes.
+Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen
+die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen
+Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel
+eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung
+zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins
+Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen
+der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht
+ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr
+als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125)
+statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000
+hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die
+Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch
+bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt
+hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte,
+ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab
+ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte.
+Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und
+durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten
+rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge
+forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des
+Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
+zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte
+Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch
+vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht
+genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und
+großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die
+Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die
+Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses
+Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
+dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war
+nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken
+desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks-
+oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere
+Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise
+okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
+an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern
+einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder
+vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des
+durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen
+Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
+verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
+nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
+Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
+einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
+verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
+mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in
+diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte,
+so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
+politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch
+zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr
+entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
+Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
+Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen,
+die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die
+Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte
+jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
+setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten
+Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
+schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward
+im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die
+Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
+Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die
+Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen
+zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
+Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
+gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
+Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum
+illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft
+unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber
+da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
+sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
+Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios
+Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der
+Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
+über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages
+ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in
+voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
+öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten
+Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach
+zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist,
+kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn
+gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand
+den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei
+nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es
+ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch
+überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch
+anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der
+Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist
+einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
+aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
+nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius
+Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten
+verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung
+einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr
+einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache
+ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner
+mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform
+gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich
+abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners
+zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt;
+verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von
+Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte
+sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der
+Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.
+
+—————————————————————————————
+
+^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
+nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint
+ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
+triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep.
+28; oben S. 95).
+
+—————————————————————————————
+
+Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio
+Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger
+Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm
+gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere
+Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten
+sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor
+seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch
+einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen,
+in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
+gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder
+verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
+gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
+Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von
+gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
+Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte.
+Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
+wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius
+Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
+unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht
+gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf.
+Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
+Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
+mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
+für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den
+Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
+nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
+gefallen wäre.
+
+Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die
+revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
+konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
+hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich
+Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
+Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
+geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt,
+soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den
+bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
+dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das
+Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war,
+gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
+Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach
+dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln,
+wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei
+ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten
+Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die
+Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
+entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu
+beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
+begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
+Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt
+beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
+Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen
+Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
+Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit
+dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen
+Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen,
+gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien
+einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die
+Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus
+abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand
+nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der
+Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt
+war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu
+übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen
+Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der
+üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
+Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze
+von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines
+großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite
+Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche
+Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der
+Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom
+- seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht
+durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen
+die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er
+andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken;
+nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den
+Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der
+Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr
+Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf
+einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
+gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
+umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare
+Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose
+Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch
+die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der
+Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen
+erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den
+gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie
+die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu
+kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
+Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
+Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf,
+bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich
+zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
+(123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei,
+immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch
+notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu
+Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als
+Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft
+berufen war.
+
+——————————————————————————
+
+2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn
+es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht
+schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren
+Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
+sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
+
+——————————————————————————
+
+Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um
+neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem
+Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er
+hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit
+Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an
+Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit
+und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der
+verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen
+Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die
+echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
+Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen,
+die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens
+und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
+Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit
+geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die
+innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das
+Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese
+furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner
+geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn
+wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen.
+Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind
+manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3,
+und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las,
+fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch,
+sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der
+Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß.
+Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’
+Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas
+sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die
+den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit
+voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach
+dem Ziel der Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint
+nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies
+geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies
+nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie
+sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.” Cornelia
+kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil.
+Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis,
+mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die
+Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder,
+trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich
+auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese
+tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat
+die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran
+getan.
+
+———————————————————————————-
+
+3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen
+Worte: “Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler
+Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun
+niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius
+Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu
+lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und
+ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches
+mir von euch bereitwillig zugestanden werden.”
+
+———————————————————————————
+
+Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die
+Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge
+einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung,
+als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung
+erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das
+folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt
+die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung
+gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
+sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur von
+Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte
+sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu
+knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen
+Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den
+Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an
+die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem
+persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine
+bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den
+öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As
+(2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen
+Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen
+Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden.
+Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt
+lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des
+Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische
+Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
+abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei
+bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache
+und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer
+Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den
+Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf
+Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben,
+abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien
+durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden
+Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf
+hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen
+Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und
+damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der
+Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten
+nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben
+allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst
+und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne
+abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt
+bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz
+kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen
+Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet
+werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr
+beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die
+für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt.
+Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von
+römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits
+verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten
+Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung
+des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen
+wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er
+die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor
+allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen
+verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur
+Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem
+bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren,
+sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese
+Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd
+verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß
+Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den
+überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte,
+wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen
+Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte
+Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer
+römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger
+noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit
+für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat
+eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der
+Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das
+ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich
+regierte Land zu betrachten.
+
+Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar
+bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen
+aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der
+bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur
+Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen.
+Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine
+andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach
+vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst
+pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst
+anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein,
+daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch
+zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der
+Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um
+den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger
+Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren
+Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter
+gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen
+achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es
+scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche
+Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren
+Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat
+unentgeltlich geliefert.
+
+———————————————————————-
+
+4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst
+berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der
+bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd.
+6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen,
+läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich
+schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite
+sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der
+gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p.
+68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.
+
+——————————————————————-
+
+Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
+hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch
+noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil
+selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
+Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den
+Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer
+nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der
+Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
+Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
+beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
+suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
+Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu
+bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß
+Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu
+Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der
+Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies,
+welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
+gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an
+die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der
+althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
+unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
+eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der
+Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch
+Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
+denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
+Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige
+Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst
+gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius
+Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren
+Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des
+Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem
+Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich
+von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und
+höchstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig
+befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur
+förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem
+freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur
+Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.
+
+Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch
+behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf
+Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn
+es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln
+beizuzählen ist.
+
+Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine
+materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing,
+arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl
+erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute
+Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht,
+die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse
+zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die
+Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus
+erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen
+Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie
+Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich
+geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der
+unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren
+Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
+Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
+zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer
+dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte
+im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
+dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
+sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die
+Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem
+kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius
+Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand
+zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der
+gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem
+Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in
+politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die
+ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich
+allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle
+diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000
+Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
+also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische
+Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
+Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
+gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen
+ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen
+genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
+Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
+eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen
+Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja
+die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien,
+infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren,
+vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.
+
+Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden
+Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat.
+Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und
+den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden
+Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation
+ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern
+der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren
+namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn
+wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich
+über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die
+römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat
+sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten
+der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die
+Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht
+gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen
+war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender
+Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das
+Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand.
+Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von
+Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene
+Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der
+abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten -, der Ritterschaft
+zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber
+nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um
+diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen
+senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand
+ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck,
+der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen
+Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls
+geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies
+haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie
+viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr
+gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die
+Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch
+keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus
+erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen
+zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so
+bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.
+
+Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten
+Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben,
+gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der
+Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben
+indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den
+Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft
+römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und
+Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne
+Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also
+regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die
+zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte
+pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich
+abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen
+war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System
+einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese Verfügung durch einen
+Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie
+Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben,
+namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese
+Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten -
+eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich
+ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und
+Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler
+Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben,
+den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch
+die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme
+nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden,
+sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle.
+Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den
+Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung
+imponierender Kern der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft”
+konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
+Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen.
+Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
+Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und
+ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
+Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die
+Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils
+stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher
+waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden;
+Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den
+ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
+den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
+Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich
+neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der
+senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
+von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die
+Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in
+den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
+sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
+sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
+und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in
+ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
+also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
+daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
+Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als
+legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
+jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der
+materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
+sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
+Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
+ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
+gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen
+nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
+Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
+nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und
+Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz.
+Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen
+Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
+bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
+Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,
+daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
+
+——————————————————————————-
+
+5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt
+jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11,
+10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.
+
+6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte
+neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen
+besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des
+Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
+
+————————————————————————-
+
+Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand,
+ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden
+Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche
+Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch
+Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende
+Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die
+Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus
+nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
+durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische
+Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
+Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
+die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon
+erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
+fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
+öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über
+die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und
+Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die
+Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
+Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere
+an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
+Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen
+Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
+bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch
+beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
+festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit
+beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die
+verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner
+Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die
+Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
+Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die
+Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
+Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein
+Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung
+des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes
+persönliches Regiment.
+
+Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die
+senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene
+beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion,
+die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen
+gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem
+erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung außerordentlicher
+Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen
+war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu
+Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat
+die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
+Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven
+Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie
+wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es,
+daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und
+dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem
+Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius,
+genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag
+nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch
+- ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch
+der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches,
+aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius
+gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe,
+auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden,
+nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die
+Schande, durch die Legalisierung einer notorischen
+Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem
+Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der
+Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt
+hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als
+diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausführung
+gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr
+ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem
+Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im
+umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit
+von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.
+
+————————————————————————
+
+7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch
+sein.
+
+————————————————————————
+
+Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und
+während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in
+ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne
+auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur
+Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in
+der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten
+Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende
+Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht,
+daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da
+über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius
+keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und
+weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten,
+umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen
+vollständig realisierte.
+
+Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter
+und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue
+demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der
+Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch
+unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut
+gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit,
+anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem
+Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die
+napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die
+Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der
+Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte
+deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des
+Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die
+Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden
+war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere
+politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein
+Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit
+heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war
+ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für
+sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und
+in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch
+unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der
+monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die
+Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute
+Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als
+eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das
+kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am
+wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so
+fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf
+sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben
+eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das
+gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der
+persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht,
+für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden
+Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine
+Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde
+Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein
+hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
+groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
+Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius
+Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
+schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
+Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine
+Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ.
+Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der
+Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit
+heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
+durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
+Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
+ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er
+zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
+mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit
+einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
+war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
+nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
+und menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der
+Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
+Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
+bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine
+geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen
+bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer
+fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen;
+dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit
+irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch
+außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in
+den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser
+Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen Teil
+mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle
+der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische
+Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als
+Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat
+leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
+bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius
+Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt
+daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die,
+den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
+Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine
+Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie
+abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
+Markt geworfen, damit die Bürger - die vornehmen, versteht sich - mit
+ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer
+Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm
+datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius
+Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
+entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
+hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
+von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig
+demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald
+pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von
+Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
+römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
+doch - dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der
+Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
+römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus.
+Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
+Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
+praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß
+aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des
+Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem
+Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie
+es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es
+in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der
+Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen
+her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende
+Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und
+zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die
+Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor
+allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den
+Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich
+bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte
+Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den
+Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen
+Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem
+seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht
+und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier
+sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem
+Urteil zu verstummen.
+
+—————————————————————-
+
+8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
+Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von
+Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch
+Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres
+Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren
+keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und
+fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die
+Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei
+Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und
+solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König
+Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien
+die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige
+bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen
+werde.
+
+————————————————————————————
+
+Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich
+vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk.
+Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen.
+Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich
+sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des
+römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten
+Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der
+ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die
+Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
+Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt
+um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
+republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
+Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
+vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was
+sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem
+einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen
+wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr
+handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und
+gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die
+Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
+entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl,
+der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
+Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der
+Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
+Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die
+Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
+Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg
+beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
+übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
+Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der
+Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte
+Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art
+diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein
+aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen
+den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. “So meint ihr also”,
+sprach der Optimat, “wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt,
+eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der
+Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
+finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck
+besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an
+einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher
+Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine
+Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis
+der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß
+der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem
+entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte
+das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
+Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
+einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus
+nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
+Marcus Octavius zu bereiten.
+
+Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den
+Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren
+wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte.
+Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat,
+zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem
+militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die
+Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der
+Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen
+mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue
+Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas
+zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat
+völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend,
+daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig
+zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl
+die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche
+Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie
+von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick
+wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
+eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in
+Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
+Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
+anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
+nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
+jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags,
+die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
+Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für
+Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf
+den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf
+seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von
+selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was
+Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch
+mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus
+vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen
+und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu
+erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu
+versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu
+deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur
+Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
+Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
+Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten,
+wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
+Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint
+nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich
+einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem
+latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von
+dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die
+allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste
+zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die
+Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
+Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
+gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die
+Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
+italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
+man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte -, das für
+zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften
+erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge,
+endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes
+nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe
+herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte,
+war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
+entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles
+ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und
+sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein
+heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände
+arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
+bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
+neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen
+mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum
+drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei
+übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher
+beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
+die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
+Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen
+gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
+der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
+Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
+wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest
+entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu
+beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte
+Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
+sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die
+unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago.
+Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die
+lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische
+Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die
+römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und
+Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
+gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
+gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der
+Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
+derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
+an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft
+berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
+bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern
+nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
+hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der
+Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den
+Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
+ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden.
+In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
+Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
+Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide
+in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu räumen, und
+schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
+Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand
+ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
+und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich
+abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
+mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem
+eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
+verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste
+Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln,
+um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
+Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu
+unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am
+Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen
+Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei,
+den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft,
+welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei
+bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner
+von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der
+Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
+erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
+Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht;
+der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des
+Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
+überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein
+zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu
+beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
+Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
+Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit
+dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol
+und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide
+sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der
+Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus
+dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im
+Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in
+das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu
+vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie
+unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats
+an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
+Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus
+wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
+wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen
+Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
+beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich
+einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen,
+als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ
+den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin,
+indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt
+des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
+buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem
+Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
+gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
+tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den
+fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
+geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein
+Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
+Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
+zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
+sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
+womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich
+bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
+entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich
+den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
+Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
+Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles
+allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
+sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
+von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
+des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen;
+es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
+den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der
+Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes
+des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
+Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe
+Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden
+in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge
+preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im
+großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft
+worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an
+dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner
+Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem
+Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus
+geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete
+Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen
+niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten
+Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert
+ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer
+glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet -
+allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu
+beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei
+Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus,
+dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen,
+Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der
+Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das
+Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen.
+Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für
+die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten,
+zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast
+religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten,
+wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz
+fortfuhr zu zollen.
+
+
+
+
+KAPITEL IV.
+Die Restaurationsherrschaft
+
+
+Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem
+Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst
+nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr
+wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der
+Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person
+des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach
+der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im
+Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch
+Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch
+überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz
+einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus
+der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor
+er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war
+buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die
+Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern
+und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war
+niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als
+eben die gestürzte Regierung.
+
+So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das
+Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
+dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
+formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
+Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
+würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
+sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
+Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
+immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
+Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
+gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den
+Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
+fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der
+Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner
+Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den
+der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs
+erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
+Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der
+Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg;
+wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach
+Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
+bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für
+den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
+Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
+Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch
+kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
+Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von
+den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ
+ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
+Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
+erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
+Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
+Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff
+die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die
+Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte,
+wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
+diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
+als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil
+die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange
+nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung
+wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
+vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward
+dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle
+diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des
+öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
+begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung,
+ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
+angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst
+die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen
+rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß
+herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden
+Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und
+systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage
+zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen
+Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den
+Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land
+und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart
+aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung
+der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen
+den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter
+Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus’
+Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der
+Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei
+beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose
+den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf
+einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht
+wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus
+Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie
+Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im
+Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der
+Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat
+gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die
+beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat.
+Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr
+bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung
+außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern.
+
+In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
+italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
+soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur
+die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue
+Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat.
+Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits
+verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im
+Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und
+Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die
+noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den
+Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden
+in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen
+Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv
+zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden.
+Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von
+Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen;
+allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese
+Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein
+möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst
+getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von
+Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
+zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
+der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
+635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
+Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam -
+es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
+noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der
+Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab.
+Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
+einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
+umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen
+Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt
+nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine
+Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung
+eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück
+Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen
+tatsächlich ausschließe - verständige Bestimmungen, in denen die
+Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems
+nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
+getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
+Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie
+also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren
+Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie
+zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an
+dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
+genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
+aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
+ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den
+wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
+hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit
+der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die
+ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat
+Schutz suchten und fanden.
+
+————————————————————————————
+
+^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
+dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen
+Ackergesetzes.
+
+————————————————————————————
+
+Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ,
+die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden
+waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen
+von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig
+ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in
+anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand
+ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses
+Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es
+waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden
+nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
+Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
+verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
+einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
+senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der
+Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung
+der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an
+senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber
+auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu
+verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine
+Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
+der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
+aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
+Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
+dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der
+Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder
+durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft
+des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen
+Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben
+Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
+Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
+die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen
+Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
+Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie
+die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
+schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde
+zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den
+kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf
+dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
+Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur
+planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der
+eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
+eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
+kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes
+Ideal der Mißregierung.
+
+——————————————————————————
+
+2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend
+gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats
+genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was
+daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres
+648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder
+in den berichteten Tatsachen.
+
+—————————————————————————-
+
+Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
+und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die
+Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an
+Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und
+verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch
+Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
+Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und
+wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in
+der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem
+Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann
+wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
+Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht
+und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so
+hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
+Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß
+fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
+der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch
+unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die
+nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß
+die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
+Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und
+(wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
+einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
+berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich
+zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
+von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und
+grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er
+desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
+Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die
+Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in
+ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
+daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
+restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam
+weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen
+Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen
+Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
+Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der
+Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
+Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt,
+Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
+auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
+des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
+verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller,
+sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
+Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht,
+laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als
+Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
+seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege
+über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
+indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie
+jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
+Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und
+vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem
+Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden
+sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den
+höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die
+vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten,
+schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen
+Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu
+führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
+einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter
+Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
+der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre
+Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser
+restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und
+sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die
+zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein
+treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser
+Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen
+ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten
+Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum
+Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren.
+
+Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter
+einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit
+erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das
+Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und
+in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich
+selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im
+Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens
+Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer
+Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen
+Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen
+Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den
+ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien
+ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte
+Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische
+Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht
+durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der
+Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche
+Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte,
+sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem
+wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu
+ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der
+Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die
+Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die
+seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden:
+die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter
+anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich
+eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat
+alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von
+Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten
+Sklaven zu den Waffen rief.
+
+Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich
+vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische
+Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird
+eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die
+Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten
+übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit
+jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die
+Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit
+und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und
+halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die
+sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen
+Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische
+Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den
+Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit
+prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach
+Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl
+Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer
+richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur
+Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder
+westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war
+zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden
+Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich und der Plan an sich
+zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die
+Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und
+speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu
+genommenen Stellung aus die Piraterie bekämpfte.
+
+——————————————————————————-
+
+3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien
+erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
+f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App.
+Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
+Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
+nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
+(102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge
+der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
+ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf
+Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn
+da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem
+Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist
+daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
+der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein
+selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die
+Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
+für Schiffe und Mannschaft.
+
+Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem
+Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten
+Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien
+und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches
+(Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit
+Antiochos zu Kappadokien.
+
+——————————————————————————
+
+Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen
+Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den
+Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der
+Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein
+schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden
+Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134)
+als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution
+aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger
+Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten
+Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen
+ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die
+Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten
+längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten
+zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz
+dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den
+dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist
+charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der
+Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu
+steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die
+freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die
+Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand
+gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten
+ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter
+die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom
+Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von
+Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht
+nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in
+achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die
+Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die
+erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem
+römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu
+erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und
+die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie
+sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und
+augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren
+nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und
+gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln
+nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich
+zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten
+Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener
+Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den
+Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr.
+Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine
+Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und
+dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem
+bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und
+flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische
+Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
+angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
+Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre
+Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen
+parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König
+Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese
+Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen
+der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von
+ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und
+italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor
+Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
+Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
+wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern,
+da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
+ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
+ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig
+auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
+Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
+sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit
+geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
+retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den
+Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
+erzwungen von Rechts wegen kassierte.
+
+Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um
+sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze
+stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter
+Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als
+Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger
+versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch
+Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und
+einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die
+ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den
+kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die
+Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht,
+die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung
+niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und
+selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung,
+daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch
+diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen
+König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten.
+Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo
+die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven
+hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das
+Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem
+eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen,
+welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die
+Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das
+Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann
+sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein,
+und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel
+mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt
+werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der
+Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst
+Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der
+Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite
+Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651
+(103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die
+überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel
+zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb
+Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere
+militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für
+tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala
+werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den
+Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war,
+auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion,
+der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die
+Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus
+unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen,
+ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät
+verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu
+bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu
+werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius
+(652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind
+später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden,
+was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist.
+Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein
+übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen
+Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor
+unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und
+Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten
+Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im
+Zweikampf getötet haben - schlug der römische Feldherr endlich die
+verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren
+letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde
+das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das
+heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn
+namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen
+Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen
+es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der
+restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf
+die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen
+Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
+
+Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen
+Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen
+hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung
+auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten,
+gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika,
+wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um
+dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor
+den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die
+gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem
+Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender
+Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit
+ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und
+Insurrektion durchzuführen vermochte.
+
+Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die
+Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich
+von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten,
+und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich,
+südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen
+der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen
+Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen
+hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo
+regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und
+besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten
+war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen
+Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter
+dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die
+väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die
+Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die
+Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden
+Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa 4, ein
+schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten
+sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschäftigte. Da
+seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die Zügel
+der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha.
+Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann
+und ein gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute
+hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine
+militärische Brauchbarkeit hatte er als Führer des numidischen
+Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung
+im Königreich und der Einfluß, dessen er durch seine zahlreichen
+Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung genoß, ließen
+es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in
+seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche
+Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt,
+ebenso wie er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das
+Reich erben und regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese
+Verfügung unter die Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald
+nachher, im Jahre 636 (118) starb König Micipsa. Das Testament trat in
+Kraft; allein die beiden Söhne Micipsas, mehr noch als der schwache
+ältere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den
+sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig
+zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Könige
+aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung durchzuführen;
+allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und
+Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von
+Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich
+um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und
+Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen
+und Jugurthas Miterbrecht überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha
+auftrat als Prätendent auf das gesamte Königreich. Noch während der
+Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch gedungene
+Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha
+kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen
+minder zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen
+siegte Jugurtha und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter
+den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden
+Häupter. Adherbal rettete sich nach der römischen Provinz und ging von
+da nach Rom, um dort Klage zu führen. Jugurtha hatte es erwartet und
+sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er
+hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die
+römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die Kreise der
+römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen
+Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen
+Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode,
+hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit
+vornehmen römischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich
+erinnern müssen, daß es fremden Prinzen anständiger sei, mit dem
+römischen Staat als mit einzelnen römischen Bürgern Freundschaft zu
+halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloß mit Worten
+ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen Überzeugungsmittel
+gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von
+Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich
+davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen
+umgebracht worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha
+sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken
+vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der
+Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die
+beiden überlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
+erhalten und zur Verhütung neuen Haders die Teilung durch eine
+Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
+Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
+Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für seinen
+Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
+stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und
+nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta
+(Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an
+Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten
+bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare
+und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und Cäsariensische
+Mauretanien) zu teil.
+
+———————————————————————
+
+4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
+
+
+———————————————————————
+
+Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege
+der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte
+Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die
+gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet
+ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu
+führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch
+ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward
+Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt
+Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen
+mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der
+Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern
+täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf
+Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge
+unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen
+Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß
+Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die
+Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung
+annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen
+schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der
+Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre
+Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte.
+Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch
+die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
+Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
+derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß - nicht etwa den
+Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue
+Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus
+an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der
+Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes
+Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu
+bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit
+Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich
+die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat
+erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach
+Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal
+sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen
+Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre
+eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen
+Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt.
+Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
+hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt
+aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642
+112).
+
+Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des
+Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese
+Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein
+schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die
+durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta
+am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte
+sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der
+Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen
+Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner
+zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius
+Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines
+Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten
+Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der
+Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43
+112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne
+vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius
+Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch
+Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit
+Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der
+afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf
+afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda)
+hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem
+Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis,
+bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus
+von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch
+den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den
+Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand
+zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller,
+als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der
+König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern
+vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb
+versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer
+Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen
+Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine
+Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu
+unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten
+Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß
+der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche
+Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch
+war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form
+halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen
+und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden
+war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber
+übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine
+mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der
+Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später
+wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen
+Platzkommandanten und Offizieren.
+
+Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
+wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu
+haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen
+Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat
+ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er
+wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in
+Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich
+der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
+beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte
+sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht
+als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
+sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in
+Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam
+bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der
+cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum
+hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer
+seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu
+schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der
+Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen
+gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben
+abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
+Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in
+der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
+Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
+seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
+geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs
+Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen
+Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der
+Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue,
+unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte
+wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den
+König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also
+wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644
+110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten
+hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und
+militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war
+die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja
+des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das
+Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
+nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
+Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im
+Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
+diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies
+später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
+wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts
+zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den
+Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus
+Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen
+Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der
+schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später
+Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
+erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und
+aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen
+vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr
+es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch
+einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
+Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten,
+eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils
+waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor
+sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des
+römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen
+numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
+Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen
+wurden (Anfang 645 109).
+
+Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die
+plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen
+Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien
+Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste
+in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene
+wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem
+Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft,
+eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf
+den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der
+schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine
+außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des
+in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und
+ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius
+Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der
+ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius
+Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und
+unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes
+diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger
+der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche
+Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß
+dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose
+Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr
+deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an
+den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern
+daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu
+einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt
+ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in
+ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen,
+dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden
+Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl
+selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.
+
+Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den
+Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie
+dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen
+Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die
+Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man
+übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten,
+aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und
+sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus
+Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte,
+seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als
+Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des
+Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat,
+vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber
+doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher
+Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser
+Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er
+sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte,
+sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen
+seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und
+verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt
+ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
+Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren
+begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
+und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
+zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt
+hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand
+fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz.
+Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646
+(108) 5 führte Metellus sie über die numidische Grenze. Wie Jugurtha
+der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und
+machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
+Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß
+man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
+vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
+mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
+Klientelfürsten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
+Römern genügen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg über Albinus als der
+Erlöser Libyens von der Herrschaft der verhaßten Fremden; rücksichtslos
+und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die römische Regierung war,
+konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den
+Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung
+der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha
+nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die
+Anträge des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf,
+ihren Herrn lebend oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der
+römische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des
+Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha
+durchschaute den Plan und rüstete sich, da er nicht anders konnte, zur
+verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig öden Gebirgszugs, über den
+der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte sich in der Breite
+von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden
+Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare
+Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen
+mit niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt
+ward. Auf diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer.
+Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie
+und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den
+Fluß, die andere, der Kern des Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher
+hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestrüpp. Aus dem
+Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den Feind in einer ihre
+rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und hatten, da sie
+auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen konnten
+und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu
+lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen
+der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom
+zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader
+Richtung an den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse
+marschierte aus den Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch
+die Ebene auf den Hügelrücken zu, um den Feind von demselben
+herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben
+des Heeres zu werden, denn während numidische Infanterie im Rücken der
+Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie räumten, sah sich die
+römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern
+umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das stete
+Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die
+Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte
+aufzulösen; während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das
+Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten
+römischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und
+Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu
+erreichen; und das numidische Fußvolk, das die Höhen verteidigte, lief
+trotz der Überzahl und der günstigen Stellung fast ohne Widerstand
+davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen.
+Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es ward
+bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem
+durchschnittenen Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend
+trafen die beiden römischen Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder
+besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplätzen
+zusammen. Es war eine Schlacht, die für Jugurthas ungemeines
+militärisches Talent ebenso zeugte wie für die unverwüstliche
+Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die strategische
+Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der
+Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf
+den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die
+beiden römischen Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere
+von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der
+Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm,
+durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Städte und machten, wo
+eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, die erwachsene
+männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den
+Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften
+Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein
+Überfall des römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich
+endlich genötigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier
+zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe,
+unter Zurücklassung von Besatzungen in den eroberten Städten, in die
+römische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen
+anzuknüpfen, indem er sich geneigt zeigte, dem König einen erträglichen
+Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits
+hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja
+sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000
+römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber
+wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit
+Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den
+Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von
+Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen
+Mord und großer Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den
+Römern lebendig oder tot in die Hände zu liefern. Indes weder jene
+offizielle Verhandlung noch diese Intrige führte zu dem gewünschten
+Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrückte, daß der König
+persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die
+Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und
+derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein
+für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten
+allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
+bemächtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
+weiterführen noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
+beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Römern
+besetzten Städten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
+römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
+Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher später wegen
+Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, läßt sich
+nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und
+hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach
+dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
+preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und
+verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie
+mochte es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden
+Stämmen der Wüste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
+den doppelten Brudermörder gern übersahen über dem Retter und Rächer
+der Nation. Zwanzig Jahre nachher mußte ein numidisches Korps, das für
+die Römer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurückgesandt
+werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
+mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. Wie war
+ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
+Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der
+sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
+Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
+Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer
+Gewalt wiederzuerwecken?
+
+————————————————————————
+
+5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
+Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg
+ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine
+Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das
+Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei,
+und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon
+645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und
+die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen
+erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in
+Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84),
+entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug
+oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also
+die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius
+648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648
+(106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die
+Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in
+dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das
+Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der
+Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar
+noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.
+
+Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10)
+berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen
+auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des
+Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden
+Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen
+und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72,
+7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften
+beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat:
+ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat
+bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti
+consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat -
+oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante
+senatus Metello Numidiam] decreverat.
+
+6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.
+
+————————————————————
+
+Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha
+ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit
+entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden
+über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward
+geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen
+hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die
+unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am
+Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7;
+dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen
+Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst
+abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf
+zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König
+zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung;
+allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem
+Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten,
+zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam,
+der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen.
+Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt
+daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein
+immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien
+gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen
+die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen
+Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht
+abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache
+zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch,
+mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend,
+in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man
+begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den
+eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber
+beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder
+mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen,
+wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst
+nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen
+Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er
+durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen
+Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser
+übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er
+verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von
+ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen
+Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat
+aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie
+sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus
+nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei
+nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts
+in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann,
+der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen
+regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht -
+vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern
+behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der
+tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt - Marius möge
+mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus’ Sohn, ein
+bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und kaum im letzten
+Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als
+Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er
+das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der
+gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika
+in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise
+kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von
+geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen
+der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen,
+daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich
+Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen
+ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung
+mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft,
+verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die
+Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
+nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm
+auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
+Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
+zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den
+Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien
+der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im
+Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando
+in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche
+Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an
+Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war
+leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den
+Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er
+unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des
+Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm
+die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle
+erwachsenen Männer darin töten - freilich das einzige Mittel, den
+Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am
+Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
+belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
+und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
+Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner
+Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf
+angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem
+Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch
+eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man
+diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel,
+worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge
+behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite
+gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie
+der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition
+aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet
+streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es
+lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder
+ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
+ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
+versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das
+römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich
+eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und
+numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen
+eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein
+leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich
+schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
+entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen.
+Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
+entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der
+Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden
+Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut.
+Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer
+Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben
+von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer
+Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm
+gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren
+Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
+warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten.
+Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte
+sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier
+(648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man
+römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs
+verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem
+er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen,
+wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine
+förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König
+Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit
+Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen
+Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines
+Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien,
+erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur
+Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden
+möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo
+er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war,
+teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen
+Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in
+einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies
+wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten
+und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die
+Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha
+doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben
+schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin
+Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen,
+überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der
+bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf,
+geleitet von König Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
+wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
+des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner
+Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt
+durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier
+in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich,
+ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem
+Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er
+von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein
+Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große
+Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius
+Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
+römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg
+zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem
+Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König
+Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
+650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste
+wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten
+Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es
+nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt
+zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ
+sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den
+geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der
+Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
+und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling
+einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
+daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
+brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf
+dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
+darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
+die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
+Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut,
+seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die
+Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
+Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen
+Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
+Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius
+den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei
+Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
+militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
+hätte - wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
+in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben.
+
+————————————————-
+
+7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß
+Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich
+und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit
+östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet.
+
+————————————————
+
+Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats,
+ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur
+in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung
+hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten
+Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt;
+offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die
+Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint
+war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich
+deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den
+Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das
+spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des
+Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf
+den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an
+Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher
+bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche
+bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gätulischen
+Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den
+Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen.
+
+————————————————————————————————
+
+8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der
+sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das
+einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas
+Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
+historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden
+Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda
+Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
+79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
+630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die
+zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene
+andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt
+Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere
+Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
+auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus’ Reich
+bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß
+Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis
+(Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
+Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der
+Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert
+ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46)
+nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die
+Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten
+Vergrößerung hinzugekommen.
+
+———————————————————————————————
+
+Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die
+politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der
+Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch
+angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des
+Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt
+nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß
+den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
+Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
+Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
+seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er
+sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere
+und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer
+Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in
+Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen
+gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige
+Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben
+nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot
+längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch
+ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten
+Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch
+unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von
+Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche
+Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre
+sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
+Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition
+offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die
+Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich,
+wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre
+645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das
+heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung
+wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen
+Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht;
+man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
+Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
+in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte
+Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
+daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab,
+die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer
+Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war,
+um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft
+höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete;
+daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war,
+als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht
+war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so
+völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage
+die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der
+Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen
+Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von
+Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr
+die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen
+Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der
+Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen
+Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu
+verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der
+sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand
+des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß
+Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals
+schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber
+mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war
+augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
+Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
+was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war,
+in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
+neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das
+Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in
+die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die
+Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
+Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als
+vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere
+Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber
+war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur
+Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius
+Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
+gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei
+der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher
+geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger,
+wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die
+Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen
+Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es
+nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer
+nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in
+der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet
+ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die
+nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die
+Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im
+Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten
+sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das
+Schwert aufgegangen.
+
+
+
+
+KAPITEL V.
+Die Völker des Nordens
+
+
+Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische
+Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer
+hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich
+innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den
+Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und
+Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen
+römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung
+zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in
+der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits
+der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete
+der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des
+politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was
+römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
+sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen,
+die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
+anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die
+griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie
+mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.
+
+Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den
+Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des
+Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der
+ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen
+bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe
+(Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia
+(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie
+den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren
+merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland
+hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes
+gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von
+den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen
+Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen
+Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan
+stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist
+nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von
+Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des
+massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der
+italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen
+ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen
+der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von
+Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern
+unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser
+geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den
+Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker
+entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete
+Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie
+alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte
+endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des
+Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100)
+ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea)
+angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch
+Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren
+Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius
+Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629
+(125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die
+Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen
+Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche
+Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte,
+der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein
+und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint
+danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu
+stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um
+Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem
+nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis
+nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter
+ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit
+wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des
+Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden
+Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
+Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines
+Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge,
+vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen
+erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem
+Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder
+des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel
+Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen
+arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu
+ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten
+Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht
+auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet
+zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen
+Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten
+und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung
+entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer
+oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen
+ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme),
+ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen
+die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
+Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer,
+Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber
+in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
+nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang
+Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
+ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem
+Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig
+Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
+Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen
+mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die
+Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
+anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge
+hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
+erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer.
+Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
+Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in
+Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
+südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in
+die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
+über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie
+er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone
+geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die
+dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben,
+daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu
+sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
+dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter
+der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
+größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
+ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und
+denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen
+sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach
+Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen
+Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich
+erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und
+nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person
+des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des
+Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann
+festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus,
+gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu
+sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal
+aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der
+Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam.
+Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich
+die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf
+bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem
+Keltenland wiederhergestellt 3.
+
+—————————————————————
+
+^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129)
+sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden
+kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung
+möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich
+nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist;
+ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4;
+Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und
+Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der
+Stadt ist bekannt.
+
+2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht
+weit von Clermont.
+
+3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator
+und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge
+führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils
+dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7,
+50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
+Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus
+triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den
+Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß
+die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben
+muß als die gegen die Arverner allein.
+
+————————————————————————
+
+Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer
+neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die
+sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von
+den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten,
+vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen
+der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und
+wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den
+südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich
+südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der
+Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der
+nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung
+zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der
+Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende
+wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5
+bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von
+Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung,
+die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu
+den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von
+ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie
+gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen.
+Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die
+Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend
+wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden;
+hier entstand eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae
+Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich
+an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in
+geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon
+vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen
+Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
+erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
+Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
+Kelten gegründet, ward als “Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der
+gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
+Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz
+Narbo.
+
+———————————————————————————-
+
+4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell
+(Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1.
+Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen
+Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes
+gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes
+römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
+
+———————————————————————————-
+
+Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen
+Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und
+unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das
+dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den
+Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen
+Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte
+freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und
+mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem
+Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das
+gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher
+Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu
+bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger
+des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen.
+Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit
+Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren
+vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.
+
+Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten
+von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch
+unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183)
+kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem
+ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits
+geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins
+Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem
+Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der
+in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von
+Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten
+Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger
+Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um
+die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die
+Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren
+wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher
+Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine
+Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen,
+von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land-
+und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese
+Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen
+Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren
+insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die
+Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem
+Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und
+waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den
+Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd
+abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft
+gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich
+der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und
+der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen
+Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer
+zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine
+Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß
+die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch
+künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul
+Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein,
+ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein
+Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste
+Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und
+sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur
+oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als
+eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon
+für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus
+mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es
+wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die
+Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich
+von Skodra festgestellt worden war 5.
+
+————————————————————————
+
+5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz
+Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes.
+Gall. 5, 1).
+
+————————————————————————
+
+Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar
+abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im
+Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung
+auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die
+angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise
+ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum
+Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von
+Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende
+Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen,
+gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das
+Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt
+ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und
+der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die
+Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen
+Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches
+der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean
+sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und
+nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau
+ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins
+die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich
+unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden
+Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die
+heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit
+ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen
+gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen
+Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der
+Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der
+Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von
+Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in
+dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in
+dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage
+gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und
+dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu
+beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten
+nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die
+eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des
+unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort
+einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre
+Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter
+dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten
+dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an
+diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren
+und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen
+Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die
+Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer;
+dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei,
+sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in
+die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu
+brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
+fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche
+Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die
+tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie
+gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben
+um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete.
+Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen
+und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist
+die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise
+eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in
+den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen.
+Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest
+die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im
+Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
+Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an
+die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
+im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein
+ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
+An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
+Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
+dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
+allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
+Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
+Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die
+führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und
+Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen
+Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war
+das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save.
+Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien
+saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer;
+nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in
+den Rhodopegebirgen.
+
+—————————————————————-
+
+6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb),
+dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28),
+“weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an,
+daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den
+Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis
+zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall.
+1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von
+helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft
+nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß
+Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend
+bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die
+Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem
+die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren
+die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor
+Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben
+irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen
+von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer
+Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten
+vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einöde”,
+den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2,
+193 A.
+
+—————————————————————
+
+Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es
+war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen
+Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten;
+was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen
+Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An
+Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben;
+im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen
+oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der
+Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und
+die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben
+genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem
+Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei
+derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten,
+ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
+Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
+Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.
+
+Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um
+die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte
+mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den
+Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.
+
+Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die
+unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
+Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig
+offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
+eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere
+reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
+(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die
+Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral
+nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an
+der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer
+siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen
+Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber
+in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von
+Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
+vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche
+Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul
+Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
+der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich
+eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach
+Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von
+Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
+in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635
+119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
+Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und
+dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
+sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius
+Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte
+in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der
+Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in
+diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von
+Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da
+weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges
+trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius
+Scaurus, gegen die Taurisker 7; er überstieg, der erste unter den
+Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen
+Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft,
+wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß
+doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen
+haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen
+worden wären.
+
+———————————————————————————————————
+
+7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
+so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei
+Victor.
+
+———————————————————————————————————-
+
+Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen
+kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
+Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
+deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in
+diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
+(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
+gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit
+seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden
+war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König
+der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals
+ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8.
+Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde,
+konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf
+wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
+serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer
+vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich
+entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze.
+Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642
+113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische
+Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647
+110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker
+nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher,
+im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische
+Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte
+Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und
+trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem
+beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem
+Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste
+Rolle zu spielen.
+
+————————————————————————
+
+8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
+(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
+Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
+sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
+erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius,
+mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
+werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius
+aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente
+aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren
+zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine
+faktisch stehende römische Besatzung erfordert.
+
+9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien
+gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z.
+Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten
+haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio
+imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin
+triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste
+kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des
+Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).
+
+^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von
+Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein
+Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros
+(die Maritza) nennt.
+
+^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und
+Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und
+in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden.
+Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις
+Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem
+zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern
+verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach
+der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem
+die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil
+sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen
+Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus
+Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98),
+wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das
+Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus
+irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht
+bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671
+(83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich
+verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.
+
+————————————————————————-
+
+Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
+Schon seit längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen
+Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
+Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die
+Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung
+indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen
+geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten
+zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen.
+Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die
+Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine
+Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von
+Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich
+vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder
+der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen
+ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer
+sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die
+bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
+Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste,
+der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen
+Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
+Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
+gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
+Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars,
+der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten
+kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen
+haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und
+die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar
+auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen
+passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm,
+nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und
+auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden
+Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge
+keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn
+Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die
+Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
+kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch
+nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
+ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
+ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
+eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch
+nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere
+Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
+Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das
+Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich
+fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die
+Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
+den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
+Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder
+mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen
+Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das
+der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen,
+barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit
+kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen
+Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der
+lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug.
+An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen
+überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich
+ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied
+in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit
+Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward
+häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der
+längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der
+Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht,
+auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum
+Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten
+Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein
+entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und
+die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
+nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
+Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war -,
+allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
+Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern,
+darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann
+wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen
+aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es
+waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und
+unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und
+aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers
+die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der
+nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel
+deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise,
+nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und
+leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen
+werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein
+ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher
+Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
+unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich
+belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
+übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit,
+die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und
+Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
+die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
+vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich
+wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie
+verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der
+sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das
+wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette
+zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
+Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die
+unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
+
+———————————————————————————
+
+^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten
+große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung
+der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
+nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf
+Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu
+entscheiden.
+
+———————————————————————————
+
+Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der
+Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden
+vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern
+gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die
+Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die
+vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer
+verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch
+das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie
+im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der
+Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich
+aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich
+diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den
+schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die
+Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich
+mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo
+sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu
+der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den
+Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu
+geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in
+einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es
+unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über
+den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur
+ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige
+Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren
+Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts
+zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als
+durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke
+Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos
+Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die
+Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu
+decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer
+unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen,
+wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine Bitte, die sich
+allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort
+sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert.
+Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden,
+stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die
+Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die
+Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze
+bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu
+verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von
+Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint,
+mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor
+den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den
+Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland
+selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren
+nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das
+Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien
+sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht
+schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen
+verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften
+der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten)
+den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen
+an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius
+Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in
+einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der
+Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod
+fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich
+in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug
+unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen
+mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich
+standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der
+wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische
+Besatzung in Fesseln schlug.
+
+——————————————————-
+
+^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den
+Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7,
+293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der
+Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer
+Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung,
+völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
+ungefähre Richtigkeit.
+
+———————————————————
+
+Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und
+auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter
+belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius
+Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu
+bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon
+von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren - ein
+erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die
+Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
+schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und
+spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses
+Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
+beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
+und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den
+Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
+649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen
+Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
+Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
+ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
+Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig
+geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier
+gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des
+gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
+ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über
+die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich
+bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
+römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre
+ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu
+unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis.
+Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem
+stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
+prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein
+dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
+gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
+vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
+römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche
+Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen,
+erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der
+Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer
+Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein
+sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch
+das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein
+Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten
+römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb
+soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn
+Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den
+beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im
+Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und
+moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo,
+des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen
+Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit
+Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand
+so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich
+zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
+den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde
+Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen
+als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende
+Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus
+diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen
+Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
+Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung
+und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen
+Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange
+zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
+Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen
+stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen
+Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der
+in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
+dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
+hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
+durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie
+überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren
+Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
+Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die
+Pyrenäen.
+
+———————————————————————
+
+^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
+
+———————————————————————
+
+Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich
+selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt
+eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die
+Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle
+Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und
+doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum
+geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur
+ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den
+afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die
+afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es
+mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr
+einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung
+erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der
+Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des
+Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte
+sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein
+jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an
+der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die
+Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne
+Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich über den
+Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel
+schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645
+(109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere
+Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als
+die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging
+auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu
+zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment
+durch eine Diktatur zu stürzen.
+
+Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
+mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine
+Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich
+gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen
+Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte,
+wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte,
+den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen
+ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die
+Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber
+des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust
+verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch
+Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in
+denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein
+Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher
+wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen
+(650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem
+Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an
+ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus,
+beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
+Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
+trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
+Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
+Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen
+und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch
+tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die
+einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt
+und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch
+Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der
+Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor;
+Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und
+zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang
+es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner
+eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben
+zu retten ^15.
+
+—————————————————————
+
+^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die
+Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich
+unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der
+Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der
+eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im
+Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß
+Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle
+(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob
+eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito
+[?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar
+wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus
+vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies
+offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte
+Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201)
+oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten
+Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung
+einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der
+kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die
+Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
+30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
+wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche
+Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die
+Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die
+über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die
+Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen
+Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an
+Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
+anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
+der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur
+Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
+part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
+der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
+Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits
+tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung
+zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten
+und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche,
+sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn
+Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher
+zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als
+Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
+aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
+wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
+Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese
+zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie
+aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
+zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
+hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
+zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
+sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für
+das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher
+steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über
+Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
+diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge
+der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
+Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
+für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73,
+5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend
+und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
+afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
+übertragen worden sein.
+
+Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von
+ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen
+Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf
+etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz
+schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz
+gewesen.
+
+————————————————————————
+
+Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der
+gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem
+darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei
+unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu
+treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen
+Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in
+Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den
+Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in
+Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht
+darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren
+des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen
+und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
+genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns
+bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war
+als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
+war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
+Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig
+bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
+weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
+Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich
+an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß,
+was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
+wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus
+Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat
+mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste
+Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der
+Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der
+Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch
+fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das
+Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter
+Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen
+Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität,
+aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat
+mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich
+war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen
+Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar
+Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch
+als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos
+fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
+inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
+Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.
+
+Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits
+der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen
+der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals
+hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und
+bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er
+geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio
+gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie
+die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen
+gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern
+der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die
+Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten
+Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit,
+einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen,
+die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue
+wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz
+von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen,
+wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern,
+Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht
+und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm
+anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte
+Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten
+überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien
+dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere
+Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger
+Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz.
+Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der
+Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der
+eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen
+hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am
+Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich
+unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der
+Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf
+ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet
+der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug.
+Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und
+Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten
+hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
+sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
+ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus
+ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16.
+Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand
+der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher,
+mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug
+nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher
+zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
+zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
+denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker
+an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
+Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die
+Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
+die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im
+Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die
+neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
+Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische
+Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
+Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die
+Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf
+nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in
+einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der
+Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals
+gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und
+die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen
+das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte
+der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde
+Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an
+der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich
+die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß
+nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
+vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses
+als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne
+anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer
+nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist
+begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der
+feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht
+benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten
+vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und
+folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht
+sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße
+zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die
+Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen
+stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der
+feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
+allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den
+weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche
+Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten
+Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das
+römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die
+Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten
+sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und
+langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein
+die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen
+und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben
+aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte,
+entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze
+Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande,
+entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König
+Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt
+mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf
+ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen
+lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie
+dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen,
+sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).
+
+———————————————————————-
+
+^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig
+zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
+ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und
+bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die
+Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der
+Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind
+verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem
+Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die
+Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.
+
+———————————————————————
+
+So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
+standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
+verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das
+obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß
+überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch
+hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
+Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig
+kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
+in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken
+Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das
+rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die
+Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
+panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen
+davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste
+Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte
+Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist
+wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die
+den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen
+die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit
+dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der
+Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte
+der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer
+Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde
+auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war
+das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die
+Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs
+waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des
+Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen
+in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit
+Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102),
+um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae
+Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff
+ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage
+geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch
+diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten
+Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen
+Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu
+lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften
+in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische
+General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan
+des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt
+wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche
+Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo
+er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der
+Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen
+ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter
+dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen
+gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein
+scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten.
+Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda,
+wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte,
+trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht
+und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu
+auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag - es
+war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene,
+auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum
+fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend;
+denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im
+Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward
+von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich
+ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und
+die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der
+Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix;
+glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich
+selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen
+mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des
+schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner,
+die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern
+später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in
+ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der
+Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert
+hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der
+verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit
+getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht
+mehr.
+
+————————————————————————-
+
+^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das
+Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß
+zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein
+ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus
+nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer
+zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.)
+und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am
+Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau,
+doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.
+
+—————————————————————————-
+
+Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren
+kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte
+sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte,
+ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms
+Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die
+Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner,
+sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen
+Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum
+widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das
+Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von
+seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen
+eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der
+Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius
+tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger
+galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht;
+nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden
+Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und
+Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor
+allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich
+geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der
+damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den
+Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’
+Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein
+feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut
+seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher
+Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher
+Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann
+des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber
+des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild
+gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese
+Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen,
+sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch
+ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der
+Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne.
+Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche
+den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der
+restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem
+Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister
+erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und
+viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache
+und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn
+des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der
+neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?
+
+
+
+
+KAPITEL VI.
+Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
+
+
+Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599
+(155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als
+Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen
+“Mariusheimat” (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so
+dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von
+Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er
+später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und
+Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter
+es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der
+schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier
+emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals
+dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die
+saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine
+Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war
+heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit
+dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen
+Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den
+politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch
+der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne
+Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche
+Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem
+altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen
+Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis
+zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens
+seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand.
+Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das
+Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den
+Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio
+zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal
+vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den
+Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die
+Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und
+vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er
+sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der
+unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und
+Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen
+geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des
+römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als
+einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter
+Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe
+gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit
+ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er,
+soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten
+Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden
+Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen,
+und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise
+eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte
+darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und
+laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich
+und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch
+war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes
+Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst
+durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen
+ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin
+Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
+unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
+Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
+Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
+löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
+denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul,
+daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre
+ihm an. Er war nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein
+armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter
+Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er
+nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren;
+Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch.
+Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die
+griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den
+griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
+vermutlich nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile
+bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
+Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
+Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das
+wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte.
+Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius
+außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat
+(635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der
+Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden
+Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden
+an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den
+der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und
+Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer
+von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein
+können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das
+Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier
+auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und
+demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war
+dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des
+allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
+eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
+(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
+Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über
+die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen
+Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und
+doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich
+ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der
+einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen
+Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war
+er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden
+wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit
+nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der
+dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm
+Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf
+mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von
+Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu
+Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von
+den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war
+ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung
+des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer
+politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius’ Werk schien
+seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren
+lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms,
+dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum
+zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das
+hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so
+schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern
+der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die
+klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
+Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von
+der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
+brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen,
+seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
+Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
+Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die
+inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen,
+was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.
+
+Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten
+Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der
+Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden
+Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein
+nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen
+müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende
+Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf
+4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den
+Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf
+drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus
+den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten
+Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
+Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach
+dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und
+Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen
+Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst
+mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen
+Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden
+Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis
+auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein
+für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die
+besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und
+mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand
+überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen
+Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen
+verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig
+verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die
+Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden
+sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als
+wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen
+Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen
+Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen
+beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher
+Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg
+erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn
+und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich
+die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon
+im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie
+nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der
+bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat
+materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon
+vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie,
+die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die
+leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der
+bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer
+Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren
+mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten
+Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger
+ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des
+arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den
+ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die
+Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts
+als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung
+des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des
+Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die
+leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen
+bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien
+Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige
+Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen
+Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst
+Marius 647 (107) tat.
+
+Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die
+gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer
+Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die
+vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier
+oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und
+dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach
+Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene
+Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der
+Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein
+eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über
+den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner
+weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die
+Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle
+Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle
+Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen
+die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des
+Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches
+Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
+Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber
+das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
+Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
+bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen
+Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in
+den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen
+Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An
+die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
+zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
+Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
+traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
+sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich
+gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
+Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
+5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
+bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper
+gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die
+Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
+verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
+der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
+Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die
+bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
+Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die
+Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
+gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
+Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen
+Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein
+soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige
+Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte
+Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des
+Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
+bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn
+gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende
+Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden,
+widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber
+als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer
+großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten
+Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen
+können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm
+wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die
+abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten,
+aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche
+Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus
+den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des
+Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des
+Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem
+(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß
+höheren Sold und größeres Ansehen.
+
+Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint
+allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und
+überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
+berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene
+Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist
+wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch
+Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie
+manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des
+ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
+Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
+eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
+ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor
+allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
+bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit
+seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
+allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
+beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in
+Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
+sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres
+Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und
+glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
+der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu
+heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst
+nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im
+Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem
+Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
+geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen
+auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der
+Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
+wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu
+verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine
+einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
+seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
+Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten
+italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das
+Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh,
+rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die
+Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in
+wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in
+verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen,
+daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht
+würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den
+Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so
+standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen
+Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um
+den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue
+Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der
+Kaiser.
+
+Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die
+glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung
+ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber
+man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem
+ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener
+Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo
+sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt
+hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch
+aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen
+darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der
+restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit
+nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half,
+und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer
+blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen
+Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten,
+zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach
+jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des
+Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden
+Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig
+seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun
+gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius
+entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte
+Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner
+Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem
+Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen
+- wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten
+sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich
+oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den
+höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die
+Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch
+im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den
+Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des
+Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können,
+sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem
+Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein
+praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.
+
+Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius
+konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze
+der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig
+bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der
+Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg
+nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu
+betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt
+und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als
+seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der
+Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
+harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius,
+im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen
+Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen
+Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach
+komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der
+mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
+Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer
+in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
+wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang
+begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses
+Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
+Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden
+Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die
+Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde.
+Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den
+ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
+war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten,
+kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.
+
+Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein
+Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein,
+vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die
+Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit
+angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen
+Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die
+zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus
+nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer
+Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem
+langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich
+verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische
+Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen,
+die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war
+inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen
+manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel
+hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu
+folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und
+Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen
+Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des
+Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn
+die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus
+gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter
+ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte.
+Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es
+wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen,
+konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger,
+die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als
+sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder
+minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei
+bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts
+zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten,
+und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am
+Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern
+und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius
+Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen
+der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige
+Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei
+aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius
+Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein
+gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester
+Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner
+drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius
+Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
+feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
+gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in
+üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des
+Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als
+um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der
+Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der
+herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
+Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
+gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
+Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er
+hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten
+Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
+aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen
+Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens
+Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb,
+einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten,
+bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors
+Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des
+Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des
+Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem
+Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes
+Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten
+Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft
+bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102)
+durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des
+Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit
+Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner
+vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit
+Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.
+
+Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die
+mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es
+war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch
+schon bei Marius’ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs
+entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden
+sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat,
+Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben
+sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung
+durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen
+Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’
+Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen
+entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen.
+Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in
+Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche
+Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht,
+Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in
+den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der
+Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits
+einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert
+schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus
+entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und
+erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die
+gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia
+als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus
+Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus,
+erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran
+gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633
+(121) unterbrochene Werk zu vollenden.
+
+Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln
+er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach
+außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene
+Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte
+wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in
+eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen
+Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der
+italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche
+Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment
+unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen
+die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die
+Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht
+hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war
+zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß,
+sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die
+unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen
+und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem
+fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz
+Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische
+Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland
+in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der
+rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das
+gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles
+Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung
+der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden
+weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
+von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
+Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger
+bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne
+jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen
+Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen
+hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die
+Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel
+die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten
+vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und
+doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf
+Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn
+das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser
+ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich
+derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der
+Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens
+Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so
+Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte.
+überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren
+Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen
+wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem
+landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß
+jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung
+einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs
+allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die
+beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.
+
+———————————————————————-
+
+^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was
+dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als
+derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte.
+Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’
+(73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der
+erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das
+zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das
+Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
+(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
+
+———————————————————————
+
+Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich
+vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch
+welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der
+Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine
+Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat.
+Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen.
+Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre
+Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine
+verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende
+Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den
+Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte,
+teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag
+niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung
+in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen.
+Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher
+bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende
+Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße
+Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den
+Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so
+ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich
+nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
+Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
+ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
+vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen
+Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.
+
+Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen
+bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man
+bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen
+Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man
+erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
+ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
+daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
+altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
+Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
+ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel
+folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich
+der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich
+seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen
+ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die
+derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach
+Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die
+städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld
+die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der
+Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel
+des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen
+Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf
+getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten
+diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus
+Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen
+Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann
+unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.
+
+————————————————————
+
+2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106)
+Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um
+oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß
+jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
+nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im
+Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.
+
+————————————————————-
+
+Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das
+Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens
+lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen
+Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von
+Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von
+der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur
+noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es
+sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war
+als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den
+Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber
+der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft
+fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische
+Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten
+Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.
+
+Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen.
+Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon
+ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte
+dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit
+eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen
+Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen,
+wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung
+hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und
+Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der
+Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem
+Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge
+Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat
+hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen;
+die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100)
+stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre
+Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich
+nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht
+bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da
+er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen
+gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und
+kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so
+schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der
+materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich
+wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß
+mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor
+allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine
+Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die
+Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.
+
+Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des
+Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
+Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
+Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von
+seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig
+leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der
+militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen
+einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
+den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als
+seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht
+billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht
+erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise
+politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen
+Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich
+zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in
+zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem
+Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der
+Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das
+Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die
+Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der
+Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei
+- ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie
+nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die
+zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs
+Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der
+bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu
+verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die
+Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid
+selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur
+gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die
+Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in
+Frage gestellt ward.
+
+Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten
+Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht
+deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die
+Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und
+aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den
+Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit
+überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand,
+keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit
+beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um
+allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten
+und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren
+Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft
+auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so
+kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten,
+ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren
+erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun
+selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten
+nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren;
+Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als
+Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren
+wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die
+tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’
+Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das
+Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen,
+was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür
+des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph
+durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun.
+Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im
+vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in
+die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius
+Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt
+hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln
+erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes
+Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte
+den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat
+sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für
+sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu
+ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen
+aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der
+Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein
+greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm
+überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte
+nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und
+rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt
+es wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem
+Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10.
+Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der
+ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt
+geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft.
+Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo
+man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu
+ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen
+ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut
+rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im
+Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren
+Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an
+diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge.
+Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am
+Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte
+die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit
+den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck
+gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an
+diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor,
+zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten
+Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen
+Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man
+dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer
+im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos
+unterzugehen.
+
+Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten,
+nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10.
+Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier
+entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag
+ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige
+Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich
+selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß
+die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das
+Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das
+Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse,
+teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters
+hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich
+zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
+oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung
+ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
+jener Katastrophe einnahm - nur um so kläglicher, weil man nicht anders
+konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
+denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf
+demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn
+bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht
+einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in
+den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um
+nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus
+Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und
+öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es
+wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes
+abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer
+allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren,
+Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl
+wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß
+der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er
+getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie
+er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben
+Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es
+geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache
+bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und
+unschädlich erschien.
+
+Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die
+tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die
+Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen
+zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die
+Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich
+bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines
+Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause
+gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das
+Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte.
+Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill
+wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten
+Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in
+Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend
+getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen
+Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die
+Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig,
+sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio
+ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für
+Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich
+nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn
+auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft
+befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende
+Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und
+staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen
+und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen
+relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge
+einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus
+Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu
+suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum
+Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar
+in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon
+flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg
+rüstete gegen Rom.
+
+Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich
+günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf
+den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig.
+Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für
+Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich
+reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier
+stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der
+nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit
+Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen
+wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und
+versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte
+in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder
+des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und
+energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
+auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
+der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so
+populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen,
+Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung
+der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen
+Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
+Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
+Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker
+war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
+bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das
+Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
+konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand
+kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte;
+den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren
+Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
+eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen
+Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
+mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag
+zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der
+legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare
+Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden.
+Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die
+den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und
+die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten
+schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der
+Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle
+bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das
+unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem
+Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende
+Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt
+wiedereinzusetzen.
+
+Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die
+Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des
+senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich
+von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden,
+daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für
+den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie
+bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn
+es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich
+ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht
+freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige
+Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder
+an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich
+verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen
+wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat
+dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex
+und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der
+vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656
+98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen,
+statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist
+und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius
+Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen
+Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen
+zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen
+Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen
+Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und
+rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden
+wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz
+schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte
+sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie
+sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten;
+allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und
+vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine
+Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten
+derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und
+anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt
+war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen
+zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
+Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines
+gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit,
+den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die
+falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich
+kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten
+die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt
+und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter
+Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
+angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von
+sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines
+Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen
+Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber
+keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher
+Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen
+Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht
+mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war
+Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit
+zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus
+Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
+aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
+war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig
+betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
+schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die
+Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre
+schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur
+seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der
+erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder
+Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und
+Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die
+römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem
+kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das
+Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
+furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß
+mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich
+selber zerfleischen werde.
+
+Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der
+Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß
+Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch
+edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen
+gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede
+Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die
+skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung,
+den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre
+663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich
+gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor
+zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch
+die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war
+Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese
+seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich
+bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer
+eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter
+Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den
+Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es
+aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich
+sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die
+Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten
+Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit
+und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er
+bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer
+offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner
+Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im
+Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus
+hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen
+Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die
+Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius
+Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
+Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie
+dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat
+nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen
+namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius
+Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des
+Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und
+rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft
+gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein
+gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule
+Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert
+hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die
+Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes
+gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und
+bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch
+einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen.
+Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse
+mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele
+zu gelangen.
+
+Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom
+Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher
+zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt
+werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur
+Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
+schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene
+Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck
+erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben
+und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes
+Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs;
+seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein
+umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die
+Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die
+dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen
+plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch
+unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische
+Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
+Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
+Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
+römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von
+aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und
+ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung
+beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
+Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen
+die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf
+das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die
+Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als
+ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe,
+wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu
+gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der
+Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius
+Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen
+Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf
+abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der
+Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen
+wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte
+auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde
+militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die
+Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
+mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
+selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht
+wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die
+Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man
+künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß
+alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung
+gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem
+Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das
+Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch
+sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich
+einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband
+gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer
+sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige
+Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die
+Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher
+auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für
+ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und
+Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so
+vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den
+reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie
+Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus
+wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann,
+so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der
+Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen
+jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten
+Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben
+Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren
+Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu
+begegnen.
+
+Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen
+Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus,
+den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische
+Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das
+Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die
+Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der
+Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der
+Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des
+Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung
+gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen
+einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und
+Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das
+Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die
+Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten
+großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest
+zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem
+Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte
+verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk
+feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit
+Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf
+nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die
+Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98)
+zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des
+Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem
+Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die
+Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den
+Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit
+einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach
+einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu
+beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach
+stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und
+Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen
+Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der
+sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien.
+Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten
+unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb
+plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die
+von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs
+nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich
+ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner
+erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der
+Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem
+Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg
+vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente
+nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er
+in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war.
+Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes;
+immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald
+erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge
+der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg,
+und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus,
+nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu
+erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte
+wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß
+durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die
+Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder
+unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe
+Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends
+auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben
+verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters
+zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er
+wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der
+Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und
+eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
+derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
+Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
+grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
+war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
+tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der
+Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
+reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
+Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen,
+die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden;
+er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah
+alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß
+seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein
+werde, der je das schöne italische Land verheert hat.
+
+
+
+
+KAPITEL VII.
+Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+
+
+Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für
+ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt
+seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in
+Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten
+Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte.
+Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
+Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die
+italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige
+Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
+Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos
+erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
+Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
+indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als
+verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
+nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
+durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen
+Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und
+mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
+hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
+denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen
+Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts
+der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die
+wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig
+von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
+bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
+freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in
+denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten
+hatte - ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
+verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die
+politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand
+ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht
+statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität
+den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen
+Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische
+Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser
+gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht
+bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich
+bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald
+aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde
+zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und
+die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise
+ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen
+geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen
+Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im
+Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen
+sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein;
+von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen
+Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen,
+wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische
+Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem
+letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die
+bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis
+die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen
+werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben;
+allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl
+Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das
+Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil
+der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die
+Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man
+ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise
+aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen
+aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche
+Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden
+obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit
+Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte,
+in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die
+Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen
+Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der
+angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der
+Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil
+seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die
+Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten
+und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren
+in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten
+und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen
+Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden
+jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich
+über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit
+dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle
+wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht;
+es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig
+vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche
+Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht
+ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des
+römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß
+infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung
+die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen
+und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte,
+wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die
+durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt
+unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran
+erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den Beilen unterworfen”
+seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der
+gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.
+
+Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus
+einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die
+drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf
+Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung
+Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die
+Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben,
+die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen
+Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen
+Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628,
+632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies
+geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch
+Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch
+ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten
+Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen
+Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als
+bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger
+Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung
+auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt
+sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher
+Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und
+durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die
+von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen
+weiterzugeben.
+
+Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs,
+zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die
+Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam
+bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und
+zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den
+Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das
+unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und
+Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell
+den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug
+die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären
+Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich
+gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es
+auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man
+erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der
+Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein
+Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu
+machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und
+Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es
+doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel
+geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr
+400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000
+Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die
+Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war,
+konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden
+zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse
+mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem
+gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit
+es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden
+Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft,
+teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen
+darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum
+verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu
+erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie
+ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine
+oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten
+gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der
+Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich
+überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die
+Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber
+diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig
+vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu
+verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten,
+energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick,
+wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen
+Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren.
+In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und
+Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber
+wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
+Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge
+hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
+Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die
+Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
+und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
+man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den
+Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
+sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die
+mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame
+Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
+denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die
+Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
+verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95)
+ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste
+untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten
+mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine große
+Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am
+meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der
+Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
+staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
+jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
+vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des
+Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses
+Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
+gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
+verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
+Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
+Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche
+Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
+zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat,
+und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus
+und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten.
+Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus
+entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
+den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
+Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die
+reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
+Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
+eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
+zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin
+und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all
+seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu
+setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines
+Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und
+dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für
+Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber
+wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen
+römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so
+ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und
+sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen
+Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man
+in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats
+seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel
+feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
+plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten
+sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
+Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte
+bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher
+werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief
+durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz
+kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je,
+daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663
+91).
+
+——————————————————————————-
+
+^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
+entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in
+diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und
+dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
+nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe
+gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer,
+die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab,
+ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
+der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in
+der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die
+Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen,
+höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich
+500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
+Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich
+und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der
+Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man
+das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben
+erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien
+auf zwei Bürger drei Nichtbürger.
+
+2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet:
+“Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen
+Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei
+der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den
+Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll,
+wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines
+eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
+außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
+ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich
+Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner
+Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als
+ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich
+falsch, so gehe es mir übel!”
+
+Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er
+rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden
+(worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte
+Überschrift ‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall
+aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen
+Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es
+fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie
+hineininquiriert ward.
+
+———————————————————-
+
+Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen
+Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu
+Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den
+günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen
+können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den
+Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den
+Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von
+Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit
+gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu
+vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit
+Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein
+Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung
+der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht
+noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen
+Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte
+die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser
+zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war
+es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und
+die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer
+ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
+erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit
+Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten -
+beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu
+gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat
+zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt,
+ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb
+keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
+das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine
+Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch
+verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
+darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren
+italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht
+unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
+Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
+bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und
+Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer
+fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen
+Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu
+schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an
+dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder
+gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte
+für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt,
+während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt
+ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man
+in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß
+unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen
+Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber
+statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das
+regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur
+Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu
+erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein
+entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von
+den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll,
+an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter
+führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch
+einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor;
+Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben,
+bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer
+beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch
+kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius,
+durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum
+(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab
+sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und
+richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte
+Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile,
+die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken
+in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses;
+die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen
+und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede
+Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit
+geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht
+und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die
+Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche
+Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen
+Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern,
+Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus
+Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den
+Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des
+marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und
+überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab
+nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien
+gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu
+Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten
+gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten
+Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand
+gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der
+Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst
+in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus
+dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale
+Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen
+Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den
+aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen
+Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum
+Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung
+aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter
+Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien
+unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten
+bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die
+griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die
+meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia -
+ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen
+Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten.
+Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische
+Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten
+die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts,
+innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die
+Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem
+unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich
+vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und
+fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch
+diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich
+war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß
+von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im
+Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen
+ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die
+Feuerprobe war noch nicht überstanden.
+
+Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager
+auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer
+allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch
+hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer
+selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten
+ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges
+Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich
+anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen
+niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom
+vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich
+darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht
+unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den
+Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war,
+ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika
+und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels
+dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der
+Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache
+dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward
+trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen
+Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem
+mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand,
+niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in
+Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die
+Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in
+Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft
+als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser
+Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen
+Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer
+Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt,
+und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal.
+Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging
+soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat
+berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem
+Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der
+sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als
+unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit
+Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der
+Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst
+indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den
+die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von
+Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere
+aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius
+Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich
+der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es
+scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um
+die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was
+um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs
+Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten
+und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen
+konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission
+nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte
+stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und
+Anfertigung von Waffen.
+
+Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden
+schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die
+schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu
+organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen,
+marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten
+Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an
+dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder
+zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter
+Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und
+Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den
+Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
+Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den
+Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die
+ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in
+Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
+schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in
+offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
+südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
+bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach
+römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen
+italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
+von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
+diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst
+versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von
+den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu
+unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht
+daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner
+Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei
+den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik:
+eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen
+von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen
+Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben
+Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer
+in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten
+ausgeübten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste
+Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des
+höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker
+nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert
+sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten
+dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern
+Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich
+dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch
+eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche
+Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem
+Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als
+der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die
+Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt
+wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche
+Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen
+politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im
+modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das
+Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch
+widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends
+zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie
+Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes
+in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß
+der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen
+Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine
+Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein
+Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische
+Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten
+und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich
+nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu
+überschreiten vermocht.
+
+—————————————————————————-
+
+3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und
+Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie
+denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft
+die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
+werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl
+behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
+Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung
+der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von
+Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends
+überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die
+Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die
+Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
+
+————————————————————————-
+
+So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der
+Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen
+Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in
+Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in
+Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die
+erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange
+vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren
+einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den
+italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der
+Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der
+Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der
+kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier
+und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der
+griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen
+5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000
+Soldaten mobil gemacht 6 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an
+Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in
+nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für
+die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr
+ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben
+zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen,
+einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
+ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht
+wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion
+in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel
+das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von
+Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und
+die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits
+der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide
+als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien,
+Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich
+schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius
+Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden
+Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf
+Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem
+bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die
+konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und
+die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie
+zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen
+Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten
+für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf
+Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte,
+so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in
+nichts nachstanden.
+
+—————————————————————————-
+
+4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo
+die Gallier sehr zahlreich waren.
+
+5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78),
+welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä
+und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90)
+geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile
+zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am
+Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und
+dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.
+
+6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die
+Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion
+nennen.
+
+——————————————————————————
+
+Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen
+auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit
+auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um
+einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die
+Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die
+feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
+Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
+hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen
+Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden
+andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen
+haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und
+Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung;
+nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
+von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert
+operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften
+Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.
+
+Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten
+Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore
+schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf
+sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im
+Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen
+sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im
+Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola,
+Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den
+Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee
+unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen
+Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für
+die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen
+Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive
+überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus
+Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu
+kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter
+Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die
+wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie
+die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser
+Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war
+Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah
+sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
+Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
+ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor
+Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten
+Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
+hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste
+Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
+Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum
+einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und
+die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst
+überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der
+Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die
+Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische
+Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die
+Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
+Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
+zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
+erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
+nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen
+Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars
+Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder
+vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von
+Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen
+Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt
+sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken.
+Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward
+abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische
+Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem
+Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege
+die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und
+in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben.
+Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem
+Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich
+geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder
+organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen
+Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in
+kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
+einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische
+Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.
+
+Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo
+der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in
+gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps
+unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf
+Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse
+dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf
+an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der
+Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am
+nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur
+und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino
+fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur
+Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des
+Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst
+ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig
+geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines
+Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’
+Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive
+zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius
+geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen
+Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius
+Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo
+Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich
+mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter
+flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das
+römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff
+und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664
+90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein
+Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den
+Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt
+hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem
+Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die
+Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius,
+welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus’
+Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge
+errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur
+Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen
+Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch
+seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich
+von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in
+einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner
+Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach
+Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch
+seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu
+benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die
+Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er
+seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der
+Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten
+Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des
+Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage
+beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber
+blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht
+geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt
+und sie aufgerieben.
+
+Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten
+ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und
+glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus
+Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten
+Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach
+Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während
+Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen
+dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen
+bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch
+seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken
+und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo
+ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand
+gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in
+aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen
+die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum,
+so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg
+also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.
+
+Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und
+vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein
+dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so
+gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen
+Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte,
+sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war,
+gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius
+Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit
+minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land
+und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.
+
+So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch
+trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend.
+Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die
+kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die
+Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu
+sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich
+bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen
+oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich
+festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine
+Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die
+Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin
+Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der
+festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische
+Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren
+innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe
+auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet,
+schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu
+bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon
+von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer
+gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer
+anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der
+Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus,
+als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger
+von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen
+zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum
+Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von
+sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der
+Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der
+Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die
+schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von
+Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren
+hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid
+vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt;
+aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem
+Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus
+dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst
+durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege
+getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen
+trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit
+zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer
+schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten
+Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere
+und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das
+Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die
+unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich
+nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum
+gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor
+den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als
+förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler
+den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet
+hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte
+begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten
+angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in
+welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen
+Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im
+Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das
+Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius
+Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein
+Gesetz durch, das die Hochverratskommission den
+Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht
+ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
+Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus
+einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie
+unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche
+Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des
+Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
+Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
+Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die
+Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
+zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom
+war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
+derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
+Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
+erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde
+zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte,
+ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan,
+sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden.
+Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die
+ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt
+wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit
+gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der
+Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung
+gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der
+Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf,
+als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz,
+sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender
+Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz
+verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen
+italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt
+hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius
+Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten
+Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein
+solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische
+Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den
+Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den
+fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in
+vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich
+oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu
+entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche
+Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz
+hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar
+rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der
+Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche
+latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen
+war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der
+alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema
+organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in
+Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen
+bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
+sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
+eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
+nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich
+nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
+Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer
+zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
+römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
+daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
+welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden
+hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die
+transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich
+vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder
+latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier
+keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der
+keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung
+bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
+dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
+gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
+Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
+Herren.
+
+—————————————————————
+
+7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90)
+erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand;
+das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen
+Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember
+664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
+
+————————————————————-
+
+So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit
+der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren
+Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch
+nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten
+ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall
+drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus
+den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze,
+namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung
+gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der
+Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen
+anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher
+latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen
+Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
+latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
+übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband.
+Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte
+in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß
+einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des
+Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen
+bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und
+ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen
+garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist
+begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen
+geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch
+Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien,
+selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige
+Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
+unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser
+Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das
+Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge
+bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die
+Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten
+bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft
+auf das volle Bürgerrecht beliehen.
+
+Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen
+die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen
+Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so
+viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des
+Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht
+weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im
+Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als
+durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.
+In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten
+Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige
+Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte
+man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden
+bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als
+erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und
+langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach
+erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius
+bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens
+seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in
+dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben;
+aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen
+Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können,
+hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem
+bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten
+Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der
+Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in
+Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der
+Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge
+des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als
+Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im
+picenischen Gebiet.
+
+So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die
+Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der
+Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen
+von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach
+Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren
+hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige
+gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit
+den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat
+Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in
+demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem
+Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung
+der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser
+beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum,
+teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen
+Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor
+Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die
+belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung
+sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000
+Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern,
+doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in
+die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war
+langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte
+Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die
+schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius
+endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation
+herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der
+Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den
+Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten
+die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden
+hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches
+Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und
+nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die
+benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der
+anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius
+Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In
+Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae
+und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius
+Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die
+Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang
+über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
+mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen
+wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz
+Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen
+der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die
+Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus
+Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666
+88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
+bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen
+Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.
+
+———————————————————————
+
+8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit
+Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder mit
+der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff den Pompeius”
+-jene römische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
+jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
+
+——————————————————————-
+
+Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand,
+hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das
+vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst
+erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius,
+der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger
+widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam
+herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla
+zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen
+Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser
+unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager
+erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht
+nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh
+seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach
+Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit
+eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung
+Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen
+Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo
+der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und
+fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der
+ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der
+lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung
+setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der
+samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr
+unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im
+Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der
+Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die
+Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch
+einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren.
+Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.
+
+Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so
+siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665
+(89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig
+hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war
+beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer
+Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia,
+Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung
+des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden
+einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der
+samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet
+glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge
+auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch
+zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall
+Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir
+die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen
+Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos
+und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere
+Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive
+wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen
+auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der
+Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus
+und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die
+Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter
+die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der
+Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf
+eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung
+der Italia -, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers
+Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und
+nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk
+gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation
+gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es unternahmen, als
+“Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste
+Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen
+Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und
+1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000
+Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter
+als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach
+zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das
+entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert,
+nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch
+machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom
+zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung
+änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in
+Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die
+Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
+
+——————————————————————————
+
+9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in
+oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den
+Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne
+Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.
+
+——————————————————————————
+
+Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die
+asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit
+gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären
+und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine
+konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein
+Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung
+des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat
+eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der
+italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt
+hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit
+dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
+bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die
+Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
+der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die
+Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
+überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse
+war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung
+einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
+ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit
+alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die
+Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden,
+lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
+gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
+Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen
+Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den
+Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
+voraussichtlich bald geschehen konnte.
+
+So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für
+Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen
+geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus
+Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch
+konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater
+nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia,
+wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar
+Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er
+dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer,
+und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die
+Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden
+die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von
+Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der
+römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge;
+allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen
+war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum
+fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft.
+Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes
+der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner
+Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die
+Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für
+Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
+der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
+unvermutet Luft machte.
+
+Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die
+Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz,
+sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste
+Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen
+den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der
+Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte,
+freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
+zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war,
+trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
+kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche
+Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert.
+Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen
+Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
+ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie
+die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
+Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des
+latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
+ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen
+wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht
+vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand
+vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens
+im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die
+Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der
+damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die
+scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der
+Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene
+Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen
+dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten
+Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht
+ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen.
+Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und
+mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die
+Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner
+schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer,
+die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die
+zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch
+Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren;
+denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher
+Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation
+eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren
+Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die
+Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise
+zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten
+Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen
+und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue
+Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu
+haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet,
+sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen,
+der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von
+den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie
+er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines
+Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
+
+———————————————————————
+
+^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87),
+omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV …
+cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis
+populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung
+wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen
+peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die
+den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden
+sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern
+können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein.
+Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48,
+19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii
+gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur
+mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu
+dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6)
+ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii
+sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach
+römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb.
+21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder
+stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen
+Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also,
+was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag,
+niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese
+Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages
+(Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich
+sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13,
+16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen
+geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die
+Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24,
+54).
+
+Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht
+zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge
+verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem
+Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui
+foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich
+alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87)
+nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die
+Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen
+dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und
+nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben
+hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch
+die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati
+fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung
+nicht rechtlich erneuert wurden.
+
+——————————————————————-
+
+Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch
+fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen
+Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das
+Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit
+während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden
+waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und
+der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt
+die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem
+Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der
+Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen
+Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen
+Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten,
+mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla
+begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor
+dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber
+dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten
+achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel
+ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet
+von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an
+dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode;
+Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann
+bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen
+Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit
+Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.
+
+Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht
+noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des
+Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen
+Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die
+Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich
+gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor
+Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu
+können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht
+und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag
+der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt.
+Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch
+dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die
+verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung
+des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und
+den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte,
+vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine
+Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665
+89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der
+leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch “neue
+Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der
+Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau
+wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten
+im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der
+zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und
+den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den
+der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war
+seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung
+einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler
+Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit
+dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter,
+schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der
+Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente
+in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer
+neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.
+
+Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88)
+bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000
+Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären;
+den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die
+Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche
+Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in
+allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde
+dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus
+(geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner
+adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten
+Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den
+Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die
+lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige
+Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten.
+Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des
+Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage
+des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den
+Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was
+ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das
+Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
+abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie
+die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär
+verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und
+keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
+beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
+Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
+Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu
+vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger
+schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
+seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das
+gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er
+durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des
+Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu
+kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig
+sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb,
+wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen
+Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als
+irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus
+also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die
+Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie
+Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte,
+an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der
+Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende
+Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch
+mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder
+des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war,
+und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne
+Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch
+persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt.
+Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der
+Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige
+Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der
+Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise
+Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der
+Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer
+gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen
+Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des
+Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat
+eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen
+Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen,
+zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen,
+daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden
+bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie
+selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren
+war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles
+äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden
+Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar
+peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der
+Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein
+mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten,
+ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in
+der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten
+Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand,
+durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft
+ward - womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den
+Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie
+er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den
+herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde.
+Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte
+unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse
+zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der
+aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte,
+die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre
+Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und
+Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber
+kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob
+in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit,
+mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert
+als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen,
+welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien
+persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein
+Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch
+als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch
+gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere
+politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus
+schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen
+war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit
+dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft
+gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen,
+daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die
+bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem
+Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß
+die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten
+Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als
+unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
+leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was
+dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf
+die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
+erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
+in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
+realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den
+Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren
+Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
+bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
+3000 gedungenen Leuten und einem “Gegensenat” von 600 jungen Männern
+aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte
+erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten
+Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu
+gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
+Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche
+religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die
+Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
+Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
+der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
+und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
+soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus
+öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
+angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge
+gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch
+keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
+Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
+Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
+übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
+Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
+Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
+für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in
+vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
+Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
+Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die
+wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
+lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der
+Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
+Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den
+konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu
+werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen
+Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen
+politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner
+unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große
+Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
+keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren
+lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
+beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
+eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
+entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
+Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein,
+dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge
+plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und
+Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden
+konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als
+rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
+stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge
+Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch
+Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische
+Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht
+ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene
+Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
+daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der
+abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
+Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
+Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit
+vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich
+abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des
+Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher
+höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
+kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
+und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune
+in das Lager von Nola abgesandt.
+
+Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen
+war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla.
+Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben
+Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann
+beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion;
+ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch
+kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines
+ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben
+übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen
+Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen
+Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und
+politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte
+sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden
+konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen
+Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein
+Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des
+Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und
+militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer
+unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
+Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
+Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der
+Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
+Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
+halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
+Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
+waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von
+Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen
+anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer,
+sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die
+höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich
+zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
+Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien
+einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
+auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
+und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom
+zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen
+Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
+Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
+Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
+Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der
+Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
+Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
+Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
+hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
+innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches
+Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es,
+zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
+berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen
+vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern
+heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
+sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und,
+mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen
+sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria
+Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
+zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen
+durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben
+Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
+Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel
+der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu
+senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat
+und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich
+entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in
+Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
+gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
+Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
+bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern
+nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
+nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht
+brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der
+Hauptstadt.
+
+Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es
+zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem
+Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die
+Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist
+gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen,
+die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle
+Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt,
+seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und
+durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand
+es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig
+bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten
+sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als
+Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius
+Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht
+und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf
+dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er
+selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft
+gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten
+Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die
+Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von
+Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des
+Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae
+und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse
+seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um
+nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten
+zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in
+die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich
+anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger
+gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung
+des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter;
+mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
+Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen
+Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am
+Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in
+den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
+fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von
+Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein
+kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
+erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil
+entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
+anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man
+dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der
+Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
+Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht
+hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
+sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
+Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie
+liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen
+Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie
+nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den
+Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen
+hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit
+ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu
+machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit
+genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden
+vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der
+tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern
+auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu
+lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten
+bestraft worden sind.
+
+Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu
+verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen.
+Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß
+man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem
+wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den
+Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr
+zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300
+neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse
+getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der
+legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die
+alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die
+erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600
+Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte,
+trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das
+Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward
+damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus
+eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache
+nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen
+dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem
+Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte,
+an das Volk gelangen konnte.
+
+————————————————————————
+
+^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla und
+Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste
+Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357)
+zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals
+für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr
+ward.
+
+————————————————————————-
+
+Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen
+Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der
+Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz
+eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder
+Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter
+fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das
+Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu
+bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die
+selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus
+Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb
+Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem
+verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es,
+das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten
+und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu
+übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser
+Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können.
+Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit
+so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt
+und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die
+Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
+Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom
+beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche,
+in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld,
+überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich
+erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende
+Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte,
+der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der
+Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne
+viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die
+geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens
+die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche
+Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung
+zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
+der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste,
+brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist
+derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul,
+Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft
+beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus
+aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien
+es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat
+sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne
+solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch
+politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die
+Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
+an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den
+Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war
+unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne
+konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
+Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches
+gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte
+durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
+Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war
+eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung
+des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
+änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
+treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt
+allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren
+wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der
+Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden
+Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’
+leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie
+Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
+materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden
+darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
+beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen
+Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den
+Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das
+Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86)
+an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo
+wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
+zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte,
+teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte,
+soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu
+berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in
+Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der
+bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten
+bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
+Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
+guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des
+Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das
+Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie
+widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
+die Religion.
+
+In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald
+neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer
+drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die
+Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert
+hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
+keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in
+den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils
+besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
+Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf
+die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den
+Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
+Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
+optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
+entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die
+Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
+vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es
+ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit
+Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur
+abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
+Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
+größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch
+Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen
+Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in
+möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der
+Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der
+Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
+hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den
+Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
+erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene
+Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er
+ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
+Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
+strafte. Für Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
+eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
+abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
+einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien
+abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
+andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
+es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine
+Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten.
+Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu
+treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen
+Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach
+einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr
+aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden
+- für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende
+Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der
+an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien
+übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius
+Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen
+nach dem hellenischen Osten sich ein.
+
+
+
+
+KAPITEL VIII.
+Der Osten und König Mithradates
+
+
+Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich
+erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war
+die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den
+Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne
+und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien
+und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich
+aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit
+dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter
+hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den
+orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die
+maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen
+Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
+nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
+für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen
+Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
+die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die
+römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
+Aufmerksamkeit zuzuwenden.
+
+In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre
+zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern
+Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils
+rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen
+Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem
+Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten
+Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros
+(† 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch
+Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in
+die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische
+Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen
+sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die
+Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen
+Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten
+erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen
+überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses
+Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle
+als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen
+Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem
+Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit
+der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die
+unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege
+und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im
+Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner
+ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes
+Regiment bei ihnen zu begründen.
+
+Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am
+wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges
+der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von
+Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne
+forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen
+Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der
+syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren
+Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems.
+Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging
+das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.
+
+Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle
+turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
+durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der
+Große (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine
+überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen
+zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches
+vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen
+sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder
+Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn
+stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien.
+Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die
+nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der
+Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der
+Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes
+(regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und
+teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen
+Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht
+bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie
+abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das
+Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden
+und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu
+bringen.
+
+In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der
+Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung
+festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande
+der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus,
+der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen
+Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht
+wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen
+Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch
+die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige
+Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der
+römischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des
+Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die
+römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner
+daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer
+erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die
+Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor
+Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen,
+jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu
+werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen
+Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und
+Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich
+orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen
+friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare,
+schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat,
+der es verstand, das Zeichen zu geben.
+
+Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem
+Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht
+von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios
+Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches,
+Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und
+Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates
+Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als
+elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm
+nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene,
+durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem
+königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den
+Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in
+das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die
+Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein
+heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger
+Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf
+schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat
+nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den
+mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und
+Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone
+zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes
+erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht
+getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem
+riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen
+der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das
+schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit
+gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen;
+als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen
+Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König
+obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde
+herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen
+- er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für
+den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise -
+und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die
+zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich
+unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte
+er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische
+Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus - und in
+einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte
+griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches
+Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett
+war berühmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen,
+Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den
+Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten
+Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan
+entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der
+Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes
+trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der
+Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum
+übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger
+Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein
+Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso
+viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter
+seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen
+mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt
+sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen
+zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und
+seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart
+freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er
+als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen
+Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh
+auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen
+jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die
+notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all
+seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit
+seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger
+Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel
+diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem
+Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle
+von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der
+Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
+seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner
+Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn
+bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz
+Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch
+erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein
+redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über
+die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines
+Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen
+Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine
+ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
+Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie
+auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im
+Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren
+gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer
+Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu
+den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation,
+ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger
+Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei
+Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur
+mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman
+waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung,
+die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische
+Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll
+sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und
+rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch
+begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher
+Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht.
+Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik
+es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios
+oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse
+mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte,
+doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es
+darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der
+einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen
+gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der
+Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind
+wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.
+
+Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge,
+seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die
+Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen
+Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr
+verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen
+die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die
+Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein
+orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und
+überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die
+offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus
+daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen
+Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die
+kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen
+Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in
+seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den
+Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach
+langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des
+Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die
+heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso
+nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.
+
+So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs
+das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist
+es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum
+wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und
+zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der
+antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche,
+so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene
+Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die
+Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien.
+Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in
+ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr
+ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der
+Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche
+Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker,
+eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind
+vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten
+Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache
+^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß
+sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben
+wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so
+bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen
+vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien
+sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so
+mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste
+einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an
+gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese
+Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann
+überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer
+Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige
+Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus
+gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt
+worden.
+
+—————————————————————
+
+^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte
+Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha =
+Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr.
+Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f.
+
+—————————————————————
+
+In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in
+Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen
+Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu
+und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität
+vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet
+hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit
+Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen
+bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos
+und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die
+blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr
+primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die
+pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in
+der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie
+ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig
+auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern
+nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als
+Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie
+denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher
+Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich
+dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen;
+und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm
+selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
+sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz
+orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war,
+wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen
+angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
+wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
+Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
+freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen
+Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen
+Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
+vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
+geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
+unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
+ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und
+Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen
+Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
+Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen
+Landschaften 2. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich
+nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See
+hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der
+zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden
+Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22
+Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit,
+für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und
+waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen
+Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies
+heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der
+Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot
+der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes
+Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren
+Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf
+Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise
+richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils
+beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und
+lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und
+Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier
+ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und
+Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein
+scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische
+Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich
+für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen,
+welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und
+persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem
+großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung
+fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
+gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der
+großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
+berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die
+Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
+bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und
+Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen
+die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
+Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
+diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als
+Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für
+welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen
+Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies
+heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die
+Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß
+und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt
+Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der
+Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
+Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
+Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
+gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen
+in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
+Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige
+genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau
+und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte
+gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die
+kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf
+dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und
+die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von
+Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres
+und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer
+beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war.
+Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
+traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit
+ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
+führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
+Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
+der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
+selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt,
+ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders,
+und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche
+mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische
+Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen
+bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot
+des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos
+vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen
+Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren
+gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung
+bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt
+zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß
+jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er
+vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen,
+in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen
+Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel,
+wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott,
+und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen
+draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird
+verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste
+ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um
+vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der
+ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe
+verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
+
+——————————————————————-
+
+2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen
+den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten
+Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13;
+Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal
+schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret
+von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach
+ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden;
+aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des
+römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung
+steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal
+wahrscheinlich.
+
+3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die
+vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden
+überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der
+Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem
+gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
+schützten.
+
+——————————————————————-
+
+Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den
+Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und
+Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich
+zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias
+geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen
+empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten
+Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt
+hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die
+Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die
+Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel
+hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt;
+gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
+hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
+umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und
+seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern
+fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu
+Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
+Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen
+der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie
+später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
+Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
+seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen
+Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem
+pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl
+griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische
+genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen
+Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000
+Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die
+Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung
+traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem
+pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
+wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.
+
+———————————————————————————
+
+4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für
+diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es
+zeigt uns die Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen
+die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -,
+bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor
+allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das
+angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der
+Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt
+Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
+(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
+westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
+Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos
+überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie
+mit den Reuxinalern - so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die
+späteren Roxolaner - in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die
+schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
+Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben;
+Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die
+als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen
+für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu
+ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu
+Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des
+Mithradates.
+
+———————————————————————————-
+
+Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
+König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die
+Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen
+Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
+enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab
+dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
+er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der
+Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
+scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
+daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
+die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage
+gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und
+fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken
+zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.
+
+In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das
+binnenländische Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum
+Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man
+pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der
+Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen
+freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst
+protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen
+Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst
+zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen.
+Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König
+Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat
+dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während
+Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und
+unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege
+ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI.
+ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im
+Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein
+junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien
+nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für
+welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines
+Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum
+Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich
+gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem
+Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand
+nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage
+Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich
+gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft
+berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften
+keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem
+Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so
+mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch.
+Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein
+falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als
+Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem
+ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie
+am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere
+Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande
+und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der
+Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker,
+Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien)
+drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine
+Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm
+die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das
+trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und
+Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß
+es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000
+Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht
+aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer
+römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische
+Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer
+ausschließlich.
+
+————————————————————————
+
+5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu
+bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich
+die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92)
+statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege
+auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt
+(Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen
+und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates,
+wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom
+versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt.
+Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte,
+traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen
+seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war
+also damals schon ermordet.
+
+———————————————————————
+
+Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder
+von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen
+geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem
+plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte,
+wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos
+oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und
+diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber
+nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
+Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante
+Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen
+Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer
+seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte,
+die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste
+Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze
+der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er
+die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter
+Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und
+weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich
+festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr
+fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über
+diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium
+sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei
+beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so
+war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden
+Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen
+wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten
+der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte,
+wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der
+traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich
+erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang
+des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
+Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
+geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen
+durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden
+konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs
+Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch
+seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in
+Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten
+den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die
+römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß
+Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit
+war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
+Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren,
+umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte.
+Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des
+Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche
+Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die
+Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie
+Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen
+energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden,
+den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die
+er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in
+Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung
+an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr
+gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des
+Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt
+sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der
+den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu
+veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine
+Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen,
+überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen
+armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte.
+Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der
+kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes
+verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf
+Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier
+Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des
+Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen
+sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung
+statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der
+Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu
+nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei
+dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des
+Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben;
+aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der
+Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem
+parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte
+Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der
+parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe.
+Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge.
+Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer,
+Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten
+Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der
+skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status
+quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).
+
+———————————————————————-
+
+6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener
+Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus
+Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu
+seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien
+nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch
+Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit
+kam.
+
+————————————————————————-
+
+So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der
+früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien
+verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von
+Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle
+den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien,
+wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn
+Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als
+rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder
+Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es
+war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der
+bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich
+jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes
+nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit
+pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch
+Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den
+benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran
+zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
+
+Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes
+persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
+Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
+Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
+erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
+Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
+und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand
+Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische
+Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
+römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte,
+und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und
+König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
+Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter
+verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern
+keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates
+wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).
+
+Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen
+überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu
+können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen
+lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich
+kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der
+gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien
+einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer
+Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu
+erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt
+verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig
+seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung
+der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war
+allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates
+nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu
+rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos,
+sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen
+begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche.
+Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich
+erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige
+römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die
+römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im
+Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer
+Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg
+und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst.
+Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise
+aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische
+Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur
+Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den
+offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte.
+Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius;
+er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren
+ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus
+und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese
+Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas
+Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung
+eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee
+mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die
+Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange
+sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war
+Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen
+konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des
+Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn
+gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem
+Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich
+dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht
+entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als
+Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen
+in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris
+brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner
+Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte
+er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder
+vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein
+er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen
+sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war
+deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet;
+man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und
+verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete
+sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die
+Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von
+Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen -
+“Wehrt nicht”, so soll er gesagt haben, “auch wer unterliegen muß,
+dennoch sich gegen den Räuber?” Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl,
+in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die
+römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König
+gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie
+lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch
+König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten,
+Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
+
+Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
+militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
+allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien
+fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in
+Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König
+Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen
+sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten
+Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
+Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in
+der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen
+Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische
+Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest
+des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen
+sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten
+Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität;
+es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche
+Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die
+sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten,
+Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der
+Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete
+an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung
+Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als
+willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer
+Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich
+nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude
+die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von
+der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten
+italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den
+Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in
+Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet,
+dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte
+gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht
+gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer
+ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm,
+daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen
+nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen
+Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder
+Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische
+Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an
+tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden
+Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich
+lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein
+einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese
+buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
+war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
+wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
+einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber
+stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der
+westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
+sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
+den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel
+gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
+wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine
+eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt
+herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen
+Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius
+Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen
+und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des
+Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten
+Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten
+die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man,
+die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand:
+das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr
+eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und
+Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen,
+kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius
+Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte
+fortfuhr, den Bosporus zu sperren.
+
+Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die
+Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen
+Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und
+Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz
+ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig
+auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und
+Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich
+Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg
+verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren
+asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem
+Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen näherten,
+stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien
+geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu
+halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen
+zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die
+Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte
+in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia
+sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen
+Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager
+verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte;
+bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des
+Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach
+jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen
+Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten
+nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis
+zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich
+erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen
+Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich
+einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen
+Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem
+der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst
+bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß,
+wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die
+große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die
+Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es
+ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien
+und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen
+des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
+Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich einzuladen, und festlich
+gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
+Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere
+gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
+Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
+Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
+Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges.
+Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald
+auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
+bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme
+Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
+des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe,
+zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter
+Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der
+allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
+adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von
+ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und
+demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
+Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu
+töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
+behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß
+hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur
+Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit
+Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich
+vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend
+wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit
+kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
+Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
+entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
+Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
+vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel
+nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ
+auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren
+selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum
+kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie
+einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig
+war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die
+Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die
+nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus
+nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur
+durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus
+auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.
+
+—————————————————————————-
+
+7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf
+fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’
+Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
+
+—————————————————————————-
+
+Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den
+Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des
+gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten
+Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des
+römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte
+Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn
+Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen
+wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und
+des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und
+sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen,
+sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel,
+die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König
+dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.
+
+Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die
+unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen
+Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente
+(1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von
+Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und
+die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer
+einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk,
+der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von
+seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und
+Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar
+Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand
+glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster
+Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der
+Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des
+Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu
+Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so
+mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren
+ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader
+vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen
+heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein
+Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen
+auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben
+in den Händen der Römer.
+
+Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der
+zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
+unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
+den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
+die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit
+auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
+665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
+plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit
+noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den
+makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
+Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
+unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
+sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
+dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm
+mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
+Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die
+Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
+zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
+Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
+Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
+Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der
+pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von
+Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo
+kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
+römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000
+Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt
+ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg
+alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das
+Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa
+aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der
+tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner
+Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte
+sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der
+Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte
+Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der
+nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser
+Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
+ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling
+Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende
+Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit
+Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig
+Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon
+unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
+daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und
+ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward
+aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine
+pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
+dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf
+dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
+Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach
+Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung
+herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä
+Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen
+Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner
+Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen
+Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667
+88, 87).
+
+So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine
+Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen
+Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
+bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.
+
+Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden.
+Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in
+Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische
+Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden
+geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die
+Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden
+Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich
+die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste
+der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und
+Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte
+dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in
+Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu
+führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war
+unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit
+mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied
+sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes,
+man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem
+Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen
+Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der
+Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für
+seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der
+Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn
+im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder
+höchstens 30000 Mann 8 wenig stärker war als eine gewöhnliche
+Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen
+eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See
+beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des
+Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff.
+Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den
+größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen;
+Sulla kam mit leeren Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit
+Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah
+sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der
+Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und
+hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes
+die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
+Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große
+Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es
+war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche
+Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
+halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der
+rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
+nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren
+Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten
+Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
+Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte
+er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien
+vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
+Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast
+ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
+Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich
+geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine
+römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und
+streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor
+Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende
+feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
+und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
+und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
+hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert,
+unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie
+mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere
+Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in
+Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere
+Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion
+das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso
+kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug
+also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und
+machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum
+Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den
+Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
+Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern
+geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
+Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv
+festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die
+Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen
+gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der
+beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen,
+Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So
+verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie
+die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den
+Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil
+der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort
+schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er
+wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen
+halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden
+sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla
+hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In
+Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die
+Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla
+wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als
+Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte
+Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal
+dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die
+kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf
+sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische
+Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern
+und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt
+selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar
+das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre
+herrlichen Toten.
+
+——————————————————————————
+
+8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
+Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist,
+mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
+
+——————————————————————————-
+
+Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes
+Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als
+ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
+vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
+Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die
+Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die
+Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
+immer deutlicher - war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und
+die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
+sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die
+Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu
+Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
+Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
+Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort
+womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
+den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
+Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
+aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
+Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach
+Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um
+Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab.
+Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
+römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit
+ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen
+vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern
+schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis;
+schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des
+Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür
+die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene
+Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
+militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der
+politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
+Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte.
+Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
+abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
+Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in
+Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
+Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ
+sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
+und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
+Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
+
+König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage
+zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
+seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
+fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus
+Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
+bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
+Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
+rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
+das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit
+einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den
+Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte
+- es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle
+seines Herrn - den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in
+Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit
+all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden
+war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen
+des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet
+Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die
+Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und
+Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie
+geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den
+Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten
+vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer
+Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der
+Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere
+aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten
+Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen
+Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen
+Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind
+gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der
+Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die
+Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand,
+sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
+zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
+ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich
+das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen,
+an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und
+Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
+sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
+Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
+herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
+Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach
+die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich
+rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
+anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf
+dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes;
+die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen
+zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein
+allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende
+Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg.
+Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu
+hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die
+Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich
+eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis
+gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen
+Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.
+
+Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen
+des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt
+sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten
+sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den
+pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen
+Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte
+Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf
+dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius
+Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs
+durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen
+Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine
+Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei
+Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide
+römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich.
+Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen,
+daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an
+den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß
+vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu
+desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen
+war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach
+Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg
+zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner
+ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück
+nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben
+scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man
+annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er
+gemäßigt und
+
+Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den
+Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden
+und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden,
+wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit
+dem gemeinschaftlichen Feinde stritt.
+
+Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit.
+Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte,
+hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel
+nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war
+dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos
+über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den
+Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab
+fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige
+Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die
+Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war
+gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und
+nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo
+nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
+Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die
+Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
+sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen
+begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff
+und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit
+lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie
+ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei
+Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten
+die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe
+geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt
+und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den
+Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten
+nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von
+Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in
+Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt,
+Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das
+europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten
+Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien
+beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu
+beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen
+Schiffe zu bauen.
+
+————————————————————-
+
+9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten
+überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur
+Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn
+auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1,
+20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich
+sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische
+Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das
+ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und
+wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht
+genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus
+anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen
+zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf
+dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang
+Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
+
+——————————————————————
+
+Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich
+wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als
+der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen
+Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet
+hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter
+die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter
+hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit
+überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen
+Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen
+wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den
+zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das
+Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen
+Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener
+Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen
+waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller
+bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon,
+Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore
+oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der
+königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von
+anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei,
+im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion
+niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen,
+wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die
+Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und
+gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste
+deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward.
+Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an
+einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in
+eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle
+wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im
+galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten
+sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter
+des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die
+Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen
+wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen
+Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.
+
+———————————————————————-
+
+^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der
+desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
+Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des “Königs von
+Kappadokien” Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
+Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
+Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie “für die Herrschaft
+(ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” ihm den Krieg.
+
+———————————————————————
+
+Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine
+derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen
+gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu
+drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte
+gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich
+Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem
+Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen,
+pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug
+fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen
+Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende
+Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt,
+Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen.
+
+Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und
+Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach
+Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine
+Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute
+unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des
+Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für
+den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit
+seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene
+Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer
+abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an
+seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich,
+daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum
+Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die
+Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei
+der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein
+militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria
+war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und
+talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug
+er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen
+Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen
+Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt
+sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von
+wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten
+Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien
+Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn,
+durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu
+machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er
+segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war
+Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war
+Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen,
+teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in
+unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an
+der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am
+Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie
+zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien
+erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont
+beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das
+nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.
+
+Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar
+hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen
+dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren
+Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den
+gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und
+daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete,
+wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen
+denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern
+einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an
+Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch
+scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla
+abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem
+Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos
+forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König
+abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei
+in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte
+zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige
+Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile
+der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg
+sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so
+entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den
+Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der
+böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich
+bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der
+alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach
+dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher
+gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von
+dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen,
+Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der
+Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe
+der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch
+geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer
+und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000
+Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten
+Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre
+weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten
+eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng
+genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden
+sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen,
+die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile
+gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt
+hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung
+angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig
+unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf
+diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog
+die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa
+innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte
+wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe
+verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich
+geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren
+bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner
+Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem
+äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die
+Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien
+wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er
+zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn
+dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria
+abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen
+sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang
+es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende
+Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am
+königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel
+angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher
+er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten,
+die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die
+römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute
+ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl
+gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der
+achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien
+unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien
+zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat.
+Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen
+Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster
+Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem
+solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und
+die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue
+in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast
+die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn
+noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im
+günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der
+Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen
+Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten
+^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings
+notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der
+Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla
+jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte,
+so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei
+Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation
+des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging
+weiter. Der König, hieß es, wünsche persönlich mit dem römischen
+Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren;
+vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer
+nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So
+überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den
+Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit
+Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag
+abgeschlossen hatte, ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei
+Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
+demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an
+Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern weit überlegen,
+sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und
+deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
+wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die
+Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den
+geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände
+abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
+erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich,
+ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persönliche Rettung
+zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
+statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den
+Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des
+Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem
+Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie
+bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle
+Sullas.
+
+———————————————————————-
+
+^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen
+hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint
+schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich
+und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche
+Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen
+Entstellungen benutzt ward.
+
+^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen
+Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene,
+begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen
+(Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
+Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in
+Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis
+schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn
+Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter
+Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates
+(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
+Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den
+nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
+darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland
+zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer
+mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
+Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
+Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
+Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die
+Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das
+armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
+übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka
+in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
+Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte
+man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von
+bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.
+
+Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen
+Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich
+durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und
+namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz
+ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese
+orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht
+aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die
+Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
+fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen
+Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
+Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
+Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
+okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
+orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der
+unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie
+noch stärker zu trüben.
+
+—————————————————————————-
+
+Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden
+Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche
+Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften
+nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft
+im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius
+Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der
+Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben;
+eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
+durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets
+unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem
+Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
+Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
+Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten
+Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die
+sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und
+Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine
+Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
+zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die
+Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
+sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
+fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde
+Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht
+ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph
+aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
+belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
+Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich
+belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
+Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier
+für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame
+Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften
+Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und
+Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien
+hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt
+und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
+freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
+königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
+nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
+beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die
+Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.
+
+So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König
+wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und
+Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt;
+die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch
+zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr
+glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen
+kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen
+Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie
+Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die
+der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe
+sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen
+Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre
+ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671
+(83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem
+Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die
+Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den
+Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber
+von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme
+Ankündigung der bevorstehenden Restauration.
+
+
+
+
+KAPITEL IX.
+Cinna und Sulla
+
+
+Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner
+Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien
+zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte
+Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten
+Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und
+die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie
+durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige
+Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten
+Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten
+der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des
+Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte.
+Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht
+bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte
+mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer
+althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose
+Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls
+unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die
+Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der
+Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen
+Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die
+verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen
+lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung
+Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich
+geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
+Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
+sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser
+Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen
+gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte;
+größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle
+nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder
+mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen
+gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und
+Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten
+an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna,
+war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im
+Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit
+desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger
+unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der
+römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere,
+als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
+geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht
+gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen
+ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius
+verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie
+aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß
+ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius
+geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an
+deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit
+sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer
+Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich
+politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die
+Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise
+durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung
+nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die
+Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur
+Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den
+Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah
+und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
+erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe,
+so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische
+Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
+Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder
+Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
+Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in
+die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art
+nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung
+gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
+einzulassen.
+
+Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten
+Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den
+Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im
+Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von
+der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor,
+wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von
+666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische
+Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie
+beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen
+Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die
+Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich
+die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die
+Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
+gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
+Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils
+bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
+Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die
+Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter
+Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht
+bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der
+Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter
+Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
+diesem “Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
+schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
+durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf
+war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es
+blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter
+gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu
+verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein
+vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die
+Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden
+Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in
+Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den
+Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des
+Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
+Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht
+ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die
+Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich
+vermehrte.
+
+Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen,
+wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es
+unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung
+Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren
+Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen
+den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in
+Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums
+und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der
+gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten
+sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren
+demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr
+durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte;
+die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich
+Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei
+den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige
+Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte
+des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren
+machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den
+Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als
+Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der
+Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen
+Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn
+auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die
+Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas
+Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der
+etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500
+Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene
+numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem
+hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt
+die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre
+Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen
+bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch
+diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen
+Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute
+verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte
+vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf
+die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte
+er sich dem “Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen
+Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten
+ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch
+seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch
+notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von
+wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese
+Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in
+Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.
+
+So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte
+nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen
+heranzuziehen ^1. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium
+und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war
+imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug
+sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten
+Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen
+Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien
+nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß
+Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem
+Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem
+Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen
+den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei
+Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
+Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt
+sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum
+Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von
+dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
+schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr;
+auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand
+gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos
+Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden
+und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle,
+lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches
+Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die
+Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch
+Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum
+eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten
+mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts
+weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen
+oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu
+sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft
+seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für
+das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber
+in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem
+einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und
+suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der
+Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen
+niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten,
+wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen 2. Es
+schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem
+Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes,
+sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten
+augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr
+auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem
+Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden
+war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
+Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
+betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann.
+Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem
+Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen
+Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die
+Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
+Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
+und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern
+entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst
+sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in
+dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den
+Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im
+südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
+Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den
+gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
+schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung
+ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand
+steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten,
+was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer
+Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust
+war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen
+Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige
+Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren
+erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich
+ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur
+ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich
+angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon
+früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt
+brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen
+Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und
+kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr
+geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die
+etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ.
+Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den
+dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf
+von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius
+6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung
+nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher
+Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gründen gegen ihn
+erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften
+ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der
+Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos
+Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
+gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum
+Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren
+tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn
+mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es
+geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
+Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden
+unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze
+der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich
+beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
+kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu
+bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
+beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem
+Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne
+Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen
+Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich
+weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
+desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und
+schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden
+Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise
+aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß
+der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit
+zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
+konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts
+übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu
+treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem
+Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise
+Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während
+dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff
+das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war,
+irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
+dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
+hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
+aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius,
+ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
+Schweigen.
+
+——————————————————
+
+^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu
+aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher
+unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung
+dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt.
+
+2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht
+aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form
+bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach
+zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich
+hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker.
+
+3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der
+Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht
+“vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben.
+
+————————————————————————-
+
+Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen
+Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte
+sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und
+eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden
+Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die
+Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer
+auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich
+niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden
+gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die
+Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher
+noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz
+Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft
+ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den
+rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er
+auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf
+dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius
+Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder
+Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult
+heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als
+liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach
+dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner
+Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im
+Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit
+Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten
+Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern
+namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll
+vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen
+Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
+angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
+Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des
+Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
+priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden
+Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
+des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
+herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt
+für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
+hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß sterben!” Der Urheber all
+dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die
+Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine
+Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das
+Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das
+stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte
+seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin
+freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Köpfe der getöteten
+Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne
+Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der
+Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius
+noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm,
+während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber
+in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum
+hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen,
+namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und
+versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser
+ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu
+schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
+über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben
+um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in
+Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man
+stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war
+nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
+fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius
+vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
+Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel
+weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
+unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
+Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der
+umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
+an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
+den Beinamen der “Einsäckler”.
+
+Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das
+Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache
+genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt,
+seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem
+Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal
+an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der
+Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren
+gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die
+Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit,
+übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch
+die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im
+sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten
+belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation;
+er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt
+als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst
+schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des
+Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher
+griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach
+siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den
+kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla
+bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über
+siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte,
+und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht
+immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und
+Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters
+jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem
+Raudischen Feld?
+
+Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die
+Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der
+wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut
+getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen
+Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte
+dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an,
+wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich
+nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren
+doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die
+Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen
+keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an
+der Zahl, sämtlich niederhauen.
+
+Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna
+stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an
+der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und
+seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese
+Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher
+Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei
+vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie
+in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört
+besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment
+so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das
+von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern
+und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern
+zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen
+Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man
+ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die
+fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fügung dabei
+war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur
+derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des
+Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern
+machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen
+einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88)
+begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem
+Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die
+vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung
+jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns
+Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte
+Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk
+gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein
+Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres
+Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner
+kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des
+ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick
+diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei
+dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter,
+sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel
+und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose
+Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der
+Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs
+empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des
+Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ
+sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
+Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische
+Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche
+Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
+betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
+blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
+nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
+zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß
+dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den
+Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf
+seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime
+Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
+sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er
+blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine
+zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?
+
+Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten
+Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der
+revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch
+zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter
+den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch
+gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die
+Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration
+nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der
+entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87)
+auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie
+vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten,
+und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende
+dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger
+endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo
+nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie.
+
+Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
+Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
+Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese
+Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien
+Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad
+umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien
+zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander
+entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius
+Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als
+einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien,
+soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin
+und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige
+entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von
+Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ
+es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines
+Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet,
+wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und
+andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde
+geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die
+Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne
+Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem
+Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem
+Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus
+der jüngere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im
+Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter
+Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene
+Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee.
+Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu
+werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria
+ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669
+85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84).
+Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden
+gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat
+ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr
+nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er
+achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden
+nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung
+schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen
+Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt
+und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so
+beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber
+andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst
+gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine
+friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem
+Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu
+dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in
+Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen,
+bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla
+wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich
+nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als
+Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
+Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht
+geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
+Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert.
+Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern,
+sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
+Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen
+Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon
+schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor,
+deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich
+genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und,
+auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend,
+Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden
+darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück,
+ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die
+Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer,
+welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt,
+mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes
+abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
+veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
+bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis
+dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
+Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten,
+von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
+und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser
+als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
+Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
+Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
+wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und
+einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
+Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum
+Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel,
+benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
+gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei
+Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
+gegen ihn gestanden haben.
+
+—————————————————————-
+
+4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
+ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
+jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
+die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
+rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß
+dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus
+geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
+genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
+notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
+Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als
+Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668
+(86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und
+wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97),
+ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom
+anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste
+lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch
+der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der
+Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero
+verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
+
+——————————————————————-
+
+Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu
+legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in
+Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann
+sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen
+Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich
+entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles,
+Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah,
+nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für
+den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit
+allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als
+dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
+Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die
+Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und
+freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
+Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
+Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
+doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen
+werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
+zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten
+fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
+gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
+oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
+gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
+Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
+lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
+den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die
+Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
+und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei
+charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand,
+während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine
+Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
+bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war.
+In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte
+er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun
+konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu
+verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit
+gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen
+Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
+Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
+gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im
+Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
+revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung
+in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören,
+daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen
+würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von
+ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder
+italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes
+an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
+scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
+darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger
+allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch
+daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten
+nach dem Siege zu bestimmen.
+
+Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von
+Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in
+Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese
+unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit
+Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand
+sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt
+unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter
+den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst,
+eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem
+oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz
+Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie
+durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die
+strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste
+der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten
+Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus
+Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87)
+ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische
+Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar
+Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als
+vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so
+daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die
+adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und
+nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen.
+Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager
+sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst
+ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der
+revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter
+angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und
+erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für
+ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere
+brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius
+Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten
+Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch
+als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der
+wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt
+ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der
+Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in
+Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß
+sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich
+vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach
+der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich
+unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen
+Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars
+Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm
+persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab;
+aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging
+er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und
+dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte
+und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf.
+Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge
+Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient
+hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch
+nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im
+Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind
+einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
+den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion
+ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
+Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte Feldherr, die unter
+denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
+entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas,
+wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte
+ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden
+und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete
+den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
+vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der
+charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine
+indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.
+
+——————————————————————-
+
+5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater
+des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht
+im Felde kommandieren konnte.
+
+——————————————————————-
+
+Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und
+Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen
+Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche
+Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das
+Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die
+neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die
+zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran.
+Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein
+letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man
+an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
+kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom
+Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
+ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
+revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ
+dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
+schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
+diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt
+mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten,
+ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf
+der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot
+er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint
+in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein
+Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die
+beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide
+gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich
+zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so
+weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines
+Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider
+Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen,
+machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht
+begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu
+haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen
+Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen,
+trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand
+kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits
+abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den
+Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in
+Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer
+allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der
+Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern,
+sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch
+seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in
+Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und
+begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von
+Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in
+Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich
+zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert.
+
+Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von
+Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung
+und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die
+italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede
+für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und
+ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch
+förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren;
+Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau,
+die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und
+wieder in Rom einzuziehen.
+
+Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben.
+Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum
+dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben
+zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte,
+achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus
+Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme
+Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach
+Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien,
+abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des
+goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie
+bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher
+Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und
+6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile
+Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt,
+wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die
+Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen
+ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten
+die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein.
+Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet
+wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es
+war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische
+Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere
+verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla
+restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende
+Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie
+die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf
+gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die
+Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein
+Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht
+um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange
+verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum
+kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter
+trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht,
+kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste
+fortgesetzt ward.
+
+So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten
+Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die
+Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die
+römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla
+schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil
+spreche.
+
+Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm
+es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien
+vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die
+Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen
+Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße
+heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm
+zurückwich bis nach dem sogenannten “Hafen des Sacer” zwischen Signia
+und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier
+stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark
+und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters
+rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen
+dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der
+unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen.
+Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während
+des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer
+waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu
+halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den
+benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu
+verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen
+gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den
+Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten
+angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch
+den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen;
+Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten
+Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem
+Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen
+Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der
+gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus
+Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten
+Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler
+ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem
+verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der
+ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur
+entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in
+der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit
+stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des
+Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen.
+
+Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen
+Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem
+größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das
+Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den
+Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die
+Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten
+Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von
+verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
+Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
+nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und
+die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
+Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
+zu vertreiben.
+
+Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und
+Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz
+schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen
+geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam,
+hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die
+Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
+Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische
+Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
+und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
+Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene
+Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius
+Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden
+Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
+Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
+begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
+Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von
+Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände.
+Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und
+schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal,
+in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
+ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines
+Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
+Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf
+Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei
+Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
+Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
+aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
+Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei
+Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend
+bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm
+entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung
+im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht
+mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
+zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
+endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
+Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
+Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich
+günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser
+Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle
+ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
+Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
+sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
+sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte.
+Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
+Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen
+Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr
+und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer
+nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
+Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
+Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß
+der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua
+noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
+und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
+selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach
+Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine
+wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
+Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
+vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
+unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
+gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte.
+Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
+kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
+Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn
+des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und
+ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen
+Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
+späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an;
+die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung
+seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf
+die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
+schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
+Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
+Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut,
+indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem
+Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt
+schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
+Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach
+Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
+das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten
+sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
+Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
+Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
+ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er
+dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich
+ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit
+dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils
+wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas
+zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier
+hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung
+nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas
+Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in
+Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius;
+in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
+Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von
+Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
+Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit
+verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch
+diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten,
+so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
+geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
+überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch
+nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom,
+dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor
+allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius
+von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit
+geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie
+hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1.
+November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der
+Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom
+Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der
+Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der
+Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein
+törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte
+es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der
+Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der
+ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf
+Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen
+Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der
+Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im
+Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am
+Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am
+Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit
+Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen
+ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den
+Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen
+könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht
+war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst
+anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward,
+die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an
+Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel
+warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch
+auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach
+Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze
+Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt
+einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren
+Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die
+Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde
+vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000
+bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und
+den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der
+Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und
+daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen
+Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich
+das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war
+eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber
+es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die
+dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die
+Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten,
+so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
+eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen.
+
+—————————————————————————-
+
+6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste
+allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen,
+daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne
+Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf
+der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in
+diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde
+auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
+
+————————————————————————-
+
+Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von
+Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen
+des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom
+erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius,
+stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich
+einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und
+ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt
+noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je
+unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle
+Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die
+Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den
+praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den
+Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner
+entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und
+sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche
+Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch
+nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster
+Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als
+Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich
+untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
+die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
+früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig
+aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
+Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige
+namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
+hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
+seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
+er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen
+Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte
+der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
+und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse;
+und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in
+schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
+Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
+(674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die
+Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
+in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in
+Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das
+aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um
+sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann
+von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
+Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
+nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
+freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
+Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und
+steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen
+Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation
+abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
+verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen
+belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten
+langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen
+Opposition.
+
+——————————————————————————-
+
+7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in
+Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
+
+———————————————————————————
+
+Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter
+der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius
+Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische
+Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien,
+Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei
+noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige
+Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen
+Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien
+ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt,
+welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder
+bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
+unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch
+brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
+er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die
+Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute
+von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und
+mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
+nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas
+Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm
+daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in
+die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren
+legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn,
+hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
+demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und
+ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
+geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
+zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach
+Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
+sollte, den Kampf zu erneuern.
+
+Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius
+Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz.
+Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen,
+ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte
+General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die
+Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich
+im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden
+Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin,
+wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach
+den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche.
+Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673
+81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er
+marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80).
+
+Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel,
+als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste
+zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort
+ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen
+Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort
+hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn
+selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in
+gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes,
+persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert
+nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas
+gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings
+weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als
+Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das
+feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus
+war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in
+Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich
+wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von
+denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme
+Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
+römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in
+Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
+aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen
+werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem
+Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
+heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
+afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
+Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen
+Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator
+(12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
+diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, vielleicht nicht
+ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”.
+
+Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die
+Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die
+Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien,
+noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene
+mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte,
+endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
+eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende.
+
+Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit
+dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich
+nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen
+erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
+beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum
+Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und
+rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
+Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
+Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet
+seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch
+kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach
+dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
+Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies
+vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In
+der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen;
+allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat
+das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt
+mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer
+festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam
+und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust
+bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die
+römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
+zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den
+Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine
+zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
+weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
+(673 81).
+
+Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert
+worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu
+Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die
+Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79).
+
+Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten
+zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden
+nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten
+Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren
+sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung
+des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen
+war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
+Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen
+vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.
+
+
+
+
+KAPITEL X.
+Die Sullanische Verfassung
+
+
+Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern
+geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige
+Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die
+Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des
+Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein
+Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung.
+Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die
+Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von
+selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings
+meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden
+revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl
+zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung
+der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre,
+etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich
+erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den
+Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die
+Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer
+besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb
+borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das
+schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine
+umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und
+eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats
+weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen
+erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie
+unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig
+Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die
+Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er
+sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei
+und den Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
+Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
+Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
+leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl
+auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie hätte er sonst
+überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als
+seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
+Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils
+umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das
+Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines
+energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich,
+daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln,
+jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte
+Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in
+der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig
+erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren
+Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der
+Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie
+damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein
+militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an
+den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch
+außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu
+oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben,
+daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände
+eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten
+Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige
+Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war
+unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats
+brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius
+Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei
+der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius
+Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm
+als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft
+aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger
+in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach
+Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach
+Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu
+gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das
+höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
+Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den
+Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle,
+wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies
+außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es
+von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste
+Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
+sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
+nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
+die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
+Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
+Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem
+bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als
+dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
+“Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens”,
+wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
+ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation
+an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche
+Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der
+“Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als
+außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter
+Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
+tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
+verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
+Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität
+eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum,
+das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft,
+einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
+Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein
+König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward
+auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die
+ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine
+vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So
+fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in
+so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
+mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
+der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
+andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
+letzten Siege der Oligarchie.
+
+————————————————————
+
+^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
+
+————————————————————
+
+Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des
+Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber
+keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu
+überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit
+rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung
+hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum
+Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er
+wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge
+flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische
+Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
+war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der
+Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde
+aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn
+persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
+Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper
+seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem
+blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
+freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu
+bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
+zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
+kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
+in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
+es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern
+nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
+abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
+der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
+war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar
+nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
+sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
+zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für
+die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern
+diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten.
+Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der
+Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
+auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600
+Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der
+nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der
+Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
+Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber,
+insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
+senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten
+Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen
+derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch
+hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die
+Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
+Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
+aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
+und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der
+Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den
+Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese
+täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
+Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit
+der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
+der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
+sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
+der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
+Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen
+und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner
+Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie
+seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe
+Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der
+römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des
+bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter
+den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon
+die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch
+übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während
+die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine
+Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung
+verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia
+seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der
+landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch
+häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den
+Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier
+öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem
+unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine
+furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die
+revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der
+Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem
+solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen
+wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu
+Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten,
+“die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten
+Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die
+gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich
+ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die
+Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf ein
+Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch
+Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten
+Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien.
+In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen
+aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere
+durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber
+auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes
+Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu
+verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen
+Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam
+wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht
+nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese
+Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten
+Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um
+einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier
+entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte
+die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und
+ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten
+Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter
+nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der
+Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung
+und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen
+die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der
+hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
+
+————————————————————————-
+
+2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1,
+9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich
+noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus
+Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31)
+wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den
+ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen
+Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils
+nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste
+monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1,
+103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare,
+90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang
+zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas
+verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652
+(102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus
+Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90),
+Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius
+667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo
+669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671
+(83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius
+Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop
+(5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg
+weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs
+Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege
+gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul
+655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato
+665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius
+Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls
+auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren
+Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen
+sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen
+acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
+gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
+Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
+Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
+willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen
+Frevel.
+
+3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter
+genannte Senator Sextus Alfenus.
+
+—————————————————————————————
+
+In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus
+politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei
+dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens
+freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus.
+Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft
+nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise
+folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme
+zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils
+sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und
+andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst
+Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald
+ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum
+Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen
+(457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und
+einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem
+Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der
+Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte
+ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine
+Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser
+Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern
+nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem
+ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der
+Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es
+war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß,
+keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem
+Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der
+Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl
+einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine
+persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien
+Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der
+neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast
+gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so
+entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der
+konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat;
+nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der
+Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen.
+
+In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt
+Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution
+vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden
+Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr
+aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde
+damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen
+Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und
+Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den
+Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und
+für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen
+Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß
+den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand
+gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die
+Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber
+mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht
+über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens,
+ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die
+ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt,
+wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen
+hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige
+Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden
+Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert;
+den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
+Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
+allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
+Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
+oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom
+Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
+Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
+das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
+latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
+Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
+gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des
+Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von
+selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
+Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
+diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
+In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste
+und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
+Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift.
+Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
+Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am
+Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien
+und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der
+ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium,
+Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward
+nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine
+blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde
+gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen
+gleichgestellt.
+
+——————————————————————-
+
+4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das
+latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die
+Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen
+Gemeinde in sich schloß, hier aber - ähnlich wie bei den späteren
+Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) -
+ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese
+Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten,
+genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein
+Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber
+konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter
+sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts
+verkehren.
+
+———————————————————————-
+
+Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils
+diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen
+Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit
+deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die
+eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des
+Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen
+Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen
+nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach
+Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische
+Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in
+der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte
+in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon
+bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung
+war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben
+wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden,
+wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien
+beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der
+arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten,
+gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von
+Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die
+Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher
+Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner
+nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die
+gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im
+Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte:
+die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung
+größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie
+ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des
+Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen
+angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem
+Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb
+auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in
+Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen,
+sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben
+Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese
+Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß,
+aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der
+desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache
+nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und
+erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen
+Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des
+Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der
+Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer
+Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten
+gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht
+unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien
+bezeichnet.
+
+Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats
+verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten
+über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und
+insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche
+Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons
+geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein
+und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
+der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.
+
+Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die
+Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber
+erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu
+Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes
+Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch
+weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen
+Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der
+Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und
+so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
+nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre
+hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
+Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
+ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
+Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der
+Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige
+Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger;
+Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und
+Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
+Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
+Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten
+in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
+Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke
+umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der
+Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
+eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
+sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
+schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder
+her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
+einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit
+längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die
+Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher
+durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
+Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
+höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und
+auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig
+privilegierter Stand auftreten.
+
+————————————————————————
+
+5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der
+Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch
+für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der
+Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670)
+und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren
+Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau
+672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia
+vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89).
+Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen
+“nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten
+Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”.
+
+6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
+ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische
+Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch,
+Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses
+Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
+
+———————————————————————
+
+Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber
+unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der
+Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch
+die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular
+Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
+machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein
+geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der
+reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
+Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise
+ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
+aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie
+begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der
+senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
+durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die
+Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
+andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
+den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
+und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
+kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an
+welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
+Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
+oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
+Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer
+sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
+beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
+tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab,
+daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die
+Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden
+Quästoren auf zwanzig 7 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich
+zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem
+ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu
+fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von
+Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls
+fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also
+von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die
+bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen
+und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich,
+vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon
+die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten
+Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die
+außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden
+von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des
+Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet,
+derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies
+mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt
+sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten
+Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende
+und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine
+konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich
+zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
+entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt
+wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante
+Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken
+Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
+einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
+Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward,
+wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall
+das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und
+Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des
+Herrenstandes, endgültig konsolidiert.
+
+————————————————————————
+
+7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht
+bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei
+städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in
+den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die
+Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein,
+und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet
+werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne
+Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab,
+überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er
+möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes
+auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die
+ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und
+andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der
+römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu
+beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben
+als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie
+zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber
+sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.
+
+8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt
+nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine
+Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch
+diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur
+Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach
+Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren.
+Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600
+Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich
+20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die
+durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre
+ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit
+waren 417 Mitglieder anwesend.
+
+————————————————————————-
+
+Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666
+(88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische
+Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens
+den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft
+blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt,
+so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu
+konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger
+zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der
+geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
+Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
+damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
+schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die
+doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte,
+wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden
+Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die
+legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch
+nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
+das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
+Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
+konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt
+ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.
+
+Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren
+man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr
+aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln
+konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
+Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von
+650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem
+Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen
+hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla
+kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in
+seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der
+Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen
+Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des
+militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche
+Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das
+Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat
+übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte
+Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es
+nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die
+Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese
+ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu
+steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und
+teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes
+erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die
+Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder
+Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse,
+wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer
+Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen
+Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten
+Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch
+eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier
+ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung
+desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher
+letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen
+Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat,
+wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im
+ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die
+Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die
+unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte
+außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.
+
+Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die
+drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der
+Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit
+wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische
+Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment
+unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets
+geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und
+dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
+Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
+Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu
+veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
+Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts
+eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende
+Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
+Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
+insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
+teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen,
+durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt
+hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei
+dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde
+hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme
+eines höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so
+manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen
+Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der
+Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die
+kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf
+diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen
+Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von
+dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug
+des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der
+Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der
+Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der
+republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu
+Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben,
+öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich
+festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser
+von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat
+zu erbittenden Erlaubnis.
+
+——————————————————————-
+
+9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11
+Dietsch): populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann.
+3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post
+tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die
+Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu
+verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de
+Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet
+als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach
+der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das
+Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der
+Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676
+(78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern
+Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische
+Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das
+Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite
+eingetreten sein würden.
+
+—————————————————————-
+
+Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen
+Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an
+sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen
+gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet.
+Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise
+beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang
+dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln
+lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten
+Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten
+Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen
+festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen
+Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich
+festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals
+bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden
+Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur
+ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach
+sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen
+Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die
+sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer
+Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen
+Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen
+Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war,
+blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und
+für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten
+Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle
+blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen
+zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus
+fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden
+Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die
+regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte
+durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise
+möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu
+vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen
+Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich
+befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so
+lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das
+Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul
+oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht
+erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und
+mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand
+darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten,
+also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich
+verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen
+Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben
+anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges
+überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche
+militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das
+Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur
+Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter
+nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen -
+wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen
+und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für
+das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere
+vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten
+oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit
+wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene
+tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen
+Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als
+dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die
+Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
+Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs
+Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen
+Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
+und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
+Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
+römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die
+Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische
+Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der
+ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf
+acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen,
+mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich
+war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer
+Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung
+gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der
+Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr
+Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch
+Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr
+fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
+nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
+wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
+Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen
+gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter
+diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor
+allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
+oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
+Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln,
+nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen,
+was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des
+in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders
+bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere
+war.
+
+Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu
+Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der
+politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen,
+welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige
+Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von
+denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen
+Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die
+militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung
+geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein
+immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste
+militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul
+und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und
+Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem
+jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte
+zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von
+dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem
+nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von
+Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward;
+allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische
+Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit
+Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und
+Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der
+Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten
+Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze
+Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien,
+dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein
+jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den
+ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem
+Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
+der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland
+diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden
+Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
+konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als
+eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
+der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf acht erhöht ward,
+stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die jährlich zu
+ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs als
+Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden
+Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der
+Zivilrechtspflege, die übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
+- sich widmeten, während ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder
+Proprätoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
+Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
+Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die schon erwähnte
+Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört ebenfalls
+in diesen Zusammenhang ^11.
+
+————————————————-
+
+^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das
+italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen
+geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten
+Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist
+wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data
+erat et Sullae provincia Gallia cisalpina).
+
+Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen,
+daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von
+Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar
+daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem
+Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm
+(Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach
+Lucullus’ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da
+auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur
+innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf;
+in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht
+regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist
+das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können
+aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser
+Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen
+Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig
+und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer
+Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673
+(81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser
+Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt
+nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist
+es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium
+vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem
+Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern
+die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.
+
+^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen,
+überdies die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der
+Kriegsführung beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen
+blieben, so waren hierfür neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die
+zwanzigste Quästorenkompetenz läßt sich nicht nachweisen.
+
+————————————————
+
+Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und
+zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden
+Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
+Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der
+Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der
+bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
+Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des
+Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
+fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien
+^12 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das
+umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an
+sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
+sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die
+neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die
+Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung,
+daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in
+seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen
+habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher
+erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu
+demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz
+dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die
+einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die
+Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der
+Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung
+hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr
+des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit
+zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten
+Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß
+nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche.
+Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar
+ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die
+sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten
+vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt
+bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden;
+dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der
+staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche
+Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul
+oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den
+Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß
+durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch
+zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.
+
+—————————————————————————
+
+^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein
+Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des
+Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
+
+—————————————————————————-
+
+Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich
+aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die
+Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls
+entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit
+Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch
+Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und
+Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn
+in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung
+einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also
+nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher
+verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl
+unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen
+Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der
+Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam
+nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten
+Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der
+jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der
+Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn
+auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt
+ward.
+
+In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die
+entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um
+die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte
+anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien
+mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets
+anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am
+Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste
+entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen.
+Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der
+kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die
+befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in
+Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle
+eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden.
+Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
+Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
+Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der
+augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt
+weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
+Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
+als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch
+Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der
+Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
+römischen Finanzen gezehrt hatten.
+
+Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus
+politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche
+und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und
+Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die
+Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an
+Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf
+Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf
+Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der
+Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder
+Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur
+Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf
+Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen
+schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen
+Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla
+hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu
+abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der
+Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht
+und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise
+beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der
+Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor
+Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach
+unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden
+Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten
+Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen
+Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter
+Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der
+außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen
+Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze
+anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt
+worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle
+konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
+Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei
+und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im
+Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
+endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der
+Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß,
+auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das
+Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus
+iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen
+ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts
+liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie
+bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen.
+Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen
+Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem
+Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen
+Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den
+gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden
+wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren
+in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen
+Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den
+Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise,
+daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für
+allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium
+aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch
+Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der
+Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor.
+
+Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er
+die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin
+besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit
+Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung;
+ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die
+schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch;
+für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung
+des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher
+Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten
+dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen
+und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung
+versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen,
+vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu
+bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im
+wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die
+neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß
+bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien
+entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so
+standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der
+verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen
+noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten
+eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die
+Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter
+wieder die Senatoren ein.
+
+Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung
+der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
+läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische
+Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
+dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen
+Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
+Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte
+Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
+damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
+dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige
+Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem
+Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
+Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische
+Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je
+besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
+einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es
+von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
+nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen
+abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert
+festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf
+Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam
+die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine
+stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für
+solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der
+verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie
+deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls
+ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem
+und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des
+praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber
+wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner
+Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten.
+
+Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen
+Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des
+Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und
+durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst
+verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu
+beschränken versuchte.
+
+Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche
+die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem
+Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes
+politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen,
+ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische
+Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen
+hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen.
+Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein
+eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit
+der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
+Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen
+ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne
+Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht
+erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
+aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen
+Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das
+Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das
+Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten
+Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
+dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
+anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der
+hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das
+heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder
+Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
+verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
+entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger
+verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
+Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden
+war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde,
+der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie
+in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der
+Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen
+einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden
+zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
+instruierenden Beamten abgehangen zu haben.
+
+Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des
+öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom
+wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische
+Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur
+sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen,
+innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So
+ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher
+Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren
+Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere
+Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen
+Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen
+bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen
+als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht
+zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der
+bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren
+Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der
+römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf
+gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und
+geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat.
+Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis,
+Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein
+Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen
+Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei
+ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die
+den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom
+von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach
+vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den
+höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren,
+mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der
+“Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt” annahmen. Die
+Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten
+zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein
+bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen
+Pontifices und Augurn.
+
+Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem
+primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
+diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der
+Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den
+Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische
+Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden
+Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise
+beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den
+etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
+ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es
+durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz
+Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet
+werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die
+Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine
+förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
+das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben
+würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im
+Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der
+dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen
+Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
+auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
+Rechtshändel beschränkt.
+
+Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert.
+Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf
+Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des
+sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an
+sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und
+Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die
+Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere
+staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere
+Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben
+in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie
+späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam.
+Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die
+revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie
+ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen
+Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden
+organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die
+Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt
+sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf
+die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die
+Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch
+ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja
+auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen
+Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der
+merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit
+und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt
+ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als
+es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große
+Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln;
+aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen
+geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor
+allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide
+und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In
+der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der
+städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
+zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
+Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den
+Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat
+diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und
+den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.
+
+Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die
+Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen
+Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf
+diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht
+selbst in die Hand zu nehmen.
+
+Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom
+gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und
+Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward,
+wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die
+Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter
+gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform
+wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es
+vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich
+aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche
+dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er
+verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung
+des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz
+gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus,
+Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand
+ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen
+Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden
+Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer
+Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld
+gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch
+ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner
+militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande
+war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur
+nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen,
+sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die
+Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen.
+Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem
+eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den
+Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten
+Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten,
+jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert
+wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das
+meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung
+der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von
+Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren
+hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein
+Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an
+offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste
+wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt
+ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu
+erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet
+zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch
+ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn
+nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins
+Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten
+als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren
+Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich
+zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann
+war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser
+verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf
+öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten
+Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie
+vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende
+Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber
+sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten,
+daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne.
+
+Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die
+Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen.
+Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den
+Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt
+und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch
+dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von
+vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und
+Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei
+den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen
+beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt
+ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden
+ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen
+über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei
+wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und
+Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von
+städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn
+ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die
+gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward;
+doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die
+Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674
+80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in
+Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem
+Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft
+zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl,
+wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die
+Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu
+erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches,
+namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und
+wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien
+Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen
+Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln
+Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im
+Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst
+starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem
+Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink
+so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder
+Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen
+Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei
+sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der
+Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf
+den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig
+begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener
+entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn
+einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab
+von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er
+mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus
+geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.
+
+Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk
+richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt
+gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich
+entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man
+darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte.
+Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von
+auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich
+rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann,
+schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen,
+die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul
+464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem
+prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten
+Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren
+Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in
+jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms
+einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle
+sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit
+und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und
+unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer
+Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden
+in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der
+Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem
+reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch
+leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er
+nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur
+Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der
+Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er,
+während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein
+ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus
+der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn
+niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas
+Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel
+erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er
+gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus
+Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren
+Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht
+schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen
+schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die
+körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der
+ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß
+er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom
+brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer
+Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen
+Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln
+liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte
+Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum
+Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in
+griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den
+Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den
+halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in
+Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den
+politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal
+empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend
+zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen,
+verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm
+eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall
+regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts
+spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit,
+zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch
+er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische
+Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen
+und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der
+finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
+Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende
+Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig
+sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom
+Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer
+zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
+Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
+Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es
+demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse
+füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich
+scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes
+hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man
+sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem
+Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
+Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders
+jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der
+Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
+rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die
+Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
+auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf
+sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes
+improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig
+angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den
+Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null
+anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es
+war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem
+Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in
+schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen,
+Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern
+entsprechende Benennungen beilegte.
+
+Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit,
+um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines
+Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu
+betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der
+Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er
+blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen
+Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache
+sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen
+Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647
+(107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in
+das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische
+Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten
+Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte
+Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk
+sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien
+zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit,
+wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb
+Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen,
+hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der
+eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete
+jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen
+Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
+Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent;
+nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
+hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der
+Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
+hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in
+seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über
+König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden
+sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war
+es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
+zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
+gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit
+energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein
+Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
+jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
+Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
+wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im
+Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und
+abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor
+zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem
+ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte
+mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der
+berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es
+folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die
+Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der
+Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf
+den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien
+tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war.
+Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die
+Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und
+Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein
+überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen
+Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können,
+und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu
+Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur
+je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen
+Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit
+vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und
+zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der
+Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im
+Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder
+unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die
+Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre
+Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und
+finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten
+Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich,
+als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner
+Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder
+einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und
+politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen
+Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein
+Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache,
+seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier
+einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich
+gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen,
+was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter
+gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine
+höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna.
+
+Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer
+Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es
+begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich
+bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre
+wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der
+Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem
+Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die
+Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur
+Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf
+zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den
+senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und
+Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon
+aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur
+regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner
+Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind
+sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio
+und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der
+hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über
+die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als
+unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was
+ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig
+mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob
+versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird
+man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische
+Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique
+regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und
+Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß
+alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten
+Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber
+nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach
+eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige
+Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach
+und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche
+Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen.
+Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit
+jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie
+wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen
+viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die
+Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies
+und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem
+Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt
+herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja
+dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber,
+die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst
+nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer
+sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund
+gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht
+auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel
+des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein
+Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es
+wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus -
+freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington
+genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land
+ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla
+hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der
+Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser
+berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und
+seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem
+Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen
+staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser
+Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla
+hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms
+Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das
+Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und
+gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit,
+deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten
+wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der
+unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen
+Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt,
+wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen
+notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die
+Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben
+gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt
+wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein
+solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu
+übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von
+den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft
+zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm
+angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun
+konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
+geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
+zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
+jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
+Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
+es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die
+Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht
+verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
+auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
+Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere
+Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine
+richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und
+ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen
+Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der
+italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen.
+
+Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme
+hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem
+versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla
+hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit
+begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
+Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
+verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
+dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber
+allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit
+seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche
+Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen,
+kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen,
+und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte
+für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß
+die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe
+öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe
+ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig
+eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute
+auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den
+widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk
+sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität
+ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen,
+spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt
+ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken
+des Urhebers der Proskriptionen.
+
+Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen
+wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten,
+namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen
+Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo
+er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch
+gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß
+niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er
+verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein
+kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des
+römischen Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den
+Fürsten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst
+erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber
+als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läßliches
+Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe
+Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit
+geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber noch war
+die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich,
+was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für
+die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen
+Niederlagen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph
+zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen
+hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die
+ärgsten Frevel der Ächtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich
+weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner
+Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Daß
+Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgültigen
+Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich
+streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, daß
+er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein
+blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als
+Regent das Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man
+vielmehr sagen müssen, daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut
+strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht
+überhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem
+Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu
+schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe
+Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes;
+als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen
+vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der
+Schäden genügen.
+
+——————————————————————————-
+
+^13 Euripides, Medeia, 807:
+
+Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,
+
+Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,
+
+Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
+
+——————————————————————————-
+
+Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem
+Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines
+Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe.
+Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn
+wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem
+Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in
+seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm
+die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er
+durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich
+gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen
+Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die
+Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner
+Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf
+Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der
+benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die
+Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem
+Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem
+Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm
+nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im
+sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode
+ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode
+schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn
+hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er
+konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der
+Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch
+einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande
+der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem
+Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner
+feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden
+zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort
+gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte.
+Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten
+Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der
+Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat
+Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich
+geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten
+Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem
+seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als
+wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie
+anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich
+vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo
+die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene
+Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der
+näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem
+Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt
+beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen
+eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage
+bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der
+die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den
+Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat,
+den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich
+gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen
+Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange
+seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die
+Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der
+Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet
+war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten
+den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem
+Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr
+hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert.
+
+—————————————————————————-
+
+^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem
+einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie
+existiert.
+
+
+
+
+KAPITEL XI.
+Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
+
+
+Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig
+einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese
+Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden
+in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und
+gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum
+Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau;
+aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der
+“auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft
+oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich
+erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu
+realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom
+geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu
+bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg
+sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte
+antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat
+zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward,
+fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr
+ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff
+überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae,
+von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen
+Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen
+die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und
+dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart
+hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche
+denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich
+zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde,
+welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die
+Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser
+gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um
+welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier,
+der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter
+Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein
+Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und
+Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als
+beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte
+Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative
+wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin
+zusammen -, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der
+gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch
+aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern
+geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein
+einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen,
+bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am
+Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der
+Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch
+ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische
+Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die
+außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine
+Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des
+römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig
+geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente.
+Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung
+des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach
+dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der
+geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat
+oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging
+durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des
+freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf
+mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden
+gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die
+Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu
+Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt
+anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich
+festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates
+selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die
+Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen
+einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser
+bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das
+Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer
+unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung
+senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine
+zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren
+können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des
+Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische
+Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der
+Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern
+und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher
+und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen
+Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen
+Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und
+Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen
+Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich
+ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch
+aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr
+geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine
+Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die
+Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
+werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich
+an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war,
+seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen
+werde.
+
+————————————————————————————————————
+
+^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi
+Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
+nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
+“Eidgenossen und Stammverwandten” (socii nominisve Latini).
+
+———————————————————————————————————-
+
+Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs
+hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.
+
+Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf
+den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die
+hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen
+als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von
+Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit
+anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen
+Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das
+Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens
+jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
+Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
+geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien
+einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
+Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
+Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
+und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische
+Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
+Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die
+Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
+Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens,
+ansehnlich gesteigert werden mußten.
+
+In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in
+Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte
+Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die
+Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen
+innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von
+Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von
+Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien
+als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von
+den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer
+Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß
+Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne
+ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern
+praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und
+Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des
+römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese
+nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher
+ausgeführt.
+
+Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen
+gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und
+Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher
+nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem
+Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten
+Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und
+Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana,
+Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren
+Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils
+durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder
+Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch
+außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige
+Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag
+durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht
+beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit
+beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien,
+waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in
+Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben
+und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das
+Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in
+Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden
+Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde
+jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium,
+tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000
+Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler)
+betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als
+die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten
+und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn
+oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen
+hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den
+Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen
+festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und
+von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen
+von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern,
+wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht
+ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf
+die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden
+von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen
+erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als
+sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der
+römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
+allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
+Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat
+wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach
+wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
+die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
+Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten,
+fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän,
+das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne
+größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische
+Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder
+mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit
+enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen
+Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus-
+und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben
+ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
+Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
+in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der
+römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
+Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche
+Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen
+unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige
+Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich
+den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.
+
+————————————————————————————————-
+
+2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum
+erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf
+das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
+für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
+verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
+Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3,
+6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches
+Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.
+
+3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung
+bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel
+ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte
+Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die
+Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10,
+6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des
+Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint,
+ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen
+Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der
+Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu
+sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von
+Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa).
+Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des
+römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
+festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
+Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6);
+wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
+ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
+Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς
+omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den
+Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu
+senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
+Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
+erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder
+einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem
+Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
+Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der
+Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten.
+
+———————————————————————————-
+
+Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen
+beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die
+Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen
+unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing.
+Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner,
+namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das
+verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung
+der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame
+Konkurrenz aufs äußerste erschwert.
+
+Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die
+Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts
+wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz
+mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie
+besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach
+und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die
+Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren;
+ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung -
+feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der
+Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung,
+Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im
+Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei,
+solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den
+Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern,
+allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich
+als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen
+Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn
+nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese
+Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so
+mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder
+gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl
+einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen
+Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten - so die schon erwähnte
+Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
+nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis
+nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines
+Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges
+Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer
+festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das
+wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt
+eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
+Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der
+einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
+beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
+unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
+Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
+der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also
+ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
+kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen
+Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
+vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
+fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch
+nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe
+Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
+Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.
+
+Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie
+müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die
+Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude,
+überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen
+wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer
+Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber
+wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt - so die
+Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die
+der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen
+Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der
+Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden
+innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und
+auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so
+weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu
+werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an
+die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch
+finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des
+Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die
+Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.
+
+————————————————————————-
+
+4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische
+Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten;
+wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte
+sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen
+Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.
+
+————————————————————————-
+
+Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch
+das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten
+Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes
+Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut
+behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken,
+seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte,
+dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen;
+die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten
+senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern,
+Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht
+unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der
+schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die
+Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen
+fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer
+allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies
+und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den
+ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über
+Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer
+stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die
+rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
+Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
+immer wachsende Höhe des Übels.
+
+Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach
+mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies
+war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die
+italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit
+schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen
+daran hängenden Mißbräuchen.
+
+Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen
+zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den
+wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den
+attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die
+Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus
+erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des
+Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme,
+vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den
+Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum
+Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill.
+Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten
+jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das
+Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große
+Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen
+monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war
+nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz
+geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig
+noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur
+Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem
+Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu
+machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine
+Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen
+ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von
+Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen
+durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja
+diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide
+Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet
+als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in
+gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die
+Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig
+aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern,
+zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft,
+sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern.
+In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige
+Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu
+behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale
+Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren
+überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die
+militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt;
+und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer
+trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland
+verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen
+Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
+Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber
+freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der
+Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und
+durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
+gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
+weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht
+ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen
+Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der
+Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz
+der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der
+Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
+Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl
+schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen
+Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers
+ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen
+Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann
+aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
+in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
+für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
+Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
+verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß
+eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich
+motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei
+eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia
+das härteste Los traf.
+
+Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit
+gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die
+öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden
+dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die
+Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In
+Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee,
+die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum,
+Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine
+Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
+Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die
+Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße
+chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach
+Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert
+und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
+Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen
+etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach
+Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und
+die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte
+Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als
+römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst
+bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte
+Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber
+überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
+Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
+Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148)
+die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo
+wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über
+Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und
+Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das
+Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109)
+durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und
+Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom
+verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische
+Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen,
+indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies,
+auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last
+haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission
+scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu
+bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen;
+er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau
+zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
+dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
+die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
+von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae
+Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
+führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres,
+jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
+hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
+Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von
+der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die
+Reichsgrenze - alles Anlagen, über deren Entstehung in der
+trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist,
+die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen
+Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
+unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des
+Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
+von der größten Bedeutung geworden sind.
+
+Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen
+Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die
+Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für
+Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem
+Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den
+norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen
+zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung
+viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso
+unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß
+wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits
+bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von
+Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im
+Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch
+später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte
+Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom
+Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen
+vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische
+Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill.
+Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre
+disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr
+ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang
+dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig
+im Steigen war.
+
+Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im
+allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit
+schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen
+werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses
+Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber
+dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ.
+Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits
+hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten
+die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien
+die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische
+Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die
+Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß
+man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht
+einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst
+unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich
+die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die
+Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen
+Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch
+ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser,
+ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die
+Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der
+überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede
+von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten
+Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen
+und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden
+lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die
+Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige
+Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar
+glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der
+Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten
+Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das
+senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.
+
+Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen
+Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue
+und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die
+dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
+erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen
+zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu
+eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen.
+Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast
+gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
+erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
+angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach
+632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und
+Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109)
+anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
+Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
+des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer
+mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
+der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im
+Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und
+Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der
+kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
+wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
+dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
+Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten
+Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der
+Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus
+aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
+Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
+lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die
+Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes
+der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter
+ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären
+aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder
+her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen
+Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen
+wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als
+die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen
+blieben.
+
+In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor;
+die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse
+Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer
+entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die
+steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz
+in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die
+Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne
+zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch
+einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen
+italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der
+transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die
+Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
+Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen
+die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
+dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in
+Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der
+Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
+gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden
+Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern
+nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
+vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
+geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
+Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
+waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und
+mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die
+Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen
+Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus
+überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen
+Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte
+gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
+Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum
+Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der
+ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr
+bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem
+Thasier und Chier genannt zu werden, und der “Opimische Wein” vom Jahre
+633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der
+letzte Krug geleert war.
+
+—————————————————————-
+
+5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro
+lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
+zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach
+Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen
+Bücher gehört hierher.
+
+——————————————————————-
+
+Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische
+Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität
+verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die
+Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um
+selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen
+zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton-
+oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten Arbeiten” bewahrten. Was von
+Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem
+Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen
+Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die
+Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die
+Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die
+Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge
+abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene
+Arbeit beschaffte.
+
+Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen
+Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
+stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer,
+vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen
+der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen
+Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in
+Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser
+Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen
+Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken
+der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der
+politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden
+vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte,
+zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670
+(84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten
+vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen
+vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die
+Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und
+Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem
+römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der
+Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern
+geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der
+Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene
+bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland
+fast ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und
+turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das
+gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden
+Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa,
+das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien.
+Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus
+sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke,
+Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt
+wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets
+steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung,
+dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der
+mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle
+Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die
+Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien
+konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden
+großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia,
+dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für
+weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die
+für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit
+dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für
+Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit
+Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem
+hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot.
+Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen
+Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli
+bei Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe
+aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich
+nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte
+Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit
+ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen
+Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der
+italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern
+zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den
+Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall
+fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den
+besten Teil aller Spekulationen für sich nahm.
+
+Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
+hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
+politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
+römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente
+fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets,
+die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
+Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
+ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer
+zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
+Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war
+jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges
+Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen
+Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill.
+Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser
+Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus
+Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker
+Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz
+die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder,
+wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
+Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es
+ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
+Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
+daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der
+Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
+finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der
+politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
+politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr
+ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
+der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen
+Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der
+Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der
+Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl
+aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
+Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
+Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
+aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
+die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre
+Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen
+allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische
+Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im
+Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
+italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
+waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die
+Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
+Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so
+viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie
+gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war
+angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich,
+vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
+ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne
+Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege
+hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
+freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der
+römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt
+weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin
+des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen
+Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer
+kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr
+zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische
+hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder
+Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
+Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und
+Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in
+Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
+unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
+italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70)
+910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung
+auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig
+übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem
+Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts
+domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird
+demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher
+als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige
+Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man
+danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es
+bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche
+Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
+die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
+Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
+die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
+sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
+seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und
+Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
+verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung
+der italischen Halbinsel gewinnen.
+
+Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser
+Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung
+desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit
+standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß
+zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis
+zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig
+es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach
+dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf
+diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die
+Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die
+starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der
+Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal
+in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt
+auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
+Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
+entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was
+denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die
+Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch
+nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not
+des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen
+lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum
+mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach
+wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das
+Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder
+ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen,
+lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber
+als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes
+wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als
+Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen
+Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der
+Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die
+Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen
+Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war,
+ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich
+schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die
+Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze
+und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus
+diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der
+As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im
+Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3
+Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen
+Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher
+Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der
+fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller
+Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung
+derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur
+selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck.
+Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung
+in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den
+guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus,
+welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein
+unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung
+auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die
+plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war
+dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz
+offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für
+seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf
+je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein
+nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten
+Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das
+Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder
+Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf
+sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen
+finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr
+bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte
+und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr
+höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen
+Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius
+Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch
+Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet.
+Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die
+Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen.
+
+Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen
+Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den
+Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit
+nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den
+Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
+auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
+Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung
+sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im
+Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und
+Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf
+geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder
+auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach
+der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften
+der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien
+und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine
+mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in
+Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch
+die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind
+gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden
+Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die
+provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze
+hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der
+altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der
+Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von
+den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes
+beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch,
+daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung
+dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in
+das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7.
+Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß
+das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt
+wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den
+Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also
+bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen
+Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien -
+von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist,
+daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien,
+Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in
+Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der
+Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen.
+Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden
+Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war,
+drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht
+gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der
+bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn
+auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem
+der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß
+wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
+römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher
+Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia
+derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der
+römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
+Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen
+ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des
+orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung
+geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme
+der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist
+kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des
+Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das
+Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden
+ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den
+Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der
+europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat.
+
+Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich
+gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung
+aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im
+besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung
+und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut
+wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der
+die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der
+verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias
+sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration
+entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie,
+einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen
+Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde,
+es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus
+Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit
+untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet,
+wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein
+Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der
+römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten;
+661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe
+gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer
+Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an,
+dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und
+Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten.
+Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt
+aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus
+(Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen
+Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern
+in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf
+seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu
+verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
+prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte
+Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6
+Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt,
+während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
+Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
+der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa,
+die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700
+Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen
+Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
+machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
+Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
+keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging,
+wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
+erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und
+seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten
+wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
+ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die
+Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
+vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
+100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute
+mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste
+mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
+frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes
+Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den
+Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
+einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für
+schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei
+jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
+mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die
+Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder
+gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
+Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten
+sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
+82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
+Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und
+Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen
+Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge
+der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben,
+zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673
+(81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur
+Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen
+vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
+Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
+auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den
+Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick
+noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät
+zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit
+Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die
+karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem
+Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät
+wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32
+Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius
+(Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus
+Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in
+Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150
+hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren
+Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür
+verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die
+Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für
+ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius
+Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
+letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
+Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall.
+
+Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
+Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung,
+einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn
+bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
+hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der
+Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein
+Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit
+und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
+war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im
+Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als
+eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende
+öffentliche Last. 7
+
+———————————————————-
+
+6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das
+Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete
+(Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses
+kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
+wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000
+Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
+(Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben.
+
+7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden wir
+freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
+eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die
+Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde
+Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.”
+
+———————————————————
+
+Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die
+der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische
+Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische
+Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän
+und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio
+Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten,
+war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit
+geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen
+Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den
+Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es
+war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im
+Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der
+eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz
+seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser
+wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne
+geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf
+offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
+Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in
+dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie spielen Hasard, fein
+parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
+lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich
+umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den
+neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche
+dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den
+Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den
+Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit,
+die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein
+geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den
+Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
+Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er
+zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden.
+Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf.
+Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen
+Zechbrüdern sich vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an?
+Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein
+trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten
+Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’” Die den Redner
+hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen
+Dinge belacht wurden?
+
+
+
+
+KAPITEL XII.
+Nationalität, Religion, Erziehung
+
+
+In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs
+des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit
+im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen,
+die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde,
+an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die
+ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und
+Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen
+Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens
+nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und
+Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch
+verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange
+des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen
+und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie
+intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie
+seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker
+zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische
+Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
+transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung
+aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals
+die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald
+gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
+ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
+beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in
+Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte,
+die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand
+keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch
+den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die
+Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte
+auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß
+Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als
+festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren
+Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen,
+die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder
+verweilenden römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum)
+mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit
+Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig
+früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch
+allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an
+die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in
+Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene
+Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616
+(133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits
+erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der
+Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten
+und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker
+genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine,
+daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und
+sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In
+bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die
+Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu
+kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die
+Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen
+den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils
+zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo
+erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen
+Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines
+großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der
+antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort
+ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus.
+Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen
+Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in
+sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine
+klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu
+schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und
+der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche
+italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die
+geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die
+lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
+darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
+gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das
+Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr
+ist als der tote Achill.
+
+Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität
+vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus
+gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in
+das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher
+Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen
+Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die
+Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia,
+obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine
+griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der
+vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung
+Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft
+wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der
+eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius
+Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als
+Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall
+es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der
+vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische
+Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann
+jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht
+bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem
+geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den
+dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den
+gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem
+von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen
+Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen:
+Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und
+Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon
+ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den
+Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der
+Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der
+römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber
+auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche
+Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des
+Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige
+Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener
+Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen
+Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den
+gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem
+Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die
+Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein
+wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien
+geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte
+griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte
+oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
+schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte
+Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von
+Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der
+Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich
+anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem
+Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich
+schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren.
+Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die
+reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander
+in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte
+Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch
+die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und
+halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und
+überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des
+Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch
+diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue
+Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte
+zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
+sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst
+Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben seien
+(Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische
+“Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
+Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).
+
+—————————————————————————
+
+Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den
+Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als
+erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden,
+Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten
+Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich
+zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine
+Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung
+gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der
+Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts
+übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem
+Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine
+Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies
+bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste
+und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die
+Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß
+der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war
+als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich
+übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus,
+versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb
+der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend.
+Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische
+Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der
+klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten
+Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das
+römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung
+desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in
+Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer
+Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische
+Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe.
+
+Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit,
+aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir
+die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
+äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
+der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
+ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges
+vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen
+stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und
+die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem
+Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
+Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
+Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit
+dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
+fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
+zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in
+einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones
+und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird,
+zugleich ein Römer und ein Grieche.
+
+Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die
+Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der
+beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der
+Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer
+darzulegen.
+
+Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem
+römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die
+fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und
+soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den
+Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über
+seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen
+Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der
+Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der
+Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings
+gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der
+politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück.
+Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im
+stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die
+Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien
+ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des
+kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch
+schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs
+ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden
+Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als
+äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im
+wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.
+
+Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung
+zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische
+erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen
+und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation
+und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur
+noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des
+hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
+Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in
+dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr
+entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der
+älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald
+scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
+Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
+statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht
+und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten,
+schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist,
+verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert
+reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese
+verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern
+auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
+vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf
+die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
+genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt
+wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als
+schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der
+historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
+auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
+lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
+Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
+hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung
+geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des
+Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und
+Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus,
+die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche
+von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen
+Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges
+Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem
+sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen
+Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern
+ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß
+begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades
+und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften.
+Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer
+rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der
+physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode.
+Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits
+folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch
+mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge
+überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos,
+schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf-
+und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren
+Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter
+gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die
+stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne,
+als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros
+nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche
+Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen
+Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem
+Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen
+nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und
+Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden
+und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem
+Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen
+zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt
+werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein
+darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie,
+oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule
+Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren,
+wie die Stoiker taten.
+
+Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der
+hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als
+antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische
+Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
+sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide
+ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der
+Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich
+billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
+anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
+auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
+gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche
+Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die
+Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
+dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
+darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
+(599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare
+Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen
+paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und
+Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso
+nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen
+wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
+dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne,
+Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf
+ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache
+mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
+emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
+aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
+nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich
+genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
+auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
+verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen
+Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
+höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
+reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend
+nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
+Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens
+als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität
+nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre
+eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür
+doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des
+Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese
+Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades
+oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu
+schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte;
+Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen
+wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen
+diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich;
+sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für
+Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem
+Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen
+auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen,
+daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und
+Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei,
+der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren.
+Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte
+Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft
+auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms
+nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und
+altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion
+aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus
+aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in
+Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
+schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
+die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen
+Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
+Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den
+Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
+römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav
+war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die
+Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
+Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg
+zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein
+philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
+- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
+gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie
+denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in
+Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel
+hellenisierenden Römers.
+
+Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im
+geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die
+Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu
+akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen
+Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als
+er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
+wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich
+ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
+als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war
+ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war
+wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
+Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
+ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
+Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die
+eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des
+Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus
+einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
+einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
+Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den
+besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
+Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als
+eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der
+ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die
+Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich
+plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war
+auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische
+stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem
+Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne
+Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen
+mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre
+verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister
+ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als
+Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens
+nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen
+und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der
+Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch
+die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die
+rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der
+Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in
+unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive
+Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter
+Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine
+methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu
+besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese
+Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem
+Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen
+Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
+verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter
+zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen
+Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um
+Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister
+Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie
+und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher
+Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu
+bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre
+der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu
+mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen,
+unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise
+liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner
+und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen
+Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus
+Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen
+Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich
+anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose
+Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist
+die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen
+Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das
+spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig
+energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom
+Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen
+Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die
+Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat
+völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war
+wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des
+Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen
+Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche
+Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen
+Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt
+geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte
+erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald
+eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer
+Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten
+sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen
+Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die
+göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber
+ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen
+hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene
+Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif
+und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie
+höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward
+immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen
+Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach
+demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und
+formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie
+jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die
+höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen
+Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt,
+in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen
+ward.
+
+—————————————————————-
+
+2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13)
+nachlesen.
+
+—————————————————————-
+
+Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere
+Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das
+bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des
+Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der
+hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche
+Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und
+schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
+erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen
+und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute
+allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’
+römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht
+in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich
+entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der
+Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes
+gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
+Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als
+daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten
+auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens
+in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß
+es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische
+und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne
+zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen
+unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte
+Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
+desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
+römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
+Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der
+Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter
+neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
+den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu
+benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3
+und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
+Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen
+und befolgen und dazu tun, daß der “gemeine Mann” die Götter vielmehr
+höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen
+Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt
+verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und
+wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig,
+eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose
+Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische
+Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen
+Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und
+Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit
+der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien.
+Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn
+ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn
+sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und
+daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten
+Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische
+Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen
+genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach
+Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war
+stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge
+jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können.
+Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung,
+daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich
+selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf
+die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien
+schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
+dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich
+zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und
+zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer
+Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein
+Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der
+Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung
+des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der
+Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände
+gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht
+die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu
+wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem
+Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine
+Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den
+vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die
+praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche
+Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die
+offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche
+derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum
+Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die
+Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion
+befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein
+Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den
+Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche
+Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen
+an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant
+wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das
+Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in
+welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren
+Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor
+dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte,
+vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen
+Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode
+verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute
+nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die
+positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten,
+wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen,
+unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene
+Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse
+Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht.
+Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles,
+nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in
+dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und
+Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden
+gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der
+Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die
+Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut,
+das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im
+ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen
+übergehen könne.
+
+—————————————————————————————-
+
+3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise
+dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit
+dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach
+Götterpuppen und Götterbilderchen.
+
+—————————————————————————————-
+
+Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst
+stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und
+pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht
+abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen
+und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem
+Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie
+hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg
+eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur
+Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser
+zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich
+Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier,
+wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis
+die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien
+im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
+an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den
+Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
+verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren
+der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene
+Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es
+bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den
+Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die
+etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie
+erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten
+Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
+kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch
+die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
+dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf
+hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien
+herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
+die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
+großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
+geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
+verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem
+die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen
+gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die
+syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben
+des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung
+beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der
+der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit
+den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen
+sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden
+bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit
+des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus
+in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich
+entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen
+Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene
+Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die
+große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in
+hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu
+wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius
+also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon
+(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her.
+Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und
+Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische
+Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
+marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die
+Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem
+traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische
+Fremdenprätor die sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und
+Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden,
+welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso
+hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen
+Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657
+97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der
+wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der
+Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene
+Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung
+beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im
+Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden
+führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit
+zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern
+auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen
+Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch
+keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe
+Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe
+und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in
+die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe
+gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden
+wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen
+politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm
+genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als
+wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte
+woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
+Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.
+
+In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in
+der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
+Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche
+Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
+Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon
+zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
+verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch
+mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter
+römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand,
+zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des
+alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
+hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe
+noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom
+durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen,
+welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten
+und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche
+Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt - in den dieser
+Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen
+Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden
+vermocht.
+
+Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte
+stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der
+Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere
+Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste
+der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf
+die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie
+des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
+
+Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die
+hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus,
+zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
+vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
+geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
+ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im
+Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung
+genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die
+unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in
+seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden
+Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner
+war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein
+Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen
+in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu
+vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen
+für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach
+römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung
+in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und
+steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß
+die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach
+griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die
+Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die
+Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis
+nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und
+Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück,
+das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie
+seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden
+sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner
+Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem
+Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato
+empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern
+römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als
+durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren
+Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An
+griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt
+strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als
+Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten
+ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und
+Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven
+waren, regelmäßig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend
+in den Palästen Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, daß
+für einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen
+(15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der
+Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten für griechische
+Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter
+diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios ward bereits
+gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien,
+Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom
+ein Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche
+Erläuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des
+Jugendunterrichts, revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil
+auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die
+Behörden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb,
+zumal bei dem steten Wechsel der römischen Oberbeamten, wie alle
+ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato
+Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, aber nicht mehr
+gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den
+griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein
+wesentlicher Teil der italischen Bildung.
+
+———————————————————————————
+
+4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios
+rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in
+gleichem Sinne hieß es bei Lucilius:
+
+Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach
+
+Als der Philosoph.
+
+———————————————————————————-
+
+Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer
+Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der
+lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an
+die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die
+lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser
+Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den
+Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
+und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
+wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
+Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der
+griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
+die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein
+solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
+überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
+bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab
+und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in
+einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
+die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren
+Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
+Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
+durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer
+die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’,
+Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem
+erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
+großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
+Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge,
+die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
+kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
+die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen
+lateinischen Literatur einzuführen.
+
+Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme
+römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen
+Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen
+nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der
+neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der
+erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte,
+wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden
+berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte
+Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius
+Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die
+Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und
+Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen
+Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den
+Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und
+seine Lehre sich ausbildete.
+
+Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
+lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius
+Praeconinus von Lanuvium, der “Griffelmann” (Stilo) genannt, ein
+angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit
+einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - darunter Varro und Cicero -
+den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den
+Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab.
+Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo
+nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die
+Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der
+aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
+stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere
+Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
+lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
+Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
+Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen
+Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von
+selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen,
+nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie
+der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
+lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
+Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste
+römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
+Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik
+um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
+lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
+neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten
+Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und
+lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und
+Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse
+Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister
+der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht
+unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik;
+namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie
+der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die
+griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner
+verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu
+seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
+könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben
+entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger
+schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten
+und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik
+schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die
+Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten
+Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
+Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
+und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
+zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
+war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
+noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
+lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern
+und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der
+Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
+der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn
+verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
+Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit
+einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach
+Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu
+ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und
+verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich
+regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer
+und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen
+hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und
+der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste
+Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach
+die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die
+gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil
+des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die
+Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und
+jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken.
+
+Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte
+sich der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität,
+welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten
+musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten
+oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität
+sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
+römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich,
+ebenwie unsere eng verwandte “allgemeine Bildung”, einen national
+kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
+Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz.
+
+
+
+
+KAPITEL XIII.
+Literatur und Kunst
+
+
+Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische
+und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so
+wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius,
+Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf
+ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische
+Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit,
+der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an,
+daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles
+nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt,
+Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales
+barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
+schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen;
+aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
+nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die
+Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
+Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im
+Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
+Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen
+Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
+vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der
+heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann,
+teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die
+unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
+über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation.
+Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
+Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
+und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
+siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
+naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem
+Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren
+Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und
+hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
+schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen
+Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius
+(Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus
+(Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von
+Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker
+Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und
+Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht
+imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer
+Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern
+fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik
+patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
+sehr spitzige Pfeile gegen “die traurigen Figuren aus den geschraubten
+Expositionen des Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte
+Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen
+Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu
+schließen”, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
+Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
+die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische
+Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos
+staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
+den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
+erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus
+seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ
+man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen
+und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
+einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich
+vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie,
+der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den
+Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
+Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
+von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
+ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft
+und das vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die
+Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der
+Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die
+griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt.
+Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
+begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in
+ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
+oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
+Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein.
+Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen
+Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
+Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien,
+doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich
+für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
+Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
+goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig
+verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß
+auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
+Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die
+Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
+Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
+(Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf,
+in der römischen “Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen.
+Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im
+Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den
+Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
+entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder - die
+Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt.
+
+Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne
+selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die
+Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen,
+nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses
+Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
+Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
+Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch
+bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen
+Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer
+Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus
+Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen
+früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom
+Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
+dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
+Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
+Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
+höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen
+Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
+in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen,
+die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters
+rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
+Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich
+Spuren, daß er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab;
+aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung
+zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklärung predigenden
+Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides -
+von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius
+kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein.
+
+————————————————————————-
+
+^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in der
+Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):
+
+Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.
+
+Wo kaum
+
+Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.
+
+Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende
+Beschreibung zu verstehen:
+
+Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
+
+Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,
+
+Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.
+
+Worauf dieselben natürlich erwidern:
+
+Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,
+
+Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;
+
+Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.
+
+Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist.
+übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen
+Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft
+und derb mitgenommen wurden.
+
+———————————————————————————
+
+Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie
+lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines
+Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer
+Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten
+Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und
+grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise
+seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die
+lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und
+Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius,
+nachdrücklich getadelt.
+
+Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem
+Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen
+die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte
+Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der
+geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen
+Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave
+nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit
+eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen
+Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der
+Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer
+Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl
+und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen
+ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm
+vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise
+der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und
+populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus
+nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den
+zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren
+Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen
+zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage
+der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war,
+aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit
+gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr
+häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses
+seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine
+wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht
+selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf
+den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und
+absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein
+Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel
+werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in
+der künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die
+Schauspieler die ihnen gebührenden Masken zurück und wird für eine
+sorgfältigere Inszenierung Sorge getragen, so daß nicht mehr wie bei
+Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehört, auf der Straße
+vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig
+und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit
+minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung,
+der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die
+allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
+seiner Vorgänger, zum Beispiel gegen die allegorischen Träume 3.
+Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
+immer für die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
+behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfältigen und oft
+vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‘Brüdern’ die
+beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte,
+durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
+bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
+Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische
+Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
+obligaten Wirten dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz
+besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
+Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
+Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
+unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
+regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirt
+ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht
+es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den
+Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen
+Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus:
+überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller
+zeitweilig emanzipierten und einer liebenswürdigen Begrüßung daheim
+nicht völlig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komödien
+herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
+Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig
+schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien
+- ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine
+Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die
+bei Menandros so häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter
+nur mit charakteristischer Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der
+Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die
+liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ‘Verschnittenen’ und im
+‘Mädchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der
+‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluß als rettender Engel ein
+tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur,
+die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus
+sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und
+geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene
+Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll
+trefflicher Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke,
+den ‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
+Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
+finden. Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und
+spöttische Reden im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet;
+Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und,
+wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft
+lärmenden Dialog, und es gehört zu seinen Stücken das lebhafte
+Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte sich auf “ruhiges
+Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von burlesken Wendungen und
+Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen,
+aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten
+griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht:
+sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind
+zierliche epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des
+Terenz ist dem Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in
+sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann
+bei beiden nicht, aber wo möglich noch weniger bei Terenz, die Rede
+sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens
+aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die Vergnüglichkeit,
+aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß die dem
+Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ‘Stichus’, die
+Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von
+dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komödien des
+“halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem Übergang vom Rohen zum
+Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem Übergang von der
+Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen
+Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher
+Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz
+des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es,
+daß die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar,
+Quintilian, unter allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit
+ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in
+der römischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die
+Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen
+Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten
+künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära
+zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne
+Komödie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen
+Bürgerstand Wurzel gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den
+lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre “matte Sprache”,
+ihren “schwachen Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich
+empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu
+bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver
+Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’
+zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- und Seiltänzerbande
+zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklärte,
+nur nach dem Beifall der “Guten” zu streben, wobei freilich die
+Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht anständig sei, Kunstwerke
+zu mißachten, die den Beifall der “Wenigen” erhalten hätten. Er ließ
+die Rede sich gefallen oder begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute
+ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstützten 5.
+In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die
+Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der Exklusiven das
+volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die Plautinischen
+Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender,
+als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes
+Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien des
+Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz
+verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein
+Kenner, daß die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die
+schlechten neuen Pfennige.
+
+Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der
+griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata)
+hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen
+hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land,
+ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule
+rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die
+griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in
+rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter
+dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke,
+die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie
+widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn
+bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach
+durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie
+bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen.
+Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils
+aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber,
+die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt
+hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten
+sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter
+griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner
+Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
+Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
+auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte,
+die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
+Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn
+hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie
+Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene
+Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe.
+
+—————————————————————-
+
+2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, 5)
+die Antwort auf die Frage, wie es gehe:
+
+Nun,
+
+Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,
+
+mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort
+nachgebildete Zeile des Caecilius:
+
+Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.
+
+Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung
+des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der
+leise Dank ist bezeichnend.
+
+3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen
+Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4)
+verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie
+von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich
+gehen auch dergleichen Auswüchse auf die Euripideische Rhetorik zurück
+(z. B. Eur. Hek. 90).
+
+4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich
+auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) für ein
+Glück halten”.
+
+5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich
+vorwerfen:
+
+Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,
+
+Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;
+
+und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es:
+
+Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn
+
+Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,
+
+So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,
+
+Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,
+
+Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,
+
+Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat
+
+Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut.
+
+Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier
+Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen
+die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des
+armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und
+fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner
+ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende
+Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der
+Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische
+Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals
+25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius
+gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen
+Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581
+173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius
+Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß
+Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu
+bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‘Brüder’
+und die zweite der ‘Schwiegermutter’ stattfand bei den
+Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio
+und Fabius ausrichteten.
+
+6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem
+infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das
+römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die
+Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der
+Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder
+ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst
+bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das
+Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.
+
+—————————————————————-
+
+Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die
+Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums
+lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal
+feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen
+Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu
+man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik
+preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für
+diese Aufführungen der Name der “Oskischen Spiele” oder “Spiele von
+Atella” üblich 7. Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten
+diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es
+ihnen beliebte aufgeführt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
+nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode überwies man das
+Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, ähnlich
+wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
+Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
+Tätigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz
+selbständig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
+verwandte unteritalische zu ihr den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich
+nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen Stücke durchgängig
+Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer dieser neuen
+Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts
+^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
+dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
+beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte
+der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
+regelmäßig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und
+locker geknüpften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung
+einzelner Stände und Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche
+Akte komisch geschildert: ‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon
+Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen
+Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die
+einzelnen Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der
+Arzt, der Zöllner, der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne;
+die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der
+römischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben
+scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen städtischen Leben sein Recht
+geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach
+allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen Repertoires
+geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel
+‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das
+kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon Landmann, ‘Der
+Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das
+Behacken, ‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die
+stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten
+Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der
+erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige,
+unflätige ausstaffiert häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer
+im Begriff, über seine eigenen Füße zu fallen, von allen mit Hohn und
+mit Prügeln bedacht und endlich am Schluß der regelmäßige Sündenbock -
+die Titel ‘Pulcinell Soldat, ‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’,
+‘Pulcinell in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem
+gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der
+römischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit
+sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich
+fügten und in den Versmaßen zum Beispiel der griechischen Bühne sich
+anschlossen, so hielten sie doch sich natürlicherweise bei weitem
+latinischer und volkstümlicher als selbst das nationale Lustspiel; in
+die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der
+travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius
+und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse
+dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch
+wenigstens bis zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er
+schrieb einen ‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste
+war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige
+Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster
+gehörten hier einmal mit dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar
+mit Nennung der Namen, schlüpften nicht selten durch. Aber es fehlte
+auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen,
+schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade gewann sich
+rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt
+und selbst in der Literatur.
+
+——————————————————
+
+7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von
+Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese
+Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit
+Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer
+Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte
+des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf
+das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des
+“Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere Weise. Die
+latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte
+einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein
+Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der
+römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu
+genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war.
+Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich
+vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern
+bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur
+Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne
+dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr
+existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des
+Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria
+in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während
+keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche
+Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die
+latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts
+zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung
+eigentlicher Schauspieler von “Atellanenspielern” aufgeführt ward und
+deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem
+Fall; die Benennung “Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen,
+und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler”
+(personati) hießen.
+
+Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von
+Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer
+gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
+wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
+dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer
+Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht
+unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
+Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade
+wahrscheinlich.
+
+8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die
+Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden
+Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem
+Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso
+groß wie heutzutage zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf
+den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz
+keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der
+Charaktermaske beruhte, besteht ein ursprünglicher, in keiner Weise
+auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
+Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang und Tanz
+sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus
+ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die
+alten Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors
+einnahmen. Mit der Dilettantenposse berührt sich dieser
+Entwicklungsgang in den früheren Stadien nirgends.
+
+9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession
+dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit,
+wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert,
+kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die
+Atellane unter die regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die
+vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
+Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
+Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
+damit, daß Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
+mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß dieselbe nicht
+mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten Dilettanten
+aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar blieb.
+
+^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß
+vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
+Stücke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ‘Das Linsengericht,
+‘Bakchis’ Freier, ‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der
+Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese
+Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in
+und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
+bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt
+schon einen römischen Namen und schrieb eine Posse ‘Saturnus’.
+
+^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn
+Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius
+(611-667 143-87). Die erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu
+spät sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt
+in seinen ‘Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen
+auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Bühne verdrängten.
+
+^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’
+‘Phönissen’:
+
+Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!
+
+ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt.
+
+———————————————————————
+
+Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht
+imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das
+allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und
+dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward
+jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne
+Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden
+Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar
+entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
+Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch
+immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
+(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
+war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man
+aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden
+Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend
+zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um
+Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
+Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
+und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl
+ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der
+Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
+übernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
+Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
+145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
+akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen
+und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
+von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke,
+von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die
+Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede.
+Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte
+Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius
+Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter
+der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der
+Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
+gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus
+Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch
+der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas Freund und gern
+gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein wird.
+
+———————————————————————-
+
+^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat
+aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand
+setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden
+sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der
+Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv.
+41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal
+angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben
+geführt haben.
+
+^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
+folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl,
+Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
+gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
+welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt
+haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden
+Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß
+“das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm”.
+
+^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da
+die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
+setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
+Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem
+kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen
+besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
+“Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. 57).
+
+^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten
+findet
+
+sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:
+
+ Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,
+
+ Cum subito a laeva Roscius exoritur.
+
+ Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:
+
+ Mortalis visust pulchrior esse deo.
+
+ Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:
+
+ Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.
+
+ Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:
+
+ Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.
+
+Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem
+Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als
+der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).
+
+—————————————————————
+
+In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
+das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
+entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
+zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
+vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu
+nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und
+einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius
+‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ‘Jahrbücher
+(vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach
+unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des
+Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch
+in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein
+hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative
+Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der
+sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe
+oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum
+auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der
+Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht
+bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur
+Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen
+poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen
+Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus
+dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden
+noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen
+nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen
+geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals
+zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius
+Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen
+Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen
+Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das
+Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das
+ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf
+der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den
+Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit
+seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht
+verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu
+wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet,
+für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und
+Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für
+vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch,
+kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine
+scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz,
+literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas
+von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das
+Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im
+Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und
+Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf
+literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren
+vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete
+gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius
+Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die
+gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die
+Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen
+Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen
+mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der
+Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der
+Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen,
+mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber
+keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und
+Phrasenpurismus zu verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die
+exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen
+vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache
+Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen
+Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl
+durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit
+gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt,
+war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein
+Verhältnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den
+Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig
+verkehrte, mag damit zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen
+Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der
+Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war ihm hierdurch
+verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er mochte
+nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um asiatischer
+Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit der
+Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
+Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palästen und Villen der
+römischen Großen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in
+den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
+unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich wie Béranger, an den
+gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert.
+Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem gesunden
+Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
+Witz hinein in das öffentliche Leben.
+
+Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
+
+Den ganzen lieben langen Tag
+
+Auf dem Markte von früh bis Spat
+
+Drängen die Bürger und die sich vom Rat
+
+Und weichen und wanken nicht von der Statt.
+
+Ein Handwerk einzig und allein
+
+Betreiben alle insgemein,
+
+Den andern zu prellen mit Verstand,
+
+Im Lügen zu haben die Vorderhand
+
+Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.
+
+All’ untereinandern belauern sie sich,
+
+Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19.
+
+—————————————————————————————-
+
+^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes
+
+Arte pavimento atque emblemate vermiculato!
+
+Ei, die niedliche Phrasenfabrik!
+
+Gefügt so zierlich Stück für Stück,
+
+Wie die Stifte im bunten Mosaik.
+
+^18 Der Dichter rät ihm:
+
+Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
+
+Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,
+
+- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.
+
+^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto
+
+Toto itidem pariterque die populusque patresque
+
+Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.
+
+Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:
+
+Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
+
+Blanditia certare, bonun simulare virum se,
+
+Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.
+
+——————————————————————————————
+
+Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos,
+ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
+Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
+Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner
+Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die
+Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
+sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall
+einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie
+der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der
+Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen
+Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten
+Witzes “gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und
+ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen
+Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der
+feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie
+die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im
+Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als
+“seinem Besseren”. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch
+durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie
+Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder
+zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein;
+unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung,
+arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder
+griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der
+sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt,
+sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er
+etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen
+sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen
+und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und
+verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische
+Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die
+unvergleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung,
+die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte,
+machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der des Terenz
+mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling
+der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen,
+“daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die ungemeine
+Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein
+bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon
+eine Macht war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn
+eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin
+mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur
+bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römischen Kunstrichter
+sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern
+zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene Kunstform angesehen werden
+kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung,
+welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt
+worden ist.
+
+————————————————————-
+
+20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die
+stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in
+deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt:
+
+Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
+
+Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse;
+
+Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
+
+Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
+
+Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
+
+Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
+
+Virtus divitiis pretium persolvere posse;
+
+Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
+
+Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.
+
+Contra defensorem hominum morumque bonorum,
+
+Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
+
+Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
+
+Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.
+
+Tugend ist zahlen den rechten Preis
+
+Zu können nach ihrer Art und Weis
+
+Für jede Sach’ in unserm Kreis;
+
+Tugend, zu wissen, was jedes Ding
+
+Mit sich für den Menschen bring’;
+
+Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,
+
+Was gut und übel, unnütz und schlecht;
+
+Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß
+
+Zu setzen die rechte Grenze weiß
+
+Und dem Reichtum den rechten Preis;
+
+Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,
+
+Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
+
+Freund Menschen und Sitten gut und recht;
+
+Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
+
+Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu;
+
+Immer zu sehen am ersten Teil
+
+Auf des Vaterlandes Heil,
+
+Sodann auf das, was den Eltern frommt,
+
+Und drittens der eigene Vorteil kommt.
+
+——————————————————————————
+
+Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser
+Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen
+Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht
+ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren
+Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig
+bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden
+Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius
+Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der
+letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen
+geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die
+Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den
+Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten
+war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu
+entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer
+Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu
+lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht
+versäumten, andächtig zu registrieren.
+
+Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet
+durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach
+seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
+Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die
+Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
+gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste
+verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
+546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen
+Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
+Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später,
+vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von
+seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften
+verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise
+wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo
+er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch
+die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise
+eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in
+die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
+seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von
+Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom
+Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
+deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten.
+Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
+römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und
+gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten
+Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren,
+zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
+Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht
+und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
+Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des
+Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf
+dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
+anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte
+und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
+verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
+Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
+ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt
+haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht
+der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
+engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne
+Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze
+Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
+hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
+persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
+stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in
+seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge,
+worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus
+noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem
+Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen
+Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art,
+wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert
+sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben
+Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit.
+Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
+Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
+Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein
+Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt
+Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos
+und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische
+Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
+er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen
+Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese
+Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die
+gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische
+Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem
+Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
+geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
+beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
+individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie
+der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
+Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine
+Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt;
+aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und
+Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen
+Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und
+in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der
+Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung
+war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der
+Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die
+Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung
+der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt-
+oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit
+Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern
+stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken,
+behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab
+zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten
+losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat
+erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so
+vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in
+sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich
+und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem
+wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der
+wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der
+Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen
+Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem
+Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr
+aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In
+der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine
+Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht
+wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die
+Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen
+Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und
+Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das
+ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des
+Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen
+großen Dingen hat er kein Interesse für diesen oder gegen jenen Staat,
+für diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein für den
+wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhältnis
+der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß die erste, sondern
+die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzählung
+endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese
+ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber
+ersten Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine
+praktische faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem
+Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der
+Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre
+sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im
+Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar
+sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne
+Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man
+den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
+geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches
+in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser
+innerer und äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten
+Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit
+wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber
+das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und
+wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt.
+Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur
+Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch.
+Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird;
+die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle
+setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine
+törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche
+Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer,
+aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der
+Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die
+Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum Erschrecken nüchtern
+und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, die
+religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung,
+in bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte
+griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich,
+aber dünn und matt, öfter als billig in polemische Exkurse oder in
+memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefällige Schilderung der
+eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch
+die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für
+die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn
+verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen
+Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen
+Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart
+angehörte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit
+und persönlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die flüchtigen
+oder gar feilen griechischen und die unkritischen römischen Historiker
+öfters zänkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiber-
+in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein liebenswürdiger
+Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als
+alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des
+Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken
+wie ihm. Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie
+anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen
+und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine
+neue, womöglich noch lästigere Dämmerung.
+
+—————————————————————
+
+21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser
+Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand,
+der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat:
+
+Warum geh’ ich nicht
+
+nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
+
+————————————————————
+
+In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und
+Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die
+gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser
+Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die
+schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler
+Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612
+142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus,
+teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische
+Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß
+unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch
+geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen
+Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in
+diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
+geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der
+Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
+ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
+Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
+Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
+632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
+achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
+auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
+veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab,
+als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten,
+doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
+nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher,
+mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen,
+waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
+geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
+wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre
+Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
+Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und
+Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und
+Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
+Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte
+Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte
+und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte.
+Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
+Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
+rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
+Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König
+Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
+187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
+besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das
+Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war,
+ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte,
+wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut
+eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
+langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen
+Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
+poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
+wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu
+pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia
+die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde
+ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen
+über diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße
+Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit
+vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten
+Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des
+Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
+des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit.
+Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster
+Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
+manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
+Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form
+noch in Originalität an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider
+auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule
+gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die
+untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
+historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
+zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
+Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105),
+Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint
+keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für
+die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der
+Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die
+musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als
+die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste
+literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei
+bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel;
+Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
+angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische
+Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese
+Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
+ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’
+Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende
+Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
+bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
+Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten
+Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des
+Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
+Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt - das
+nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
+Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
+Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen
+Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
+
+———————————————————————-
+
+22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die
+griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5,
+38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren
+des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme
+anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb.
+
+———————————————————————-
+
+In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
+Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
+veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
+übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
+zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
+Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb
+dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der
+Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den
+allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
+mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der
+Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche
+Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen
+Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den
+allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der
+Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen
+worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen
+römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
+Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
+Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß
+an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der
+griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang
+dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
+Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der
+Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
+sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und
+Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
+beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
+historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich
+werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie
+die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die Beamten’
+schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
+die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
+Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische
+Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien
+des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
+lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen
+Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
+Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
+Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
+dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
+verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und
+Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
+wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
+zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte
+die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der
+Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und
+stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
+Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge
+einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs
+geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu ermitteln,
+und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis
+seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward,
+zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
+bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
+und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat
+dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
+indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen
+Schüler Varro vererbte.
+
+——————————————————————————-
+
+23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von
+der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher
+falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.
+
+———————————————————————————-
+
+Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische
+Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts
+zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen
+Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn
+freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der
+Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem
+unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich
+lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide
+schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch
+der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und
+sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die
+verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber
+bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von
+den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das
+ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig
+damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine”. Der bitterste
+Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese “geschwätzige
+Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter Meister, vor lauter
+Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen
+Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird
+durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der
+Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß
+der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst
+zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-,
+das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig
+gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die
+während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen
+gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen
+die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer
+eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
+Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen
+Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
+theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere
+Brauchbarkeit sichert.
+
+Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da
+weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie
+entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische
+Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig
+sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer
+Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte
+griechisch.
+
+In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in
+Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische
+und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der
+vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande
+der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter
+allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre
+innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen
+trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser
+Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere
+Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen
+Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die
+Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen
+Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit
+der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit
+vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung
+verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die
+Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht
+immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der
+Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein
+Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das
+Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der
+sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon
+unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem,
+den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf
+Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das
+Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der
+juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf
+Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich
+beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine
+Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen
+Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr
+bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der
+Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an
+die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der
+Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich
+anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
+aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
+dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus
+(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
+nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
+systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der
+Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in
+dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum
+erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom Landrecht, welche das positive
+juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate
+und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der
+mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten,
+sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen
+Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift
+‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und
+namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im
+wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch
+die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der
+Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen
+Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der
+griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel
+hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische
+Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.
+
+———————————————————————-
+
+24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. 13,
+20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De
+orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt
+Cicero (De orat. 2, 33, 142).
+
+———————————————————————-
+
+Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der
+Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische
+Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging
+eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt
+in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür
+namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
+670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
+sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man
+angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß
+griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen.
+Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
+Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
+Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
+darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der
+überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
+Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der
+prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der
+Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem
+Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die
+Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
+Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus
+Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte
+Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem
+Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu
+schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die
+römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten
+griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol
+durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was
+dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor;
+die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt
+werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische
+Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der
+unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus
+Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von
+diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den
+Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um
+665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus
+Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der
+verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus
+(587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im
+Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der
+Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt
+zeigen.
+
+Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach
+Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu
+werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in
+Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
+Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die
+niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem
+Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und
+musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
+wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
+Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und
+Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden
+durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
+ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum
+Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch
+- nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
+Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle
+fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß
+vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
+Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
+Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
+musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
+einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
+Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch
+solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
+ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte.
+
+Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die
+Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den
+Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch
+hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten
+Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind
+abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die
+Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die
+Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die
+poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen
+Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir
+den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius
+Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder
+minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen
+Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller
+Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und
+zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null.
+Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die
+Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern
+angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie
+auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als
+Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite
+dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der
+Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene
+geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser
+Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche
+fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung
+der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des
+römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen
+hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des
+sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und
+Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte
+Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener
+Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben
+die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der
+Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im
+stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen
+Irrtum der Jugend abermals zu irren.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+<title>Römische Geschichte Book 4, by Theodor Mommsen</title>
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+<pre>
+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 4
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3063]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
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+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
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+
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+
+
+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Viertes Buch<br/>
+Die Revolution
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#part04"><b>Viertes Buch&mdash;Die Revolution</b></a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Die Völker des Nordens</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Cinna und Sulla</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Literatur und Kunst</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part04"></a>Viertes Buch<br/>
+Die Revolution
+</h2>
+
+<p class="letter">
+&ldquo;Aber sie treiben&rsquo;s toll;<br/>
+Ich fürcht&rsquo;, es breche&rdquo;.<br/>
+Nicht jeden Wochenschluß<br/>
+Macht Gott die Zeche.
+</p>
+
+<p class="right">
+Goethe
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit</h2>
+
+<p>
+Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms
+eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den Mündungen des Nil und
+des Orontes nicht bloß feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des
+Verhängnisses auf den Völkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit
+und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben
+oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem
+ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse Tage,
+durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der
+Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen,
+diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Römischen
+Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht
+beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen
+mannigfaltigen und doch eintönigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend
+und untergeordnet auch die einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe
+geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor
+allem die italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch
+die Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf.
+</p>
+
+<p>
+Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, wo
+übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig unterworfen waren
+und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwährend
+Gelegenheit zu &ldquo;Dorftriumphen&rdquo; lieferten, bestand eine förmliche
+Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen
+Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen Teil der Pyrenäischen
+Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht worden, die Zustände der
+Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten
+sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend
+bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die
+altiberische Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse
+phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisierung,
+die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten
+Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser
+Hinsicht erwähnenswert sind die römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und
+die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die
+erste überseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung.
+Italica wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206),
+für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegründet,
+wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur als Marktort ^1;
+Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward veranlaßt durch die
+Menge der von römischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten
+Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsächlich als freie Italiker
+aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den
+alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden.
+Beinahe dreißig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius
+Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im
+ganzen ungestört die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen
+gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse
+traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus fielen
+die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie
+vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine große Anzahl Leute.
+Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch
+bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt
+vermochten diese ihre Streifzüge bis an das Mittelländische Meer auszudehnen
+und sogar das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt
+Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst
+genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559
+(195) nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung
+die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt
+antreten - es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15.
+März sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich
+feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul
+Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem
+Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt
+nach Punicus&rsquo; Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am
+rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glück
+war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das
+Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermüdet, teils in der
+Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden sie von den schon besiegten
+Gegnern schließlich vollständig geschlagen und büßten zu dem feindlichen Lager
+das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die
+Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter
+Anführung des Kaukaenus auf die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo)
+und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner
+die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als
+Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, den
+mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
+Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in
+eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Während sie mit dem Mauerbau
+beschäftigt waren, ward ihnen dieser römischerseits untersagt, da die
+Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige
+Städtegründung verböten, und zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit
+längerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert.
+Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um
+Erweiterung, nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht
+bloß suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien
+Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter
+dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die
+Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; die meisten Segedaner unterwarfen
+sich. Allein die entschlossensten flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen
+Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche
+Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über
+Mummius, gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus,
+zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer eine
+Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische Bürger getötet
+- der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Römern in
+schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in
+ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero)
+zurückzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es
+zu einem zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten
+die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der Verwundung
+eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrückenden
+Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfälle, wie die
+Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten römischen
+Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen
+Provinz so ungünstig, daß die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der
+Römer sich befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten,
+freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen wurden
+indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der
+südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die erlittene Niederlage
+sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich
+zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und,
+übergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt,
+ja bis nach Afrika gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu
+säubern. In die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer
+beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des
+unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Prätor
+586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein
+Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung und mehr noch seine
+Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und
+selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen
+eine mäßige Buße Friede gewährt werden würde, schlossen Waffenstillstand und
+schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz
+begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar
+botmäßig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner
+Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen Verbündeten
+heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und
+während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen.
+Inzwischen ward in Rom über den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist
+bezeichnend für die inneren Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die
+Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der
+Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, wenn man
+die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe,
+entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu
+senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen
+wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die
+energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach
+genötigt, im folgenden Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder
+zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg
+beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, sei es,
+was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in der milden
+Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah -
+nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen Feldherrn mit den
+einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein
+Traktat zustande, durch den die Arevaker den Römern sich auf Gnade und Ungnade
+ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre
+bisherigen vertragsmäßigen Rechte wiedereingesetzt wurden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
+conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae in
+Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden beginnt erst
+später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, daß in gewissem Sinne
+doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf,
+fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits durch förmlichen
+Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus
+Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür gab es Rat. Auf eigene
+Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccäer, an, eine
+noch unabhängige keltiberische Nation, die mit den Römern im besten
+Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war
+die Antwort: der Überfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von
+Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die
+Kapitulation erkauft zu haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und
+knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach
+dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben
+soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und Ortschaften
+leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccäer,
+Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in
+ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem
+treubrüchigen Feldherrn eine Kapitulation hätte abschließen mögen, und die
+allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch
+das längere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor
+Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus,
+leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama,
+durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum
+Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das römische Heer gegen
+Lieferung von Vieh und Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von
+Pallantia mußte wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das
+römische Heer ward auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt.
+Lucullus begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius
+Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen
+lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen
+Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150)
+gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen
+Meerenge einige Vorteile über sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei
+lusitanischen Stämmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie
+in bessere Wohnsitze überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der
+gehofften Äcker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei
+Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils
+niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und
+Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch
+durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze der eine der Verurteilung, der
+andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in
+seinem fünfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der
+Bürgerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des
+Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine
+Unschuld.
+</p>
+
+<p>
+Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht
+hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten
+Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die spanischen
+Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen Statthaltern überließ. So
+verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als
+gedemütigt, unaufhörlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der
+römische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht
+bloß, sondern drängte auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo
+derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
+abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als
+Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Räuber,
+so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der
+wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas zufällig entronnen waren, seine
+Landsleute warnte, auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß,
+wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer
+übertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl,
+sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
+Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
+zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der
+Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten
+nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu
+zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das
+ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der
+Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte
+ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte
+seines Heeres verlor und selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der
+Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst
+wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der
+geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem
+Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschränkt, daß
+die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr
+und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht
+seiner fürstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen.
+Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der
+reichgeschmückten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im
+römischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren
+Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück
+in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
+jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden
+Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daß er es in
+Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller
+Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in
+dieser gründlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt;
+weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere
+Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der
+Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im
+südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den
+Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte er, nachdem er dessen Vorhut
+vernichtet hatte, hinüber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so
+nachdrücklich zu schlagen, daß der römische Feldherr mitten im Sommer in die
+Winterquartiere ging - später ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung
+der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu
+meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der
+diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius
+überwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen
+Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen
+Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt und
+beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar übernahm
+jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen Krieges, der zweite
+Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609
+145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten
+Veteranen aufs neue in den verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man
+schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu
+geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich
+demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die
+Lusitaner günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest
+des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von Sevilla)
+zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im
+folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffähig geworden
+waren, wieder das Feld, wo er dann die Überlegenheit zu behaupten vermochte und
+nach glücklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an
+Maximus&rsquo; Stelle der feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl
+übernahm, erlitten die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und
+schloß ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während
+Viriathus&rsquo; Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein
+Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus
+Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel
+gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer
+Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam abgeschlagenen Sturm auf
+das römische Lager sah er sich genötigt, auf das römische Gebiet
+zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen
+nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte
+auch er nach Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141)
+ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und
+Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge Ortschaften.
+Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Führer - es waren deren
+gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus römischem Gebiet zum Feinde
+Übergegangenen die Hände abgehauen, die übrige Masse in die Sklaverei verkauft.
+Aber der Spanische Krieg bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit.
+Das römische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane
+von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es
+gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, wie einst
+der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit Servilianus einen Frieden
+abzuschließen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souverän und Viriathus als
+König derselben anerkannt ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen
+als das nationale Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des
+lästigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die
+Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger
+Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der
+Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den
+Viriathus zu bevollmächtigen und bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des
+gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein
+und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus
+vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen
+dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloß Caepio
+den Angriff erneuerte, sondern auch das in der nördlichen Provinz inzwischen
+verfügbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat
+Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem
+römischen Gebiet zu ihm übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen
+Schwiegervater, an die Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen
+dieselben hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht
+genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen anzukündigen, was
+über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende
+unerträglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schließlich
+ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte
+Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen
+lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in
+seiner nächsten Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten,
+Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt
+noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio
+Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung
+persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen
+Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das Lager, versicherten sie
+den König des günstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht
+darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen
+Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die
+Leichenspiele fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben,
+sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
+ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern Sagunt
+zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines Vorgängers weise
+Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte völlig, und auf
+der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang über den Baetis angegriffen und
+genötigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von
+Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien
+bezwungen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest,
+daß Viriathus&rsquo; Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp.
+61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u.
+a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust.
+44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4;
+Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz
+hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus&rsquo; Auftreten sowohl
+bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die
+Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, mit
+denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der nördlichen
+Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich in der
+südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen
+die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht
+ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den keltiberischen
+Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus&rsquo;
+glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen
+die Römer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur
+Ablösung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius
+Metellus nicht nach der südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer
+sich wandte. Auch gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der
+für unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er bei
+der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach
+zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche Provinz zum
+Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia und Numantia hatten
+noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit diesen aber war die
+Kapitulation fast schon abgeschlossen und der größte Teil der Bedingungen von
+den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff
+auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des
+wohlgeführten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus
+den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen
+Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so stark als
+die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der völlig
+kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte so harte
+Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den Frieden, den er
+nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muß
+ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der
+römische Feldherr ihre Gefangenen zurück und forderte die Gemeinde unter dem
+geheimen Versprechen günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade
+zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der
+Feldherr beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe
+Maß. Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene
+Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus
+Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf
+fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden
+Verantwortung für den nach römischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen,
+den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und,
+als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen
+Offizieren ins Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen.
+Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während dort
+darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich
+Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
+beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern
+benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie
+auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von Staats wegen an dem
+Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung
+nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie
+und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die
+Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die
+schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die Folge
+derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit,
+Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies falsche
+Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia heranrückten,
+bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das Lager zu räumen, um sich
+in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen.
+Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden
+Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der
+Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten
+Bedingungen Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein
+Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der
+als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der
+Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daß die Numantiner
+sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag
+genügen ließen. Allein der Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück,
+sondern ließ auch nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen,
+den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die
+Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen
+abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen hätten dies sämtliche
+Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und
+die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht
+den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und
+fremde Schuld zu büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular
+zu den feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen
+verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen,
+stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände auf den Rücken
+gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein
+klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus&rsquo; Nachfolger, seinen Kollegen
+im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre völlig verloren.
+Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff
+er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie
+Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der
+jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß befahl
+ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand,
+daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Dabei
+war er als Soldat gerade so schlecht wie als Bürger; nachdem er so lange vor
+der großen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen
+Land die Zufuhr ausgegangen war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten
+und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die
+Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh
+abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische Heer
+wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem hochgeborenen
+General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. Seine Nachfolger Lucius
+Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder
+gegen die Numantiner Krieg zu führen, und da sie eben gar nichts taten, kamen
+sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die römische Regierung fing endlich
+an einzusehen, daß man so nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich,
+die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem
+ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur
+Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und
+die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei
+Koterieintrigen und die Furcht, der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden,
+zusammengewirkt haben mögen. Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl
+von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor
+einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf
+diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann
+Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen
+mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine
+Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten
+unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten
+Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnügte sich,
+die Vorräte in der Umgegend zu vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern
+Korn verkauften, zu züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu
+zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer
+dem numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten unter
+Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzügen waren es
+vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit
+einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens 8000 Köpfen einschloß. Dennoch
+boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, daß
+die vieljährige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse,
+verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten
+dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des
+Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein
+Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die numantinische
+Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat
+bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal führten die Römer, wo es nur
+auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings
+um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang
+ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene
+zwiefache Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den
+Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte
+zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu stürmen man
+nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, als es der
+Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des letzten Sommers zu
+verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer
+kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die
+feindlichen Linien durch, und seine rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht
+hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in
+Lutia, von großer Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden
+hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt,
+mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer der
+Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, denen sämtlich
+auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen wurden. Die Numantiner,
+also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um über die Unterwerfung
+zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein
+als die rückkehrenden Boten meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange,
+wurden sie von der wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis
+Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische
+Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade
+und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft angewiesen wurde,
+am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um
+denjenigen Bürgern, die den Untergang der Freiheit nicht zu überleben
+beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und
+nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren.
+Scipio las fünfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe
+aufzuführen; die übrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden
+gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im
+Herbst 621 (133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom
+in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und Geldbußen reichten aus,
+um die römische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung
+zu bringen.
+</p>
+
+<p>
+Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die römische
+Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an
+Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Nähe von
+Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische
+Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen
+Richtungen die iberische Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das
+Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen,
+hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn
+bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach einer großen Schlacht,
+in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der römischen Provinz vereinigt.
+Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme
+der Nordküste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Römern
+untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen
+mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat,
+was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger zu
+beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Mißhandlung
+durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen
+müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurückzukehren und sie
+wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien eine leidlichere Zeit. Die
+Unterdrückung des Seeraubes, der auf den Balearen gefährliche Schlupfwinkel
+fand, durch Quintus Caecilius Metellus&rsquo; Besetzung dieser Inseln im Jahre
+631 (123) war dem Aufblühen des spanischen Handels ungemein förderlich, und
+auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
+unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie
+zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der Halbinsel
+war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Städten Palma
+und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer
+Mißstände bewahrte die römische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den
+die catonische Zeit und zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das
+römische Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht
+bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den
+Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in Räuberbanden
+zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn,
+weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhöfe in dieser
+Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfähig waren; und es
+gelang den Römern nicht, diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer
+zugänglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen
+Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder
+leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln niederzuhalten
+vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter
+allen römischen Gebieten das blühendste und am besten organisierte Land; das
+Zehntensystem und die Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung
+zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh.
+</p>
+
+<p>
+In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveränität und
+tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und
+asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Karthago,
+Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der römischen
+Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner
+Selbständigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt,
+wenn es sein muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag
+wenigstens einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor
+seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbständigkeit
+noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsächlich ein
+ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der römische Schiedsspruch den
+Sukzessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des
+Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten
+nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß
+die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch
+Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der
+Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und
+schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den
+Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso
+glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaften Fehden, und
+selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren
+Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher
+wie der Beherrschten, daß die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der
+Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten
+einsehen müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg
+führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser
+Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz
+nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder
+die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von
+Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich über deren
+Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse;
+der Satz, den der Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es
+den Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen,
+drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daß
+die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder
+Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin führen mußte, auch
+den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die
+Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den
+Menschen wie für den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene
+Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es,
+entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden
+materiellen Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der
+römische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt,
+griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen,
+asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und
+schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich
+nur noch ärger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Beständig gingen
+Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische
+Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten,
+inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht
+selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte
+geschehen, daß Kypros, welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden
+hatte, nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron
+seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern zugesprochen
+erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdrücklich
+abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daß
+die offenkundige Ermordung eines römischen Kommissars, der im Auftrag des
+Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet
+hinging. Die Asiaten wußten zwar sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den
+römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der
+Senat geneigt war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu
+erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der
+Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die
+Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Für die
+Römer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die
+Nord- und Ostgrenze gewissermaßen preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch
+es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des
+Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz
+gegen die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer für
+Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden
+Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der überall
+zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen Entwicklung günstige
+Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der
+Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß in dieser Zeit die Phalanx des
+Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat
+standen.
+</p>
+
+<p>
+Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig
+mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in römische Ämter,
+was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialverfassung
+wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts
+zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden
+blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen
+Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig war, sich in der Form der
+Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser
+administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe
+verzögern und verkümmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das
+Notwendige klar einzusehen und energisch durchzuführen.
+</p>
+
+<p>
+Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen gegründete
+Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches
+Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas
+durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und
+zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen des Friedensstandes
+wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Höhe seiner
+politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit übelverhehlter, neidischer
+Furcht die, wie es schien, unverwüstliche Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten
+sie bisher den beständig fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber
+derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu
+Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren
+zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der
+Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des
+karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen Kommissarien
+dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen
+emporitanischen Städte zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche
+Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den König zu zahlen hätten.
+Die Folge war, daß Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks
+an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen
+Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als
+abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach langem und
+ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine zweite Kommission
+(597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgängige
+Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu fällenden Schiedsspruch nicht
+unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Erörterung der
+Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach
+Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt;
+aber die Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser
+Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der
+einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege
+noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht durchdrungen. Betroffen
+und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen den blühenden Zustand der
+Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen
+Waffenvorräte in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon
+sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom
+verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise
+kam er zu dem Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago
+vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese
+Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der
+Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen Politik mit
+großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer
+Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Künste
+und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene Verträglichkeit der Existenz
+dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die
+Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja,
+verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht
+unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern
+den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint,
+Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, die überseeischen
+Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an
+dem mächtigen Einfluß der römischen Bankiers und Großhändler, denen nach der
+Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen
+mußte. Die Majorität beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine
+solche abzuwarten forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den
+Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.
+</p>
+
+<p>
+Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
+Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in Karthago
+den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der Patriotenpartei,
+welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran dachte, gegen die römische
+Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmäßig
+zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen
+entschlossen war. Die Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger
+Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner
+Bedingung je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
+die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes
+Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes
+war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich wegen des streitigen
+Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Römer zu unterwerfen; und
+so konnte man römischerseits mit einigem Schein behaupten, daß die
+karthagischen Rüstungen gegen die Römer gerichtet sein müßten, und auf
+sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der
+karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die
+Ausführung des Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach
+Karthago überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen
+Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos für
+den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklärung zu
+beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Männern es
+bestätigt hatte, daß in Karthago in der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf
+der Senat zwar die unbedingte Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber
+in geheimer Sitzung, daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich
+nicht dazu verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
+verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa
+hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes
+Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die Karthager diesen die Tore
+schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte
+Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei
+machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat,
+war einer der gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren
+zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkönig
+und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und
+schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedrängnis,
+die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr hätten
+abwenden können. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun
+in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn
+afrikanische Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem
+Berge herab &ldquo;wie Zeus vom Ida&rdquo; der Schlacht zuschaute, lieferten
+die Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, obwohl
+durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugeführte
+numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde überlegen, dennoch den
+kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen
+Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf
+ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der
+karthagischen Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das
+Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des
+Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung
+der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem
+Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 Talern) für die nächsten
+fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht
+gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der
+Heimkehr von ihnen zusammengehauen.
+</p>
+
+<p>
+Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige
+Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen
+brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen
+römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg zu führen,
+waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden - und einen bereits
+im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom
+gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die
+Kriegserklärung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag
+abzuwenden. Die Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum
+Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die
+Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten
+Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde
+den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwürfigkeit
+verglichen, schien es fast Trotz, daß die Karthager sich begnügt hatten, die
+Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat
+erklärte, daß die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf
+die Frage, was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt.
+Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien doch
+wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe Heimatstadt die
+letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal
+ihrer dreißig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war
+bereits der Krieg erklärt (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer
+eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige
+Unterwerfung zu beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der
+karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht,
+ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie den soeben nach
+Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybäon 300 Geiseln aus
+den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen
+würden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man
+hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals
+klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was
+man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
+daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu
+sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit
+furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht.
+Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die
+haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen
+Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche
+Kriegsdekret und die erträgliche Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst
+sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was
+es heiße, sich der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die
+Konsuln sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die
+karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand
+geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im
+Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die
+weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunächst die
+Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur
+gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene
+Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen
+solle, ward ihnen erwidert, daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam
+erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial,
+allen Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz
+befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen
+- und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul
+Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in Gemäßheit der vom Senat
+erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstört werden müsse, den Bewohnern
+aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens
+zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser
+fürchterliche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen
+hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen
+Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
+Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte,
+ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte,
+sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte
+teure Meeresheimat, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden
+Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der
+politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme
+der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl
+wie der Ruf des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die
+in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
+welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die
+unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren
+gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils die zufällig in der
+Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens an diesen die Rache
+vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man beschloß nicht sich zu
+wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden
+geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entblößten Mauerzinnen Steine
+geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas,
+übertragen, die Sklaven sämtlich frei erklärt. Das Emigrantenheer unter dem
+flüchtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an
+der Ostküste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt
+Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine
+unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser
+höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phönikischer
+Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend,
+den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreißigtägigen
+Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die
+Karthager wußten wohl, daß die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte
+weder gewähren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt
+in der natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung
+die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und verschoben deshalb den
+Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschütze und Rüstungen
+herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an
+Maschinen und Waffen gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen,
+wurden die öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze
+unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in
+unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder bewehrt. Daß
+dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen entfernten Konsuln
+etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser
+wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja dämonischen Volkshaß getragenen
+Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens müde, aus dem Lager bei Utica
+aufbrachen und bloß mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu können meinten,
+fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten
+gekrönt und die große volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken
+zu besetzen gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu
+verteidigen.
+</p>
+
+<p>
+Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die Kunst seiner
+gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten
+Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap Bon begrenzen, springt
+in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten
+vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhängt.
+Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile
+breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier
+in den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die
+Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe von Sidi bu
+Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile
+Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen
+gaben an der Golfseite der Stadt natürliche Festigkeit, und es genügte hier
+eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo
+die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige
+Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit
+der Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt haben,
+aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, wahrscheinlich
+in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch
+einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der Außenmauer getrennt waren und, die
+jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine
+Tiefe von 11 Fuß hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern
+zusammengefügte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die
+mächtigen vier Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5
+und gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und
+Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin- und
+Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), ein
+verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der Unterfläche einem
+Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in diese Mauer an ihrem
+südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des Kapitols in den römischen
+Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau
+von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Südseite der Stadt
+bespülte teils der seichte Tunesische See im Südwesten, den eine von der
+karthagischen Halbinsel südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8
+fast gänzlich von dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An
+dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von
+Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die schmale
+Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß breiter Mündung nach
+beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, und der innere kreisrunde
+Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das Admiralhaus tragenden Insel in der
+Mitte, in den man durch den äußeren gelangte. Zwischen beiden ging die
+Stadtmauer durch, die, von der Byrsa ostwärts sich wendend, die Landzunge und
+den Außenhafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in
+den letzteren gleich einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des
+Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der
+Stadtseite offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der
+eigentlichen Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit
+großenteils mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der
+heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich
+anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel, dem
+Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt. Diese drei,
+die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen die ganze Breite der
+Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur zugänglich auf
+den beiden Hauptstraßen nach Utica und Tunes über jene schmale Landzunge, die
+zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze
+der Hauptstadt und wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die
+vorteilhafteste Stellung darbot.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, daß man
+an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur unvollkommen
+wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem
+dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf
+hineinragende östliche Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem
+Meere gelegener Punkt.
+</p>
+
+<p>
+4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmaße
+sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):
+</p>
+
+<p>
+Außenmauer
+</p>
+
+<p>
+2 Meter = 6½ Fuß
+</p>
+
+<p>
+Korridor
+</p>
+
+<p>
+9 Meter = 6 Fuß
+</p>
+
+<p>
+Vordermauer der Kasematten
+</p>
+
+<p>
+1 Meter = 3¼Fuß
+</p>
+
+<p>
+Kasemattensäle
+</p>
+
+<p>
+4,2 Meter = 14 Fuß
+</p>
+
+<p>
+Hintermauer der Kasematten
+</p>
+
+<p>
+1 Meter = 3¼Fuß
+</p>
+
+<p>
+Gesamttiefe der Mauer
+</p>
+
+<p>
+10,1 Meter = 33 Fuß
+</p>
+
+<p>
+oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ Fuß),
+während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere,
+minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die
+Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, über die bisher
+durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die
+Außenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Daß dies
+Zusammentreffen nicht zufällig ist und wir hier in der Tat die Überreste der
+berühmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N.
+Davis&rsquo; Einwürfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur,
+daß gegen die wesentlichen Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig
+auszurichten ist. Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die
+Angaben, um die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben,
+sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite
+des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt,
+daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und Westen nirgends
+Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben jene großartigen
+Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Überreste
+einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen;
+weitere Grabungen in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa
+aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden
+vermutlich längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu
+Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia
+sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus
+schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie lang die Mauer im
+ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300
+Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht
+noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon
+hieraus eine sehr ansehnliche Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren
+Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders
+ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
+Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.
+</p>
+
+<p>
+5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der
+Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest ist noch
+12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch.
+</p>
+
+<p>
+6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben eine
+Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der Eingänge wird
+nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des Korridors ausreichen,
+um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung
+festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Säle voneinander scheiden, haben die
+Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß.
+</p>
+
+<p>
+7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben
+wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf dem jetzt die
+Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der halben Höhe etwa 2600
+Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene
+Angabe recht gut auskommen.
+</p>
+
+<p>
+8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta.
+</p>
+
+<p>
+9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin bezeichnet,
+zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der die Griechen dasselbe
+verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen Karthagos, und davon brauchen
+es auch Strabon (17, 2, 14; wo es eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist)
+und Festus (v. cothones p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau
+den viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch
+dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch
+immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei größtenteils
+beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme
+der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die
+Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im
+Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der
+Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht außer
+acht gelassen werden durfte.
+</p>
+
+<p>
+Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, als sie
+nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius
+Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer
+gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte
+und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter
+Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo
+aus sie den zum Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen
+Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer
+Himilkon Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf
+der Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an dieser
+schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend geworden,
+verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen großen Teil der
+Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die römischen Maschinen so zu
+beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch
+wagten die Römer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die nächsten
+Mauerabschnitte und Häuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß
+sie mit starkem Verlust zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile
+erlitten haben würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den
+Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern
+zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch viel
+weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die
+Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten
+Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn Censorinus, endlich die
+Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Römer sehr
+ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und der bald
+darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjährigen Königs brachten die
+Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um
+ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die
+nächtlichen Überfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und
+Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei
+gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste
+hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer
+förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie
+für das Heer verlief, so glänzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich
+hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager,
+mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend,
+ihn zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem
+Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben
+des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen Seitenangriff dem
+rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung
+durch seinen aufopfernden Heldenmut. Während die übrigen Offiziere, der Konsul
+vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und
+Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von
+diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich,
+nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei
+Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte,
+führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiterführer dem römischen
+Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefühlten Mangel an leichter
+Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen
+leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den
+Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen.
+Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor
+seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines
+Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben - auf den jungen
+Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische Zeile an: &ldquo;Einzig
+er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten ^10.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel
+herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und
+übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte.
+Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt
+mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der Armee Hasdrubals
+beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen Seestädte anzugreifen
+und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurückschlug und
+er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und
+das Belagerungsgerät ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen
+mußte. Neapolis ward zwar genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das
+gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich
+günstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit
+800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den
+Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von
+Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwürfnisse -
+Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der
+Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im
+Rathause erschlagen - als die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für
+Karthago noch günstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem
+besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der
+außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen
+Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für diesen Krieg
+empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben sich bewarb, mit
+Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch
+besonderen Beschluß die Führung des Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er
+traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand.
+Der römische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der
+Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten
+Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen
+Seite der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche
+Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Außenstadt
+eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick
+innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertroß in der
+Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als sie wieder auf die Klippe
+zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der größten
+Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte
+er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem
+bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe
+selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr
+sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago
+zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr
+Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die Besatzung der
+Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem
+Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu
+leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen
+Dingen säuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender
+und zog die erschlafften Zügel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen
+auch die militärischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem
+nächtlichen Angriff auf die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den
+Mauern an Höhe gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und
+öffneten ein Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben
+die Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den Oberbefehl
+über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung an Hasdrubal. Der
+neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst dadurch, daß er sämtliche
+römische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des
+Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als
+hierüber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die
+Schreckensherrschaft eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt
+auf sich selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig
+abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, durch den
+die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, und schlug hier
+trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stören, ein großes,
+diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes Lager, das die Stadt nach
+der Landseite hin vollständig absperrte. Indes liefen noch immer
+Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne Kauffahrer, die der hohe Gewinn
+lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen
+Sees aus jeden günstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu
+bringen; wie auch daselbst die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch
+hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und
+Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die
+Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses
+anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten Unternehmens offenbar
+ward. Aber eine Überraschung machte die andere wett. Während die römischen
+Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate
+lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne daß selbst die Überläufer zu sagen wußten,
+was die Belagerten beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der
+Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig
+karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den Golf -die
+Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung gegen Süden
+sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen
+Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmöglich
+gesperrt werden konnte. Hätten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu
+begnügen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig
+unvorbereitete römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am
+dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer
+gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber stopften
+sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmündung, daß der
+dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun
+seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, welcher außerhalb der Stadtmauern lag
+und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die
+Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht
+gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die
+Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die
+Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine eigenen Reiter
+auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die Maschinen. Auf diese Weise
+gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. Scipio stellte indes die Maschinen
+wieder her und schoß die Holztürme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und
+damit den Außenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe
+gleichkommender Wall wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt
+von der Land- wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den
+äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu sichern,
+ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius
+Laelius angreifen; durch eine glückliche Kriegslist ward es erobert und die
+ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber
+war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem
+Hunger und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar
+die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten,
+während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so
+wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt
+überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden und machte sich bereit, den
+auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter
+aufwärts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu
+übersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war
+erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an
+den kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von
+diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn von den
+gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines nach dem andern
+erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die Straße gelegten Balken drang
+der Soldat von einem dieser festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder
+gegenüberstehende vor und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen
+sechs Tage, schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer
+voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den
+sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. Um einen
+breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Straßen anzuzünden
+und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Häusern
+versteckter kampfunfähiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der
+Burg zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
+ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und 25000
+Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig die römischen
+Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und
+seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: für
+sie, für die desertierten Soldaten wie für den Mörder der römischen Gefangenen,
+gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten
+unter ihnen den Tempel anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge
+zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es
+ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den
+übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios erblickte,
+schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren untergehenden
+Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu
+schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann sich selber in die Flammen. Der
+Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die
+Edelsten des Volkes schämten im stillen sich der neuesten Großtat der Nation.
+Die Gefangenen wurden größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im
+Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische
+Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche
+Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten
+zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen ward die in besseren Zeiten
+von Karthago aus den sizilischen Städten weggeführte Beute diesen
+zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das
+übrige, fiel an den römischen Staat.
+</p>
+
+<p>
+Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist glaublich, daß
+Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens richtete er deswegen noch
+eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die
+Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der
+Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem
+Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit
+Karthago gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der
+Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf
+ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch Kornfeld je dort
+entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen;
+als vor kurzem die Überreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden,
+fand man sie bedeckt mit einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten
+Holzstücken, Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die
+fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten,
+weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber,
+den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah
+schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger
+selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.
+</p>
+
+<p>
+Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die
+Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen überseeischen
+Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa
+und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluß
+der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte;
+die lange genährte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für
+immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen
+Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt
+besessen hatte, das heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende
+Küstenstrich von Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel
+Kerkena gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die
+übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter
+beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, blieb den
+Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige Regulierung der Grenze
+zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschließenden
+numidischen Königreich zeugte davon, daß Rom gegen sich keineswegs dulden
+werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen
+Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die
+gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte.
+Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, dessen
+Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht,
+da das verbündete Numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste
+schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen
+Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Römer gestanden hatten -
+es waren dies nur die Seestädte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus,
+Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden
+Freistädte; dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer.
+Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches,
+und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches Domanialland, welches
+man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen Ortschaften verloren gleichfalls
+dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre städtischen Freiheiten; doch wurde
+ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen
+Regierung vorläufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die
+Gemeinden für die Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine
+ein für allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
+mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
+wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten
+Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, sowie Karthago
+in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloß die
+römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen
+und gätulischen Landschaften auszubeuten begannen.
+</p>
+
+<p>
+Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der
+Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des
+römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in sich und
+untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein
+einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat
+einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos
+ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch
+die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
+Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen
+leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger
+Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er
+auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der
+mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise
+seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem
+vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an
+seiner Mutter Bruder, König Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich
+in der Tat einige Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben
+und den König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich
+wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um
+dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten festnahm und den Römern
+zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, daß er ihn in einer
+italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen.
+So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals
+aufgriffen und bei römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen
+machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte
+er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise fand er hier
+Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den thrakischen Barbarenfürsten
+Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den
+klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstützung drang der sogenannte Philipp
+in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald
+einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des
+Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von
+ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so
+entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus&rsquo; Sohn achtzehn
+Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein
+makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war
+man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der
+Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis
+wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, daß der Prätendent in
+ihr Gebiet eingerückt sei; der römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung,
+daß das erste ernste Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom
+Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und
+pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen die
+Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor Juventius mit
+einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die
+Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und
+Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der
+sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und übermütiger Weise
+handhabte. Endlich betrat ein stärkeres römisches. Heer unter Quintus Caecilius
+Metellus den Kampfplatz und drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte,
+in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier
+die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen
+Heer ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine
+Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen leichten
+und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach Thrakien zu dem
+Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine
+Auslieferung erlangte.
+</p>
+
+<p>
+Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten nicht
+freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der
+bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten
+von Selbständigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen
+hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von
+Metellus in eine römische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß
+die römische Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das
+Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die
+Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der
+Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die früher
+nach den ersten römischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in
+Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen Apollonia und Epidamnos, welche
+bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit
+Makedonien vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im
+Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die
+Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm,
+von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die
+Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner
+blühendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine
+einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher
+Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen
+auch wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer
+blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von
+100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf die einzelnen
+Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen
+Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen
+Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos
+(Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann
+vereinigt; allein der Quästor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe
+Herr und verfolgte den fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142).
+Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns,
+der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht
+hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als daß
+sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft
+(608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.
+</p>
+
+<p>
+Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und
+Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die
+Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulänglichen Streitkräften und im
+ganzen nicht mit der gebührenden Energie geführt; doch ist zunächst für diesen
+militärischen Zweck die große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon
+zu Polybios&rsquo; Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia
+und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch
+weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die
+natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils für die
+zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen Halbinsel
+ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, die später in ihrem
+geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als
+diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den thasischen
+und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der Verfasser der
+pseudo-aristotelischen Schrift &lsquo;Von den merkwürdigen Dingen&rsquo;. Auch
+heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die
+Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis)
+durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der
+herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der
+Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im
+Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum Besseren seien.
+Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Ätoler,
+Mnasippos der Böoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops,
+dem selbst ehrenhafte Römer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern
+ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und
+die alten Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des
+allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 (150)
+die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achäischen
+Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht aufgehört hatte zu
+fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Römern mit all ihrem
+Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu
+versöhnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der
+Griechen zu den Attaliden. König Eumenes II. war als Römerfreund in
+Griechenland im höchsten Grade verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und
+den Römern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich
+populär ward; wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den
+Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg
+in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die
+soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg und Pest, sondern
+durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der höheren Stände, mit Frau
+und Kindern sich zu plagen; dafür strömte wie bisher das verbrecherische oder
+leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den
+Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere
+Verschuldung und in ökonomische Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit;
+einzelne Städte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot
+geradezu zum Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der
+innere Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den
+gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war keineswegs
+beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie wünschten, und der
+augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, daß
+die jüngere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klüger als die
+ältere war. Die Gelegenheit, um mit den Römern Händel anzufangen, brach man
+geradezu vom Zaune.
+</p>
+
+<p>
+Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige
+Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der Tagsatzung die
+Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der Achäischen
+Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der
+achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom
+zu schicken, ihnen keineswegs von den Römern gewährleistet seien. Es war eine
+freche Lüge; allein die Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da
+sich die Achäer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
+wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder vielmehr
+diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, verließen die
+Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete
+wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde;
+allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta
+und beide falsch, daß der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer,
+die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen
+Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und politischer
+Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen
+Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine
+nach Asien durchpassierende römische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die
+Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei
+1000 Spartaner fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos
+nicht als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward
+abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte
+den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten Kommandanten
+von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen Eidgenossenschaft
+versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete römische Kommission, an
+ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achäische
+Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eröffnungen entgegenzunehmen.
+Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich
+entschlossen, die unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die
+achäischen Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer
+durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die
+ätolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie
+angewiesen auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte
+Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und
+Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende
+des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie dies die achäischen Abgeordneten
+vernahmen, stürmten sie sofort auf den Markt, ohne die Römer auch nur
+auszuhören, und teilten die römischen Forderungen der Menge mit, worauf der
+regierende und der regierte Pöbel einhellig beschloß, zu allervörderst
+sämtliche in Korinth anwesende Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies
+Unglück über sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der
+tumultuarischsten Weise, so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende
+Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der
+römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier festzunehmen,
+und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich
+nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und führten bittere, selbst
+übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschränkte sich dieser mit derselben
+Mäßigung, die all seine Maßregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf
+Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen
+Beleidigungen kaum erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der
+Tagsatzung in Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter
+der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai
+607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren Politik
+wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen Angelegenheiten
+gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen müßten, und fuhren fort, die
+Römer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur
+Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden
+Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die
+lakedämonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet
+hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die
+allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei und
+dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, erledigt werden
+könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste Volksversammlung der
+Achäer aber erklärte auf Kritolaos&rsquo; Antrag förmlich den Krieg gegen
+Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Güte
+beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die lärmende Ekklesia,
+größtenteils bestehend aus dem Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt,
+übertobte die Stimme der römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu
+verlassen. Kritolaos&rsquo; Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber
+nicht zu Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die
+Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der Pöbel den
+Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem Landesverrat der
+Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke
+über die nahe bevorstehende Schilderhebung unzähliger Völker und Könige gegen
+Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse,
+daß bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle
+Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche
+Bundesgenossen: die Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser.
+Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um
+Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der
+Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen.
+Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden
+beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm es Metellus
+mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als dem
+achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, war von
+Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen
+möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee
+sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu
+halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug
+das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und
+Toten war beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine
+Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps
+in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst um Aufnahme;
+die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei
+Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geräumt, und von dem
+Achäerheer und der in Masse flüchtenden Bürgerschaft von Theben gelangte nur
+ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde
+die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl
+zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine
+wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an
+der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Führer. Diäos, der nach
+Kritolaos&rsquo; Fall wieder den Oberbefehl übernommen hatte, berief alle
+Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene
+Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten
+und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
+Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. Der Kampf
+ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische Vorhut, die 4000 Mann
+stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die römischen
+Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben
+angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im
+römischen Hauptquartier eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die
+Achäer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen
+römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee bei
+Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten nicht sie
+anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in Masse aus vor der
+sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis
+ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung
+brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete
+sein Weib und nahm selber Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne
+Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius
+drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
+von den Römern besetzt.
+</p>
+
+<p>
+Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft mit einer
+Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, der sich in dem
+eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind
+gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des
+&ldquo;Achaikers&rdquo; annahm und dem Hercules Sieger dankerfüllt einen Tempel
+erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus
+und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein &ldquo;neuer
+Mann&rdquo; und verhältnismäßig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist
+eine rednerische Übertreibung, daß von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern
+bloß Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im
+ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die
+Statuen des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen,
+umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten Geldbußen
+wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die geschädigten griechischen
+Städte bestimmt, größtenteils auch später erlassen und das Vermögen derjenigen
+Hochverräter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft,
+sondern diesen überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und
+anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den
+Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den isthmischen,
+delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven
+Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie
+es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften,
+vor allem die achäische, als solche aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch
+die Bestimmung, daß niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben
+dürfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus
+versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in
+jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das Regiment in die
+Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende
+Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art
+untergeordnet, daß diesem als oberstem Militärchef auch in Verwaltung und
+Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere
+Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den
+griechischen Gemeinden die &ldquo;Freiheit&rdquo;, das heißt eine, freilich
+durch die römische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle
+Souveränität, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener
+Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward
+sogar nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet,
+sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des Grundbesitzes
+beseitigt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind
+noch mehrere mit Mummius&rsquo; Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst
+solche Beutegaben trugen.
+</p>
+
+<p>
+^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz geworden sei
+oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Daß die
+griechischen Gemeinden durchgängig &ldquo;frei&rdquo; blieben (CIG 1543, 15;
+Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht
+minder ist es ausgemacht, daß Griechenland damals von den Römern &ldquo;in
+Besitz genommen ward&rdquo; (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); daß von da an
+jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic.
+prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab.
+10, 485); daß die &ldquo;Ruten und Beile&rdquo; des römischen Statthalters
+fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1,
+21, 55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543)
+sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2)
+fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die
+makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen
+diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als
+derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt, welche
+bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3,
+26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet
+werden. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf
+den Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und
+eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn
+man auf das tatsächlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem
+makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis sieht, ebenso wie Massalia zur
+Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der
+makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel
+weitergehende Fälle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter
+Bürger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in
+der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus
+Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen zu
+sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia hervor; sie
+ist zunächst nichts als das &ldquo;Kommando&rdquo; und alle Verwaltungs- und
+Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind ursprünglich Nebengeschäfte und
+Korollarien seiner militärischen Stellung.
+</p>
+
+<p>
+Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien
+Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse des
+Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte: es
+waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß statt der Achäischen
+Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributäre
+Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit Einrichtung der römischen
+Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstädtischen Behörden die
+Oberaufsicht über die griechischen Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach,
+je nachdem die tatsächliche oder die formelle Auffassung überwiegt,
+Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht;
+indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es
+läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden entwaffnet und durch
+Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt
+die durchaus unmotivierte Zerstörung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des
+blühenden Korinth, ein düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf
+ausdrücklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen,
+und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht
+etwa bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
+nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem
+Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder Wiederanbau der öden
+Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der
+Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu
+bestreiten, größtenteils aber zu römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der
+&ldquo;Augapfel von Hellas&rdquo;, der letzte köstliche Schmuck des einst so
+städtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch
+einmal ins Auge, so muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die
+Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst
+nicht die Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und
+die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention erzwangen.
+Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles damit verknüpften
+unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück für das Land und das
+Regiment des römischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu
+wünschen übrig ließ, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und
+Mißregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der römischen
+Kommissionen. Der Peloponnes hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es
+ist bezeugt und begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen
+Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das
+Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den
+damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der
+griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt
+noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit
+dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behörden gegen die Spanier und die
+Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt,
+aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit
+&ldquo;für hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von
+Freiheit zu entreißen&rdquo;. Um so schärfer kontrastiert mit dieser
+allgemeinen Milde die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen
+und der numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche
+durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten
+ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts weniger als
+gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität
+eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom
+römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. Man wird nicht irren, wenn
+man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon
+neben der eigentlichen Aristokratie anfängt, in die Politik einzugreifen, und
+die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen
+Großhändler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so
+begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und
+weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die
+Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft
+verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward der
+Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber für den römischen
+Großhandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) römischer Freihafen, einen
+guten Teil der Geschäfte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher
+Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der
+Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————
+</p>
+
+<p>
+^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechischen
+Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied
+&ldquo;korinthisches&rdquo; oder &ldquo;delisches Kupfer&rdquo; genannt werden.
+Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-,
+sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit
+natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße auch in Korinth und
+Delos selbst fabriziert wurden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten
+afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die
+römische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil.
+</p>
+
+<p>
+In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich von
+Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der
+Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf das Unmögliche zu
+verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre
+Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern
+den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Römer es erlaubten, zu fördern und die
+Künste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem
+Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europäischen Küste der Propontis, der
+Westküste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur
+kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen
+Königen, von denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der
+Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei
+dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
+erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; es ist
+schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten
+Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Künste zu
+demütigen und zu schwächen. Die an sich schon schwierigen Verhältnisse der
+Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstädten innerhalb ihres
+Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese
+Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war,
+ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen
+und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich
+gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller
+Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und Attalos II.
+langjährigen und energischen Widerstand in den schwer zugänglichen Gebirgen
+Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung
+der Römer unter pergamenischer Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von
+Eumenes ab und begannen im Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem
+König Prusias von Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König
+hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und
+Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz schlugen und
+das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die eigentümliche Vermittlung, zu
+der die Römer auf Eumenes&rsquo; Bitte sich herbeiließen. Sowie er indes Zeit
+gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee
+aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze
+seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig
+fortgesetzten Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen
+Einfluß vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen
+Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer gegen ihn
+gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmälertem
+Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 138) wies den Versuch des
+Königs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft über Eumenes&rsquo;
+unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit römischer Hilfe zurück und regierte anstatt
+seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig,
+fügsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der
+Nichtigkeit der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische
+Partei beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu
+hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes
+konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und
+bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem
+gefährlichen bithynischen Krieg, den König Prusias II., der Jäger genannt (572
+? - 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten
+Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische
+Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert
+und eine erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt
+worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Mündels
+Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen
+und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum
+Beispiel vorkam, daß der König, um des unbequemen Rats seiner väterlichen
+Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre
+Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb
+er Bücher über den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein
+plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In
+solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die Klientelstaaten Roms gültigen
+Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob
+der Gedanke, das Reich den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den
+wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei
+Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung der
+tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament
+lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die Frage über das Land und
+den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden
+politischen Parteien. Aber auch in Asien entzündete dies Königstestament den
+Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende
+Fremdherrschaft trat ein natürlicher Sohn Eumenes&rsquo; II., Aristonikos in
+Leukä, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent
+auf. Phokäa und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in
+dem festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre Privilegien
+sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, mußte er in das
+Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er
+plötzlich wieder an der Spitze der neuen &ldquo;Bürger der Sonnenstadt&rdquo;
+^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven,
+bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis sowie eines
+Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte
+unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Römische Truppen standen in Asien
+nicht; die asiatischen Freistädte und die Kontingente der Klientelfürsten von
+Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten
+sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos
+ein und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des
+Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der
+Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten
+und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als Redner wie als
+Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Prätendenten in Leukä
+zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering
+geschätzten Gegner sich überraschen und schlagen und ward selbst von einem
+thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als
+Gefangenen zur Schau zu stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er
+reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod
+zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit
+ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward
+Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus&rsquo; Nachfolger Marcus
+Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert
+und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten,
+noch Widerstand leistenden Städte und die definitive Regulierung der Landschaft
+übernahm nach Perpennas plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man
+verfuhr ähnlich wie im karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des
+Attalidenreichs ward den Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem
+Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien
+zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen
+Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das übrige
+Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der gleich der
+karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem
+sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande
+erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien.
+So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben
+der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher
+durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), erläutern diese Verhältnisse sehr
+anschaulich. Das älteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34.
+Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also
+590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den
+(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreißen.
+Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König als Partei in der
+Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel
+gehörten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f.
+(164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen
+Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu
+stützen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben
+seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die Wünsche
+herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in
+Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben;
+nachher aber schreibt ihm der König, daß in einem deswegen abgehaltenen
+Staatsrat, dem Athenäos (sicher der bekannte Bruder des Königs), Sosandros,
+Menogenes, Chloros und andere Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach
+langem Schwanken endlich die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß
+nichts geschehen dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein
+Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen Verdacht
+aus, &ldquo;den sie auch gegen den Bruder&rdquo; (Eumenes II.) &ldquo;gehegt
+hätten&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die
+&ldquo;Freiheit&rdquo;, das heißt die δημοκρατία, das städtische
+Selbstregiment. Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde
+(Römisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des
+Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also konstituierte
+Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevölkerung,
+insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und den in Stadt und Land
+wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das städtische Bürgerrecht zu
+verleihen, um also ein gutes Einverständnis in der gesamten Bevölkerung
+herbeizuführen. Offenbar wollte die Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die
+vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem
+eigentlichen Eintreten der römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in
+Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die
+Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der
+Gemeindefreiheit zu benutzen.
+</p>
+
+<p>
+^17 Diese seltsamen &ldquo;Heliopoliten&rdquo; sind, nach der mir von einem
+Freunde geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten
+Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur
+gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in
+Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das Königreich
+Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, die lykische und
+die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte Kyzikos und Rhodos blieben
+in ihren bisherigen beschränkten Verhältnissen bestehen.
+</p>
+
+<p>
+Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. Philopator
+(591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen
+seinen von Syrien unterstützten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet
+hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten
+Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang
+diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch
+sogleich ihre Auswüchse, wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der
+wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten &ldquo;Künstler&rdquo;. Zum
+Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den
+pergamenischen Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein
+unmündiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos
+versuchte Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der
+südöstliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich
+daran grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.
+</p>
+
+<p>
+Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte &ldquo;Kappadokien am
+Meer&rdquo; oder kurzweg der &ldquo;Meerstaat&rdquo;, Pontos, zu steigender
+Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte
+König Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der
+bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich
+bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz ward.
+Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König
+Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575 183-179)
+und unter römischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und
+Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes
+sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue
+Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos,
+nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache
+nach die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten
+behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie
+Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos,
+in der Tat für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von
+demselben nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte.
+Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische
+Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint
+es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte
+Klein-Armenien als abhängige Satrapie umfaßt zu haben, während Groß -Armenien
+und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte
+und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand
+im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus
+und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber
+überlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte
+Satz, daß der Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom
+Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der
+politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn dem
+Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im
+Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des
+römischen Senats das halb gewonnene Ägypten räumte, so lag da in die
+vollständige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch
+die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische
+Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes&rsquo; Tode (590 164) der als
+Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter
+genannt, und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos
+Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich
+regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch
+den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken († 637 117) aus dem Lande
+getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persönlich in
+Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf
+diplomatischem Wege und wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In
+Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios
+als König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den königlichen
+Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie
+begreiflich, durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das
+Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten
+Zuge war, den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht
+bloß Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist
+ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens zu
+schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden.
+&ldquo;Könige sind, wen die Römer wollen&rdquo;, schrieb nicht lange nachher
+ein jüdischer Mann, &ldquo;und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land
+und Leuten&rdquo;. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, daß der
+römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tüchtigkeit und
+Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und
+Perseus durchgängig bewährt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte
+am spätesten, aber wirkte doch endlich auch zurück auf die Behandlung der
+auswärtigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ
+die eben erfaßten Zügel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der
+vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der
+zurückgewiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter
+dem dreisten Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe,
+nach Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen
+Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten und
+Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem
+älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der
+neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe schließlich bei Ägypten. So
+wurde die römische Regierung, in der Fülle ihrer Macht und während des tiefsten
+inneren und äußeren Friedens daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens
+mit ihren Dekreten verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr
+Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise
+sich an römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem
+Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die
+Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ dem Gnaeus
+Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Väter es vorschrieb;
+aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als König des
+Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig, daß es überflüssig schien, die
+Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß Kypros trotz des entgegenstehenden
+Senatsbeschlusses bei Ägypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146)
+Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt
+ward, ließ der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen
+war der römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und
+entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der Römer; doch
+ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den näheren
+und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus den Augen zu verlieren.
+</p>
+
+<p>
+Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so leicht
+nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat
+während und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der römischen
+Oberleitung die Völker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der großen
+iranischen Wüste hatten nicht lange nach Alexander dem Großen am Indus das
+Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der
+mächtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
+der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwärts
+von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Großen zwar
+geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und
+persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat
+und Tigris in sich schloß. Noch jener König hatte seine Waffen bis jenseits der
+Wüste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der
+gewaltige Staat angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge
+der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der beiden
+Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und
+der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre Verwandlung in selbständige
+Königreiche aus syrischen Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen
+Staaten gelangte namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer
+ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche
+seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte
+Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem
+Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der
+Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die
+wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-römische
+Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in seinem Lande einzuführen und
+seine Völker in politischer wie in religiöser Hinsicht auszugleichen unter
+allen Umständen eine Torheit, auch abgesehen davon, daß dieser karikierte
+Joseph II. persönlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als
+gewachsen war und durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die
+tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die
+eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen Ägypten, die
+Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst tätige und betriebsame
+Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empörung gedrängt
+wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals
+teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine
+Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, überhaupt aber die
+Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms
+lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der
+insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von
+Rom für die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz
+der Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die
+den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms versprach, und
+trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten gerichteten Verbots, ihre
+Truppen durch das jüdische Land zu führen, blieb es natürlich lediglich jenen
+selbst überlassen, der syrischen Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe
+ihrer mächtigen Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des
+Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere
+Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den syrischen
+Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und
+Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt
+des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem
+syrischen Großkönig als Hochpriester und Fürst Israels förmlich anerkannt ^18
+(615 139).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift &ldquo;Shekel
+Israel&rdquo; und der Jahreszahl des &ldquo;heiligen Jerusalem&rdquo; oder
+&ldquo;der Erlösung Sions&rdquo;. Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des
+Fürsten (Nessi) Israel, gehören nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar
+Kochba unter Hadrian.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig
+und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den östlichen
+Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Götter nicht
+minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhängern des Ahuramazda und
+des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in
+Judäa, nur in weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das
+Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion
+gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser Bewegung
+waren die Parther und aus ihr entsprang das große Partherreich. Die
+&ldquo;Parthwa&rdquo; oder Parther, die als eine der zahllosen in das große
+Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im heutigen Khorasan
+südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter
+dem skythischen, das heißt turanischen Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein
+selbständiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert später aus seiner
+Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618?
+175-136), ist der eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das
+an sich weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen
+Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren
+bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge
+errang er in den Landschaften westlich von der großen Wüste. Das Syrische Reich
+war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des
+Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden
+Sukzessionswirren, aufs tiefste zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen
+Zuge, sich von Antiocheia und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum
+Beispiel, der nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze,
+machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im
+nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von Edessa, in
+der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhängig; ja der
+letztere ließ sich vom römischen Senat seine Unabhängigkeit bestätigen und
+herrschte, gestützt auf das verbündete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am
+Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl
+die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem
+Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem
+alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der
+Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhörlich
+sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die Erbfolgestreitigkeiten, so
+daß der Bürgerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder
+mehr Prätendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht,
+wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem
+drängte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen
+Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen Sprache und
+Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein.
+Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es
+genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, daß, so mächtig auch in ihm noch der
+Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der
+Seleukiden, auf einer nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte
+iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische
+Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem
+Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der Reichskönige diesem
+allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war
+keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen
+derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl
+den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und
+Intervenienten in seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so
+sehr an einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
+vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein mußte.
+Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten oder gar
+aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmäßigkeit; Persien,
+Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue
+Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der großen Wüste vom Oxus und
+Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wüste, wiederum gleich dem
+Perserreich und all den älteren asiatischen Großstaaten eine reine
+Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde
+begriffen einerseits mit den Völkern von Turan, andererseits mit den
+Okzidentalen. Der Syrische Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens
+noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung
+als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die
+mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
+unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch
+weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfältigen
+inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfällen der
+turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften.
+</p>
+
+<p>
+Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in
+der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die bisher von Westen nach
+Osten sich ergossen und in dem großen Alexander ihren letzten und höchsten
+Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist
+nicht bloß verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen
+Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht
+wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte
+Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
+Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte
+Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von Konstantinopel
+endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis bis zum Mittelmeer dem
+König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die
+Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, nicht weil er so gar mächtig war,
+sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Küste, im inneren Asien fand,
+konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander
+hatte die Welt den Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese
+nur zu sein, was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit
+Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung.
+Die Welt hatte wieder zwei Herren.
+</p>
+
+<p>
+Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu
+werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es nirgends
+mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte
+vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst so gewaltige Kriegsmarine
+unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren
+Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge,
+aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeere so schwierige
+Unterdrückung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der
+führenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin
+mit besonderer und wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich
+im Osten ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen
+Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
+vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar
+raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besaß Rom
+nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, von den italischen, den
+kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten Schiffe einzufordern. Die Folge
+war natürlich, daß das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu
+dessen Unterdrückung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit
+die unmittelbare Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen
+Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche
+gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des Seeraubs
+in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123)
+die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den
+griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern und den Schiffern überlassen, mit
+den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die
+römische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig
+wie irgend möglich zu kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in
+den also sich selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu
+Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht.
+Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glückliche
+Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten des Westens und Ostens
+allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhängigkeit bewahrt
+hatte; die römischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser
+Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten.
+Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur
+gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es
+war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war
+ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der ritterliche
+Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein achtbarer Hellene
+selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für schimpflich gelte, was
+einträglich sei, und noch der Apostel Paulus führt billigend den Spruch eines
+kretischen Dichters an: &ldquo;Lügner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die
+Kreter.&rdquo; Die ewigen Bürgerkriege verwandelten trotz der römischen
+Friedensstiftungen auf der alten &ldquo;Insel der hundert Städte&rdquo; eine
+blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner
+durchstreiften als Räuber die Heimat und die Fremde, die Länder und die Meere;
+die Insel ward der Werbeplatz für die umliegenden Königreiche, seit dieser
+Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der
+Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine
+kretische Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
+Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefügten
+Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in
+den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen
+sich genötigt sah (um 600 150) und in denen die Römer zwar zu vermitteln
+suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg.
+</p>
+
+<p>
+Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft eine
+zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der syrischen
+Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich
+vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), förderte,
+um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem
+Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die
+Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich
+die hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte ihnen
+bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine
+gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich
+beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der Senat um 611 (143) seinen
+besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort
+und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische
+Vorstellungen der Römer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab
+keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu
+unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz
+gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige
+ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst
+blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römischen
+Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den
+Piratenkapitänen als den bedeutendsten Großhändlern in diesem Artikel auf Delos
+und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr.
+</p>
+
+<p>
+Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der
+römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei
+Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum
+Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem
+Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; sie ward nicht völlig
+verkannt, aber keineswegs gelöst. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der
+catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschränken und außerhalb Italiens
+nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Männern der folgenden
+Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle
+dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare
+Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und
+gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben
+Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, wogegen der
+größere Teil des Klientelgebiets entweder in der unerträglichen Halbheit seiner
+bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem
+Einfluß Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in
+einem schwächlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf
+morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu
+erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa
+in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks
+einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt
+deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng
+rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz
+gewesen wäre, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem
+die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Übersicht der
+Provinzialverhältnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß
+die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis.
+Die spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, wo
+die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die bloße
+Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den römischen
+Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und durch eine Wort-
+und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit
+Kapitulationen und Verträgen, durch Niedermetzelung untertäniger Leute und
+Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im
+Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der
+römischen Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus
+unbedeutenden Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch
+eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den Staat
+verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne daß in Rom
+auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt ward. Über die Besetzung
+der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen
+entschieden nicht bloß die Sympathien und Rivalitäten der verschiedenen
+Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswärtigen
+Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg
+versuchte, den römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der
+Gesandte des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die
+Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so gewöhnlich, daß
+es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem König
+von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den
+alten Grundsatz fallen, daß der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und
+die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein
+Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung
+der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz
+der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch
+die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem rücksichtslosen Geldhunger des
+römischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit
+Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen
+durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten Städte der
+Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit
+scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der älteren,
+der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der
+am letzten Ende doch nur auf seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat
+sich selber die Stütze ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das
+Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der
+asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und
+was man nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und
+spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren
+Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß es schon schwer
+hielt, für die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren
+aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen
+Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen
+Parteilichkeit nötigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die
+Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft
+dem freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung durch
+das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des
+militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen
+Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die
+leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul für den
+spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten
+die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603,
+616 151,138); und es ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den
+Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu
+abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago
+oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche,
+Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um
+das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen
+Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika
+wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmäßig mit Niederlagen eröffnet;
+schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist
+Viriathus&rsquo; Meuchelmord ein Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon
+die Eroberung von Numantia eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und
+Mannesehre bereits den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit
+epigrammatischer Schärfe die Bildsäule des entkleideten und gebundenen
+Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in
+Rom sich setzen ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere
+Kraft wie seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene
+Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet.
+Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes
+hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus</h2>
+
+<p>
+Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der römische
+Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche bewegten Ruhe. Das
+Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der Glanz der römischen Macht
+und der Ruhm des römischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen
+ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum strömten dahin: eine goldene
+Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu
+müssen. Mit Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der
+mächtigen Republik des Westens, &ldquo;die die Königreiche bezwang fern und
+nah, und wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und
+Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den
+Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im
+Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den
+hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment
+der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als
+wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so
+völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter geschlagen; es waren weniger
+andere Menschen, die jetzt im Senate saßen, als eine andere Zeit. Wo eine
+geschlossene Zahl alter Familien festgegründeten Reichtums und ererbter
+staatsmännischer Bedeutung das Regiment führt, wird sie in den Zeiten der
+Gefahr eine ebenso unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige
+Opferfähigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig
+und schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen
+der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war längst
+vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glückes. In Catos
+Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten haben
+werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man hätte
+fürchten mögen, war politisch vernichtet, und von den Männern, welche unter der
+alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges
+erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr
+spätestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis
+endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und
+auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam an das Regiment, und
+ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das
+Untertanenregiment und die äußere Politik unter ihren Händen sich gestalteten,
+ist bereits dargelegt worden. Womöglich noch mehr ließ man in den inneren
+Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem
+Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in
+dieser Zeit überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der
+regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung ihrer
+usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes Amt ein
+Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der
+Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der
+Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu verkürzendes
+Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem
+wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der Wiederwahl zum Konsulat
+und die Ausschließung der &ldquo;neuen Menschen&rdquo;; es gelang denn auch in
+der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 und
+auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der
+Regierung nach außen hin hängt ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen
+ausschließenden und gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen
+Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten
+waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten,
+als indem man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde
+dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger
+Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte
+es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem
+gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die
+Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich
+durch außerordentliche Kommissionen über die Provinzialbeamten ausübte, reichte
+anerkanntermaßen nicht aus; es war eine für das ganze öffentliche Leben der
+römischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag
+des Lucius Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio
+ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
+vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu
+prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß der Aristokratie
+zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen Demokratie war die geheime
+Abstimmung in den Versammlungen der Bürgerschaft, welche zuerst für die
+Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte
+durch das Cassische (617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge
+durch das Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise
+wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen,
+bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den
+bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen
+auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem regierenden Herrenstand
+gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die sie veranlaßte, vielleicht den
+Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in
+der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich höchsten Organs der römischen
+Gemeinde auch nicht das mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und
+nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso
+eitel war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der
+Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der
+alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschränkende
+Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert
+(Liv. 27, 6). Nach Marcellus&rsquo; Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum
+Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet
+werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586,
+591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also
+nicht öfter in diesen sechsundfünfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren
+401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung
+des zehnjährigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des
+Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602
+(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der
+gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. ep. 56)
+geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. 55 Jordan), vor
+605 (149) eingebracht worden sein muß.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich
+bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen
+prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und
+unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spüren. Das ganze siebente
+Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen Gemeindewahlen zu den bürgerlichen
+Ämtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende
+Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen
+seltenen Fällen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte
+politische Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche
+Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die
+Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte
+also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle überträgt und vergütet,
+der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmäßig
+erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen
+Spiels der herrschenden Koterien.
+</p>
+
+<p>
+Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn als
+Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der
+Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange Anstrengungen möglich. Der
+Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kämpfer liefen, wie ein
+römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmählich
+mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es
+hieß, eine &ldquo;Ehre&rdquo;, und militärische, politische, juristische
+Kapazitäten wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die
+tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz auf und
+ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten die den
+regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die politische
+Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren
+Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. Die erste Bedingung
+für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige Verbindungen; dieselbe begann also
+nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflußreichen Männer.
+Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am
+frühen Morgen aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen,
+das übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel ist
+ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es
+als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem Lumpen von der
+Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem
+&ldquo;Umgang&rdquo; (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begrüße und
+ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen
+entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloß im Palast,
+sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebäugeleien,
+Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf
+nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum
+bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht
+die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen
+Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben
+einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die
+Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womöglich
+gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwälten des
+Staats aufwarfen; man ließ es geschehen, daß das ernste Institut der
+Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward.
+Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller
+Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur
+Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159)
+dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu mit Geld
+erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der
+regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser
+Bettler- und Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den
+Regierten gegenüber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus
+einem Segen für das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut
+der Bürger zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die
+Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst von der
+vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem
+Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man
+ließ lieber das Heerwesen verfallen, als daß man die Bürger zu dem verhaßten
+überseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die
+Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon
+gesagt worden.
+</p>
+
+<p>
+In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die
+zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch
+unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie. Ihren
+Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehört werden, wollten die
+&ldquo;Optimaten&rdquo; den Willen der Besten, die &ldquo;Popularen&rdquo; den
+der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder
+eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde.
+Beide Parteien stritten gleichermaßen für Schatten und zählten in ihren Reihen
+nur entweder Schwärmer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis
+gleichmäßig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit
+Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein
+politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über
+diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander
+so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken
+begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik
+als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen,
+wenn entweder die Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen
+erblichen Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches
+Demagogenregiment aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese
+Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern
+viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten
+nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt hätten,
+hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich politisch wie sittlich
+das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner völligen Auflösung
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution eröffnet
+ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den
+ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die römische Regierung wie
+alles andere lediglich gehen ließ und welche also Gelegenheit fanden, den seit
+langem gärenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und
+Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf
+den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und
+der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem
+großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg geführt,
+der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen
+Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung
+abgebrochen ward infolge der glücklichen Kriege und der hierdurch möglich
+gemachten umfänglichen und großartigen Domanialaufteilung. Es ward schon früher
+gezeigt, daß in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und
+Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig
+anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft
+vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer
+ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier seines
+Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die Konkurrenz des
+überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit;
+das Kapital führte gegen die Arbeit, das heißt gegen die Freiheit der Person,
+den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in
+der unziemlichen Weise, daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward,
+sondern von Haus aus mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der
+ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als
+industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden
+Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die
+Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in
+Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in
+Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; schließlich die Ersetzung der
+freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die
+Nobilität deshalb gefährlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie
+dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese
+neue Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften
+Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts auszurichten
+war.
+</p>
+
+<p>
+Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von Arbeit
+und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und den Umfang der
+Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier
+nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen unschuldigen Feldsklaverei, wonach
+der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr
+Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder
+auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen
+als Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse
+bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der
+Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter Landschaften
+und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft mit Sklaven gemeint,
+welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Übermacht des
+Kapitals sich entwickelte. Während für den Sklavenbestand der älteren Zeit die
+Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht
+diese Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch
+betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven
+wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung beständig
+zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt
+liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses
+jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es
+keineswegs unerhört, daß der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven
+eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die
+kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger
+und Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten,
+wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den Klientelstaaten
+Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde
+untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, daß um 650 (100) der König
+von Bithynien sich unfähig erklärte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus
+seinem Reich alle arbeitsfähigen Leute von den Zollpächtern weggeschleppt
+seien. Auf dem großen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen
+Sklavenhändler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an
+einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle
+verkauft gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
+geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot überstieg.
+Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen Ökonomie des
+sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß dieselbe wie überhaupt die
+gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer
+die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum
+Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke
+betrieben, so daß der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der
+Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den
+untern Graden regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die
+Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, Sklavenherden
+nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig
+annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht
+von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord
+gegeben. Die Hütung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der
+bewaffneten, häufig berittenen Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken
+Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward
+bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation -
+so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen
+Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen zu
+betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche
+Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem
+Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen an den Beinen unter
+Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen,
+häufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese
+Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint
+durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus
+diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in
+irgendeinem anderen Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3.
+Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als
+römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien
+nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also
+durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger
+Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Spekulanten waren. Man sieht
+hieraus, mit welchem Eifer die römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen
+ihrer Vorgänger traten und welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh
+und sizilischem Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten
+gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel
+bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der
+Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien,
+wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo
+sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange bestand,
+höchstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward
+doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie
+Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer
+Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied
+des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß bei dem sizilischen
+Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise
+lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst durch
+besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon
+Plautus (Trip. 542) preist &ldquo;den Syrerschlag, der mehr verträgt als ein
+andrer sonst&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von
+εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß diese
+Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer
+noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern zukam.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich
+vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es
+ist leicht möglich, daß mit denen der römischen Sklavenschaft verglichen die
+Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand
+der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen
+Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß dies
+Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von
+ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies nur geschehen können
+durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären als das Übel. Der Regierung
+lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr für Eigentum und Leben, womit das
+Sklavenproletariat die Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche
+Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des
+Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die
+römische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden
+Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten
+Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges
+vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man in der
+Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und
+hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den
+Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen
+Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufständischen Sklaven mit den
+Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine
+kleinasiatischen &ldquo;Sonnenstädter&rdquo; war wesentlich ein Krieg der
+Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am ärgsten aber stand es
+natürlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die
+Räuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, längst ein stehendes Übel;
+sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den
+italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals
+wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen
+erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die
+Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab sich
+erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, töteten oder
+knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen
+Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu
+speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als
+Haupt der Insurgenten Antiochos der König der Syrer. Warum auch nicht? Hatte
+doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein
+Prophet war, in Antiocheia selbst das königliche Stirnband der Seleukiden
+getragen. Der tapfere &ldquo;Feldherr&rdquo; des neuen Königs, der griechische
+Sklave Achäos, durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten
+strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien
+Arbeiter, die den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten
+Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein
+kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, dem
+gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter miteinander sich
+vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Prätor
+Lucius Hypsaeus selbst mit seiner größtenteils aus sizilischen Milizen
+bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam
+fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den
+mäßigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer
+sahen sich genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und
+konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen,
+ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion
+und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich
+die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in
+dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen,
+die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius
+Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie
+endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten
+jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von
+621 (133): L. Piso L. f. cos.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem römischen
+Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die
+Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der
+Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche
+Niederhaltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht.
+Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere
+Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der
+Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht,
+prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen oder
+Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Bändigung
+der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten
+Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt. Es
+war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber nicht ihrer Schwäche allein. Von
+Rechts wegen war der römische Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu
+halten und die aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen
+zu lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne
+Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter,
+wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia
+veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben,
+wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel an ihre Herren zu
+gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute,
+welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Prügel antworteten
+und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge
+solcher Konnivenz war denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der
+Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über
+20000 Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger möglich,
+das Kapital zu schonen.
+</p>
+
+<p>
+Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Früchte
+verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit und folgeweise
+für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung
+schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich
+dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter
+abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung
+der Regierung eine punische Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine
+Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen
+der italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige
+Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen Unternehmung!
+Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder
+vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte
+nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise
+Roms, um zu begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige
+ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem
+bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit
+darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem
+fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwährende
+Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem
+Maße geschehen, wie es hätte geschehen können und sollen; man hatte nicht bloß
+das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen,
+sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere
+sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der
+Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern
+als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich
+gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach
+der Gründung von Luna (577 177) findet sich, außer der vereinzelt stehenden
+Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren
+Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit
+der Besiegung der Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen
+Tälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes
+Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen
+Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie
+vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung
+zu bringen, schien aber aus politischen Gründen unzulässig; Italien sollte das
+herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und
+dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren
+Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der
+Regierung nichts übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen,
+und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
+auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne
+Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging - eine
+besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und
+Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache
+zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien
+Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese
+nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie
+Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft
+herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische
+Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen und
+dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte
+einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen Kapitalisten schon im
+Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort keinen freien Bauern mehr gab.
+Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daß die Tiere ihr
+Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein
+und daß die, welche die Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen
+nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der
+römischen Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595
+(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu
+suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland;
+nach 595 (159), wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich
+dagegen ein regelmäßiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf
+324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000
+waffenfähige Bürger stellt - ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen
+inneren und äußeren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich
+auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es
+bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.
+</p>
+
+<p>
+So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in
+das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel
+es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann mußte
+die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei.
+Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem
+großen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des
+Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen
+Afrikanernamen nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug,
+Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem
+Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper
+und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. Schon in seiner
+Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen
+Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den
+gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger
+hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit
+Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem
+seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und
+vor allen Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und
+literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in diejenige
+echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das geschmacklose
+Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und
+treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und
+durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Römer den Höfen des Ostens, ja
+sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor
+allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein.
+Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine
+politischen Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester,
+der Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke
+mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen
+und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm
+freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf
+ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester
+und zuverlässiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und
+Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in Geldangelegenheiten nicht
+bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch mit einer dem kaufmännischen Sinn
+seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden Zartheit und Liberalität. Er war ein
+tüchtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den
+Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr
+erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als
+Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein
+Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio
+war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine
+Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten Schriftsteller -,
+aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem
+beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender
+ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte,
+Mißbräuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf
+Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte
+Lucius Cassius, ein tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und
+Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein
+Stimmgesetz durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der
+Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung
+einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen mögen,
+in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer der Aristokratie
+vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor
+Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und
+das Soldatengesindel wieder zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten
+Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen
+Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft ermahnt,
+an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. Aber niemand, und
+er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die Verschärfung der
+Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfänge waren
+zur Heilung der organischen Übel, an denen der Staat krankte. An diese hat
+Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios älterer Freund
+und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die
+Einziehung des unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen
+Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends
+verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem
+Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward
+fortan &ldquo;der Verständige&rdquo; genannt. Auch Scipio dachte also. Er war
+von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber
+wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person rücksichtslos an und durch;
+allein er hatte sich auch überzeugt, daß dem Lande nur zu helfen sei um den
+Preis derselben Revolution, die im vierten und fünften Jahrhundert aus der
+Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht,
+das Heilmittel schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
+Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des Cassischen
+Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genügte
+noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert
+von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Begünstiger
+der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres
+Amtes die Götter angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu
+verleihen; der Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu
+erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.
+</p>
+
+<p>
+Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem Verfall zum
+Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser Jüngling, zum Retter
+Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius Sempronius Gracchus (591-621
+163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169)
+war das rechte Musterbild eines römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht
+ohne Bedrückung der abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner
+ädilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat
+zugezogen, während er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die
+persönlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
+Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in
+seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte und als Statthalter der
+Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein
+Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemütern der
+unterworfenen Nation ein dauerndes Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.
+</p>
+
+<p>
+Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes
+hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum
+Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau,
+die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand des Königs von Ägypten
+zurückgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr
+gebliebenen Kinder erzog. Der ältere von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine
+gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu
+allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen
+Beziehungen und Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen
+feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten.
+Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter
+ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die Erstürmung Karthagos mitgemacht und
+durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische
+Auszeichnungen erworben. Daß der tüchtige junge Mann die Anschauungen über den
+Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar
+waren, die Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit
+aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und
+steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, denen
+das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner Reformideen nicht
+verständig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611
+143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Männer des Senats, tadelte
+mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der
+Claudier erblich war und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der
+Domänenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es
+scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in
+persönliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich
+aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie
+in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius
+Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem
+Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so größerem Gewicht,
+als er gewissermaßen außerhalb der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus
+Metellus, der Überwinder Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner
+Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem
+häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen
+Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus,
+dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, daß der
+Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er
+sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmäßig die Initiative
+gestatte. Persönliche Motive mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag,
+den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich
+Gracchus&rsquo; Werk; daß der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr
+deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren
+Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der
+Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und
+stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die
+hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der
+Mytilenäer Diophanes, der Kymäer Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die
+Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt
+wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche
+Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung
+Italiens zu gedenken.
+</p>
+
+<p>
+Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die
+entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, militärische,
+ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen eben damals nackt und
+bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine
+ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufständischen Sklaven und war der andere,
+Scipio Aemilianus, seit Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt
+nicht zu besiegen, sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen
+Aufforderung bedurfte, um Gracchus&rsquo; Entschluß zur Tat werden zu lassen,
+sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden
+Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte
+hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul
+für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt
+seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war
+als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es
+sollten danach die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt
+benutzten Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von
+Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden, jedoch
+mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und für jeden Sohn
+250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem
+Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für
+etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude
+und Pflanzungen, scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also
+eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese
+teils an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als
+freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber das Land
+zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich
+verpflichteten. Ein Kollegium von drei Männern, die als ordentliche und
+stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jährlich von der Volksversammlung
+gewählt wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt,
+wozu später noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich
+festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war
+demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr
+ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert sein
+würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem
+Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer,
+teils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und
+Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive,
+deren Fehlen in dem älteren Gesetz hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe
+ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war.
+</p>
+
+<p>
+Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren
+wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und seit
+langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter
+Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der
+für solche Fälle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch
+dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein
+entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes
+ernstlich überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht
+werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. Gracchus
+sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte
+seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war unbequem,
+aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz
+zum zweitenmal zur Abstimmung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch,
+und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die
+Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie Italien
+gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmäßiges
+Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, außer
+allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen
+leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die
+Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun
+hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die
+Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin,
+noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen
+endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege waren erschöpft. In
+früheren Zeiten hatte man unter solchen Verhältnissen es sich nicht verdrießen
+lassen, den gestellten Antrag für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem
+folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der
+öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus
+schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt
+verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das letztere, indem er
+mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß entweder er oder Octavius aus
+dem Kollegium ausscheiden müsse, und diesem ansann, die Bürger darüber
+abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte
+sich natürlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession
+war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu
+gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich
+an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk
+zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt, zu
+allen an sie gebrachten Anträgen ja zu sagen und größtenteils zusammengesetzt
+aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes
+persönlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die
+Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus&rsquo; Befehl durch die Gerichtsdiener
+von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das
+Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen
+fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder
+Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl
+steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie
+üblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
+erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10
+Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und
+persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung,
+Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja
+selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein
+Hehl, daß sie das Gesetz vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der
+unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die
+Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben Tage, wo er
+das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den
+Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste.
+Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicherheit
+bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von drei- bis
+viertausend Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht
+abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er
+gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so
+hatte er jetzt zu lernen, daß er erst am Anfang stand. Das &ldquo;Volk&rdquo;
+war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen
+anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben
+nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue
+und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch
+das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und Vermögen der
+Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen
+Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen
+Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, gegen die bestehende Übung,
+der Bürgerschaft das Recht, über die neue Provinz definitiv zu entscheiden.
+Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des
+Provokationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren,
+ausschließlich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der
+italischen Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet
+haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich nicht
+entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das
+Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu
+erhalten, und daß er, um diese verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken,
+weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das
+Gemeinwesen zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das
+Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der
+Tribunen für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen
+für Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich
+wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache aufgelöst
+und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Für diesen setzte
+Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem
+Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmündigen Knaben; für den Fall,
+daß die Wahl abermals durch Einspruch gestört werden würde, traf er
+Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz
+vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran;
+die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch;
+der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war
+faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzählte
+sich in der Stadt, bald daß Tiberius die sämtlichen Tribunen abgesetzt habe,
+bald daß er ohne Wiederwahl sein Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat
+versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die
+erbittertsten Gegner des Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius
+die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu
+erkennen zu geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die
+Leute auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul
+Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als der
+gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige
+wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der Konsular Publius Scipio
+Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf,
+sich zu bewaffnen, wie sie könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war
+zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu
+auseinander, als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den
+Händen zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen
+begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols
+und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius Rufus stritten
+sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der sieben Könige am Tempel
+der Treue durch einen Knüttelschlag auf die Schläfe getötet; mit ihm
+dreihundert andere Männer, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war,
+wurden die Körper in den Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die
+Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom
+noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der
+ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie diejenige war,
+mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte
+schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man hatte nur die Wahl, eine
+große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben
+oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere
+geschah. Man hielt offiziell daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen
+wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja
+man überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus&rsquo; Mitschuldige
+einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius
+Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große Anzahl
+geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art rechtlichen
+Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die
+Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem
+Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen
+Vorwänden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem
+Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht
+von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen
+die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht
+hatte, verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
+Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich darüber zu
+erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die
+wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach der Krone getrachtet habe,
+er mit Recht getötet worden sei.
+</p>
+
+<p>
+Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen.
+Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen Zusammenschwinden
+der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer Kleinstellen aus dem gesamten,
+dem Staat zur Verfügung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken
+hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen
+Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen
+zweckmäßig. Die Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische
+Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne
+daß die bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend
+erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede
+sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten Landes der Staat; der
+Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den
+gutgläubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es
+konnte, stand ihm entgegen, daß gegen den Staat nach römischem Landrecht die
+Verjährung nicht lief. Die Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine
+Ausübung des Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren
+alle Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der
+bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloß,
+war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt durchzuführen,
+politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert
+hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsächlich seit
+langen Jahren nicht erhobene Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend
+zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die
+Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten
+Domänen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz
+befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt
+leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an
+diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgängig
+durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der
+Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschäftsleuten erschien die Maßregel
+als eine Expropriation der großen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen
+Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen.
+Daß die leitenden Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten,
+zeigt sehr klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen
+Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua und den
+Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsächlich größtenteils
+in Privatbesitz übergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts,
+wo man vielfältig, besonders durch Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des
+Regiments wieder straffer anzog, beschloß die Bürgerschaft, das campanische
+Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten
+(582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung,
+sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und nirgends
+viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die
+Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtprätor
+Publius Lentulus ausgeworfene Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca.
+589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich
+war es, daß für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit
+festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die Verkehrsfreiheit
+hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der
+römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern von oben herab angehalten
+wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und daß für
+dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschränkung anhängenden
+Einschnürungsmaßregeln festgestellt wurden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19)
+teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p.
+4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen,
+daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte
+Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentümern aber
+nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf
+Verkauf sich nicht einlassen wollten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht
+leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsächliche Expropriation
+der Domänenbesitzer war sicher ein großes Übel; aber sie war dennoch das
+einzige Mittel, um einem noch viel größeren, ja den Staat geradezu
+vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange
+hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und
+patriotischsten Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius
+Laelius und Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und
+wünschten.
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der
+einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen
+der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen
+Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um diese Zeit regiert
+durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaßregel
+durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der
+Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch
+gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches
+der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die
+tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte
+Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit
+zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit
+von Gracchus&rsquo; Tun. Für die Geschichte gibt es keine
+Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die
+andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zugleich ein
+einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der
+Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft übersehenen Tatsache: in der
+Beschaffenheit der damaligen Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius
+Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt
+und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger
+verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den Latinern
+und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia
+und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische Gemeinde, die
+zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein großer Staat, dessen
+Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese
+Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klägliches wie lächerliches
+Resultat gab. Es rächte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums,
+daß sie nie vollständig von der städtischen zur staatlichen Verfassung oder,
+was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen
+fortgeschritten ist. Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne
+Versammlung in England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen
+Wähler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
+allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der die
+Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhältnisse zu
+übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu fassen vermochte; eine Masse
+vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen
+der Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt
+zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand
+sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
+Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in den
+Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden dreißig
+Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß nichts war als ein
+Beschluß desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war
+auch der Tribus- und Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein
+durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden
+Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es
+auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger erschienen, so
+war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den Kontionen, platz- und
+schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Ägypter und Juden, Gassenbuben und
+Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting
+nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich
+beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in
+Rom und kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt
+ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner
+auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen,
+wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Äußerung über den Tod seines
+Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist
+sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr
+meint doch nicht, daß ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf
+den Sklavenmarkt geschickt habe?
+</p>
+
+<p>
+Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und für die
+Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man diesen Massen,
+zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die
+Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solcher
+Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese sogenannte Bürgerschaft aus
+dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt Zubehör dekretieren ließ; wenn man
+einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat die
+Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit
+eröffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens
+aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit,
+nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in
+der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die
+Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum
+bezeichnen Gracchus&rsquo; Zeitgenossen, die Männer des Scipionischen Kreises,
+das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener
+verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der römischen Größe. Darum
+ließen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in
+seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche
+Versuche, während sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit
+aller Energie festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom,
+daß redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, den
+Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. Darum hatten
+auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn
+beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist für ihn viel mehr eine zweite
+Anklage als eine Rechtfertigung, daß dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich
+fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, daß der
+Bürger, der den Senat ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte,
+vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser
+kühne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger,
+durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wußte,
+was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Pöbel beschwor und
+nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche
+Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die demagogisch-tyrannische
+Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das öffentliche
+Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpreßten weiteren
+&ldquo;Reformen&rdquo;, der Leibwache von der Gasse und den Straßengefechten
+der bedauernswerte Usurpator Schritt für Schritt sich und andern klarer
+hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfähigen
+Beschwörer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er
+endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie
+ausging; allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus&rsquo; Namen
+geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die besten
+seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe
+gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: &ldquo;Also verderb&rsquo; ein
+jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!&rdquo; Und als des Tiberius jüngerer
+Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene
+Mutter: &ldquo;Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die
+Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schämen, den Staat
+verwirrt und zerrüttet zu haben?&rdquo; So sprach nicht die besorgte Mutter,
+sondern die Tochter des Überwinders der Karthager, die noch ein größeres
+Unglück kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Revolution und Gaius Gracchus</h2>
+
+<p>
+Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die
+Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat
+gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur
+Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen
+Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als
+erschüttert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche
+die Domanialteilung offen begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben
+um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit
+der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt
+war, selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein
+Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem
+Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde ernannt
+werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der
+Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl wieder und wieder
+auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein
+Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für Tiberius Gracchus in dieselbe
+ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als
+dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das
+Teilungsgeschäft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der
+tätigsten Führer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius
+Carbo. Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der
+Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und
+Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an Beweisen.
+Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die
+Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf
+einem öffentlichen Denkmal sich als &ldquo;den ersten, der auf den Domänen die
+Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe&rdquo;, und auch sonst ist es
+überliefert, daß sich die Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall
+in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn
+nicht durch Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden
+die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den
+Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die
+zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen
+Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine
+gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die
+Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein
+scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung,
+die im Jahre 623 (131) veröffentlicht ward und tatsächlich wohl Anfang 622
+(132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs
+Jahre später (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000,
+also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die
+Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den
+Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt hat, läßt sich
+bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, ein großes und
+segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache
+Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt,
+besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und durchaus Richter in eigener
+Sache, ging mit seinen Arbeiten rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor;
+öffentliche Anschläge forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die
+Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
+zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte Okkupation
+ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches
+Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte,
+mitkonfisziert. Wie laut und großenteils begründet auch die Klagen waren, der
+Senat ließ die Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal
+die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen
+schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewährenlassen
+doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Händen
+römischer Bürger; große Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen
+Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung
+zugewiesen, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder
+unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese
+Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern
+einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermutlich die
+Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des durch Gemeindebeschlüsse
+den italischen Gemeinden überwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit
+keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden
+eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser
+Bundes- oder Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen
+nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
+verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten
+jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich
+um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, so kam in Beziehung auf die
+latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militärisch
+so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische
+Zurücksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese
+empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen.
+Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die
+nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die Reform
+gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte jetzt in
+Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner
+wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio
+Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu, und
+wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluß
+der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was
+Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an
+die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam.
+Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung
+in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig
+geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die
+Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene
+Geschäft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber
+da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie
+notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Männer wie
+Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios Zwischentreten. In
+anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der Mißbilligung. Auf einen der
+nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner
+angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß
+der sechsundfünfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der
+noch den Tag vorher öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für
+den nächsten Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach
+zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann
+nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten
+Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann
+und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie
+an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem
+gleichzeitigen Stadtklatsch überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den
+kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln.
+Nur daß der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist
+einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
+aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht
+ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius Gracchus,
+Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten verwickelt werden,
+widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersuchung; und auch
+die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbündeten
+verlor, ließ nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer
+standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten
+gegen die Reform gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd
+sich abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners zur
+Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten
+Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen,
+ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des
+Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren
+des Verbrechens.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht,
+wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint ist, sondern das
+Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua
+publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber
+keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen
+Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen,
+dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und
+nicht gemeiner Fähigkeiten sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines
+Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen
+Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen,
+in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheißen
+und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder verteidigen zu müssen.
+Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es,
+wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die
+römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen
+verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genützt
+hatte, was sie nützen konnte. Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward
+zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß
+auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden
+und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar
+sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide
+Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die
+zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war
+Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und
+unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist
+in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor
+Karthagos Mauern gefallen wäre.
+</p>
+
+<p>
+Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre
+Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft
+besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden
+Regiment geplänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten
+Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht
+wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den
+Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits früher
+geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen
+die Wiederbewerbung um dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr
+freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert
+war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios
+vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, wurde
+das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, wieder ein- und
+durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indes auf
+Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den
+Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen
+Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an
+dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um
+ihr zu begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
+Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und
+trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der
+durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen Gärung in den latinischen
+Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im
+folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Bürgern der
+Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen Bürgerrechte zu erleichtern und
+auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an
+die römischen Komitien einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte
+inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius
+Gracchus abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand
+nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer
+Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verließ
+Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine
+transalpinischen Eroberungen den großen Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog
+er zugleich sich damit aus der üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber
+aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der
+Grenze von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines
+großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt
+Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche Wortführer für die
+sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurückweisung des von
+Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom - seit hundertfünfzig Jahren
+der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten
+Schilderhebung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal
+noch, den Brand, ehe er andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu
+ersticken; nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch
+den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Prätor
+Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und
+ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres
+Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegründet; der Rest und die
+ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das
+schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und
+endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch
+die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als
+an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus
+wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien
+festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterließ und sodann, da
+er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des
+Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
+Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb
+sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich zahlreich besuchten
+Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war
+also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitäten,
+hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der
+Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der
+redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur
+Führerschaft berufen war.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an
+anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu
+umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren Ordnungen anzugehören
+(Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den
+Gracchanern eingebracht zu sein.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre
+älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt,
+ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter
+seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an
+Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden
+überlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich
+später in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung
+seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte
+man die echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
+Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die
+Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens und Handelns
+war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurückhaltung während
+der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit
+verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte
+Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder
+ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der
+erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn
+wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch
+unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in
+diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3, und wohl begreift man,
+daß, wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden
+Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht
+selten ihn selber der Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder
+stockend floß. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In
+Gaius&rsquo; Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas
+sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die den
+politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit voller
+Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der
+Rache. &ldquo;Auch mir&rdquo;, schrieb ihm seine Mutter, &ldquo;scheint nichts
+schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen
+kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da
+mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als
+daß das Vaterland verderbe.&rdquo; Cornelia kannte ihren Sohn; sein
+Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der
+elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das
+Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die Ahnung, daß das Verhängnis ihn so
+sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem
+tödlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler;
+aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus
+italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat
+recht daran getan.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte:
+&ldquo;Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft
+bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun niemand weiter
+übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als
+nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm
+mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sprößling dieses Geschlechts übrig
+bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden
+werden.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die
+Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge
+einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren
+erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daß es dem
+Volkstribun freistehen solle, sich für das folgende Jahr wiederwählen zulassen.
+Wenn hiermit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber
+schützenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle
+Macht zu sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur
+von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte sich
+sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu knüpfen. Hierzu
+diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreideverteilung. Schon
+früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals
+zu Schleuderpreisen an die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte,
+daß fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich
+eine bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den
+öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2½
+Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu
+welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die öffentlichen
+Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die
+außerhalb der Hauptstadt lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze
+Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische
+Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte,
+in die Klientel der Führer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen
+Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität in den
+Komitien gewähren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die
+in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf
+Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben,
+abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien durcheinander
+in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn
+diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstädtische
+Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die
+Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine
+der Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten
+nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben allerdings
+auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst und Nachdruck an.
+Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz
+des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von
+Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die
+Zurückgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur
+das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch
+nur in sehr beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste,
+die für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt.
+Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von römischen
+Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die
+Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domänen nur in Verbindung mit
+der sehr schwierigen über die Ausdehnung des Bürgerrechts wiederaufgenommen
+werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus über das
+Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gründung von Kolonien in Italien,
+namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von
+Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene
+Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem
+bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, sondern
+nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die
+Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen.
+Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß Gaius Gracchus zuerst dazu
+schritt, das italische Proletariat in den überseeischen Gebieten des Staats zu
+versorgen, indem er an die Stätte, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht
+bloß aus den römischen Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen
+erwählte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer
+römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch
+das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit für das
+italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als
+provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen
+Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschließlich regierende, das
+Provinzialgebiet als das ausschließlich regierte Land zu betrachten.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar
+bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen aus der
+allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der bestehenden
+Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur Geltung zu bringen.
+Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. Hinsichtlich der Länge der
+Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als daß kein Bürger
+vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum
+ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung
+Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt
+zu sein, daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch
+zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der
+Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um den
+Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger Dienst zu Fuß
+oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4.
+Gracchus erneuerte die vermutlich öfter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen
+Bürger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und
+beschränkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der
+Militärpflicht erforderliche Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten
+die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom
+Staat unentgeltlich geliefert.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst berechtige,
+den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios
+(6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die
+Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß
+die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S.
+231), die zweite sicher schon zu Polybios&rsquo; Zeit bestand. Daß Gracchus die
+Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p.
+68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
+hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr,
+als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil selbst in der
+Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einführung der Republik
+hatte der Beamte das Recht verloren, über den Bürger die Todesstrafe ohne
+Befragung der Gemeinde zu verhängen außer nach Kriegsrecht; wenn dies
+Provokationsrecht des Bürgers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager
+anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf
+Bundesgenossen und Untertanen beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die
+Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber
+auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu
+bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß Gracchus
+diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurteilen Veranlassung
+gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der Bürgerschaft entzog und an
+ständige Kommissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch
+Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß
+keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig
+wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
+unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
+eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der Angeklagte
+auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines
+Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermögensstrafe
+so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein
+vorgängige Verhaftung und vollständige Exekution blieben hier wenigstens
+rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie
+zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines
+schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des
+Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozeß
+hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus
+Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und höchstens auf Verbannung
+erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete
+Strafmilderung, ward nun zuerst zur förmlichen Strafe. Auch dieses
+unfreiwillige Exil ließ gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermögen,
+soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen
+daraufging.
+</p>
+
+<p>
+Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten
+sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlaß
+der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls
+diesen radikal populären Maßregeln beizuzählen ist.
+</p>
+
+<p>
+Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle
+Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit
+gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher
+jede bloß auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
+er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil
+derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung
+waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen
+Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich
+ungleichen Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie
+Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich geschlossenen Kreis
+der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich
+fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils
+als stille Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern
+der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer dieser
+Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte im ganzen
+Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie
+die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmählich
+der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche
+Ausschließung der Senatoren von dem kaufmännischen Betrieb durch den von dem
+Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß,
+eine äußere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten
+zog. In der gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter
+dem Namen der &ldquo;Ritterschaft&rdquo; einen entscheidenden Einfluß auch in
+politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die ursprünglich nur
+der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich allmählich, wenigstens im
+gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines
+Vermögens von mindestens 400000 Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen
+pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und
+nichtsenatorische vornehme römische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor
+Gaius Gracchus die Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des
+Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den
+Ritterfähigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen
+genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
+Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
+eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen Familien
+nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja die eigentliche
+Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer
+Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen
+senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden Kaufleute,
+berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine
+natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit
+dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren
+von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und
+Koteriefehden den Männern der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene
+und diese waren namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen;
+denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich
+über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die römischen
+Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu
+herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmänner auf Kosten
+der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen
+begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie
+Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie
+ein tief gehender Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius,
+bis das Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand.
+Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von Ritterzensus von
+der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des
+gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei
+den Bürgerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden
+sind, ist nicht gewiß, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie
+auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im
+wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen
+Ritterstand ganz in Gracchus&rsquo; Art ist, so war es auch recht eigentlich
+sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen
+Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls
+geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies haben jene
+Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfähige
+auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefördert als manche an sich weit
+wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie
+dergleichen Ehren auch keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu
+haben. Gracchus erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts
+wegen zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so
+bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.
+</p>
+
+<p>
+Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie
+auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, gewährte an sich schon
+dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die
+ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in
+den meisten Ämtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen,
+was die Dazwischenkunft römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie
+in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede
+einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also
+regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die zehntpflichtigen
+Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die
+gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor
+die Provinz Asia an die Römer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen
+nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese
+Verfügung durch einen Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin
+fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten
+Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese
+Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten - eine
+Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich ausschloß und die
+in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und Zölle der Provinz Asia eine
+Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief.
+Charakteristisch für Gracchus&rsquo; Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat
+unabhängig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, daß der völlige oder
+teilweise Erlaß der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen
+bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten
+solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den
+Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern
+der hohen Finanz, ein &ldquo;Senat der Kaufmannschaft&rdquo; konstituiert ward,
+so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte
+öffentliche Tätigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von
+Rechts wegen vor die Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr
+eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
+Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden
+entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils
+außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese
+ausschließlich aus dem Senat genommen worden; Gracchus überwies sowohl in den
+eigentlichen Zivilprozessen wie bei den ständigen und nichtständigen
+Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die
+Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den sämtlichen
+ritterfähigen Individuen jährlich neu formieren ließ und die Senatoren
+geradezu, die jungen Männer der senatorischen Familien durch Festsetzung einer
+gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht
+unwahrscheinlich, daß die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer
+gelenkt ward, die in den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der
+asiatischen und sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil
+diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu
+sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in
+ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also
+konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, daß, während
+bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als
+verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die
+Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht
+bloß auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und
+privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und
+kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie
+sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
+gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen nur zu
+praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der
+Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von
+seinesgleichen, sondern von Großhändlern und Bankiers die Entscheidung zu
+erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen
+Kapitalisten und den römischen Statthaltern verpflanzten sich aus der
+Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die
+Aristokratie der Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür
+gesorgt, daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto
+in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29
+und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.
+</p>
+
+<p>
+6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte neue
+Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir
+noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder
+vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging
+Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den
+Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche
+Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Maßregeln mehr persönlicher und
+transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat
+beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich
+zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten
+Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch
+tribunizische Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten
+den Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die
+Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt: der
+neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, über die
+Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den öffentlichen Finanzen
+eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er
+Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und Volks-, sondern allein nach
+Volksschluß aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat
+der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und
+eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den
+laufenden Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen
+Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher
+dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch beschränkt, daß
+der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die
+betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit beispielloser Tätigkeit endlich
+konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten
+Regierungsgeschäfte in seiner Person: Er selbst überwachte die
+Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an
+die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das
+Wegewesen und schloß die Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen,
+bestimmte die Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen
+Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme
+Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes
+persönliches Regiment.
+</p>
+
+<p>
+Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische
+Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon
+gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste
+Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen gestattete. Bei scharfer Strafe
+untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten Provokationsgesetz 7, die
+Niedersetzung außerordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß,
+wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen
+Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der
+Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
+Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven Maßregeln
+genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar
+zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, daß dem zuletzt erwähnten
+Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach
+Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf,
+Publius Popillius, genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging
+dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung
+durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der
+Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit
+minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten
+Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, auf immer unfähig
+sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurück auf
+Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die
+Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu
+verhöhnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius
+gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand,
+gemäß gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer
+Wichtigkeit als diese Maßregeln war Gaius&rsquo; freilich wohl schwerlich zur
+Ausführung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt
+ungefähr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem
+Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im
+umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit von dem
+Staatsoberhaupt gebracht haben würde.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und während der
+beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten
+Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten
+Widerstand zu stoßen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu
+müssen. Die Reihenfolge, in der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der
+zerrütteten Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende
+Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, daß uns
+mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da über die
+Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein
+Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedrängt ward, sondern
+offenbar einen wohl überlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von
+Spezialgesetzen im wesentlichen vollständig realisierte.
+</p>
+
+<p>
+Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter und neuer
+Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue demokratische Basen stellen,
+sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl
+lebenslänglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveränen
+Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf
+Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem
+Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die
+napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die
+Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen
+hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und
+deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was
+blieb in einem Gemeinwesen, das über die Urversammlungen hinaus und für das der
+Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen
+Regiments für eine andere politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer,
+wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit
+heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein
+Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für sein großes
+Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und in sehr
+verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch unzweifelhaft, was er tat.
+Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen
+läßt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen
+tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein
+minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren
+das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am
+wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende
+Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht
+verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit
+verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt,
+andererseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers
+dient. Gracchus war ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu
+finden und dem einreißenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich
+durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde
+Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches
+Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß. Gracchus tadelte mit
+den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den
+skandalösen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen
+getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war
+desselben Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine
+Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. Gracchus
+mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der Provinzen und veranlaßte
+nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward,
+sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen
+Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler
+zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch
+überlieferte er zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die
+Provinzialen mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und
+damit einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
+war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach
+karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und
+menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der Geldmänner,
+teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu
+aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus
+wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie
+zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues
+Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell
+legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder
+geordnete Staat, soweit irgend möglich, zwar nicht über die politischen
+Parteien, aber doch außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird,
+absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld
+dieser Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus&rsquo; Tendenzen zu einem sehr großen
+Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der
+Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische Dilemma, daß
+derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als Räuberhauptmann sich behaupten
+und als der erste Bürger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles,
+Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich
+Gaius Gracchus&rsquo; Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es
+wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, den
+eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des
+Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine Geschworenenordnung
+und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Maßregeln dachte;
+Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Bürger - die
+vornehmen, versteht sich - mit ihnen sich untereinander zerfleischen möchten.
+Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution,
+die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des
+Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen,
+von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstädtischen Proletariats,
+das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der
+Hauptstadt teils vollständig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward
+und mit seinen bald pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze
+von Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
+römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch -
+dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines
+Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der römischen Monarchie, der
+nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm rührt der wohl in gewissem
+Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begründete, aber in dieser
+Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht
+fremde Satz her, daß aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als
+Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward,
+um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie
+es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika
+geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward.
+Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen
+Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen, überhaupt
+aber durch eine strenge und zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen
+Mißregiments die Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn
+gehen vor allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den
+Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen
+mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte Karthago
+wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den Weg in die
+Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgen-
+und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser
+wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glück und Unglück so
+ineinander verschlungen, daß es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte
+nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des
+Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von
+Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward,
+bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er
+bemerkt darin, daß von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen
+Angelegenheiten bekümmere, und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede
+stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der
+Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen
+seien, und solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König
+Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die
+feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige bezahlen und
+jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen werde.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet
+hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die
+Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Führer der
+demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie
+wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, nicht
+bloß, um die von den Latinern okkupierten Domänen zur Verteilung bringen zu
+können, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubürger ihre
+Klientel zu verstärken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung
+der berechtigten Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen,
+überhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
+republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein
+hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei
+derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht
+verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, daß diesen Leuten
+das römische Bürgerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch
+gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie
+also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die
+Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
+entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der
+eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der
+Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der Bundesgenossen. Gegen das
+Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch
+übernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten
+Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das
+früher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das
+Volkstribunat übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
+Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner
+zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte Opposition des Senats
+und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art diese Koalition war und wie sie
+focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius
+vor der Bürgerschaft gegen den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück.
+&ldquo;So meint ihr also&rdquo;, sprach der Optimat, &ldquo;wenn ihr den
+Latinern das Bürgerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch
+künftig in der Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten
+Platz finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck
+besetzen werden?&rdquo; Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an
+einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher Redner
+wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gründe ungemein
+einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der
+latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß der Senat es durchsetzte, die
+sämtlichen Nichtbürger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt
+weisen zu dürfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als
+dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das
+Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus
+nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus
+Octavius zu bereiten.
+</p>
+
+<p>
+Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des
+siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich
+dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus&rsquo;
+Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunächst auf dem
+letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militärischer Rückhalt beiderseits
+nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war
+einleuchtend, daß der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre
+neuen Rechte abzuzwingen mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze
+oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder
+etwas zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat
+völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, daß
+Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten
+wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl die Männer der
+materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Pöbel sein Brotkorn
+ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus.
+Gracchus&rsquo; Institutionen standen, für den Augenblick wenigstens,
+unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen
+Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in Gracchus&rsquo;
+Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhältnis nicht
+bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der
+Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band
+zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf tönernen Füßen
+steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Bürgerverband
+aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die
+Menge in der Tat niemals für Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die
+Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und
+Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht
+sich von selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was
+Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im
+Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den
+Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose
+für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu erklären; ferner, statt in den
+überseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede
+von 3000 Kolonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer
+ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das
+Gracchische Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
+Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden
+vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von
+einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien
+vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus,
+wie die Bestimmung, daß dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten
+latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt
+werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere
+Verluste zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die
+Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das
+schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche
+Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt,
+wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache
+schon weggegeben waren - auch wenn man die gesamten, den Latinern überwiesenen
+konfiszierte -, das für zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene
+Bürgerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein
+möge, endlich Drusus&rsquo; Erklärung, daß er mit der Ausführung seines
+Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe
+herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die
+grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daß
+Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles ankam, eben damals in Afrika
+die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt,
+Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in
+die Hände arbeitete. Das &ldquo;Volk&rdquo; ratifizierte demnach die Livischen
+Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
+neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen mäßigen Tritt
+versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das
+Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei übrigens auch noch
+Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns
+vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft
+unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die
+nicht bloß im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche
+in Lucius Opimius der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte,
+an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
+wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest
+entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie
+fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte Gracchus auf, Volkstribun zu
+sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf
+wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maßregel des Gracchus, die
+Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur
+mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt
+afrikanische Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die
+römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und Zeichen
+ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Stätte. Der
+Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu
+lassen, das die Ausführung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit
+den andern zur Anlegung derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten
+auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die
+Bürgerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
+bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den
+Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht
+wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des
+Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie,
+bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten
+waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels
+verrichtete der Konsul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm
+dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen
+Eingeweide in der Hand, die &ldquo;schlechten Bürger&rdquo; an, die Halle zu
+räumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein
+eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand
+ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die
+Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte
+den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem
+Getümmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede
+fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die
+schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln,
+um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge
+dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdrücken. Er
+selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem frühesten
+Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathaus und Markt
+mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen
+Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und
+jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte
+keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der Reform
+wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein
+tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus,
+übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie
+zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie
+niedergesetzt; der Rat gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Tür, um
+die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das
+weitere zu beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in
+ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
+Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit dem
+Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem
+Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den
+Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patrizier und
+Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die
+Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er
+zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um
+womöglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß
+die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung
+des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
+Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte
+der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte
+stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen Versuch, solche Gegner zu
+einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloß der
+junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die
+Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen
+die Regierung; er ließ den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf
+den Aventin, indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das
+Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstäblich
+mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs
+den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewährleiste. Die Reihen auf dem
+Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und
+den Sklaven erstürmte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er
+vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem
+ältesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht
+wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
+zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein
+Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womöglich sich
+für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich bewegen, einen Versuch zu
+machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg
+hinabeilend stürzte er und verstauchte sich den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu
+geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina
+unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius
+Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
+sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von
+seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber.
+Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; es schien, als
+habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die
+Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der Regierung, wie befohlen,
+eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen
+Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darüber ausgezahlt, dagegen
+die Mörder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die
+Körper der Getöteten wurden in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur
+Plünderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der
+Prozeßkrieg im großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker
+aufgeknüpft worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der
+an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner
+Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol,
+wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und
+andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtümer der Eintracht sich
+befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermögen der
+getöteten oder verurteilten Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen
+hin konfisziert ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius
+ein neuer glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet -
+allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und
+eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama,
+die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der
+jüngste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution
+verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet;
+nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes
+anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben
+für die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, zeigte
+sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religiösen Verehrung,
+die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, wo sie gefallen waren, allen
+polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Die Restaurationsherrschaft</h2>
+
+<p>
+Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem Tode eine
+Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst nichts als ein Akt der
+Rache; allein es war doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur
+Restauration der alten Verfassung, daß aus der Monarchie, eben da sie im
+Begriff war, sich zu begründen, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in
+diesem Falle um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem
+gründlichen Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand
+vorhanden war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen
+Staatsoberhaupt, sei es durch überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem
+Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte.
+Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch Tiberius&rsquo;
+hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte
+Volkspartei war buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden
+Führer. Die Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten;
+Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war
+niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als eben die
+gestürzte Regierung.
+</p>
+
+<p>
+So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus&rsquo; erblosem Abgang stellte das
+Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war dies um so
+natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich formell abgeschafft,
+sondern nur durch die von ihm ausgehenden Ausnahmehandlungen tatsächlich
+zunichte gemacht worden war. Dennoch würde man sehr irren, wenn man in dieser
+Restauration nichts weiter sehen wollte als ein Zurückgleiten der
+Staatsmaschine in das alte, seit Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene
+Geleise. Restauration ist immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward
+nicht so sehr das alte Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie
+erschien neu gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat
+den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr
+er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der Gracchen zu
+regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit wo nicht ganz zu
+beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in
+der Tat feindlichen Elementen. Fürs erste reagierte man wesentlich nur gegen
+die Personen, rief den Publius Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden
+Verfügungen aus der Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den
+Prozeßkrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach
+Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu bringen, von
+der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für den Charakter dieser
+Restaurationsregierung bezeichnend, wie die Aristokratie an
+Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst Bundesgenosse der
+Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch kürzlich als Verteidiger des
+Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der
+Überläufer; als gegen ihn von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen
+Opimius erhoben ward, ließ ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo,
+zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den
+Tod. So erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
+Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der Provinz
+Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff die Reaktion
+zunächst nicht an und schonte nicht bloß die Kaufmannschaft und das
+hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte, wie bereits bei der Einbringung
+der Livischen Gesetze, so auch ferner diesen Mächten und vor allem dem
+Proletariat noch weit entschiedener, als die Gracchen dies getan hatten. Es
+geschah dies nicht bloß, weil die Gracchische Revolution in den Gemütern der
+Zeitgenossen noch lange nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung
+und Pflegung wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
+vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward dabei
+nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle diejenigen Maßregeln,
+die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren,
+eben den besten, freilich begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner
+Gesetzgebung, ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so
+erfolgreich angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan,
+zunächst die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die
+Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen
+bloß herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden
+Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und
+systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage zu
+lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen Eigensinn der
+Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den Grundsatz der abgelebten
+Geschlechter, daß Italien das herrschende Land und Rom in Italien die
+herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei
+Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung der italischen Bundesgenossen eine
+vollendete Tatsache und war gegen den großen Gedanken der überseeischen
+Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die nächste
+Ursache zu Gracchus&rsquo; Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der
+Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei
+beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose den
+Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf einem andern
+Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der
+Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde
+daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begründet, die älteste
+überseeische Bürgerstadt im Römischen Reiche, welche trotz vielfacher
+Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben
+vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die
+beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. Indes
+abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme
+gelang es der Regierung, die Landanweisung außerhalb Italiens durchgängig zu
+verhindern.
+</p>
+
+<p>
+In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die italischen
+Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, soweit sie bereits
+zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur die unbedeutende
+tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue Stadt Neptunia der
+bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. Was durch die
+nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits verteilt war, blieb den
+Empfängern; die darauf von Gracchus im Interesse des Gemeinwesens gelegten
+Beschränkungen, Erbzins und Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus
+aufgehoben. Dagegen die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche
+außer dem von den Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden
+haben werden in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen
+Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv
+zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden.
+Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von Drusus
+verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen; allein man sparte
+sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese Hunderttausende von Morgen
+italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte das Livische
+Kolonialgesetz, das seinen Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur
+etwa die kleine Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz
+des Drusus zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des
+Senats der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
+635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester Zins
+auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam - es scheint,
+indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: noch weitergehende
+Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespenden, wehrte der
+verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre später (643 111) geschah
+der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte
+Domanialland geradezu umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der
+bisherigen Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt
+nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide
+offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung eines sehr
+niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück Kleinvieh dafür
+gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen tatsächlich ausschließe
+- verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des übrigen längst
+aufgegebenen Okkupationssystems nachträglich offizielle Anerkennung fand, die
+aber leider erst getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um
+seine Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie also
+für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren Händen war,
+sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie zugleich die italischen
+Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an dem von ihnen und namentlich von
+ihrer munizipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht
+das Eigentum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte
+Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in
+den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
+hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit der
+römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die ausschweifenden
+Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat Schutz suchten und fanden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
+dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ, die Keime
+zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gründlich
+auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus erweckten
+feindlichen Mächten gegenüber vollständig ohnmächtig. Das hauptstädtische
+Proletariat blieb bestehen in anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen
+aus dem Kaufmannsstand ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig
+auch dieses Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es
+waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, daß
+sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das Gesetz des Marcus
+Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die verfassungsmäßigen
+Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen einschärfte, war für lange
+Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der senatorischen Regierung, ihren
+Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der Antrag, den der Konsul Quintus Caepio
+siebzehn Jahre nach Einführung der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf
+Zurückgabe der Prozesse an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung
+wünschte, aber auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte,
+Domänen zu verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine
+Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation der
+Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl aber trugen
+diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige Einverständnis der
+regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und dem Proletariat noch ferner
+zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der Senat alle Zugeständnisse nur aus
+Angst und widerwillig gewährte; weder durch Dankbarkeits- noch durch
+Vorteilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide
+sehr bereit, jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche
+bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
+Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte die
+Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie
+und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft
+ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war
+auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit
+dem Pöbel im Bunde zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie
+den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf dem
+erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den Institutionen
+des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie
+anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der eigene materielle Vorteil
+sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte
+Partei, des inneren Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten
+Eigennutzes, ein unübertroffenes Ideal der Mißregierung.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht,
+daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein
+teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was daselbst erzählt wird,
+schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muß hier eine
+Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten Tatsachen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem und
+sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die Aristokratie vor
+der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an Talenten und die Bänke des
+Senats vollgedrängt von feigem und verlottertem adligen Gesindel; indes es
+saßen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus
+Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und
+fähige Männer, und wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß
+der Senat in der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in
+dem Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann
+wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration.
+Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit mehr als
+einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so hatte die durchgemachte
+Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren
+Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß fortan der Groll immer und, wo sie es
+wagte, der Schrecken das Regiment der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß
+die Regierenden noch unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die
+nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß die
+Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriziats,
+wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und (wahrscheinlich) die
+zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer einzigen Ausnahme lauter
+unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen berufene Leute, innerhalb fünfzehn
+Jahren (631-645 123-109) sämtlich zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen
+auch zum Triumph gelangten, von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen?
+daß, je gewalt- und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei
+aufgetreten war, er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten
+Aristokraten jeder Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die
+Regierenden und die Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien
+glichen, daß in ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu
+begreiflich, daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
+restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam weder
+klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen Aristokratie so
+vollständig an staatsmännischen und militärischen Kapazitäten gemangelt wie in
+dieser Restaurationsepoche zwischen der Gracchischen und der Cinnanischen
+Revolution. Bezeichnend dafür ist der Koryphäe der senatorischen Partei dieser
+Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern
+und darum genötigt, Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten,
+schwang er sich auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre
+Vormann des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
+verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller, sondern auch
+als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem Jahrhundert ausgeführten
+Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht, laufen seine vielgefeierten
+Großtaten darauf hinaus, daß er als Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in
+den Alpen, als Staatsmann mit seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr
+ebenso ernsthafte Siege über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein
+eigentliches Talent indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich
+zu sein wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
+Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor allem
+durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem Publikum den Fabricius
+zu agieren. In militärischer Hinsicht finden sich zwar einige ehrenvolle
+Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den höchsten Kreisen der Aristokratie; die
+Regel aber war, daß die vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen
+treten sollten, schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den
+römischen Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs
+zu führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando einem
+niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter Bescheidenheit
+übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer
+Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel die
+Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurierten Adligen hielt völlig die
+Waage ihre politische und sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen
+Zustände, auf die zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser
+Zeit ein treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser
+Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen ihrer
+wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten Verbrechen, die
+in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein
+denselben hinreichend charakterisieren.
+</p>
+
+<p>
+Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter einem
+solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit erschreckender
+Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer
+sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und in ihrem neuen Übermut das
+Austreiben derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die
+Bauernstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die
+ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein
+gemäßigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß
+es in der ganzen Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den
+praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in
+den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien ausbrachen, so
+in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war
+schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische Prätor mit seiner Legion hatte
+marschieren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch
+tückischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine
+bedenkliche Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden
+hatte, sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem
+wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu ihrem
+König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der Sklavenmassen in
+Italien der Regierung erschien, beweisen die Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich
+der Goldwäschereien von Victumulae, die seit 611 (143) für Rechnung der
+römischen Regierung betrieben wurden: die Pächter wurden zuerst verpflichtet,
+nicht über 5000 Arbeiter anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß
+gänzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat
+alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von Transalpinern
+in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten Sklaven zu den Waffen
+rief.
+</p>
+
+<p>
+Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen,
+wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische Aristokratie wäre, was
+in jener Zeit die römische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von
+Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die
+Kontrolle der Beamten übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche
+Sache mit jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die
+Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit und Schutz
+vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell
+angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die sämtlichen
+Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewässern trieben
+die Flibustier es so arg, daß selbst die römische Regierung sich genötigt sah,
+im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhängigen Kaufstädte
+gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor
+Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine
+Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer
+richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur Unterdrückung des
+Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste
+militärische Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter
+den römischen Ämtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich
+und der Plan an sich zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand
+und die Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und
+speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu genommenen
+Stellung aus die Piraterie bekämpfte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien erst
+erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 f. (78),
+allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. Mithr. 57; civ.
+1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus Dolabella (Cic. Verr. 1, 16
+44) als Statthalter von Kilikien, wonach nichts übrig bleibt, als die
+Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 (102) zu setzen. Hierfür spricht
+ferner, daß in dieser Zeit die Züge der Römer gegen die Korsaren, wie zum
+Beispiel die balearischen, ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet
+erscheinen auf Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging;
+natürlich, denn da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige
+Mittel, dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist
+daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz der
+Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein selbständiges
+militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die Römer zunächst in dieser
+rauhen Landschaft nichts nahmen als Station für Schiffe und Mannschaft.
+</p>
+
+<p>
+Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen
+Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften nördlich
+des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehörten jenes
+seit der Auflösung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses
+wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen
+Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den Insurrektionen des
+Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie zugleich in
+den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. Jene aus Aufständen zu
+Kriegen anschwellenden Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das
+Jahr 620 (134) als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen
+Revolution aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger
+Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten
+Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon
+gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf,
+besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten längere Zeit hindurch von dort
+aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem
+war wieder der Hauptsitz dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen
+Plantagen und den dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es
+ist charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der Regierung,
+den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die nächste
+Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die freien Proletarier in Sizilien
+wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu
+dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen
+Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise
+unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom
+Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von
+Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das
+in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen
+gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhängig gemachten
+Sachen immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach
+Syrakus, um von dem römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten
+Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu
+lassen und die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie
+sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und
+augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren nennten.
+Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und gingen in die Berge.
+Der Statthalter war auf militärische Maßregeln nicht gefaßt und selbst der
+elende Landsturm der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Bündnis
+abschloß mit einem der bekanntesten Räuberhauptleute auf der Insel und durch
+das Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch
+Verrat den Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr.
+Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine Abteilung
+der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und dieser erste Erfolg
+verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem bedurften, Waffen und Zulauf.
+Das Heergerät der gefallenen und flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für
+ihre militärische Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele
+Tausende angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich
+ihren Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre
+Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen
+parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König
+Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese Haufen
+ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen der Insurgenten
+und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von ihnen belagert, als mit den
+eiligst zusammengerafften sizilischen und italischen Scharen der römische
+Statthalter das Sklavenheer vor Morgantia überfiel. Er besetzte das
+unverteidigte Lager; allein die Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und
+wie es zum Gefecht kam, wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten
+Anprall, sondern, da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert
+entkommen ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute
+Gelegenheit, ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig
+auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den Toren
+gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; sie zogen es
+indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit geschenkt zu nehmen und
+halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt retten, worauf sodann der römische
+Statthalter das den Sklaven von den Herren feierlich gegebene
+Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von Rechts wegen kassierte.
+</p>
+
+<p>
+Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich
+griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier
+Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in
+seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien geführt
+worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüter der Griechen
+und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel;
+aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die
+übrigen Führer, die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus
+den kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die Masse
+zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen
+Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung niederhielt, und der milden
+Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang er
+rasche und große Erfolge. Die Hoffnung, daß die beiden Führer sich veruneinigen
+würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem
+weit minder fähigen König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den
+Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten
+Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven
+hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu
+nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem eiligst
+herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche sich in
+der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege stockte auf der
+ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich
+mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die
+fürchterlichste Hungersnot herein, und die städtische Bevölkerung dieser sonst
+Italien ernährenden Insel mußte von den römischen Behörden mit
+Getreidesendungen unterstützt werden. Dazu drohten überall im Innern die
+Verschwörungen der Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie
+denn selbst Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es
+der Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee
+ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer
+von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die überseeischen Milizen, unter
+dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte
+Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht an, die
+Lucullus anbot. Die bessere militärische Organisation gab den Römern den Sieg:
+Athenion blieb für tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung
+Triokala werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den
+Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, auszuharren
+bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer
+Weise gerettet worden war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den
+gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das
+geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee
+desorganisiert und sein Feldgerät verbrannt haben, um die gänzliche
+Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu bedecken und von seinem Nachfolger nicht
+in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger
+Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale
+sind später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden,
+was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist. Athenion,
+der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein übernommen hatte, stand
+siegreich an der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101)
+Manius Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich
+ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Führung des Krieges
+übernahm. Nach zweijährigen harten Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion
+persönlich gefochten und ihn im Zweikampf getötet haben - schlug der römische
+Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten
+in ihren letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde
+das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das heißt die
+neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn namentlich der
+Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen Räuberbeamten dieser Zeit
+eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen es aber noch eines Beweises
+bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen
+war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten
+fünfjährigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
+</p>
+
+<p>
+Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen Verwaltung,
+es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. Wenn der
+sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur der einfachsten
+Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, so offenbarten die
+gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in Rom es verstand,
+Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg
+ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel
+aufgeführt, daß gegen die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien
+und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein
+unbedeutender Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der
+Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und
+Insurrektion durchzuführen vermochte.
+</p>
+
+<p>
+Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die Große
+Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich von Tingis (das
+heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten, und den schmalen
+Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und östlich
+umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen der numidischen Häuptlinge den
+bei weitem größten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten
+seiner Blüte in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende
+altphönikische Städte wie Hippo regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah),
+überhaupt den größten und besten Teil des reichen nordafrikanischen
+Küstenlandes. Nächst Ägypten war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter
+allen römischen Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio
+unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die
+väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die Residenz und
+die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit übernahm.
+Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas
+ältester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit
+Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen Philosophie
+beschäftigte. Da seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die
+Zügel der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha.
+Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann und ein
+gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute hielten den klaren und
+einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine militärische Brauchbarkeit
+hatte er als Führer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios
+Augen erwiesen. Seine Stellung im Königreich und der Einfluß, dessen er durch
+seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung
+genoß, ließen es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120)
+und in seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche
+Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie
+er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das Reich erben und
+regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese Verfügung unter die
+Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118)
+starb König Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Söhne
+Micipsas, mehr noch als der schwache ältere Bruder der heftige Hiempsal,
+gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in die legitime
+Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung
+der drei Könige aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung
+durchzuführen; allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und
+Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von Rechts
+wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich um diese
+Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das
+Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht
+überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Prätendent auf das gesamte
+Königreich. Noch während der Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch
+gedungene Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha
+kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen minder
+zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen siegte Jugurtha
+und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten
+Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden Häupter. Adherbal rettete sich
+nach der römischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu führen.
+Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden
+Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom
+kennengelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die
+Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die
+römischen Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen
+Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er
+illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit vornehmen römischen
+Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern müssen, daß es
+fremden Prinzen anständiger sei, mit dem römischen Staat als mit einzelnen
+römischen Bürgern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom,
+nicht bloß mit Worten ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen
+Überzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter
+von Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich
+davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht
+worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern
+Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken vor dem Skandal;
+Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat überging das
+Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die beiden überlebenden
+Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen erhalten und zur Verhütung neuen
+Haders die Teilung durch eine Kommission des Senats vorgenommen werden solle.
+Sie kam; der Konsular Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die
+Beseitigung der Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für
+seinen Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
+stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht zum
+Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) mit ihrem
+Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward
+ihm der fast ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha
+dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und
+Cäsariensische Mauretanien) zu teil.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
+</p>
+
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der
+Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte Jugurtha
+denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten
+Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen
+ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu führen, begann Jugurtha,
+ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der
+Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollständig geschlagen und warf
+sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm
+und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der
+Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden
+Italikern täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf
+Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge unerfahrene
+Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen Staatssendungen
+regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß Jugurtha sie als von der
+Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, überhaupt aber den
+Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab
+und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an
+die Väter der Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen
+ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst
+als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die
+Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Königs voll
+der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und faßte
+wirklich einen Beschluß - nicht etwa den Krieg zu erklären, wie die Minorität
+es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine
+Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem großen Bezwinger der
+Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie,
+dessen bloßes Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere
+Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um
+mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die
+Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die
+Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach Rom zurück und der
+König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Äußerste
+gebracht und verzweifelte an der römischen Unterstützung; die Italiker in
+Cirta, der Belagerung müde und für ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf
+die Furcht vor dem römischen Namen, drängten überdies zur Übergabe. So
+kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter
+grausamen Martern hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung
+der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642
+112).
+</p>
+
+<p>
+Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des Senats
+selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese Regierung, für
+die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als
+verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die
+Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta am nächsten
+getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte sich zwar auch jetzt
+noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle
+Hebel der kollegialischen Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben
+Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte
+Volkstribun Gaius Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt
+seines Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten
+Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der Senat
+es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43 112/11). Es schien
+ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus
+Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter
+seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Tätigkeit sich
+auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm
+eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein
+römisches Heer auf afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda)
+hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem Sitz der
+königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis, bereits freiwillig ihre
+Unterwerfung einsandten, während König Bocchus von Mauretanien, obwohl seine
+Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch den Römern Freundschaft und Bündnis
+antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das römische
+Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien
+nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus
+scheiterte daran, daß der König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den
+Römern vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb
+versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer Bündnisse
+mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen Institutionen besser und
+hatte nicht versäumt, seine Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen
+Begleitgelder zu unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den
+ersten Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß
+der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche
+Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch war man
+handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe
+dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und möglichst
+summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha
+unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber übte Gnade und gab dem
+König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine mäßige Buße und die
+Auslieferung der römischen Oberläufer und der Kriegselefanten (643 111), welche
+letztere der König großenteils später wiedereinhandelte durch Verträge mit den
+einzelnen römischen Platzkommandanten und Offizieren.
+</p>
+
+<p>
+Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wußte, wie
+der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um
+einen höheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die
+Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius
+Memmius erklärte, daß der König, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen
+habe, sich nicht weigern könne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach
+vorladen möge, um hinsichtlich der durchaus irregulären Friedensverhandlungen
+durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen.
+Man fügte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht
+als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres
+Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in Rom und stellte
+sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam bewogen ward, das
+sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der cirtensischen Italiker nicht
+auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an
+den König gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und
+dem Könige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold
+mächtiger als der Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten.
+Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben
+abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus
+nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, daß
+dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlaßte einen in Rom
+lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprüche auf das erledigte
+Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der
+Vertrauten des Königs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in
+dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der Prozeß
+gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen
+der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, daß der
+Senat nun den Frieden kassierte und den König aus der Stadt auswies (Winter
+643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus
+übernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die
+untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen
+politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von
+Disziplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen
+Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das
+Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht
+wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
+Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im Felde
+nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom
+römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben
+gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein übriges. Spurius
+Albinus also begnügte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach
+seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste
+als unfähige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch
+einen kühnen Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der
+schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt
+Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein
+die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, und als der König, der eine
+Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der
+römische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha
+beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des
+Terrains und Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten,
+eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils
+waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich
+her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des römischen
+Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets,
+Erneuerung des vom Senat kassierten Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und
+von den Römern angenommen wurden (Anfang 645 109).
+</p>
+
+<p>
+Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die plötzlich
+eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen Sturz der
+Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner
+unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste in Italien die
+öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche
+Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozeßsturm, der, genährt durch
+die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den höchsten
+Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius
+Limetanus ward trotz der schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht
+abzuwenden, eine außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur
+Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen
+Landesverrats, und ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen
+Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius,
+das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius
+Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige
+Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes diese Prozesse einzig
+darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten
+Personen die aufgeregte öffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise
+zu beschwichtigen, und daß dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das
+recht- und ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt
+sehr deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an
+den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern daß er
+eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der
+Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt ward. Um so
+weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu
+greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen, dem numidischen Skandal
+in der für die Aristokratie möglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn
+daß dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu
+begreifen.
+</p>
+
+<p>
+Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den
+Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch
+vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der
+Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die Erneuerung des Krieges
+ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man übergab den Oberbefehl in Afrika
+zwar wie natürlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen
+Männer, die militärisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel
+auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte,
+seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als Beamter
+ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats
+Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als
+unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber doch ein unbeugsamer,
+weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Verwalter und ein
+einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von
+seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er sich zu seinen
+Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen
+Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und
+als Urheber eines veränderten und verbesserten Exerzierreglements in
+militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen, von der Pike
+emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen
+fähigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109)
+als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
+zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie
+auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand fürchterlich war als den
+unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz. Streng und rasch wurde sie
+reorganisiert und im Frühling des Jahres 646 (108) 5 führte Metellus sie über
+die numidische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge inne ward,
+gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
+Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß man ihm
+das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und vielleicht selbst
+angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als mit der unbedingten
+Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen Klientelfürsten; was auch in
+der Tat der einzige Ausgang war, der den Römern genügen konnte. Jugurtha galt
+seit dem Sieg über Albinus als der Erlöser Libyens von der Herrschaft der
+verhaßten Fremden; rücksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die
+römische Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in
+seiner Heimat den Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die
+Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha
+nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die Anträge
+des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, ihren Herrn lebend
+oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der römische General es
+unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so
+fand er hier seinen Meister; Jugurtha durchschaute den Plan und rüstete sich,
+da er nicht anders konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig
+öden Gebirgszugs, über den der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte
+sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel
+laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare
+Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen mit
+niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt ward. Auf
+diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer. Seine Truppen standen
+in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie und die Elefanten, unter
+Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den Fluß, die andere, der Kern des
+Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt
+durch das Gestrüpp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den
+Feind in einer ihre rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und
+hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen
+konnten und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu
+lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen der
+feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom zu
+gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader Richtung an
+den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den
+Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch die Ebene auf den Hügelrücken
+zu, um den Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der
+Ebene drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn während numidische
+Infanterie im Rücken der Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie
+räumten, sah sich die römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den
+feindlichen Reitern umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das
+stete Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die
+Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte aufzulösen;
+während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das Korps unter Rufus
+festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten römischen Hauptarmee zu
+Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und Marius mit ein paar tausend
+Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu erreichen; und das numidische Fußvolk,
+das die Höhen verteidigte, lief trotz der Überzahl und der günstigen Stellung
+fast ohne Widerstand davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf
+angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es
+ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem durchschnittenen
+Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend trafen die beiden römischen
+Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder besorgt um das Schicksal des
+andern, zwischen den beiden Walplätzen zusammen. Es war eine Schlacht, die für
+Jugurthas ungemeines militärisches Talent ebenso zeugte wie für die
+unverwüstliche Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die
+strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach
+der Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf den
+kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die beiden römischen
+Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere von Marius, der, obwohl von
+Geburt und Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs
+die erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die
+Städte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte,
+die erwachsene männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den
+Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften
+Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein Überfall des
+römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich endlich genötigt, die
+Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren
+Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zurücklassung von
+Besatzungen in den eroberten Städten, in die römische Provinz und benutzte die
+Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknüpfen, indem er sich geneigt
+zeigte, dem König einen erträglichen Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging
+darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund
+Silber zu entrichten, ja sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon
+abgeliefert, ebenso 3000 römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden.
+Gleichzeitig aber wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht
+mit Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den
+Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von Metellus
+gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen Mord und großer
+Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den Römern lebendig oder tot
+in die Hände zu liefern. Indes weder jene offizielle Verhandlung noch diese
+Intrige führte zu dem gewünschten Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen
+herausrückte, daß der König persönlich sich als Gefangener zu stellen habe,
+brach dieser die Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward
+entdeckt und derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede
+sein für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten
+allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu bemächtigen.
+Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder weiterführen noch
+aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, beweist zum Beispiel der
+Aufstand der bedeutendsten unter den Römern besetzten Städten Vaga 6 im Winter
+646/47 (108/07), wobei die gesamte römische Besatzung, Offiziere und Gemeine,
+niedergemacht wurde mit Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus,
+welcher später wegen Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder
+Unrecht, läßt sich nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode
+verurteilt und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage
+nach dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
+preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und
+verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie mochte
+es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden Stämmen der Wüste?
+Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm den doppelten Brudermörder
+gern übersahen über dem Retter und Rächer der Nation. Zwanzig Jahre nachher
+mußte ein numidisches Korps, das für die Römer in Italien focht, schleunigst
+nach Afrika zurückgesandt werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn
+sich zeigte: man mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte.
+Wie war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
+Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der sich einmal
+der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den Krieg in endlosen
+Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu legen,
+um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wiederzuerwecken?
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist
+die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649
+(105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegführung als Konsul 647
+(107) begann, so führte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die
+Erzählung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem
+Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf
+(c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine
+Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in
+Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder
+als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst
+als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also die beiden Feldzüge des
+Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu
+paßt, daß Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S.
+257). Dazu paßt ferner, daß die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama
+nach dem Verhältnis, in dem sie zu Marius&rsquo; Bewerbung um das Konsulat
+stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von
+Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn
+Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.
+</p>
+
+<p>
+Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet,
+kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647
+(107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die
+Provinzen der für 647 (107) zu wählenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte
+der Senat zwei andere Provinzen und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen
+Senatsschluß stieß das 72, 7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten
+Handschriften beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo ….
+decreverat: ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat
+bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia
+et Gallia provinciae essent senatus] decreverat - oder, nach der Ergänzung der
+Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat.
+</p>
+
+<p>
+6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm
+nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten
+Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden über die Löwen wie
+über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen;
+aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war
+verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von
+Tunis, hart am Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz
+Thala 7; dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen
+Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten.
+Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in
+Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König zu folgen; Thala ward erreicht
+und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloß vernichteten die
+römischen Überläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich
+selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf
+mehr ankam, der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse
+entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber
+statt daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein
+immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien
+gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die
+Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die
+Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem
+Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht
+bloß bei sich auf, sondern rückte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen
+Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im
+Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit
+Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er
+aber beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit
+dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wußten weder
+die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht; derselbe beeilte
+sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darüber
+verließ Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluß genötigt worden war,
+seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und
+dieser übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte
+ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten
+Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich
+entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie
+die ebenso verfassungsmäßige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des
+tüchtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so
+würde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen
+Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige
+Mann, der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen regierenden
+Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht - vollkommen wie einst
+der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt
+ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von
+Metellus verhöhnt - Marius möge mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis
+Metellus&rsquo; Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und
+kaum im letzten Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647
+(107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt
+er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden
+Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso
+unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht
+verschmähte, dem lieben, ewig von geheimen, höchst unerhörten und höchst
+unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte
+Märchen aufzutischen, daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so
+lange wie möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies
+vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung
+mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft,
+verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an
+ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloß mit ungeheurer
+Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm auch, während sonst nach dem Gesetze
+des Gaius Gracchus die Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der
+Konsuln dem Senat zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung,
+die den Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien
+der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im Laufe des
+Jahres 647 (107) an Metellus&rsquo; Stelle und führte das Kommando in dem
+Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheißung, es besser
+zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an Händen und Füßen gebunden
+schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfüllt. Marius
+schlug sich herum mit den Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte
+Städte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten
+des Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm die
+Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle erwachsenen Männer
+darin töten - freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden
+Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am Fluß Molochath, der das numidische
+Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha
+seine Kasse geschafft hatte, und erstürmte, eben als er schon am Erfolg
+verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger
+kühner Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf
+angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem Soldaten
+Beute zu schaffen oder auch Metellus&rsquo; Zug in die Wüste durch eine noch
+weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegführung
+gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das
+Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des
+Jugurtha, dabei völlig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein
+ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die
+Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische
+Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es
+lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins
+Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem
+dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den
+Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das römische Heer, das vom Fluß
+Molochath wieder zurückkehrte, sah sich eines Abends plötzlich umringt von
+ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man mußte fechten,
+wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne daß eine eigentliche
+Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und
+sich glücklich schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander
+nicht weit entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen.
+Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriß
+ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der Nacht
+einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen
+Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut. Darauf setzte das römische
+Heer in besserer Ordnung und mit größerer Vorsicht den Rückzug fort; allein
+noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen
+und schwebte in großer Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla
+zuerst die ihm gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren
+Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo
+sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten. Also ward auch dieser
+Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurück nach Cirta und
+nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber
+freilich begreiflich, daß man römischerseits um die Freundschaft des Königs
+Bocchus, die man anfangs verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht
+hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste
+zu bemühen, wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite
+keine förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König
+Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit
+Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen
+Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines Bündnisses mit
+Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der König, daß
+Marius zum Abschluß des Vertrages und zur Übernahme des königlichen Gefangenen
+den Lucius Sulla an ihn absenden möge, der dem König bekannt und genehm sei
+teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe
+erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen
+Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer
+unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies wahrscheinlich zum
+Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier
+einem mehr als unzuverlässigen Mann in die Hände, der, wie männiglich bekannt,
+mit den Römern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan
+entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden
+Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen,
+überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen
+Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von König
+Bocchus&rsquo; Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht,
+als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha führte. Er wies die
+kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn
+an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte
+der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn
+endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem
+Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem
+eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht
+und er selbst gefangengenommen. So fiel der große Verräter durch den Verrat
+seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen
+Afrikaner mit seinen Kindern in das römische Hauptquartier; damit war nach
+siebenjähriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen
+des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln
+König Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650
+(104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste wenige Tage
+darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol,
+dem &ldquo;eisigen Badgemach&rdquo;, wie der Afrikaner es nannte, als er die
+Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es
+umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ sich nicht leugnen, daß
+Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, daß Numidiens
+Eroberung bis an den Saum der Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas
+Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine für einen
+ehrgeizigen Emporkömmling einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius
+ertrug es ungern, daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm;
+er brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf dem
+Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und
+doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser
+beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas
+glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen
+Scharfsinn, seine Macht über die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der
+ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese
+militärischen Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
+Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius den
+senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und
+mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militärischen
+Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen hätte - wir werden auf
+die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren
+Geschichte zurückzukommen haben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß Thelepte
+(bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich und die
+Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit östlich von
+Capsa auch nicht gehörig begründet.
+</p>
+
+<p>
+————————————————
+</p>
+
+<p>
+Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne
+weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur in denen der
+afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung hervorzubringen. Abweichend
+von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine
+römische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine
+die Grenzen gegen die Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man
+keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man
+begnügte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den
+Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das spätere
+Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu
+schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf den letzten noch
+lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Körper und Geist schwachen
+Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf
+Veranlassung des Marius seine Ansprüche bei dem Senat geltend gemacht hatte 8.
+Zugleich wurden die gätulischen Stämme im inneren Afrika als freie
+Bundesgenossen unter die mit den Römern in Vertrag stehenden unabhängigen
+Nationen aufgenommen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der sonst
+völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in
+frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas Katastrophe,
+seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch
+anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden Bericht über die Behandlung des
+Numidischen Reiches. Daß Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64)
+und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena
+(Orelli 630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die
+zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene andererseits
+bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38),
+Bell. Afr. 43, 77 und die spätere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der
+Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß
+Bocchus&rsquo; Reich bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft
+zusammenhängt, daß Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von
+Tingis (Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
+Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der Provinz
+Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert ward, zuerst 649
+(105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Auflösung des
+Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der
+ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergrößerung hinzugekommen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die
+politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der
+Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch angeschlagen
+worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des Regiments in unverhüllter
+Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloß notorisch, sondern
+sozusagen gerichtlich konstatiert, daß den regierenden Herren Roms alles feil
+war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das
+Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache
+Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug
+hätte, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze
+äußere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer
+Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in Afrika
+durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen
+militärischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die
+Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben nichts, als was jedermann
+längst wußte und jeder unerschrockene Patriot längst mit Tatsachen zu belegen
+imstande war. Daß man für die nur durch ihre Unfähigkeit aufgewogene
+Niederträchtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch
+stärkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch
+von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche
+Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre sich
+abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung
+prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war
+nicht möglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren
+637-645 (117-109) es tat, nicht möglich, wehrloser und verlorener dazustehen,
+als der römische Senat im Jahre 645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche
+Opposition gegeben, das heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der
+Verfassung wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens
+einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht;
+man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und
+schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit
+stand es also fest, daß die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren
+konnte, noch regieren wollte; daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche
+Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig
+an einer Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug
+war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft
+höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; daß
+dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war, als die
+morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das
+Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotiviert
+war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus&rsquo; Niederlage die Kurie gestürmt
+hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach
+der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von
+schlechter Führung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens
+in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten
+besten ehrgeizigen Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus
+der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen Kommandos
+gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die
+öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der sogenannten Popularpartei, ward
+zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es soll
+damit nicht gesagt werden, daß Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu
+spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem
+Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war
+augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn
+die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefähr dasselbe
+war, wenn jeder populäre Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst
+zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen
+vorläufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militärischen Männer und
+der militärischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius&rsquo;
+Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die
+Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches
+Ähnliche, als vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne
+weitere Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber
+war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur
+Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus,
+sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige
+Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach
+Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögensqualifikation absah
+und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den
+Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen
+Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger
+ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer nicht mehr, wie ehemals,
+aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die
+etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in
+einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr
+ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso
+unumschränkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden
+Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der
+Krone das Schwert aufgegangen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Die Völker des Nordens</h2>
+
+<p>
+Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die
+drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden
+Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben
+fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und
+Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder
+halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen römischen Regierung zu trotzen.
+Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie
+zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt
+und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die
+großen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich
+außerhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen,
+was römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern
+und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, die hinter jenem
+gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der
+nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-römische Welt wieder einmal
+unsanft daran zu mahnen, daß sie mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu
+besitzen.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenäen ins
+Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des Mittelmeers seit langem
+durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten
+der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen,
+westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia
+(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie den
+Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und
+politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in
+die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten
+ward im Jahre 600 (154) von den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten,
+teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil
+verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten
+fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist
+nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia
+abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen
+daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer
+und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen ähnlichen Charakter finanzieller
+Spekulation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von
+Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora
+Baltea) von den Römern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143)
+gegen die Salasser geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien,
+welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre
+Äcker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete
+Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle
+übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte endlich zu der
+Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das römische
+Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet
+die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den
+westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen
+ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius
+Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in
+dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die Bahn der
+transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um
+diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebüßt
+und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv führende Gau in
+dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee
+der Arverner 2, und es erscheint danach nicht gerade übertrieben, daß er bis
+180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst
+die Häduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem
+nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis nach
+Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter ihrer
+Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wußten viel zu
+erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkönigs Luerius, wie
+derselbe, umgeben von seinem glänzenden Clangefolge, den Jägern mit der
+gekoppelten Meute und der wandernden Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen
+Wagen durch die Städte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen
+auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem
+leuchtenden Regen erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er
+in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder
+des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos.
+In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen
+Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und
+einer verhältnismäßig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war.
+Flaccus&rsquo; Angriff traf indes zunächst nicht auf die Arverner, sondern auf
+die kleineren Stämme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die
+ursprünglich ligurischen Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich
+vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische
+Bevölkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die
+Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen
+ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), ebenso sein
+Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen,
+einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isère, der auf die Bitte
+des landflüchtigen Königs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land
+wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die
+Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig
+auszuliefern, drang Calvinus&rsquo; Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in
+ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm
+dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig Betuhus,
+jenes Luerius&rsquo; Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
+Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in
+einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Römer Miene machten,
+die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung
+an, deren Zurückweisung zur Folge hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den
+Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für
+die Römer. Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
+Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in
+Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der südlichen
+Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in die Rhone, ward am
+8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die über die Herrschaft im
+südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der
+abhängigen Clans auf der über die Rhone geschlagenen Schiffbrücke an sich
+vorüberziehen und gegen sie die dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah,
+soll ausgerufen haben, daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des
+Keltenheeres zu sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna,
+erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter
+der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des größten Teils
+der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu
+leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und denen er selber riet, mit
+Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe,
+fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurückging und die nicht mehr
+ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf
+König Betuitus persönlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe,
+sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise
+der Person des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des
+Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann festhielt,
+sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom
+zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, daß der fast schon
+beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium
+(oberhalb Avignon) am Einfluß der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten
+Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es
+waren diesmal hauptsächlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer
+zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war
+in dem Keltenland wiederhergestellt 3.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen läßt
+(rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so
+bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und
+Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten
+im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von
+Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke
+Ausfuhr von Öl und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten
+Jahrhundert der Stadt ist bekannt.
+</p>
+
+<p>
+2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von
+Clermont.
+</p>
+
+<p>
+3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und
+Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge führen Florus und
+Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils dadurch, daß Maximus nach dem
+Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte,
+teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus
+vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den
+Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß die
+Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben muß als die
+gegen die Arverner allein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer neuen
+römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die sämtlichen
+Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Römern abhängig
+und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Römern
+tributär. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenäen behielten die
+Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein
+sie hatten den südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den
+Strich südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der
+Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der nächste
+Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien
+und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt für die
+Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der
+Küstenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten,
+die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen
+mit der Verpflichtung, die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der
+Rhone bis zu den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die
+von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie
+gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im
+östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten
+geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die
+zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand
+eine römische Ortschaft, die &ldquo;Bäder des Sextius&rdquo;, Aquae Sextiae
+(Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich an, einer
+uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in geringer Entfernung
+vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch
+die Römer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter
+Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern
+blieb ein stehendes Lager 4; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als
+Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegründet, ward als
+&ldquo;Marsstadt&rdquo; römische Bürgerkolonie und der gewöhnliche Sitz des
+Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch
+häufiger genannt wird, der Provinz Narbo.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab.
+4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834,
+S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so ist zum
+Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches
+Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes römisches Lager und eine sehr
+ansehnliche Ortschaft.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen
+veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und unermeßliches Gebiet für
+ihre Kolonisationspläne eröffnen, das dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und
+Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die
+sizilischen und libyschen Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des
+Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der
+Eroberungen und mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in
+vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das
+gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher Ansiedelung der
+Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben
+als unfertige, aber den künftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung
+des Baus mahnende Ansätze stehen. Offenbar schützte die römische
+Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen
+Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.
+</p>
+
+<p>
+Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von
+Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch
+unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die
+Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem ehemaligen
+Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit früher.
+Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an
+der Küste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum
+zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von
+Flußtälern noch von Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig
+aneinandergereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden
+Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als
+zusammenknüpft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich
+hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren
+wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher Kulturentwicklung
+gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und teilte den Acker,
+ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
+unter die gemeinsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen
+heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem
+losen Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren
+insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin
+Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Königs
+Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen,
+das das südliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und
+es von Rom dauernd abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende
+Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier,
+namentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten,
+und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion
+(Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten,
+nötigten die römische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da
+diese die Antwort zurückbrachte, daß die Dalmater um die Römer weder bisher
+sich gekümmert hätten noch künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer
+unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien
+ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein
+Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste Stadt
+Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte
+als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur oberflächlich
+unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu
+werden; man begnügte sich, wie man es schon für die wichtigeren Besitzungen in
+Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich
+verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im
+Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche
+Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war 5.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien,
+streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige
+Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im Nordosten größere
+Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung auferlegte, die überall
+offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu
+verteidigen; und in ähnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die
+Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones
+(Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende
+Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, gleichfalls auf
+die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die
+makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt ernstlich gegen das
+Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der nördlichen Gebirge
+wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen
+Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste
+Nation das große Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen
+Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in
+das Potal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der
+Donau ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins
+die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich unmittelbar
+berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom
+Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und
+Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze
+das heutige Bayern und Böhmen gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen
+begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter
+dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter
+dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von
+Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend
+eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die
+Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager,
+bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit
+für sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergießenden
+keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und
+Hügelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der
+Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher
+dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre
+Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter dem
+Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der
+Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an diesem letzten
+Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler
+Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den
+keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst
+friedliche Untertanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren
+nicht bloß noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig
+Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht
+begnügten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
+fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche
+Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die
+tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie
+gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben um das
+Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits
+diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen
+Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung, wie
+begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften
+an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als
+natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren
+letzter reiner Überrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war
+durchgängig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und
+die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst
+an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im
+heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein ursprünglich wohl
+illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral
+die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht
+eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen
+Skordisker, denen das ehemals hier vor allem mächtige Volk der Triballer
+erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle
+gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und
+Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Mösien,
+Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen
+Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste
+Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker, die
+damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien saßen, blieben für jetzt
+noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man
+sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+6 &ldquo;Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem
+Rhein und dem Main wohnten die Helvetier&rdquo;, sagt Tacitus (Germ. 28),
+&ldquo;weiterhin die Boier.&rdquo; Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt
+an, daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen
+Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Böhmerwald. Wenn
+Caesar sie &ldquo;jenseits des Rheines&rdquo; versetzt (Gall. 1, 5), so ist
+dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhältnissen
+ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Bodensee meinen;
+womit vollkommen übereinstimmt, daß Strabon die ehemals boische Landschaft als
+dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner
+des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst
+festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren
+Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon
+vor Poseidonios&rsquo; Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben
+irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu
+den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue
+Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft
+aber, die sogenannte &ldquo;boische Einöde&rdquo;, den Namen dieses
+geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es war, keine
+leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine
+geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den
+Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, genügt
+auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner
+scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die
+Stöner, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659
+(95) ließ der Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern
+und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben
+genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den
+Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei derartigen Razzias
+bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschädlich zu
+machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Überlauf die Truppen wieder
+wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen,
+wie er war.
+</p>
+
+<p>
+Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die
+Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte mit den
+Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den Grenzgebirgen zwischen
+Makedonien und Thrakien erwähnt werden.
+</p>
+
+<p>
+Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die unruhigen
+Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See beständig
+Beschwerde geführt ward; und an der völlig offenen Nordgrenze Makedoniens,
+welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Römers so weit ging als die
+römischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn
+niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer
+und die Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral
+nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an der
+gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer siedelten sie
+von der Küste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen
+den Acker zu bauen, verkümmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten
+Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker
+gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern
+gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der
+Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
+der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich eine
+Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach Dalmatien
+hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von Aquileia; die
+Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft
+lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 119) die Dalmater sich
+aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Während gegen diese
+der Konsul Lucius Cotta kämpfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica
+vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten
+von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und
+überwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz
+der Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in
+diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von Salona in
+östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwärts
+führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des
+Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7;
+er überstieg, der erste unter den Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer
+niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern
+Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward,
+ohne daß doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen
+haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen worden
+wären.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist
+statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen kürzlich
+in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr
+Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder
+zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens
+Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer
+diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius
+mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden
+war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König der Mäder
+(am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals ein, und mit Mühe
+erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8. Die Dinge nahmen bald
+eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, konsularische Heere nach
+Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640
+(114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern
+überfallen und sein Heer vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen
+schimpflich entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische
+Grenze. Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642
+113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische
+Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647
+110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker
+nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde
+wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische Gebiet und plünderten
+sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem
+zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinüber auf
+das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die
+ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze
+Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4
+Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636
+(118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Prätor
+Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwähnt wird, kann kein anderer sein als der
+Großvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters
+Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird
+hervorgehoben, daß Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ,
+ihre Kontingente aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren
+zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch
+stehende römische Besatzung erfordert.
+</p>
+
+<p>
+9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen
+(CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167),
+so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38)
+sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit,
+qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige
+Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643
+(111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).
+</p>
+
+<p>
+^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius
+besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von
+Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt.
+</p>
+
+<p>
+^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und Dardaner zum
+Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind
+seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schließliche
+Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις Κελτούς πείρας stattgefunden hat,
+so scheint dies von einem zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und
+den Skordiskern verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht
+lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von
+dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind.
+Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Bürgerkriege, also
+wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzählung hervor. Sie
+fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn
+vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es
+möglich, daß es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist
+weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres
+671 (83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich
+verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit
+längerer Zeit irrte ein &ldquo;unstetes Volk&rdquo; an dem nördlichen Saum der
+zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten
+sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die Kämpen oder, wie ihre Feinde
+übersetzten, die Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor
+ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen
+unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in
+Böhmen. Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die
+Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine Mutmaßung
+ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main
+und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen.
+Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich
+anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der
+keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich zurechneten, sondern
+der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier
+kleiner gleichnamiger Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen
+zurückgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im
+nordöstlichen Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
+Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die
+Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Völkertafel unter den
+Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Römer den
+Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren
+er selbst noch manchen gesehen haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die
+Völkernamen selbst und die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges
+Wesen, die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die
+Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm,
+nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf
+seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich
+anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich
+schloß; so daß es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze
+der Kimbrer stehen oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen,
+um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die
+Römer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch
+nicht ein &ldquo;heiliger Lenz&rdquo; in die Fremde wandernder junger
+Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und
+Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den
+noch nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung
+hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten
+durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter
+dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich fand für die Frau und
+die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwunderung
+diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen
+Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig
+nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die
+flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war
+wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die
+italischen, barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit
+kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen Wurfwaffe,
+der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der lange schmale
+Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es
+nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die
+Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie
+breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht
+selten die metallenen Leibgürtel mit Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren
+rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und
+womöglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und
+überhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde
+ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum
+Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des
+Feindes durch unschickliche Gebärden und ein entsetzliches Gelärm, indem die
+Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken
+auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm
+doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes
+würdig war -, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
+Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, darzubringen,
+was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann wurden die Geräte
+zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur
+aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen,
+greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia
+im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten
+Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten
+allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt,
+wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise,
+nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten
+zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen
+die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knäuel mannigfaltigen
+Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich
+zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in
+unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins
+Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der
+Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und
+Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die
+Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend,
+bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein
+Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand
+sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter,
+der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man
+später anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste
+deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist,
+war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten große
+Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer
+veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die
+ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf Überlieferung oder Vermutung
+sich gründet, ist doch nicht zu entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau,
+namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden vorzudringen,
+durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern gegen die Donaukelten
+gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu
+Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff
+der Römer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch
+das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie im
+Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der Konsul
+Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier
+hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich diesseits der Alpen
+anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den schon okkupierten Boden
+ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen
+Völker vor dem römischen Namen sich mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja
+sie fügten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker,
+räumen hieß, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und
+folgten den Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu
+geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen
+Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im
+heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über den Verräter siegten und
+ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kämpfenden
+trennte, verhinderte die vollständige Vernichtung der römischen Armee. Die
+Kimbrer hätten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten können; sie zogen
+es vor, sich westwärts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den
+Sequanern als durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke
+Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos
+Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die Rheingrenze und
+das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im
+südlichen Gallien ein römisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer
+baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine
+Bitte, die sich allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller
+Antwort sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert.
+Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, stießen
+bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die Aufhebung der
+vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst
+der Zeit nach einschränkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren
+Sieg gegen die Römer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um
+Anweisung von Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es
+scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor
+den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den
+Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die
+Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren nordöstlichen Nachbarn viel zu
+leiden hatten, fühlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls
+im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und
+hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu
+mit ihnen verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften
+der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den Jura
+^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne).
+Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier
+stießen, ließ sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der
+Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil
+der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der
+Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte
+auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die
+Truppen mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich
+standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der
+wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische Besatzung in
+Fesseln schlug.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern
+zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, 293 nicht
+stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die
+Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer Weise trümmerhaft, daß
+eine zusammenhängende Geschichtserzählung, völlig wie bei den Samnitischen
+Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefähre Richtigkeit.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die
+Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter belästigten, hatte der
+neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt
+Tolosa durch Verrat wieder zu bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum
+des Keltischen Apollon von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße
+zu leeren - ein erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß
+leider die Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
+schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und spurlos
+verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses Überfalles der Konsul
+selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschränkte man sich gegen den
+Hauptfeind auf die strengste Defensive und hütete mit drei starken Heeren die
+römische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu
+wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal
+ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten
+Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und
+unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
+Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig
+geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der
+kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des gefangenen Römers, sich
+nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstieß. Maximus befahl
+darauf seinem Kollegen, sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich
+fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses,
+wo nun die ganze römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm
+durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen
+zu unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis.
+Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und
+besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio
+von Rechts wegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein
+gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu
+beraten, und behauptete nach wie vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich
+versuchten Abgeordnete des römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch
+eine persönliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen,
+erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer
+verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein
+zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den
+Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch das Lager dem Feinde in die Hände
+fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollständige
+Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische
+Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen,
+nur zehn Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den
+beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im Rücken
+gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag
+von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus
+waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck vorübergegangen. Man war es
+schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der
+römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die
+ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
+den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde
+Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen als auch
+bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende Insurrektion, der
+wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen. Man
+gedachte wieder der nie völlig vergessenen Keltenstürme des vierten
+Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten
+Gewalt zugleich ältester Erinnerung und frischester Angst kam der
+Gallierschreck über Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden,
+daß die Römerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht
+wurde durch Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen
+stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen Italiker
+mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der in den italischen
+Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an
+Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer
+sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerückt
+wären. Indes sie überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in
+ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
+Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die Pyrenäen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich selber zu
+einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt eintreten, wo durch
+einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die Geschichte Roms so reich ist,
+die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der
+Bürgerschaft aufzurütteln, und doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen
+Kräften kein Raum geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten
+sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den
+afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen
+und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, daß zunächst
+jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last
+fielen; allein die öffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen
+Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung
+zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte.
+Man täuschte sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels,
+allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an
+der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die Schuld trug;
+aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung
+zu ziehen - nur entlud freilich über den Häuptern der Oligarchie dies zweite
+Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649
+(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das
+instinktmäßig sichere Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein
+Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig
+einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu
+zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine
+Diktatur zu stürzen.
+</p>
+
+<p>
+Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit
+Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine Unbotmäßigkeit
+herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber
+nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut,
+die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daß er als
+Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu
+entreißen. Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im
+schlechtesten Gefäß die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während
+gegen den Urheber des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust
+verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch
+Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in denen das
+Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein Vermögen von der
+Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch
+einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen (650 104). Aber dies genügte
+nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl
+oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius
+Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in
+Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht
+niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
+Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht
+unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen und zu
+vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession
+den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt
+aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des
+Senats durch Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und
+der Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor;
+Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche
+andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang es einem mit Caepio
+befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen
+Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermögenseinziehung
+verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht
+von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Daß
+zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich,
+zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag,
+daß Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle
+(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem
+causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus;
+wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt,
+daß ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese
+Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das
+Appuleische Gesetz über die geschmälerte Majestät des römischen Staates (Cic.
+De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd.
+2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus&rsquo; Antrag
+auf Niedersetzung einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der
+während der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die
+Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74)
+entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort
+weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche Richterbestechung aus dem
+Mucischen von 613 (141), die über die Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem
+Peducäischen von 641 (113), die über den Jugurthinischen Krieg aus dem
+Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von
+dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst
+Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
+anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das
+Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur Verantwortung gezogen
+ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so
+ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewöhnlich, von
+mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197),
+und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken
+konnte, Vergeltung zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser
+zweiten und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche,
+sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach
+der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher zurückgewiesen worden. Sie
+beruht lediglich darauf, daß Crassus als Konsul, also 659 (95) für Caepio
+sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter
+tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659
+(95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde
+für diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß
+sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen
+dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17;
+App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male
+Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die
+sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für das erstere Jahr, teils weil
+dies den Unglücksfällen in Gallien näher steht, teils weil in den ziemlich
+ausführlichen Berichten über Saturninus&rsquo; zweites Tribunat Quintus Caepio
+des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird.
+Daß die infolge der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen
+Beute an den Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten
+Tribunat für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill.
+73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und
+kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das
+zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus übertragen worden sein.
+</p>
+
+<p>
+Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm
+mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen Prozeß
+dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem
+Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spätere
+Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg
+jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem darin die
+Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war
+es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit
+früheren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten
+doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius
+in den Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in
+Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen
+Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber
+die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in
+ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und
+tüchtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher
+möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die
+Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
+Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig bankrott, daß
+ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mußten, sowie
+es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als
+Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu
+lassen. Es war kein Wunder, daß, was nach den Siegen des Metellus geschehen
+war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und
+Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat
+mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt
+und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der Spitze des dortigen
+Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg
+übergeben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100)
+wieder und wieder das Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie
+ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner
+ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität,
+aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat mit dem
+Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich
+in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene
+Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar Marius während seines
+fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner
+Bestallung unumschränkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die
+tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten
+demokratischen Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.
+</p>
+
+<p>
+Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der
+Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kühne
+Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von
+zahlreichen Scharen italischer und bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand
+er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute,
+die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward,
+nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die
+Pyrenäen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern
+der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen
+ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der
+Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen
+Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, die schwankende Treue der untertänigen
+gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie
+außerhalb der römischen Provinz von den gleich den Römern durch die Kimbrer
+gefährdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den
+Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch
+strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe
+das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte
+Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten
+überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem
+Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere Kriegsarbeit
+tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und überschritt
+nicht die Grenzen der römischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des
+Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem
+tapferen Widerstand der eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer
+sich gebrochen hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es
+scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich
+unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der
+tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand;
+allein eben auch hier, während sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen)
+standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier,
+darunter die Tigoriner und Tougener, welche früher an der Garonne gegen die
+Römer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den
+Kimbrern, sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
+ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus ihrer
+Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16. Aber auch die
+vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu
+überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen
+Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes
+anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen,
+wurde dasselbe hier zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000
+Mann, aus denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der
+Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
+Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die Massen lösten
+sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und
+Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im Jahre 641 (113)
+erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die
+Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewährte kimbrische
+Kernschar der Ambronen, durch das römische Gallien und die Westpässe nach
+Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652
+(102) abermals ungehindert die Rhone überschritt und am linken Ufer derselben
+mit den Römern den Kampf nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius
+erwartete sie in einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß
+der Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals
+gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und die an
+der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an,
+das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren
+um die römischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der
+Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn.
+Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm
+aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß nach Italien zu marschieren. Sechs Tage
+hintereinander zogen sie daran vorüber, ein Beweis mehr noch für die
+Schwerfälligkeit ihres Trosses als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ
+es geschehen ohne anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob
+die Römer nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ,
+ist begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen
+Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht benutzte um zu schlagen,
+zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten vertraute. Als der Zug vorüber
+war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger
+Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der
+Küstenstraße zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die
+Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen stießen
+hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der feindlichen Nachhut,
+den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf
+siegten die Römer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg.
+Dieser erste glückliche Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den
+Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze
+das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die
+Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort
+den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum
+Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der
+provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem
+Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben aus einem waldigen Versteck mit
+gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der
+schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in
+dem fremden Lande, entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der
+König Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit
+der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in
+verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der
+Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Götter und der
+heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten
+(Sommer 652 102).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig
+zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist:
+reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens,
+mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon früher, zum
+Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern
+auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2,
+4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien
+nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen
+deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet, waren die
+Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten
+die Alpenkette auf dem Brennerpaß überschritten und waren von da durch die
+Täler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte
+der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht
+völlig kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in
+die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch
+sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung
+einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus
+den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und
+Legionäre und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene
+auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not
+brachte Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist
+wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die den
+oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen die Brücke
+hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit dem Heer den Rückzug
+abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer
+zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte,
+kapitulieren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß
+und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich
+durchschlug. So war das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet;
+allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten
+Rückzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des
+Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der
+Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit Aquileia nur zur See
+noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es
+zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam.
+Hätten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in
+eine sehr bedrängte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten,
+blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die
+ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen
+reichlichen Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu
+lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften in
+Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst
+wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie
+Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem
+Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po geführt und nach
+kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach
+völliger Überwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den
+vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann
+stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und
+zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein
+scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb
+Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine
+erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere
+aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte
+gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen
+und nannte den nächsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische
+Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen
+vorteilhaften Spielraum fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch
+überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei
+im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward von
+ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit
+geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer
+vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die
+meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die,
+die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem
+Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mußten, der dem einzelnen Nordmannen die
+Dreistigkeit vergalt, des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit
+war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um
+den Kimbrern später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage
+in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau
+bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte
+unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der
+deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der
+Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das Schlachtfeld
+nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß zwischen den Gefechten an
+der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache
+Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut.
+Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am
+Po (Hier. chron. a. Abr.) und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d.
+h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide
+ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kümmerlichen
+Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern,
+davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu
+geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms
+Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren,
+die nicht bloß politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen
+Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort
+nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht
+behaupten, daß das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe
+und daß von seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen
+eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der Stadt
+Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius tausend
+geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als
+der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloß, weil er kraft
+seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl geführt hatte
+und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit
+überlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat
+nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der
+damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern
+und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius&rsquo; Namen
+knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und
+gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut seiner Worte fast
+wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet
+und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger
+als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten
+aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben
+war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht
+bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der
+Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, daß man
+wieder ungestört jenseits der Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den
+Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus&rsquo;
+blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das
+Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war
+dem Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister
+erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele
+von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese
+Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tagelöhners von
+Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefürchteten und
+vielersehnten zweiten Revolution?
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus</h2>
+
+<p>
+Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in
+dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae
+Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen &ldquo;Mariusheimat&rdquo;
+(Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen
+Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang
+zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte,
+Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde
+schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und
+hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier
+emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals
+dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere
+Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht
+und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben
+und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich
+betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen
+Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren
+Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen
+und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche
+Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem
+altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und
+nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er
+als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs
+neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im
+Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den
+Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur
+Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre
+650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik
+beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen
+diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In
+seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen
+Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit
+und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen
+geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des
+römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen
+fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt
+und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber
+kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische
+Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein
+die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals
+bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu
+verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen
+Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte
+darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut,
+sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht
+wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter
+Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den
+Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen
+Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen
+eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war
+nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie
+zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
+Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
+löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken
+von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im
+Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war
+nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein armer Mann, sondern, was
+schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und
+Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern,
+besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen
+schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand
+und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den
+griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war vermutlich
+nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv.
+So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener
+Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem
+empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er
+denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der
+Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in
+seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der
+Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden
+Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das
+Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der
+demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft
+verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und
+Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der
+Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung
+getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als
+Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren
+Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der
+Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte
+als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
+(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in
+der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so
+über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu
+feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer
+Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom
+gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können;
+sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an;
+bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine
+Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische
+Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der
+Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm
+Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter
+schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins
+Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und
+sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von den kleinsten - nach dem
+Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie
+Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann
+von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht
+hätte. Marius&rsquo; Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet.
+Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem
+ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu,
+Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das
+hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht,
+wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde
+gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende
+Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine
+militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner
+ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der
+Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden
+wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
+Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren
+Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum
+Volksführer ihm abging, allerdings entraten.
+</p>
+
+<p>
+Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis
+auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung,
+die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die
+Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen,
+wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer
+verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden
+auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen
+unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie
+nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die
+Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den
+Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem
+Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten,
+Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen
+Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen,
+indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht
+vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das
+römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten
+Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht
+mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und
+mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand
+überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel
+der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden,
+andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch
+wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse
+der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius
+tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in
+dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren
+höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen
+beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit
+geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur
+noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an
+verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit
+gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge
+schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig
+waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht
+wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden
+schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die
+außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte
+afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer,
+die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer
+Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich,
+während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten
+ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des
+arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen
+Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht
+schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der
+politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen
+überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die
+Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der
+Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach
+Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige
+Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger
+den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107)
+tat.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf
+Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis
+dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der
+Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der
+Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine
+besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch
+verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der
+Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes
+Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer
+überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation,
+um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das
+Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit
+wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung
+damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen
+des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches
+Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
+Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue,
+von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus
+(Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß
+dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich
+steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen
+übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward
+eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer
+Infanterie, die - jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden
+ersten und je 30 Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit
+gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und
+jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich
+gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann
+erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000
+Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn
+bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in
+Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die
+drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig
+die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der
+einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die
+bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie
+waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen
+Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der
+silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen
+bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den
+Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte
+sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine
+bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des
+Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen
+Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische
+Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen
+Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des
+gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos
+demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward,
+dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen
+können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens
+gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und
+Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen
+Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese
+Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen
+Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die
+des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem
+(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren
+Sold und größeres Ansehen.
+</p>
+
+<p>
+Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings
+wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger
+das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die
+vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen
+gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen
+Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet
+hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des
+ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
+Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine
+vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte
+zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger
+war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte
+schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten
+Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch
+wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst,
+besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur
+mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres
+Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen
+Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen
+Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der
+ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das
+gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen
+geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren
+Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick
+allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den
+nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
+wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen
+als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das
+Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der
+Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem
+Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung
+wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig
+verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die
+Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren
+Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem
+Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch
+andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man
+hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen
+Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der
+künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um
+den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler,
+den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.
+</p>
+
+<p>
+Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden
+Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es
+war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens
+nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der
+Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung
+alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch
+und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige
+Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das
+Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der
+restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr
+war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts
+besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge
+die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution
+das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie
+kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn
+des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen
+ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten
+Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne
+jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn
+irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der
+populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch
+seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats,
+empfohlen - wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür
+halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich
+oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten
+geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch
+die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung
+der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650
+(104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte
+wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an
+einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein
+praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.
+</p>
+
+<p>
+Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte
+die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder
+auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg;
+dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es
+ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht
+einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so
+macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer
+anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber
+trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
+harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im
+Hinblick auf Gracchus&rsquo; leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und
+auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz
+einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten
+Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig
+verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer
+tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
+wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen
+von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes
+noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und
+daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu
+beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben
+würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den
+ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben
+am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und
+einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.
+</p>
+
+<p>
+Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer
+und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der
+Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an
+sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei
+und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der
+siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und
+Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach
+langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem
+langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich
+verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt
+nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre
+treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden
+und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation
+auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten
+keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen
+Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen
+Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens,
+die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische
+Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die
+Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius
+Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der
+Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der
+Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein:
+entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten
+und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit
+mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der
+Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß
+nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten,
+und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen
+sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der
+ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner
+Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen
+Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten
+Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung:
+sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein
+gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit,
+aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch
+sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst
+nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war
+und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war
+als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch
+Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter
+Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der
+Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der
+herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte
+den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt
+als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel
+hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs
+Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache
+gebracht - diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten
+fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger
+Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur
+bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten,
+bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus
+Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem
+Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur
+gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er
+hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen
+trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die
+lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102)
+durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und
+der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus,
+freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit,
+in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu
+widerlegen.
+</p>
+
+<p>
+Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem
+siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich;
+die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius&rsquo;
+früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und
+erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für
+654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat,
+Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die
+beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des
+minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um
+Marius&rsquo; und Saturninus&rsquo; Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem
+in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die
+Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und
+unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die
+gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es
+nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in
+den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei
+proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann
+derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem
+wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden
+haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich
+auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia
+als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus,
+sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite
+Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter
+beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu
+vollenden.
+</p>
+
+<p>
+Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie
+verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen,
+also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre
+ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus
+der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der
+aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden
+Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch
+allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment
+unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei
+verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als
+Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654
+100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der
+Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der
+italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen
+Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100
+Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in
+der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische
+Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in
+weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen
+Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen
+besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen
+Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu
+diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius
+berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten
+oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der
+neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die
+Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen
+Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im
+ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den
+Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen
+Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang,
+die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden
+Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen.
+Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen
+Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward,
+tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der
+Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch
+von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das
+Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der
+sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius
+entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen
+dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr
+wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine
+militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber
+doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter
+denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem
+zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden
+offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische
+Ackergesetz setzt die Schrift &lsquo;De viris illustribus&rsquo; (73, 1) mit
+Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher
+erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört
+unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind
+nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich
+vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man
+den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen
+gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem
+Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht,
+auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte,
+sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine
+verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende
+Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen,
+welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das
+wohl schon 651 (103) auf Saturninus&rsquo; Antrag niedergesetzte Spezialgericht
+über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen
+Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen
+Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den
+römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf
+eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den
+Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch
+die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern
+auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den
+Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch
+hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich
+diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.
+</p>
+
+<p>
+Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der
+Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat
+mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen
+müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze
+tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die
+Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei,
+durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die
+Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat
+werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner
+der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio,
+vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich
+seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener
+Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten
+des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren,
+sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang
+es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen
+Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob
+der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach
+dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf
+getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen
+Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es
+vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den
+besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch
+Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der
+jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149),
+dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu
+hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel
+664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar
+wohl ihn überlebt haben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als
+gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der
+ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen,
+aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen
+Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich
+vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur
+Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der
+Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war,
+der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber
+der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt;
+daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war,
+auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber
+scheitern mußte.
+</p>
+
+<p>
+Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die
+Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug;
+denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der
+große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern
+gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die
+Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung
+hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener
+des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie,
+die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu
+bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in
+Saturninus&rsquo; erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den
+Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum
+Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei
+war. Es wäre Marius&rsquo; Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser
+Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie
+nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er
+das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als
+handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern
+die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen
+Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken
+über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus,
+wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden
+kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine
+Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit
+der Bourgeoisie zu versöhnen.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des
+Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius&rsquo;
+mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die
+entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten
+durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob
+der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum
+Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person.
+Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen,
+erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein
+ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte
+Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise
+politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen
+reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es
+gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern
+seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen
+mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe,
+dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die
+Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation
+entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei - ein
+Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein
+Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius
+bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen
+Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler
+halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor,
+wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid
+selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur
+gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit
+der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt
+ward.
+</p>
+
+<p>
+Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn
+entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die
+Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um
+sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte
+Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen
+Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm
+wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit
+beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das
+von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin
+bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in
+der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen.
+Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten
+und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und
+damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder
+nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten
+nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus
+wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten,
+Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um
+dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in
+ihrem Sinne entschieden und Marius&rsquo; Versuch, den falschen Tiberius
+Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem
+gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die
+Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug
+ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem
+Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im
+vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die
+Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius,
+derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von
+einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die
+Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um
+Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf,
+einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er
+von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für
+die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst
+aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und
+militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der
+Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im
+Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie
+mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und
+rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt es
+wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die
+neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es
+auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb
+der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen
+Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf
+das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu
+ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen
+Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus
+der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul
+geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor
+der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht
+mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des
+Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte,
+deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit
+den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden
+und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier
+Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und
+eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer.
+Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich
+geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten,
+die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos
+unterzugehen.
+</p>
+
+<p>
+Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die
+Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war
+das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die
+jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer
+fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung
+gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte;
+am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand
+und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das
+Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und
+vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder
+aufgelöst, was unter Gaius Gracchus&rsquo; gewandter Hand sich zusammenfügte;
+allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung
+zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie
+der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm - nur um so
+kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen,
+der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer
+noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn
+bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal
+wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie
+er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der
+triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu
+sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine
+Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben
+und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im
+Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu
+intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm
+fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß
+der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward,
+immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in
+seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte,
+und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine
+Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht,
+unbedeutend und unschädlich erschien.
+</p>
+
+<p>
+Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe
+Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des
+Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der
+rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den
+oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als
+wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im
+Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das
+Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für
+ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht
+ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil
+Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular
+Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund
+seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die
+Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob
+sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter
+erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War
+man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch
+nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen
+Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das
+bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und
+staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und
+noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen
+Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun
+zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern,
+und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern
+und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich
+entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von
+ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum
+Krieg rüstete gegen Rom.
+</p>
+
+<p>
+Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die
+römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den
+Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich
+gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren
+Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter
+Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre
+656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul
+Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß
+das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die
+wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der
+festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung
+auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und
+energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat,
+wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war
+das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen.
+Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die
+Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand
+sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu
+einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der
+Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und
+Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent
+darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das
+Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte
+der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß
+jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie
+schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98)
+machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche
+vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines
+Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige
+Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige
+Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und
+offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden.
+Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz
+ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie
+nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung
+geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit
+der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die
+Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu
+vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die
+regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt
+wiedereinzusetzen.
+</p>
+
+<p>
+Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung
+der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war
+von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen
+Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz
+nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu
+verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung
+entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so
+unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen
+Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige
+Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich
+zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der
+entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person
+entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich
+seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste
+Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer
+Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter
+allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als
+Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular
+Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen
+Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu
+machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und
+Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten,
+sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten
+todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen
+alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte
+sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die
+Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen
+möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und
+vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor
+Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten
+Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht
+durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia
+habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter
+ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines
+gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den
+Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche
+Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach
+und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung
+stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur
+Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte
+begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte
+daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit
+seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen
+Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs
+der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz
+gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die
+senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen
+Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der
+angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats,
+der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward;
+nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war.
+Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu
+werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor
+den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission
+ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der
+offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und
+sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen
+zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf
+Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die
+römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden
+Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in
+Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich
+Gaius Gracchus&rsquo; ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines
+Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde.
+</p>
+
+<p>
+Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei
+noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch
+Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in
+sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende
+politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von
+vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien
+eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus,
+der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an
+sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor
+zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die
+Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich
+seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung
+bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den
+Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch
+der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch stolzer Mann,
+der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber
+auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde,
+der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet,
+die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten
+Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und
+Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den
+geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr
+geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche
+Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er
+nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung
+in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu
+legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner
+Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
+Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte
+keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an
+entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich
+bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie
+früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und
+Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den
+zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser
+Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war
+die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber
+allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den
+Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes
+gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer
+fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder
+auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen,
+wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal
+nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen.
+</p>
+
+<p>
+Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus
+zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme
+von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten
+Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der
+Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden,
+sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der
+nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu
+berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes
+Drusus&rsquo; Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine
+Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und
+durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu
+erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer
+verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren,
+sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die
+Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
+Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
+Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische
+Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite
+ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen
+Gaius Gracchus&rsquo; Verfassung beruht hatte - ein seltsames und doch sehr
+begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis
+gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das
+besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung
+früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches
+Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den
+Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der
+Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das
+Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle
+diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur
+darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der
+Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die
+Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien
+Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando
+gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und
+jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich
+nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie
+Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand
+zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam,
+daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß
+alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung
+gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus&rsquo; eigenem Ausdruck,
+nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war
+es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene
+Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum
+römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die
+reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und
+rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die
+Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an
+den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne
+suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden
+großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den
+Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus
+beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des
+Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt
+werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der
+Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen
+Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch
+persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen
+Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer
+patriotischen Bestrebungen zu begegnen.
+</p>
+
+<p>
+Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von
+denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen
+Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen,
+vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und
+Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und
+würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der
+Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes
+durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte
+deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also
+alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt
+wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und
+durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten
+großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu
+Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem Drusus den
+Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch
+den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als
+seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen;
+allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen
+anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als
+dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der
+Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus
+diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die
+Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag
+zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen
+Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat
+umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von
+Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul
+ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem
+großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl
+Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere
+Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus&rsquo;
+Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach
+jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern
+angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten
+mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über
+Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten
+Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem
+Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den
+von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn
+weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den
+Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte
+Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität
+in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren
+Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als
+der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte.
+Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu
+erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte
+wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch
+Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die
+Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte
+man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich
+nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie
+gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er
+plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn
+getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der
+Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt
+hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
+derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich
+selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die
+demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der
+Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem
+Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst
+wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine
+Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu
+stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden;
+er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine
+Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das
+Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne
+italische Land verheert hat.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution</h2>
+
+<p>
+Seitdem mit Pyrrhos&rsquo; Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für
+ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt seit fast
+zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in Italien bestanden,
+ohne daß es selbst unter den gefährlichsten Verhältnissen ein einziges Mal in
+seiner Grundlage geschwankt hätte. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der
+Barleiden, vergeblich die Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden
+versucht, die italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige
+Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und
+an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos erschienen und hatte mit dem
+besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertänigkeit dreier Weltteile
+erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl verändert, aber
+eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich
+im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere
+Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen
+Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und mehr noch
+der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der
+finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und
+dieselben Vorrechte genossen wie die römischen Bürger und also die materiellen
+Vorteile des politischen Übergewichts der Römer großenteils auch ihnen zugute
+kamen. Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens
+nicht zunächst abhängig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
+bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie
+Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in denen derselbe
+noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten hatte - ähnlich wie
+sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen römischen
+Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die politische Zurücksetzung ward
+immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter
+Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche
+unter dem Namen der Souveränität den italischen Gemeinden vertragsmäßig
+zustand, wurde von der römischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff,
+den die römische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den
+besser gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht
+bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekämpft,
+sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die
+Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mußten,
+die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesamte
+Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als
+wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte.
+Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts,
+welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen
+sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der
+wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiß
+und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg
+geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats
+enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht
+zustand, an die bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem
+Verhältnis die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst
+angezogen werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben;
+allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl
+Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevölkerungsverhältnis
+wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Bürgerschaft sich verändert
+hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig
+gesteigert, so daß man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst
+vorzugsweise aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei
+Bundesgenossen aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die
+bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden
+obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit Recht
+über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise
+ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der
+Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben
+sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein
+Konsul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten
+stäupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte,
+die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und
+ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren in
+Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und
+wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie
+Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen
+römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich über dessen Sänfte erlaubt
+hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Sänfte zu Tode
+gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen
+Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche
+Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche
+Genugtuung für solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht
+leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des
+römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß infolge
+dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung die Spannung,
+welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen
+italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so
+doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam
+erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner
+konnte den Picenter daran erinnern, daß sie beide in gleicher Weise &ldquo;den
+Beilen unterworfen&rdquo; seien; die Vögte und die Knechte von ehemals
+vereinigte jetzt der gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem
+leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die drückendste
+Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren
+Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die römische
+Bürgerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Bürgerrechts an ganze
+Gemeinden vollständig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschränkt.
+Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung
+des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den
+Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies
+geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch Volks- und
+Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalität
+gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefährliche
+Maßregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Römern früher
+gestanden hatten teils als bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht
+und nicht zu ewiger Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der
+Hoffnung auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie
+jetzt sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher
+Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften
+höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren
+empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen weiterzugeben.
+</p>
+
+<p>
+Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, zurückgehalten
+durch das Gefühl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich
+überdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmählich
+der Riß sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre
+Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre
+Furcht, das unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung
+und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den
+veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug die Gärung
+unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären Charakter. Das
+Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich gesteigert von stillem
+Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener
+abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, daß eine gutwillige
+Gewährung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen,
+wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung ließ den Gedanken,
+diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis
+der Bürger und Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so
+kann es doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel
+geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr 400000
+waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen
+kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die Bürgerschaft einig und kein
+nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner
+Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und
+Privatverhältnisse mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem
+gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit es der
+Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils
+durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen
+Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere
+zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution
+Rom zu erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie
+ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die
+andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache
+gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich
+wenig erreicht. Sie hatten sich überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer
+beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten,
+daß aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig
+vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu verschaffen.
+Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten
+Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker
+auftraten, sich von ihren eigenen Anhängern verlassen gefunden hatten und
+deshalb gestürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreißigjährigen
+Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden,
+aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
+Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge hatten es
+deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Berücksichtigung ihrer
+Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen
+der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der
+Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben überlassen, als sei
+die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich
+gesinnt gewesen, als sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der
+intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem
+Senat heilsame Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre,
+in denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die Absichten
+auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt
+der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz,
+das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte, des Bürgerrechts sich
+anzumaßen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein
+Gesetz, das eine große Anzahl der angesehensten und bei der
+Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der
+Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen
+Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie
+steht mit jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung
+Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache
+des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses
+Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
+gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte,
+freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom
+Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine
+ebenso ehrenwerte als schädliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat
+und Rittern und dann den zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein
+zweiter entzündet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und
+Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäßigtsten und
+einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die
+daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
+den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus.
+Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die reformatorischen
+Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker
+durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann
+hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis
+an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten
+Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu
+setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes
+gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich
+eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für Drusus und die gemeinschaftliche
+Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in
+der Tat für einen römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten
+hat, so ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und
+sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen hin
+bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man in Italien, daß
+Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats seine ersten Anträge
+durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens
+nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber
+wie Drusus&rsquo; weitere Absichten sich enthüllten, wechselten die Dinge; er
+konnte nicht wagen, das Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte
+zögern, mußte bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats
+unsicher werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief
+durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz kassiert
+sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je, daß der Tribun von
+Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663 91).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
+entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in diesem
+910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und dessen
+Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98
+wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe gezählt). Die einzige
+zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, die des Zensus von 668 (86),
+der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering
+ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein
+Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht
+denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der
+Krieg gerissen, höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von
+reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
+Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich und
+sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der Gesamtstand der
+italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man das Gesamtdefizit auf
+100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben erscheint, so kommen für die Zeit
+des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger.
+</p>
+
+<p>
+2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: &ldquo;Ich
+schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen Vesta und bei dem
+angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der nährenden Erde und
+bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, daß mir
+Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus;
+ingleichen daß ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und
+meiner Eltern schonen will, außer insoweit es dem Drusus frommt und den
+Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des
+Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten
+meiner Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als
+ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich falsch, so
+gehe es mir übel!&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt
+entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die
+sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Überschrift
+&lsquo;Eid des Philippus&rsquo; zu führen scheint) oder im besten Fall aus den
+später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Kriminalprozeßakten; und
+auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den
+Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen Bürgerverband
+zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu
+dieser konservative und energische Mann unter den günstigsten Verhältnissen
+seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem
+Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder
+geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch
+die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und
+womöglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu
+vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu
+erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein Entschluß der
+Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen
+Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser
+erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das Britische
+Imperium; allem Anschein nach konnte die römische Regierung mit mäßiger
+Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der
+früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung,
+wenn man stillsaß und die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte,
+wie die Römer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
+erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in
+einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war
+hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die jetzt
+siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat zu qualifizieren war?
+Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der
+Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den
+Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam
+hinzu, daß für eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der
+gegenwärtige Augenblick noch verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir
+sind nicht genau darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der
+größeren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht
+unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten
+und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos
+gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und Opfergemeinschaft zurückgeführten
+Gemeindebünden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt
+noch an diesen Verbänden einen Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die
+Römer ebendarum dazu schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund
+ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches
+oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte für
+die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, während die
+militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen
+und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich
+gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß unruhige Bewegungen in Italien stattfänden
+und die bundesgenössischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr
+unterhielten; aber statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen,
+begnügte das regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten
+zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu
+erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein entschlossener
+marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten
+Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar
+zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter führender Männer sich in dieselbe
+einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Ein
+Aufstand bereitete also sich vor; Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen
+still und tätig betrieben, bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als
+die leitenden Männer beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion
+zum Ausbruch kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius
+Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum
+(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit
+seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben
+zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde
+Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkündigung der nur zu
+ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten
+aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; die römischen Beamten wurden im
+Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch
+einen furchtbaren Frevel jede Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf
+Befehl der Obrigkeit geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer
+niedergemacht und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief
+die Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk
+der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in
+den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon
+genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von
+den Marsern wurde zuerst den Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem
+Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die
+samnitischen und überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen
+bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und
+Süditalien gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu
+Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen
+Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten Zeiten die
+Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich
+verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner
+und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauern- und
+überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich
+hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand
+ging mit der hauptsächlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich,
+daß in den aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den
+aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie
+zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt
+und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von
+Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien unterstützte. Endlich hielten
+fest an Rom die am besten gestellten bundesgenössischen Gemeinden, in
+Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestädte Neapolis und
+Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum
+Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen
+und die griechischen Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei
+genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die
+aristokratische Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der
+Abhängigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts,
+innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Munizipalaristokratie
+in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten
+Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig
+die Staatsmänner des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine
+ineinandergefügt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte
+Bau noch aus. Freilich war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf
+den ersten Stoß von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie
+im Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen ausdauern
+würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch
+nicht überstanden.
+</p>
+
+<p>
+Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager
+auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer
+allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte
+die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer selbst
+übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Übermut
+daran denken, der römischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie
+sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den
+Bürgerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der
+so lange in Rom vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun
+es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht
+unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu
+treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, ähnlich wie nach den
+Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte,
+die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache
+nahm an denjenigen Männern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht,
+die nächste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus
+Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen
+Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem mit
+offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, niedergesetzt zur
+Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom,
+weitverzweigten Verschwörung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und
+die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und
+erschreckten Bürgerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die
+Urteile dieser Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen
+Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus&rsquo; genauer
+Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit
+Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht
+gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, daß bald
+nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete über die
+Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde
+beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das
+Aufgreifen marsischer Spione als unbegründet auswies. Insofern konnte der König
+Mithradates nicht mit Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der
+Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst indes
+stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die
+Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und
+Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere aller Farben,
+Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus
+wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfügung; die
+Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß
+wesentlich beschränkt, um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg
+zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des
+Königs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und
+damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen konnte; die
+Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluß des
+Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an
+nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen.
+</p>
+
+<p>
+Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren
+Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere
+Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu organisieren. In dem
+inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue,
+also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in
+der schönen Ebene an dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum
+Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher
+insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt
+und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den
+Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens.
+Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den Männern senatorischen
+Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs
+Prätoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .übernahmen. Die
+lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die
+landübliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die
+samnitische als die im südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur
+Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man
+nach römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen
+italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom
+ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen
+hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daß die Italiker jetzt
+nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Römern zu erstreiten, sondern diese
+zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten.
+Aber es geht daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner
+Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den
+italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine
+Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher
+Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen Komitien es waren, mit
+einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug
+wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl
+konkurrierender höchster Beamten ausgeübten Exekutive - es geht diese
+Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder
+Prätortitel des höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der
+Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert
+sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten dasselbe
+Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet.
+Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von
+dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch eine städtische Entwicklung
+gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat
+wenigstens auf natürlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia
+gar nichts war als der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine
+Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt
+gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche
+Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen
+Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im modernen Sinn so
+nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und
+nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher
+reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, daß
+dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des
+souveränen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt,
+und daß der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen
+Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine
+Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding
+wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung,
+obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten und in dem Zurücktreten
+der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich nähert, hat doch weder als Rom
+noch als Italia jemals die Grenzlinie zu überschreiten vermocht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5,
+4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel
+der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft die Beamten wählte. Daß
+der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz
+haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden.
+Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen
+gleichmäßige Vertretung der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die
+Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist
+nirgends überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die
+Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die
+Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So begann wenige Monate nach Drusus&rsquo; Tode im Winter 663/64 (91/90) der
+Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers
+gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in Italia wurden
+große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in Rom bezog man aus den
+Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorräte und setzte für
+alle Fälle die lange vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die
+Streitkräfte waren einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in
+den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der
+Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der
+Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen
+Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier und anderer
+überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und
+kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden,
+ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an
+Tüchtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker
+hinter den Römern in nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die
+Insurgenten wie für die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische
+Gebiet sehr ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in
+demselben zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen,
+einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
+ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht wohl anders
+konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen
+insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgierte
+Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis
+an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte
+umfaßte, übernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, römischerseits
+Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen,
+welche Kampanien, Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in
+sich schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius
+Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden
+Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf
+Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem bestimmten
+Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber
+die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die
+angesehensten römischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus
+Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und
+Publius Crassus, stellten für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und
+wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen
+hatte, so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in
+nichts nachstanden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo die
+Gallier sehr zahlreich waren.
+</p>
+
+<p>
+5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), welcher
+dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä und Miletos für
+die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste
+bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die
+Nachricht Memnons, daß von Herakleia am Schwarzen Meer für den Italischen Krieg
+zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben
+heimgekehrt seien.
+</p>
+
+<p>
+6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie
+von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion nennen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf
+seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es
+fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um einen
+überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den
+Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Hauptstadt
+zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhältnissen zu wenig
+bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders hätte handeln können und
+inwieweit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose
+Verbindung der föderierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in
+der Kriegführung beigetragen haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System
+es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer
+endgültigen Erledigung; nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg,
+der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald
+kombiniert operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos
+trümmerhaften Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.
+</p>
+
+<p>
+Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten Landschaften zu
+Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche
+Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser,
+das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt
+Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand.
+Ähnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria,
+Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere
+sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die
+Südarmee unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen
+Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für die
+Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstädte
+mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive überzugehen und den
+kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus
+vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den
+Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust
+zurückgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den
+Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den
+Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war
+Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich
+jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres
+Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit
+derselben kühnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu
+Ende führte, den bedrängten Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein
+dennoch wurden sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die
+äußerste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
+Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum
+einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die
+südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen
+müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der
+samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die Bürgerschaft von Nola
+ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf
+Mutilus&rsquo; Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee
+untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt,
+ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae,
+Pompeii, Herculaneum erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das
+Gebiet nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen Armee
+Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars Armee standen,
+fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem
+Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von Venusia den Samniten in die Hände
+gefallen war und nun im königlichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien,
+so daß Caesar sich genötigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat
+zurückzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager;
+allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische
+Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld.
+Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Römer errangen; das
+Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief
+gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die
+siegreiche Armee bei einem Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so
+nachdrücklich geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder
+organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen
+Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfähigen
+Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern
+von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der
+Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefährlicher
+Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps unter Gnaeus Pompeius
+Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestützt,
+Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der römischen Nordarmee stellte
+unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des
+marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der
+Feind der Hauptstadt am nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der
+zwischen Tibur und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den
+Velino fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur
+Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes
+ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst ward ihm die
+10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig geschlagen. Der
+Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte
+den Rest des Korps mit dem unter Marius&rsquo; Befehl stehenden, ließ sich aber
+dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm
+selbst, teils von Marius geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander
+geschlagenen Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand
+Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo
+Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich mit
+Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter
+flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das römische Korps
+unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff und es teils
+niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst
+und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heißen, daß Marius,
+Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den Fluß gegangen war und nicht ohne
+Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flußübergang
+und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner
+erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und
+Marius, welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an
+Lupus&rsquo; Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge
+errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite
+gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen Gefechtes, als
+weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition
+gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich von Silo durch die Vorspiegelung,
+ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem
+großen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen.
+Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch
+seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und
+drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er
+lange; als er endlich sie lieferte, überwand er seinen stürmischen Gegner, der
+unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der
+Walstatt zurückließ. In einem zweiten Treffen wirkten Marius&rsquo; Heer und
+das zur Südarmee gehörige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch
+empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre
+dieses Tages aber blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die
+Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt
+und sie aufgerieben.
+</p>
+
+<p>
+Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward,
+hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und glücklich
+gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius
+Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kräften dasselbe angegriffen, es
+geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo
+belagert hielt, während Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia
+und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die
+Aufständischen bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius
+Sulpicius durch seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum
+einzurücken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn
+Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand
+gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgelöster
+Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen die Lage der Dinge
+sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf
+Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine
+Belagerung verwandelte.
+</p>
+
+<p>
+Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten
+Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der nördlichen
+Landschaft gekommen, indem die für Rom so gefährliche Lage der Dinge nach den
+ersten Kriegsmonaten einen großen Teil der umbrischen und einzelne etruskische
+Gemeinden veranlaßt hatte, sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es
+nötig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den
+Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit
+minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und
+behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.
+</p>
+
+<p>
+So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch trübe
+Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militärisch waren beide
+Armeen der Römer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen
+geschwächt und entmutigt, die Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der
+Hauptstadt bedacht zu sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen
+ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem
+marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel
+sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine
+Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion
+während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der
+Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und großen latinischen
+Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen,
+daß die römische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande
+sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das
+Äußerste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen
+Küste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon
+von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es
+war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer anzuziehen, ohne alles
+aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Bürgerschaft war unglaublich gedrückt.
+Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm
+gefallenen namhaften Bürger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als
+Leichen zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum
+Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich
+legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der Befehl
+erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung
+überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung
+gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen
+Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock
+wieder mit dem Bürgerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der
+Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die
+Römer in diesem Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen
+war aus dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst
+durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte.
+Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Übermut wie damals,
+aber man wußte ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die
+zähe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht.
+Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich
+eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit
+das Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die unmittelbare
+Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen
+gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des
+politischen Vorranges der Römer vor den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen
+selber mehr schädlich als förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl,
+daß ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn
+verschuldet hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90)
+hatte begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten
+angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in welchem
+die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die
+Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der
+Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben.
+Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember
+desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die
+Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der
+freien, nicht ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
+Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus einer
+Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie unter anderen
+ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche Stimme die
+schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und
+die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als
+diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veränderte Richtung,
+die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre
+waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren
+lassen müssen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte,
+war derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
+Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben
+hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde zu erbittert
+geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, ihnen die verlangten
+Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, sie wären vielleicht jetzt
+von der anderen Seite zurückgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch
+treugebliebenen Gemeinden die ursprünglichen Forderungen unter gewissen
+Einschränkungen gewährt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger
+Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der
+Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung gebahnt. So
+taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der Bitte so lange
+verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, als die Schwerter daran
+pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst für die
+Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius
+Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern
+aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen
+abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und
+Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten
+Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle,
+durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu
+gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den Freigelassenen, im
+Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den fünfunddreißig Bezirken sie
+nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten;
+ob die Beschränkung persönlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit
+Sicherheit zu entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das
+eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz
+hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich
+Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung längst als
+Teil Italiens galt, wurden sämtliche latinische Kolonien behandelt wie die
+italischen Gemeinden. Im übrigen war hier diesseits des Po der größte Teil des
+Bodens nach Auflösung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem
+munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in
+Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen
+bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die
+gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge eines von dem
+Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer
+Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden,
+namentlich die Ortschaften in den Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige
+und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber
+nicht mit dem römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche
+Fiktion, daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
+welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten.
+Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die transpadanische
+Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich vom Po, gab es außer
+Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Kolonien, und es
+waren auch die einheimischen Stämme hier keineswegs, wie südlich vom Po,
+verdrängt worden. Die Abschaffung der keltischen Gau- und die Einführung der
+italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen
+Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen
+Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr
+einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
+Herren.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen
+sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist
+wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Anträge, unmittelbar nach
+dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89)
+durchgebracht worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit
+mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
+römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine
+Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die
+schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst
+viele Überläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang
+diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur
+Anwendung gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der
+Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben
+vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher latinischen
+Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie
+Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme
+der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen, dadurch eintraten in den
+römischen Bürgerverband. Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die
+treugebliebenen Bundesstädte in Etrurien und besonders in Süditalien, wie
+Nuceria und Neapolis. Daß einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über
+die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug,
+seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und
+ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen
+garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich;
+es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen
+herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere
+griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband
+ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
+unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser Gesetze der
+römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das Aufgehen von
+zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po
+zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die Landschaft zwischen dem
+Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenössischen Rechts
+gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.
+</p>
+
+<p>
+Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Römer
+mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen Distrikte. Man hatte von
+den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig
+schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff
+fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo
+sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als
+durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. In den
+ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eröffneten
+sich reiche und jetzt zuverlässige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der
+Bürgerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu
+bewältigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück,
+Caesar als erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher
+und langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach
+erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius bewies,
+indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine
+körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten
+Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; aber glänzende
+Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich hätte in der
+öffentlichen Meinung rehabilitieren können, hatte er nicht erfochten, und so
+ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne
+Umstände zu dem alten Eisen geworfen. An Marius&rsquo; Stelle trat bei der
+marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit
+Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der
+Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des
+vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so
+großem Erfolg von ihm geführte Kommando im picenischen Gebiet.
+</p>
+
+<p>
+So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten
+eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der Samnitischen Kriege
+erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in
+Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein
+Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und
+schlug ihn vollständig; nur wenige gelangten zurück in die weit entfernte
+Heimat. Als dann die Jahreszeit den römischen Heeren gestattete, die Offensive
+zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen
+Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei
+einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung
+der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser beschäftigte sich
+teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung
+der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner
+bedrängten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen
+Aufgebot und griff die belagernde Armee an, während gleichzeitig die
+ausfallende Besatzung sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem
+Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den
+Römern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in
+die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8
+durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der
+Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklärung
+innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer
+Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch
+gesinnten Fraktion der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich
+selbst den Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen
+lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden
+hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches Hab und
+Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von
+Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die benachbarten aufständischen
+Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner
+fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich
+geschlagen hatte. In Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia
+und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter
+Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die
+Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang über
+den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres mußte in den
+Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach
+Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am
+Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Römer ihre
+Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos,
+Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden
+Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder
+die bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen
+Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit
+Verwünschungen der &ldquo;entlaufenen Sklaven&rdquo; - demnach römische - oder
+mit der Aufschrift entweder: &ldquo;triff die Picenter&rdquo; oder &ldquo;triff
+den Pompeius&rdquo; -jene römische, diese italische - finden sieh von jener
+Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte
+gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind
+besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstört
+(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei
+diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger widerstand Pompeii. Der
+samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen,
+allein er ward von Sulla zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen
+verstärkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser
+unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager erobert und
+er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu
+niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh seinem Feldherrn den
+Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat
+geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden
+gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten
+noch besetzten kampanischen Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das
+innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung
+und fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen
+hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug
+herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte
+ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft.
+Der Paß, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde
+umgangen, die samnitische Armee im Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager
+ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte
+vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch
+einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die
+vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so
+vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so
+tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig hoffnungslos ging sie aus
+demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide
+Küsten völlig in römischer Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis
+auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die
+Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den
+beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der
+samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer
+erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge auf Asche und
+Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen
+die Flamme empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte
+mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir die Ursachen dieses plötzlichen
+Umschwunges in der oberflächlichen Überlieferung nicht mehr genügend erkennen.
+So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich
+die energischere Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere
+Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den
+militärischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der
+Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und
+Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der
+Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknüpften
+aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein.
+Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen
+Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia -, daß die Samniten,
+vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele
+des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem
+Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche
+Organisation gaben und, nachdem die &ldquo;Italia&rdquo; überwunden war, es
+unternahmen, als &ldquo;Safinen&rdquo; oder Samniten den Kampf noch weiter
+fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der
+samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß
+und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven
+verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo
+und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die
+Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals,
+ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Konföderation
+gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche
+Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß
+der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der
+Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern,
+die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in
+oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den Insurgenten
+festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem
+eigenen Namen schlagen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die
+asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht
+hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären und für das
+nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach
+Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein Jahr früher zum Ausbruch
+gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung des halben Italiens und der
+wichtigsten Provinz dem römischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt,
+nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glück
+Roms sich abermals bewährt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg,
+trotzdem daß er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht
+eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut
+die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der
+Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren
+nicht mehr, wo man einen italischen und einen überseeischen Krieg unbedenklich
+nebeneinander führte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits
+vollständig erschöpft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde
+stehenden schien kaum ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der
+Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die
+Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, lieferte
+die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die
+in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen,
+sobald der Stand der Dinge im südlichen Italien es ihr gestatten würde sich zu
+entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden
+Armee voraussichtlich bald geschehen konnte.
+</p>
+
+<p>
+So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für Rom.
+Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward.
+In Apulien machte Cosconius&rsquo; Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn
+des Überwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an
+militärischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende
+durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden.
+In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer
+Schlacht, die er dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die
+Römer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die
+Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden die
+kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen
+entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der römische Feldherr Aulus
+Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem
+Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenführer
+Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestört in der weiten und öden
+lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions
+zu bemächtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte.
+Trotz einzelner Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von
+Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte
+für Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der
+Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft
+machte.
+</p>
+
+<p>
+Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus&rsquo; Angriff auf die Rittergerichte
+und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, sodann der
+zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste Zwietracht gesät
+zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemäßigten und den
+Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollständig recht
+gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr
+als halb gezwungen zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis
+erfolgt war, trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des
+eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das
+gleiche Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert.
+Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen Bürgerverband
+aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenrührigen Makel
+behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie die Freigelassenen neben
+die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den
+Alpen durch das Zugeständnis des latinischen Rechts mehr gereizt als
+befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten
+Teil der Italiker, sämtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden,
+nicht bloß das Bürgerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch
+den Aufstand vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft,
+höchstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die
+Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der damaligen
+Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die scheinheilige
+Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der Wählerschaft jedem
+Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene Beschränkungen aber waren
+insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der
+mehr oder minder gerechten Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom
+Bürgerrecht ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen.
+Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und mißgünstigen
+Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die Neubürger und die
+Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die
+zahlreichen und vorzüglichen Männer, die die Varische Hochverratskommission ins
+Elend gesandt hatte und die zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war,
+weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt
+worden waren; denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch
+richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die
+Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren
+Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch
+die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch
+tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit erfrischten
+Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig
+zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue Dienste geleistet und dafür neue
+schwerste Kränkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefühle, von den
+Feinden nicht mehr gefürchtet, sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem
+Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von
+ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und
+unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der
+Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus
+[ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV … cobortes
+miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu
+civltas data est) in teilweise schärferer Fassung wiedererscheint. Dediticii
+sind nach römischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst.
+13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Römern untertan geworden und zu keinem
+Bündnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und
+Eigentum, sondern können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert
+sein. Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19,
+17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten
+Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur mißbräuchlich und bei
+besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12;
+Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani.
+Aber die dediticii sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern
+rechtlos, als nach römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist
+(Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder
+stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf
+zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, was er auch gleich
+oder später über seine Deditizier verhängen mag, niemals gegen sie eine
+Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hört erst auf durch
+Abschließung eines Bündnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und
+foedus als staatsrechtlich sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34;
+Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den
+Juristen geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die
+Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54).
+</p>
+
+<p>
+Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen,
+infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge verlustig erklärten
+Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von
+664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti
+fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den
+dediticii, die 667 (87) nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht
+füglich bloß die Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man
+annehmen dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und
+nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben hatten,
+als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch die
+Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati fuerunt in der
+angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich
+erneuert wurden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch
+fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen
+Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in
+sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des
+demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne
+Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und der vor allem unmittelbar in das
+Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald
+zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militärischen
+Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des
+Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen
+Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit
+Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich,
+die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung
+an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser Tat waren die
+Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine
+vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen
+Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff
+sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem
+Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann
+bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere,
+namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht
+auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht noch
+entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und
+der asiatischen Unruhen über die römischen Geldmänner hereingebrochen war. Die
+Schuldner, unfähig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren
+Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand,
+dem Stadtprätor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen
+zu können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und
+nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem
+Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich
+dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen,
+und instruierte in gewöhnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die
+verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem
+Markt zusammentaten und den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein
+Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine
+Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89).
+Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der leidenden Menge
+nicht anders geholfen werden könne als durch &ldquo;neue
+Rechnungsbücher&rdquo;, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen
+sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau wieder wie während
+des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen
+Aristokratie der gedrückten Menge und der zur Mäßigung des starren Rechtes
+mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozeß; wieder stand man an dem Rande
+desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich
+hinabreißt; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und
+sittlichen Ordnung einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer
+Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der
+Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter,
+schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der
+Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente in der
+Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen
+Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.
+</p>
+
+<p>
+Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der
+Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 Denare (600
+Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; den durch unfreie
+Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die Rückkehr in die Heimat
+freizugeben; die Neubürger durch sämtliche Distrikte zu verteilen und
+ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es
+waren Vorschläge, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens
+überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine
+politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden
+Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent,
+worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die
+lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige Fülle
+seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. Seiner
+Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein
+erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei
+tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehörte er zu der
+Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr
+666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen
+patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß
+auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär
+verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und
+keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
+beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
+Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und
+Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die
+noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger schließlich zu beseitigen, wozu
+er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen
+von ihm erwähnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so
+hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des
+Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu
+kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
+Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, wie es heißt in
+der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen Krieges übertragen zu
+lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm
+entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern
+zunächst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte
+er ebensowenig wie Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm
+beabsichtigte, an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der
+Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsänderung in
+strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der
+Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius
+Caesar, im Senat sehr einflußreich war, und mit der derselben anhängenden
+Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den
+zornmütigen Mann durch persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht
+hinausgeführt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch
+von der Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige
+Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubürger mit
+den Altbürgern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus
+entworfenen Anträge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der
+Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen
+Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des
+Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat
+eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen
+des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, zugute, und es läßt sich von
+dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, daß er bei seinem ersten Auftreten
+eine solche Maßregel entschieden bekämpfte und dann, ergrimmt über den
+Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Maßregel gegen die
+Überschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung
+der trotz alles äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der
+regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war
+zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der
+Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein mußte,
+alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva
+rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Überschuldung
+vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit von den reichen
+Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch
+feilen Senatorengesindels gedämpft ward - womit natürlich nicht geleugnet
+werden soll, daß Rufus eine den Senat so schroff und gehässig prostituierende
+Säuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse
+mit den herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde.
+Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft
+zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich
+aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung
+unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militärdienst
+mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt,
+als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen
+Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf
+an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit,
+mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert als
+gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu
+einem sehr großen Teil von den regierenden Familien persönlich und ökonomisch
+abhängig waren und richtig verwandt eben ein Mittel für die Regierung abgeben
+konnten, die Wahlen gründlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die
+Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel
+allerdings wie jede andere politische Begünstigung des Proletariats; allein sie
+war auch für Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für
+Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen
+und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft
+gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, daß dieser
+nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie
+ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt
+nach ihrer Überwindung betätigen, daß die große Majorität aller Parteien die im
+Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen
+oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung
+derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus&rsquo; Beispiel hatte
+gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im
+Vertrauen auf die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
+erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in
+Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren
+versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den Köder der
+Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren Rückhalt fand er
+bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge - dem Bericht
+seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem
+&ldquo;Gegensenat&rdquo; von 600 jungen Männern aus der besseren Klasse -, mit
+dem er in den Straßen und auf dem Markte erschien. Seine Anträge stießen denn
+auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majorität des Senats, welche
+zunächst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus
+Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche
+religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die Volksversammlungen
+ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter
+anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn
+des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst
+ernstlich bedroht ward - Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß
+Marius ihm sein Haus öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu,
+die angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge gingen
+nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs
+gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen
+geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution - noch
+eine andere Macht in Italien, die nicht übersehen werden durfte: die beiden
+starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War
+auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der
+offenbaren Gewalt für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der
+Senatsmajorität in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem
+er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
+Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die wehrlose
+Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf
+dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der Gegner, jetzt wo er konnte,
+Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der
+Hauptstadt zurückkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen
+Gesetzen über den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte
+den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem
+hauptstädtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus
+und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große
+Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
+keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren lassen, nach
+der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschäftigte, unverweilt sich
+mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein
+mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla
+den Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen
+Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den Oberbefehl im
+Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge plausibel erscheinen zu
+lassen, und dessen militärische Stellung und Kapazität für den Fall eines
+Bruches mit Sulla eine Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den
+alten, ebenso unfähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der
+kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig
+die arge Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch
+Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius&rsquo; erprobte staatsmännische
+Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht ernstlich
+würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius&rsquo; eigene Lage, wenn er
+Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, daß dergleichen
+Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der abgestandene Held selbst
+bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte,
+versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen
+Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht
+danach, einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt
+auf Antrag des Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit
+außerordentlicher höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das
+Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen
+Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei
+Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt.
+</p>
+
+<p>
+Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. Er hatte wenige
+Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert:
+er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Überwältigung der
+gefährlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der
+Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit
+voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das
+Kommando in demselben übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen
+unter solchen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der
+souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und
+politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte sagen zu
+welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden konnte. Sulla war
+weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch
+abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius
+herrührenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla
+gehandhabte sittlich lockere und militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als
+eine ihrem Führer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
+Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem
+die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der Held von Aquae
+Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom
+selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel
+leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er
+versammelte seine Soldaten - es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und
+setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend,
+ihnen anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer,
+sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren
+Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich zurück, und nur
+ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die
+Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und
+unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden
+von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf,
+daß der Feldherr sie auf Rom zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf,
+und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in
+raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
+Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
+Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der
+Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
+Legionen in Reih&rsquo; und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
+Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So
+viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern
+zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden
+gebrochen hätte; jetzt geschah es, zunächst um der elenden Frage willen, ob
+dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die
+einrückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den
+Dächern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
+sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit
+Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn
+bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete
+ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf
+die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren
+kam denselben Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt,
+auf der Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel
+der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu senken,
+versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und
+die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst
+hatte dieselben aus Bürgern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk
+wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem
+Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit
+aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei.
+Es blieb den Führern nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore
+zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese
+Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der
+Hauptstadt.
+</p>
+
+<p>
+Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es zur
+vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem Punkt
+angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung
+gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist gegen die Gewalt des
+Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst
+gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums über den,
+der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt
+triumphierte sie vollständig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber
+formulieren. Von selbst verstand es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von
+Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten
+Anhänger hatten sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat
+als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius
+Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das
+an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf
+ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage
+zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geächteten
+wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen.
+Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette
+von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes
+um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser
+Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht.
+In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein
+widrige Winde und Mangel an Vorräten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu
+landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem
+Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger
+gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung des
+Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer
+Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn
+seinen Verfolgern; allein die ängstlichen Schiffer legten bald wieder an und
+suchten das Weite, während Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von
+Minturnae, bis zum Gürtel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem
+Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die
+Stadtbehörde von Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel,
+ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak
+vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als
+der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei,
+den Gaius Marius zu töten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von
+Minturnae die Scham, daß der Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den
+Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die
+Freiheit gebracht hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und
+Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme
+des Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie liefen
+am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen Beamten wiesen
+sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie nach Numidien, dessen
+öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den Winter gewährten. Allein der
+König Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich
+die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur
+getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu
+bemächtigen. Mit genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und
+fanden vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der
+tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern auch dafür
+dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu lassen; wenigstens
+scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten bestraft worden sind.
+</p>
+
+<p>
+Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu
+verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Für die
+bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß man die
+Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem wurde die
+Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und
+Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward
+ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im
+optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des
+Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen
+vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der
+die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 Talern)
+oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die
+Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das Übergewicht der ersten Klasse
+mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren
+und Zensoren ein Zensus eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven
+Wahlrecht der Sache nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den
+Volkstribunen dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst
+dem Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an
+das Volk gelangen konnte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Klar ist es nicht, was das &ldquo;Zwölftelgesetz&rsquo;, der Konsuln Sulla
+und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme
+bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so daß
+der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals für das zehnmonatliche
+oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr ward.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen
+desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei
+aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentümlichen Charakter.
+Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder Geschworene zu fragen, über zwölf
+der angesehensten Männer, darunter fungierende Beamte und den berühmtesten
+General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen
+Ächtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen
+Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Männern, wie zum
+Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit
+anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem
+verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das
+Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den
+Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die
+zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als
+das, dabei um Rat gefragt werden zu können. Kaum hatte je ein Demokrat in so
+tyrannischen Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den
+Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser konservative
+Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu
+sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in
+Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in
+mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, überwunden zu sein,
+gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich erinnert an die prozessualischen
+Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des
+Saturninus gezogen hatte, der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen
+Markt das Lob der Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er
+einmal ohne viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die
+geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die
+Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche Wüten gegen
+die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung zeigt sich in den
+politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die
+wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den
+Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die römische
+Legislation, wo jeder Konsul, Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei
+der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war
+von Haus aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien
+es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das
+Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne solche Vorberatung
+zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religiöse
+Interzession. Diese Dämme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen
+fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollständig und jedem
+mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu
+machen. Was war unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten
+Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
+Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches gilt von
+der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf
+demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermögenden
+nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung
+eingetreten, welche eine Erhöhung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte.
+Auch die neue Timokratie änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem
+Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen
+Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren
+wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die
+Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden Beweis, daß Sulla,
+wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius&rsquo; leidenschaftlichen Anträgen
+beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller
+sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei
+nicht übersehen werden darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus
+freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die
+hauptsächlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder
+an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das
+Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem
+seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt
+und nur teils die dem bestehenden Regiment zunächst Gefahr drohenden
+überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, teils den vorhandenen sozialen Übeln
+nach Kräften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun ließ, ohne die
+tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des
+konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den
+inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche
+Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
+Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter
+Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des Zinsmaximums den
+verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das Vorberatungsrecht des
+Senats sich gegen die künftige Demagogie widerstandsfähiger erweisen werde als
+bisher das Interzessionsrecht und die Religion.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken
+auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an.
+Schon hatte der Staat dadurch, daß die Sulpicische Revolution den Abgang des
+Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die
+Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte
+Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden,
+teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion
+beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in
+Italien zurückzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf
+die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem
+allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der
+zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die
+Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt.
+Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es ihn freue, die
+Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und
+begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der
+bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an,
+da die kampanische größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ
+durch Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen
+Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in
+möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei
+angehörte und seine passive Haltung während der Sulpicischen Unruhen der
+Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein
+und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward
+er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum
+abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er
+ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Früchte der
+Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Für Sulla
+war Rufus&rsquo; Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste
+Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf
+sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna
+gedrängt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings
+dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht
+geladen; es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und
+seine Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten.
+Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben
+und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen
+zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu
+entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus
+Indifferenz, wird nie ausgemacht werden - für die letztere Alternative, übergab
+das in Samnium zurückbleibende Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen
+Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in
+Unteritalien übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius
+Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach
+dem hellenischen Osten sich ein.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Der Osten und König Mithradates</h2>
+
+<p>
+Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich
+erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war die
+Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den Augen
+verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und
+unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die
+transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdrängten. Nach
+der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit dem Ausbruch der
+Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine
+ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen,
+mit Ausnahme der durch die maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den
+Römern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102),
+welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden
+Station für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen
+Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die
+Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die römische
+Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.
+</p>
+
+<p>
+In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre zuvor sie
+verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern Kyrene und Kypros
+löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsächlich
+sich auf. Kyrene kam an den natürlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und
+trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten
+die Witwe des letzten Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne
+Soter II. Lathyros († 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache
+ward, daß auch Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer
+griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische
+Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie
+diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die Landschaft im
+wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Städte des Reiches,
+Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten erklärten und denselben sogar die
+Nutzung der königlichen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters
+von Africa über dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine
+bloß nominelle als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen
+Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem
+Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit der
+römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen
+Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege und Usurpation
+zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im Jahre 668 (86) ein
+höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre
+Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen.
+</p>
+
+<p>
+Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten
+besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges der beiden
+Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von Kyzikos († 659 95),
+der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um
+das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekönige,
+die Araberscheichs der syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die
+Magistrate der größeren Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger
+des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und
+ging das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.
+</p>
+
+<p>
+Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle
+turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
+durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Große (630
+? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine überwiegende Stellung in
+Innerasien zurückgegeben, die Skythen zurückgeschlagen und gegen Syrien und
+Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines
+Lebens lähmten neue Unruhen sein Regiment; und während die Großen des Reiches,
+ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser
+Bruder ihn stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende
+Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die
+nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden,
+und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen
+war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal
+zu einem Königreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils die
+Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz
+Armenien möglich, nicht bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die
+früher an sie abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das
+Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden und von
+diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen.
+</p>
+
+<p>
+In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der Auflösung des
+Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war, noch
+wesentlich ungeändert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Königreiche
+Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens,
+der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung
+zunächst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der
+römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils
+durch die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige
+Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der römischen
+Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigentums in der
+Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an
+die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben - lastete die
+schon von Haus aus schwer erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf
+Asien, daß weder die Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war
+vor Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen, jedes
+Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien.
+Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual;
+allein es waren nicht Geduld und Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen,
+sondern der eigentümlich orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in
+diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare,
+schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es
+verstand, das Zeichen zu geben.
+</p>
+
+<p>
+Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen
+Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von väterlicher
+Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes&rsquo; Sohn, im
+achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurückführte,
+von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen
+Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel,
+war er um 634 (120) als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das
+Diadem brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die
+eigene, durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem
+königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den Dolchen
+seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend
+gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die Ruhestätte
+wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jägerleben
+geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere
+Berichte über ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der
+Zeitgenossen zurückgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell
+sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge
+ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die
+Wolkenkrone zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes
+erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch
+wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroßen Leibe des Königs
+Mithradates paßten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der
+Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er
+das wilde Roß und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche
+Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im
+Wettrennen manchen Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem
+König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde
+herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er
+veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten
+Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in
+den Freuden des Harems, wie unter anderm die zügellosen Billets seiner
+griechischen Mätressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine
+geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei
+und das griechische Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs
+aus - und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte
+griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches Gerät,
+alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett war berühmt -,
+hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner
+Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen für Esser und
+Trinker auch welche aus für den drolligsten Spaßmacher und den besten Sänger.
+So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des
+Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des
+sittlichen Gesetzes trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch,
+der Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum
+übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft
+wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein Bruder, seine
+ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso viele seiner Töchter.
+Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter seinen geheimen Papieren im
+voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener
+vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen
+Feinden die Siegestrophäen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen,
+seine Schwestern und seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl
+der Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte
+betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte,
+seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh
+auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen jedermann und
+zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die notwendige und durch
+seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all seine Unternehmungen
+schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen
+wohl einzelne Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte,
+schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persönliches
+Verhältnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein
+dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was
+Mithradates in der Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger
+Sultane, ist seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus
+seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn
+bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien
+durchwandert und Land und Leute überall militärisch erkundet. Von gleicher Art
+ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch den
+zweiundzwanzig Nationen, über die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach,
+ohne eines Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen
+Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine ganze
+Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren Verwaltung
+schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie auf wie die eines
+jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im Zusammentreiben der Heere,
+die wenigstens in seinen früheren Jahren gewöhnlich nicht der König selbst,
+sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind führt, in dem
+Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fügen; von höheren Elementen,
+Förderung der Zivilisation, ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition,
+eigenartiger Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei
+Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur mit den
+großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman waren, ihn auf eine
+Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser
+sitzt als seinen Kappadokiern die römische Rüstung, ist er durchaus ein
+Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit,
+abergläubisch, grausam, treu- und rücksichtslos, aber so kräftig organisiert,
+so gewaltig physisch begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein
+unverwüstlicher Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie
+aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik
+es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios oder
+Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den
+inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte, doppelt so lange als
+Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr,
+daß bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Römern
+ernstlich zu schaffen gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen
+den Jäger der Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand
+sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.
+</p>
+
+<p>
+Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge, seine
+geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen
+Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
+gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen
+Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die römische Suprematie, der nationalen
+Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch
+sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am
+Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die
+offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst
+war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der
+Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen
+kurzen Augenblick für ihre politischen Träume an diesem König einen Halt zu
+finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge
+gestritten, als worüber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung
+fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf
+des Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die
+heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach
+Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.
+</p>
+
+<p>
+So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs das
+fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier
+obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen,
+in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen
+Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es
+keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster
+Zeit mannigfaltig verschlungene Stämme neben- und durcheinander geschoben und
+wo demzufolge die Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in
+Kleinasien. Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in
+ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner
+auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der
+Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche Spitze von den Bithynern,
+den Stammverwandten der europäischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das
+Binnenland und die Nordküste sind vorwiegend von indogermanischen, am nächsten
+den iranischen verwandten Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der
+phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen
+höchstwahrscheinlich, daß sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den
+Mysern angegeben wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich
+begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der
+assyrischen vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und
+Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so
+mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste einheimischer
+Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen,
+und es ist nur wahrscheinlich, daß diese Stämme eher den Indogermanen als den
+Semiten zuzuzählen sind. Wie dann überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein
+Netz griechischer Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das
+geistige Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus
+gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt worden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte Königsname
+Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das
+deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, 10,
+1888, S. 329f.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in Kappadokien
+am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, am
+nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter
+Berührung, sich die iranische Nationalität vermutlich minder gemischt als
+irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war
+hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich
+griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze
+Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und
+die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr
+primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die pontische
+Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder
+mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu
+Mithradates&rsquo; Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig auch bevölkert. Allein
+eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den
+Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als Schatzkammern zur
+Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien
+fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher Kastelle gezählt wurden. Wir finden
+nicht, daß Mithradates wesentlich dazu getan hätte, das städtische Wesen in
+seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn
+auch vielleicht ihm selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den
+Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls
+in ganz orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war,
+wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen
+angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie gegen
+Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine
+Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter
+Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen Gestaden des Schwarzen
+Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht
+unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist, ein
+wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen
+Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren
+Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis
+(Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den
+einheimischen Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
+Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen Landschaften 2.
+Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich nördlich vom Schwarzen Meer,
+vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer
+Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von
+Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der
+nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und länger anhaltenden
+absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den Ackerbau und überhaupt für feste
+Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich vor zweitausend
+Jahren die klimatischen Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig
+standen, als dies heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der
+Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot der Natur
+und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem
+sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren Roßherden Wohn- und
+Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf Wagenhäusern sich nachführten. Auch
+die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: die Bewohner dieser
+Steppen fochten großenteils beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer
+von Leder und lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze
+und Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier
+ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und Körpergestalt den
+heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich,
+von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische Stämme nachgeschoben, Sauromaten,
+Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich für slawischer Abkunft gehalten werden,
+obwohl diejenigen Eigennamen, welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr
+mit medischen und persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker
+vielmehr dem großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung
+fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
+gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der großen
+germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht berührt zu
+haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der
+Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es
+lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und Ältesten für sich. Zu all diesen
+Barbaren in scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche
+zur Zeit des gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von
+Miletos aus, an diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien,
+teils als Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau,
+für welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen
+Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies heutzutage
+der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die
+Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß und Grundzins. Die
+wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit
+Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim)
+angelegt und unter nicht vorteilhaften Verhältnissen durch ihre gute Verfassung
+und den Gemeingeist ihrer Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner
+auf der gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen
+in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms
+regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige genannt, den
+Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau und der Fischfang im
+Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte gebracht. Ihr Gebiet umfaßte
+in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß
+der Stadt Theodosia und auf dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die
+Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die
+Herren von Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres
+und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer beherrscht; allein
+Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends empfand man tiefer als
+an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation.
+Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die
+Pflichten der führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch
+ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
+der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich selbst
+überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt, ernstlich hier
+einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und Lysimachos einigemal
+dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens
+und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische
+Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten
+völlig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von
+Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen
+Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber gibt
+uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung bei Očakov), die nicht
+allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. Die
+Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß jährlichen Zins an sein Hoflager
+schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur
+vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere
+Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken
+abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die
+Stadtkasse ist bankrott, und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen.
+Inzwischen drängen draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet
+wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste
+ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem
+Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu
+bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran
+denkt, sie ganz aufzugeben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen den
+ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom
+fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine
+Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht
+durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser
+Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die
+taurischen Skythen gesandt worden; aber daß die zweite Schilderhebung derselben
+mit dem Beschluß des römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in
+Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal
+wahrscheinlich.
+</p>
+
+<p>
+3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die
+vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden überhaupt
+erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Wälder des
+mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die
+Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schützten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm
+des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und Terek und
+gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Kein Wunder,
+daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die Hellenen
+den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und
+seinen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich,
+was Rom hier versäumt hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die
+Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die Stadt
+Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel hausenden Skythen,
+Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt; gern gaben jene ihre
+Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut, ihr
+Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates&rsquo; tapfere
+Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden
+leicht mit den Steppenvölkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von
+Pantikapäon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde
+befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte
+Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie
+sie später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu
+Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000
+Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen 4. So erwarb
+Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich
+diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstädte gegründetes
+Königreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der
+gegenüberliegenden asiatischen Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente
+(314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und
+Magazine lieferte. Die Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur
+Donaumündung traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit
+dem pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens
+einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für diesen
+Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es zeigt uns die
+Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen die Taurer, Simferopol
+die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedrängt teils von den Taurern
+an der Südküste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die das ganze
+Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt
+uns ferner, wie der Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der
+Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine
+Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
+westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen die
+Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos überwältigt, die
+Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern - so
+heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die späteren Roxolaner - in der großen
+Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine
+formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den König scheint nicht
+stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schützender
+Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους
+δοκούντασ ειμεν) Skythen für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche
+wahrscheinlich zu ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und
+Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des
+Mithradates.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der König
+zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die Einziehung
+Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen Herrschaft zum
+integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in
+die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloß
+seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch
+dessen Unterstützung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und
+ihre Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in
+der Art getroffen zu sein, daß Tigranes Syrien und das innere Asien,
+Mithradates Kleinasien und die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen
+übernahmen unter Zusage gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es
+der tätigere und fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich
+den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.
+</p>
+
+<p>
+In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das binnenländische
+Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum Poptischen Reich - und auf
+Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprüche als durch
+Testament des letzten der Pylämeniden vermacht an den König Mithradates
+Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land
+selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen
+Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst
+zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen.
+Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes
+von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch
+erhob, fügte sich Mithradates demselben, während Nikomedes einen seiner Söhne
+mit dem Namen Pylämenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an
+sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbündeten in
+Kappadokien. König Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hieß im
+Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates
+Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von
+Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für
+welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die
+Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum
+Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüberstanden, begehrte der
+Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stieß dabei den unbewaffneten
+Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm
+hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige
+Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur
+Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften
+keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf
+den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so mehr freie Hand,
+als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent
+ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert,
+unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete.
+Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte König
+Mithradates am nördlichen wie am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und
+weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg
+zu Lande und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der
+Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen,
+Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) drängten sich
+unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den
+tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie außer
+Flachs, Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte
+Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In
+Kappadokien, hieß es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000
+Pferden und 8000 Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch
+nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer römischen
+oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestützt auf
+Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer ausschließlich.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu bestimmen. Um
+640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich die Regierung angetreten
+zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die
+Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreißig Jahren
+(662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit
+fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die
+von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus&rsquo; erstem Tribunat 651 (103)
+in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt.
+Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte, traf
+Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner
+Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals
+schon ermordet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm
+abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte,
+beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem plötzlichen Tode
+Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater für
+seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr für sein gutes
+Geld verliehene Großphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar
+römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren
+gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen
+diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen
+zwanzigjährigen Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen,
+daß einer seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht
+entwickelte, die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste
+Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze der
+innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er die
+benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter Vorwänden einzog,
+die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte
+Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als
+König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die
+makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat
+verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen
+Erbangelegenheit schließlich dabei beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen
+falschen Pylämenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als
+dankbar für jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte.
+Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten
+der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, wandten
+sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen
+Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich erinnern, daß einst unter so
+ganz anderen Verhältnissen der Übergang des Königs Antiochos nach Europa und
+die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem
+Asiatischen Krieg geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des
+taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden
+konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs
+Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch
+seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu
+nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den seinigen
+ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die römische Regierung zur
+Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß Mithradates die skythischen
+Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit war man durch die schlaffe
+Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daß man jetzt,
+statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben
+Landsleute unterstützen mußte. Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der
+falsche Pylämenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte
+der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die
+Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl
+ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen energisch genug;
+nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von
+Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die
+Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum
+Glück vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser
+ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und
+Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ.
+Mithradates hielt sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von
+Armenien, der den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu
+veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine
+Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen, überstieg
+den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen
+Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen
+Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich
+nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Königswahl, die der pontische
+Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen
+Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend
+des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen sich
+spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung statt zwischen
+den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen
+ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu nähern. Beiderseits
+schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei dieser ersten Berührung der
+beiden Großmächte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft
+der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm
+und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von
+Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im
+Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat;
+der parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe. Indes
+für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge. Nikomedes
+unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer, Paphlagonien zu räumen; aber
+die gegen Mithradates gefaßten Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die
+Wiederherstellung der skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der
+frühere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener
+Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus
+usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu seinem Tode
+getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien nach dem Tode des
+Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern
+damit geradezu unter römische Botmäßigkeit kam.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der früheren
+Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als
+König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von Kappadokien,
+Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen
+Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode des
+alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. Philopator
+vom Volk und vom römischen Senat als rechtmäßiger König anerkannt worden war.
+trat dessen jüngerer Bruder Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte
+sich der Herrschaft. Es war klar, daß der eigentliche Urheber der
+kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war,
+obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß
+Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit
+pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch
+Mithradates&rsquo; Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten
+Landschaften dachte der pontische König nicht daran zurückzuweichen und trug
+vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
+</p>
+
+<p>
+Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes persönlich
+um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstützung des dortigen
+Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im Kimbrischen
+und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der
+Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen
+Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter
+Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische
+Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen römischen
+Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte, und des Aufgebots
+der Phryger und der Galater; König Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen
+wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung,
+Zuzug zu gewähren, unter verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß
+den Römern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent
+Sokrates wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).
+</p>
+
+<p>
+Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen überzeugt, gegen
+die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu können und es nicht zum
+offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu dürfen. Wäre er nicht
+also entschlossen gewesen, so fand sich kein günstigerer Augenblick, den Kampf
+zu beginnen, als der gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und
+Kappadokien einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer
+Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu erklären;
+dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber
+nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig seinen Plan, in Kleinasien
+sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden
+Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur
+aufs neue, daß Mithradates nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und
+weder zum Kampf zu rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie
+König Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward
+zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche.
+Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, daß
+Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige römische Politik
+kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die römische Regierung nichts
+weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im Hinblick auf die ernstliche
+Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer
+Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womöglich noch mehr
+fürchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer
+Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische
+Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur
+Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den offenen
+Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte. Sowie Ernst
+gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte
+unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren ihm
+gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus
+treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese Hoffnung nicht unverständig
+war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie
+verkehrt es war, die Bestechung eines römischen Heerführers und die Korruption
+einer römischen Armee mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln.
+So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch
+lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war
+Aquillius&rsquo; Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte,
+Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des Königs
+Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn gegeben und
+überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn
+persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen
+desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die
+bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als Nikomedes&rsquo; Schiffe
+den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen
+Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb
+Mithradates noch unerschüttert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner
+über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und
+bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu
+wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen
+Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war
+deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man ließ
+das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und verbot ihm, gegen
+dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die
+Karthager es getan hatten; aber wenn die Phöniker sich aus Verzweiflung
+ergaben, so tat dagegen der König von Sinope das Gegenteil und rief seine
+Truppen und Schiffe zusammen - &ldquo;Wehrt nicht&rdquo;, so soll er gesagt
+haben, &ldquo;auch wer unterliegen muß, dennoch sich gegen den Räuber?&rdquo;
+Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzurücken; es ging noch
+einmal eine Botschaft an die römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die
+Notwehr den König gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu
+fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch
+König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius
+wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
+</p>
+
+<p>
+Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
+militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen
+Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien fester und
+erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien
+einrücken und Grund und Boden daselbst für König Mithradates, die bewegliche
+Habe für König Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische König, verletzt
+durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch
+nicht als Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich
+in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen
+Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische Gesandte
+gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest des freien
+Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen sie, für die Rom
+auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick einzustehen für
+die Rettung der hellenischen Nationalität; es war dies wenigstens auf Kreta
+nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen
+Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten
+Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die
+Empörung der Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man
+arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung
+Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als willkommene
+Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer Raschheit erfüllten bald
+Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man
+vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den Gärungen innerhalb der
+römischen Bürgerschaft und von der zwar überwundenen, aber doch noch lange
+nicht unterdrückten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit
+den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in
+Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, dessen
+Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen
+Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die
+Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß
+und 40 000 Reitern das Feld nahm, daß 300 pontische Deck- und 100 offene
+Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn,
+der über die zahllosen Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die
+Brüder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische
+Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapferen
+todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und
+reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und
+Stahl der griechischen Reisigen. Ein einheitlicher militärischer Organismus
+freilich hielt diese buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des
+Mithradates war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen
+Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei
+Magnesia einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber
+stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der westlichen
+Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So sehr es an sich
+für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates den Krieg zu erklären,
+so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus
+diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus
+Rücksichten auf seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates
+eben jetzt herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine
+anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius
+Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen und
+finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges
+befand, konnte eine römische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666
+(88) in Asien landen. Bis dahin hatten die römischen Beamten daselbst einen
+schweren Stand; indes hoffte man, die römische Provinz decken und sich
+behaupten zu können, wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes
+in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet
+zwischen Amastris und Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen,
+galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius,
+Manius Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte
+fortfuhr, den Bosporus zu sperren.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An
+einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch köpri), stieß der
+pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und
+sprengte dieselbe trotz ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so
+vollständig auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und
+Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich Neoptolemos
+und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg verdankte. Die weiter
+zurückstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich
+überwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstießen; wo Mithradates&rsquo;
+Feldherren sich ihnen näherten, stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung
+ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm
+das Feld zu halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht
+wagen zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die
+Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte in
+gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia sich ein;
+Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt
+und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager verlor und sich in die
+römische Provinz nach Pergamon retten mußte; bald war auch diese überschwemmt
+und Pergamon selbst in den Händen des Königs, ebenso der Bosporus und die
+daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche
+Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts versäumt, die von
+Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die
+ganze Landschaft bis zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner
+Gewalt; zugleich erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß
+der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich
+einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen
+Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst bemüht, sich
+selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß, wenngleich Minoritäten
+auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die große Masse der Kleinasiaten
+den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem
+Jubel, der den Befreier empfing; es ward üblich, den König, in dem wie in dem
+göttlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu
+verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo
+er hinkam, ihm Boten entgegen, &ldquo;den rettenden Gott&rdquo; zu sich
+einzuladen, und festlich gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn
+zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen
+Offiziere gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
+Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. Die ganze
+Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt,
+entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuß an einen
+gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und
+seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien
+geführt und, als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen Hof in
+Pergamon anlangte, auf Befehl des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den
+Krieg veranlaßt habe, zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen,
+daß er unter Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen
+Hohn, der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
+adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von ihm
+abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und demselben Tage
+sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne
+Unterschied des Geschlechts und des Alters zu töten und bei schwerer Strafe
+keinem der Verfemten zur Rettung behilflich zu sein, die Leichen der
+Erschlagenen den Vögeln zum Fraß hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur
+Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen
+Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos,
+pünktlich vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten
+hundertundfünfzigtausend wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer,
+Frauen und Kinder mit kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet -
+eine grauenvolle Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich
+zu entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
+Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
+vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel nicht
+bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ auch ohne diesen
+Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren selbst durch das
+Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum kriegerischen Eifer zu treiben -,
+sondern sogar zweckwidrig, indem sie einerseits den römischen Senat, soweit er
+irgend noch der Energie fähig war, zur ernstlichen Kriegführung zwang,
+andererseits nicht bloß die Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche
+Bundesgenossen, die nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische
+Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache,
+welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus
+auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf
+fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates&rsquo;
+Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg
+begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten
+Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich
+häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen Statthalters, Pergamon,
+ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als
+Statthalterschaft an des Königs Sohn Mithradates zur Verwaltung übergeben;
+Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die
+Großen des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen
+bedacht und sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen,
+sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel, die
+ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch sich
+die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.
+</p>
+
+<p>
+Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die
+unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen
+Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000
+Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen
+wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln
+waren in des Königs Gewalt; außer einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab
+es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer
+ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von
+Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar
+Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand
+glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates&rsquo; tüchtigster
+Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der
+aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, wurde
+von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen.
+Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht
+taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader
+vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten.
+Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten
+zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel
+sowie das gegenüberliegende Festland blieben in den Händen der Römer.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der zur
+ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt von
+Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen
+Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens
+gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit auffallender Heftigkeit und
+Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) überrannten die Thraker.
+Makedonien und ganz Epeiros und plünderten den Tempel von Dodona. Noch
+auffallender ist es, daß damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen
+Prätendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes
+aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
+unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der
+Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser
+Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm mächtigere Gegner kamen.
+Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kühnen Entschluß
+gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft über Asien in Griechenland
+zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen
+dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach
+verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in
+pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der
+pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von
+Mithradates&rsquo; bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo
+kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des römischen
+Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, größtenteils
+Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt ein gleiches Schicksal; bald
+waren östlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte
+weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die
+pontische Flotte von Euböa aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug
+Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit
+seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte
+sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der Feind im
+eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht
+bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein
+Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein
+attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen
+Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der
+durch die glänzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und
+ihm mit Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig
+Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon unterwegs
+sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, daß die wenigen
+Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar toll gewordene
+Literaten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein
+Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine pontische Söldnerbande, ein Schand-
+und Blutregiment begann, und aus dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz.
+Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die
+meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf
+nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung
+herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä Hilfe zu
+bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos
+und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura mußte
+zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten
+(Ende 666, Anfang 667 88, 87).
+</p>
+
+<p>
+So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine Botschaft
+der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen Landungsversuch in
+Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König
+wies das Ansinnen zurück.
+</p>
+
+<p>
+Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und
+Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See
+herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische
+Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten
+Italiens unbestritten die Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte
+Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer
+emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die
+ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche
+Handels- und Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung
+hätte dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in
+Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu führen; sie
+hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem
+unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter
+jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, für den
+asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine große
+patriotische Tat, daß in diesem Konflikt des allgemeinen vaterländischen und
+des besonderen Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla
+trotz der Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und
+für seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der
+Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn im Osten
+aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder höchstens 30000 Mann
+8 wenig stärker war als eine gewöhnliche Konsulararmee, war das wenigste. Sonst
+hatte in den östlichen Kriegen eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne
+Ausnahme die See beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln
+des Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst
+hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den größten Teil
+seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit leeren
+Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit Not flüssig gemachten Summen
+waren in Italien draufgegangen - und sah sich ausschließlich angewiesen auf
+Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen
+Lager gefunden und hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des
+Ständekampfes die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
+Mithradates&rsquo; Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große
+Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es war
+wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche Beispiel, das
+Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand halten werde, solange
+er gegen den asiatischen König focht. Aber der rasche General, der mit all
+diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war nicht gewohnt, vor Erledigung der
+nächsten Aufgabe um die ferneren Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den
+König gerichteten Friedensanträge, die im wesentlichen auf die
+Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme
+fanden, so rückte er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach
+Böotien vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
+Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast ohne
+Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der Festung Athen
+und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich geworfen hatten und die
+durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine römische Abteilung unter Lucius
+Hortensius besetzte Thessalien und streifte bis in Makedonien; eine andere
+unter Munatius stellte vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa
+stehende feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
+und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte und die
+Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die hellenischen Städte,
+wie immer von der nächsten Furcht regiert, unterwarfen sich den Römern auf jede
+Bedingung und waren froh, wenn sie mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft
+und mit Geldbußen schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die
+Belagerungen in Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das
+schwere Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion
+das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso kräftig wie
+besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug also verstärkt die
+Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und machte häufige und nicht selten
+glückliche Ausfälle. Zwar die zum Entsatz herbeirückende pontische Armee des
+Dromichätes ward unter den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich
+Sullas tapferer Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den
+Römern geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
+Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt
+hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die Sulla nicht imstande
+war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die Vorräte auf die
+Neige, doch konnte bei der Nähe der beiden Festungen Archelaos mehrfache
+Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle
+mißlangen. So verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68
+(87/86). Wie die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den
+Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil der
+gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die
+Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt ward,
+fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen halbmondförmige Verschanzungen
+errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur
+Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich
+mit einer Blockade. In Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende
+gegangen; die Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber
+Sulla wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als
+Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung
+annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm bevorstand,
+damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch verteidigte Stadt
+erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf sich in die Akropolis, wo er bald
+darauf sich ergab. Der römische Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten
+Stadt morden und plündern und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls
+hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre
+Besitzungen, sogar das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet
+durch ihre herrlichen Toten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die Legion, da
+sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, mindestens nur die
+halbe Mannzahl kommt wie vordem.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage
+blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein Jahr stand er
+nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt vorwärtsgekommen zu sein,
+ein einziger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien
+gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von
+Mithradates&rsquo; Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphipolis
+vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich immer deutlicher - war es nicht
+bloß unmöglich, die Verbindungen und die Zufuhr von den feindlichen und den
+zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige
+denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen,
+wie man zu Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
+Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius
+Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort womöglich Schiffe
+aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von den Rhodiern und andern
+kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem
+Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote aufbrachte, entging er selbst
+nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind täuschend, gelangte
+er über Kreta und Kyrene nach Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die
+Bitte um Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab.
+Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des römischen
+Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit ihrer ganzen Seemacht
+den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen vermocht hatte und jetzt selbst den
+alexandrinischen Staatsmännern schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die
+finanzielle Bedrängnis; schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen
+Zeus, des Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür
+die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene Halbscheid des
+thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese militärische und
+finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der politischen Umwälzung in Rom,
+deren rasche, durchgreifende, gewaltsame Vollendung die ärgsten Befürchtungen
+weit hinter sich gelassen hatte. Die Revolution führte in der Hauptstadt das
+Regiment; Sulla war abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem
+demokratischen Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man
+täglich in Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten
+an Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ sich
+erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt und
+geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der Krieg gegen
+den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
+</p>
+
+<p>
+König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage zu
+befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem seiner Generale
+mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind fördersamst zu überwinden.
+Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla
+im eigentlichen Griechenland zu bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den
+Prinzen auf dem Marsch am Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die
+Expedition damals rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt
+(668 86), das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit
+einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den
+Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte - es
+scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle seines Herrn -
+den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in Böotien zu der pontischen
+Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit all seinen vielbewunderten
+Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden war, folgte der pontischen Armee in
+der Hoffnung, vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu
+können. Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die
+See und die Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios
+und Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie
+geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den Kampf;
+und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten vielleicht nur
+einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer Schlacht zwischen Sulla und
+Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im
+März 668 (86) trafen die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus
+Thessalien zurückgedrängten Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit
+der römischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen
+Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind
+gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der Beschaffenheit des
+Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die Sulla seine Flanken durch
+verschanzte Gräben zu decken nötig fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen
+die feindlichen Streitwagen zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine
+Palisadenkette anbringen ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen
+heranrollten, zog sich das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe
+zurück; die Wagen, an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen
+Schleuderer und Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten
+Verwirrung sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
+Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken herbei und
+schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein Fußvolk wieder zu
+ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach die römischen Reihen;
+allein die römische Infanterie formierte sich rasch in geschlossene Massen und
+hielt den von allen Seiten auf sie anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen
+führte Sulla selbst auf dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte
+Flanke des Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum
+Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die
+Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die
+schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den
+Sieg. Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu
+hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die Tore
+endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den
+zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis
+an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.
+</p>
+
+<p>
+Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen des
+Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt sah, statt
+die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen.
+Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den pontischen Geschwadern,
+die jetzt selbst westlich vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der
+Schlacht von Chäroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und
+machte einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen
+in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne
+unterwegs durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden
+feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen
+seine Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei
+Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römischen Heere
+sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem
+er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen, daß Sullas Soldaten keineswegs
+geneigt war ihren siegreichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen
+Oberfeldherrn zu verraten, daß vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das
+Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner
+Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und
+Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich
+den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner
+ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück nach Athen
+ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist
+militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, daß auch hier
+politische Beweggründe ihn leiteten und er gemäßigt und
+</p>
+
+<p>
+Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten
+zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden und die
+erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn die
+Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem
+gemeinschaftlichen Feinde stritt.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der
+in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine, der bei
+Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos
+nach Euböa gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln
+der Armee des Archelaos über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische
+König, der in den Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den
+Maßstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige
+Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die Kreise der
+Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, mit der
+neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Römer
+zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens
+im Schlagen. Abermals in der Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die
+Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren
+warf sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen
+begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit
+seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme
+den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich
+gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die
+Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch
+die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das
+Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel
+oder kam in den Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos,
+gelangten nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall
+von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in
+Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, Abdera von
+der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das europäische Festland
+von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte
+Sulla Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den
+asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den
+thessalischen Häfen Schiffe zu bauen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten überhaupt, in
+einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen
+vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie
+die Erstürmung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668
+(86), stattfand, ist ziemlich sicher. Daß die darauf folgende thessalische und
+die zweite böotische Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern
+auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und
+wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht genügen, um
+mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, daß
+Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurückging und hier die
+Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von
+Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang Sullas nach Asien nicht 669
+(85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich wesentlich
+geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der
+Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen Unabhängigkeit und mit
+Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen
+Taumel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war
+er in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der
+römischen Vögte weit überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar
+die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff
+dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den
+zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das Bürgerrecht, den
+Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen Äcker, den Sklaven die
+Freiheit; an 15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des
+Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab
+erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte,
+Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs
+die Tore oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der
+königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von anderer
+Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines
+Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der
+Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wurden zunächst um 2000 Talente (3150000
+Taler) gebüßt und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf
+Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die
+kolchische Küste deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten
+besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König
+sämtlich an einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien
+in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden
+auch entweder an Mithradates&rsquo; eigenem Hoflager oder im galatischen Lande
+vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer
+kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren
+Grenzen hinaus. Daß diesen König die Dolche der Mörder verfolgten, ist
+begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Komplotte verwickelt
+von den königlichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der desfällige
+Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden. Sie seien, erklären
+die Bürger, in die Gewalt des &ldquo;Königs von Kappadokien&rdquo; Mithradates
+geraten, erschreckt durch die Masse seiner Streitkräfte und die Plötzlichkeit
+seines Angriffs; wie aber die Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie
+&ldquo;für die Herrschaft (ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit&rdquo;
+ihm den Krieg.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine derzeitigen
+Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Römer
+auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu drängen. Lucullus hatte, nachdem der
+Versuch, die ägyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war,
+sein Bemühen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten
+mit besserem Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen,
+pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand, zum
+Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen Streitkräften sich
+zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel
+und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den
+Feinden entrissen.
+</p>
+
+<p>
+Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach
+Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende
+668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrektion aus, angeblich
+weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der
+höchsten Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich
+geworden war für den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher,
+nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt
+begonnene Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer
+abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an seine
+Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, daß er seinen
+Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der
+Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe
+auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der angesehensten Bürger sogleich
+vorläufig hingerichtet. Allein militärisch war der Wechsel des Oberbefehls
+dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General,
+sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von
+Brussa) schlug er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen
+Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen Überfall und
+öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen
+Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von wo er den König vertrieb
+und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um dort
+sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen
+Gewässern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung
+des Königs möglich zu machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als
+der Patriot; er segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war
+Mithradates&rsquo; Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa
+verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem
+römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Nähe
+bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen
+Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und bei der
+Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die inzwischen nach
+Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer
+den Hellespont beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee
+für das nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.
+</p>
+
+<p>
+Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar hätte
+der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen dürfen, zum
+Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der
+römischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates
+ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und daheim gegen seine
+Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete, wo ein römischer General
+gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind standen, hoffte er
+nicht bloß einen Frieden, sondern einen günstigen Frieden erlangen zu können.
+Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er
+unterhandeln, doch scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit
+Sulla abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem
+Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte
+nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König abzutreten und dafür
+die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu gewärtigen. Aber
+Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte zwar wegen der Lage der Dinge in
+Italien dringend die schleunige Erledigung der asiatischen Angelegenheiten,
+schlug aber die Vorteile der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien
+bevorstehenden Krieg sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um
+in eine so entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den
+Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der böotischen
+Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen
+Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten römischen Sitte, die vor dem
+Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde
+getreu, über die früher gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die
+Rückgabe aller von dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen
+Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens
+und der Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe
+der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch geringen
+römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer und Ersatz der
+Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000 Talenten (4¾ Mill. Taler). Die
+nach dem Schwarzen Meer weggeführten Chier sollten heimgesandt, den römisch
+gesinnten Makedoniern ihre weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom
+verbündeten Städten eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes,
+der streng genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden
+sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die
+seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war.
+Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt hatte, blieb ihm und
+es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung angesonnen ^11. Archelaos, deutlich
+erkennend, daß verhältnismäßig unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu
+erreichen sei, schloß auf diese Bedingungen die Präliminarien und den
+Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten
+noch in Europa innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte
+wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und
+ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich geltend machte, daß
+Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren bereit sei. Sulla,
+beleidigt durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines
+amtlosen Abenteurers und bei dem äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits
+angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um
+Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei
+er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn dahin zu
+gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria abzurechnen. Nun
+setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen sowie seine Flotte in
+Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang es Archelaos, seinem
+eigensinnigen Herrn die widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu
+entreißen; wofür er später am königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen
+Friedens scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit
+nachher er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten,
+die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die römischen
+Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute ihnen entging, mochte
+dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl gerechtfertigte Unwille, daß
+man den Barbarenfürsten, der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über
+Italien und Asien unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in
+Asien zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat.
+Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen
+Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster Weise
+durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem solchen
+Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und die Einsicht,
+mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue in diesem
+Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast die ganze Küste
+des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten
+Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in
+Anspruch, und die Lage Italiens war von der Art, daß es fast schon für Sulla zu
+spät schien, um mit den wenigen Legionen, die er besaß, der dort regierenden
+Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es
+schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an
+der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla
+jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte, so
+dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei Kypsela am
+Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation des Friedens durch
+Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging weiter. Der König, hieß es,
+wünsche persönlich mit dem römischen Feldherrn zusammenzutreffen und den
+Frieden mit ihm zu vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher
+Vorwand, um das Heer nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu
+machen. So überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos,
+den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit
+Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag abgeschlossen hatte,
+ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei Thyateira unweit Pergamon auf das
+Lager des Fimbria traf. Hart an demselben schlug er das seinige auf. Die
+Sullanischen Soldaten, an Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern
+weit überlegen, sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten
+Haufen und deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den
+Fimbrianern wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten
+die Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den geforderten
+Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände abzulegen. Ein
+Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria erbetenen Zusammenkunft
+erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich, ihm durch einen seiner Offiziere
+eine Aussicht auf persönliche Rettung zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte
+Natur, aber keine Memme; statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen
+und zu den Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des
+Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer
+begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige Aufnahme
+fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen hatten
+im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem
+Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt auch bei
+Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des Friedensvertrages
+ward versäumt, was später zu vielen Entstellungen benutzt ward.
+</p>
+
+<p>
+^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen Krieg. König
+Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, begnügte sich nicht mit
+dem zweiten Rang, der ihm im Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen
+zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt
+abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen
+mit eigenem Bildnis schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens,
+seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter
+Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates
+(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und Statthalters
+Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den nördlichen Bergen
+sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier
+Krösos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden großen Meeren
+(Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu
+bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen
+Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der
+Hand seiner Leute. Nach Ardasches&rsquo; Tode rückte sein Nachfolger Dicran
+gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das
+armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem
+Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und
+des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach
+Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen
+griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.
+</p>
+
+<p>
+Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne
+Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich
+durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich
+durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später
+der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten
+sind mit um so größerer Vorsicht aufzunehmen, als sie keineswegs reine
+Volkssage sind, sondern teils die Nachrichten des Josephus, Eusebius und
+anderer, den Christen des fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den
+armenischen Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
+Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses
+dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
+okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
+orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der
+unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie noch
+stärker zu trüben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden Krieg
+doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche Krise noch
+lange in den einzelnen Städten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando über
+dieses Korps und die Statthalterschaft im römischen Asien übergab er seinem
+besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die revolutionären Maßregeln
+Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven und die Kassation der Forderungen,
+wurden natürlich aufgehoben; eine Restauration, die freilich an vielen Orten
+nicht ohne Waffengewalt durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen
+Grenzgebiets unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit
+dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner Gerechtigkeit
+geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten Anhänger Mithradats und
+die Urheber der an den Italikern verübten Mordtaten traf die Todesstrafe. Die
+Steuerpflichtigen mußten die sämtlichen von den letzten fünf Jahren her
+rückständigen Zehnten und Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem
+hatten sie eine Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu
+entrichten, zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die
+Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man sich indes
+des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so fühlt man sich
+geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde Vergeltung zu
+betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht ungewöhnlich drückend waren,
+beweist der Betrag der später im Triumph aufgeführten Beute, der an edlem
+Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler belief. Die wenigen treugebliebenen
+Gemeinden dagegen, namentlich die Insel Rhodos, die lykische Landschaft,
+Magnesia am Mäander wurden reich belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil
+der nach dem Kriege gegen Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück.
+Desgleichen wurden die Chier für die ausgestandene Not, die Ilienser für die
+wahnsinnig grausame Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla
+angeknüpften Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe
+und Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien hatte
+Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt und sie alle
+Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei freilich der stolze
+Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von königlichem Blute stammenden
+Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn nannte, persönlich vor sich zu lassen.
+Gaius Scribonius Curio ward beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten
+Reichen die Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.
+</p>
+
+<p>
+So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König wieder ein
+Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein
+einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des
+Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch zur Notdurft befriedigt.
+Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr glänzend sich hervorgetan,
+sondern die schwere Mittelstraße zwischen kühnem Ausharren und klugem Nachgeben
+auf seinem von tausendfachen Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten
+verstanden. Fast wie Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den
+Streitkräften, die der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und
+schwereren Kampfe sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen
+Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre ausgestandenen
+Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von
+Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem Landweg nach Paträ, wo die Schiffe
+wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf
+ging ein Bericht an den Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien,
+dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die
+stumme Ankündigung der bevorstehenden Restauration.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Cinna und Sulla</h2>
+
+<p>
+Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt
+nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurückließ, sind früher
+dargelegt worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem
+mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals,
+die Verwirrung und die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der
+Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung
+vielfältige Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der
+schwersten Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen,
+grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des
+Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die
+Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloß den
+Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der
+herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten Verträge und
+ihre neue völlig rechtlose Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und
+Po waren ebenfalls unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen
+und die Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der
+Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen Bedrängnis und
+fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die verfassungsmäßige
+Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der
+hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung Geächteten, der
+infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete
+eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr zu erwirken; namentlich einige
+reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld.
+Keine dieser Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen
+gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte; größtenteils
+waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle nährten das
+allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder mitgewirkt bei der
+Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil
+oppositionellen Ausfall der Konsul- und Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name
+des Mannes, den die Mißvergnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des
+Lucius Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er
+als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die
+Persönlichkeit desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger
+unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der römischen
+Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, als daß dieser
+ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus geleitete Gesell weitergehende
+politische Pläne von Haus aus gar nicht gehabt hat. Es ward gleich bei seinem
+Auftreten behauptet, daß er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern
+und der Koterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr
+glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger
+charakteristisch, daß ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und
+Sulpicius geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung,
+an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl
+der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als
+von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und
+nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die Rückberufung der Verbannten in
+gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte.
+Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und nur deshalb
+hineingezogen zu sein, weil die Intrige, die infolge der Beschränkung der
+tribunizischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte,
+unter den Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah
+und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden
+Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe, so der Volkstribun
+Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksberedsamkeit sich einen
+Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten
+römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit
+seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch
+diesen Hader in die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er
+seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der
+Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
+einzulassen.
+</p>
+
+<p>
+Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten Gründen sich
+still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den Mahnungen des Konsuls
+Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im Osten nachgebend, sich
+eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von der Majorität des
+Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor, wodurch man übereingekommen
+war, gegen die Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren;
+sie enthielten die politische Gleichstellung der Neubürger und der
+Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der
+infolge der Sulpicischen Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse
+strömten die Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen
+zugleich die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die
+Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul gegen
+Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen Tribun;
+beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils bewaffnet auf dem
+Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten Interzession ein; als gegen
+sie auf der Rednerbühne selbst die Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius
+gegen die Gewalttäter Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer
+säuberten nicht bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten
+auch, der Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter
+Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an diesem
+&ldquo;Octaviustag&rdquo;, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
+schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich durch
+Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war ebenso
+erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb den Führern
+der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter gegen die Häupter der
+Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren gab die Verfassung kein
+Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet
+hatte geweissagt, daß die Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm
+haltenden Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in
+Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den
+Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des Senats
+der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius Cornelius
+Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht ausgesprochen. Die
+ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die Zahl der ausgetretenen
+Männer in Numidien um einige Köpfe sich vermehrte.
+</p>
+
+<p>
+Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, wenn
+nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es unterlassen hätte,
+die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung Italiens zu nötigen, teils diese
+in der Lage gewesen wären, zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation
+der Neubürger gewissermaßen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert
+erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden
+Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der
+gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten sie sich
+bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und
+revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende
+Persönlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der flüchtigen Beamten,
+die überdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, aus den letzten
+Feldzügen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck;
+die verfassungswidrige Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats
+in die Rechte des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den
+Offizieren machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den
+Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul
+an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der Kern für die von
+den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen Gemeinden herbeiströmenden
+Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens aus Rekruten bestehende
+Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von
+Norden. Auf Cinnas Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an
+der etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete,
+größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene numidische Reiter; aber
+Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstädtischen Gesindel hatte
+Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt die Zwinghäuser erbrechen, in denen die
+Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und
+die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht
+verschmäht. Durch diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von
+allen Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute verstärkt,
+zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe
+bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf die nach Rom segelnden
+Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem
+&ldquo;Konsul&rdquo; Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen Armee
+schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der
+allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die Spitze
+der Bewegung geführt werden mußte und doch notorisch ebenso jedes
+staatsmännischen Handelns unfähig wie von wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt
+war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius
+den Oberbefehl in Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.
+</p>
+
+<p>
+So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte nicht länger
+verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber
+die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker
+festgehalten; Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er
+erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und
+krieggewohnten Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen
+Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien nicht in
+seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß Rom von den
+Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem Korps und dem des Carbo
+stellten sich am rechten Tiberufer dem Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am
+linken, Pompeius gegenüber gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem
+allmählich auf drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl
+von Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt
+sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel der
+herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord
+und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt schwebte, schon durch die
+bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr; auf Befehl des Senats wurden
+Mauern und Tore in Verteidigungszustand gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das
+Ianiculum befehligt. Strabos Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen
+gleichmäßig Befremden und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim
+unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches
+Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die Unterstützung, die
+er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch Einverständnis mit einem der
+Offiziere der Besatzung in das Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in
+der Tat gelang, die Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen,
+bewiesen es, daß er nichts weniger beabsichtigte, als sich den
+Insurgentenführern anzuschließen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint
+seine Absicht gewesen zu sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und
+Bürgerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats
+für das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber in
+die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem einen
+Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und suchte sich
+anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der Bundesgenossen
+beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen niedergelegt und infolgedessen
+ihr altes Bündnis eingebüßt hatten, wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das
+Bürgerrecht verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu
+sollen, daß Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines
+großen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in
+der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten
+mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem
+Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden war. In der
+Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese Nachgiebigkeit zugute
+kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen betrug ihr Zuzug im ganzen
+nicht mehr als höchstens zehntausend Mann. Wichtiger noch wäre es gewesen, mit
+den Samniten und Nolanern zu einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des
+durchaus zuverlässigen Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können.
+Allein die Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch
+erinnerten: Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer
+Gefangenen und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern
+entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst sowie an
+die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in dieser Not so
+entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den Metellus an, mit
+Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im südlichen Italien irgend
+entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach Rom zu führen. Er gehorchte; aber
+die Folge war, daß die Samniten den gegen sie zurückgelassenen Legaten des
+Metellus Plautius mit seinem schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die
+nolanische Besatzung ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt
+Abella in Brand steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles
+bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und
+samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher
+Verlust war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen
+Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige
+Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet
+wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich ein. Die große
+volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur ungenügend mit Vorräten
+versehen; und namentlich Marius ließ es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr
+mehr und mehr abzuschneiden. Schon früher hatte er den Tiber durch eine
+Schiffbrücke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von Antium,
+Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege
+in seine Gewalt und kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer
+Gegenwehr geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer,
+die etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ.
+Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den dicht um die
+Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf von Strabos
+Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben
+erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und ein glückliches
+Ereignis für sie war Strabos plötzlicher Tod. Er starb an der Pest 3; die aus
+vielen Gründen gegen ihn erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der
+Bahre und schleiften ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war,
+vereinigte der Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus&rsquo;
+Eintreffen und Strabos Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern
+wenigstens gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum
+Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren tief
+erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn mit Zuruf,
+als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es geraten, es nicht
+auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die Truppen in das Lager
+zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden unsicher und unter sich uneins.
+Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerte, aber störrige und
+kurzsichtige Konsul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte,
+versuchte der kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich
+zustande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der
+Ultras beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem
+Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne Ursache
+der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen Metellus an, den
+Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise
+die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu desertieren. Die Stimmung der
+Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde
+Cinnas, daß den überlaufenden Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten
+dieselben scharenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem
+Vorschlage aber, daß der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden,
+die Freiheit zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die
+Regierung konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts
+übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu treffen,
+wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen
+an Cinna; allein da sie törichterweise Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul
+anzuerkennen und Cinna während dieser Weiterungen sein Lager hart vor die
+Stadttore verlegte, so griff das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr
+möglich war, irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich
+einfach dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
+hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber
+weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite
+den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem Schweigen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen
+Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher unbekannter Tatsachen mitteilt
+und vor allem die Folge und Verknüpfung dieser Vorgänge deutlicher, als bisher
+möglich war, erkennen läßt.
+</p>
+
+<p>
+2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht aus
+Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben,
+die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlängern, was ihm
+nach Herkommen freistand und tatsächlich hinauslief auf Erteilung des
+Bürgerrechts an alle Italiker.
+</p>
+
+<p>
+3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt &ldquo;von der
+Pest ergriffen&rdquo; (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht
+&ldquo;vom Blitz getroffen&rdquo;, wie die Späteren es mißverstanden haben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen;
+aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt zu
+betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten sich die
+Bürger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluß zu fassen. So kam er denn
+und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer
+auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich
+niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt;
+fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne
+Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täglich erschlagen und
+monatelang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war
+das erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu
+leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte
+er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf dem
+Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul
+644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger
+Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und
+Dichter und als liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665
+99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner
+Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im
+Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit Auszeichnung
+kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten Männer der
+Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern namentlich die reichen
+mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des
+Lucius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und
+nun deswegen peinlich angeklagt und vor die Komitien geladen, um der
+unvermeidlichen Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar
+des Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen
+Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte,
+den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Konsul 652
+102), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte
+desselben Marius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen
+keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: &ldquo;Er muß
+sterben!&rdquo; Der Urheber all dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete
+die Opfer und die Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und
+Catulus, eine Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das
+Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das stets
+sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache
+nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin freilich Sulla ihm
+vorangegangen war - die Köpfe der getöteten Senatoren an die Rednerbühne auf
+dem Marktplatz heften; einzelne Leichen ließ er über den Markt schleifen, die
+des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten
+Quintus Varius noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der
+ihm, während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber in
+seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte
+abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen, namentlich eine
+Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und versäumten nicht, in diesen
+Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser ihrer ehemaligen Herren zu plündern
+und was ihnen darin vorkam, zu schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen
+waren in Verzweiflung über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den
+Konsul, demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war
+erschrocken. Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine
+Macht; man stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es
+war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
+fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius
+vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
+Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel weniger als
+die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht unzufrieden damit, daß
+eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen Oligarchen einmal gründlich zu
+demütigen, und zugleich infolge der umfassenden Konfiskationen und
+Versteigerungen der beste Teil der Beute an sie kam - sie erwarben in diesen
+Schreckenszeiten bei dem Volke sich den Beinamen der &ldquo;Einsäckler&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das
+Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an
+der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen
+vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten
+können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild
+des siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er
+seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er
+wünschte, hatten die Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten
+Sagenzeit, übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben
+durch die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im
+sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit
+dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus
+rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige
+Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst schien es zu fühlen. Wie im
+Taumel vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die
+Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber
+ergriff ihn; nach siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er
+auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla
+bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über siebzig
+Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem
+Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut.
+Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und Italien bei der Nachricht von
+dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde
+von der Schlacht auf dem Raudischen Feld?
+</p>
+
+<p>
+Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die
+Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein
+anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut getaucht hatte,
+bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
+verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus Scaevola
+(Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen
+Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich
+ausdrückte, daß er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des
+Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius
+die Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen
+keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl,
+sämtlich niederhauen.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna stand
+nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an der Spitze des
+Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und seine Kollegen, ohne das
+Volk zu befragen; es war, als ob diese Demokraten die souveräne
+Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung beiseite schöben. Kein
+anderes Haupt der Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen
+absolute Gewalt in Italien wie in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit
+hindurch fast ungestört besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen,
+dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm
+natürlich das von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den
+Neubürgern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern
+zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen Senatsbeschluß
+förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man ernannte Zensoren (668
+86), um demgemäß sämtliche Italiker in die fünfunddreißig Bürgerbezirke zu
+verteilen - eine seltsame Fügung dabei war es, daß infolge des Mangels von
+fähigen Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91)
+hauptsächlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen,
+hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die
+Bürgerrollen einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666
+(88) begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem
+Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die vor
+einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung jetzt
+wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius
+Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegründung in Capua im
+Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius
+Flaccus der Jüngere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten
+Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner
+kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des ganzen
+Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick diktiert; es liegt -
+und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe -
+derselben nicht etwa ein verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu
+Grunde. Man liebkoste den Pöbel und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger
+Weise durch zwecklose Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte
+an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs
+empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des Regiments
+waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ sich ihren
+Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame Stellung der
+Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische Bürger waren, aber
+offenbar tatsächlich ihre landschaftliche Unabhängigkeit als den eigentlichen
+Zweck und Preis des Kampfes betrachteten und diese gegen all und jeden zu
+verteidigen in Waffen blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie
+tolle Hunde; aber nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der
+Regierung zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß
+dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den Sturz
+der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf seinem
+selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime Nullkönige zu tun
+belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, sondern der reine Zufall
+emporgetragen; war es ein Wunder, daß er blieb, wo die Sturmflut der Revolution
+ihn hingespült hatte, bis eine zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?
+</p>
+
+<p>
+Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten
+Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der
+revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunächst ihre
+Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein
+sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch größere Masse der
+ruhigen Leute mißbilligte zwar die Marianischen Greuel, sahen aber in einer
+oligarchischen Restauration nichts als die Eröffnung eines zweiten
+Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des
+Jahres 667 (87) auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da
+sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten, und
+ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende dreijährige,
+leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger endlich, vielleicht
+drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige
+Regierung, doch gegen die Oligarchie.
+</p>
+
+<p>
+Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, Sardinien,
+beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den
+Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese Provinz für die Optimaten
+zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der jüngste Sohn des
+in dem Marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn
+durch einen in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie
+sich untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung,
+Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit
+blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien,
+soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und
+Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene
+Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete.
+An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ es die Regierung nicht
+fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen
+Ehren und Würden entsetzt und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen
+Metellus, Appius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus
+in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war
+die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne
+Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem Todbette
+die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem Tode die Regierung
+ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus der jüngere 4, der nach
+Marius&rsquo; Tode das Konsulat und das Kommando im Osten übernahm (668 86),
+war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfähig,
+aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach
+schwächer als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um
+nicht von Sulla erdrückt zu werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei
+(668 86), daß Fimbria ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt
+habe (Anfang 669 85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates
+(669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden
+Behörden gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat
+ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr nach
+Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er achten;
+Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden nicht die Massen,
+sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung schreckte Cinna aus seiner
+Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan hatte, als daß einige
+Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen
+Meere versammelt worden war, so beschloß er jetzt, schleunigst nach
+Griechenland überzugehen. Aber andererseits weckte Sullas Schreiben, das den
+Umständen nach äußerst gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen
+auf eine friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem
+Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu dem Ende
+Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in Italien
+einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum Eingang
+von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht
+unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber ließ durch
+Boten erklären, daß er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in
+den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen,
+Sicherheit übrigens nicht geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen
+gedenke. Seine Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich
+verändert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern,
+sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung
+desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen Jahreszeit sich dem Meer
+anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu
+Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf
+sein Kollege Carbo sich genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen
+zurückzuführen und, auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend,
+Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden darum keine
+bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück, ohne auch nur die
+Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen niederzulegen. Es
+war nicht zunächst die Koterie der Marianer, welche dies entschiedene Auftreten
+bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, mußte diese Faktion die bisher usurpierte
+Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83)
+wieder Konsulwahlen veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht
+auf den bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis
+dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn,
+sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten, von denen
+keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, und von denen
+jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner
+der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die Marianer wurden nicht so sehr
+ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer Nichtigkeit wegen verachtet; aber
+wenn die Nation nichts von diesen, so wollte sie in ihrer großen Majorität noch
+viel weniger von Sulla und einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man
+dachte ernstlich an Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des
+Fimbria zum Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel,
+benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr gegönnte
+weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei Sullas Landung
+100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten gegen ihn gestanden
+haben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, ist nicht
+der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger jüngerer Mann,
+vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das die Wiederwahl zum
+Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) rechtlich in Kraft
+geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß dasselbe, war für Scipio
+Aemilianus und Marius, auch für Flaccus geschah. Zweitens wird nirgends, wo der
+eine oder der andere Flaccus genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht,
+auch nicht, wo es notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der
+Lucius Valerius Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als
+Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein,
+da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon tot
+war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den Cicero (Att. 8,
+3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85)
+unzweifelhaft der älteste lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des
+Senats; er ist auch der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82).
+Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von
+Cicero verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als
+seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im
+Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten.
+Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland
+und Asien des Politisierens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den
+Soldaten alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere,
+nachsah, nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für
+den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
+jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei die
+edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich
+begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die Sullanischen Soldaten
+sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und freiwillig brachte ein jeder
+dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so
+ansehnlich diese geschlossene Kernschar gegen die feindlichen Massen ins
+Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf
+Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
+zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten fertig zu
+werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit dieser
+vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration
+wollten, und vor allen Dingen die gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen,
+die durch das Julische Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten
+abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
+den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die Lage der
+Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung und der
+eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei charakterisierten.
+Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine Freunde
+ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins Elend trieb, war er
+unbeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind überwältigt und die
+römische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und
+einsichtiger Mäßigung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und
+tat, was er irgend tun konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen
+und um zu verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit
+gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen Bundesgenossen
+abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat
+richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine
+Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er
+nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich lossagen
+würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann
+für Mann, zu schwören, daß sie den Italikern durchaus als Freunden und
+Mitbürgern begegnen würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern
+die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder
+italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes an der
+allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die
+Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat darin, daß bei der
+eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger allen Grund hatten, wenn
+nicht an seinen persönlichen Absichten, doch daran zu zweifeln, ob er es
+vermögen werde, seine Partei zum Worthalten nach dem Siege zu bestimmen.
+</p>
+
+<p>
+Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von
+Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr
+und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese unfähigen Leiter
+hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht
+stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die
+Häfen waren unbesetzt und überhaupt unglaublicherweise in dem ganzen
+südöstlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald.
+Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne
+Widerstand dem oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel
+folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden
+wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die
+strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste der
+Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er
+von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als
+Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm übertragene und von der Revolution ihm
+aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer
+kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen
+als vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daß
+sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die adligen Herren,
+die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu
+bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, daß schon
+Überläufer aus dem demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und
+angesehene Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfähigen Leuten der
+einzige Konsular, der mit der revolutionären Regierung sich eingelassen und
+unter ihr Ämter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste
+Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz
+Sardinien für ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und
+andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius
+Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten
+Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch als die
+einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne
+des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem
+Vater von Haus aus kein Anhänger der Oligarchie, hatte die revolutionäre
+Regierung anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward
+ihm nicht vergessen, daß sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen
+hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe
+der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich
+unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen Vermögens
+bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus
+und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm persönlich gewogenen
+Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf
+die Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte
+Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die besten
+munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der
+optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel
+ihm zu; die junge Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater
+gedient hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch
+nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im Reitergefecht
+den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind einhieb. Das picenische
+Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; den aus der Hauptstadt zur
+Dämpfung der picenischen Insurrektion ausgesandten Abteilungen unter Cloelius,
+Gaius Carrinas, Lucius Iunius Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte
+Feldherr, die unter denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend,
+sich zu entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas,
+wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte ihn als
+Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden und nicht
+unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den Jüngling durch
+Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner vornehmen Klienten erwies -
+vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der charakterlosen Schwäche seiner
+eigenen Parteigenossen damit eine indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des
+sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde
+kommandieren konnte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und Metellus
+nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach
+Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es schien
+die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das Heer des Konsuls Gaius Norbanus
+stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp
+sich konstituierte; die zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen
+Straße heran. Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber.
+Ein letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man an
+seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine kampfgewohnten
+Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom Berge Tifata herab
+zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im ersten Anlauf; mit dem Rest
+seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die revolutionäre Kolonie Capua und die
+Neubürgerstadt Neapolis und ließ dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher
+nicht ohne Besorgnis ihre schwache Zahl mit den feindlichen Massen
+vergleichend, hatten durch diesen Sieg das Vollgefühl militärischer
+Überlegenheit gewonnen; statt mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen
+Armee sich aufzuhalten, ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden,
+und rückte auf der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm
+bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint in
+gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein Waffenstillstand
+ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die beiden Feldherren, beide
+Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide gebildet und feingesittet und
+langjährige Kollegen im Senat, persönlich zusammen; man ließ sich auf die
+einzelnen Fragen ein; schon war man so weit, daß Scipio einen Boten nach Capua
+absandte, um die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich
+die Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld
+versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht
+begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu haben;
+vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen Verkehr ein Ende
+zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein;
+Scipio war es, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla behauptete,
+daß es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem
+Vorwand, daß ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen
+Scipios Soldaten in Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit
+einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der
+Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern, sein Amt
+niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch seine Reiter dahin
+eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio
+die Abzeichen seiner Würde wieder an und begann aufs neue, Truppen
+zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und
+Metellus nahmen Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter
+Versuch, mit Norbanus sich zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter
+über blockiert.
+</p>
+
+<p>
+Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von
+Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung und
+Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die italischen
+Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede für sich Partei zu
+ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und ließen sich die von der
+Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förmliche Separatverträge von
+dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung
+und trug sie absichtlich zur Schau, die revolutionäre Regierung in dem nächsten
+Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen.
+</p>
+
+<p>
+Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben. Das
+Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Male
+und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben zwanzigjährige Mann
+gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden
+anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser und in anderen
+Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, um neue
+Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das
+Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die
+Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen;
+wie bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher
+Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund
+Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile Italiens, der gezwungen
+oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Rüstungen lebhaft
+betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und
+dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des
+Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen
+ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet wie
+in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es war nichts
+weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische Regierung, daß
+zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere verstärkte; wohl aber
+begriff man daselbst, daß eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt
+faktisch bestehende Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen
+lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem
+Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die
+Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein Nationalkampf wie
+die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht um ein Mehr oder Minder
+von politischen Rechten, sondern um den lange verhaltenen Haß durch Vernichtung
+des Gegners zu sättigen. Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges
+einen ganz anderen Charakter trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine
+Verständigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis
+aufs äußerste fortgesetzt ward.
+</p>
+
+<p>
+So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten
+Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf
+die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die römischen Komitien alle in
+Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, daß man
+im voraus sich selber das Urteil spreche.
+</p>
+
+<p>
+Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm es,
+gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen,
+während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte.
+Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in
+Latium begegnen. Auf der Launischen Straße heranrückend, traf Sulla unweit
+Signia auf den Feind, der vor ihm zurückwich bis nach dem sogenannten
+&ldquo;Hafen des Sacer&rdquo; zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der
+Marianen dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer
+war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit
+seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit
+denen dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der
+unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald
+wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während des Gefechts
+beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer waren tot oder
+gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere
+Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu
+suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar
+verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius
+Brutus Damasippus den Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch
+verschonten angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag,
+durch den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen;
+Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten Männer
+wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus
+niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen Aufräumung fanden sich
+doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Ädil Publius Antistius,
+der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo,
+der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem
+Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem
+verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der ehrwürdige
+Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um
+jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut
+anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah die Menge die
+Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die Straßen schleifen und
+sie in den Fluß werfen.
+</p>
+
+<p>
+Marius&rsquo; aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen
+Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem größten
+Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das Jahr zuvor vor
+Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den Quintus Ofelia, zurück, mit
+dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die Belagerung der festen Stadt zu
+vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie einzuschließen und sie
+auszuhungern; er selbst rückte von verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu,
+welche er wie die ganze Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr
+besetzte. Kaum nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu
+beruhigen und die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
+Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien zu
+vertreiben.
+</p>
+
+<p>
+Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und Sinigaglia),
+der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz schied, auf Carbos
+Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen geschlagen; als Carbo selbst
+mit seiner überlegenen Armee herbeikam, hatte er das weitere Vordringen
+aufgeben müssen. Allein auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war
+Carbo, um seine Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische
+Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen und von
+dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten. Bei dieser
+rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene Abteilungen dem Feinde
+in die Hände, sondern ward auch von Pompeius Sena gallica erstürmt und Carbos
+Nachhut in einem glänzenden Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im
+ganzen seinen Zweck. Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando;
+Carbo selbst begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen
+siegreichen Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten
+von Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände.
+Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt bei
+Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das auf der
+großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen ließ unter Marcus
+Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines Flottenführers im
+Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein Altersgenosse und
+Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf Bergwegen in Umbrien ein
+und gewannen die Flaminische Straße bei Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn
+Carrinas schlugen und in die Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in
+einer regnerischen Nacht, aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht
+ohne Verlust, zum Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom
+aus in zwei Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste
+vorgehend bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm
+entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung im
+Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht mit dessen
+spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die zwischen Carbo und
+Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, endigte zwar ohne eigentliche
+Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten Carbos, als Sullas siegreiches
+Vordringen gehemmt ward. Auch in der Umgegend von Rom schienen die Dinge für
+die revolutionäre Partei sich günstiger wenden und der Krieg wieder sich
+hauptsächlich nach dieser Gegend ziehen zu wollen. Denn während die
+oligarchische Partei alle ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die
+Demokratie aller Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste
+zu sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte sich
+dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte. Ebensowenig
+glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen Korps unter Marcius;
+von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen überfallen und geschlagen,
+durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu
+Carbo zurück, ein anderer nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche
+Hilfe dagegen kam aus Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von
+Telesia, die Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne
+daß der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua noch
+immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich und rückten
+also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla selbst kehrte darauf,
+mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach Latium zurück und nahm in den
+Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine wohlgewählte Stellung, in der er dem
+Entsatzheer den Weg sperrte. Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien
+zu durchbrechen, vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide
+verharrten unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
+gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte. Während
+aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, kam es im Potal
+zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der Demokratie Gaius Norbanus
+die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des Metellus, Marcus Lucullus, mit
+überlegener Macht angegriffen und ihn genötigt, sich in Placentia
+einzuschließen, endlich sich gegen Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf
+er auf diesen und griff am späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten
+Truppen sofort an; die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale
+Auflösung seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen.
+Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
+schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen Piacenza
+und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in Masse über; ihr
+Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut, indem er die vornehmsten
+Offiziere der revolutionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie
+dabei niedermachen ließ; überhaupt schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen
+Frieden. Ariminum mit allen Vorräten und Kassen geriet in Metellus&rsquo;
+Gewalt; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen
+und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten
+Truppen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo
+die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
+Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
+ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch
+heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die im
+Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der Feldherr
+ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden sie von Pompeius
+aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen und führte sie nach
+Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte inzwischen nichts sich verändert;
+und die letzte Entscheidung nahte heran. Carrinas&rsquo; Haufen waren nicht
+zahlreich genug, um Sullas Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der
+Vortrab der bisher in Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei
+unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten
+und der Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von
+Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
+Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verloren;
+ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch diesen Marsch in Sullas
+Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten, so wurden sie, eingeschlossen
+in die zur Verteidigung keineswegs geeignete Stadt und eingekeilt zwischen
+Metellus und Sullas weit überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es
+handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem
+Zug nach Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und
+vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von
+Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt
+hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat
+Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. November 672 (82), als
+Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der Latinischen Straße gegen Rom
+herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte
+ein Tag wie der 20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die
+Tage der Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein
+Handstreich gegen Rom ein törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der
+Hauptstadt konnte es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die
+aus der Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der
+ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla.
+Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der
+Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den
+sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen
+seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der
+Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem
+Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine
+Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften
+Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über
+Rom bringen könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die
+Schlacht war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst
+anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward, die
+Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, daß
+die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel warf Marcus Crassus
+den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Flügel wider
+Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum
+Vorrücken überging. Die ganze Nacht und noch den folgenden Morgen ward
+gefochten; erst der Übertritt einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die
+Waffen gegen die früheren Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war
+gerettet. Die Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde
+vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis
+4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer
+verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das
+städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und daselbst bis auf den letzten
+Mann niederhauen, so daß man in dem nahen Tempel der Bellona, wo Sulla eben
+eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der Waffen und das Stöhnen der
+Sterbenden vernahm. Es war eine gräßliche Exekution und sie soll nicht
+entschuldigt werden; aber es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese
+selben Menschen, die dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und
+die Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten, so
+weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und eine
+Bürgerschaft zu vernichten vermögen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste allein
+zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, daß sowohl ihm
+als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand Sulla
+auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf der sie Samniten herankamen,
+bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall kommunizierte Sulla auf
+der praenestinischen, die Feinde auf der Launischen oder labicanischen mit der
+Hauptstadt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste
+ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen des Carrinas und
+anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Führer, der
+Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stürzten, nachdem ein Versuch zu
+entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern Schwert. Die Menge gab
+der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger
+für sie auch jetzt noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren
+vorbei. Je unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle
+Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Führer
+und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen
+Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den Kindern und Frauen die
+meisten Römer und einzelne Pränestiner entlassen, aber die römischen Senatoren,
+fast alle Pränestiner und sämtliche Samniten wurden entwaffnet und
+zusammengehauen, die reiche Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach
+solchem Vorgang die noch nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in
+hartnäckigster Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba,
+als Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich
+untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern die Rache
+und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits früher Neapolis
+erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig aufgegeben worden; Nola aber
+wurde erst im Jahr 674 (80) von den Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier
+fiel der letzte noch übrige namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul
+des hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
+seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der er einen
+Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen Hauses in Teanum
+in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte der Diktator, daß Rom
+nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, und daß darum der samnitische
+Name von der Erde vertilgt werden müsse; und wie er diese Worte an den vor Rom
+und in Praeneste Gefangenen in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er
+auch noch einen Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7
+eingenommen (674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in
+die Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward in
+Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in Etrurien
+Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus den Resten der
+geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich sammelte und eine
+zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann von dem gewesenen Prätor Gaius
+Carbo, dem Bruder des demokratischen Konsuls, geleitete Belagerung aushielt,
+bis endlich im dritten Jahre nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die
+Besatzung gegen freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit
+galt weder Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und
+steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen Regierung
+geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation abziehende Besatzung
+nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien verteilt und alle unsicheren
+Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; unter der eisernen Hand der
+Sullanischen Offiziere verendeten langsam die letzten Zuckungen der
+revolutionären und nationalen Opposition.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich
+verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der
+revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus
+entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete
+geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa schien
+die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs verloren. Sizilien
+regierte für sie der zuverlässige Statthalter Marcus Perpenna. Quintus
+Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und
+aus den in Spanien ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu
+bilden gewußt, welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier
+wieder bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
+unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch brauchbare
+Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da er das
+Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die Freiheit zu
+schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute von Utica
+angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und mit seinem Gesinde
+verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz nichtsdestoweniger zu der
+revolutionären Regierung, und Cinnas Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus
+Domitius Ahenobarbus, übernahm daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort
+aus die Propaganda in die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen
+worden. Deren legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus
+Sohn, hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
+demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und ähnliche
+Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien geflüchtete Konsul
+Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) zwischen Afrika und
+Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach Ägypten sich flüchten oder in
+einer der treuen Provinzen versuchen sollte, den Kampf zu erneuern.
+</p>
+
+<p>
+Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als
+Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige
+Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen, ward ihnen dadurch
+erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte General durch einen seiner
+Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich verliefen.
+Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte
+eilig die nächststehenden Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich
+ein - wohin, wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder
+nach den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche.
+Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und
+Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, und
+mit den spanischen Keltiberern (674 80).
+</p>
+
+<p>
+Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel, als
+Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste zeigte, von
+Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach
+Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; Marcus
+Brutus und die übrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte
+Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier,
+uneingedenk des in gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen
+Schutzes, persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter
+beordert nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas
+gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings weit
+zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als Imperator vorläufig
+ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. So ward er
+an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den Gefallenen; mit Hilfe
+des Königs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in
+sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner
+der Wüste, von denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter
+Stämme Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
+römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius&rsquo; Landung in
+Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
+aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen werden
+solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem Herkommen nach keinen
+Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte heimlich, die Soldaten laut; es
+schien einen Augenblick, als werde die afrikanische Armee gegen den Senat
+revoltieren und Sulla gegen seinen Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab
+nach und ließ den jungen Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der
+eher Triumphator (12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der
+Heimkehr von diesen bequemen Großtaten begrüßte der &ldquo;Glückliche&rdquo;,
+vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling als den &ldquo;Großen&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die Waffen
+nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die Unterwerfung
+einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen
+blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene mußte Lucius
+Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen
+führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem eigensinnigen Widerstand
+der Bürgerschaft kein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem
+König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach dem
+Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen erschütterte
+Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er
+seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen
+selbst aus dem Wege geräumt, und rüstete nun zu einem Zug in sein
+Bosporanisches Reich. Auf die Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen
+bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom
+gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch
+kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach dem
+kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische Grenze (671
+83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der
+römischen Regierung Beschwerde zu führen. In der Tat erschienen Beauftragte
+Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich nicht, sondern
+überschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf
+Mithradates beschloß, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios
+mußte das römische Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen
+Streitkräften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit
+großem Verlust bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die
+römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte zwar die
+Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel
+anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine zweite Mahnung Sullas
+bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht weiterzutreiben; der Friede zwischen
+Rom und Mithradates ward erneuert (673 81).
+</p>
+
+<p>
+Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert worden;
+erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See,
+wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen
+(675 79).
+</p>
+
+<p>
+Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende;
+der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach außen und
+innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war schon diese
+Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren sollte, ob der bedeutende Mann,
+dem das schwere Werk der Bewältigung des Landesfeindes, das schwerere der
+Bändigung der Revolution gelungen war, auch dem schwersten von allen, der
+Wiederherstellung der in ihren Grundfesten schwankenden sozialen und
+politischen Ordnung zu genügen vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/>
+Die Sullanische Verfassung</h2>
+
+<p>
+Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern geschlagen
+ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige Tempel, den die
+Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die Stürme eines halben
+Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des Römischen Jupiter, auf dem
+Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des
+Zustandes der römischen Verfassung. Auch diese lag in Trümmern und bedurfte
+eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel,
+daß damit von selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte.
+Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der
+beiden revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl
+zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung der
+siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre, etwa auch zur
+Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein
+Sulla, in dessen Händen der Sieg für den Augenblick alle Macht vereinigt hatte,
+urteilte richtiger über die Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie
+Roms war in ihrer besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges,
+halb borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das
+schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende
+Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und eben jetzt, nachdem
+die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, war in
+demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und Intelligenz
+weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgängig das aristokratische
+Vollblut und wie wenig Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war,
+beweist die Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus
+er sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den
+Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, Lucius Philippus,
+Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten
+Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen
+Emigranten; aber er begriff, wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang -
+wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch
+besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
+Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils umfassende
+Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie
+anzutasten, teils die Herstellung eines energischen Repressiv- und
+Präventivsystems; und er sah es deutlich, daß der Senat, wie er war, jede
+Konzession verweigern oder verstümmeln, jeden systematischen Neubau
+parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon nach der Sulpicischen
+Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und der andern Richtung
+durchgesetzt, was er für nötig erachtete, so war er auch jetzt unter weit
+schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht
+mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber
+war nicht wie damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein
+militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an den
+verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch außerordentlichen Gewalt,
+um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In einem Schreiben an den
+Senat eröffnete er demselben, daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des
+Staates in die Hände eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit
+ausgerüsteten Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese
+schwierige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam,
+war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte
+der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als
+interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag
+ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die
+nachträgliche Billigung aller von ihm als Konsul und Prokonsul vollzogenen
+Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht erteilt werden möge, über Leben
+und Eigentum der Bürger in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den
+Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des
+Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder
+zu gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das
+höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und Proprätoren
+zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen;
+daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe
+gelöst und es an der Zeit erachte, dies außerordentliche Amt niederzulegen; daß
+endlich während desselben es von seinem Gutfinden abhängen solle, die
+ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es
+versteht sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82),
+und nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul die
+Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von Rom. Den Namen
+entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen Kriege tatsächlich
+abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem bewaffneten Gefolge ihm doppelt
+so viele Liktoren vorausschritten als dem Diktator der älteren Zeit, so war
+auch in der Tat diese neue &ldquo;Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur
+Ordnung des Gemeinwesens&rdquo;, wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz
+anderes als jenes ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die
+Provokation an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche
+Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der
+&ldquo;Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen&rdquo;, die gleichfalls als
+außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter
+Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und tatsächlich
+wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder
+vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem Volksbeschluß ruhenden, durch keine
+Befristung und Kollegialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes
+als das alte Königtum, das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung
+der Bürgerschaft, einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen.
+Selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß
+ein König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward auch
+der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die ehemalige Diktatur
+eine vielfach beschränkte, so diese neue eine vollständige Wiederaufnahme der
+königlichen Gewalt in sich enthalte. So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg
+auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus
+eingeschlagen hatte. Auch hier mußte die konservative Partei von ihren Gegnern
+borgen, der Schirmherr der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als
+Tyrann, um die ewig andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage
+in diesem letzten Siege der Oligarchie.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht
+gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie
+gänzlich unfähigen Händen zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er
+sie an mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung
+hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen
+geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er wohl zornig
+aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wangen
+sich färben sah; aber die chronische Rachsucht, wie sie Marius in seiner
+greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus
+fremd. Nicht bloß nach der Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig
+großer Milde aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und
+ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
+Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper seiner
+Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten
+Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser freiwillig den Tod nahm,
+Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Landung in Italien
+hatte er ernstlich sich erboten, zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der
+seinen Frieden zu machen kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten
+Erfolgen hatte er in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die
+Revolutionspartei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß
+abgebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz,
+die Mordtaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur
+Vernichtung der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte.
+Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach
+Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei sämtliche Zivil-
+und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbeständig
+abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für die Revolution tätig gewesen
+wären, und von den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise
+derselben Vorschub getan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht
+bloß straffrei wie der Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht,
+sondern erhielt auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600
+Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste
+Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der Geächteten verfiel
+dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und Enkel wurden von der
+politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, insofern sie senatorischen
+Standes waren, verpflichtet, die senatorischen Lasten für ihren Teil zu
+übernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und
+die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was
+noch hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die Waffen
+gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das Schrecklichste in
+diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Kategorien,
+gegen die sofort im Senat remonstriert ward und der Sulla selber dadurch
+abzuhelfen suchte, daß er die Namen der Geächteten öffentlich anschlagen ließ
+und als letzten Termin für den Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81)
+festsetzte. Sosehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen
+steigende Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit
+der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht der
+persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; sein grimmiger
+Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber der scheußlichen
+Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen Befehl ward das Grab des
+Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und die Asche desselben in den Anio
+gestreut, die Denkmäler seiner Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt
+und, da ihn selbst sowie seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein
+Adoptivneffe Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der
+römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten
+der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern
+hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner
+hingerafft; von den Führern waren nur noch übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos
+Hand an sich selbst legte, während die Ekklesia über seine Auslieferung beriet;
+Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme
+Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte
+Massalia seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der
+landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch häuften sich
+am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz
+einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier öffentlich
+auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem unter den Männern
+zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Außer denen,
+die für Ehre Dienste in der oder für die revolutionäre Armee ohne viele Wahl,
+zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder
+wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste
+eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren
+zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten,
+&ldquo;die Einsäckler&rdquo;, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der
+sogenannten Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die
+gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich ein
+Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die
+Rittergerichte zu ziehen - &ldquo;Wie geht es nur zu&rdquo;, fragte bald darauf
+ein Sachwalter, &ldquo;daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie
+doch Ankläger und Richter totschlugen?&rdquo; Die wildesten und schändlichsten
+Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der
+Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen aufgetragen
+wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem
+Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war ja
+willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel drängte sich herbei, nicht
+bloß, um die Mordprämie zu verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der
+politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es
+kam wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht
+nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese
+Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten Neubürgerstadt,
+trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes
+zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf
+als Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und seine
+Freunde an deren Stelle und ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte,
+nebst dessen nächsten Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen
+unzählige, darunter nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als
+Opfer der Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung
+und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen die ihm
+näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei mit
+untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5)
+wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich noch einige
+hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. 3, 28)
+2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den ersten drei
+Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen 580 Namen in die
+Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher
+Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloß Senatoren und Ritter
+getötet wurden, teils die Liste monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen
+Stelle Appian (civ. 1, 103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt
+fünfzehn Konsulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der
+Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas
+verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102),
+Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95),
+Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 (88),
+Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius Merula 667 (87),
+Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius
+Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius Marius 672 (82), von denen
+vierzehn getötet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der
+Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) und Orosius (5, 22) als im
+Bundesgenossen- und Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare,
+sieben Prätorier, sechs Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im
+Italischen Kriege gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus
+Albinus, Konsul 655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius
+Cato 665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius,
+Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer dieser
+Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren Schicksal uns nicht bekannt ist.
+Von den vierzehn getöteten Konsularen sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus,
+durch Militärrevolten, dagegen acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als
+Opfer der Gegenpartei gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen
+Ziffern galten als Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des
+Sulla 40 Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
+willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen Frevel.
+</p>
+
+<p>
+3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter genannte
+Senator Sextus Alfenus.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus
+politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei dessen
+Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens freiwillig sich
+herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den obwaltenden
+Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft nicht zu vermeiden, die übrigens
+zum Teil schon aus der römischen Weise folgte, die vom Staat eingezogenen
+Vermögen gegen eine Pauschalsumme zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch
+hinzu, daß der Regent teils sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine
+Gemahlin Metella und andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen,
+selbst Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald
+ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum Beispiel einer
+seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen (457000 Talern) für 2000
+Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner Unteroffiziere durch
+derartige Spekulationen zu einem Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000
+Talern) gelangt sein. Der Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas
+Regentschaft fragte ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe,
+um seine Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser
+Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern nicht
+weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang
+dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der Bürgerschaft fallenden
+Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es war durchaus ein fürchterliches
+Strafgericht. Es gab keinen Prozeß, keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete
+der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der
+Haupt- wie der Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug
+wohl einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine persönliche
+Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien Sulla den
+Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der neuen
+Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgültig zu
+betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das
+Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und gewissermaßen
+ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen
+verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht
+standen.
+</p>
+
+<p>
+In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl
+er sonst im allgemeinen alle während der Revolution vorgenommenen, nicht bloß
+die laufenden Geschäfte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte,
+doch fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer
+italischen Gemeinde damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede
+zwischen Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren
+und Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den
+Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und für sie
+das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies
+als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß den revolutionären Führern
+jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden mußten und daß die
+Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Bürger nicht
+wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband
+sich das härteste Gericht über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen
+Landschaften Italiens, ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung
+der durch die ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden
+belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen
+hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit
+erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbußen,
+Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den hartnäckigsten
+Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer Feldmark, zum Teil sogar das
+ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich allerdings als verwirkt angesehen werden
+konnte, mochte man nun sie als Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen
+ihr Vaterland getragen, oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag
+zuwider mit Rom Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus
+dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich das
+römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste latinische
+empfingen 4. Man vermied also an italischen Untertanengemeinden geringeren
+Rechts der Opposition einen Kern zu gewähren; die heimatlosen Expropriierten
+mußten bald in der Masse des Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward
+nicht bloß, wie sich von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua
+aufgehoben und die Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch,
+wahrscheinlich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia)
+entzogen. In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt
+Praeneste und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die
+von Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber
+vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden Landschaften,
+die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen Tor ernstlichen
+Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. Dort traf die
+Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel
+Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon
+gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet,
+seine blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde
+gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das latinische
+Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer
+bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloß, hier aber -
+ähnlich wie bei den späteren Freigelassenen latinischen und deditizischen
+Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die
+Folge war, daß diese Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien
+entbehrten, genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein
+Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie
+aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Römern
+oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen
+römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur
+Nutznießung übertragen waren und jetzt mit deren Auflösung an die römische
+Regierung zurückfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der straffälligen
+Gemeinden zur Verfügung des Regenten; und er benutzte sie, um darauf die
+Soldaten der siegreichen Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen
+Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium,
+andere nach Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii
+Sullanische Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht
+in der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte in
+gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon bestehenden
+Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl
+der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch einige
+Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der Dianentempel
+auf dem Berg Tifata mit Ländereien beschenkt ward, andere, wie die
+volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt blieben, andere
+endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden
+Mißbrauch von Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die
+Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art.
+Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit
+den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemäßigten Konservativen
+zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im Jahre 666 (88) die Gründung
+einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der ackerbauenden
+Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung größerer Besitzungen von Seiten der
+Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das
+erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah
+er in diesen angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit
+ihrem Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb
+auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die
+Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbürger und
+die Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Bürgerschaften
+konstituiert wurden. Diese Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren
+auf Volksschluß, aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der
+desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache nach
+gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten
+insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen Gewalt über das
+Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Bürgers, der
+sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den
+Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausführung lebendig bleiben sollte und
+blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer des Senats
+bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als
+Militärkolonien bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist
+die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten über 10000 der
+jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und insgesamt freizusprechen. Diese
+neuen Cornelier, deren bürgerliche Existenz an die Rechtsbeständigkeit der
+Institutionen ihres Patrons geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für
+die Oligarchie sein und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den
+nun einmal in der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.
+</p>
+
+<p>
+Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die Oligarchie
+lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen mochten,
+waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu Mitteln greifen wollte, wie
+die förmliche Aufstellung eines stehendes Heeres in Rom und dergleichen
+Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher ein Ende gemacht haben würden
+als ,die demagogischen Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen
+Regierungsgewalt der Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so
+gesteigerten und so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen
+Angriffspunkt den nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das
+vierzig Jahre hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die
+Gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von
+666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
+Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der Erneute
+zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige Getreideverteilungen an die in
+der Hauptstadt domizilierten Bürger; Sulla schaffte dieselben ab. Durch die
+Verpachtung der Zehnten und Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus
+den Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
+Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in
+feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rückstände
+entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius
+Gracchus hatte durch Übergabe der Geschworenenposten an die Männer vom
+Ritterzensus dem Kapitalistenstand eine indirekte Mitverwaltung und
+Mitregierung erwirkt, die nicht selten sich stärker als die offizielle
+Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Rittergerichte ab und
+stellte die senatorischen wieder her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische
+Zeit hatte den Rittern einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie
+ihn schon seit längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies
+die Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher durch
+Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch Sulla.
+Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in
+Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und auch äußerlich nicht bloß
+als privilegierter, sondern als einzig privilegierter Stand auftreten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der Kriegskosten auf
+die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch für die Zukunft
+maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der Einteilung Asias in vierzig
+Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung der
+sullanischen Repartition bei späteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32),
+ferner, daß bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten Summen an der
+Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr.
+1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die
+Griechen &ldquo;nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen
+auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpächter&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen ward,
+welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische Theatergesetz
+687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch, Bd. 4, S. 531), aber
+nach der Lage der Sache war der Urheber dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber
+unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren
+furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die Rittergerichte
+Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular Publius Rutilius Rufus,
+der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch machte, und dem Freunde des
+Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein geringer Ersatz für die Lücken, die
+der revolutionäre wie der reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats
+gerissen hatte. Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat
+außerordentlicherweise ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die
+Distriktversammlung aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die
+sie, wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der
+senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, durch die
+letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die Zukunft ward die
+Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich andere Grundlagen
+gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in den Senat ein entweder
+durch zensorische Berufung, was der eigentliche und ordentliche Weg war, oder
+durch die Bekleidung eines der drei kurulischen Ämter: des Konsulats, der
+Prätur oder der Ädilität, an welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen
+Sitz und Stimme im Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des
+Tribunats oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz
+im Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer sich
+lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen beiden
+Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens tatsächliche
+Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab, daß der gesetzliche
+Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die Quästur geknüpft und
+zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren auf zwanzig 7 erhöht
+ward. Die bisher den Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsächlich längst
+nicht mehr in ihrem ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den
+von fünf zu fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe
+von Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls fort;
+die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also von Sulla
+schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die bis dahin
+vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen und oft wohl
+nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich, vielleicht
+durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon die durch die
+Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten Geschäfte des Senats
+notwendig machten. Indem ferner sowohl die außerordentlich eintretenden
+Senatoren als die Quästoren ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der
+bisher mittelbar auf den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf
+direkte Volkswahl gegründet, derselbe also einem repräsentativen Regiment so
+weit genähert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des
+Altertums überhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten
+bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten
+befehlende und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine
+konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich zustehende
+Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben entzogen und der
+Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, auf welcher die
+Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis der Zensoren, die Ratliste
+zu revidieren und nach Gutdünken Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in
+der Tat sich nicht mit einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt
+durch die Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward,
+wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall das
+wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und
+Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des Herrenstandes,
+endgültig konsolidiert.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht bekannt. Im
+Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei städtische, zwei Militär-
+und vier Flottenquästoren; wozu dann die in den Ämtern beschäftigten Quästoren
+hinzugetreten sind. Denn die Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter
+gingen keineswegs ein, und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig
+verwendet werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne
+Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab, überdies
+nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er möglicherweise schon achtzehn
+Quästoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten dieser
+Zeit beträchtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets
+durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt
+die Tendenz der römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst
+zu beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben als
+Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie zum Beispiel
+Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber sicher hat es doch schon
+vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.
+</p>
+
+<p>
+8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt nicht die
+Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Köpfen
+anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren
+hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der nächsten ein
+kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, als
+gerade Quästorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat
+auf ungefähr 500 bis 600 Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt
+sich, wenn jährlich 20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten
+und man die durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre
+ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren
+417 Mitglieder anwesend.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666 (88)
+getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative,
+wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen gegenüber
+auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft blieb der formelle Souverän;
+allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien es dem Regenten notwendig,
+die Form zwar sorgfältig zu konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit
+derselben noch sorgfältiger zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging
+Sulla in der geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder
+den Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse damit
+zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
+schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die doch nach
+so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte, wenn es überhaupt
+der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden Rechtsbefugnissen Ernst war.
+Geradezu beschränkt wurde die legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens
+nicht; es war auch nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative
+des Senats das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
+Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen konnte und
+seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt ward auf das
+Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren man nun
+einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr aufzurütteln, als Sullas
+obenhin sich haltende Restauration aufrütteln konnte und wollte. Die Eingriffe
+der Bewegungspartei in die Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das
+Domitische Gesetz von 650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern
+überhaupt dem Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen
+Verfügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla
+kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in seiner
+ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Wahlen zu den
+Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen Weise; außer insofern
+die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des militärischen Kommandos
+allerdings folgeweise eine wesentliche Beschränkung der Bürgerschaft in sich
+schloß, ja gewissermaßen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der
+Bürgerschaft auf den Senat übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die
+früher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt
+wiederaufnahm, sei es nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob
+die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese ältere
+Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu steigern schien. Nur
+die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur
+Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue
+eingeschärft; ebenso die Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher
+die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben
+müsse, wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer
+Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen Versuche, in
+der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Konsulats die Tyrannis
+zu begründen, gegen diesen Mißbrauch eingeschritten und verfügt, daß zwischen
+der Bekleidung zweier ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der
+zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen
+sollten; mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten
+ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum
+Konsulat, wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im
+ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die Beamtengewalt
+in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die unberechenbare Laune der
+Komitien zum Amte berief, der Gewählte außerstande sein würde, gegen die
+Oligarchie sich aufzulehnen.
+</p>
+
+<p>
+Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die drei
+Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der Zensoren. Sie alle
+gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich geschmälerten Rechten
+hervor; vor allem das tribunizische Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar
+auch für das Senatsregiment unentbehrliches, aber dennoch, als von der
+Revolution erzeugt und stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen,
+strenger und dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
+Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
+Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu
+veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den Tribunen
+auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts eine schwere, die
+bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende Geldstrafe gesetzt ward. Die
+weitere Befugnis des Tribuns, mit dem Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils
+um Anklagen einzubringen, insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur
+Rechenschaft zu ziehen, teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der
+Hebel gewesen, durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat
+umgewälzt hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei
+dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde
+hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme eines
+höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so manches andere
+in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen Satzungen zurückkam und,
+ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der Plebejer zu den bürgerlichen
+Ämtern, das Tribunat einer- und die kurulischen Ämter andererseits miteinander
+unvereinbar erklärte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie,
+der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden
+Männer von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als
+Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der
+Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der Magistratur; und
+wie die Herrschaft des Königs und später der republikanischen Beamten über die
+Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, daß
+ausschließlich sie das Recht haben, öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt
+sich die jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am
+bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit
+demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch):
+populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt:
+statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia
+quoquo vellent populum agitandi. Daß die Tribune nicht überhaupt das Recht
+verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10
+das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich
+bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach
+der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das Volk
+bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der Quellen, sondern
+auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Führer eben
+aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen
+auch in dieser Zeit konsularische Gesetze über administrative Nebenfragen, wie
+zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher
+Plebiszite eingetreten sein würden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms
+mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an sich verdächtige Tribunat,
+entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen gegen das eigene Werkzeug, welches
+durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, aber in
+sehr fühlbarer Weise beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an.
+Zu Anfang dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln
+lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten Amtes
+überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten Amtsgeschäfte ob, für
+welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies
+letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln
+sich nach einer unverbrüchlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und
+mit den damals bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den
+beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur
+ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach sechs
+Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen Gerichtsvorstandschaften und
+die vier überseeischen Ämter unter die sechs Prätoren vergeben, woneben den
+beiden Konsuln kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen
+nichtgerichtlichen Geschäfte und das militärische Kommando in den
+festländischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt
+besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung,
+und für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten
+Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle blieb
+es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen zu kumulieren,
+teils die militärischen über die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen
+(prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften
+demselben Prätor zu übertragen und die regelmäßig von den Konsuln zu
+beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte durch den Stadtprätor versehen zu
+lassen; wogegen es verständigerweise möglichst vermieden ward, mehrere
+Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus,
+daß im militärischen Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl
+gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch
+so lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das
+Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul oder
+Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an
+Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und mußte. Der Einfluß des
+Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand darin, daß es observanzmäßig von
+ihm abhing, entweder die Regel walten, also die sechs Prätoren die sechs
+Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die Konsuln die festländischen,
+nichtgerichtlichen Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von
+derselben anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges
+überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche militärische und
+gerichtliche Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige
+Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen
+aufzunehmen und die dadurch weiter nötig werdenden Kumulationen und
+Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei übrigens lediglich die Absteckung der
+jedesmaligen konsularischen und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die
+Bezeichnung der für das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand,
+die letztere vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden
+Beamten oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit
+wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene
+tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen Gemeindebeschluß zu
+regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als dem Buchstaben der
+Verfassung nach notwendig und bald griff die Bürgerschaft hierbei nicht weiter
+ein. Im Laufe des siebenten Jahrhunderts traten nun allmählich zu den
+bestehenden sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen
+Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien und die
+Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen Erpressungen. Mit dem
+immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der römischen Regierung trat
+überdies immer häufiger der Fall ein, daß die Oberbeamten für außerordentliche
+militärische oder prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden.
+Dennoch wurde die Zahl der ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt;
+und es kamen also auf acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern
+abgesehen, mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen.
+Natürlich war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer
+Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung gemäß
+sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der Bürgerschaft
+ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr Unordnung, derzufolge die
+entstehenden Lücken wesentlich durch Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den
+gesetzlich ein Jahr fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites
+Jahr zugelegt, nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
+wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die Bürgerschaft,
+sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen gebildeten Konkurrentenliste
+der Senat. Üblich ward es dabei, da unter diesen Stellen die überseeischen
+Kommandos als die einträglichsten vor allem gesucht waren, denjenigen Beamten,
+die ihr Amt entweder rechtlich oder doch tatsächlich an die Hauptstadt
+fesselte, also den beiden Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig
+auch den Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu
+übertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt
+des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders bezogen,
+aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere war.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu Grunde.
+Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der politischen
+Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen, welche in den
+Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige Erstreckung der Dauer des
+höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den bürgerlichen,
+das zweite den militärischen Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die
+bürgerliche und die militärische Gewalt allerdings längst schon durch die
+Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein
+immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste
+militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul und
+Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und Proprätor die
+Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem jede politische
+Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte zunächst zu der
+politischen Trennung der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen
+Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden,
+insofern Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien
+von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das
+gesamte festländische Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die
+Alpen mit Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und
+Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der Dinge unter
+der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten Beamten, wie denn ja auch
+die Kolonialgründungen sich durch dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas
+Ordnung wurde das eigentliche Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des
+Aesis der Rubico ward, als ein jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern
+bewohntes Gebiet, den ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in
+diesem Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer der
+Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland diesseits der Alpen
+dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden Einfälle der Alpenvölker
+wegen ein Kommando nicht entbehrt werden konnte, wurde nach dem Muster der
+älteren überseeischen Kommandos als eigene Statthalterschaft konstituiert ^10.
+Indem nun endlich die Zahl der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf
+acht erhöht ward, stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die
+jährlich zu ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs
+als Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden Konsuln
+der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der Zivilrechtspflege, die
+übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz - sich widmeten, während ihres
+zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder Proprätoren das Kommando in einer der
+zehn Statthalterschaften: Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien,
+Asia, Africa, Narbo, Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die
+schon erwähnte Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört
+ebenfalls in diesen Zusammenhang ^11.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das italische
+Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen und von
+einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel bedeutet, in den
+älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie allerdings in der caesarischen
+es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat et Sullae provincia Gallia
+cisalpina).
+</p>
+
+<p>
+Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, daß
+ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien
+schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar daraus, daß
+Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem Distrikt zwischen Aesis
+und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, daß
+derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus&rsquo; Prätur 679 (75) noch
+Provinzialland gewesen sein müsse, da auf italischem Boden der Proprätor nichts
+zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte
+Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein
+solches zwar nicht regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein
+außerordentliches ist das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall
+gewesen. Wir können aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in
+dieser Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen
+Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig und
+wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer Gewalt
+ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App.
+1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also
+für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt nichts und am wenigsten für
+die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter Fingerzeig,
+daß Sulla das römische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50),
+was nach römischem Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die
+Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.
+</p>
+
+<p>
+^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen, überdies
+die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der Kriegsführung
+beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen blieben, so waren hierfür
+neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die zwanzigste Quästorenkompetenz läßt
+sich nicht nachweisen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————
+</p>
+
+<p>
+Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu allen
+möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden Ämterverteilung eine
+klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den Ausschreitungen der
+Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der Einfluß der obersten
+Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der bisherigen Ordnung ward in
+dem Reiche rechtlich nur unterschieden die Stadt, welche der Mauerring
+umschloß, und die Landschaft außerhalb des Pomerium; die neue Ordnung setzte an
+die Stelle der Stadt das neue, fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen
+Kommando entzogene Italien ^12 und ihm gegenüber das festländische und
+überseeische Gebiet, das umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht,
+die von jetzt an sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war
+derselbe Mann sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte
+verblieben; die neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die
+Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung, daß jeder
+Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in seinem Sprengel
+eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, zeigt sehr klar,
+namentlich wenn man damit noch das früher erwähnte Verbot der unmittelbaren
+Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben oder einem anderen Volksamt
+zusammennimmt, was die Tendenz dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte
+Maxime, durch die einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte,
+daß die Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der
+Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius
+Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert;
+wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, daß es
+ihm mißlang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so
+schien nun dafür gesorgt, daß nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben
+Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke
+unmittelbar ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die
+sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten vor, die
+der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestätigte. Zwar
+war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den
+Auspizien und dem Namen, überhaupt der staatsrechtlichen Formulierung nach auch
+ferner als außerordentliche Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht
+gleichgültig. Den Konsul oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines
+Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der
+Senat, so daß durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn
+doch zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein
+Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Römischen
+Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich aufgehoben,
+aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon
+bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Für die Ergänzung
+des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsächlich steuerfrei war und
+das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der
+Steuer- und Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und
+wenn in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung
+einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die
+laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten,
+wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und nun als
+einen Teil ihrer ordentlichen Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen
+Gewinn, daß der Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward,
+kam nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten
+Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der jetzt so
+viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die
+der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn auf je fünfzehn, die der
+Schmausherren von drei auf sieben vermehrt ward.
+</p>
+
+<p>
+In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die entscheidende
+Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung
+einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte anfänglich sich in nicht geringer
+Geldnot befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren für den Sold
+des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem
+Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste
+entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen. Verschiedene
+Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der kampanischen Domäne wurden
+feilgeboten, die Klientelkönige, die befreiten und bundesgenössischen Gemeinden
+außerordentlicherweise in Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz
+und ihre Zölle eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien
+zugestanden. Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
+Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden Versteigerungen
+und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der augenblicklichen
+Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt weniger durch die asiatische
+Abgabenreform, bei der vorzugsweise die Steuerpflichtigen gewannen und die
+Staatskasse wohl nur nicht verlor, als durch die Wiedereinziehung der
+kampanischen Domäne, wozu jetzt noch Aenaria gefügt ward, und vor allem durch
+die Abschaffung der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an
+den römischen Finanzen gezehrt hatten.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus politischen
+Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche und
+unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und Brauchbarkeit zu
+bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils
+an die Bürgerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze
+Bürgerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen
+bis auf Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der
+Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder Beauftragter der
+Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur Verantwortung gezogen ward, mochten
+sie auf Leib und Leben oder auf Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle
+übrigen Prozesse, in denen schließlich das Volk entschied, von den kurulischen
+oder plebejischen Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet
+wurden. Sulla hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu
+abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der Tribune, von
+der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht und vermutlich auch
+den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise beschränkt. Dagegen erweiterte
+er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes
+Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen
+nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden
+Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten Verbrechen,
+bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen Gerichtsherren die
+Sache instruierte und ein von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser
+Instruktion entschied. Der außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in
+einzelnen wichtigen Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere
+Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt
+worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle konstituierten
+Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden Kommissionalgerichtshöfe, wie sie
+für Erpressungen, für Giftmischerei und Mord, vielleicht auch für
+Wahlbestechung und andere Verbrechen im Laufe des siebenten Jahrhunderts
+niedergesetzt worden waren; teils endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für
+den Freiheits- und der Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den
+Erbschaftsprozeß, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten
+Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri
+litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen
+ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts liegen im
+Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie bei den oben
+erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. Über die Leitung
+dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen Gerichtsordnungen
+verschieden bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Prätor, dem
+Mordgericht ein aus den gewesenen Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem
+Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die
+Geschworenen wurden wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche
+Verfahren in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen
+Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den
+Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, daß sie
+mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für allemal aufzustellen
+hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie
+Auswahl des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien
+gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den
+Freiheitsprozeß hervor.
+</p>
+
+<p>
+Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er die
+Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin besondere
+Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit Einschluß von
+Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrat
+und jede Entehrung des römischen Namens; für die schwersten Betrugsfälle:
+Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch; für die schwersten
+Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung des Hausfriedens;
+vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher Gelder, für Zinswucher und
+andere Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Höfe sind von Sulla entweder
+vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer besonderen Kriminal-
+und Kriminalprozeßordnung versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung
+unbenommen, vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe
+zu bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen
+abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die neue
+Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß bedeutend
+beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien entzogen wurden.
+Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon
+erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschworenenhöfe sechs
+Prätoren zur Disposition, denen noch für die am meisten in Anspruch genommene
+Kommission für Mordtaten eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In
+die Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter wieder
+die Senatoren ein.
+</p>
+
+<p>
+Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter
+ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig läßt es sich
+verkennen, daß dieselben nicht bloß politische Tendenzmaßregeln waren, sondern
+hier der erste Versuch gemacht wurde, dem seit den ständischen Kämpfen immer
+mehr verwilderten römischen Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen.
+Von dieser Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht
+unbekannte Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch
+heute damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von dem
+Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige Verfahren,
+wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem Vorsitz funktionieren.
+Die Gesamtheit der Sullanischen Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das
+erste römische Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je
+besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im einzelnen zeigt
+sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es von dem Urheber der
+Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum nichtsdestoweniger wahr, daß er
+die Todesstrafe für politische Vergehen abgeschafft hat; denn da nach
+römischer, auch von Sulla unverändert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht
+die Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft
+erkennen konnte, so kam die Übertragung der Hochverratsprozesse von der
+Bürgerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der
+Todesstrafe für solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der
+verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie deren eine
+die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt
+zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen
+gewesen und ein bleibendes Denkmal des praktischen, gemäßigten,
+staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber wohl würdig machte, gleich den
+alten Dezemvirn als souveräner Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen
+die Parteien zu treten.
+</p>
+
+<p>
+Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen Ordnungen
+betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des Zensors setzend,
+gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und durch Feststellung neuer
+Maximalsätze anstatt der alten längst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten,
+Begräbnissen und sonst zu beschränken versuchte.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche die
+Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der
+Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes politisches Ganze dem höheren
+Staatsganzen organisch einzufügen, ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens
+kennt städtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der
+ganzen hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen.
+Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein eigenes
+Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit der ihr eigenen
+zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten Jahrhundert wurden die
+abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen ihre munizipale Verfassung zu
+bewahren, als formell souveräne Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie
+römisches Bürgerrecht erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu
+organisieren, aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in
+allen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das
+Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das Höchste,
+wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten Stellvertreter
+(praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort
+und Stelle erledigen zu lassen. Nicht anders verfuhr man in den Provinzen,
+außer daß hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statthalter
+trat. In den freien, das heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder
+Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten verwaltet;
+nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder
+Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger verlangen konnte, seine Sache vor
+italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die
+gewöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die einzige
+regelmäßige Gerichtsbehörde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war
+schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer
+war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen
+einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden zu
+lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
+instruierenden Beamten abgehangen zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des öffentlichen
+Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens für
+Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische Gemeinde war und das
+Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen Meerenge reichte,
+mußte man wohl sich entschließen, innerhalb dieser großen wiederum kleinere
+Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert,
+bei welcher Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen
+größeren Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere
+kleinere Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen
+Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin
+als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden
+Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht zugekommen sein würde.
+Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveränen
+latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzügen der
+römischen gleich ist, die der römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde;
+nur daß darauf gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium
+andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im
+Staat. Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis,
+Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein
+Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats.
+Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen
+Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen
+Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom von fünf zu fünf Jahr
+sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der
+Gemeindebauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten, also den
+beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit übernommen, welche in diesem Fall den
+auszeichnenden Titel der &ldquo;Gerichtsherren mit zensorischer oder
+Fünfjahrgewalt&rdquo; annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren.
+Für das Sakralwesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen
+Verfassung allein bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die
+munizipalen Pontifices und Augurn.
+</p>
+
+<p>
+Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem primären des
+Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie diesem die politischen
+Befugnisse vollständig zu und band also der Gemeindebeschluß und das Imperium
+der Gemeindebeamten den Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das
+konsularische Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer
+konkurrierenden Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten
+beispielsweise beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den
+etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom ausgeschriebenen oder
+bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es durften öffentliche Bauten
+sowohl von den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städtischen
+in ihrem Sprengel angeordnet werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall
+wich natürlich die Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den
+Stadtschluß. Eine förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege
+statt, wo das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben
+würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im
+Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der
+dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behörden
+und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte auf die
+geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden Rechtshändel
+beschränkt.
+</p>
+
+<p>
+Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist
+wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf Ausnahmebestimmungen
+für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegründet
+wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgültige formelle Differenzen
+zwischen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals
+praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich
+eine bessere staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere
+Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben in einer
+der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie späterhin
+sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen läßt
+sich die neue Ordnung zuerst für die revolutionäre Kolonie Capua, und keinem
+Zweifel unterliegt es, daß sie ihre volle Anwendung erst fand, als die
+sämtlichen bisher souveränen Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs
+als Bürgergemeinden organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob
+die Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt sich
+nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf die
+Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur
+beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die
+älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja auch die Zensur nicht kannte.
+Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- und unterordnende
+Stadtverfassung eines der merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der
+sullanischen Zeit und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt
+ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es
+vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große Grundgedanken
+unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine
+politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen geführt, wo diese die
+gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom geschehen,
+das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung der alten und der
+neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen Verfassung sind einerseits die
+Urversammlung und der städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur
+bedeutungslosen Form zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des
+Staates stehende Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis
+auf den Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat
+diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und den auf
+den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.
+</p>
+
+<p>
+Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die
+Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen Ausnahmen
+abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf diejenige
+Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht selbst in die Hand
+zu nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab.
+Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen
+nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu
+grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das
+römische Heer hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es war allerdings
+durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer
+geworden, als da es vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte
+zugleich sich aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt,
+welche dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er
+verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung des
+Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz gebracht:
+sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius
+Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; einzig
+Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen Meute Herr zu bleiben,
+freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zügel schießen ließ wie
+noch nie vor ihm ein römischer Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten
+Kriegszucht schuld gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber
+dennoch ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner
+militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande war, daß
+er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur nicht übernommen,
+um den Staat der Soldateska untertänig zu machen, sondern vielmehr, um alles im
+Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die Gewalt der
+bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen
+ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern
+gegenüber die Oligarchie den Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die
+mit ihrem guten Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet
+hatten, jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert
+wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste
+Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge. Als
+Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und Afrika beauftragt
+und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat
+den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und
+wenig fehlte an offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor
+Praeneste wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt
+ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen
+Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet zu haben. Mit
+Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch ein Vergleich
+zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fürchten, nahm
+die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um
+die aufgehende Sonne kümmerten als um die untergehende, und bewilligte dem
+eitlen Jüngling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er
+hier sich läßlich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht
+der Mann war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser
+verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf
+öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten
+Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen
+sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des
+Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen und
+gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, daß das, was er diesmal tue,
+nicht zum zweitenmal getan werden könne.
+</p>
+
+<p>
+Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurückführung
+der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch
+erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren hatte.
+Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Verordnungen
+Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten Befugnis sich nur
+bei Maßregeln bedient, die von vorübergehender Bedeutung waren und wo die
+Beteiligung Rat und Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde,
+namentlich bei den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen
+Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk
+befragt ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden
+ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen über
+die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren
+Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurückberufung der
+afrikanischen Armee und bei Erteilung von städtischen Freibriefen, der Senat
+vorangestellt. In demselben Sinn ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen,
+wodurch wenigstens die gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft
+vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und
+ward die Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf
+(674 80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in
+Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen
+Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft zwar noch beibehielt,
+aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl, wie gefährlich es eben für seine
+eigenen Institutionen war, die Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen
+Zustände sich haltbar zu erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen
+zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das
+meiste und wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien
+Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen Verordnungen
+unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und
+Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die
+Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis
+dahin mit dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet
+hatte, auf dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
+Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen
+Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei sein
+tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des
+Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der
+Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaffneten
+Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entließ und die dichtgedrängte
+Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre.
+Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den
+Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht
+Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.
+</p>
+
+<p>
+Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig zu
+würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die
+Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der Tat ist
+Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige
+Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker,
+blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen
+Bewegung sich rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender
+Mann, schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen,
+die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477
+290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten
+Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. Er
+begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement
+des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen
+senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend
+sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung
+hellenischer Feinheit und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im
+adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer
+Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm
+den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein
+Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger
+gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
+Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er nach
+vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man
+könnte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch
+als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten
+leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine
+Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn
+niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas Hinrichtung
+rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzählte von dem
+Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er gern unter den
+Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus Roscius, dem römischen
+Talma, sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie
+er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem
+Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm
+weder die körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der
+ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß er aus
+dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist
+doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lektüre. Das spezifische
+Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen
+gegenüber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit
+beschränkter großer Männer hatte Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich
+gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen
+Städten in griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den
+Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb
+patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier
+Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den politischen Tummelplatz locken
+und die auch er wie jeder andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben,
+wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als
+nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben
+mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall
+regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen
+konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, zugleich dem
+Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch er. Seine
+wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der
+von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn
+bestimmen läßt; noch weniger der finstere Verhängnisglaube des Fanatikers,
+sondern jener Glaube an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf
+eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen
+Menschen notwendig sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der
+sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte
+Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
+Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern
+der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmermehr fehlen
+könne, dem die Götter selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester
+ihm berichteten, daß sie sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da
+die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen
+zurücksagen, daß man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der
+Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
+Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders jener,
+der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In
+seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach
+des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen.
+Er hatte wie wenig andere ein Recht, auf seine Taten stolz zu sein; er war es
+nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen,
+daß jedes improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig
+angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den
+Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null anzugeben, ist
+doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck
+der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt
+und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die
+Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und
+auch seinen Kindern entsprechende Benennungen beilegte.
+</p>
+
+<p>
+Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um
+gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in
+die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu
+gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der Reform des morschen
+Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er blieb, wo Geburt und Bildung
+ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie üblich
+die Ämterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und überließ
+dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn
+im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach
+Afrika in das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische
+Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab
+nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla,
+furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen
+und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene
+eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren seine
+Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb Fuchs und der Fuchs in ihm
+gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen, hochgeborenen, brillanten Offizier,
+der anerkanntermaßen der eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges
+war, öffnete jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am
+Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
+Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent; nichtsdestoweniger
+zogen ihn auch jetzt die Freuden des hauptstädtischen Lebens weit mehr an als
+Krieg oder gar Politik. In der Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal
+vergeblich beworben hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals,
+daß ihm in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über
+König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden sowie deren
+erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war es wesentlich, der
+den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion zu Roms Gunsten entschied
+und dabei mit dem Degen das Konsulat sich gewann; er war es ferner, der als
+Konsul den Sulpicischen Aufstand mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das
+Glück schien sich ein Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch
+diesen jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
+Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, wurden in
+untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im Bundesgenossenkrieg, in dem
+Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und abgesetzt ward, gründete Sulla seinen
+militärischen Ruf und stieg empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88),
+die zugleich und vor allem ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden
+Generalen war, endigte mit Marius&rsquo; Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu
+wollen war Sulla der berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie
+geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg,
+die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der
+Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf den
+Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien tobte, in
+Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig,
+zerschmetterte er die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel
+der verzweifelnden Samniten und Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für
+Sulla ein überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen
+Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können, und wohl
+mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern
+in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur je ein König und doch
+durchaus verharrend auf dem Boden des formellen Rechts, zügelte er die
+ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie
+einengende Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie
+Konkurrenz machenden Mächte der Kapitalisten und des hauptstädtischen
+Proletariats, endlich den im Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut
+des Säbels wieder unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte
+er die Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre
+Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und
+finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven,
+eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich, als das Werk
+vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner Schöpfung; freiwillig ward
+der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen langen
+militärischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie
+einen Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein Werk
+geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, seinen Stern zu
+preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier einmal die Laune der
+Beständigkeit angewandelt und sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren
+Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen, was er begehrte und nicht begehrte.
+Aber die Geschichte wird gerechter gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich
+selber war, und ihn in eine höhere Reihe stellen als in die der bloßen
+Favoriten der Fortuna.
+</p>
+
+<p>
+Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer Genialität, wie
+zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies
+ja schon das Wesen der Restauration mit sich bringt, auch nicht ein
+staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in
+den Senat durch Bekleidung der Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts,
+den Senator aus dem Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des
+Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur
+Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf zwei Jahre,
+der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den senatorischen
+Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind
+nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon aus dem oligarchischen
+Regiment entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen.
+Ja selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und
+Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius,
+Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung
+der hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über die
+römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als unerbittliche und
+rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was ihr anhängt, ist davon
+auch die Sullanische Verfassung vollständig mitbetroffen. Das von der
+Genialität des Bösen bestochene Lob versündigt sich an dem heiligen Geist der
+Geschichte; aber daran wird man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla
+die Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als
+Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und
+Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß alles, was
+darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten Ende auf diese
+zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr,
+der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung
+bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, der seiner Anweisung
+getreu nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schließliche und
+wesentliche Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu
+wälzen. Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit
+jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie wiedergutgemachten
+Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn
+man sie als das Werk eines zufällig an die Spitze des Staats geratenen
+Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla
+aber nicht mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewußten
+Gedanken unbewußt herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit
+wunderbarer, ja dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen
+aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst nützlich
+gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer sinkende
+Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden, der so wie
+Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht auf eigenen Machtgewinn für sie
+den Degen des Feldherrn und den Griffel des Gesetzgebers zu führen. Es ist
+freilich ein Unterschied, ob ein Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht
+oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des
+politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben
+Washington genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte
+Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat
+die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner
+minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Distrikte, endgültig
+geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang, die
+Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und
+letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn,
+der mit endloser Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war.
+Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war
+Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das Regiment
+des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment
+Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild
+sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Bündnis mit
+den Samniten widerspiegelt, der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller
+denkbaren politischen Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht
+zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische
+Gemeinwesen notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die
+Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet
+hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt wie die
+Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein solider war;
+aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu übersehen, daß ohne Sulla
+höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluten wäre fortgerissen
+worden; und auch jener Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut
+nur, was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ
+Gesinnter tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan;
+und geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung zu
+schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch,
+die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem
+in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; es ist kein Vorwurf für den
+Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die Wellen den naturwidrigen und von den
+Geschützten selbst nicht verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird
+nicht der Hinweisung auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des
+asiatischen Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere
+Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig
+entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und ganzen
+konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen Gemeinwesens bewundern
+und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch
+neben Cromwell stellen.
+</p>
+
+<p>
+Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und
+das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem versöhnen, was
+Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine
+Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begründet,
+sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen Offenheit beim
+rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich verdorben hat mit der
+großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich
+entsetzen, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der
+Kühle und Klarheit seines Frevels noch empörender erscheint als der
+leidenschaftliche Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker,
+Güterkonfiskationen, kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal
+vorgekommen, und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation
+hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß die
+Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe öffentlich
+ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe
+in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig eingetragen ward, daß das
+eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer
+kam, daß der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ
+und vor allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der
+Humanität ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen,
+spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht
+deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken des Urhebers
+der Proskriptionen.
+</p>
+
+<p>
+Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen wichtigen
+Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in
+Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach
+Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haß empfand, wie
+gegen die Marier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von
+sich selbst gerühmt, daß niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten
+habe ^13. Er verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein
+kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des römischen
+Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den Fürsten die
+Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und
+Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich
+selbst ward dem Staat sein läßliches Verfahren gegen seine Partei und seinen
+Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische
+Notwendigkeit geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber
+noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich,
+was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für die
+durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen Niederlagen
+nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde
+Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch
+verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Ächtungen
+und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas eigenem Wollen, als
+aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus
+hervorgegangen. Daß Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei
+gleichgültigen Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald
+unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede,
+daß er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein
+blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das
+Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen müssen,
+daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut strafte, mit dem er verzieh. Diese
+halb ironische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politisches
+Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst
+um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er
+eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen
+Werkes; als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen
+vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der Schäden
+genügen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Euripides, Medeia, 807:
+</p>
+
+<p>
+Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,
+</p>
+
+<p>
+Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,
+</p>
+
+<p>
+Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse.
+Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; in den
+verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn,
+der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder den hauptstädtischen
+Müßiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und
+Erholung finden ließ in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine
+Phrase, daß ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so
+wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich
+gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen Geschäfte
+entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich
+bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müßigen
+Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die
+inneren Verhältnisse der benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch
+wie früher die Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem
+Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem
+Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr
+vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sechzigsten
+Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem
+Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner
+Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues
+Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen, noch einmal in
+den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine
+alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach
+dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei
+längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner
+feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche
+Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte
+Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die
+Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es
+wurde beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort
+die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen.
+Überall wo der königlich geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf
+seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und
+vor allem seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als
+wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie anders
+als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte
+der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle
+Geschäfte ruhten und zweitausend goldene Kränze, als letzte Ehrengabe der
+treuen Legionen, der Städte und der näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla
+hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt
+beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen eingedenkt, was
+vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage bringen mochten - auf Befehl
+des Senats ward die Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer
+Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den Flammen übergeben. Geleitet von allen
+Beamten und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer
+Amtstracht und der ritterlich gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug
+auf den großen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem
+Klange seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die Leichenrede
+gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der Senatoren nach dem
+Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet war. Während er in Flammen
+loderte, hielten die Ritter und die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die
+Asche des Regenten aber ward auf dem Marsfeld neben den Gräbern der alten
+Könige beigesetzt, und ein Jahr hindurch haben die römischen Frauen um ihn
+getrauert.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen
+Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/>
+Das Gemeinwesen und seine Ökonomie</h2>
+
+<p>
+Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig einer fast
+permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste,
+die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher
+Richtung die Alpen überschritten und gelangten die römischen Waffen auf der
+spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der
+makedonisch-griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie
+unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der &ldquo;auswärtigen Völkerschaften in der
+Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der römischen
+Bürgerschaft&rdquo; ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich, den
+Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen der
+Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle
+Untertänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der
+Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht.
+Während die gesamte antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat
+zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward, fingen
+zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr
+ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Auf
+den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chäroneia und
+Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das über
+die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen Stämme und die
+asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch
+bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung
+trägt diese Epoche denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt
+unwiederbringlich zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine
+Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und
+die Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser
+gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um welche teils
+die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der römischen
+wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die
+außeritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer Freistädte
+und barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr
+bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das
+letzte Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative
+wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen
+-, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der gegenwärtigen Epoche zwar
+rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluß derselben
+kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveräne Machthaber war
+jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der
+Vornehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am
+Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der Hand des
+jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre
+widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische
+Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die außeritalische
+Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu
+verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des römischen Gemeinwesens war
+zugrunde gegangen und nichts übrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder
+minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
+und äußere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte
+durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der
+geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat oder ein
+Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die zum
+Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, daß die
+ringenden Mächte gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschränken, war allen
+Parteien gleichmäßig abhanden gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die
+Knüttel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die
+Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als
+definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen
+Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des
+Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die
+Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen einen
+abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bitteren Zeit, daß
+dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten.
+Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam
+unter, und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es
+war keine zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren
+können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des
+Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen
+zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes,
+dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern und zu verkürzen. Ohne
+Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot
+alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte und für das
+bescheidene Maß menschlichen Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die
+neuen Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den
+gegebenen Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich
+ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch aufbauender
+Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr geübt werden konnte.
+Allein diese kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Verstand, nur
+die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das
+Gemeinwesen fortfahren werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob
+es schließlich an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich
+war, seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen
+werde.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani
+(Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der nichtitalischen Untertanen
+und Klienten im Gegensatz der italischen &ldquo;Eidgenossen und
+Stammverwandten&rdquo; (socii nominisve Latini).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs
+hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf den
+Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die hier stets
+nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen als außerordentliche
+Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so
+daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmäßiges
+Vorrecht des römischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des
+Staats, wie das Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so
+wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
+Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
+geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien einschließlich
+des diesseitigen Galliens nichts als teils den Domänenertrag, namentlich von
+dem kampanischen Gebiet und den Goldgruben im Lande der Kelten, teils die
+Abgabe von den Freilassungen und den nicht zu eigenem Verbrauch des
+Einführenden in das römische Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche
+beide wesentlich als Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch
+die Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz Italien,
+wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens, ansehnlich gesteigert
+werden mußten.
+</p>
+
+<p>
+In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in
+Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark,
+teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die Stelle der
+ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen Grundbesitz,
+kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, Karthago, Korinth, das
+Domanialgut der Könige von Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in
+Spanien und Makedonien als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet
+von Capua, von den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer
+Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß Gaius
+Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne ansprach und
+zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchführte, als
+er den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte
+durch das Eigentumsrecht des römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der
+Provinz, mochten diese nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward
+bereits früher ausgeführt.
+</p>
+
+<p>
+Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenüber
+noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Ölbaues im
+Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. Dagegen
+wurden direkte und indirekte Steuern in großem Umfang erhoben. Die als
+vollständig souverän anerkannten Klientelstaaten, also zum Beispiel die
+Königreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae)
+Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und
+durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten
+teils durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder
+Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch
+außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige
+Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag
+durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht beliehenen
+Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten
+Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon
+ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und
+Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen
+Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag,
+einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem
+größten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von
+jeder einzelnen Gemeinde jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme
+(stipendium, tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000
+Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und
+allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als die vor der
+römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder
+verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn oder fester
+Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die
+einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den Betrag nach den von der
+römischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf die
+Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. Die indirekten
+Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und
+Kanalgeldern, wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht
+ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf die zur
+Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde
+in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Römer erkannten dies
+auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht
+weiter erstreckte als der römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze
+keineswegs Zollgrenze, ein allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf
+dem Wege des Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen
+Staat wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach wenigstens
+Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, die nicht zum
+Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher Untertänigkeit
+standen, auch nicht die Immunität erworben hatten, fielen die Zölle doch
+selbstverständlich an den eigentlichen Souverän, das heißt an die römische
+Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne größere Gebiete innerhalb des
+Reiches als besondere römische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die
+einzelnen verbündeten oder mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen
+Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der
+karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen
+aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben ward;
+so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen Gesetzes eine
+ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward in ähnlicher Weise die
+Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der römischen Kolonie, als römischer
+Zollbezirk organisiert. Bei dieser Einrichtung mag außer den fiskalischen
+Zwecken auch die löbliche Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen
+Kommunalzöllen unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige
+Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich den
+Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, ist
+wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf das Dominalland
+legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein für allemal fest; diesen,
+insonderheit den des Leontinischen Ackers, verpachteten die Zensoren in Rom und
+regulierten die zu entrichtende Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach
+Ermessen (Cic. Verr. 3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein
+Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.
+</p>
+
+<p>
+3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung
+bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel ward in
+Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben
+(App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere
+Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in
+Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des Vermögens (App. Syr. 50) und auch
+in Africa eine, wie es scheint, ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das
+Vermögen nach gewissen Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes,
+der Zahl der Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt
+worden zu sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5,
+von Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa).
+Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des
+römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
+festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen Steuerpflichtigen
+zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6); wer dies nicht
+rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward ebenwie in Rom verkauft, d.
+h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur Einziehung übertragen (venditio
+tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der
+Ertrag dieser Steuern floß den Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden
+ihr Korn nach Sidon zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der
+festgesetzte Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden
+mittelbar erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder
+einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem Vermögen zu;
+der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch Publikanen lag lediglich
+darin, daß dort die Gemeindebehörde der Kontribuablen, hier römische
+Privatunternehmer den Vermittler machten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen
+beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die Erhebungskosten
+höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen unverhältnismäßig mehr zahlten,
+als die römische Regierung empfing. Denn wenn das System der Steuereinziehung
+durch Mittelsmänner, namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen
+das verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der
+Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz
+aufs äußerste erschwert.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die Requisitionen
+hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts wegen die römische
+Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln
+und allen sonstigen Bedürfnissen; sie besoldete und versorgte die römischen
+Soldaten in der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände
+hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu
+gewähren; ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung -
+feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der
+Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand,
+Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und
+nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen
+und Bedürfnis von den Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten
+einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer,
+rechtlich als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen
+Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn nicht in
+der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese Requisitionen eine der
+drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so mehr, als die
+Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder gar dem Statthalter
+einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl einzelne gesetzliche
+Beschränkungen dieses gefährlichen Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten
+- so die schon erwähnte Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch
+Getreiderequisitionen nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch
+hierfür der Preis nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung
+eines Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges
+Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer
+festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das wenigstens
+in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt eingefordert ward. Allein
+durch dergleichen Festsetzungen wurde der Druck jener Requisitionen auf die
+Ökonomie der Gemeinden und der einzelnen in den Provinzen wohl hier und da
+gelindert, aber keineswegs beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte
+dieser Druck sich unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann
+die Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der der
+erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also ganz wegfiel.
+So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die kleinasiatischen Provinzialen, die
+allerdings sich aufs schwerste gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen
+einquartierten Gemeinen vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler),
+jedem Centurio fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und
+Tisch nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe
+Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
+Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.
+</p>
+
+<p>
+Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie müssen
+verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die Verwaltungskosten, die
+Instandhaltung der öffentlichen Gebäude, überhaupt alle Zivilausgaben von den
+städtischen Budgets getragen wurden und die römische Regierung lediglich das
+Militärwesen aus ihrer Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem
+Militärbudget aber wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt
+- so die Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen,
+die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen Teil
+die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der Klientelstaaten
+wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz
+regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und auch außerhalb derselben Thraker
+in Afrika, Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer
+häufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber
+Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht
+politisch, doch finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten
+des Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die
+Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische Scheffel
+Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten; wozu dann noch
+der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte sidonische Abgabe kamen. Auch
+in Sizilien ward neben dem römischen Zehnten eine sehr ansehnliche
+Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die
+römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten Weise die
+Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der
+Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut behandeln, und selbst das Recht
+zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken, seine öffentliche Tätigkeit bot ihm,
+wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. Die
+Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von
+Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern,
+Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht
+unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der schuldigen
+Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die Requisitionen gaben
+allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen fürstliche Vermögen heimzubringen;
+und das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung
+sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich
+allein für den ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über
+Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer stehenden
+Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die rasch sich
+folgenden und die Strafe stets steigernden Erpressungsgesetze zeigen, wie die
+Flutmesser den Wasserstand, die immer wachsende Höhe des Übels.
+</p>
+
+<p>
+Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach mäßige
+Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies war, ist außer
+Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die italischen Kaufleute und
+Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit schwerer auf denselben gelastet
+haben mag als die Besteuerung mit allen daran hängenden Mißbräuchen.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog,
+nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir jetzt
+damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den attischen Tributen
+vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die Kosten des von demselben
+übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklärt sich auch die auffallende
+Geringfügigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es findet sich eine Angabe,
+wonach die römische Einnahme, vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte
+und des von den Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides,
+bis zum Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill.
+Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten jährlich aus
+seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhältnis befremden. Die
+Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große Plantagenbesitzer und zogen
+ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr mit dem
+Orient; das römische Ärar war nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der
+unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich
+verhältnismäßig noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur
+Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit
+Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu machen, daselbst die
+Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte;
+nach vielfältigen Zeugnissen ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf
+den Abgaben von Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen
+Provinzen durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja
+diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien,
+das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet als getragen haben.
+Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in gewöhnlichen Zeiten ein
+Überschuß, welcher es möglich machte, die Staats- und Stadtbauten reichlich zu
+bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge
+vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen
+Herrschaft, sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen
+Steuern. In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige
+Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln,
+ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung
+beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren überseeischen Untertanen erhob,
+ward der Regel nach auch für die militärische Sicherung der überseeischen
+Besitzungen wieder verausgabt; und wenn diese römischen Hebungen dadurch die
+Pflichtigen schwerer trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im
+Ausland verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen
+Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
+Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber
+freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der
+Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und durchlöchert
+durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich gestattete. Der
+hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging weit hinaus über den
+Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht ferner sagt Scipio Aemilianus
+bei Cicero, daß es der römischen Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den
+Gebieter und den Zöllner der Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle
+war mit dem Grundsatz der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die
+Höhe der Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
+Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl schon
+dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen Völkerschaften
+gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers ward; keine Belastung hat
+so wie diese dazu beigetragen, den römischen Namen besonders im Osten
+widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann aber Gaius Gracchus und diejenige
+Partei an das Regiment kam, die sich in Rom die populäre nannte, ward die
+politische Herrschaft unumwunden für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber
+Anspruch gab auf eine Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in
+Bodeneigentum verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß
+eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich motiviert und
+proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei eben die beiden am
+wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia das härteste Los traf.
+</p>
+
+<p>
+Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit gewähren in
+Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die öffentlichen Bauten. In den
+ersten Dezennien dieser Epoche wurden dieselben in größtem Umfange betrieben,
+und vor allem die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert
+worden. In Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere
+Südchaussee, die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum,
+Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine Seitenstraße an von
+Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des Publius Popillius, Konsul 622
+(132). An der Ostküste, wo bisher nur die Strecke von Fanum nach Ariminum als
+Teil der Flaminischen Straße chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße
+südwärts bis nach Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia
+verlängert und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem
+ebengenannten Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen
+etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach Pisa und
+Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und die über Sutrium
+und Clusium nach Arretium und Florentia geführte Cassische, die nicht vor 583
+(171) gebaut zu sein scheint, dürften als römische Staatschausseen erst dieser
+Zeit angehören. Um Rom selbst bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die
+Mulvische Brücke (Ponte Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den
+Tiber überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
+Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
+Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) die
+große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo wahrscheinlich
+gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über Placentia, wo sie die
+Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia führte
+und also das Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu
+noch die im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte
+Verbindung zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Straße
+unmittelbar mit Rom verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für
+das italische Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen
+Landstraßen, indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke
+anwies, auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last
+haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint,
+wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so
+auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen; er sorgte endlich für
+gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu fördern. Aber weit
+folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in dieser Epoche beginnende Anlage
+von Reichschausseen in den Provinzen: die Domitische Straße stellte nach langen
+Vorbereitungen den Landweg von Italien nach Spanien sicher und hing mit der
+Gründung von Aquae Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die
+Egnatische führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen
+Meeres, jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
+hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im Jahre
+625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von der Hauptstadt
+Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die Reichsgrenze - alles Anlagen,
+über deren Entstehung in der trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine
+Angabe zu finden ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der
+römischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
+unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des Staats
+und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte von der größten
+Bedeutung geworden sind.
+</p>
+
+<p>
+Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen
+Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der
+Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für Mittelitalien, mit großem
+Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645
+(109) in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die
+Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt.
+Endlich tat die Regierung viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der
+Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen.
+Nicht bloß wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits
+bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus
+repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die
+Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch später unübertroffen blieb,
+und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die römische
+Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner
+Barzahlung auszuführen vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die
+Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill.
+Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre disponibel
+gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr ansehnliche Reserve
+des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang dieser Periode nahe an 6
+Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig im Steigen war.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im
+allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit schließen. Nur
+darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen werden, daß die Regierung
+während der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glänzende und
+großartige Bauten ausführte, aber dafür andere wenigstens ebenso notwendige
+Ausgaben zu machen unterließ. Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte,
+ist bereits hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal
+plünderten die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien,
+Italien die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische
+Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die
+Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß man nicht
+bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht einmal den
+Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben eine
+Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die Flußbauten wurden
+seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die Hauptstadt keine andere Brücke
+über den Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem
+Ianiculum führte; immer noch ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter
+Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne
+etwas für die Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch
+der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede von
+Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in
+einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen und innen solche Pflichten
+versäumt, kann leicht Steuern schwinden lassen und dennoch einen jährlichen
+Überschuß der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz
+erzielen; aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen
+ihrer nur scheinbar glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe
+der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten
+Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das
+senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.
+</p>
+
+<p>
+Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen Verhältnisse, als
+die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue und, auch bloß finanziell
+betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius
+Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern
+das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen, ward allerdings durch die in
+der Provinz Asia neu eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen.
+Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast gänzlich ins
+Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die erweislichermaßen von der Schlacht
+bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so werden
+dagegen aus der Zeit nach 632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-,
+Straßen und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645
+(109) anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
+Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des
+gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur
+Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in der Angabe, daß
+der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im Jahre 663 (91) erreichte.
+Der fürchterliche Insurrektions- und Revolutionssturm in Verbindung mit dem
+fünfjährigen Ausbleiben der kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem
+Hannibalischen Krieg wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie
+haben dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
+Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten
+Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der Sparschatz
+angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus aus auf den
+Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei Feldzügen derselbe bis auf
+den letzten Pfennig ausgegeben war, man lieber die öffentlichen Plätze in der
+Hauptstadt versteigerte und die Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die
+Bürger ausschrieb. Indes der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte,
+freilich unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen
+Revolutionären aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen
+wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen
+Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen wenigstens
+in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als die ordentlichen
+Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen blieben.
+</p>
+
+<p>
+In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; die
+früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse Italiens
+werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer entwickelt. In der
+Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die steigende römische Kapitalmacht
+den mittleren und kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen
+allmählich verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung
+sah nicht bloß zu ohne zu wehren, sondern förderte noch die schädliche
+Bodenteilung durch einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der
+großen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der
+transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die Opposition
+als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der Konservativen energisch dem
+übel entgegen: indem die beiden Gracchen die Aufteilung fast des gesamten
+Domaniallandes durchsetzten, gaben sie dem Staat 80000 neue italische Bauern;
+indem Sulla 120000 Kolonisten in Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens
+einen Teil der von der Revolution und von ihm selbst in die Reihen der
+italischen Bauernschaft gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß
+sich leerenden Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen,
+sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
+vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar geschah
+nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem Auskaufen durch die
+römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen waren ja bloß Menschen und
+keine Partei. Die Folge war, daß mehr und mehr auch die außeritalische
+Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die Plantagenwirtschaft, die um die
+Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in
+Etrurien, bereits durchaus überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen
+und rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte
+gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die Eröffnung
+gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum Beispiel in dem
+Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der ausländischen Weine in
+Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr bedeutende Erfolge; der Amineer
+und der Falerner fingen an, neben dem Thasier und Chier genannt zu werden, und
+der &ldquo;Opimische Wein&rdquo; vom Jahre 633 (121), der römische Elfer, blieb
+im Andenken, lange nachdem der letzte Krug geleert war.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro lebenden
+römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) zusammenhängen, daß der Wein-
+und Ölbau sich beständig weiter nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß
+wegen Übersetzung der Magonischen Bücher gehört hierher.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische Nation
+in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität verharrte. Man
+zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher wertvollen
+gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst ähnliche Fabriken zu gründen,
+sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an
+korinthischen Ton- oder Kupfergefäßen und ähnlichen &ldquo;alten
+Arbeiten&rdquo; bewahrten. Was von Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum
+Beispiel die mit dem Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen
+deshalb kaum einen Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die
+Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der
+Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die Regierung mit 3000
+Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge abschloß, von denen dann jeder
+mit seiner Sklavenschar die übernommene Arbeit beschaffte.
+</p>
+
+<p>
+Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen
+Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze stehen die
+Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer, vielleicht der größte
+Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen der römischen Kapitalisten
+floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen Umfang des römischen Staats von den
+Römern monopolisiert; jeder in Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer
+bald nach dem Ende dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die
+Bücher der römischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das
+Zusammenwirken der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen
+Ausnutzung der politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines
+jeden vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte,
+zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 (84)
+auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten vorschossen; sie
+schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das
+Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die Gemeinden mußten ihre
+öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre
+erwachsenen Kinder verkaufen, um dem römischen Gläubiger gerecht zu werden; es
+war nichts Seltenes, daß der Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur
+unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam
+endlich der Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich.
+Jene bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland fast
+ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und turdetanischen
+Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet
+versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden Quantitäten nach den
+Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland
+war, nach Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr
+nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten
+Luxusartikel, Speisen, Getränke, Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät,
+Kunstwerke, über See eingeführt wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm
+infolge der stets steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen
+Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und
+der mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle Länder
+und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die Hauptfangplätze
+aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die
+überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden großen Emporien am
+Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte,
+das aber, als der nächste Hafen an Rom, für weniger werthafte Waren der
+geeignetste Stapelplatz war, zog sich die für die Hauptstadt bestimmte
+Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit dem Osten überwiegend nach Puteoli,
+das durch seinen guten Hafen für Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und
+in der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den
+Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster
+Nähe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach
+dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli bei
+Lucilius das italische &ldquo;Klein-Delos&rdquo; heißt; nach der Katastrophe
+aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich nicht
+wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit
+Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener
+sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der
+Gewinn, der bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich
+den Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den
+Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall
+fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten
+Teil aller Spekulationen für sich nahm.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
+hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der politischen
+ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Kapitalisten.
+In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der
+besten Stücke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen
+monopolisierten Kapitals, der Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in
+Form der Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Teil der römischen
+Staatseinkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in
+dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000
+Taler) war jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein
+anständiges Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen
+Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. Sesterzen
+(7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Kapitalistenstand
+die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago
+und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere
+zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von Narbo aufrecht erhält.
+Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren
+Politik der Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz
+macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
+Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft daran
+erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der Räuberhöhle leicht
+gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder finanzielle Babelturm mit seiner
+nicht rein ökonomischen, sondern der politischen Übermacht Roms entlehnten
+Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in derselben Art
+schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise,
+die im Verfolg der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den
+römischen Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der
+Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten
+können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl aber lassen im allgemeinen
+keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung
+des Gerichtsherrn durch einen Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von
+Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des
+Zinsmaximum durch Sulla, die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch
+die revolutionäre Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den
+Provinzen allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische
+Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war.
+In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen
+sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel
+vorhandenen Denksteine und die Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens
+italische Kaufleute, auf Mithradates&rsquo; Befehl getötet wurden. In Afrika
+waren der Italiker so viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich
+durch sie gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war
+angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht
+nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der
+Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im ganzen
+zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hierzu wesentlich mitgewirkt,
+welche nach allgemeingehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000
+bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen
+Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der
+ökonomische Ruin des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der
+kaufmännischen Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während
+ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr
+zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische
+hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder
+Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und
+in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der
+Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und
+Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das unverhältnismäßige Steigen der
+Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach der
+Schätzung des Jahres 684 (70) 910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag
+der freien Bevölkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung
+zufällig übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem
+Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts
+domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird demnach kaum
+möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher als auf 6 bis 7 Mill.
+Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesamtbevölkerung derselben der
+gegenwärtigen gleichkam, so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14
+Mill. Köpfen anzunehmen. Es bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht,
+um die gefährliche Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut
+genug reden die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
+Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an die
+Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit sich zu
+erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, seinen Squires und
+vor allem seiner City, aber die Freeholders und Pächter in Proletarier, die
+Arbeiter und Matrosen in Sklaven verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild
+der damaligen Bevölkerung der italischen Halbinsel gewinnen.
+</p>
+
+<p>
+Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser Epoche noch
+heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung desselben zeigt
+durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber
+als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß zwar zum Zweck allgemeiner
+Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis zwischen beiden Metallen gesetzlich
+normiert war, aber doch regelmäßig es nicht freistand, ein Metall für das
+andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder
+Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden,
+die sonst an die Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich
+knüpfen; die starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge
+der Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in
+Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die
+Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der Sache, daß, je
+mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto entschiedener das Gold aus
+der zweiten in die erste Stelle eintrat, was denn auch die Angaben über die
+Staatskassenbestände und die Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die
+Regierung ließ sich dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Münze
+einzuführen. Die in der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man
+längst wieder fallen lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent
+schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine
+Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich
+das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen
+oder ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen, lediglich
+nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel
+gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes wurde gleich der Prägung
+falscher Silbermünzen rechtlich als Münzvergehen betrachtet. Man erreichte
+hierdurch den unermeßlichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die
+Möglichkeit der Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war
+die Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen
+Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist
+dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und
+gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermünze wurde
+um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze und hörte auf, wie früher,
+im Großverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde etwa seit dem
+Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr geschlagen und die
+Kupferprägung beschränkt auf die im Silber nicht füglich herzustellenden
+Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren
+nach einem einfachen Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze
+gewöhnlicher Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze
+der fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller Verständigkeit
+der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung derselben im Altertum einzig
+dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. Doch hat
+auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer
+höchsten Entwicklung in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische
+Regierung mit den guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber
+plattierte aus, welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als
+ein unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf
+die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stücke
+zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war dies so wenig wie unsere
+Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: Marcus Drusus
+beantragte 663 (91), um die Mittel für seine Kornspenden zu gewinnen, die
+Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, neu aus der Münze
+hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß
+der privaten Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch
+das Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld
+empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der
+bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen finanziellen Krise scheint man
+der Planierung sich so über die Gebühr bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise
+eine Münzkrise sich gesellte und die Masse der falschen und faktisch
+entwerteten Stücke den Verkehr höchst unsicher machte. Deshalb wurde während
+des Cinnanischen Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus
+Marius Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld
+verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung
+durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die Zeichengeldprägung selbst blieb
+bestehen.
+</p>
+
+<p>
+Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen Beseitigung
+der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den Klientelstaaten nicht
+gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit nur vorkommt, wo Rom gar
+nichts zu sagen hatte, namentlich bei den Kelten nordwärts von den Cevennen und
+bei den gegen Rom sich auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie
+auch Mithradates Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die
+Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im
+Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und Silbermünze auch
+nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf geblieben sein; aber
+geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder auf karthagischen noch auf
+römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach der Besitzergreifung der Römer
+auch in dem Verkehr beider Landschaften der von Italien eingeführte Denar das
+Übergewicht erhalten. In Spanien und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind
+und überhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer
+Herrschaft in Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst
+durch die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind
+gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden Landschaften
+wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die provinziale und
+städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze hat beschränken müssen.
+Nur im Narbonesischen Gallien konnte der altverbündeten und ansehnlichen
+Freistadt Massalia das Recht der Silberprägung nicht entzogen werden; und
+dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstädten Apollonia und
+Dyrrhachion. Indes beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht
+dadurch, daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung
+dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in das
+römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in
+diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß das massaliotische und
+illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt wurde und außer seinem
+einheimischen Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar
+blieb. So weit war man also bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten
+Westhälfte des römischen Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn
+Italien, Sizilien - von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich
+bezeugt ist, daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -,
+Sardinien, Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in
+Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der Massalioten
+und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen. Anders war es im Osten.
+Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden Staaten und die Masse der
+umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war, drang der Denar nicht in größerem
+Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr
+blieb hier entweder der bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als
+Provinz, wenn auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu
+dem der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß
+wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter römischer
+Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher Münzfuß neu
+eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia derselben ein neuer
+Stater, der sogenannte Cistophorus, von der römischen Regierung geordnet und
+dieser seitdem von den Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer
+Oberaufsicht geschlagen ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des
+okzidentalischen und des orientalischen Münzwesens ist von der größten
+geschichtlichen Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder
+hat in der Annahme der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden,
+und es ist kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des
+Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das Gebiet der
+Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden ist. Noch
+heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen
+Kultur dar, während dieses dagegen aus der europäischen Zivilisation sich
+ausgeschieden hat.
+</p>
+
+<p>
+Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich gestalten
+mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung aber des
+Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen
+weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuß war die
+Losung überall, bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern;
+nicht der feine Luxus gedieh, der die Blüte der Zivilisation ist, sondern
+derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und
+Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur
+Dekoration entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen
+Pedanterie, einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig
+frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde,
+es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius
+beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr
+überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in
+schwunghaften Betrieb kamen und ein Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651
+(103) erschienen in der römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die
+ersten Elefanten; 661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten.
+Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer
+Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, dasselbe von
+ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und Staatsaktionen der
+Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. Welche Summen dafür und für
+die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament
+des Marcus Aemilius Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen;
+derselbe befahl seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem
+Gepränge, sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste
+bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu
+verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das prachtvolle und
+namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte Stadthaus des Redners
+Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler),
+ohne diese auf die Hälfte geschätzt, während der Wert eines gewöhnlichen
+Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden
+kann 6. Wie rasch die Preise der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel
+der Misenischen Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000
+Sesterzen (5700 Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den
+dreiunddreißigfachen Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land-
+und Badeleben machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
+Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es keineswegs
+mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging, wurden gemein und
+schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen erlassen. Gazestoffe, die die
+Formen mehr zeigten als verhüllten, und seidene Kleider fingen an, bei Frauen
+und selbst bei Männern die alten wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die
+rasende Verschwendung, die mit ausländischen Parfümerien getrieben ward,
+stemmten sich vergeblich die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und
+Brennpunkt dieses vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise
+- bis 100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute
+mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste mit
+eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit frisch auf die
+Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes Diner, wenn das
+Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den Gästen vorgelegt wurden
+und wenn diesen zugemutet ward, von den einzelnen Gerichten zu essen und nicht
+bloß zu kosten; man bezog für schweres Geld ausländische Delikatessen und
+griechischen Wein, der bei jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal
+herumgereicht werden mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der
+Luxussklaven, die Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die
+goldstrotzenden oder gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das
+antike Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten
+sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, 82) und
+ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und Weine wurden darin
+gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und Preis ein Maximum festgesetzt,
+ebenso die Quantität des silbernen Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt,
+endlich allgemeine Maximalbeträge der Kosten der gewöhnlichen und der
+Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½
+Groschen und 5½ Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen
+und 17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von
+allen vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die Gesetzgeber
+selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; auch diesen dreien aber
+beschnitt nicht das Gesetz des Staates den Küchenzettel, sondern das der Stoa.
+Es lohnt der Mühe, einen Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze
+steigenden Luxus im Silbergerät zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war
+silbernes Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses
+eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in
+jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät wiedergefunden
+hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an
+verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es
+zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf
+10000 Pfund (250000 Taler); in Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits
+gegen 150 hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren
+Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür verschwendeten
+Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die Arbeit schon mit
+ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für ausgezeichnetes Silbergerät Gaius
+Gracchus den fünfzehn-, Lucius Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen
+Metallwert bezahlte, der letztere für ein Becherpaar eines namhaften
+Silberarbeiters 100 000 Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig
+überall.
+</p>
+
+<p>
+Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
+Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung, einst in
+Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn bei der ältesten
+römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so hätte man den jetzigen
+vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben,
+eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch
+seine ehrenwerte Häuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung
+seiner Zeitgenossen war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht,
+im Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als eine
+drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende öffentliche
+Last. 7
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das
+Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete (Plut. Sull.
+1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses kapitalisiert, ungefähr den
+obigen Betrag ergibt. Dies war eine wohlfeile Wohnung. Wenn ein
+hauptstädtischer Mietzins von 6000 Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125)
+ein hoher genannt wird (Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände
+obgewaltet haben.
+</p>
+
+<p>
+7 &ldquo;Wenn wir könnten, ihr Bürger&rdquo;, hieß es in seiner Rede, würden
+wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
+eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die Frauen
+überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde Wohlfahrt mehr zu
+sehen als auf kurzes Wohlleben.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die der
+größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte
+treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase
+geworden; die moderne Richtung herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest
+und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit
+attischer Bildung zu vereinigen wußten, war doch bei der großen Menge der
+Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher Verderbnis. Den
+Rückschlag dieser sozialen Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man
+niemals aus den Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen
+will. Es war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im
+Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem
+andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs,
+bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daß er drei
+Frauen begraben und um keine eine Träne geweint habe. Es war nicht
+gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf offenem Markt ein Redner folgende
+Schilderung eines senatorischen Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den
+der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. &ldquo;Sie
+spielen Hasard, fein parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag
+herankommt, lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte
+sich umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den
+neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche dagegen
+gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den Gerichtsplatz, eben früh
+genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in
+keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben
+sich den Leib voll Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte
+und geben den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
+Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er
+zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden. Ersieht
+hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf. Wie er sich dann
+zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen Zechbrüdern sich
+vernehmen: &lsquo;Was gehen mich die langweiligen Leute an? Warum gehen wir
+nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein trinken und essen dazu
+einen fetten Krammetsvogel und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von
+der Tiberinsel?&rsquo;&rdquo; Die den Redner hörten, lachten; aber war es nicht
+auch sehr ernsthaft, daß dergleichen Dinge belacht wurden?
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/>
+Nationalität, Religion, Erziehung</h2>
+
+<p>
+In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs des
+Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit im
+Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, die
+phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der sie
+sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache
+und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht
+bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern
+die politische Nivellierung Italiens nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr
+die lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landessprachen
+herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen
+Umfange des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen
+und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die
+latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem
+Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker zu vollem
+römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische Gabe empfangen
+kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem
+das römische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Landrechte
+ausschließlich gilt: so ist damals die römische Sprache auch die allgemeine
+Geschäfts- und bald gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs
+auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
+beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in Italien
+zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, die Intelligenz
+seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand keinen hinreichenden
+Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch den öffentlichen Dienst wurden
+die Italiker massenweise in die Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung
+daselbst privilegierte auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst
+wo nicht bloß Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker
+zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren
+Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen, die in
+dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden
+römischen Bürger als &ldquo;Kreise&rdquo; (conventus civium Romanorum) mit
+ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit Gemeindeverfassung; und
+wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig früher oder später nach Italien
+zurückgingen, so bildete sich dennoch allmählich aus ihnen der Stamm einer
+festen, teils römischen, teils an die römische sich anlehnenden
+Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in Spanien, wo das römische Heer zuerst
+stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstädte italischer Verfassung,
+Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), später Palma und Pollentia organisiert
+worden sind, ward bereits erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert
+war, das Gebiet der Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den
+rauhesten und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker
+genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, daß schon
+um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der Küste
+die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewußter Weise entwickelte
+zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des römischen Staats durch
+die italische Emigration zu kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte
+Hand an die Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition
+gegen den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils
+zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten,
+schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und
+noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines großen Gedankens, der
+Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja das
+heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem letzten Grunde
+Schöpfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht
+bloß die italischen Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie
+gelangte auch in sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge,
+eine klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu schaffen;
+und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen
+Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche italische
+Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die geschichtliche
+Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die lateinische klassische
+Literatur und die lateinische Bildung, als darauf, daß sie neben der
+griechischen stand; und herabgekommen wie die gleichzeitigen Hellenen auch
+literarisch waren, durfte man wohl das Wort des Dichters auch hier anwenden,
+daß der lebendige Tagelöhner mehr ist als der tote Achill.
+</p>
+
+<p>
+Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität vorwärts
+dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus gleich, ja früher
+und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in das engste Bündnis oder
+durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische
+Revolution, die sonst alle nichtlatinischen Nationalitäten auf der Halbinsel
+nivellierte, rührte nicht an die Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis,
+Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet,
+fortwährend eine griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom.
+Mit der vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung
+Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft wurde die
+griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des
+Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst
+der geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen
+Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch
+abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn
+die italische Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so
+begann jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht bloß
+die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem geistigen
+Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den dort gefeierten
+griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und
+die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstörer Korinths bei
+seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen und musischen
+Spiele der Griechen: Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen,
+Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen
+schon ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den
+Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der
+Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der römischen
+als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber auch in anderen,
+minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche Beziehungen. Wir gedenken eines
+anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem
+Leben zugleich die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge
+tritt: ein geborener Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und
+später dessen Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit
+den gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter
+Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die Belagerung Karthagos
+eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen als
+Sklaven nach Italien geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift.
+Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte,
+Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
+schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte
+Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von Antiocheia
+im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der Improvisierkunst und von
+Heldengedichten auf römische Konsulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius
+Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum
+Mäzen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu
+patronisieren. Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die
+reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander in
+Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der
+kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmännische
+Einwanderung aus dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und
+stark mit orientalischen und überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten
+Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben
+auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue Sprache
+und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte zunächst auf das
+halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit
+der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren
+Vertrieb fand.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Daß vor 608 (146) keine &ldquo;griechischen Spiele&rdquo; in Rom gegeben
+seien (Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische
+&ldquo;Künstler&rdquo; (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167)
+griechische Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den
+Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich.
+Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden, Ägyptern, die
+Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten Volkstümlichkeiten rieben sich
+überall aneinander und verschliffen sich zusehends; es schien nichts
+übrigbleiben zu sollen als der allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das
+lateinische Wesen an Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom
+selbst, wo der Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und
+nichts übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem
+Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine Bildung
+in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies bestätigt die
+Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste und eigentümlichste
+Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die Lucilische Satire, mit größerem
+Recht latinisch heißen als römisch. Daß der italische Hellenismus der unteren
+Schichten in der Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswüchsen der
+Kultur und mit oberflächlich übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger
+Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch für die bessere
+Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer
+maßgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische
+Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der klassischen
+Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten Erzeugnissen des
+griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das römische Wesen zu
+gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung desjenigen Zeitvertreibs, der den
+eigenen Geist möglichst wenig in Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der
+arpinatische Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer,
+wie der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch
+verstehe.
+</p>
+
+<p>
+Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, aber auch
+wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir die alte Welt zu
+nennen gewohnt sind, schreitet fort von der äußerlichen Einigung unter der
+Machtgewalt Roms zu der inneren unter der Herrschaft der modernen, wesentlich
+auf hellenischen Elementen ruhenden Bildung. Über den Trümmern der
+Völkerschaften zweiten Ranges vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden
+Nationen stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische
+und die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem Gebiete
+der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die Römer auf ihre
+exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem Latein eine freilich
+beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit dem Griechischen eingeräumt;
+andererseits gestattet zuerst Sulla den fremden Gesandten, vor dem römischen
+Senat ohne Dolmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das
+römische Gemeinwesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte
+Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen
+wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.
+</p>
+
+<p>
+Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die
+Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden
+primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung,
+der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen.
+</p>
+
+<p>
+Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem römischen
+Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme
+Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und soziale
+Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der
+alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über seinen Trümmern erheben sich,
+wie über den Trümmern des politischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so
+auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der
+anderen der Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen.
+Allerdings gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der
+politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück. Schon
+damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im stillen an dem
+Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisierung und Historisierung
+der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal
+bezwang, mußte die Übersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults nach Rom
+gutheißen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das
+bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in
+der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich
+vorbereitete als äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im
+wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.
+</p>
+
+<p>
+Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu
+verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische erblüht und
+abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich
+ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; seit langem
+gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die
+philosophische Tätigkeit des hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu
+wirken begann, die Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich
+und war in dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme
+mehr entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der
+älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald scholastische
+Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der Vorfahren sich beschränkt;
+in dem Stadium also, wo die Philosophie, statt den Geist zu vertiefen und zu
+befreien, vielmehr ihn verflacht und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die
+selbstgeschmiedeten, schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer
+gefährlich, ist, verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und
+verwässert reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese
+verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die
+toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den vorsokratischen
+Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf die römische Bildung
+geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern genannt, ihre faßlicheren
+Schriften auch wohl gelesen und übersetzt wurden. So wurden denn die Römer in
+der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der
+historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
+auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit lebender
+Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube Götter gemacht
+habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind hauptsächlich drei
+Philosophenschulen für Italien von Bedeutung geworden: die beiden dogmatischen
+des Epikuros († 484 270) und des Zenon († 491 263) und die skeptische des
+Arkesilas († 513 241) und Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen
+der Epikureismus, die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser
+Richtungen, welche von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an
+dessen Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges
+Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem sie jeden
+Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den
+Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefähr auf einer Linie mit
+der älteren Sophistik, nur daß begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den
+Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen
+ankämpften. Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer
+rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von
+dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern
+Epikuros, der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie
+faßt und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit
+der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos,
+schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf- und
+niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich
+ableiten: daß im epikureischen System die Götter gleichsam nicht vorhanden und
+höchstens der Traum der Träume sind, die stoischen Götter die ewig rege Seele
+der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott mächtig über den Körper, die Erde,
+die Natur; daß Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine
+persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen
+Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem Begehren noch
+von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch
+das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers immer gesteigerte und
+zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur
+aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem Punkte aber stimmten der Religion
+gegenüber alle diese Schulen zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei
+und notwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens
+mit Bewußtsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die
+Akademie, oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule
+Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die
+Stoiker taten.
+</p>
+
+<p>
+Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der hellenischen
+Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als antispekulativen
+Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische Religion hatte vollkommen
+recht, von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die
+Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der
+römische Staat, der in der Religion instinktmäßig sich selber angegriffen
+fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die
+Eclaireurs der anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den
+Rhetoren auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
+gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche
+Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die Okkupation
+von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor dem Senat diese drei
+der angesehensten Professoren der Philosophie, darunter den Meister der
+modernen Sophistik, Karneades, beauftragten (599 155). Die Wahl war insofern
+zweckmäßig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen
+Verstand spottete; dagegen paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades
+durch Rede und Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso
+nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen wie zum
+Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form dartat, daß man
+mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne, Oropos herauszugeben und
+von den Römern, sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am
+Palatin. Die der griechischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Skandal
+wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes
+scharenweise herbeigezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht
+unrecht geben, wenn er nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der
+Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber
+verglich, sondern auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der
+die Kunst verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen
+Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast höhnisches
+Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit,
+um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte, in
+Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die
+Philosophie zuerst wenigstens als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die
+in ihrer Naivität nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden
+Weisheitslehre eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber
+dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des
+Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese Stütze
+konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades oder des
+Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff
+entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte; Karneades zog
+gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden
+Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der
+römischen Religion war ein Bündnis unmöglich; sie waren und blieben verfemt.
+Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus
+Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete; und von den in
+seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich
+entschuldigen, daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als
+Bürger und Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter
+sei, der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren.
+Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreiflichkeit
+des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Römer geübt,
+namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu tief eingewirkt mit
+ihrer zugleich kindischen und altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die
+römische Religion aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese
+von Haus aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in
+Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
+schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, die
+geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen Reihen
+gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger
+Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den Epikurischen Quietismus endlich
+lehnte alles sich auf, was in dem römischen, so durchaus auf Tätigkeit
+gerichteten Wesen tüchtig und brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als
+der Euhemerismus und die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache,
+weshalb die Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den
+Krieg zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein
+philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem - sehr
+gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der gedankenlose
+Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie denn einer der
+frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in Lucilius&rsquo; Gedichten
+figuriert als der Prototyp des übel hellenisierenden Römers.
+</p>
+
+<p>
+Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im geraden
+Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die Landesreligion so eng sich
+an, wie das Wissen sich dem Glauben zu akkommodieren überhaupt nur vermag. An
+dem Volksglauben mit seinen Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern
+grundsätzlich fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche
+die wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr
+unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als
+eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die
+Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wiederum Gott, die
+Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen
+Sterblichen, den das Volk als Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene
+Geist eines gewordenen Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach
+Rom als in die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des
+Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer
+Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht
+aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche Purifizierung, wie sie der
+stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen
+Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit dürftige plastische Kraft der
+Römer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte, ohne sonderlichen Schaden
+abzustreifende Umhüllung der ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen
+Begriffes, woraus die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen,
+wenn sie sich plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand;
+Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische
+stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem Ergebnis im
+ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Sätze der
+Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen mußte, wie denn zum
+Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor,
+Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das
+Götterbild nicht als Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war
+es wenigstens nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren
+anzukämpfen und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall
+der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch die
+Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die rationelle Behandlung
+der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser
+Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht und gute
+Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus
+erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies
+dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu
+besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese
+Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden
+akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen Volkshaushalt, und wir
+begegnen ihren Spuren auf den verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge
+reichen ohne Zweifel weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren
+Schichten der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis,
+der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister
+Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie und
+beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher Begleiter,
+verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu bringen, dessen
+spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre der Terminologie, die
+Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu mildern, namentlich auch durch
+Herbeiziehung der älteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den
+Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich
+die namhaftesten Staatsmänner und Gelehrten, unter anderen die Begründer der
+wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo
+und Quintus Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen
+Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich
+anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode,
+stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der
+stoischen Philosophie und der römischen Religion hervorgehende neue
+Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus aus in
+dem Zenonischen System wenig energisch ausgeprägt und schon weiter
+abgeschwächt, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert
+hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie
+in die Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat
+völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war wenig
+mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen
+waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen
+zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche Auszeichnung, ihr
+System zur halboffiziellen römischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und
+erwiesen sich überhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen
+Prinzipien hätte erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat
+zeigte bald eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen
+ihrer Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten sie
+Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen Beamtenwesens; und wenn
+die feineren Stoiker, wie Panätios, die göttliche Offenbarung durch Wunder und
+Zeichen als denkbar, aber ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar
+entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger
+jene Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif und
+fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie höchst
+unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward immer mehr die
+kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei
+welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach demütigenden Berührung mit den
+Griechen Entschädigung suchten, und formulierte den angemessenen Dogmatismus
+der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender
+Rigorosität im ganzen die höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre
+praktischen Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie
+gesagt, in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen
+ward.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite
+ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewußte
+Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des Volksglaubens aus äußeren
+Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der hervorragendsten Männer des
+Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß
+das wunderliche und schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der
+Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit
+Zeichen und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute
+allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios&rsquo;
+römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so
+kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten.
+Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der Auguraldisziplin, an die
+auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes gesehen haben als eine politische
+Institution; doch war der Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das
+Anstandsgefühl zu fein, als daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen
+öffentlich hätten auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug
+der Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in
+seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß es eine
+zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische und eine
+nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne zur
+Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen unnütz oder
+sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte Staatsreligion bleiben müsse,
+wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung desselben Grundgedankens ist die
+Varronische Theologie, in der die römische Religion durchaus behandelt wird als
+ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des
+Staats, wie der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die
+Götter neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und den
+Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu benennen,
+auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3 und das verkehrte
+Opferwesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal beständen, so
+müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und dazu tun, daß der
+&ldquo;gemeine Mann&rdquo; die Götter vielmehr höher achten als geringschätzen
+lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand
+gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmähte und sein Heil anderswo suchte,
+versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die
+römische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und
+eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine
+politische Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die
+politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff
+und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit der
+Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. Die alte und
+natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter
+heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn sich zu einem
+weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knüpfender
+Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward sogar
+durch das Älische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, daß jede
+Volksversammlung auseinanderzugehen genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten
+einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische
+Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige
+fromme Lüge jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu
+können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung,
+daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber
+ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen
+selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien schon früher
+eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste dieser
+Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich zu beklagen,
+nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und zum Beispiel der
+Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer Akte auf Verlangen an
+die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein Zankapfel der Parteien. Den
+ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der Senat ab, wobei namentlich der
+Scipionische Kreis für die Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im
+Jahre 650 (104) ging sodann der Vorschlag durch mit der früher schon bei der
+Wahl der Vorstände gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen,
+daß nicht die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu
+wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem Umfang wieder
+her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine Landesreligion vertrug
+es natürlich sich aufs beste, daß eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben
+offen Spott getrieben ward. Die praktische Seite des römischen Priestertums war
+die priesterliche Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam
+die offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche
+derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel
+die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht
+hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu
+machen. Es war ein Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit
+auf den Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche
+Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen an es zu
+werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des
+Decamerone die Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge
+Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Töchter der
+vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den
+besten Häusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu
+vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten
+außerordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich
+zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute
+nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die positive
+Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, wenn einer den
+andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer
+religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter
+Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse Unverschämtheit der römischen
+Priester und Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle
+Religion behandelt als ein hohles, nur für die politischen Maschinisten noch
+brauchbares Gerüste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen
+Winkeln und Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden
+gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der
+Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die Gegenpartei
+machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein
+Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im ganzen als eine Schanze, die
+aus dem Besitz des Feindes in den eigenen übergehen könne.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+3 Auch in Varros Satire &lsquo;Die Aboriginer&rsquo; wurde in spöttischer Weise
+dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem Gott,
+den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Götterpuppen und
+Götterbilderchen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die
+verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen
+wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann.
+Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen und Herren wie in den
+Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den
+Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube bereits
+reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die
+Wege und Mittel zur Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben,
+wies dieser zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und
+namentlich Marius&rsquo; eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem
+Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte,
+bis die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien im
+Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen
+und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den Wirren des Jahres
+667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer verrückten Prophetin gemäß
+Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren der römisch-hellenischen Religion,
+wie für das im Steigen begriffene Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen
+Stimulantien ist es bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den
+Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die etruskische
+Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den
+heißen Landschaften des Orients gezeitigten Kulte. Sehr viel hat dazu
+beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente
+in die Bevölkerung, teils durch die Sklaveneinfuhr, teils durch den
+gesteigerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen
+Religion tritt sehr scharf hervor in den Aufständen der sizilischen,
+größtenteils aus Syrien herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las
+in den Sternen; die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln
+tragen großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
+geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
+verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem die
+Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen gingen:
+Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die syrischen Salben
+und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben des Ostens. Überall ist mit
+der Völker- auch die Religionsmengung beständig im Steigen. Von allen erlaubten
+Kulten war der populärste der der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem
+Eunuchenzölibat, mit den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem
+ganzen sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden
+bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit des
+Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener
+Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels
+seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen Auftrag der Göttermutter zum
+römischen Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verständigen Leute
+ärgerten sich, aber die Weiber und die große Menge ließen es sich nicht nehmen,
+dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach
+dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst
+Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon
+(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. Aber weit
+populärer noch waren natürlich die unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos
+Zeit hatte der chaldäische Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen
+Eingeweide-, dem marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die
+Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem
+traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische Fremdenprätor die
+sämtlichen &ldquo;Chaldäer&rdquo; an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu
+räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem Sabbat
+italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das Lager von
+Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder Art zu reinigen.
+Einige Jahrzehnte später (657 97) sah man sogar sich genötigt, die
+Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die
+Römer sie nannten, der Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die
+Priester das eigene Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische
+Götterverehrung beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene
+Kappadokierin im Traume, und von den späteren römischen Isis- und
+Osirisgemeinden führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische
+Zeit zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern
+auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen
+Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch keineswegs am
+Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe Beklommenheit der
+Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe und versenkte sich in
+jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden Verhängnisse,
+neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das Geschick oder vielleicht
+auch nur neue Angst zu finden wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in
+der allgemeinen politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit
+den ihm genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als
+wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte woher und
+wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue Wunder und
+ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.
+</p>
+
+<p>
+In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in der
+vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und Bildung. Wie der
+Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche Gleichheit, bereits im Laufe
+des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem Gebiet ins Schwanken gekommen war,
+ist früher dargestellt worden. Schon zu Pictors und Catos Zeit war die
+griechische Bildung in Rom weit verbreitet und gab es eine eigene römische
+Bildung; allein man war doch mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt.
+Was man unter römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr
+verstand, zeigt Catos &lsquo;Encyklopädie&rsquo;; es ist wenig mehr als die
+Formulierung des alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
+hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe noch im
+Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom durchgängig
+stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen, welcher in dieser
+einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten und öffentlichen Fürsorge
+seiner Landsleute die sträfliche Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt
+- in den dieser Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der
+bürgerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden
+vermocht.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte stoische
+Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der Erziehung neben dem
+einfachen Volksunterricht sich eine besondere Bildung, eine exklusive Humanitas
+und vertilgte die letzten Überreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird
+nicht überflüssig sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl
+des griechischen wie des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
+</p>
+
+<p>
+Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die hellenische
+Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus, zugleich zuerst oder als
+einer der ersten die hellenische Zivilisation vollständig anerkannte als das,
+was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Zivilisation der antiken
+Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die
+Homerischen Lieder im Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein
+Herz war jung genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die
+unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in seiner
+Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden Mann einen
+ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner war von den klugen
+Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder
+Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne
+die nationale Erziehung zu vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte
+er wie die Griechen für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht
+durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch
+Unterweisung in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und
+steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß die
+Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach griechischer
+Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die Sprache geknüpft und aus
+ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der griechischen Literatur
+mit der zu deren Verständnis nötigen mythologischen und historischen Kunde,
+sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das
+einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um
+sie seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden
+sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Daß
+die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber
+bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; die Besseren
+mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern römischer Art durch den ganzen
+Hellenismus weniger gefährdet werde als durch dessen Verstümmelung und
+Mißbildung: die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die
+neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein
+Mangel; jetzt strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern
+als Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten
+ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der
+Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmäßig wie
+Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man
+raffinierte darauf, und es findet sich, daß für einen griechischen
+Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt worden
+sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl besonderer
+Lehranstalten für griechische Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne
+ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios
+ward bereits gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien,
+Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein
+Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche Erläuterung der
+Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des Jugendunterrichts,
+revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand der
+Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behörden 593 (161) gegen
+Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten Wechsel der
+römischen Oberbeamten, wie alle ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg,
+und nach des alten Cato Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt,
+aber nicht mehr gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den
+griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher
+Teil der italischen Bildung.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios rücksichtsvoller
+behandelt habe als Scipio den Panätios; und in gleichem Sinne hieß es bei
+Lucilius:
+</p>
+
+<p>
+Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach
+</p>
+
+<p>
+Als der Philosoph.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer Unterricht. Es ist
+in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische
+Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle der
+Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische Odyssee getreten
+war und nun der römische Knabe an dieser Übersetzung, wie der griechische an
+dem Original, die Kunde und den Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie
+namhafte griechische Sprach- und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere
+mehr, die doch wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern
+heranreifende Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der
+griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das die
+Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein solcher
+nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht überschreiten,
+solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht bloß lateinische
+Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab und diese in den Werken der
+Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag,
+traten die Muttersprache und die einheimische Literatur wahrhaft ein in den
+Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
+Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die
+Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer die rezitativen
+Werke auch ihrer Literatur, Naevius&rsquo; &lsquo;Punischen Krieg&rsquo;,
+Ennius&rsquo; &lsquo;Chronik&rsquo;, späterhin auch Lucilius&rsquo; Gedichte
+zuerst einem erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und
+unter großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
+Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge, die
+gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein
+förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, die Jugend in
+das Verständnis und den Vortrag der klassischen lateinischen Literatur
+einzuführen.
+</p>
+
+<p>
+Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme römische
+Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden öffentlich
+aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen nie haben fehlen lassen;
+indes erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand
+eine eigentliche Redekunst. Als der erste römische Sachwalter, der Sprache und
+Stoff kunstmäßig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137)
+genannt; die beiden berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche
+und lebhafte Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner
+Lucius Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die
+Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber
+blieben doch, eben wie die lateinischen Literaturübungen, wesentlich darauf
+beschränkt, daß der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich sich anschloß
+und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.
+</p>
+
+<p>
+Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in lateinischer
+Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der
+&ldquo;Griffelmann&rdquo; (Stilo) genannt, ein angesehener, streng konservativ
+gesinnter römischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer -
+darunter Varro und Cicero - den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe
+zu Reden mit den Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die
+Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war
+Stilo nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die
+Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden
+jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um
+seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere Unterricht im Lateinischen,
+getrennt sowohl von dem elementaren lateinischen als von dem griechischen
+Unterricht, und von bezahlten Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen
+Sklaven, in besonderen Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den
+griechischen Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von
+selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen, nicht aus
+Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie der griechische, in
+einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die lateinische Literatur
+wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden
+kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Literaturschule
+eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius Nicanor Postumus, die erste besondere
+Schule für lateinische Rhetorik um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in
+der Regel auch in den lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst
+gegeben. Dieser neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten
+Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer
+Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden
+war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbständigkeit sich bewahrt.
+Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Einfluß
+des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik
+und Schulrhetorik; namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert.
+Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die
+griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner verstand
+und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seinesgleichen zu
+reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen
+praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der
+griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung
+erscheinen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die
+griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten
+entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten
+Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
+Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, und wenn
+die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als
+Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so war doch die griechische
+Rhetorik damit weder in die lateinische Rede noch in den lateinischen
+Redeunterricht eingedrungen. In den neuen lateinischen Rhetorschulen aber
+wurden die römischen Jungen zu Männern und Staatsrednern dadurch gebildet, daß
+sie paarweise den bei der Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben
+gefundenen Odysseus der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen
+ihn verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
+Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit einem
+guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach Rom Folge zu
+leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu ergreifen. Es ist
+begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und verderblichen Wortmühlen noch
+einmal die catonische Opposition sich regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92)
+erließen eine Warnung an Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den
+ganzen Tag mit Übungen hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts
+gewußt hätten; und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als
+der erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach
+die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die gangbaren
+griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen
+Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben zu advokatischen
+und politischen Schauspielern zu erziehen und jede ernste und wahre
+Beredsamkeit im Keime zu ersticken.
+</p>
+
+<p>
+Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich
+der neue Begriff der sogenannten &ldquo;Menschlichkeit&rdquo;, der Humanität,
+welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten
+musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder
+nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität sagte, wie
+schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch römischen Wesen, ja trat
+dagegen in Opposition und vereinigte in sich, ebenwie unsere eng verwandte
+&ldquo;allgemeine Bildung&rdquo;, einen national kosmopolitischen und sozial
+exklusiven Charakter. Auch hier war die Revolution, die die Stände schied und
+die Völker verschmolz.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/>
+Literatur und Kunst</h2>
+
+<p>
+Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische und große
+Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem
+politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und
+lebendige Schriftsteller von scharf ausgeprägter Individualität, sind nicht im
+höchsten Sinn schöpferische Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem
+Schwung, der Rührigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, epischen,
+historischen Versuche es an, daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen
+Kriege. Es ist vieles nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach
+gefehlt, Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales
+barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
+schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen; aber
+dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo nicht die
+volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die Hoffnung, mit den
+Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser Epoche. Die Morgennebel sanken;
+was man im frischen Gefühl der im Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte,
+mit jugendlichem Mangel an Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in
+das Maß des eigenen Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum
+Werke, das vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der
+heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann, teils den
+Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die unvergleichliche
+Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und über die sehr bescheidene
+künstlerische Begabung der eigenen Nation. Die Literatur des sechsten
+Jahrhunderts war hervorgegangen aus der Einwirkung der griechischen Kunst auf
+halb gebildete, aber angeregte und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte
+hellenische Bildung des siebenten rief eine literarische Reaktion hervor,
+welche die in jenen naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen
+Blütenkeime mit dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der
+älteren Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und
+hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich schloß und
+dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen Welt außer Scipio
+dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius (Konsul 614 140) und Scipios
+jüngere Genossen, Lucius Furius Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius,
+der Bruder des Zerstörers von Korinth, unter den römischen und griechischen
+Literaten der Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der
+Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem
+Xenophon und Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht
+imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer
+Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern fortfuhr.
+Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik patriotische Rücksichten
+Schranken stecken, so richtete doch Lucilius sehr spitzige Pfeile gegen
+&ldquo;die traurigen Figuren aus den geschraubten Expositionen des
+Pacuvius&rdquo;; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken des
+Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, &ldquo;die einen Freibrief zu
+haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen&rdquo;, begegnen
+bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser Periode geschriebenen, dem
+Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte die Achseln über die Interpolationen,
+mit denen der derbe römische Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und
+des Diphilos staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab
+von den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
+erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus seiner
+Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ man in Poesie
+und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen und beschränkte sich
+hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich einsichtig zu erfreuen. Die
+Produktivität dieser Epoche bewegt sich vorwiegend auf den untergeordneten
+Gebieten, der leichteren Komödie, der poetischen Miszelle, der politischen
+Broschüre, den Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die
+Korrektheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer
+Kreis von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
+ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das
+vulgäre des gemeinen Mannes. &ldquo;Reine Sprache&rdquo; verheißen die
+Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der Lucilischen
+Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die griechische Schriftstellerei
+der Römer jetzt entschieden zurücktritt. Insofern ist ein Fortschritt zum
+Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener
+unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche
+Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero
+die Zeit des Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten
+Latein. Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen
+Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode
+galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien, doch jedenfalls
+die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich für den vornehmen
+Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren Stücken; das Dramenschreiben war
+lediglich ein Handwerk und keines mit goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten
+die Verhältnisse sich völlig verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser
+Zeit beweisen, daß auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine
+Bezahlung Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde
+die Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch Männer
+aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar (Ädil 664 90, †
+667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf, in der römischen
+&ldquo;Dichtergilde&rdquo; neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. Die Kunst
+gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im Leben wie in der
+Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dichter zum Dichter macht,
+und die vor allem bei Plautus sehr entschieden hervortritt, kehrt bei keinem
+der späteren wieder - die Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber
+matt.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne selbst. Im
+Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die Tragödiendichter dieser
+Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, nebenbei das Lustspiel und das
+Epos. Die Wertschätzung dieses Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden
+Kreisen war offenbar im Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst.
+Der nationalen Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir
+nur noch bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der
+Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern
+griechischer Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus
+Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen früheren
+Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom Trauerspieldichten lebte,
+gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr dem sechsten als dem siebenten
+Jahrhundert an, obwohl seine poetische Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete
+im ganzen in der Weise seines Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer
+feilend und nach höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er
+günstigen Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen
+Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen,
+die Ciceros sprachlichen und Lucilius&rsquo; ästhetischen Tadel des Dichters
+rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines Vorgängers,
+seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich Spuren, daß er wie
+Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab; aber er bevorzugte doch nicht
+wie dieser die der neologischen Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder
+moderne Aufklärung predigenden Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei
+Sophokles und bei Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen
+Tendenzpoesie des Ennius kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 So hieß es im &lsquo;Paulus&rsquo;, einem Originalstück, wahrscheinlich in
+der Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):
+</p>
+
+<p>
+Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.
+</p>
+
+<p>
+Wo kaum
+</p>
+
+<p>
+Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.
+</p>
+
+<p>
+Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende Beschreibung
+zu verstehen:
+</p>
+
+<p>
+Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
+</p>
+
+<p>
+Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,
+</p>
+
+<p>
+Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.
+</p>
+
+<p>
+Worauf dieselben natürlich erwidern:
+</p>
+
+<p>
+Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,
+</p>
+
+<p>
+Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;
+</p>
+
+<p>
+Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist. übrigens
+fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen Trauerspieldichtern nicht,
+die deshalb von der Mittleren Komödie oft und derb mitgenommen wurden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie lieferte des
+Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von
+Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer Pacuvius der einzige namhafte
+tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch
+literarhistorisch und grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der
+kruden Weise seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die
+lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und
+Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius,
+nachdrücklich getadelt.
+</p>
+
+<p>
+Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete
+des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare und
+volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. Ihr Vertreter
+Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich interessantesten
+Erscheinungen in der römischen Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in
+früher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung
+der Zeit eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen
+Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der
+Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen
+derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl und der
+Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und
+demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen können.
+Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen Komödie
+und verschmäht die keckeren und populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel
+den Philemon, durchaus nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an
+Menandros, den zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der
+neueren Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen
+zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der
+Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit
+unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der
+Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr häufig von seinen Mustern;
+Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die
+Originale, wobei freilich nicht an eine wörtliche Übersetzung in unserm Sinn
+gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer drastische Auftragung
+römischer Lokaltöne auf den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird
+vollständig und absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom,
+nicht ein Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel
+werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der
+künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen
+gebührenden Masken zurück und wird für eine sorgfältigere Inszenierung Sorge
+getragen, so daß nicht mehr wie bei Plautus alles, was dahin und nicht dahin
+gehört, auf der Straße vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten
+leichtsinnig und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz,
+weit minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der
+Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die allerdings
+zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe seiner Vorgänger, zum
+Beispiel gegen die allegorischen Träume 3. Plautus malt seine Charaktere mit
+breiten Strichen, oft schablonenhaft, immer für die Wirkung aus der Ferne und
+im ganzen und groben; Terenz behandelt die psychologische Entwicklung mit einer
+sorgfältigen und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den
+&lsquo;Brüdern&rsquo; die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der
+vielgeplackte, durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften
+Kontrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
+Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische Wirtschaft,
+die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirten
+dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz besonders launig gemalte
+Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche ist, sind bei
+Terenz verschwunden oder doch zum Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man
+sich, im ganzen genommen, unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei
+Terenz dagegen regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein
+Mädchenwirt ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so
+geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den
+Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen Stücken
+herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: überall werden die
+Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller zeitweilig emanzipierten und einer
+liebenswürdigen Begrüßung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. In den
+Terenzischen Komödien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine
+schicklichere Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig
+schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien -
+ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine Hochzeit
+wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die bei Menandros so
+häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter nur mit charakteristischer
+Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der
+zärtliche Ehemann am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im
+&lsquo;Verschnittenen&rsquo; und im &lsquo;Mädchen von Andros&rsquo; gar
+anmutig geschildert; ja in der &lsquo;Schwiegermutter&rsquo; erscheint sogar am
+Schluß als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt
+Menandrische Figur, die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei
+Plautus sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und
+geprellt zu werden; bei Terenz wird im &lsquo;Selbstquäler&rsquo; der verlorene
+Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll trefflicher
+Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke, den
+&lsquo;Brüdern&rsquo;, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
+Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu finden.
+Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und spöttische Reden
+im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet; Terenz bezeichnet
+vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und, wie Menandros, niemand zu
+verletzen. Plautus liebt den raschen, oft lärmenden Dialog, und es gehört zu
+seinen Stücken das lebhafte Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte
+sich auf &ldquo;ruhiges Gespräch&rdquo;. Plautus&rsquo; Sprache fließt über von
+burlesken Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen
+Neubildungen, aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten
+griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht: sein
+Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind zierliche
+epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des Terenz ist dem
+Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein
+Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann bei beiden nicht, aber wo möglich
+noch weniger bei Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer
+Kopierung wird wenigstens aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die
+Vergnüglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß
+die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der
+&lsquo;Stichus&rsquo;, die Kästchenkomödie, &lsquo;Die beiden Backchis&rsquo;,
+wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als
+die Komödien des &ldquo;halbierten Menander&rdquo;. Ebensowenig wie in dem
+Übergang vom Rohen zum Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem
+Übergang von der Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen
+Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher
+Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz des
+Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es, daß die
+feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter
+allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten.
+Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in der römischen Literatur, deren
+wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die
+der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten
+künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära zu
+datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne Komödie sich
+Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen Bürgerstand Wurzel
+gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den lebhaftesten Widerstand bei
+dem Publikum, das ihre &ldquo;matte Sprache&rdquo;, ihren &ldquo;schwachen
+Stil&rdquo; unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter
+antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit
+Antikritiken voll defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der
+Menge, die aus seiner &lsquo;Schwiegermutter&rsquo; zweimal weggelaufen war, um
+einer Fechter- und Seiltänzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der
+vornehmen Welt. Er erklärte, nur nach dem Beifall der &ldquo;Guten&rdquo; zu
+streben, wobei freilich die Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht
+anständig sei, Kunstwerke zu mißachten, die den Beifall der
+&ldquo;Wenigen&rdquo; erhalten hätten. Er ließ die Rede sich gefallen oder
+begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und
+sogar mit der Tat unterstützten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der
+Literatur herrschte die Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der
+Exklusiven das volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die
+Plautinischen Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so
+bezeichnender, als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein
+hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien
+des Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz
+verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, daß
+die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die schlechten neuen
+Pfennige.
+</p>
+
+<p>
+Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der
+griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata) hinzugetreten
+war als Abbild zwar nicht des spezifischen hauptstädtischen, aber doch des Tuns
+und Treibens im latinischen Land, ist früher gezeigt worden. Natürlich
+bemächtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz
+in ihrem Sinn, die griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung,
+andererseits in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der
+Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die
+Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber
+sie widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn
+bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus
+dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie bei der
+Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen. Auch im einzelnen
+borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der älteren
+Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber, die bei dem Schöpfer
+dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, begegnet bei Afranius
+nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr allgemein und mögen wohl
+durchgängig Nachbildungen bestimmter griechischer Komödien nur mit verändertem
+Kostüm sein. Ein feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung -
+literarische Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem
+Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte,
+die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. Als
+Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn hinreichend
+das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker
+getragen haben würde, und seine eigene Äußerung, daß ihm Terenz über alle
+andern Dichter gehe.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im &lsquo;Mädchen von Andros&rsquo; (4,
+5) die Antwort auf die Frage, wie es gehe:
+</p>
+
+<p>
+Nun,
+</p>
+
+<p>
+Wie wir können, heißt&rsquo;s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,
+</p>
+
+<p>
+mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort
+nachgebildete Zeile des Caecilius:
+</p>
+
+<p>
+Geht&rsquo;s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.
+</p>
+
+<p>
+Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung des
+Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der leise Dank ist
+bezeichnend.
+</p>
+
+<p>
+3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen Menschen um
+Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4) verspottet, wird man in
+der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie von der Ziege und dem Affen
+(Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich gehen auch dergleichen Auswüchse auf
+die Euripideische Rhetorik zurück (z. B. Eur. Hek. 90).
+</p>
+
+<p>
+4 Micio in den &lsquo;Brüdern&rsquo; (I, 1) preist sein Lebenslos und
+namentlich auch, daß er nie eine Frau gehabt, &ldquo;was jene (die Griechen)
+für ein Glück halten&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+5 Im Prolog des &lsquo;Selbstquälers&rsquo; läßt er von seinen Rezensenten sich
+vorwerfen:
+</p>
+
+<p>
+Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,
+</p>
+
+<p>
+Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;
+</p>
+
+<p>
+und in dem späteren (594 160) zu den &lsquo;Brüdern&rsquo; heißt es:
+</p>
+
+<p>
+Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn
+</p>
+
+<p>
+Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,
+</p>
+
+<p>
+So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,
+</p>
+
+<p>
+Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,
+</p>
+
+<p>
+Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,
+</p>
+
+<p>
+Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat
+</p>
+
+<p>
+Hilfreich erprobt ihr all&rsquo; und ohne Übermut.
+</p>
+
+<p>
+Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier Laelius und
+Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben
+herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen
+vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, daß
+dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts getan
+hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als
+in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische
+Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals 25jährigen
+Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius gehen können.
+Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo
+(Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten
+Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist
+auch dies offenbar nur Vermutung. Daß Terenz dem Scipionischen Hause nahe
+stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste
+Aufführung der &lsquo;Brüder&rsquo; und die zweite der
+&lsquo;Schwiegermutter&rsquo; stattfand bei den Begräbnisfeierlichkeiten des
+Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten.
+</p>
+
+<p>
+6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem infolge
+des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das römische Bürgerrecht
+erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines Lustspiels in eine
+solche zu verlegen, und mußte der Dichter sich entweder allgemein halten oder
+untergegangene oder ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand,
+der selbst bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das
+Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse
+ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums lustige
+Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal feststehenden
+Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund erhielten
+diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im Hannibalischen
+Kriege zerstörte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt
+Atella ausersah; seitdem ward für diese Aufführungen der Name der
+&ldquo;Oskischen Spiele&rdquo; oder &ldquo;Spiele von Atella&rdquo; üblich 7.
+Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten diese Scherze nichts zu tun;
+sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen beliebte aufgeführt, und die
+Texte nicht geschrieben oder doch nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode
+überwies man das Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es,
+ähnlich wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
+Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische Tätigkeit
+hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz selbständig sich
+entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht verwandte unteritalische zu ihr
+den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen
+Stücke durchgängig Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer
+dieser neuen Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten
+Jahrhunderts ^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
+dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich beliebt
+machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte der alten
+Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, regelmäßig wohl
+einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und locker geknüpften Fabel
+beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung einzelner Stände und
+Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche Akte komisch geschildert:
+&lsquo;Die Hochzeit&rsquo;, &lsquo;Der erste März&rsquo;, &lsquo;Pantalon
+Wahlkandidat&rsquo;; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen
+Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die einzelnen
+Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der Arzt, der Zöllner,
+der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne; die Ausrufer hatten viel zu
+leiden und mehr noch die Walker, die in der römischen Narrenwelt die Rolle
+unserer Schneider gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen
+städtischen Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden
+und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen
+Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum
+Beispiel &lsquo;Die Kuh&rsquo;, &lsquo;Der Esel&rsquo;, &lsquo;Das
+Zicklein&rsquo;, &lsquo;Die Sau&rsquo;, &lsquo;Das Schwein&rsquo;, &lsquo;Das
+kranke Schwein, &lsquo;Der Bauer, &lsquo;Der Landmann, &lsquo;Pantalon
+Landmann, &lsquo;Der Rinderknecht, &lsquo;Die Winzer, &lsquo;Der
+Feigensammler&rsquo;, &lsquo;Das Holzmachen&rsquo;, &lsquo;Das Behacken,
+&lsquo;Der Hühnerhof&rsquo;. Immer noch waren es in diesen Stücken die
+stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten Alten, des
+weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der erste durfte nicht
+fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige, unflätige ausstaffiert
+häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, über seine eigenen
+Füße zu fallen, von allen mit Hohn und mit Prügeln bedacht und endlich am
+Schluß der regelmäßige Sündenbock - die Titel &lsquo;Pulcinell Soldat,
+&lsquo;Pulcinell Wirt&rsquo;, &lsquo;Jungfer Pulcinell&rsquo;, &lsquo;Pulcinell
+in der Verbannung, &lsquo;Die beiden Pulcinelle&rsquo; mögen dem gutgelaunten
+Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der römischen
+Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben
+wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fügten und in den Versmaßen
+zum Beispiel der griechischen Bühne sich anschlossen, so hielten sie doch sich
+natürlicherweise bei weitem latinischer und volkstümlicher als selbst das
+nationale Lustspiel; in die griechische Welt begab sich die Posse nur in der
+Form der travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius
+und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses
+Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis
+zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er schrieb einen
+&lsquo;Hercules Auctionator&rsquo;. Daß der Ton nicht der feinste war, versteht
+sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige Bauernzoten, Kinder
+schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehörten hier einmal mit
+dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar mit Nennung der Namen, schlüpften
+nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an lebendiger Schilderung, an
+grotesken Einfällen, schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade
+gewann sich rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der
+Hauptstadt und selbst in der Literatur.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtümern. Das
+arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese Possen in Rom in
+oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein
+verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder als
+unmöglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und Landlebens
+stehenden Stücke überhaupt auf das national oskische Wesen zu beziehen. Die
+Benennung des &ldquo;Atellanischen Spiels&rdquo; erklärt sich auf eine andere
+Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen
+bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein
+Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der
+römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu genommen
+werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. Atella aber, das
+mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsächlich
+aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu
+in jeder Beziehung. Zur Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung,
+daß einzelne dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht
+mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des
+Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in
+Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während keine
+bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser
+Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die latinisierte
+Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Daß ein
+Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von
+&ldquo;Atellanenspielern&rdquo; aufgeführt ward und deshalb personata hieß
+(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung
+&ldquo;Atellanenspieler&rdquo; wird hier proleptisch stehen, und man könnte
+sogar danach vermuten, daß sie früher &ldquo;Maskenspieler&rdquo; (personati)
+hießen.
+</p>
+
+<p>
+Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die &ldquo;Lieder von
+Fescennium&rdquo;, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer gehören
+und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert wurden, ohne darum
+mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu dürfen als die Atellanen
+zur oskischen. Daß Fescennium in historischer Zeit nicht Stadt, sondern Dorf
+war, läßt sich allerdings nicht unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art,
+wie die Schriftsteller des Ortes gedenken und nach dem Schweigen der
+Inschriften im höchsten Grade wahrscheinlich.
+</p>
+
+<p>
+8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die
+Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden Schauspiel
+bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem Histrio und dem
+Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso groß wie heutzutage
+zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf den Maskenball geht; auch
+zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz keine Masken kannte, und der
+Atellane, die wesentlich auf der Charaktermaske beruhte, besteht ein
+ursprünglicher, in keiner Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel
+ging aus von dem Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang
+und Tanz sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus
+ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die alten
+Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors einnahmen. Mit der
+Dilettantenposse berührt sich dieser Entwicklungsgang in den früheren Stadien
+nirgends.
+</p>
+
+<p>
+9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession
+dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo
+diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert, kann aber kaum
+eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane unter die
+regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die vorciceronische Epoche, (Cic.
+ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im Widerspruch, daß noch zu Livius&rsquo; (7,
+2) Zeit die Atellanenspieler im Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre
+Ehrenrechte behielten; denn damit, daß Schauspieler von Profession gegen
+Bezahlung die Atellane mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß
+dieselbe nicht mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten
+Dilettanten aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar
+blieb.
+</p>
+
+<p>
+^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß vorzugsweise in
+Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer Stücke (zum Beispiel unter
+denen des Sopatros &lsquo;Das Linsengericht, &lsquo;Bakchis&rsquo; Freier,
+&lsquo;Des Mystakos Lohnlakai, &lsquo;Die Gelehrtem, &lsquo;Der
+Physiolog&rsquo;) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese
+Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in und um
+Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien bildeten; denn einer
+dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt schon einen römischen Namen
+und schrieb eine Posse &lsquo;Saturnus&rsquo;.
+</p>
+
+<p>
+^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen
+des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 143-87). Die
+erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu spät sein; die um 650 100
+abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen &lsquo;Malern&rsquo; noch
+vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon die Mimen, welche die
+Atellanen von der Bühne verdrängten.
+</p>
+
+<p>
+^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius&rsquo;
+&lsquo;Phönissen&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!
+</p>
+
+<p>
+ganz wie Menanders &lsquo;falscher Herakles&rsquo; auftritt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht
+imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das
+allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und
+dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward jetzt
+wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne Bühnenspiele
+begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden Vorstellungen
+gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar entbehrte, während
+wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser Zeit ein steinernes
+Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch immer; den schon verdungenen
+Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 (185) auf Veranlassung des Publius
+Scipio Nasica wieder inhibiert. Es war das ganz im Geiste der scheinheiligen
+Politik dieser Zeit, daß man aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung
+eines stehenden Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele
+reißend zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um
+Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
+Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung und die
+Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl ohne Zweifel
+damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der Bühne und des
+Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse übernommen ward ^13.
+Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die Spiele, welche Lucius Mummius
+nach der Einnahme von Korinth gab (609 145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst
+ein nach griechischer Art akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes
+Theater aufgeschlagen und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14.
+Nun ist auch von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer
+Stücke, von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die
+Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen und
+Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte Kulissen und hörbare
+Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius Claudius Pulcher 655 (99) auf
+^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter der Ädilität der Brüder Lucius und
+Marcus Lucullus, die Verwandlung der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen.
+Dem Ende dieser Epoche gehört der größte römische Schauspieler an, der
+Freigelassene Quintus Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere
+Generationen hindurch der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas
+Freund und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein
+wird.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat aus der
+ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen müssen und
+wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre 580 (174)
+aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Bühne für die Spiele der Ädilen und
+Prätoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht
+mehr bloß für einmal angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung
+desselben geführt haben.
+</p>
+
+<p>
+^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen folgt wohl
+aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus
+und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) gesprochen; doch dürften (nach
+Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, welche nicht capite censi waren,
+Anspruch auf einen solchen gehabt haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst
+auf diese epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die
+Worte des Horaz, daß &ldquo;das gefangene Griechenland den Sieger gefangen
+nahm&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da die
+Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu setzen (Plin nat.
+35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die Donnermaschinerie darin
+bestanden, daß Nägel und Steine in einem kupfernen Kessel geschüttelt wurden;
+erst Pulcher stellte einen besseren Donner durch gerollte Steine her - das
+nannte man seitdem &ldquo;Claudischen Donner&rdquo; (Festus v. Claudiana p.
+57).
+</p>
+
+<p>
+^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet
+</p>
+
+<p>
+sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:
+</p>
+
+<p>
+  Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,
+</p>
+
+<p>
+   Cum subito a laeva Roscius exoritur.
+</p>
+
+<p>
+  Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:
+</p>
+
+<p>
+   Mortalis visust pulchrior esse deo.
+</p>
+
+<p>
+  Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:
+</p>
+
+<p>
+   Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.
+</p>
+
+<p>
+  Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:
+</p>
+
+<p>
+   Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.
+</p>
+
+<p>
+Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem
+Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als der
+Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, das im
+sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur entschieden den
+ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar zahlreiche Vertreter fand,
+aber nicht einen einzigen von auch nur vorübergehendem Erfolg. Aus der
+gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu nennen als eine Anzahl roher Versuche,
+den Homer zu übersetzen und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher,
+wie des Hostius &lsquo;Histrischer Krieg&rsquo; und des Aulus Furius (um 650
+100) &lsquo;Jahrbücher (vielleicht) des Gallischen Krieges&rsquo;, die allem
+Anschein nach unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des
+Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch in der
+didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender Name.
+Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser Epoche
+aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der sogenannten Satura an, derjenigen
+Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschüre jede Form zuläßt und
+jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen Gattungskriterien
+ermangelnd, durchaus nach der Individualität eines jeden Dichters sich
+individualisiert und nicht bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern
+schon mehr als zur Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die
+launigen poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen
+Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager
+von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert
+später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht zur Veröffentlichung
+bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen Leben der
+besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der
+Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der
+latinischen Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des
+Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das
+Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze
+Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf der politischen
+Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit
+den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und
+Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst für einen
+Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im
+Guten und Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartungen, für
+Sprachbemerkungen und Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners,
+Reisen wie für vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt.
+Kaustisch, kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine
+scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz,
+literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der
+Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des
+rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das große
+Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen
+Kreises auf literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch
+ihren vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich
+sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius Stilo, und
+bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise
+reiner und mustergültiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die
+Siculer, das heißt die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings eines
+Korrektivs wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich
+mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der
+Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der
+Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergißt,
+den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu
+verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede
+in recht ernsthaften Scherzen vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als
+das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im
+öffentlichen Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art.
+Obwohl durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit
+gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt, war er
+doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein Verhältnis zu
+Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den Numantinischen Krieg
+mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit
+zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und
+in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war
+ihm hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er
+mochte nicht, wie er einmal sagt, &ldquo;aufhören, Lucilius zu sein, um
+asiatischer Steuerpächter zu werden&rdquo;. So stand er in der schwülen Zeit
+der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesgenossenkrieges,
+verkehrend in den Palästen und Villen der römischen Großen und doch nicht
+gerade ihr Klient, zugleich mitten in den Wogen des politischen Koterien- und
+Parteikampfes und doch nicht unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich
+wie Béranger, an den gar vieles in Lucilius&rsquo; politischer und poetischer
+Stellung erinnert. Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem
+gesunden Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
+Witz hinein in das öffentliche Leben.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
+</p>
+
+<p>
+Den ganzen lieben langen Tag
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Markte von früh bis Spat
+</p>
+
+<p>
+Drängen die Bürger und die sich vom Rat
+</p>
+
+<p>
+Und weichen und wanken nicht von der Statt.
+</p>
+
+<p>
+Ein Handwerk einzig und allein
+</p>
+
+<p>
+Betreiben alle insgemein,
+</p>
+
+<p>
+Den andern zu prellen mit Verstand,
+</p>
+
+<p>
+Im Lügen zu haben die Vorderhand
+</p>
+
+<p>
+Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.
+</p>
+
+<p>
+All&rsquo; untereinandern belauern sie sich,
+</p>
+
+<p>
+Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes
+</p>
+
+<p>
+Arte pavimento atque emblemate vermiculato!
+</p>
+
+<p>
+Ei, die niedliche Phrasenfabrik!
+</p>
+
+<p>
+Gefügt so zierlich Stück für Stück,
+</p>
+
+<p>
+Wie die Stifte im bunten Mosaik.
+</p>
+
+<p>
+^18 Der Dichter rät ihm:
+</p>
+
+<p>
+Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
+</p>
+
+<p>
+Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,
+</p>
+
+<p>
+- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto
+</p>
+
+<p>
+Toto itidem pariterque die populusque patresque
+</p>
+
+<p>
+Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.
+</p>
+
+<p>
+Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:
+</p>
+
+<p>
+Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
+</p>
+
+<p>
+Blanditia certare, bonun simulare virum se,
+</p>
+
+<p>
+Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos, ohne
+die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die Übelstände der Zeit
+an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen Kriegsdienst und was dessen mehr
+war; gleich die Eröffnung seiner Satiren war eine große Debatte des olympischen
+Göttersenats über die Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der
+Himmlischen sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall
+einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie der
+politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der Lucilischen
+Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen Trümmern noch
+entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten Witzes
+&ldquo;gleichwie mit gezogenem Schwerte&rdquo; auf den Feind eindringen und ihn
+zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen Freiheitsgefühl
+des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der feine Venusianer, der in
+der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie die Lucilische Satire
+wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im Formgeschick mit richtiger
+Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als &ldquo;seinem Besseren&rdquo;. Die
+Sprache ist die des griechisch und lateinisch durchgebildeten Mannes, der
+durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch
+zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu
+eilig, um knapp zu sein; unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung
+derselben Wendung, arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort,
+lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße,
+namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte
+umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er
+etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen sie
+sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen und die
+Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie
+die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender
+Feder geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich höhere geistige Begabung
+und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen
+Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der
+des Terenz mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling
+der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen,
+&ldquo;daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden&rdquo;. Die
+ungemeine Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein
+bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon eine Macht
+war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende
+Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin mehrfach antreffen. Die
+Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestätigt; die antialexandrinisch
+gesinnten römischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter
+allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene
+Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die
+einzige Kunstgattung, welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die
+Nachwelt vererbt worden ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die stilistische und
+metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmöglich
+wiedergeben läßt:
+</p>
+
+<p>
+Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
+</p>
+
+<p>
+Queis in versamur, queis vivimu&rsquo; rebu potesse;
+</p>
+
+<p>
+Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
+</p>
+
+<p>
+Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
+</p>
+
+<p>
+Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
+</p>
+
+<p>
+Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
+</p>
+
+<p>
+Virtus divitiis pretium persolvere posse;
+</p>
+
+<p>
+Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
+</p>
+
+<p>
+Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.
+</p>
+
+<p>
+Contra defensorem hominum morumque bonorum,
+</p>
+
+<p>
+Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
+</p>
+
+<p>
+Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
+</p>
+
+<p>
+Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.
+</p>
+
+<p>
+Tugend ist zahlen den rechten Preis
+</p>
+
+<p>
+Zu können nach ihrer Art und Weis
+</p>
+
+<p>
+Für jede Sach&rsquo; in unserm Kreis;
+</p>
+
+<p>
+Tugend, zu wissen, was jedes Ding
+</p>
+
+<p>
+Mit sich für den Menschen bring&rsquo;;
+</p>
+
+<p>
+Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,
+</p>
+
+<p>
+Was gut und übel, unnütz und schlecht;
+</p>
+
+<p>
+Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß
+</p>
+
+<p>
+Zu setzen die rechte Grenze weiß
+</p>
+
+<p>
+Und dem Reichtum den rechten Preis;
+</p>
+
+<p>
+Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,
+</p>
+
+<p>
+Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
+</p>
+
+<p>
+Freund Menschen und Sitten gut und recht;
+</p>
+
+<p>
+Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
+</p>
+
+<p>
+Zu ihnen zu halten in Lieb&rsquo; und Treu;
+</p>
+
+<p>
+Immer zu sehen am ersten Teil
+</p>
+
+<p>
+Auf des Vaterlandes Heil,
+</p>
+
+<p>
+Sodann auf das, was den Eltern frommt,
+</p>
+
+<p>
+Und drittens der eigene Vorteil kommt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche
+noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen übersetzte
+oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst wegen, aber wohl
+als der erste Vorbote der jüngeren Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen.
+Abgesehen von einigen wenig bekannten und auch der Zeit nach nicht mit
+Sicherheit zu bestimmenden Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622
+102) und Lucius Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97)
+schrieb. Der letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen
+geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von
+der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den Römern in Umlauf
+gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen Reisen in
+Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu entdecken und abzuschreiben, worauf das
+den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer
+erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher
+nicht versäumten, andächtig zu registrieren.
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch
+einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach seinem geistigen
+und literarischen Standpunkt der italischen Entwicklung angehört, der aber
+zuerst oder vielmehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen
+Geltung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und
+auch wir das Beste verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen.
+Polybios (ca. 546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des
+achäischen Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189)
+den Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später,
+vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von seinen
+Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften verwendet. Nach der
+durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise wurde er mit den anderen
+achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo er siebzehn Jahre (587-604
+167-150) in der Konfinierung lebte und durch die Söhne des Paullus in die
+vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt ward. Die Rücksendung der
+achäischen Geiseln führte ihn in die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden
+Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der
+Zerstörung von Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien
+vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung deutlicher
+zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo
+er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefangener, seiner
+hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegentlich beneidet von Scipio
+Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so
+lange getrennt geflossen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die
+Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen
+Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
+Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des Scipionischen
+Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des
+Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen anerkannte, über die die
+Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich
+zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als
+praktischer Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend
+dem ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt haben,
+so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht der
+unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des engsten
+Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne Zweifel
+wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze Politik. Auch von
+der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen hellenischen Staatsmannstums
+hat Polybios nicht vermocht, sich persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus
+der Konfinierung entlassen, stellte er an den Senat den Antrag, daß er den
+Entlassenen, jedem in seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich
+verbriefen möge, worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn
+Odysseus noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem
+Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen Großen hat
+er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er der hohen
+Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert sich doch einigermaßen dem
+Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, den seine praktische, atmet auch
+seine literarische Tätigkeit. Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte
+der Einigung der Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom
+ersten Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein
+Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt Griechenlands,
+Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos und Italiens zusammen
+und stellt deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursächlichen
+Zusammenhang dar; insofern bezeichnet er es als sein Ziel, die Zweck- und
+Vernunftmäßigkeit der römischen Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der
+Ausführung steht diese Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz
+gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische
+Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunkt;
+hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die
+sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr
+achtbaren, aber rein individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der
+Forschung wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
+Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine
+Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber der
+zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so
+vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen Historiker gelang,
+der Spur der großen attischen Meister im Geiste und in der Wahrheit zu folgen
+und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu
+behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder rein äußerliche Aufzeichnung,
+oder es durchdrang sie der Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und
+nur zu oft die Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die
+Erbitterung der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als
+Stadt- oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit
+Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie
+den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken, behandelte den römischen
+Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine universale, aber
+doch eine von den Lokalstaaten losgelöste und den im Werden begriffenen
+römisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein
+Geschichtschreiber so vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines
+Quellenschriftstellers in sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm
+vollkommen deutlich und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der
+Blick auf dem wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die
+Masse der wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der
+Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen
+Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten
+entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln lassen,
+werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In der Herbeischaffung des
+historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht und Ausdauer, wie sie im
+Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden,
+berücksichtigt umfassend die Literatur der verschiedenen Nationen, macht von
+seiner günstigen Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und
+Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das ganze
+Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des Atlantischen Ozeans
+21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen großen Dingen hat er kein
+Interesse für diesen oder gegen jenen Staat, für diesen oder gegen jenen Mann,
+sondern einzig und allein für den wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den
+im richtigen Verhältnis der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß
+die erste, sondern die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die
+Erzählung endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese
+ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten
+Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische
+faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. Die
+Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist ein sittliches
+Problem; Polybios behandelt sie, als wäre sie ein mechanisches. Nur das Ganze
+gilt für ihn, in der Natur wie im Staat; das besondere Ereignis, der
+individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch erscheinen mögen, sind doch
+eigentlich nichts als einzelne Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen
+Mechanismus, den man den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein
+anderer geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches
+in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser innerer und
+äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten Sinne genialen
+Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit wunderbarer fast
+mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber das Moment der sittlichen
+Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und wurde auch in der römischen von
+Polybios nicht ungestraft verkannt. Polybios&rsquo; Behandlung aller Fragen, in
+denen Recht, Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern
+auch gründlich falsch. Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion
+erfordert wird; die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren
+Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine
+törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms
+aus einer verständigen Mischung monarchischer, aristokratischer und
+demokratischer Elemente her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die
+Erfolge Roms abzuleiten. Die Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum
+Erschrecken nüchtern und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art,
+die religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung, in
+bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte griechische
+Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber dünn und matt,
+öfter als billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten
+recht selbstgefällige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein
+oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine
+Schrift zunächst für die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen
+Kreis, der ihn verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen
+Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen Auffassung
+der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart angehörte. Darum blieb er
+nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit und persönlichen Bitterkeit, die in
+seiner Polemik gegen die flüchtigen oder gar feilen griechischen und die
+unkritischen römischen Historiker öfters zänkisch und kleinlich auftritt und
+aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein
+liebenswürdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr
+ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des
+Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken wie ihm.
+Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben
+sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg
+bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine neue, womöglich noch lästigere
+Dämmerung.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser Zeit
+nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze
+Mittelländische Meer durchschifft hat:
+</p>
+
+<p>
+Warum geh&rsquo; ich nicht
+</p>
+
+<p>
+nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und Behandlung
+der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die gleichzeitige
+einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige
+griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwähnte des Aulus Postumius
+(Konsul 603 151), voll übler Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in
+hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen
+Patriotismus, teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die
+lateinische Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht
+bloß unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch
+geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen Chroniken ins
+Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen Übersetzungen
+gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch geschriebenen Chroniken dieser
+Epoche außer dem Gebrauch der Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie
+waren zahlreich und ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des
+Lucius Cassius Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621
+188), des Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius
+(Konsul 632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
+achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein auch als
+Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und veröffentlichte und
+damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab, als die
+Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten, doch wenigstens
+bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten nicht weiter literarisch
+in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher, mochten sie nun als Privat- oder als
+offizielle Werke sich ankündigen, waren wesentlich gleichartige
+Zusammenarbeitungen des vorhandenen geschichtlichen und quasigeschichtlichen
+Materials; und der Quellen- wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in
+demselben Maße, wie ihre Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der
+Chronik nirgends Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius
+und Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und Saxo
+Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken Häuser zu
+bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte Probe. Keine Lücke
+der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte und platte Lüge sie nicht
+mit spielender Leichtigkeit überkleisterte. Ohne Anstoß werden die
+Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden
+Jahre bis auf Anno eins rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in
+welchem Jahr, Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König
+Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai 187
+(567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im besten
+Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das Fahrzeug wies, auf
+welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja sogar ebendieselbe Sau,
+welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl eingepökelt im römischen
+Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut eines Dichters verbinden diese
+vornehmen Chronikschreiber die langweiligste Kanzlistengenauigkeit und
+behandeln durchaus ihren großen Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem
+Austreiben zugleich aller poetischen und aller historischen Elemente notwendig
+resultiert. Wenn wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet
+habe, dann zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die
+Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde
+ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen über
+diese ganze Schreiberei nicht befremden, &ldquo;daß das nicht heiße Geschichte
+schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen&rdquo;. Weit vorzüglicher
+waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der
+Gegenwart, namentlich die Geschichte des Hannibalischen Krieges von Lucius
+Coelius Antipater (um 633 121) und des wenig jüngeren Publius Sempronius
+Asellio Geschichte seiner Zeit. Hier fand sich wenigstens schätzbares Material
+und ernster Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
+manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und Bruchstücken
+zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form noch in Originalität
+an die &ldquo;Ursprungsgeschichten&rdquo; Catos, der leider auf dem
+historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule gemacht hat. Stark
+vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die untergeordneten, mehr
+individuellen und ephemeren Gattungen der historischen Literatur, die Memorien,
+die Briefe, die Reden. Schon zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst
+ihre Erlebnisse auf: so Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul
+649 105), Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch
+scheint keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für
+die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia,
+der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft reine
+Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste in Rom
+publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische Produktion einer
+römischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte in dieser Periode den von
+Cato ihr aufgedrückten Stempel; Advokatenplädoyers wurden noch nicht als
+literarische Produktion angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren
+politische Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese
+Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse ephemerer
+Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes&rsquo; Philippiken und
+Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende Stellung ihrer Verfasser und
+durch ihr eigenes Schwergewicht einen bleibenden Platz in der Literatur sich
+erwarben. So die Staatsreden des Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus,
+Musterstücke des trefflichsten Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so
+die sprudelnden Reden des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und
+Zeitbildern - die Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher
+mitgeteilt - das nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die
+zahlreichen Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den
+leidenschaftlichen Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis
+dieser hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische
+Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit,
+also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus
+(Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil
+zu Smyrna schrieb.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
+Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) veröffentlicht
+ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen übliche dialogische
+Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom zu verpflanzen und durch eine
+nach Personen, Zeit und Ort bestimmte Szenerie des Gesprächs der Abhandlung
+eine künstlerische, halb dramatische Form zu geben. Indes die späteren
+Gelehrten, schon der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in
+den allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese mehr
+poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der Wissenschaft
+als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche Interesse an derselben
+spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen der Fessel künstlerischer
+Form. Im einzelnen ist von den allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik
+oder vielmehr der Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon
+gesprochen worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der
+gewöhnlichen römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den
+eigentlichen Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem
+literarischen Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen
+Anschluß an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der
+griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang dieses
+Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und Textrevisoren
+fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der Scipionische Kreis
+überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, sondern auch einzelne der
+namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich mit Regulierung der
+Orthographie und der Grammatik beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne
+Versuche, von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln;
+freilich werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie
+die des Hemina &lsquo;über die Zensoren&rsquo;, des Tuditanus &lsquo;über die
+Beamten&rsquo; schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter
+sind die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
+Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische Zwecke
+nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien des Tragikers
+Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des lateinischen Dramas. Indes
+jene Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch
+ein sehr dilettantisches Gepräge und erinnern lebhaft an unsere
+Orthographieliteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen
+Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen
+Platz verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und
+Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaftlich
+begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er zuerst ging zurück auf die
+ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte die Saliarischen Litaneien und das
+römische Stadtrecht. Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine
+besondere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner
+Ansicht echten Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die
+Anfänge einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs
+geschichtlich zu bestimmen und für jede den &ldquo;Erfinder&rdquo; zu
+ermitteln, und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den
+Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward,
+zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des bedeutendsten
+Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher
+des Antipater; und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die
+Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprachliche und
+sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von der
+Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie
+den Parteicharakter an der Stirn trägt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Tätigkeit auf
+dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als Hand- und
+Übungsbücher nach dem Muster der griechischen Kompendien des Hermagoras und
+anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister, teils um des
+Bedürfnisses, teils um der Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen
+ließen. Von einem unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich
+lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb,
+ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch der Redekunst
+erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des
+Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnismäßige Selbständigkeit den
+griechischen Mustern gegenüber bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der
+Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und
+sogar schroff alles das ab, &ldquo;was die Griechen an nutzlosem Kram
+zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen
+erscheine&rdquo;. Der bitterste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese
+&ldquo;geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst&rdquo;, deren vollendeter
+Meister, vor lauter Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr
+seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird
+durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor
+der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß der Schüler von dem
+Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso ernstlich
+erkennt er es an, daß die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist, und gibt
+in seinen durchaus selbständig gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen
+Sachwalterreden, die während der letzten Dezennien in der römischen
+Advokatenwelt Aufsehen gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die
+Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen
+einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren Aufkommen
+in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit im
+Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine
+höhere Würde und eine größere Brauchbarkeit sichert.
+</p>
+
+<p>
+Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da weder
+sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie entwickelte noch
+äußere Umstände eine lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen.
+Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig sind nicht einmal lateinische
+Übersetzungen populärer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer
+Philosophie trieb, las und disputierte griechisch.
+</p>
+
+<p>
+In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in Rom
+verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische und
+mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlässigten
+Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und
+einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften
+blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre innerliche Entwicklung nicht
+chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und mehr
+zurück und stand am Ende dieser Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische;
+die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der
+äußerlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die
+Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen Verschuldung, des
+vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwölf Tafeln noch
+nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwärtigen
+Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rückwirkung der politischen
+Verhältnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden;
+sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des
+Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem
+Vermögensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden,
+statt das Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der
+sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter
+anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem, den ein
+Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf Kassierung des
+Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen
+entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der juristischen Literatur sich
+erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den
+Gesetzen sich beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine
+Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen Präjudikatensammlungen
+entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr bloß von Mitgliedern des
+Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf
+offenem Markt erteilt wurden, und an die schon rationelle und polemische
+Erörterungen und die der Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden
+Kontroversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts
+an, aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah dies
+zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus (etwa
+gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien
+geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen
+Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex Quintus Mucius
+Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in dessen Familie die Rechtswissenschaft
+wie das höchste Priestertum erblich war. Seine achtzehn Bücher &lsquo;vom
+Landrecht, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen
+Bestimmungen, die Präjudikate und die Autoritäten teils aus den älteren
+Sammlungen, teils aus der mündlichen Überlieferung in möglichster
+Vollständigkeit zusammenfaßten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der
+ausführlichen römischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende
+Schrift &lsquo;Definitionen&rsquo; (όρος) die Grundlage der juristischen
+Kompendien und namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung
+natürlich im wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat
+doch die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der
+Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen
+Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der griechische
+Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. Daß in
+einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa
+bestimmt ward, ward schon bemerkt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+24 Catos Buch führte wohl den Titel &lsquo;De iuris disciplina&rsquo; (Gell.
+13, 20), das des Brutus den &lsquo;De iure civili&rsquo; (Cic. Cluent. 51, 141;
+De orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero
+(De orat. 2, 33, 142).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur,
+Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer
+allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging eher rück- als vorwärts. Immer
+gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden, die
+Kunstwerke sich zu betrachten, wofür namentlich die Winterquartiere der
+Sullanischen Armee in Kleinasien 670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die
+Kunstkennerschaft entwickelte sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem
+Gerät hatte man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß
+griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen. Das erste
+im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des Aristeides, den Lucius
+Mummius aus der Versteigerung der korinthischen Beute zurücknahm, weil König
+Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) darauf bot. Die Bauten wurden
+glänzender, und namentlich kam der überseeische, besonders der hymettische
+Marmor (Cipollin) dabei in Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch
+nicht in Betrieb. Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte
+Säulengang, den der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143),
+auf dem Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die
+Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch Scipio
+Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius (Konsul 626
+128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte Privathaus war das des Redners
+Lucius Crassus († 663 91) auf dem Palatin. Aber wo man plündern und kaufen
+konnte, statt selber zu schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes
+Armutszeugnis für die römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen
+der alten griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische
+Kapitol durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was
+dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor; die
+wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt werden, sind
+ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische Griechen: so der
+Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die römischen
+Docks wiederherstellte und für Quintus Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des
+Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul
+616 138) den Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles
+(um 665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus
+Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der
+verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus (587 168)
+zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im Vergleich mit
+denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im
+Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt zeigen.
+</p>
+
+<p>
+Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach Rom,
+einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu werden.
+Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in Rom; der Staat
+hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische Flötenbläser und Tänzer
+auftreten lassen und die Freigelassenen und die niedrigste Klasse des römischen
+Volkes auch bisher schon mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es,
+daß griechische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Begleitung
+einer vornehmen Tafel wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in
+einer seiner Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben
+und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden
+durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig ehrbaren
+Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum Gebrauch der verrufenen
+griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch - nicht so sehr, daß ein
+Konsular und Oberpontifex, wie Publius Scaevola (Konsul 621 133), auf dem
+Spielplatz ebenso bebend die Bälle fing, wie er daheim die verwickeltsten
+Rechtsfragen löste, als daß vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor
+allem Volke ihre Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl
+einmal, diesem Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115)
+alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
+einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein Sparta;
+das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch solche Verbote,
+als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung ihnen abzuhelfen auch nur
+versucht hätte.
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die Literatur
+und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der
+ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich
+mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivität. Die
+höheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkümmern, so das
+Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten
+Arten, die Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die
+poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen
+Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir den
+beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem
+Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittelmäßiger
+Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche der französischen
+Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller Nullitäten Courier und Béranger.
+Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Künsten die immer schwache
+Produktivität jetzt völlig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und
+Literaturgenuß; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die
+ihren Vätern angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir
+sie auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als
+Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite dieser
+Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft
+und in der Sprach- und Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart.
+Mit der Begründung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die
+gegenwärtige Epoche fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der
+Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche
+des römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen hat,
+ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des sechsten
+Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und Literaturfreunde
+dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte Anfänger herab. Aber wenn
+sie die Mangelhaftigkeit jener Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so
+mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die
+Jugendzeit der Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder
+im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen Irrtum
+der Jugend abermals zu irren.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+***** This file should be named 3063-h.htm or 3063-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/0/6/3063/
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
+
+START: FULL LICENSE
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
+Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
+www.gutenberg.org/license.
+
+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
+Gutenberg-tm electronic works
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+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
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+and accept all the terms of this license and intellectual property
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+the terms of this agreement, you must cease using and return or
+destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
+possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
+Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
+person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
+1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
+claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+displaying or creating derivative works based on the work as long as
+all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
+free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
+works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
+Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
+comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
+you share it without charge with others.
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+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
+in a constant state of change. If you are outside the United States,
+check the laws of your country in addition to the terms of this
+agreement before downloading, copying, displaying, performing,
+distributing or creating derivative works based on this work or any
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+representations concerning the copyright status of any work in any
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+ most other parts of the world at no cost and with almost no
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+derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
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+obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
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+
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+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
+additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
+will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
+posted with the permission of the copyright holder found at the
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+electronic work, or any part of this electronic work, without
+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
+
+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
+any word processing or hypertext form. However, if you provide access
+to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
+other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
+version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
+(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
+to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
+of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
+Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
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+
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+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
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+ agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
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+ within 60 days following each date on which you prepare (or are
+ legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
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+ Literary Archive Foundation."
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+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
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+ License. You must require such a user to return or destroy all
+ copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
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+ works.
+
+* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
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+LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
+TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
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+defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
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+received the work on a physical medium, you must return the medium
+with your written explanation. The person or entity that provided you
+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
+lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
+OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of
+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
+violates the law of the state applicable to this agreement, the
+agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
+limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
+unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
+remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
+accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
+production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
+including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
+the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+</pre>
+
+</body>
+
+</html>
diff --git a/3063.txt b/3063.txt
new file mode 100644
index 0000000..2b6a2f2
--- /dev/null
+++ b/3063.txt
@@ -0,0 +1,17930 @@
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor
+Mommsen (#4 in our series by Theodor Mommsen)
+
+Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the
+laws for your country before redistributing these files!!!
+
+Please take a look at the important information in this header. We
+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
+path open for the next readers.
+
+Please do not remove this.
+
+This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not
+change or edit it without written permission. The words are carefully
+chosen to provide users with the information they need about what they
+can legally do with the texts.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations*
+
+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 4
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3063] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor
+Mommsen ******This file should be named 3063.txt or 3063.zip******
+
+Thanks to KGSchon for preparing this etext.
+
+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
+
+Please note: neither this list nor its contents are final till midnight
+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
+do so.
+
+Most people start at our sites at: https://gutenberg.org
+http://promo.net/pg
+
+
+Those of you who want to download any Etext before announcement can surf
+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
+to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers
+produce obviously take a while after an announcement goes out in the
+Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
+
+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
+
+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
+
+Mail to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
+
+We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to
+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information at:
+
+https://www.gutenberg.org/donation.html
+
+
+***
+
+You can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your
+mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from
+prairienet.org, better resend later on. . . .
+
+We would prefer to send you this information by email.
+
+
+Example command-line FTP session:
+
+ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd
+pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through
+etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin
+for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g.,
+GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books]
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is
+this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you
+might sue us if there is something wrong with your copy of this etext,
+even if you got it for free from someone other than us, and even if
+what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small
+Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells
+you how you can distribute copies of this etext if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of
+this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree
+to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person you got
+it from. If you received this etext on a physical medium (such as a
+disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM ETEXTS This PROJECT GUTENBERG-tm etext, like
+most PROJECT GUTENBERG-tm etexts, is a "public domain" work distributed
+by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association
+(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a
+United States copyright on or for this work, so the Project (and you!)
+can copy and distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth below,
+apply if you wish to copy and distribute this etext under the Project's
+"PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any
+commercial products without permission.
+
+To create these etexts, the Project expends considerable efforts to
+identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these
+efforts, the Project's etexts and any medium they may be on may contain
+"Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete,
+inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other
+etext medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of
+Replacement or Refund" described below, [1] the Project (and any other
+party you may receive this etext from as a PROJECT GUTENBERG-tm
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+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
+
+Viertes Buch Die Revolution
+
+"Aber sie treiben's toll; Ich fuercht', es breche". Nicht jeden
+Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen
+Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des
+Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache,
+die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des
+Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort
+des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck
+der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in
+hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren.
+Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht
+fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings-
+und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber
+versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf
+der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich
+gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht
+beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in
+seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber
+wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen
+moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer
+Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser
+Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag,
+der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den
+naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo
+uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen
+waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen
+fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine
+foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden
+spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil
+der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht
+worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
+Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander;
+gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
+verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
+Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse
+phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden
+Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
+zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende
+Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die
+roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
+Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische
+Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde
+von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer
+seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet,
+wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort
+^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst
+durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen
+erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als
+freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in
+Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie
+konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der
+Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178)
+genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen
+des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer
+und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600
+(154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner
+ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten
+roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute.
+Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch
+bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so
+verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische
+Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der
+roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man
+nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach
+Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und
+liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei
+und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es
+war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz
+sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich
+feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch
+der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es
+zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius
+Mummius, und den jetzt nach Punicus' Fall von seinem Nachfolger Kaesarus
+gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften
+Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das
+lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils
+bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens
+sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich
+vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das
+eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die
+Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich
+unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen
+Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den
+Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen
+Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch
+hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen
+Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
+Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
+beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
+Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser
+roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
+unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten,
+und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit
+nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden
+Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um
+Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen
+aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien.
+Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000
+Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn
+Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt
+nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein
+die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen
+Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer
+gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg
+der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der
+fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach
+seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer
+geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23.
+August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer
+Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in
+ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am
+Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern
+der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die
+Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt
+zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in
+Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde
+eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die
+Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten
+roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in
+der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die
+Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat
+und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern
+den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile
+aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz
+erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein
+Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig
+sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage
+beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze
+roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die
+suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche
+sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen
+Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen
+Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor
+586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten
+sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr
+noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab
+sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung
+bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden
+wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom.
+Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die
+Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig
+erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach
+seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen
+Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
+wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der
+ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden
+mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren
+Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei
+den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der
+Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass,
+wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
+Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
+nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel
+zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
+entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
+Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden
+Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
+Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg
+beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte,
+sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in
+der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
+Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen
+Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den
+Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
+Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung
+zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen
+Rechte wiedereingesetzt wurden. ---------------------------------------
+^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
+conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae
+in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden
+beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig,
+dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
+---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der
+Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den
+zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss
+beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien
+heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene
+Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer,
+an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern
+im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn
+gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca,
+acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit
+schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte,
+rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die
+Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa
+20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch
+weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder
+schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer,
+Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte
+in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die
+mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen
+moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die
+Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen
+Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen
+Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von
+Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da
+das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines
+Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung
+von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia
+musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das
+roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero
+verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo
+der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern
+sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander,
+Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen
+im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
+errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba
+richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten
+Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze
+ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker
+wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
+geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils
+niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
+Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden
+Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze
+der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
+Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr,
+wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung
+zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
+heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht
+so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht
+hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten
+Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die
+spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen
+Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch
+Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das
+reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter
+Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern
+draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe
+rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
+abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst
+als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
+Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter
+Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas
+zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches
+Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen
+wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm
+den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
+einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
+Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
+zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
+der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
+wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung
+zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem
+Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er
+ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der
+roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten
+Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber
+gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an
+die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her
+5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer
+gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und
+gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die
+Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als
+Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das
+volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des
+Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem
+gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines
+Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er
+auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu
+haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine
+Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
+jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
+treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
+daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen
+zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht
+allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen
+Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl
+in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich
+in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu
+brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen
+Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den
+Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut
+vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn
+dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten
+im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn
+die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben
+und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des
+Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus
+vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das
+platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich
+Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und
+mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt
+vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm
+jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges,
+der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus
+Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und
+Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen
+Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen,
+die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder
+unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische
+Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig
+ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres
+seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla)
+zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im
+folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig
+geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu
+behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins
+Winterlager ging. Als aber an Maximus' Stelle der feige und ungeschickte
+Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum
+eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder
+mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus' Scharen die
+suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des
+Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit
+zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet,
+versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer
+Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen
+Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische
+Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber
+seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich
+sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142).
+Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive,
+durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in
+Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der
+Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500
+- wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde
+Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei
+verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische
+Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei
+der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf
+einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war.
+Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den
+Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen,
+worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig
+derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen
+als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh,
+des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem
+Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
+Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
+wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
+heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und
+bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts
+wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
+das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied
+den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen
+dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht
+bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen
+Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in
+Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er
+ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen
+Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer
+auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten
+oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht
+auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was
+ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer
+der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die
+Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von
+ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner
+Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue
+zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten
+Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas,
+Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt
+noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit
+Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen
+Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
+des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in
+das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer
+Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
+Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
+ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
+fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
+an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
+ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den
+Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder
+seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die
+Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei
+dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt
+zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von
+Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.
+----------------------------------------- 2 Die Chronologie des
+Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass
+Viriathus' Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61;
+Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p.
+110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63),
+zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4,
+16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90)
+berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil
+Viriathus' Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie
+auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft
+wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug,
+gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus
+zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war
+(Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl
+der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
+--------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz
+durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren
+Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter,
+nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus' glaenzende Erfolge
+bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer
+sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung
+des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius
+Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die
+Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend
+der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia,
+dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen
+Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612
+143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur
+die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die
+Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast
+schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den
+Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff
+auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den
+Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem
+kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das
+konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus
+Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige
+Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr
+erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613,
+614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht
+erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss
+ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte
+der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde
+unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf
+Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen
+darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen
+auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren
+abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als
+im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager
+eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern
+gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden
+Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu
+entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern
+zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung
+zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des
+Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen
+Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt
+ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas
+mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
+beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern
+benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam,
+lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von
+Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut
+und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf;
+Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger
+Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit
+weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende
+Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von
+Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und
+Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche
+Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia
+heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das
+Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
+angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
+in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und
+umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
+durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
+Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein
+Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
+Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
+dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
+Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
+Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein
+der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess
+auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den
+Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm
+die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf
+diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
+haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag
+beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre
+Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der
+hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde
+Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische
+Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner
+ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als
+nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und
+die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von
+Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer
+Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius
+Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die
+Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er
+unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das
+freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem
+Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein
+Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger
+setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich
+geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade
+so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und
+festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die
+Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten
+und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner
+die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht
+zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene
+roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer
+ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse
+auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus
+Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu
+fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich
+ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an
+einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man
+entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt
+ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu
+uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei
+mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten
+auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die
+Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt
+haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von
+Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der
+vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert
+hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache
+konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu
+reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager
+raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und
+Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar
+war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer
+vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich,
+die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den
+Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der
+Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer
+um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern,
+Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha
+und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen,
+ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer
+waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss.
+Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl
+erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag
+sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei
+den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum
+durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der
+Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten
+veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht
+bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr,
+was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf
+sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten.
+Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile
+im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und
+Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der
+Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer
+und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So
+musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger
+erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich
+gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald
+litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner,
+Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen
+Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen
+nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der
+Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger
+von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von
+den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern
+und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der
+trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des
+roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner,
+also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die
+Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der
+Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass
+Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge
+zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk
+vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite
+Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich
+zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am
+folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage
+Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu
+ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward
+ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der
+elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus,
+um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die
+Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter
+die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn
+Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias
+Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der
+Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten
+aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur
+Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung
+der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der
+Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die
+kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer
+neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung
+(616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen
+Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern
+an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern,
+Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden
+Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen
+Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein
+sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der
+Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste
+die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine
+senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio
+das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat,
+was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner
+Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren
+schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als
+Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in
+ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum
+fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes,
+der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus
+Caecilius Metellus' Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem
+Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst
+waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
+unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz.
+Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der
+Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern
+in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
+Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische
+Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit
+und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische
+Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht
+bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
+den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in
+Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
+oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln
+gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
+Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht,
+diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen
+lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
+nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den
+jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen
+Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung
+der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das
+bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
+Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich
+und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren
+Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher
+Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und
+asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago,
+Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen
+Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis
+seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges
+auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit
+eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass
+der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese
+Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In
+Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger
+Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch
+den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und
+Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten
+und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von
+Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien,
+Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und
+dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich
+zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt
+zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den
+bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten
+im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und
+selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem
+inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die
+Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft
+und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden
+vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der
+Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann
+und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten
+tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz
+nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu
+vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die
+achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt
+ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so
+war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der
+roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht
+mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte,
+freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass
+die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und
+jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren
+musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
+als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde
+zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte
+Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
+Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben
+oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit
+die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat
+keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff
+der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen,
+asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten
+und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die
+Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der
+Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago
+und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der
+vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
+und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
+gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass
+Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte,
+nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den
+Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern
+zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom
+Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
+Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen
+Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von
+Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar
+sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu
+widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat
+geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil
+zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in
+der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
+brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um
+die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge
+insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen
+preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
+vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der
+roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
+die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
+fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden
+Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der
+ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen
+Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
+erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass
+in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
+Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein
+Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die
+Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher
+geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich
+nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts
+zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den
+Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten
+politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich
+in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die
+Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich
+nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er
+den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und
+energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den
+Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf
+dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago.
+Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment
+sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch
+die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und
+Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen
+war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie
+es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie
+bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber
+derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt
+an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als
+dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit
+ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der
+fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von
+roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch
+in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als
+Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
+(860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass
+Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
+Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen
+Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig,
+als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen.
+Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika
+eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen,
+ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben
+zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
+sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
+die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage
+zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung
+fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission
+war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste
+Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem
+vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen
+und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand
+der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen,
+die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche
+Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal
+all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und
+mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis,
+dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden
+verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht
+sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der
+Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen
+Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
+vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der
+kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene
+Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
+politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
+roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit
+dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht
+unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
+sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es
+scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren,
+die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu
+bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen
+Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
+und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet
+beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
+forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit
+Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken.
+Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
+Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in
+Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer
+der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran
+dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
+die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
+wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
+Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus
+der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung
+je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
+die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern
+ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
+Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich
+wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
+der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem
+Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer
+gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
+Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat
+wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des
+Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
+ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte
+seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen
+Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und
+die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
+Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in
+der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
+Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung,
+dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
+verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
+verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
+Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
+Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die
+Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
+einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
+auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig.
+Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
+gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren
+zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
+Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
+der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu
+machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
+Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des
+Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee,
+an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
+Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
+herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager
+und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl
+durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte
+numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch
+den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager
+gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio
+versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein
+an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer
+auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng
+eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles
+zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer,
+Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch,
+Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten
+fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht
+gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der
+Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet
+hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern,
+hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn
+die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch
+ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings
+von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus
+geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom
+gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die
+Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden
+Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und
+Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom
+geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich
+trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort
+ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen
+zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien
+es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung
+ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte,
+dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf
+die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja
+bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein
+es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die
+liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
+karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter
+Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert
+(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
+versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung
+zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der
+karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr
+Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern
+sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
+Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
+und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln
+nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
+zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
+Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur
+begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
+dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika
+zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
+verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
+er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
+kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen
+Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette.
+Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche
+Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte
+weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse,
+sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
+sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die
+karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand
+geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt.
+Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago
+erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die
+Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
+Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
+gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
+die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert,
+dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach
+der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
+Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz
+befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle
+Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
+sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass
+in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
+zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
+wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
+Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl
+ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
+wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
+und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
+Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
+vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat
+und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
+Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung
+der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und
+Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
+Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche
+mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
+des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
+ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
+welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
+die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt
+heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils
+die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens
+an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man
+beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
+von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
+entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
+den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei
+erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das
+mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste,
+Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica,
+das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine
+unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
+dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
+phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
+Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an
+die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer
+Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die
+Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren
+wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in
+der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der
+Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und
+verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
+um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
+Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
+gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
+oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze
+unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
+in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder
+bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen
+entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
+wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
+daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
+Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern
+die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen
+und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die
+grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu
+besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann
+zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie
+durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen
+Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina,
+oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach
+Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und
+nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an
+der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
+ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
+den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
+die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der
+Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt
+Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und
+dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
+natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung.
+Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
+Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
+vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der
+Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste
+gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6 Fuss Dicke und an diese
+hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten
+ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten
+Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss
+breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11
+Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern
+zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die
+maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von
+45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung
+und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle,
+Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha
+= Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und
+an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten
+7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die
+Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche
+desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen
+ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils
+der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen
+Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast
+gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An
+dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk
+von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches,
+die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss
+breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
+und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
+Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren
+gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
+ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen
+den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich
+einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens
+lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der
+Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der
+eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener
+Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten
+gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt,
+eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der
+gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem
+heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-,
+die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite
+der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur
+zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene
+schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war,
+aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren
+Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot.
+------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist
+im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der
+alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen
+wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch
+von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in
+den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster
+393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule
+(Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern
+und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6 Fuss
+Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3Fuss
+Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter
+= 3Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p.
+522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1 Fuss), waehrend Livius
+(bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder
+genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die
+Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die
+bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet
+war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der
+Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier
+in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns
+haben, wird jedem einleuchten; N. Davis' Einwuerfe (Carthage and
+her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen
+Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur
+muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die
+es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von
+der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite
+des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
+stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und
+Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben
+jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund
+vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der
+Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen
+in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
+Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
+laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu
+Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
+Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
+Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie
+lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen;
+doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
+Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die
+Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
+Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
+einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
+Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
+Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet
+Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen,
+die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch
+12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen
+hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11
+griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob
+diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in
+ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung
+festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden,
+haben die Dicke von 1,1 Meter = 3 Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich
+2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind
+ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl.
+Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter
+im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene
+Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9
+Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin
+bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
+die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren
+Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
+eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones
+p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den
+viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
+--------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so
+wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass
+teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800
+Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils
+beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten
+Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten,
+sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern
+zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der
+verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten
+numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen
+werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte
+Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung
+regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte,
+schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus
+mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die
+Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an
+dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den
+zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten
+ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer
+Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte
+Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit
+ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes
+musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang
+es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch
+einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am
+naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die
+Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten
+Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig
+vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit
+groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun
+Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend,
+seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die
+Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius
+gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in
+die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten,
+die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung
+und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr
+ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der
+bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs
+brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie
+hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander
+und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch
+Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung
+fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete
+Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei
+der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer
+foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den
+Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun
+Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde
+auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und
+den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem
+ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider
+seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres
+geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden
+Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch
+seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der
+Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen
+geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio,
+einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern
+zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des
+sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige
+Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in
+Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer
+zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter
+Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen
+leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang
+auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf
+allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war,
+wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres
+605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos,
+erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen
+Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die
+andern sind wandelnde Schatten ^10."
+--------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de
+skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber
+diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel
+herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
+und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
+der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun
+gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung
+der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen
+phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg,
+wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon
+Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das
+Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen
+musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt
+gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen
+nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer
+Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische
+Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und
+Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen
+einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der
+Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt
+befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im
+Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine
+fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom,
+um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu
+schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der
+bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein
+Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet,
+um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden
+Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die
+Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147)
+in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der
+roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung
+der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem
+bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der
+schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast
+seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der
+Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In
+der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore
+derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung
+auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe
+zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der
+groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum
+angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz
+von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen
+Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese
+Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos,
+um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal
+aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar
+an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von
+Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab
+der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten.
+Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen
+saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender
+und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an.
+Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang.
+Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem
+Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die
+Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze
+Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den
+Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich
+belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant
+bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische
+Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des
+Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess;
+und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die
+Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte,
+nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr
+nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier
+auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem
+Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche
+der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner
+ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin
+vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den
+Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils
+Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus
+jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu
+bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung
+war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge
+zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96
+Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien
+verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als
+unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine
+Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter
+an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate
+lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu
+sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben
+die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten
+aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl
+Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend
+die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in
+oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen,
+welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt
+werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu
+begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte
+und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese
+verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht
+zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne
+Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen
+Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch
+entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun
+seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der
+Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall
+notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge
+aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser
+Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das
+Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins
+Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen
+musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie
+Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen
+wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den
+Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer
+an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt
+endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig
+abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen
+gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das
+Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius
+angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die
+ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen.
+Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die
+Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das
+Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn
+inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal
+freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im
+Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere
+Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte
+sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber
+Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung
+kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren
+Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch
+keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen
+anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach
+der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den
+gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach
+dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse
+gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen
+Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess
+nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche
+fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und
+Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich
+Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten.
+Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
+Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher
+Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger
+Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
+zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
+ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und
+25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig
+die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
+mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
+des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie
+fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber
+als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den
+Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu
+sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein
+Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren
+Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den
+Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese
+Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren
+Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst
+die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende.
+Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des
+Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die
+Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man
+im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als
+roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich
+behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder
+Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von
+den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den
+sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum
+Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel
+an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem
+groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben
+wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage
+an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der
+Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat
+befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem
+Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt
+mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu
+fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen,
+und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder
+Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war.
+Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der
+karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
+einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken,
+Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die
+fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
+hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen
+Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
+Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
+statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher
+Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig,
+fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen
+zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen
+Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt.
+Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges
+Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den
+Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago
+zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte
+ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische
+Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der
+schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von
+Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
+gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die
+uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter
+beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten,
+blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige
+Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei
+Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon,
+dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
+verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
+andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig
+abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
+Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter,
+dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte
+dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von
+den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
+ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
+seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte
+Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
+Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte;
+dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer.
+Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
+Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches
+Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen
+Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum
+und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
+Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig
+als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die
+Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein
+fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
+mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
+wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung
+der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute,
+welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten
+und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die
+bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften
+auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand
+auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen
+Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte
+Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht
+zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner,
+zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat
+einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos
+ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete
+(590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern
+herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio
+Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen.
+Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos
+nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und
+der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt
+Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner
+hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem
+vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich
+an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es
+fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder
+zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder
+in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens
+abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen,
+den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat
+achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt
+konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war
+er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals
+aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit
+dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es
+geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und
+wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht
+bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner
+Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern.
+Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in
+Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er
+doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike
+jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der
+ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine
+Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte
+Philippos Perseus' Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und
+dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der
+adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der
+Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage
+sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken.
+Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet
+eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung,
+dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen
+werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war,
+musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den
+Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen,
+bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser
+griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er
+selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum
+groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment
+hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte.
+Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius
+Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische
+Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht
+die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und
+Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten,
+sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren,
+verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606
+148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin
+Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung
+erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem
+Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der
+Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund
+vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den
+die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das
+Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine
+roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die
+roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das
+Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde
+die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem
+ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
+empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien
+abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen
+Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel
+gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass
+dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits
+Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit,
+die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst
+dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die
+Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie
+in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges
+Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es
+scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen
+Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen
+neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige
+Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten
+(155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden
+umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen
+Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung
+des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn,
+Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und
+hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius
+Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den
+fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
+auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei
+Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte;
+seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als
+dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der
+Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren
+es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und
+Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation
+gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen
+Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie
+gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse
+Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios' Zeit von
+den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion,
+quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis
+an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche
+Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die
+zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel
+ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die
+spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.
+------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse
+zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in
+deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen
+begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo-
+aristotelischen Schrift 'Von den merkwuerdigen Dingen'. Auch heute noch
+laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die
+Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida
+(Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki.
+------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte
+das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu
+erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass
+daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und
+die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die
+verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der
+Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare
+Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten,
+stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs
+heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst
+waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und
+Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen
+der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten,
+deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu
+fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem
+Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich
+zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung
+der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund
+in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war
+zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er
+in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien
+erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft
+jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst
+ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale
+Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern
+durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende,
+mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher
+das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach
+Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden
+versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die
+daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und
+Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und
+pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den
+Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen
+Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt.
+Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und
+der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald
+erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um
+nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern
+Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen
+Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der
+Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die
+Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen
+Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
+Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
+Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
+Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die
+Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die
+Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
+wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder
+vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt
+ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat
+aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine
+Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses
+Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide
+falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer,
+die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den
+falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit
+und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148)
+unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte,
+von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische
+Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
+erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
+fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht
+als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward
+abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs,
+setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten
+Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen
+Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange
+erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun
+ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in
+Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter
+und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die
+unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die
+achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer
+durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die
+aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden
+sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
+gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta
+im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
+auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie
+dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort
+auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die
+roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der
+regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in
+Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck
+ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der
+tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als
+hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in
+die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten
+Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden,
+obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten
+dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im
+Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung,
+die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst
+auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die
+erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius
+Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der
+Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue
+Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als
+staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus
+bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago
+und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die
+Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht,
+zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der
+streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem
+Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich
+auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und
+zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer
+in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das
+heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach
+Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte
+auf Kritolaos' Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt
+noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen,
+und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia,
+groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und
+Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang
+sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos' Erklaerung, dass man
+die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit
+unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung
+sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines
+Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der
+Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen
+Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker
+und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war,
+zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle
+Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also
+Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter
+naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608
+(146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta,
+das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen
+Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen.
+Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden
+beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es
+Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem
+achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war
+von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl
+gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst
+machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei
+den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung
+und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris.
+Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos
+ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer
+der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen
+Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung
+von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia
+aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem
+Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben
+gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte
+durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen
+Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit
+Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche
+scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation
+der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos'
+Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen
+auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in
+das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten
+und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
+Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt.
+Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische
+Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
+sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
+dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius
+Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und
+das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch
+einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen
+Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei
+Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht
+sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse
+aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten
+standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps
+auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
+Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber
+Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar
+das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage
+zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
+von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen
+Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn
+Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten
+Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind
+gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den
+Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt
+einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in
+aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen,
+sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich
+gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den
+Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien;
+in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber
+doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen
+des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen,
+umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten
+Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die
+geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter
+erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern
+oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
+ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und
+anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in
+den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den
+isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
+definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
+Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
+die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche
+aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass
+niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der
+Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht
+hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in
+jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment
+in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom
+zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter
+von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem
+Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung
+zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung
+an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die
+"Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum
+Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum
+an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit
+in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein
+Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch
+die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes
+beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den
+sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch
+mehrere mit Mummius' Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche
+Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146)
+roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf
+einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig
+"frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar.
+9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass
+Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm.
+14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen
+Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die
+kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10,
+485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch
+in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21,
+55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543)
+sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
+2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich
+die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war.
+Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
+anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien
+Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B.
+Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B.
+los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz
+in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und
+etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen
+gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das
+tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen
+Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur
+Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu
+der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch
+viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655
+(89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch
+durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften,
+die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch
+keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der
+Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts
+als das "Kommando" und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des
+Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner
+militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die
+formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden
+werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands
+Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische
+als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen
+Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere
+Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung
+der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der
+hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen
+Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die
+tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als
+Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes
+wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt.
+--------------------------------------------- Strengere Behandlung aber
+traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich
+nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch
+Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden;
+dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten
+Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer
+Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des
+Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei
+nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
+bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
+nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
+sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder
+Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil
+an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten
+des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu
+roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas",
+der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen
+Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
+muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
+Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die
+Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und
+die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention
+erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles
+damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein
+Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von
+Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei
+weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen
+Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes
+hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
+begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen
+Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das
+Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
+von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
+Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
+welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
+in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
+Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren
+grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser
+Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und
+barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu
+entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
+die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
+numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche
+durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten
+ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts
+weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
+aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
+sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel.
+Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
+erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
+anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
+Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei
+der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man,
+weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb
+man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die
+Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer
+die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen
+Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
+wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon
+seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte
+von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in
+die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der
+Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
+---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer
+ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in
+der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder
+"delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien
+begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den
+Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht
+geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos
+selbst fabriziert wurden. ------------------------------------
+Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
+getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
+entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren
+Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden
+das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
+Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf
+das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
+strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie
+sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
+Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu
+pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms
+nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste
+Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen
+und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen,
+von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden
+auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei
+dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
+erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken
+eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht
+war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch
+unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an
+sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den
+ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den
+barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung
+der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war,
+ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der
+pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum
+Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es
+scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den
+Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen
+Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die
+asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer
+unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes
+ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem
+Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg.
+Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine
+Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische
+Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die
+eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes' Bitte sich
+herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
+wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch
+die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und
+obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten
+Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen
+Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller
+offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und
+die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das
+Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos
+(+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich
+der Vormundschaft ueber Eumenes' unmuendigen Sohn zu bemaechtigen,
+mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie
+Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam,
+ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von
+der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die
+antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das
+Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von
+ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen
+Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen
+Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen
+bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? -
+605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten
+Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische
+Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt
+belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt
+gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der
+Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133)
+trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein
+asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass
+der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu
+entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen
+und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb
+er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs,
+bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht
+der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer
+die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent
+testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke,
+das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den
+wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der
+ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere
+Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu
+entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft
+an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom
+als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber
+auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg.
+Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende
+Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes' II., Aristonikos
+in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als
+Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes
+von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige
+Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf
+der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten.
+Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an
+der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von
+ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich
+der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der
+attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter
+seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen
+in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der
+Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos,
+Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit
+gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast
+ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131)
+ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und
+Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten
+und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als
+Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten
+in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von
+dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und
+ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den
+Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem
+solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten,
+ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als
+Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig
+Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach
+diesem Siege von Crassus' Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein
+Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und
+bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch
+Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der
+Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius
+(625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet.
+Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen
+ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der
+Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos
+kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in
+Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige
+Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der
+karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward,
+in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren,
+wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie
+Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat
+eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15
+Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
+Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester
+von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20),
+erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben
+und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes
+am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt
+(164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst
+nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen.
+Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in
+der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix.
+Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen,
+die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche
+desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu
+mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32,
+3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos
+hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt
+hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia
+von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu
+haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen
+abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des
+Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi)
+beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem
+Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die
+Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde,
+setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie
+auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben
+Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das
+heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut
+einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches
+Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des
+Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also
+konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen
+der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und
+den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
+staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis
+in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die
+Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser
+umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
+roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
+fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
+innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
+benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von
+einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass
+die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht
+fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die
+ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
+---------------------------------------------------- Die zahlreichen
+andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien,
+die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und
+die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos
+blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen.
+Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes
+V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der
+Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und
+Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
+Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
+auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast
+barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse,
+wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden
+Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue
+gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
+Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe
+Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos
+versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der
+suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der
+oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten
+Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte
+"Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu
+steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von
+Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys
+bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des
+reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt
+dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe
+gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze,
+deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer
+Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien
+zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes
+sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120),
+treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
+Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben
+sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die
+paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
+dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich
+wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat
+fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen,
+von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien
+empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die
+Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte,
+ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von
+Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien
+als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien
+und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der
+kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so
+vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand
+im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des
+Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache
+sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565
+(189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen
+Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug
+auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist
+Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien
+die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im
+Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl
+des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da
+in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum
+gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten
+zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos
+Epiphanes' Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos
+des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs
+Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone;
+hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden
+Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den
+juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem
+Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken,
+persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat
+lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des
+roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung
+des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der
+Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische
+Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich,
+durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das
+Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und
+im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In
+Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch,
+teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer
+ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt
+und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer
+wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie
+nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies
+war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den
+Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft
+auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos
+und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des
+Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck
+auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward
+unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und
+beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in
+Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh
+aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der
+roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des
+koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162).
+Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg
+aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem
+aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch
+mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei
+Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht
+und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den
+ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name
+gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre
+zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten
+vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz
+ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur
+Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius
+gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb;
+aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als
+Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es
+ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss
+Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten,
+sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und
+dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch
+dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische
+Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten
+sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch
+ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den
+naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu
+verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status
+quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies-
+und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen
+Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich
+wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht
+lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra
+unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige
+baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
+der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
+Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
+dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
+bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
+das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener
+Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der
+Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
+angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der
+Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der
+beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im
+Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung
+in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern,
+gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich
+Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung.
+Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines
+Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte
+Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem
+Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten
+der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung
+die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
+hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall
+in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in
+religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit,
+auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich
+einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war
+und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste
+Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete.
+Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen
+Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst
+taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
+zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an
+den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter
+mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
+Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
+zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
+Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort
+anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden
+nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel
+des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den
+Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und
+trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots,
+ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich
+lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu
+erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer
+sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das
+Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des
+Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen
+Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und
+Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das
+Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation
+wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst
+Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139).
+----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die
+Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des
+"heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem
+Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm,
+sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian.
+------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese
+Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus
+gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften,
+wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder
+leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und
+des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des
+Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren
+Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen
+Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die
+hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und
+aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther,
+die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen
+Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom
+Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem
+skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden
+als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus
+seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I.
+(579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen
+Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die
+Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten
+am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte
+Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften
+westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals,
+teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des
+Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden
+Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im
+vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen;
+in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an
+der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem
+entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder
+der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz
+Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich
+vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte,
+gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am
+Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz,
+sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen
+in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem
+roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen
+Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien,
+Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten
+Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg
+und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr
+Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische
+Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu.
+Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht
+bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen
+Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen
+Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch
+nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im
+allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der
+Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem
+der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und
+die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die
+orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und
+Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten.
+Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat
+beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt
+wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es
+nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder
+den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten
+in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
+einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
+voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
+musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten
+oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische
+Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
+Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
+Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
+Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren
+asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
+eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
+den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
+Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien
+und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner
+Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die
+mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
+unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
+noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
+vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem
+den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche
+Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien
+ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut,
+die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen
+Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die
+Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in
+Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten
+haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in
+das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise.
+Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
+Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren
+letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von
+Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis
+bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
+Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat,
+nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
+fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
+die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
+Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu
+sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden;
+mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
+Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf
+die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl
+darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends
+mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte
+vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige
+Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem
+Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten
+wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal
+fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit
+Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer.
+Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und
+wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
+ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen
+Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
+vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
+furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
+Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien,
+von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten
+Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen
+sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah
+nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht
+der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen
+die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten
+Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in
+den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631
+(123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen
+und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern
+ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich
+abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese
+entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die
+zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst
+ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten
+der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht.
+Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine
+glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des
+Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine
+Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und
+gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger
+aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe
+das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
+was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein
+schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen
+war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der
+ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
+achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer
+schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus
+fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind
+all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege
+verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten
+"Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in
+Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und
+die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz
+fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht
+mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie
+denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
+Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
+Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
+zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
+letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie
+gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen
+die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
+scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese
+Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht
+bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat:
+der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig
+Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch
+Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem
+Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die
+Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die
+zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler
+waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in
+Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die
+Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel
+ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann,
+Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und
+Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische
+Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht
+stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen
+Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an
+Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die
+Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der
+Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische
+Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als
+die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den
+bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in
+regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung
+der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt
+ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf
+die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat
+begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem
+Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht
+voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des
+Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken
+und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den
+leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die
+Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine
+die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu
+setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig
+durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben
+Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen
+der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen
+Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich
+Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment
+selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen
+Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur
+eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen
+die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem
+Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen
+andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt
+deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein
+streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie
+an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und
+gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und
+jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem
+jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern
+auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge,
+unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung
+weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle
+beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern
+das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wort-
+und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit
+Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute
+und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische
+Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den
+ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und
+Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel
+dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von
+Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle
+Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur
+eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung
+der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen
+Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der
+verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold
+der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der
+erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen,
+wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von
+Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren
+durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio
+Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien
+zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man
+den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die
+Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie
+ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft
+auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die
+Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von
+Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger
+ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des
+roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter
+Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm
+missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege
+geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der
+Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei
+der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft
+allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten
+Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat
+sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das
+Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung
+der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen
+abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die
+italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der
+elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr
+aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die
+spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben.
+Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen
+Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung
+bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der
+alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der
+dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu
+ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen
+Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen
+Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die
+Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige
+Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den
+spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so
+machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn
+zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios
+Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten,
+vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die
+roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen,
+in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen
+Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache
+ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen
+Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege
+in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit
+Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des
+Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus' Meuchelmord ein Meisterwerk der
+roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat.
+Wie voellig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Roemern
+abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die
+Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
+selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
+liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
+seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene
+Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
+behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
+bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er
+gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein
+volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische
+Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten
+Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der
+roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem
+Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum
+stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen
+Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung
+erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik
+des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer
+ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und
+Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
+bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
+keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
+machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
+Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge
+anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein
+eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der
+Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art
+ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere
+Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine
+geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter
+staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten
+der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und
+heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe
+kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem
+andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet.
+Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln
+bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden
+solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein
+tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette
+fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern,
+welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des
+Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener
+gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der
+Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten
+von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte.
+Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war
+eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das
+Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich
+gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess
+man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben;
+wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der
+laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht
+regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war
+die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien.
+Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den
+rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein
+angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch
+durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf
+das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten
+politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und
+die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der
+Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1
+und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die
+Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit
+dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen
+Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine
+Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der
+Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es
+keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden
+Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer
+Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte
+es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu
+einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
+Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst
+oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die
+Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es
+war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde
+folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
+Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
+niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
+vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
+Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen
+Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der
+roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen
+der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das
+Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische
+(617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das
+Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden
+bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen,
+bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den
+bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten.
+In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden
+Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie
+veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
+erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
+des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das
+mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
+nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
+war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet
+der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres
+Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf
+den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).
+---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde
+das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des
+Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach
+Marcellus' Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn
+die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden,
+ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586,
+591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152);
+also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den
+zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte,
+ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne
+Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und
+599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende
+wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der
+Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da
+dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149)
+eingebracht worden sein muss. -------------------------------------
+Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich
+bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
+Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war
+in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig
+zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die
+jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich
+zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und
+den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen
+Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte
+politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben
+rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten
+gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem
+Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende
+des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und
+gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig
+erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des
+kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen
+Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und
+Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur
+war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der
+Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen,
+wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken
+weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht,
+solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische,
+politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze
+warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet
+den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit
+wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden
+jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und
+unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche
+Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die
+oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe
+begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der
+einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene
+getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und
+oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf
+die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr
+und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als
+sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der
+Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem
+"Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und
+ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen
+entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss
+im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge
+durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder
+groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu
+vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie
+wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die
+Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt,
+um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der
+unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos
+weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen
+einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des
+Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut
+der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den
+Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die
+Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam
+gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen
+auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die
+Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die
+schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie
+um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und
+Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den
+Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch
+aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber
+Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis
+zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen
+Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung
+direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus
+ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber
+das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten
+ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging,
+die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren
+versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise
+verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende
+einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon
+im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach,
+welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten"
+den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung
+bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre
+Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide
+Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren
+Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der
+politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich
+nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da
+weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein
+politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und
+so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie
+auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und
+der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der
+politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen,
+wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu
+einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches
+Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten
+und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die
+einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und
+Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten,
+sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt.
+Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer
+mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen.
+Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution
+eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor,
+sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die
+roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche
+also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt
+ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
+uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig
+sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der
+Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem
+grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg
+gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst
+des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche
+Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und
+der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen
+Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben
+Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
+veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende
+Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft
+vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer
+ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines
+Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz
+des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort
+mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die
+Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form
+Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann
+der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig
+gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr
+trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer.
+Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche:
+die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der
+Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien
+durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in
+Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schliesslich die
+Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch
+Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das
+Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung
+sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum
+gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen
+sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es
+versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und
+Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang
+der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir
+haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen
+Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte
+ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften
+kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung
+zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber
+einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar
+zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit
+die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften
+und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven
+gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus
+der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den
+Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
+die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
+Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch
+betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
+Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung
+bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
+Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
+Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
+verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der
+arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward.
+Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
+kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger
+und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln
+ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den
+Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
+ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
+dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den
+verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen
+Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen
+Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware
+an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
+10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
+gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
+geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
+ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der
+roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden,
+dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums
+auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf,
+ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte
+Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben,
+so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der
+Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle
+in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den
+Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh
+kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden,
+deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die
+Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut
+bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung
+des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten,
+haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens
+ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward
+bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen
+Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155),
+als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise
+die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit
+schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der
+Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven,
+welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die
+Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig
+unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese
+Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert
+und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo,
+wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher
+und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen
+Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa
+30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren
+verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit
+geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also
+durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein
+einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten
+waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten
+hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen
+Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die
+roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die
+mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien
+indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer
+jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die
+Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo
+sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand,
+hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht
+fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch
+ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte,
+daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben.
+Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens
+von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand
+619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise
+lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.
+------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es
+geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere
+Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus
+(Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer
+sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses
+(ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet
+darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen
+Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit
+den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer
+von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich
+vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche
+Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen
+Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist.
+Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als
+auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf
+das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat
+weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr
+beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen
+koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das
+Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer
+Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen
+bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf
+die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien
+Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen
+beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die
+allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In
+Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren
+Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu
+erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450,
+in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133).
+Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem
+grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte
+man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen
+zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine
+kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der
+Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es
+natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in
+Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande,
+laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu
+steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller
+Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna
+(Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven
+ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna
+stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich
+erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten
+oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen
+Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer
+zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt,
+jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum
+auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht,
+der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche
+Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen
+Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und
+nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die
+seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles
+Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche
+Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave,
+Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen
+Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich
+vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den
+Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen
+Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager
+zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der
+Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000
+Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei
+Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere
+nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil
+ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und
+von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die
+sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um
+sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner
+verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die
+Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch
+und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4.
+------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden
+sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist,
+nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von
+621 (133): L. Piso L. f. cos.
+------------------------------------------------- Das waren die
+Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und
+dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die
+Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit
+der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die
+polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen
+verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die
+besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie
+auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der
+albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang
+der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder
+Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der
+Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung
+trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des
+Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche;
+aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische
+Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die
+aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
+lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne
+Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
+mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
+eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
+zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der
+Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese
+Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie
+Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn
+die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz
+war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul
+Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber
+20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger
+moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende,
+freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge
+der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer
+Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser
+Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte
+man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner
+Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt
+ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den
+Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach
+karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins
+Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem
+roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe
+Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr
+in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte
+nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten
+sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles
+Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden
+und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren
+Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das
+Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden
+Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende
+Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs
+in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen;
+man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte
+Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen
+neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie
+namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben,
+aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare
+Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt,
+vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach
+der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt
+stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597
+(157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die
+Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser
+den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht
+gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als
+das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der
+Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie
+vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur
+Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig;
+Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen
+italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn
+man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die
+Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
+uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und
+also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
+auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne
+Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging
+- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde
+stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie
+der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer
+fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu
+bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst
+abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das
+gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken.
+Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das
+italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe
+auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte
+einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten
+schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien
+Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt
+werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts
+geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren
+der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar
+zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen
+Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre
+595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
+wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
+Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000
+waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges
+Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607
+(147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger
+stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und
+aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich
+auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat,
+wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt
+kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der
+Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin
+man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall;
+jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich
+aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte
+an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen
+Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des
+Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen
+glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft
+eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus
+(570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und
+durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den
+naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte
+er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen
+Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren
+und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als
+Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter
+seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer
+sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der
+Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern
+seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die
+Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische
+Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren
+der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende
+Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und
+durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des
+Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus
+erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem
+klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller,
+zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden
+gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen,
+von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger
+Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und
+roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm
+freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat,
+die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein
+sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund
+und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach;
+dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und
+uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner
+Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein
+tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er
+den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener
+Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als
+Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen
+Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm
+keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale
+Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen
+Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter
+Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch
+organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es
+nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche
+abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung
+der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte
+Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und
+Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein
+Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten
+Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime
+Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht
+hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der
+schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem
+Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber
+und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das
+Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der
+alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der
+glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die
+Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter
+treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es
+verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte
+Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen
+Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt.
+Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein
+politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die
+Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen
+Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends
+verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand
+von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff
+war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte
+also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff,
+wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
+ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass
+dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
+vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
+hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
+schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
+Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des
+Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
+auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam,
+nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
+Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
+hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter
+angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
+Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten.
+Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber
+wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall
+zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum
+Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus
+(591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585
+177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten.
+Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege
+gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren
+und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein
+Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm
+verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
+Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die
+Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte
+und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
+durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst
+und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes
+Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war
+die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen
+Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn
+erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die
+nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von
+Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den
+Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden
+Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks
+und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als
+zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen
+gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische
+und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio
+Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter
+ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos
+mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und
+kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die
+Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie
+in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung
+des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus
+der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch
+nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor
+der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern
+schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618
+136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der
+gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier
+erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der
+Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer,
+wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die
+Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius
+Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und
+Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt.
+Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der
+wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht
+abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er
+gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus
+Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch
+als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und
+Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius
+Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen
+Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib
+genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm
+regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer
+Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative
+gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der
+Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss,
+war wesentlich Gracchus' Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass
+der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit
+den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die
+groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war,
+konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen
+gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen
+er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der
+Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen
+er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden,
+fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche
+Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes,
+der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm
+Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der
+bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische,
+sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss
+jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine
+ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war
+der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine
+spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es
+noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus' Entschluss
+zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit
+unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach
+Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des
+Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt
+worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die
+Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine
+Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es
+sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne
+Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel
+das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen
+eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne
+Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht
+ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten
+oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von
+den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und
+Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also
+eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und
+diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt
+werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche
+Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine
+maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein
+Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte
+der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt
+wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschaeft beauftragt,
+wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich
+festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die
+Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend,
+bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen
+Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz
+verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel
+zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen
+beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und
+vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in
+dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe
+ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen
+Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen
+Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem
+zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter
+Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf
+in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen
+des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege
+des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der
+Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter
+Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte;
+womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte
+nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte
+seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war
+unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos,
+brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich
+wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte
+seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht
+zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet
+werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges
+Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen,
+ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus
+einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn
+auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging
+der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass
+der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe;
+allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der
+Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die
+verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte
+man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen,
+den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem
+folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der
+Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man
+rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf
+die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste;
+er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft
+trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden
+muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen,
+welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich
+natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die
+Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der
+Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem
+Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob
+nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt
+habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten
+Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem
+vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes
+persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast
+einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus' Befehl durch
+die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
+allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
+Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des
+Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem
+Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
+Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich
+an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
+erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
+Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer
+gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft
+der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in
+jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte.
+Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht,
+weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber
+ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus
+Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat
+niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen,
+die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste.
+Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche
+Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine
+Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem
+der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte
+hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
+seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass
+er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber
+er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
+als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
+blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer
+neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch
+das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und
+Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
+den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
+des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt,
+gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die
+neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber
+Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts,
+ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als
+Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen
+Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet
+haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich
+nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung
+darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf
+ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese
+verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in
+Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
+zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
+aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
+fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre
+Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch
+schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung
+unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden
+Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in
+Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im
+Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall,
+dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf
+er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem
+Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam
+der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden
+und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger
+zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der
+Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt,
+bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass
+er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat
+versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die
+erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als
+Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem
+Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er
+fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde
+zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter
+sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich
+keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren
+unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein
+harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich
+zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten
+war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk
+wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen
+und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus
+versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der
+Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius
+Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre -
+vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen
+Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere
+Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die
+Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche
+seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte
+Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien
+waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt,
+wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
+Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man
+hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen
+der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
+die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt
+offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
+rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
+ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus' Mitschuldige
+einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius
+Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse
+Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art
+rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den
+vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
+hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
+vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald
+darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
+gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
+Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
+Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
+verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
+Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich
+darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder
+nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach
+der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen
+wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen.
+Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen
+Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer
+Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden
+italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
+Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
+obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die
+Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
+sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass
+die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie
+irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer
+Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer
+des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss
+geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen
+Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte,
+stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die
+Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine
+Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle
+Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit,
+dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag
+tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch,
+diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch
+keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat,
+wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich
+seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen
+Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem
+Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar
+hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich
+in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats,
+das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den
+privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut
+wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder
+sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist
+mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel
+als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des
+agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie
+anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche
+nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines
+aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211)
+zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war
+in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in
+Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten
+Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss
+bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die
+Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum
+Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte
+auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch
+Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein
+Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die
+Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem
+Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem
+Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber
+doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose
+Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die
+liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten
+Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der
+roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab
+angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu
+bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der
+Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt
+wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur
+aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte
+Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich
+vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen,
+dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte
+Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern
+aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war
+und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.
+---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass
+diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen.
+Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der
+Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das
+einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu
+vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens
+auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die
+ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen
+Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die
+Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der
+Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen
+Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der
+Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen
+Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit
+regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine
+Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es
+war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
+Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
+Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
+Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte,
+die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik
+gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt,
+sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die
+sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus' Tun. Fuer die
+Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat
+zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer,
+aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann.
+Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur
+zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
+Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das
+des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
+denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger
+verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den
+Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die
+Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische
+Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
+grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung
+zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
+klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der
+Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der
+staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
+System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
+Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in
+England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler
+Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
+allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in
+der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
+Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss
+zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
+Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein
+paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig
+aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand
+sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
+Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie
+in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden
+dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss
+nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die
+Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
+Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
+obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten.
+Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man
+es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger
+erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den
+Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
+Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
+bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
+abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe
+die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam
+etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt
+ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den
+Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
+anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
+Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da,
+sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt
+zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht,
+dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den
+Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der
+Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war
+schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien
+und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete
+und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den
+Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem
+gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess;
+wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim
+Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu
+beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen
+Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht
+am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie
+angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen
+Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die
+Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt.
+Darum bezeichnen Gracchus' Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen
+Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt
+auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles
+der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der
+Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
+gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie
+doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
+festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass
+redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt
+wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich
+anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne
+nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es
+ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass
+dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
+Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat
+ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
+Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne
+Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger,
+durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
+wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
+Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
+die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in
+die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission,
+den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und
+Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse
+und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer
+Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
+Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und
+verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet
+sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein
+die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus' Namen geschmueckt
+hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner
+Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe
+gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb' ein jeder, der
+aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder
+Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene
+Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird
+die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den
+Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte
+Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch
+ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3.
+Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot;
+indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution,
+ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat
+gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen
+Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den
+wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr
+befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der
+Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer
+Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und
+Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio
+Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst
+im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein
+Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach
+dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde
+ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
+bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl
+wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen
+nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat
+fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
+Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
+auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in
+Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer
+der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
+Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft
+der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer
+und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an
+Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
+derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus
+leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den
+ersten, der auf den Domaenen die Hirten aus- und dafuer die Bauern
+eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die
+Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen
+Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
+Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden
+die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen
+Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser
+Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst
+auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie
+denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende
+Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und
+Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten
+aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre
+623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132)
+stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen
+sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die
+Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich
+infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische
+Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen
+in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf
+alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches
+Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung
+achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt
+mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener
+Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch
+vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei,
+auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben;
+unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht
+bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert,
+sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der
+Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie
+laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess
+die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal
+die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses
+Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
+dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland
+war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken
+desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volks-
+oder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen,
+andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubter- oder unerlaubterweise
+okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
+an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern
+einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder
+vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst
+des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen
+Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
+verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
+nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
+Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
+einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
+verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
+mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in
+diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte,
+so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
+politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon
+durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr
+entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
+Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
+Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen,
+die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die
+Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte
+jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
+setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten
+Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
+schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1
+ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die
+Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
+Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln
+gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam.
+Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
+Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
+gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
+Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr,
+zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft
+unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da
+die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
+sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
+Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios
+Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der
+Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
+ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages
+ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige
+in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
+oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den
+naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein
+Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes
+geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher
+der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche
+meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner
+Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag
+gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen
+Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen
+Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur
+dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist
+einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
+aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
+nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer,
+Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess
+moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der
+Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio
+ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht
+ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen
+entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten
+gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen
+schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des
+grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward
+beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht
+des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten
+Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens
+verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des
+Verbrechens. ----------------------------------------------------------
+^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
+nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte
+gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
+triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv.
+ep. 28; oben S. 95).
+---------------------------------------------------------- Die
+Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus,
+aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des
+politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt;
+vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle
+zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich
+bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen
+Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer
+Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen,
+in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
+gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder
+verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
+gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
+Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs
+von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
+Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte.
+Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
+wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius
+Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
+unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht
+gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment
+traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
+Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
+mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
+fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort
+den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
+nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
+gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging
+an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
+konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
+hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich
+Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
+Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
+geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt,
+soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den
+bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
+dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also
+das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war,
+gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
+Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach
+dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln,
+wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsaechliche Absicht der Partei
+ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten
+Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen,
+die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
+entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu
+beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
+begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
+Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt
+beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
+Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen
+Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
+Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul
+mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der
+roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht
+gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen
+Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte
+inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius
+Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem
+Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die
+der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig
+geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten
+zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den
+grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit
+aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
+Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze
+von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten
+eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die
+zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche
+Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge
+der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen
+Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen,
+nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens
+gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den
+Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu
+ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern
+durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward
+der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die
+ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward.
+Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
+gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
+umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht
+schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse
+verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der
+Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an
+dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius
+Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten
+Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche
+Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren
+dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
+Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
+Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh
+auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich
+zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
+(123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei,
+immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch
+notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende
+und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo
+und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft
+berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die
+Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an
+anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer
+zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen
+anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
+sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
+---------------------------------------------------- Gaius Gracchus
+(601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren
+Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt,
+ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia
+unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung
+gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war
+er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und
+Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der
+verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen
+Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die
+echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
+Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen,
+die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens
+und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
+Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht
+mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in
+die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die
+das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch
+diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste
+Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir
+ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen
+duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten
+Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder
+Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch
+nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte.
+Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn
+selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder
+stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und
+Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders,
+von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren
+Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen
+umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der
+Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb
+ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem
+Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland
+zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde
+bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das
+Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis
+war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung,
+Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber
+zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen
+werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich
+Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber
+auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus
+italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt,
+und sie hat recht daran getan.
+------------------------------------------------------- 3 So die bei der
+Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu
+euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und
+meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter
+uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus
+Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen,
+damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein
+Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl
+solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden."
+------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus
+war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft
+getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte,
+war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren
+erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint,
+dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende
+Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die
+Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung
+gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
+sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur
+von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war,
+hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer
+zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der
+hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem
+Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu
+Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus
+verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich
+meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5
+Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt
+werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2 Groschen) oder noch nicht die
+Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch
+Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine
+erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der
+Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des
+Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische
+Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
+abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei
+bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und
+eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit
+hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch
+bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem
+Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen
+sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer
+jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese
+Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische
+Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber
+die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber
+die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den
+Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der
+Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen
+Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage
+war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und
+selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius
+durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die
+Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass
+hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung
+wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen
+ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115)
+genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb
+nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene
+Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen
+der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr
+schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen
+werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber
+das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in
+Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also
+auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung
+ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar
+nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden
+ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne
+Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre
+Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und
+folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt,
+das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats
+zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000
+vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus
+den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen
+Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die
+Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip
+der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein
+bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe
+eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts
+aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das
+Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten.
+Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats
+unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die
+hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen
+Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere
+Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im
+Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach
+altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem
+siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum
+ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung
+Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich
+verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde
+gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied,
+wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht
+schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam
+der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu
+Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte
+die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger
+vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und
+beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der
+Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde
+den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde
+gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.
+----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe
+Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied
+zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19),
+ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die
+Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen,
+als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die
+Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand.
+Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint
+aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio
+fr. 83; 7 Bekker. ---------------------------------------------
+Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
+hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch
+mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil
+selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
+Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den
+Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser
+nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach
+der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
+Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
+beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
+suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
+Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu
+bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt,
+dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu
+Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord,
+der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies,
+welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
+gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an
+die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die
+der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
+unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
+eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der
+Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch
+Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
+denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
+Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige
+Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden
+selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel
+Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren
+Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts
+festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess
+hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus
+aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf
+Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann
+gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch
+dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten
+das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen
+und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus
+zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den
+verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung
+gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal
+populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich
+lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer
+Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie
+an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss
+auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
+er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen
+Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen
+Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein
+Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei
+wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lords- und
+der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den
+tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien,
+die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre
+ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
+Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
+zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer
+dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschaefte
+im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
+dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
+sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die
+Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem
+kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen
+Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere
+Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In
+der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter
+dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch
+in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die
+urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug
+sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle
+diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000
+Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
+also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische
+Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
+Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
+gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen
+ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und
+ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
+Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
+eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen
+Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen,
+ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn
+Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren,
+fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich
+zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der
+vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem
+regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den
+vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang
+gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen,
+standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und
+Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig
+waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter
+hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen
+weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen
+Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen
+doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den
+Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten
+der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von
+jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen
+Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels-
+und Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein
+Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die
+Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte,
+durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge
+sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen
+eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den
+Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen
+worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn
+aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die
+Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf
+den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war
+es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines
+zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der
+Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes
+aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie
+an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht
+bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere
+Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie
+dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer
+allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem
+Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und
+reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und
+die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung,
+sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch
+Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen
+Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten
+Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in
+den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden
+Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber
+ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten,
+dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen
+selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden
+Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst,
+den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen
+roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor
+die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im
+wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5
+stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht
+bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten
+indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er
+verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom
+verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der
+Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft
+fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine
+Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief.
+Charakteristisch fuer Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom
+Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der
+voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher,
+vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten
+Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand
+eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft
+ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat
+der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
+Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen.
+Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
+Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und
+ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
+Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen,
+wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils
+ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese
+ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies
+sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen
+und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
+den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
+Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich
+neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der
+senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
+von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
+Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in
+den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
+sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
+sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
+und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in
+ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
+also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
+dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
+Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als
+legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
+jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der
+materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
+sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
+Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
+ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
+gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen
+einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
+Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
+nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und
+Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz.
+Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen
+Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
+bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
+Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer
+gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
+----------------------------------------------------- 5 Dass er und
+nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in
+den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep.
+3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese
+Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung
+fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum
+grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen
+oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
+------------------------------------------------- Mit den also
+bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus
+an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat
+stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine
+wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln
+mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie
+zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung
+hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm
+sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
+durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische
+Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
+Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
+die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind
+schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
+fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
+oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete,
+ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats-
+und Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die
+Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
+Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus
+andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
+Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen
+Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
+bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten
+dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
+festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien.
+Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die
+verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in
+seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die
+Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
+Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss
+die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
+Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen
+Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme
+Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und
+gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung
+griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die
+Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt;
+dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste
+Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei
+scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten
+Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher
+Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen
+war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu
+Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat
+die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
+Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven
+Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden
+Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der
+Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft
+beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen
+erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius
+Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise
+ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der
+Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen
+persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der
+Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes
+Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch
+Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle,
+einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf
+Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die
+Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu
+verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius
+gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie
+verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von
+ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius' freilich wohl
+schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue
+Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu
+verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu
+lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in
+die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben
+wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und
+das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein.
+------------------------------------------------ Dies ist die
+Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der
+beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren
+wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf
+irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung
+seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die
+Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung
+sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir
+die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit
+dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die
+Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie
+sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt
+ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer
+Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass
+nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und
+neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische
+Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form
+eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte
+Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes,
+eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der
+Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die
+nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute
+Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung
+selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben
+will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher
+seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb
+in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer
+das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des
+aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung
+moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und
+Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede
+stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die
+Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber
+aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise
+denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die
+beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst,
+so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen
+tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die
+Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der
+Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die
+Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste
+und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein
+nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze
+Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht,
+indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den
+persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient.
+Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe
+zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er
+zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue
+hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein
+hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
+gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
+Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den
+Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
+schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
+Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine
+Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess.
+Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der
+Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit
+heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
+durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
+Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
+ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er
+zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
+mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit
+einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
+war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
+nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
+und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der
+Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
+Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
+bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und
+eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige
+Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem
+auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter
+Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete
+Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen
+Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird,
+absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die
+Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem
+sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich
+hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle
+sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte
+sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger
+den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
+bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius
+Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt
+daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die,
+den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
+Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine
+Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie
+abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
+Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit
+ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer
+Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm
+datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des
+Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
+entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
+hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
+von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig
+demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen
+bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von
+Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
+roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
+doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der
+Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
+roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus.
+Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
+Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
+praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz
+her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als
+Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst
+benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden
+beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von
+Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein
+fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik
+der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich
+stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch
+eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen
+Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren.
+Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung
+zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie
+unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die
+italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt
+der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist
+das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen
+Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren
+politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so
+ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was
+der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.
+------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den
+Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches
+von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf
+geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht
+sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus.
+Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die
+oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung
+auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an
+Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher,
+die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die
+stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die
+zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn
+diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und
+jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde.
+-------------------------------------------------------- Als Gracchus
+die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte,
+legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die
+Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der
+demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt;
+sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen
+Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen
+zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der
+ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um
+die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
+Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen,
+ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
+republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
+Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
+vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem,
+was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus
+dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht
+sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei
+sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz
+und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die
+Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
+entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der
+eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
+Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der
+Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
+Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die
+Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
+Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg
+beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
+uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
+Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht
+der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte
+Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art
+diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus
+der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den
+Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also",
+sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht
+erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der
+Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
+finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden
+Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts,
+die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein
+solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand
+seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen
+Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon
+dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem
+entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte
+das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
+Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
+einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus
+nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
+Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der
+dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen.
+Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher
+Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der
+Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das
+in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits
+nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es
+war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem
+Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder
+Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung
+anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer
+Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos
+gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus
+selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten
+wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner
+der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein
+Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von
+Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, fuer den Augenblick
+wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
+eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in
+Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
+Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
+anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
+nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
+jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags,
+die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
+Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer
+Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf
+den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem
+eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass
+der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm
+an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag
+des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den
+Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre
+Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren;
+ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen
+in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren
+Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur
+Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
+Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
+Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen
+haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
+Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht
+mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne
+Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen
+Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem
+roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die
+allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere
+Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten.
+Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
+Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
+gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen,
+die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
+italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
+man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer
+zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften
+erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege,
+endlich Drusus' Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes
+nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe
+herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte,
+war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
+entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles
+ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete
+und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch
+sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende
+arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
+bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
+neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen
+maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121)
+zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei
+uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher
+beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
+die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
+Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen
+gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
+der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
+Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
+wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann
+fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit
+zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte
+Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
+sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und
+die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von
+Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar
+durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt
+afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und
+die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches
+Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
+gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
+gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der
+Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
+derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
+an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft
+berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
+bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern
+nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
+hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen,
+der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit
+den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
+ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden.
+In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
+Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
+Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in
+der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und
+schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
+Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand
+ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
+und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich
+abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
+mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden,
+einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
+verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste
+Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln,
+um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
+Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand
+zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel
+am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit
+kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der
+Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der
+Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und
+jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es
+fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte
+und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
+erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
+Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten
+Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche
+des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
+ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein
+zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu
+beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
+Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
+Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien,
+mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem
+Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben
+beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den
+Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging
+Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte
+sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn
+Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich
+zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie
+unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des
+Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
+Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus
+wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
+wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen
+Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
+beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals
+sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu
+stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung;
+er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den
+Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der
+das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
+buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der
+vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
+gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
+tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den
+fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
+geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in
+ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
+Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
+zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
+sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
+womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich
+bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
+entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte
+sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
+Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
+Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles
+allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
+sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
+von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
+des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen;
+es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
+den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der
+Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes
+des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
+Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe
+Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten
+wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung
+der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der
+Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker
+aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus
+Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner
+Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem
+Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem
+Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen
+Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden,
+wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der
+getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift
+ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem
+Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit
+dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die
+Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren
+ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle,
+zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der
+juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution
+verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell
+geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den
+Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche
+Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder
+und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender
+Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die
+Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen
+polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel
+Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus
+aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie
+der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war
+doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten
+Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu
+begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle
+um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen
+Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden
+war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen
+Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu
+einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert
+gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch
+Tiberius' hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die
+ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch
+nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer
+Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber
+der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren
+Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung.
+So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus' erblosem Abgang stellte das
+Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
+dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
+formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
+Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
+wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
+sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
+Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
+immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
+Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
+geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den
+Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
+fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der
+Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit
+wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der
+regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste
+reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
+Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus
+der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den
+Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius
+nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
+bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist
+fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
+Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
+Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und
+noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
+Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn
+von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward,
+liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
+Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
+erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
+Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
+Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung
+griff die Reaktion zunaechst nicht an und schonte nicht bloss die
+Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte,
+wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
+diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
+als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil
+die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange
+nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und
+Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
+vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es
+ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle
+diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des
+oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
+begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung,
+liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
+angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst
+die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die
+Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied
+zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und
+arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die
+umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt,
+die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen
+graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte
+Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien
+das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben
+muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus
+war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete
+Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen
+Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die
+naechste Ursache zu Gracchus' Untergang geworden war. Nach seinem Tode
+wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von
+der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon
+verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der
+demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung
+gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der
+Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre
+636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste
+ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher
+Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung
+derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt
+wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen,
+dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer
+Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung,
+die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern.
+In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
+italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
+soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest;
+nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die
+neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite
+trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen
+bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus
+im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und
+Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen
+die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem
+von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden
+haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern
+gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten
+definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung
+abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen
+die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet
+werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter
+dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands
+belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen
+Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine
+Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
+zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
+der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
+635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
+Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam -
+es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
+noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der
+Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab.
+Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
+einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
+umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten.
+Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht
+okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide
+offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung
+eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Gross- und fuenfzig Stueck
+Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den
+kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen
+die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems
+nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
+getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
+Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie
+also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in
+ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie
+zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben
+an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
+genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
+aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
+ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in
+den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
+hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene
+mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die
+ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem
+Senat Schutz suchten und fanden.
+-------------------------------------------------------- ^1 Er ist
+grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert
+Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.
+-------------------------------------------------------- Waehrend also
+die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum
+Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich
+auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus
+erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig.
+Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter
+Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der
+Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch
+eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren
+unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht,
+dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
+Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
+verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
+einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
+senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der
+Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung
+der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse
+an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber
+auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen
+zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine
+Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
+der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
+aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
+Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
+dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass
+der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte;
+weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsruecksichten an die
+Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit,
+jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot,
+dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
+Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
+die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen
+Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
+Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen
+wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
+schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde
+zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den
+kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf
+dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
+Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur
+planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der
+eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
+eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
+klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein
+unuebertroffenes Ideal der Missregierung.
+---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie
+bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei
+Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein
+teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird,
+schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss
+hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten
+Tatsachen. --------------------------------------------------- Es
+konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
+und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die
+Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich
+an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und
+verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch
+Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
+Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und
+wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in
+der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in
+dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und
+sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
+Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht
+und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so
+hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
+Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass
+fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
+der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch
+unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende
+Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die
+Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
+Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne
+und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
+einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
+berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich
+zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
+von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewalt-
+und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war,
+er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
+Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die
+Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass
+in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
+dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
+restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam
+weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen
+Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen
+Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
+Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der
+Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
+Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt,
+Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
+auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
+des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
+verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller,
+sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
+Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht,
+laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als
+Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
+seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege
+ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
+indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein
+wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
+Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor
+allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum
+den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar
+einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten
+Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren,
+wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus
+den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen
+zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu
+fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
+einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter
+Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
+der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese
+ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser
+restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und
+sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf
+die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser
+Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte
+in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels
+als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die
+entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag
+auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend
+charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was
+sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens
+griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie
+das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen,
+und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger
+sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die
+Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische
+Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein
+gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100)
+tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende
+Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die
+Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges
+alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet
+von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass
+gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren
+muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch
+tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war
+eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave
+gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine
+Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven
+frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich
+die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien,
+beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von
+Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung
+betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber
+5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss
+gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war
+in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war,
+ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils
+stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr
+noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in
+Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in
+jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von
+Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft
+die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen
+gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte
+Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich
+unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu
+erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern
+pluenderten Land- und Seepiraten die saemtlichen Landschaften des
+Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die
+Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt
+sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen
+Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt
+bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese
+brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige
+Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die
+Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz
+desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische
+Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den
+roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war
+loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies
+leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den
+asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen
+Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie
+bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3
+Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien
+erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
+f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla
+(App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
+Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
+nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
+(102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die
+Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
+ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf
+Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich,
+denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel,
+dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist
+daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
+der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein
+selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die
+Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
+fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den
+Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die
+ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das
+sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit
+der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62),
+dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.
+---------------------------------------------------- Aber nirgends kam
+die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung
+in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des
+Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie
+zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen.
+Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen
+der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und
+vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten
+waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder
+gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im
+Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht.
+In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf,
+besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch
+von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche
+Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen
+Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden
+kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die
+Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten
+Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache
+der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien
+wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr
+Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben
+nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien
+Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer
+hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung
+setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva,
+in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst
+durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die
+Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen
+immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten
+nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher
+unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich
+terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen
+Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und
+Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren
+haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt
+dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf
+militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm
+der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss
+mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das
+Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven
+durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward
+man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang
+es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu
+schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie
+vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen
+und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische
+Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
+angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
+Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie
+ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den
+Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als
+Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini),
+wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den
+Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon
+von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen
+und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor
+Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
+Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
+wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern,
+da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
+liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
+ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig
+auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
+Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
+sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit
+geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
+retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von
+den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
+erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel
+der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus
+auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben
+wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat
+Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden.
+Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen
+und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen
+Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er
+nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden
+Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein
+organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung
+anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes
+Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden
+Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang
+er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich
+veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig
+fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt
+damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so
+gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier
+wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen
+Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen,
+und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst
+herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche
+sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege
+stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da
+kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt
+wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische
+Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den
+roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu
+drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor
+den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von
+Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend
+des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen,
+sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000
+Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter
+dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte
+Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht
+an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den
+Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon
+musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten
+ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes
+die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann,
+behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden
+war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor
+allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste,
+um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee
+desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche
+Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem
+Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder
+nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere
+Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen
+kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein
+sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode
+(652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an
+der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius
+Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich
+ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges
+uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit
+Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben -
+schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder
+und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch
+Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und
+der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden
+abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst
+unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine
+hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises
+bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern
+beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung
+dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
+Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen
+Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor.
+Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur
+der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war,
+so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in
+Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der
+Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten
+Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die
+die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren
+Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht
+mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden
+Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren
+vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich
+aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das
+Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits
+an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen
+Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste
+ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem
+groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten
+seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende
+altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis
+(Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen
+nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage
+Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach
+Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die
+Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in
+der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse,
+der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt
+regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas
+aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber
+als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen
+Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren,
+fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe
+des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel
+Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger
+Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen
+Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er
+als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen
+erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er
+durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen
+Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu
+adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des
+Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein
+Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden
+Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu
+groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der
+roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb
+Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne
+Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige
+Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in
+die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke
+an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man
+versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige
+vermochten ueber die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen,
+und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort
+zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht.
+Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des
+Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt
+bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte
+Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward
+Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen
+Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien
+Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und
+besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des
+gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die
+seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der
+roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren.
+Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden
+Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr
+von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz,
+eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich
+eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der
+Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne;
+schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale
+Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen
+Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen,
+dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als
+mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas
+Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass
+sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten,
+bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht
+ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal
+seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden
+und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern
+Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem
+Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat
+ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die
+beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
+erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine
+Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
+Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
+Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen
+Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
+stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht
+zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine)
+mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein
+eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche
+Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte
+Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien)
+zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum
+der numidischen Fuersten ist folgender:
+
+---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es
+noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal
+um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum
+Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen
+gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess
+und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha,
+ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg.
+In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig
+geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die
+Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta
+zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter
+als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich
+herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals
+erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene
+Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen
+regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie
+als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse,
+ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme.
+Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst
+heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu
+berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute
+in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als
+im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die
+Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
+Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
+derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den
+Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue
+Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an
+der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen,
+dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen
+genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen.
+In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu
+verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz
+geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die
+Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck
+und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah
+sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen
+Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer
+ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen
+Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt.
+Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
+hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der
+Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen
+(642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die
+Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten
+einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des
+Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten
+die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und
+italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war.
+Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie
+appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle
+Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den
+lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111)
+gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann,
+sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache
+brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung
+ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg
+an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden.
+Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien
+ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter
+seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich
+auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst
+uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer
+Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte,
+am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische
+Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten
+Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung
+einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine
+Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und
+Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das
+roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des
+Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag
+mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit
+den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst
+abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen
+Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben.
+Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte
+nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen
+Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht.
+Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen
+Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch
+der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas
+Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward
+abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt
+und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung
+dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade
+und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich
+ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung
+der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche
+letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch
+Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren.
+Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
+wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war
+zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen
+Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat
+ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er
+wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in
+Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich
+der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
+beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte
+sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht
+als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
+sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in
+Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam
+bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der
+cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum
+hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer
+seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu
+schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der
+Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen
+gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben
+abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
+Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in
+der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
+Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
+seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
+geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs
+Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag,
+meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess
+gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den
+Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens
+so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der
+Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und
+der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein
+das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab
+in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und
+militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war
+die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften,
+ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das
+Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
+nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
+Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im
+Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
+diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies
+spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
+wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts
+zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch
+den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus
+Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen
+Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der
+schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter
+Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
+erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos,
+und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt
+gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn
+zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen
+naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
+Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten,
+eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils
+waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht
+vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug
+des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des
+ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
+Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen
+wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die
+Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den
+kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche
+Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des
+siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche
+Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche
+Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der,
+genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von
+Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag
+des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen
+Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche
+Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen
+Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche
+sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius
+Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen
+Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem
+zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner
+der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse
+einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten
+kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich
+der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer
+Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst
+nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache,
+dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und
+maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er
+eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der
+Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward.
+Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre
+Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem
+numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden
+Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl
+selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte
+zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der
+ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig
+Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit
+der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward
+diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika
+zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen
+vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen
+waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze
+maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein
+starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es
+zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu
+dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische
+Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer,
+weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein
+einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch
+von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen
+Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den
+trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner
+musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und
+verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt
+ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
+Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren
+begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
+und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
+zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt
+hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand
+fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen
+Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des
+Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie
+Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich
+verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
+Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als
+dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
+vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
+mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
+Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
+Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus
+als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden;
+ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische
+Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in
+seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert
+und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als
+wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende
+Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten
+desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern.
+Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem
+Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister;
+Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders
+konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden
+Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte,
+erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem
+Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis
+auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war
+und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in
+der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha
+das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein
+Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken
+auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die
+gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch
+das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den
+Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung
+und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich
+verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die
+schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene
+Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte
+Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement
+unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu
+schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges
+in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den
+Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene
+drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische
+Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese
+sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten
+von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab
+angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte
+den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter
+Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner
+Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer
+bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang
+es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des
+Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen
+verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast
+ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg
+hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk
+gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten
+in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am
+Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger
+und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden
+Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas
+ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die
+unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein
+die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha
+sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim
+und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit
+Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von
+Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und
+Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die
+erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten
+die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig
+geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein
+die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland,
+Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig
+nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers
+gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung
+aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren
+Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von
+Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und
+benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem
+er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu
+bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich
+anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine
+Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische
+Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde
+des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht
+besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder
+des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus
+gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und
+grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern
+lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle
+Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat.
+Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich
+sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen
+ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe
+festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese
+diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten
+allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
+bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
+weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
+beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern
+besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
+roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
+Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen
+Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst
+sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt
+und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage
+nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
+preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und
+verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren,
+wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden
+Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
+den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher
+der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das
+fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt
+werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
+mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie
+war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
+Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der
+sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
+Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
+Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit
+neuer Gewalt wiederzuerwecken?
+------------------------------------------------ 5 In der spannenden und
+geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie
+mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu
+Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107)
+begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die
+Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus
+allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er
+spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete
+(c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat
+auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit
+Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107)
+spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul
+648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des
+Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen.
+Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph.
+epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und
+die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius'
+Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108)
+gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf
+keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm
+Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die
+Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie
+steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf
+Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu
+waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere
+Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss
+stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten
+Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo
+.... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln
+vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante
+uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat
+- oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo
+[ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der
+Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im
+Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends
+stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten
+Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die
+Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen,
+ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer
+zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im
+Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste,
+lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha
+sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern
+seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte
+es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in
+Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward
+erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss
+vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem
+sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den
+wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig
+Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien
+zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man
+damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein
+immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien
+gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg
+gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien,
+dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht
+hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie
+gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf,
+sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas
+Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im
+Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass
+er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden
+hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn
+teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den
+Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha
+und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch
+keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber
+verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt
+worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius
+abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106)
+den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im
+Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm
+zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um
+das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso
+verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des
+tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt
+haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung
+eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde
+der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich
+begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und
+Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber
+von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen
+Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus
+verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis
+Metellus' Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und
+kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr
+647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten.
+Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem
+er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus
+in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen
+Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von
+geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen
+der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen,
+dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie
+moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies
+vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der
+Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte
+Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit,
+die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
+nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern
+ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
+Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
+zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die
+den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen
+Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess
+trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus' Stelle und
+fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die
+zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger
+und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom
+abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum
+mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte;
+er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten
+des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot,
+nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle
+erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den
+Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein
+am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
+belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
+und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
+Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner
+Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf
+angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem
+Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus' Zug in die Wueste durch
+eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese
+Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf
+alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten
+hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt.
+Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des
+Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an
+den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte,
+war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den
+Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn
+ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
+ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
+versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das
+roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich
+eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer
+und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen
+eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein
+leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich
+schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
+entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen.
+Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
+entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend
+der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim
+grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich
+zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit
+groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf
+demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in
+grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die
+ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren
+Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
+warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken
+bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen;
+Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das
+Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich
+begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs
+Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben
+gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich
+aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass
+von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden
+hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte
+zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder
+diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf
+Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man
+einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass
+Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen
+Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig
+bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des
+Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen
+der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs
+Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er
+die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie
+an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als
+unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit
+den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den
+Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig
+nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg
+zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand
+sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er
+auf, geleitet von Koenig Bocchus' Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
+wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
+des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner
+Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt
+durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier
+in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich
+eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben,
+dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem
+eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge
+niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse
+Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius
+Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
+roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der
+Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem
+Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig
+Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
+650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste
+wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten
+Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es
+nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt
+zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es
+liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den
+geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der
+Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
+und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling
+einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
+dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
+brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk
+auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
+darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
+die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
+Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen
+Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber
+die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
+Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen
+Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
+Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius
+den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei
+Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
+militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
+haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
+in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben.
+--------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht
+wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana,
+noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die
+Identifikation mit einer auch heute Thala genannten
+Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet.
+-------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion
+des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen
+politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen
+Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von
+der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine
+roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht
+ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu
+behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer
+zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft
+Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen
+von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz
+Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum
+verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden
+legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen
+Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf
+Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht
+hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika
+als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag
+stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen.
+---------------------------------------------------------------- 8
+Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der
+sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche
+das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit
+Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
+historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden
+Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda
+Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
+79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
+630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen
+die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene
+andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben,
+zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere
+Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
+auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus' Reich
+bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass
+Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis
+(Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
+Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte
+der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern
+vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann
+708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich
+die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei
+der zweiten Vergroesserung hinzugekommen.
+-------------------------------------------------------------- Wichtiger
+als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen
+Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen
+Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen
+worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in
+unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss
+notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den
+regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
+Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
+Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
+seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette,
+mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze
+aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel
+teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns
+der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die
+anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die
+richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen
+eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene
+Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer
+die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der
+restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und
+noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von
+Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche
+Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere
+sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
+Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition
+offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die
+Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich,
+wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre
+645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben,
+das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung
+wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen
+Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte
+nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
+Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
+in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte
+Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
+dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab,
+die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer
+Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug
+war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft
+hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete;
+dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter
+war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser
+Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an
+sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus'
+Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht
+zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus
+dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung,
+geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser
+Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten
+besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere
+Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten
+militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen
+der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den
+Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe
+in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt
+werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am
+wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem
+Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat,
+es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
+Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
+was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war,
+in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
+neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das
+Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht
+in die politische Revolution. Ob Marius' Auftreten unmittelbar die
+Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
+Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche,
+als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere
+Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber
+war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis
+zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie
+Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
+gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der
+Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten
+Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn
+er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion
+gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten
+veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein
+folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie
+ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten
+Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern
+anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten
+als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie
+herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620
+(134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich
+gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert
+aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des
+sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei
+grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden
+Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb
+derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen
+Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens
+die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen
+Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen
+Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der
+oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der
+Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete
+der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des
+politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen,
+was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
+sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen,
+die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
+anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die
+griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass
+sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir
+zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins
+Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers
+seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten,
+treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen
+Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas),
+oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und
+Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu
+den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen
+weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen
+oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten
+ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der
+Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen
+und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen,
+den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen
+Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit
+zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der
+Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende
+Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute
+untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation
+traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von
+Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der
+Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre
+611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser
+Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft
+das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch,
+sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl
+die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage
+begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der
+Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte
+spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie
+Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den
+westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen.
+Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als
+Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als
+Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst
+betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten
+keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen
+seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft
+behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den
+Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner
+2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000
+Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst
+die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend
+in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons)
+den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der
+Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende
+jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des
+Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden
+Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
+Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines
+Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge,
+vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend
+- die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von
+1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs
+Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos.
+In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen
+Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem
+Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation
+gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunaechst nicht auf die
+Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den
+Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit
+nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der
+keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden
+war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder
+Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre
+noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso
+sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die
+Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
+Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer,
+Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen,
+aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
+nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang
+Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
+ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem
+Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig
+Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
+Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen
+mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als
+die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
+anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur
+Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
+erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer.
+Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
+Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um
+in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
+suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere
+in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
+ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus,
+wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die
+Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie
+die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen
+haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres
+zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
+dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter
+der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
+groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
+ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte
+und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen,
+unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker
+genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung
+des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig
+Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst
+habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in
+treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der
+Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den
+verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben,
+Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache
+gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch
+einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss
+der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die
+Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal
+hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer
+zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und
+die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3.
+------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies
+den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht
+einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl
+nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und
+Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der
+Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare
+Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab.
+4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem
+Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der
+Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von
+Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische
+Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte
+Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils
+dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat.
+7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
+Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus
+triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den
+Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass
+die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden
+haben muss als die gegen die Arverner allein.
+------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser
+militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen
+Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen
+Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern
+abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon
+jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und
+den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht
+den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres
+mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen
+bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa
+(Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser
+Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und
+Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die
+Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur
+Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile
+den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser
+Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in
+gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen
+die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber
+Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich
+verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im
+oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten
+geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die
+zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier
+entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae
+Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich
+an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in
+geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon
+vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen
+Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
+erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
+Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
+Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und
+der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
+Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz
+Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae
+ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab.
+4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen
+1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so
+ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein
+keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches
+Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
+------------------------------------------------------- Die Gracchische
+Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste,
+wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer
+ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie
+Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden
+konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen
+Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier
+sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der
+Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht
+ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene
+Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der
+Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte,
+blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an
+die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte
+die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem
+gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese
+Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie
+im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward
+gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als
+jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische
+Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet
+des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher.
+Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein,
+und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den
+unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen
+wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen
+unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in
+der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und
+Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium
+(an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der
+Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend
+die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren,
+kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne
+daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
+unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen
+bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren
+Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra
+gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen
+Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos;
+allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich
+losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche
+Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von
+Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende
+Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier,
+namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern
+wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale
+Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den
+Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung,
+an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort
+zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich
+gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156)
+ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er
+drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das
+roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599
+(155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft
+sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig.
+Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht
+wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte
+sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan,
+sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten
+zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre
+608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren
+nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5.
+------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten
+in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften
+aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
+------------------------------------------------ Aber ebendiese
+Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft
+gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere
+Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die
+ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen
+Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange
+darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden
+gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher
+den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier
+gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von
+der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft
+darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des
+Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens
+insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen
+Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die
+maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen
+Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit
+suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die
+Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren
+Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen
+und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit
+ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer
+See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und
+Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier,
+deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6.
+Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in
+der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der
+Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre
+Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und
+weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen
+Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin
+gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die
+Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen
+Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich
+ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur
+das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und
+ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt
+und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung
+geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas
+Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den
+Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter
+um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die
+beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler
+Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia
+von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter
+waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen
+Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren
+Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen
+und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch
+in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten
+und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den
+Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die
+roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen
+Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die
+ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf
+und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen
+Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung,
+wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den
+Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren,
+die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die
+urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest
+die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens
+im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
+Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an
+die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
+im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein
+urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
+An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
+Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
+dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
+allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
+Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
+Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit
+die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und
+Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten
+man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das
+feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save.
+Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien
+sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der
+Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der
+Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.
+------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen
+Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten
+die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch
+Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo
+sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h.
+die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie
+"jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht
+im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht,
+kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit
+vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft
+als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als
+Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort
+erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus
+diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen
+deutschen Staemmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100)
+vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten
+umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das
+westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee,
+wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die
+sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten
+aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.
+------------------------------------------ Es waere fuer eine
+kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte
+Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine
+geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den
+Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah,
+genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen
+die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118)
+ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona
+gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius
+Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner
+niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu
+erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den
+Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen
+Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne
+sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
+Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
+Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der
+entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die
+Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte
+mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den
+Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden.
+Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber
+die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
+Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig
+offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
+eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere
+reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
+(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die
+Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral
+noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an
+der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der
+Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen
+Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber
+in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward
+von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
+vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche
+Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul
+Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
+der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich
+eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach
+Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von
+Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
+in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter
+(635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
+Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und
+dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
+sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien,
+Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie
+und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der
+Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht
+unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen
+Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium
+(bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter
+des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539
+(115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg,
+der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten
+Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern
+Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert
+ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies
+nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts
+der Alpen hineingezogen worden waeren.
+----------------------------------------------------------------------
+7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
+so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben)
+bei Victor.
+-----------------------------------------------------------------------
+Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch
+einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
+Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
+deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel
+in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
+(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
+gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit
+seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden
+war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig
+der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals
+ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren
+8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig
+wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre
+darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
+serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer
+vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich
+entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische
+Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius
+(641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste
+roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus
+(644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die
+Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie
+bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das
+roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst
+da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg
+ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11.
+Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien)
+in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die
+erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------
+8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
+(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
+Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
+sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
+erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius,
+mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
+werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben,
+dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre
+Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die
+Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals
+eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus
+Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG
+1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S.
+167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero
+(Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari
+quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die
+fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei
+makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und
+des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius
+und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren,
+so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos
+(Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung
+der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen
+wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die
+Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche
+Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras
+stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen
+Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu
+muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung
+der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben
+verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die
+Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also
+wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung
+hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein
+Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis
+vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum
+Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist
+es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge
+der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat
+gelangt sein kann. -------------------------------------------------
+Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
+Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen
+Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
+Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho,
+die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche
+Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum
+Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den
+Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen.
+Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben
+die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine
+Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von
+Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken
+sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht
+minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der
+Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der
+die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen
+die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
+Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste,
+der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen
+Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
+Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
+gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
+Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil
+Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der
+Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen
+gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen
+selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges
+Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf
+die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher
+Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich
+befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel
+jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine
+Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet,
+wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder
+wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
+kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch
+nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
+ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
+ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
+eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch
+nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere
+Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
+Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das
+Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz
+sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die
+Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
+den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
+Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben,
+die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die
+flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war
+wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die
+italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten,
+sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer
+eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert
+geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch
+einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in
+dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine
+rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx,
+deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die
+metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren
+rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der
+tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art
+der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher
+mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein
+einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf
+machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein
+entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben
+und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
+nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
+Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war
+-, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
+Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern,
+darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann
+wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen
+aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden.
+Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern
+und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen
+und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder
+Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner
+Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie
+viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die
+Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer
+geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art
+angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte
+Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern
+deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
+unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich
+belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
+uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit,
+die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und
+Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
+die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
+vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts
+sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren
+sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in
+der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das
+wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette
+zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
+Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die
+unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
+------------------------------------------------------ ^12 Denn der
+Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse
+Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der
+Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
+nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er
+auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu
+entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies
+heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau,
+namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen,
+durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die
+Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die
+kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen,
+oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre
+Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker
+einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich
+den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius
+Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten
+siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen
+anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten
+Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der
+transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die
+Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet
+der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit
+diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen
+Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese
+Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu
+locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen
+Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten
+und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das
+die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung
+der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen
+Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden.
+Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt
+der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und
+ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage
+abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und
+das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien
+645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius
+Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich
+niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren
+liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig
+geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen,
+welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf
+so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der
+vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum
+Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die
+Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an
+den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und
+beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung
+der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die
+roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe;
+dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier,
+die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu
+leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt,
+gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze
+zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr
+Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter
+Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und
+der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in
+das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer
+unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen,
+liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der
+Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem
+groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische
+Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet
+hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen
+Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten,
+und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer
+die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte,
+Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln
+schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche
+Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in
+Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen
+und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die
+Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise
+truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung,
+voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
+ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes
+da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die
+Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten,
+hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle
+Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und
+das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den
+darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein
+erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider
+die Gold- und Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
+schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden
+und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses
+Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
+beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
+und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den
+Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
+649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an
+einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
+Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
+ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
+Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig
+geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht,
+wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des
+gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
+ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber
+die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich
+bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
+roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre
+ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen
+zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten
+Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul
+seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
+prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein
+dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
+gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
+vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
+roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche
+Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte
+nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer
+verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung
+allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst
+auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem
+Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog
+die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee
+nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem
+ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen
+sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren
+gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten
+hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag
+von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus,
+des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck
+voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen
+zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so
+unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich
+zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
+den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde
+Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der
+Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende
+Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf
+aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen
+Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
+Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung
+und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen
+Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft
+anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
+Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen
+stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen
+Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene
+der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
+dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
+haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
+durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie
+ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in
+ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
+Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die
+Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14
+Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
+---------------------------------------------- Wenn der erstarrte
+Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer
+heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch
+einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so
+reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen
+Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so
+ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere,
+sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben
+Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen
+eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen
+Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr
+der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen;
+allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor
+allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender
+Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz
+in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den
+wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es
+auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es
+wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal
+dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud
+freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich
+mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649
+(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf.
+Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die
+Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum,
+indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter
+Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder
+jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen.
+Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
+mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch
+seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der
+wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der
+tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn
+entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch
+gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um
+seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten
+Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen
+den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille
+Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio
+durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den
+Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen
+war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht
+lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem
+Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr
+Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter
+Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius
+Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
+Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
+trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
+Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
+Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen
+und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische
+Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune
+wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen
+Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die
+Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre
+651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege
+im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene
+Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio
+befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen
+Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15.
+------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des
+Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv.
+ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio
+(6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass
+zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit
+verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio
+gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat
+nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus
+(p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini
+rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei
+Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von
+Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe
+herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das
+Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen
+Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt
+desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage
+[Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer
+ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend
+der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die
+Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
+30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
+wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche
+Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die
+Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die
+ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110).
+Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen
+Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen
+an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
+anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
+der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur
+Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
+part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
+der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
+Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot
+war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu
+ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und
+schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche,
+sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95),
+zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher
+zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als
+Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
+aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
+wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
+Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese
+zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass
+sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
+zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
+hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
+zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
+sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer
+das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien
+naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber
+Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
+diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge
+der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
+Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
+fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill.
+73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht
+entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
+afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
+uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward,
+dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist
+eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie
+(Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als
+sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische,
+ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.
+------------------------------------------------ Wichtiger als diese
+Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg
+jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die
+Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener
+Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war
+zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten
+nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus
+Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus
+Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit
+Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen
+Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens
+gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und
+roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
+genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns
+bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war
+als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
+war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
+Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig
+bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
+weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
+Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an
+die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder,
+dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
+wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio.
+Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als
+einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt
+und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des
+dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in
+dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf
+Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat
+uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn
+gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit
+und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber
+freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit
+dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich
+war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen
+Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar
+Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch
+als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten
+Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
+inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
+Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius
+Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer
+Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha,
+Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen
+italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den
+Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute,
+die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward,
+nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber
+die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den
+tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien,
+als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei
+ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius
+volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam
+zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und
+ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb
+der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer
+gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den
+Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits
+durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme
+und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch
+Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung
+eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren
+Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte -
+die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er
+verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen
+der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651
+(103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen
+Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer
+sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da,
+wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen
+Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an
+der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen
+sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie
+im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher
+Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner
+und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten
+hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
+sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
+ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen
+aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen
+waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen
+Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen
+sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals
+beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit
+dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
+zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
+denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker
+an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
+Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die
+Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
+die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon
+im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die
+neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
+Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische
+Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
+Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone
+ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach
+fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem
+wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in
+die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren
+Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der
+Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager
+an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm
+der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut
+scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der
+Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die
+dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass
+nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
+vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses
+als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne
+anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die
+Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren
+liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren
+der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht
+benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten
+vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und
+folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht
+sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse
+zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die
+Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen
+stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der
+feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
+allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten
+den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche
+Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am
+dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze
+das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht.
+Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen,
+stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war
+ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die
+Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte
+ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen
+roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem
+Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der
+schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie
+begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen;
+unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine
+Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als
+Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr
+sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem
+sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen
+Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten
+(Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16
+Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig
+zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
+ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei
+Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen
+schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von
+Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die
+Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer
+in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652
+(102) gemeint sein kann. ----------------------------------------------
+So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
+standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
+verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in
+das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass
+ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch
+hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
+Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig
+kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
+in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken
+Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf
+das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun
+die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
+panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen
+davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste
+Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte
+Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine
+Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den
+Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume
+und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu
+zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion
+indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und
+bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als
+der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten
+durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich
+durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre
+gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des
+uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf
+das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen
+dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die
+Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im
+Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und
+den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer
+ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr
+bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten,
+blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die
+ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen
+reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl
+sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit
+vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der
+demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen
+Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen
+haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde
+das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in
+der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger
+Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den
+vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000
+Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum
+den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts
+marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu
+ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den
+Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden
+geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer
+wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den
+Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und
+nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das
+Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische
+Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den
+Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel
+fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren
+roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf
+das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward
+ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich
+mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter
+ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die,
+die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf
+dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen
+Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu
+haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen
+der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen,
+verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die
+Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro,
+von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der
+Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen
+Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk
+der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.
+------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl
+getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona
+zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der
+Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache
+Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe
+(Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch
+die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho
+spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer
+geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher
+nach Vercellae als nach Verona.
+--------------------------------------------------- Ueber den Leichen
+haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter,
+ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon
+hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu
+geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms
+Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden
+Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den
+so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch
+gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten
+Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen,
+das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten
+einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien
+- seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch
+die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen
+habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der
+eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er
+kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl
+gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem
+Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der
+zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den
+ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger
+diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom
+errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knuepften, als die
+politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter
+Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast
+wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und
+Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter;
+aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein
+Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher
+von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk
+zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen
+der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es
+knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man
+wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder
+diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen,
+seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit
+zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen
+und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem
+angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften
+viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des
+Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen
+verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum?
+Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und
+vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des
+Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines
+armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals
+arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae
+Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare)
+traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen,
+dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang
+zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als
+Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen
+und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte,
+war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der
+Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios
+Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen
+Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und
+seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares
+Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und
+kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich
+betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den
+damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein
+zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht
+gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen
+Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die
+Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der
+Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen
+Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als
+Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit
+aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie
+zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul
+(648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem
+Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen
+berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101)
+wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung
+des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen
+ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem
+Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen
+Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener
+Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich
+war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen
+eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wieder in brauchbaren
+Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten
+in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im
+kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber
+kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine
+militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen
+koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die
+er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen
+vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen
+gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten
+unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht
+besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein
+Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht
+wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie
+ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat
+sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die
+Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und
+bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha
+mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
+unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
+Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
+Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
+loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
+denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul,
+dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die
+Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie
+- ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein
+abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart
+war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren
+Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten
+Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand
+und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei
+den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
+vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile
+bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
+Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
+Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie
+diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht
+viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb
+der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119)
+durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen
+zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die
+Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen
+nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen,
+sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst
+waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt
+und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die
+Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager
+der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den
+Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst
+vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies
+weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des
+allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
+eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
+(107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
+Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie
+ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den
+verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann
+in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich
+ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er
+der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf
+allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem
+Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch
+seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische
+Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er
+hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den
+Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem
+Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn
+er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos
+von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen
+Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen
+fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser
+taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem
+Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette.
+Marius' Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer
+als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem
+ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition
+kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und
+Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er
+sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und
+Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die
+klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
+Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war
+von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
+brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen,
+seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
+Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
+Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die
+inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen,
+was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare
+Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine
+Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die
+Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die
+Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu
+ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt
+in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300
+Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die
+aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen
+beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen
+Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den
+aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
+Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach
+dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier
+ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen
+in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch
+hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht
+vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger
+ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen
+auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten
+Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der
+Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck,
+teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt
+zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel
+der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden,
+andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein
+militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei,
+die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im
+Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher
+Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614
+(140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre
+Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von
+den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter
+Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch
+als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da
+an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen
+mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der
+Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von
+Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften
+ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen
+sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der
+Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen,
+die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei,
+das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer
+von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer
+Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten
+sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die
+nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die
+Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen
+Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische
+Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein
+konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz
+der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im
+Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem
+Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich
+aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den
+kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer
+die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht
+aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen
+Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu
+kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls
+auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung
+hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen
+der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man
+auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie
+hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegens-
+oder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes
+seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes
+seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen
+gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer
+ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren
+Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung
+entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der
+Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig
+geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen
+Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und
+aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis
+ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
+Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber
+das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
+Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
+bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen
+Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die
+in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen
+Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An
+die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
+zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
+Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
+traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
+sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich
+gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
+Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
+5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
+bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper
+gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die
+Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
+verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
+der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
+Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die
+bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
+Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die
+Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
+gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
+Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen
+Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein
+soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon
+einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte
+Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache
+des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
+bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des
+Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich
+erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben
+zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen
+Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos
+demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der
+berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung
+hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen
+zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von
+Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des
+Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern
+eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese
+Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen
+persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die
+der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt,
+hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lager- und
+Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen.
+Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint
+allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen
+und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
+berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene
+Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es
+ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems
+durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat,
+wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung
+des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
+Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
+eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
+ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor
+allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
+bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit
+seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
+allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
+beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in
+Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
+sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres
+Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und
+gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
+der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu
+heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst
+nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und
+im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem
+Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
+geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen
+auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der
+Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
+wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders
+zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine
+einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
+seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
+Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer
+Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht
+auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er
+spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze
+nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das
+Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren
+sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch
+andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen
+werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie
+in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen
+bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem
+Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da
+riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen
+verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel
+unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die
+seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine
+truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens
+nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen
+Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im
+frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in
+ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten.
+Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und
+abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum
+nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten
+Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war,
+wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass
+nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie
+tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge,
+welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke
+empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes
+griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl
+die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des
+Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke
+fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die
+Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner,
+schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der
+populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und
+selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum
+Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie
+haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche
+Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist
+bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen
+Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch
+die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch
+Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht
+hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging,
+ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu
+widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der
+Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und
+dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot
+sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen
+versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer
+konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg;
+dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des
+Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht
+betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu
+betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhasst
+und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als
+seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz
+der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
+harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius,
+im Hinblick auf Gracchus' leichten und scheinbar fast vollstaendigen
+Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen
+Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem
+nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der
+mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
+Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer
+tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
+wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang
+begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend
+dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
+Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die
+widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die
+Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde.
+Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den
+ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
+war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten,
+kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess
+also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und
+schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der
+Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft
+im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die
+sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine
+Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft
+erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte
+die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder
+zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius
+Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das
+Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer
+als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten
+Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden
+und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische
+Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der
+Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt
+in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und
+vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben,
+der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der
+Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr
+war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der
+Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus
+hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der
+Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus
+nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur
+Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche
+Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und
+beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit
+ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder
+auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an
+Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus
+persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen
+sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu
+aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius
+und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der
+Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige
+Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der
+Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung:
+sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos
+genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester
+Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner
+drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius
+Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
+feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
+gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in
+ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des
+Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung
+als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der
+Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner
+der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
+Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
+gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
+Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er
+hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten
+Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
+aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen
+Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus
+Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen
+Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die
+Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus
+Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia
+aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses,
+war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen
+Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und
+dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei,
+er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum
+Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der
+energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer
+der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig
+und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse
+hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu
+widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten
+Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche
+Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen
+zusammen, und auch schon bei Marius' frueheren Bewerbungen hatte
+wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn
+Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius
+um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia
+um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die
+beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die
+Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er
+konnte, um Marius' und Saturninus' Wahl zu hindern oder doch wenigstens
+jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im
+Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel,
+erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem
+Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken.
+Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar
+auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun
+Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch
+die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus
+Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der
+vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll,
+angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich
+auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul,
+Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht
+Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius
+Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner
+konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu
+setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir
+uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt
+hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen,
+also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt
+in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die
+Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde
+umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die
+drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossen-
+und der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit
+einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende
+zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder
+auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon
+frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte
+^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen
+Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch
+der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des
+karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen
+ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines
+gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert
+worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht
+bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester
+Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen
+Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte
+von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land
+der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung
+der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden
+weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
+von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
+Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen
+Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die
+Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und
+ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus
+sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern
+indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und
+doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien
+einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer
+durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden
+Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu
+befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und
+Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungs-
+und Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur
+Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und
+Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom;
+wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat
+alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der
+sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer
+Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken
+oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden
+Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein
+buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen
+sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus
+den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die
+beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren.
+----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht
+moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten
+Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden
+offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische
+Ackergesetz setzt die Schrift 'De viris illustribus' (73, 1) mit
+Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz
+vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite
+Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaets-
+und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
+(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
+---------------------------------------------- Wenn also das Ziel
+beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt
+hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den
+voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen
+gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem
+Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar
+nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht
+bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich
+gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten
+vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der
+Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem
+Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus'
+Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen
+Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen
+Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward
+der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu
+entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse
+Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den
+Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so
+ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich
+nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
+Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
+ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
+vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen
+Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging
+also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stiessen bei der
+Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies
+im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen
+bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man
+erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
+liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
+dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
+altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
+Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
+ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der
+Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio,
+vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und
+gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem
+Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander.
+Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser
+Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft,
+wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem
+wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze
+zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam,
+ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen
+fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner
+Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid
+abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit
+einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu
+verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn
+und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung
+aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2
+Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106)
+Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um
+oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass
+jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
+nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im
+Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben.
+----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem
+schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert
+erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der
+ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines
+faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als
+von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man
+hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene
+handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr
+bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine
+Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an
+Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des
+Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt;
+dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit
+gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig
+an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen
+noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine
+Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die
+Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse
+Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern
+gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber,
+den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der
+Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus
+Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse
+mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des
+Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe
+und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus'
+erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich
+herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun
+fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige
+Partei war. Es waere Marius' Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe
+dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu
+ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm,
+dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die
+Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen
+intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans
+Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber
+die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das
+wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus,
+wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung
+gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die
+besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine
+Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen.
+Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin
+des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
+Marius' mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
+Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von
+seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig
+leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der
+militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen
+einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
+den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als
+seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen
+konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen
+liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer
+Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen
+und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt
+ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern
+seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem
+anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen
+gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber
+das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie
+er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen
+ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden
+und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes.
+Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage,
+wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze
+geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler
+halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt
+schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein
+Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche
+Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese
+Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert,
+sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen
+dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn
+entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen
+die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft
+verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn
+Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten
+Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten
+die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen.
+Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn
+weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage
+gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung
+sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das
+fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren.
+Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht
+zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher
+Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit
+gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu
+greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen.
+Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99)
+abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl
+Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses
+sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus
+in ihrem Sinne entschieden und Marius' Versuch, den falschen Tiberius
+Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu,
+dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert
+war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus
+eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte
+ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl
+suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel
+zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der
+Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf
+Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem
+Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die
+Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet,
+um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf,
+einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert,
+das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen
+hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft
+ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden
+ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien
+bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus
+Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf
+einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie
+es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur
+Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens -
+den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen
+Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam
+es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand,
+innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang
+war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und
+hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt
+und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl
+fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen
+Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass
+alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen
+sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor
+der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst
+nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend
+das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen
+eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben.
+So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia
+ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil
+und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes.
+ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer
+bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der
+schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen
+hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten,
+die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten
+Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen
+vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere
+Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste,
+dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag
+durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer
+fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war,
+der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und
+vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden
+oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat,
+gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der
+Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und
+vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten
+wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus' gewandter Hand sich
+zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
+oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung
+ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
+jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders
+konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
+denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer
+Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung
+der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich
+656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er
+sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der
+triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge
+zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein
+Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe
+und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen
+werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug
+gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege
+zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner
+Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm
+aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer
+tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in
+seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen
+hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies
+Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur
+sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher
+noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe
+Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung
+des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess.
+Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte
+jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward
+Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen
+verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so
+Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen
+Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere,
+von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht
+ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert.
+Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den
+Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659
+95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und
+lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig
+oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind,
+Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch
+zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung
+an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit
+man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen
+Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte,
+das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend
+und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch
+elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte
+ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass
+die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr
+des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen,
+ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie
+sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten,
+oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von
+ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im
+stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse
+gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen
+waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur
+wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur
+in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre
+die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter
+Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem
+Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und
+der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und
+Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her,
+sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo
+es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen.
+Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des
+ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und
+energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
+auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
+der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet,
+so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen,
+Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung
+der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen
+Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
+Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
+Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker
+war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
+bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das
+Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
+konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand
+kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette;
+den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren
+Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
+eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen
+Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
+mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen;
+wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative
+wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der
+Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte
+es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers
+ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie
+nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese
+Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die
+Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen.
+Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene
+Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich
+auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den
+Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles
+an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der
+Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments,
+war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen
+Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die
+Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalisten-
+und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die
+Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen
+die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden
+Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in
+den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt
+gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und
+eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen
+Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person
+entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola,
+gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul,
+der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit.
+Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und
+gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft
+mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber
+ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein
+ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen
+Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm
+er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und
+Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu
+leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten
+Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er
+diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie
+Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem
+den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die
+Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein
+die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden
+Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht,
+zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen
+Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte
+Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die
+Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden
+kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
+Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines
+gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit,
+den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die
+falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend,
+sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen
+Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der
+Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter
+Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
+angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von
+saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit
+seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch
+uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste,
+aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als
+solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber
+neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel
+nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken.
+Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten,
+seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige
+Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
+aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
+war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig
+betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
+schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen.
+Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen
+ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er
+nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil
+der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber
+jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht
+und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung.
+Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem
+kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst
+das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
+furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus' ahnungsvolles Wort,
+dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt
+sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war
+unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte,
+dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich
+schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich
+empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende
+politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten,
+von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius
+Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und
+Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete
+dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen
+Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt
+und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker
+sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng
+konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem
+Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen
+des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens;
+auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch
+stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter
+sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald
+ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das
+schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens
+ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes
+hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen
+Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten,
+denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als
+eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde
+seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand
+er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner
+Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich
+aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er
+sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten
+Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse
+der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus
+und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der
+Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der
+derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache
+der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit
+verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den
+zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus
+zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese
+entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die
+zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch
+nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und,
+statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen
+Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich
+von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder
+auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte
+zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne
+die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen.
+Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom
+Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher
+zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand
+gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen;
+zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
+schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine
+eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste
+Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu
+berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen.
+Indes Drusus' Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf
+keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln,
+sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte
+ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu
+decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von
+kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte
+noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die
+Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
+Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
+Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
+roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier
+von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und
+ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus' Verfassung
+beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
+Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen
+die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf
+das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die
+Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als
+ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt
+dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie
+zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der
+Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus,
+so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die,
+ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die
+alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und
+Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die
+Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf
+dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde
+militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die
+Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
+mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
+selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht
+wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch
+die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man
+kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch,
+dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur
+Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus'
+eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot
+und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun
+ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender
+Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen
+Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits
+die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch
+zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr
+abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab
+wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflussreichen Italikern
+sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der
+Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen
+politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in
+den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten
+Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den
+Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner
+Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der
+Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die
+beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren
+sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch
+persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen
+Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern
+ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die
+Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens
+der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag,
+den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen,
+vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Acker-
+und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs
+heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils
+der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die
+Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein
+zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen
+Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den
+Getreide- und Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden,
+auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und
+durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz
+bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und
+etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen -
+freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte
+zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker
+abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und
+empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die
+Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen
+anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit
+Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig
+bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte
+den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu
+kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte
+los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf
+offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich
+sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien
+einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen
+berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein
+Tadels- und Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in
+einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen,
+mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu
+drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten
+und angesehensten unter Drusus' Gesinnungsgenossen, der Redner
+Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung
+(September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften
+Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt
+hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber
+Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die
+meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige
+Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest
+auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich
+zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie
+zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen
+verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des
+Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung
+desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen
+der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der
+einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel
+erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte
+sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten
+Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den
+Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff
+des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen,
+und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch.
+Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus
+eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende
+Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde
+seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so
+sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war
+in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte,
+und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
+derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
+Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
+grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
+war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
+tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche
+der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
+reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
+Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen,
+die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden;
+er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah
+alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass
+seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein
+werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die
+Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+Seitdem mit Pyrrhos' Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker
+fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das
+heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat
+in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten
+Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette.
+Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
+Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die
+italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige
+Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
+Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos
+erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
+Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
+indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als
+verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
+nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
+durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen
+Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren
+und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
+hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
+denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen
+Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts
+der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren
+die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst
+abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
+bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
+freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in
+denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich
+erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
+verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen
+die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl
+fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen
+nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der
+Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde
+von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die
+roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den
+besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte,
+hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom
+ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst
+sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden
+Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des
+Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden
+in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die
+Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die
+zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts,
+welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden,
+scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt
+geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der
+standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht
+zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene
+latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet
+wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht
+zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In
+welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum
+Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie
+billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide
+durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden
+jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu
+Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die
+Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig
+gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren
+Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen
+Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische
+Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss
+der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die
+roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen
+Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die
+Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines
+jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen.
+In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein
+Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit
+Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu
+baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden
+ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war.
+Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt
+besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie
+Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier
+Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen
+Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt
+hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte
+zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des
+fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen
+Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und
+ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten
+nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte
+Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers
+einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser
+Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung,
+welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den
+sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht
+verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die
+Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem
+gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie
+beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und
+die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen
+den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der
+italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis
+umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich
+denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden.
+Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft
+sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze
+Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr
+beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit
+der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien
+bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das
+Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom
+sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volks- und Senatbeschluss aus der
+Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige
+wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche
+Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern
+frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt
+als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als
+leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig
+beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher
+Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und
+Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete
+Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte
+an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher
+Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der
+nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter
+Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der
+Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich
+ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht
+als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis
+zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die
+gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft
+konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich
+einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung
+hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte,
+nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu
+werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung
+nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird
+nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den
+Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das
+Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht
+gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass
+die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen
+Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens
+500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei
+einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter
+aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner
+Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache
+oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische
+Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr
+gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die
+schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte
+Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel,
+die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere
+zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die
+Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen
+war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen
+Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung
+zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit
+der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig
+erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten
+Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer
+Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten
+wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen
+Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die
+begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben
+Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von
+ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt
+worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution
+und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden,
+aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
+Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge
+hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
+Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die
+Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
+und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
+man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den
+Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
+sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat
+die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame
+Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
+denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die
+Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
+verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein
+konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte,
+des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit
+Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl
+der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten
+interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker
+zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
+staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
+jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
+vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des
+Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses
+Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
+gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
+verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
+Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
+Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche
+Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
+zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet
+hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des
+Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten
+Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus
+entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
+den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
+Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer
+die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
+Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
+eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
+zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen
+hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer,
+all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene
+zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines
+Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und
+dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer
+Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn
+er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen
+Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es
+doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind,
+wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen
+hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in
+Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats
+seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel
+feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
+ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten
+sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
+Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern,
+musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats
+unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge
+lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte
+Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten
+als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei
+(Herbst 663 91). -----------------------------------------------------
+^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
+entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in
+diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und
+dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
+nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe
+gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer,
+die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab,
+ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
+der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in
+der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst
+die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen,
+hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich
+500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
+Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es
+moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen
+Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging;
+rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was
+nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des
+Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2
+Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich
+schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta
+und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der
+naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den
+Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll,
+wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines
+eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
+ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
+ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will
+ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner
+Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger,
+als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere
+ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen
+Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen
+Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von
+dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift 'Eid des
+Philippus' zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber
+diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch
+bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel
+aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.
+--------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch
+Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen,
+ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser
+konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen
+seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt
+auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur
+die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor
+fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim
+erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu
+wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben,
+sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war
+dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung;
+wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden
+gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen
+als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische
+Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit
+maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung
+das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein
+Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber
+sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt
+in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die
+angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem
+Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war
+hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die
+jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu
+qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja
+allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb
+keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
+das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine
+Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch
+verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
+darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren
+italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht
+unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
+Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
+bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Fest- und
+Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden.
+Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden
+einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum
+dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner,
+an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches
+oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und
+gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen
+wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte,
+dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten
+besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man
+vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und
+die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr
+unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu
+rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher
+Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um
+etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt,
+dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo,
+einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen
+haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den
+Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen
+und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand
+bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen
+still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas
+frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen
+Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit
+prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon
+benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die
+Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius
+und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der
+grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der
+Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu
+ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten
+aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten
+wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als
+gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung
+abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die
+saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe
+gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch
+die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser
+in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den
+Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der
+schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der
+Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt,
+wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen
+Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden
+vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so
+dass bald in ganz Mittel- und Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die
+Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit
+den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend,
+dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und
+Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich
+verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich
+reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der
+Bauern- und ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand
+wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt
+noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es
+auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne
+Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten
+an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna
+fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland
+gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die
+roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten
+fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in
+Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis
+und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien,
+wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege
+die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die
+sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten
+Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und
+mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten
+Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber
+die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit
+gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der
+Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die
+Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine
+ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach
+erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser
+gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch
+keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege,
+auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne
+in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht
+ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei
+grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen,
+noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen
+Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine
+vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung
+gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der
+roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten
+Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den
+Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der
+Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich
+wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und
+jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen
+mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der
+italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die
+Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung
+eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache
+nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder
+Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des
+Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten
+und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere
+Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen
+Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von
+Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten
+Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die
+jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und
+erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien.
+Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der
+senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern
+ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die
+Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem
+gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus
+geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus
+dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen
+den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten
+wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen
+marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig
+Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger
+als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete.
+Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der
+Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen
+Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen;
+die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius,
+Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius
+Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die
+Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch
+Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des
+Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir,
+als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia
+jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen
+des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit
+Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig
+ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts
+als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also
+der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges
+sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere
+Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren.
+In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und
+vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften
+belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem
+Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur
+Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter
+Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und
+Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt
+den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
+Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den
+Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die
+ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt
+in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
+schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in
+offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
+suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
+bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach
+roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen
+italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
+von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
+diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht,
+dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den
+Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen
+und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch
+hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der
+roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen
+Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung
+statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher
+Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren,
+mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie
+in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch
+eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive
+- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie
+zum Beispiel der Konsul- oder Praetortitel des hoechstkommandierenden
+Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege
+vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als
+der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild
+erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur
+darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom
+von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische
+Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen
+Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte,
+wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der
+Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel
+zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend
+aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl
+einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken
+einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von
+einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die
+kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher
+reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie
+hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von
+dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den
+Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke
+des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die
+Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung,
+dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und
+vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie
+in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten
+der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch
+weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten
+vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst
+aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5,
+4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum
+Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die
+Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
+werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist
+wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
+Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige
+Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die
+Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten,
+ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den
+Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den
+Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
+------------------------------------------------- So begann wenige
+Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine
+der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen
+die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden
+grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man
+aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete
+und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in
+Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich
+gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten
+teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den
+schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits
+der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten
+4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer
+Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen
+Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne
+die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an
+Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die
+Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges
+war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig,
+weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu
+Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits
+die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und
+zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu
+verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als
+die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten
+Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in
+zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen
+bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden
+Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus
+Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den
+Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt
+die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als
+Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer
+Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen
+auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber
+zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den
+Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die
+Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen.
+Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius,
+Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare
+Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln
+sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so
+gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg,
+dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden.
+--------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie
+von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr
+zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom
+22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von
+Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen
+Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren
+und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass
+von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren
+aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben
+heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben
+ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen
+die fuenfzehnte Legion nennen.
+---------------------------------------------------- Die Offensive in
+diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der
+Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es
+faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um
+einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die
+Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die
+feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
+Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
+haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen
+Regierung einer- und die lose Verbindung der foederierten Gemeinden
+andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen
+haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und
+Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung;
+nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
+von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald
+kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos
+truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht
+herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den
+insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst
+ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften.
+Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf
+die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier
+trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen
+im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent,
+Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere
+sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem
+die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden
+kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua
+mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die
+bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie
+zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien
+unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen
+zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern
+unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die
+wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie
+die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser
+Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war
+Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung
+sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
+Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
+ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor
+Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten
+Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
+hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste
+Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
+Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum
+einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien
+und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst
+ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an
+der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab
+die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische
+Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet,
+die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
+Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
+zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
+erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
+noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch- lucanischen
+Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars
+Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder
+vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von
+Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen
+Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar
+sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat
+zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische
+Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem
+Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei
+6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den
+in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum
+Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder
+an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee
+bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so
+nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort
+wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen
+des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder
+in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
+einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee
+unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen
+auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und
+der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt
+bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward
+ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu
+bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte
+unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des
+marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee
+der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus
+(Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet
+und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig
+draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den
+unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst
+im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke
+Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr
+entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den
+Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber
+dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von
+ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit
+voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen
+gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an
+der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der
+Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten
+von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung
+genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet
+waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den
+Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen
+blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch
+endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust
+der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang
+und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die
+Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas
+zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als
+Hoechstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens,
+dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald
+darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines
+gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom
+tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich
+empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein
+Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit
+einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern
+zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger
+Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner,
+die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das
+marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich
+sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen
+Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt
+zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur
+Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch
+empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die
+Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte
+zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen
+den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner
+See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das
+picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten.
+Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato
+und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen,
+es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius
+den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und
+Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden
+Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der
+roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die
+Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu
+bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von
+Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er
+selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht
+nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge
+sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die
+Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich
+abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres
+zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen
+und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft
+gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den
+ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne
+etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu
+erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus
+Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier
+indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen
+Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten
+das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste
+Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und
+bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen
+der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen
+geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die
+Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in
+ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele
+Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen
+und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man
+es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom
+zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten
+Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von
+Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie
+Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen,
+dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht
+imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der
+Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an
+der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene
+in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen
+Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich,
+die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu
+setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach
+der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm
+gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der
+Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden,
+als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und
+die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die
+hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu
+bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und
+alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen
+nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen
+Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den
+Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des
+zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch
+nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den
+kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus
+der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen
+des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann
+den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber
+man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn,
+die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz
+gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere
+Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist
+kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber
+nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt,
+nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen,
+sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen
+Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber
+mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben
+wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der
+Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das
+Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des
+von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines
+Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger
+des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an
+allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der
+rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte
+der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben
+Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission
+den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien,
+nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
+Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus
+einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie
+unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche
+Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung
+des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
+Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
+Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die
+Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
+zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen;
+Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
+derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
+Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
+erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde
+zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen
+haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette
+man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite
+zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen
+Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen
+Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein
+freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche
+Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu
+ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen
+Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt
+ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch
+jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in
+widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7
+durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern
+aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht
+Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius
+Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten
+und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm
+gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das
+roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger,
+aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt
+sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie
+die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die
+Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht
+mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf
+das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona
+und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen,
+das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in
+der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche
+latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen
+war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung
+der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen
+Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in
+Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen
+bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
+sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
+eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
+nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu
+sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
+Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige
+Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
+roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
+dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
+welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden
+hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die
+transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich
+vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger- oder
+latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier
+keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung
+der keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung
+bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
+dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
+gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
+Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
+Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische
+Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da
+waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische
+ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege,
+unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664
+(90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
+----------------------------------------- So ansehnlich diese
+Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als
+hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
+roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine
+Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils
+die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten,
+teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen
+herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das
+wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind,
+laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur
+Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen.
+Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen
+Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen
+Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
+latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
+uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband.
+Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen
+Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und
+Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die
+Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken
+trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom
+Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies
+Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht
+hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser
+Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt,
+sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in
+Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige
+Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
+unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser
+Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch
+das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen
+Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem
+die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung
+des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen
+Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese
+Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem
+Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von
+den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen,
+als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die
+Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich
+in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl
+mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen
+Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen
+Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche
+und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der
+Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand
+zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach
+Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man
+seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den
+sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr
+wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem
+er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine
+koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem
+letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber
+glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott
+sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte
+er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren
+Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen
+geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul
+dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien
+gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr
+Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen
+Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit
+so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So
+begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten
+eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen
+Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann
+der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu
+senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte,
+verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten
+zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den
+roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato
+das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben
+vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm
+auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der
+Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte
+sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der
+Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften.
+Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum
+Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde
+Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die
+roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen
+60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang
+es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu
+werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8
+durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung
+der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche
+Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach
+mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah,
+liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft
+unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden
+die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen
+ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die
+uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von
+Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall
+von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten
+aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur
+Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie
+bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang
+der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte
+Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius
+der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer
+zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang
+ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
+musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen
+wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien.
+Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der
+Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser
+ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und
+Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88)
+an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
+bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des
+italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet.
+---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit
+dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der
+"entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift
+entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene
+roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
+jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
+--------------------------------------------- Die roemische Suedarmee,
+welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig
+die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte
+suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert
+(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint
+bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii.
+Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz
+zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch
+Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich
+durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig
+geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten
+Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das
+dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit
+welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt
+wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden
+gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den
+Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte
+Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion
+war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum
+verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie
+unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu
+ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert
+vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der
+Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde
+umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen;
+das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach
+Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft
+Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern
+erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit
+machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung
+der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion
+den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so
+ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben
+hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide
+Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig,
+Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der
+Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung
+gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener
+Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der
+lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden
+ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer
+und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen
+die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends
+drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses
+ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht
+mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas
+geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung
+der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu
+beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische
+Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel
+gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck,
+Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu
+tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften
+aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen
+sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter
+heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass
+die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von
+Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der
+Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich
+eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die
+"Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten
+den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der
+Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte
+sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward
+durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf
+Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und
+neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause
+die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk
+abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische
+Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine
+landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen.
+Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der
+Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien
+noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion
+war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
+---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche
+muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer
+Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten
+festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene
+Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen.
+---------------------------------------------------- Allerdings war
+inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen
+Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten,
+an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das
+naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee
+nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum
+Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben
+Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure
+Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen
+Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte,
+war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit
+dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
+bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die
+Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
+der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem.
+Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
+ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse
+war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung
+einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
+ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der
+seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die
+Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2 Mill. Taler) geloest wurden,
+lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
+gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
+Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen
+Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den
+Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
+voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666
+(88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten
+Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte
+Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders
+von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an
+militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand
+ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen
+genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von
+Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General
+Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war
+als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt
+liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften,
+die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und
+Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus
+Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei
+einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der
+Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in
+der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar
+einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische
+Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte
+man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung
+von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien
+verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
+der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
+unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus'
+Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter
+jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die
+bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie
+zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der
+Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt
+hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
+zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war,
+trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
+kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht
+zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert.
+Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen
+Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
+ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr
+wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
+Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des
+latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
+ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen
+wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das
+Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den
+Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft,
+hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert
+^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie
+bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und
+die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit
+der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste;
+all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden
+Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder
+gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht
+ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn
+somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen
+Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und
+die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in
+ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische
+Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen
+deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern
+durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man
+Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch
+einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines
+Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als
+ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die
+Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber
+von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
+erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus
+unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste
+geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit
+dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern
+geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der
+sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den
+Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er
+sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand
+eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
+---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt
+Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data;
+qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin
+der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data
+est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind
+nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius
+inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden
+und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss
+Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit
+eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis
+cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch
+rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii
+qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren
+Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12;
+Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini
+Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate
+gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede
+Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2)
+und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte
+nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App.
+Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter
+ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine
+Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch
+Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen
+deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende
+(Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und
+nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der
+Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die
+Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren
+Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des
+Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden,
+keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65
+(90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti
+fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber
+unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht
+empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter
+verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle
+Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem
+Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als
+Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die
+Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati
+fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der
+Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.
+--------------------------------------------- Mit diesen Elementen
+politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall
+der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime,
+welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug,
+entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des
+demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne
+Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar
+in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda
+trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der
+militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward
+der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus
+Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem
+Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen;
+und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen,
+durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang
+auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von
+jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend
+aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen
+Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius,
+vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging
+derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes
+nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte
+umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius
+Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die
+Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen
+und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische
+Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen
+Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die
+Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von
+ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden
+Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um
+ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen
+Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten
+Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten
+Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das
+tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und
+instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die
+verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius
+sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in
+priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der
+Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht
+einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in
+den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders
+geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst
+durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger
+an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des
+Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der
+befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des
+starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder
+stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte
+Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die
+Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen
+Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und
+diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler
+sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in
+grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg
+all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft
+gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution.
+Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius
+Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege
+stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde,
+seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie
+Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat
+freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen
+und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu
+gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum
+Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630
+124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt,
+seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als
+seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner
+ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an
+Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines
+Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner
+Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats,
+und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des
+der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den
+Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus.
+Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das
+Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
+abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er,
+wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer
+verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein
+und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
+beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
+Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
+Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus
+zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger
+schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
+seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das
+gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch
+sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen
+Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren;
+und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
+Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es
+heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges
+uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein
+anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte
+er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung
+der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das
+Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich
+verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf
+guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger
+Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der
+Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular
+Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben
+anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich
+mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung
+ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der
+von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs
+die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers
+verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war
+nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen
+Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der
+Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die
+Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der
+Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius
+eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst
+wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den
+gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem
+stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten
+Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann,
+ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte.
+Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel
+herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes
+tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei
+Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber
+an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie
+dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen
+aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu
+liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler
+Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von
+den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die
+Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward -
+womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat
+so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie
+er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den
+herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde.
+Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft
+zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen;
+an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen
+Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen
+zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts
+insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in
+Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der
+Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine
+Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu
+regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch
+die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr
+grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch
+abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung
+abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen.
+Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief
+diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des
+Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes,
+als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um
+das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den
+Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen
+zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering
+sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie
+ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion
+jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet
+aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten
+halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige
+Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
+leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was
+dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen
+auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
+erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
+in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
+realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch
+den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen.
+Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
+bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
+3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern
+aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte
+erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten
+Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu
+gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
+Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche
+religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die
+Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
+Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
+der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
+und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
+soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein
+Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
+angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege
+gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal
+noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
+Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
+Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
+uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
+Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
+Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
+fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet
+in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
+Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
+Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die
+wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
+lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der
+Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
+Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den
+konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu
+werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen
+Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen
+politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und
+seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse
+Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
+keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren
+lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
+beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
+eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
+entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
+Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein,
+dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge
+plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und
+Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden
+konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als
+rach- und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
+stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge
+Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch
+Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische
+Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht
+ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene
+Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
+dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der
+abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
+Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
+Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit
+vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich
+abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des
+Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher
+hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
+kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
+und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune
+in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten
+Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen
+Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem
+groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte
+mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der
+gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in
+welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten
+Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und
+verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden.
+Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen
+uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft
+von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen
+Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu
+welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte.
+Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl
+Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer
+war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des
+Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere
+und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem
+Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
+Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
+Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war,
+der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
+Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
+halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
+Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
+waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom
+angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten,
+dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern
+andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die
+hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich
+zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
+Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien
+einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
+auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
+und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom
+zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs
+seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
+Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
+Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
+Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der
+Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
+Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
+Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
+hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
+innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches
+Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es,
+zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
+berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen
+gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern
+heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
+sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel
+und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die
+Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S.
+Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
+zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden
+Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben
+Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
+Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel
+der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz
+zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor
+Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich
+entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in
+Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
+gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
+Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
+bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern
+nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
+nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese
+Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der
+Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen
+Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen
+Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und
+unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt
+des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die
+konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der
+denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der
+zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt
+triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber
+formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze
+als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine
+namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf
+an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und
+Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei
+Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt
+des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben
+Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in
+voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten
+wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den
+Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage
+durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo
+der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger
+von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien
+die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug
+bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an
+Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut
+Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach
+sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger
+gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung
+des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden
+Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
+Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen
+Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius
+am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in
+den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
+fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde
+von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel,
+ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
+erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das
+Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
+anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man
+dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der
+Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
+Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht
+hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
+sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
+Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie
+liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen
+Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie
+nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer
+den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu
+gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben
+hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um
+sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu
+bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern
+und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina
+(Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla
+seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den
+Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass
+die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen
+Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten,
+veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die
+bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die
+Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die
+Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten
+und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat
+ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl
+natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden
+hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative
+wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung
+der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem
+Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast
+die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der
+im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse
+mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der
+Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht
+Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die
+legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt,
+dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden
+musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen
+konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist
+es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666
+(88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber,
+darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass
+der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das
+zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward.
+------------------------------------------------- Diese durch den
+Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen
+Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei
+aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen
+Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu
+fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende
+Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu
+verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine
+Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr
+konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen
+Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende
+Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten
+Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation
+seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien,
+tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die
+zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen
+hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je
+ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so
+ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt
+und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf
+die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
+Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt
+worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr
+oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu
+sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die
+prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem
+Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich
+geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit
+und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel
+Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen
+Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl
+der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten
+gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung
+zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
+der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte
+in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben
+in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder
+Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen
+und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus
+unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es
+immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich
+das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne
+solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte
+durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die
+Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
+an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den
+Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war
+unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne
+konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
+Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches
+gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte
+durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
+Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war
+eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung
+des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
+aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
+treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf
+samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren
+wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner,
+die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden
+Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius'
+leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und
+wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
+materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden
+darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
+beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen
+Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den
+Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das
+Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666
+(86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status
+quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
+zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess
+aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen
+suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden
+zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus
+in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt
+der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten
+bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
+Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
+guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des
+Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass
+das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie
+widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
+die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen
+sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen
+immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass
+die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert
+hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
+keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils
+in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden,
+teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
+Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm
+auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den
+Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
+Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
+optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
+entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich
+die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
+vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass
+es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit
+Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur
+abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
+Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
+groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch
+Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen
+Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo
+in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser
+der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der
+Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
+hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle
+den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
+erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene
+Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass
+er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
+Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
+strafte. Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
+eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
+abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
+einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach
+Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
+andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
+es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und
+seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung
+wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es
+zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die
+italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten
+und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich -
+ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht
+werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium
+zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus
+Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl
+in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem
+Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87)
+mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel
+Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die
+Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf
+die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die
+Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber
+die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen
+nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen
+Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der
+Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der
+Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch
+kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen
+Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose
+Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen
+Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
+nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
+fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen
+Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
+die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann
+die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
+Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse
+noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten
+mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode
+Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf.
+Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und
+trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem
+haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen
+beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88),
+was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten
+sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im
+Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen
+Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu
+aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst,
+indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais,
+Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der
+koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von
+Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr
+eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die
+hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel
+nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und
+Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich
+dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten
+waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass,
+als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier
+erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu
+ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in
+Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser
+geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden
+Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659
+95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward
+das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die
+kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die
+Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der
+Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen
+setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das
+wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie
+der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer
+Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen
+gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? -
+667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung
+in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen
+Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen
+das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend
+die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig
+sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess,
+erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit
+seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das
+eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche
+oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde
+durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu
+einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils
+die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von
+ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich
+zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften
+zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es
+von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden
+uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand
+die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches
+unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich
+ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche
+Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und
+Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine
+aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte
+dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich
+wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment
+naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die
+mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich
+an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch
+Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die
+Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete
+die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in
+einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette
+daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den
+roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die
+roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der
+Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein
+es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen,
+sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es
+konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen
+Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein
+Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte
+damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator
+(geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher
+Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn,
+im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I.,
+zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden
+entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes,
+der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger
+Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und
+Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters
+Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen
+Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner
+gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend
+gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette
+wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses
+Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann.
+Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche
+Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger
+die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig
+frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber
+auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter
+der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in
+beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch
+wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des
+Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr
+noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild;
+als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten
+Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker
+fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich
+war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd
+traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen;
+aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl
+Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und
+fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in
+den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner
+griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden.
+Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben
+-Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht
+wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der
+hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik,
+das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und
+griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte
+stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner
+Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser
+und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den
+besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im
+Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr
+den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes traegt, ist der
+Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und
+misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf
+seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder
+angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte
+Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter.
+Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen
+Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner
+vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass
+er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen,
+seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen
+Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab.
+Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen
+wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper
+an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf
+von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann
+und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige
+und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine
+Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner
+Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger
+Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel
+diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem
+Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle
+von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in
+der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
+seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner
+Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man
+ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz
+Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch
+erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein
+redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber
+die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers
+zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher
+des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze
+Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
+Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie
+auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im
+Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren
+gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer
+Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien
+zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der
+Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition,
+eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung
+wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen
+Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed
+II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der
+hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen
+Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale
+gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch,
+grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so
+gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein
+unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie
+Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der
+Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in
+den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung
+der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es
+Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern
+zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf
+die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern
+ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt
+hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen
+naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch
+nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die
+Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche
+Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege
+sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
+gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen
+Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der
+nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates
+selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das
+Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die
+Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der
+alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden
+von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des
+Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen
+Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu
+finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge
+gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die
+Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in
+dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den
+Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und
+vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie
+seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun
+des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen
+hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element
+bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht
+ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu
+gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen
+Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster
+Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander
+geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten
+weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt
+sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien
+fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen
+lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren,
+waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten
+der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und
+die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den
+iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und
+der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen
+hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn
+von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und
+phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben
+eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare
+Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich
+ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt
+es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer
+Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten
+Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den
+Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses
+Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der
+durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen
+Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen
+Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden.
+------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch
+angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind
+unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche
+Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG,
+10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen
+Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien
+am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo,
+am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in
+steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder
+gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal
+der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo
+mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die
+bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts-
+und Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches,
+Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als
+haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch
+heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit
+Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu
+Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert.
+Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die
+den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern
+zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in
+Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle
+gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu
+getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und
+wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst
+nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
+sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz
+orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war,
+wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen
+angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
+wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
+Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
+freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen
+Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier
+einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
+vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
+geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
+unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
+ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti)
+mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten
+entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch
+waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten
+huegel- und waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen
+Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer
+Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von
+Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz
+und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger
+anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und
+ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer,
+wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse
+vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der
+Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese
+Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und
+fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben,
+indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit ihren Rossherden
+Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich
+nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach:
+die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer
+aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild
+geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren
+der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen,
+die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen
+Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich,
+von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben,
+Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer
+Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man
+ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen
+sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen
+Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten
+thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
+gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der
+grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
+beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst
+die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
+bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten
+und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz
+standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
+Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
+diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als
+Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau,
+fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des
+Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot,
+als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten
+hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren
+Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die
+Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in
+der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
+Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
+Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
+gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen
+in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
+Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische
+Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der
+Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell
+zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit
+noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia
+und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt
+Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten
+die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des
+Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze
+Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen
+war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
+traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten
+Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
+fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
+Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
+der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
+selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt,
+ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und
+Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit
+der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung
+ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr
+starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils
+wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten
+die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein
+lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt
+uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die
+nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint.
+Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins
+an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt
+lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher
+Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der
+Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe
+zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die
+Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den
+Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die
+Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die
+schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem
+Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt
+sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen
+und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
+--------------------------------------------- 2 Sie sind hier
+zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten
+und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom
+fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und
+eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings
+nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos
+hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos
+zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die
+zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats
+zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus
+der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele
+Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich
+jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt
+erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder
+des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem
+gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
+schuetzten. --------------------------------------------- Diese
+Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm
+des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und
+Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich
+zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias
+geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen
+empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten
+Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier
+versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die
+Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden;
+die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel
+hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt;
+gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
+hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
+umsonst. Mithradates' tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos
+und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern
+fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils
+zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
+Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen
+der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie
+sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
+Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
+seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen
+4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen
+verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer
+Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt,
+das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze
+umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel
+Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die
+Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung
+traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit
+dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
+wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen.
+------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich
+aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos
+(SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die
+Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer,
+Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt
+teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem
+von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende
+Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des
+Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft
+macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
+(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
+westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
+Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos
+ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich
+sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die
+spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch
+die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
+Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben;
+Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die
+als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen
+fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu
+ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen
+zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi)
+des Mithradates. -------------------------------------------------------
+Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
+Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als
+die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen
+Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
+enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab
+dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
+er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der
+Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
+scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
+dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
+die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage
+gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und
+faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken
+zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien
+endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische
+Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich -
+und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche
+als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den
+Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime
+Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien
+anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies
+Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen
+sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates
+besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem
+er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich
+Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem
+Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an
+sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in
+Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es
+hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes
+Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen
+des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen
+Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig
+gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu
+gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide
+Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor
+eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten
+Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters,
+uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die
+unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des
+letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats
+ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der
+baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab
+dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das
+kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie
+in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter
+dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete.
+Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig
+Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen
+Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des
+Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich.
+Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem
+Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier,
+Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor
+allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern.
+Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs,
+Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste
+Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien
+gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit
+600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte
+fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten
+vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht
+beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die
+Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich.
+------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der
+folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa
+scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu
+haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die
+Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig
+Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In
+die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen
+Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in
+Saturninus' erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod.
+631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom
+verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in
+Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut.
+1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.
+---------------------------------------------- Dass der roemische Senat
+seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen
+Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte,
+beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode
+Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem
+Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr
+fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese
+Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber
+nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
+Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante
+Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen
+Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass
+einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht
+entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die
+engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die
+Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens;
+dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer
+unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht
+berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar
+in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel,
+als Schutzherr fast bis an die makedonisch- thrakische Grenze gebot.
+Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das
+hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich
+dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes
+berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar
+fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte.
+Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die
+Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt
+hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch
+der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich
+erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang
+des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
+Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
+geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen
+durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden
+konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs
+Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch
+seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz
+zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den
+seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische
+Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass
+Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit
+war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
+Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen
+die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute
+unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der
+falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso
+sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen
+und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen,
+durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die
+Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt
+ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit
+der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten
+kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck
+vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer
+besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte
+die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden
+vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich,
+den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine
+freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien
+zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der
+asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug
+den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus
+Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach;
+Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und
+der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische
+Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den
+angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner
+Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen
+damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser
+Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und
+den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und
+Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien
+man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung
+der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf
+die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der
+parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz
+zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten.
+Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese
+vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste
+spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick
+hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im
+Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die
+gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen,
+die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens
+zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662
+92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem
+in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom
+Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S.
+51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen
+Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters
+nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet,
+sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam.
+------------------------------------------------- So hiess es; in der
+Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der
+Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig
+Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien,
+Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen
+Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode
+des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III.
+Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger
+Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als
+Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar,
+dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen
+Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder
+offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur
+handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen
+Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch
+Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den
+benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran
+zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
+Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes
+persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
+Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
+Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
+erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
+Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
+und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand
+Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische
+Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
+roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte,
+und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes
+und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
+Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter
+verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern
+keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates
+wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare
+Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer
+in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen
+Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht
+also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick,
+den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius
+in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion
+auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut
+machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr
+664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er
+so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese
+seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der
+Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue,
+dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und
+weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu
+fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und
+hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl
+seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur
+begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger
+Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste
+sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig
+war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder
+beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung
+an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr
+fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht,
+in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch
+egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache
+und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied
+sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu
+versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla
+wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer
+energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut
+wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss
+zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl
+freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt
+es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption
+einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu
+verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen
+ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber
+dies zuzulassen war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung
+nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente
+er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des
+roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen
+Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein
+Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg
+zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte;
+aber selbst als Nikomedes' Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten,
+seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und
+die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch
+unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die
+Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft
+und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung
+gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass
+er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten
+habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen
+Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen
+Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch
+Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan
+hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat
+dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und
+Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch
+wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn
+Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch
+einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen,
+wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung
+von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der
+roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch
+gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
+Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
+militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
+allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien
+fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das
+in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig
+Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen
+sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten
+Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
+Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht,
+sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der
+griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen.
+Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten
+Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und
+beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt
+im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen
+Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich,
+und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man
+hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten
+Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die
+Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens.
+Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der
+Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde
+jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit
+furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische
+Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung
+und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen
+Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht
+unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes
+mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur
+wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps
+gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren.
+Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen
+in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische
+Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern
+das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See
+stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der
+ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich
+die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige
+griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte
+es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold- und
+silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder
+mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen.
+Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese
+buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
+war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
+wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
+einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber
+stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der
+westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
+sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
+den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so
+uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
+wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf
+seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben
+jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine
+anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung
+unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der
+militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge
+des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im
+guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis
+dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes
+hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen,
+wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im
+vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet
+zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen,
+galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter
+Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die
+bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem
+Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An
+einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri),
+stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die
+bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen
+Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene
+Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende
+fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der
+Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden,
+noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich
+ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo
+Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander.
+Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte
+in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn
+wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich
+mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen
+Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise
+Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius
+ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und
+so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die
+roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese
+ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der
+Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte
+Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen
+und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen
+Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander
+mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr
+man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen
+Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen,
+gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich
+untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl
+im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber
+zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten
+auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der
+Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten
+vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward
+ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien
+und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des
+neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
+Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich
+gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
+Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere
+gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
+Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
+Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
+Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges.
+Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt,
+bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
+bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme
+Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
+des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe,
+zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter
+Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn,
+der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
+adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle
+von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und
+demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
+Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters
+zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
+behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass
+hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder,
+zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden
+mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich
+vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend
+wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit
+kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
+Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
+entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
+Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
+vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel
+nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess
+auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten
+waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum
+kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem
+sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie
+faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht
+bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche
+Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische
+Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden
+Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der
+Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt.
+--------------------------------------------------- 7 Die Urheber der
+Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig
+Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode
+dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab.
+--------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des
+Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber
+der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla
+liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete
+sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters,
+Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde
+als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung
+uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als
+pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge
+wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden
+nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch
+Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso
+verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch
+sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des
+Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen,
+die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen;
+wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die
+Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der
+noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln
+waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen
+Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das
+gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der
+Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt
+Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen
+bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere
+Belagerung, bei welcher Mithradates' tuechtigster Offizier Archelaos
+geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien
+entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius,
+wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht
+angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des
+Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor,
+dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden
+und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die
+Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden
+war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie
+das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber
+nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der
+zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
+unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
+den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
+die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit
+auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
+665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
+pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit
+noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den
+makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
+Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
+unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
+sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
+dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm
+maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
+Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die
+Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
+zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
+Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
+Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
+Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte
+der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von
+Mithradates' bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer,
+wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
+roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000
+Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea
+erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen
+Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum
+Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische
+Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius
+Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit
+seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und
+besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass
+der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier
+wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der
+nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser
+Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
+ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling
+Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende
+Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit
+Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig
+Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon
+unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
+dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und
+ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So
+ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine
+pontische Soeldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
+dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen
+auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
+Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach
+Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung
+herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae
+Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen
+Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner
+Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen
+Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667
+88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See,
+dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte,
+einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
+bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der
+roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und
+Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See
+herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische
+Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten
+Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum
+beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und
+furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen
+in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten
+hervorgerufene fuerchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an
+zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft,
+um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion
+voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte
+eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem
+unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die
+Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie
+wir sahen, fuer den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf
+vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt
+des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses
+das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine
+Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei
+nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von
+Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten
+aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens
+30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee,
+war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische
+Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla,
+gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres
+wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der
+Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil
+seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit
+leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not
+fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich
+ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr
+seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem
+Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes
+die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
+Mithradates' Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse
+Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es
+war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche
+Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
+halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der
+rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
+nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren
+Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten
+Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
+Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte
+er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien
+vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
+Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast
+ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
+Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich
+geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang.
+Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien
+und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte
+vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende
+feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
+und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
+und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
+hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert,
+unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn
+sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen
+schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen
+in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das
+schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und
+des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung
+ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft,
+schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab
+und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum
+Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter
+den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
+Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern
+geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
+Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt
+hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht
+imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die
+Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen
+Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen
+zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher
+Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es
+erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der
+Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen
+Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die
+Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt
+ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige
+Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei
+Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die
+Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren
+inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung
+versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre
+redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student,
+sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung
+annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm
+bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum
+noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich
+in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr
+liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die
+angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst
+aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das
+wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre
+herrlichen Toten. ----------------------------------------------------
+8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
+Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet
+ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
+----------------------------------------------------- Ueber den
+Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage
+blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein
+Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
+vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
+Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die
+Eroberung Makedoniens von Mithradates' Statthaltern kuerzlich durch die
+Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
+immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und
+die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
+sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die
+Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu
+Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
+Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
+Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort
+womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
+den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
+Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
+aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
+Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene
+nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um
+Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab.
+Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
+roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten,
+mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen
+vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern
+schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis;
+schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des
+Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer
+die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene
+Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
+militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der
+politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
+Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen
+hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
+abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
+Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in
+Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
+Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess
+sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
+und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
+Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
+Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen
+Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
+seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
+foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes
+aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
+bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
+Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
+rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
+das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit
+einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an
+den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos
+raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch
+Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und
+stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der
+Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl
+zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung,
+vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen.
+Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die
+See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst
+unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der
+Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und
+blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt,
+wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um
+bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben.
+In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen
+die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien
+zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit
+der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der
+griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach
+staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und
+bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei,
+gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig
+fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
+zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
+liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich
+das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen,
+an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und
+Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
+sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
+Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
+herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
+Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach
+die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich
+rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
+anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst
+auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des
+Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum
+Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die
+Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das
+durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft
+bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos
+anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um
+so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer
+mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll
+Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den
+Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande.
+Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was
+wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich
+genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen
+Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich
+bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich
+vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von
+Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte
+einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen
+in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet,
+nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer
+kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben;
+bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste
+Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges
+lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss
+schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte
+sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war
+ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen
+Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing,
+in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er
+in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um
+durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch
+Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen.
+Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt
+ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter
+668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet
+auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische
+Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug
+dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun
+hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die
+ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn
+die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem
+gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es
+in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine
+Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia
+aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos
+nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den
+Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien
+gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die
+bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die
+Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung
+nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der
+Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben,
+mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun
+unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah,
+wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
+Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die
+Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
+sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu
+weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen
+ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind
+vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie
+frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie
+antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und
+ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit
+leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der
+Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben
+fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen
+Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten
+den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu
+buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege:
+Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig
+geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden
+gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla
+Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den
+asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in
+den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen.
+----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser
+Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das
+die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass
+die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die
+Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz
+668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende
+thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest
+des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch
+nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass
+Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug
+auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer
+den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die
+Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von
+Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach
+Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
+-------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die
+kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig
+Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er
+mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen
+seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur
+zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er
+in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei
+der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben
+begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung
+trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln.
+Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die
+Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen
+Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an
+15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos.
+Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab
+erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten
+Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den
+Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich
+fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter
+Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar
+zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten
+Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung
+zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000
+Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in
+Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen
+Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit
+pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen
+Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern
+und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu
+verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an
+Mithradates' eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt,
+allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer
+kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos,
+aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder
+verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in
+solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten
+zum Tode verurteilt. -----------------------------------------------
+^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der
+desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
+Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von
+Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
+Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
+Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft
+(/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg.
+---------------------------------------------- Wenn also der Koenig
+durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen
+sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in
+Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem
+der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren,
+gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen,
+in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine
+werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen
+verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen.
+Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen
+und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und
+Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios
+den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee
+durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge
+passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den
+Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten
+die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten
+Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich
+geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria,
+welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das
+auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus
+ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit
+Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten
+Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem
+befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen,
+ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum
+warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig
+hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls
+dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger
+General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos
+westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der
+als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war,
+vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch
+diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz,
+jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb
+und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um
+dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte
+in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm
+die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat
+war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der
+Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates' Lage bedraengt
+genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien
+gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer
+eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht.
+Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen
+Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und
+bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die
+inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an
+sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem
+Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den
+sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu
+unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des
+ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden
+mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der
+roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates
+ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine
+Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer
+General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind
+standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen
+Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an
+Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine
+Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen,
+der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler
+entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach
+Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und
+dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu
+gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen
+der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der
+asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen
+Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an
+und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so
+nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die
+im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea
+gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen
+Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die
+vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern,
+aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht
+hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm
+noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens,
+Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der
+Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des
+Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte,
+endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten
+mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die
+nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt,
+den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien
+zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl
+Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen
+gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen,
+schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine
+Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war.
+Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb
+ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11.
+Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel
+erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen
+die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus
+den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein
+Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer
+auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien
+einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm
+weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt
+durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen
+Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits
+angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit
+benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder
+zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich
+Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen,
+um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien
+stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont.
+Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die
+widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er
+spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens
+scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit
+nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu
+fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften.
+Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische
+Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der
+an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten,
+der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien
+unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien
+zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine
+Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die
+politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in
+peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen
+sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die
+Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg
+gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg
+gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres
+gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich
+offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die
+Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet
+schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden
+Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es
+schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der
+in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe
+nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu
+unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu
+Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von
+der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach
+Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit
+dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu
+vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand,
+um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu
+machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von
+Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in
+Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den
+Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er
+bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
+demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl,
+Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen
+mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren
+unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
+wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten
+die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den
+geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende
+abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
+erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich,
+ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung
+zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
+statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren
+zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in
+sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben
+sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige
+Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas.
+----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass
+Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden
+Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem
+Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt
+auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des
+Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen
+benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten
+Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses
+von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im
+Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
+Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf
+er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem
+Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens,
+seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine
+Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer
+Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
+Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den
+noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
+darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland
+zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer
+mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
+Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
+Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
+Leute. Nach Ardasches' Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die
+Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das
+armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
+uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag
+(Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
+Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte
+man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von
+bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier
+verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne
+Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich
+durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und
+namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz
+ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt.
+Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht
+aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils
+die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
+fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen
+Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
+Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
+Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
+okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
+orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der
+unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren,
+sie noch staerker zu trueben.
+--------------------------------------------------- Sulla beschloss,
+diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht
+traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange
+in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando
+ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien
+uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die
+revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven
+und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine
+Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
+durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets
+unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit
+dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
+Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
+Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten
+Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die
+saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und
+Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine
+Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
+zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die
+Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
+sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
+fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch
+gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht
+ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph
+aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
+belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
+Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich
+belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
+Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier
+fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame
+Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften
+Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und
+Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien
+hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt
+und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
+freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
+koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
+nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
+beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die
+Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war
+man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein
+Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein
+einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des
+Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft
+befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend
+sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem
+Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen
+durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er
+gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm
+gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken.
+Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem
+reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen
+entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von
+Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo
+die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu
+fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege
+in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts
+zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden
+Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren
+Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im
+Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt
+worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem
+mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen
+Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der
+Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz
+oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die
+Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch
+erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen
+des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des
+Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten,
+soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust
+ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der
+herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten
+Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die
+Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit
+den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und
+Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze.
+Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand
+es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige
+Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen.
+Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung
+Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich
+geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
+Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
+sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser
+Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen
+gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte;
+groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie
+alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder
+minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten
+Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der
+Konsul- und Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die
+Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius
+Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er
+als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die
+Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir
+weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers
+in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine
+andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
+geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht
+gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen
+ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des
+Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich
+aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger
+charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen
+Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der
+Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein
+der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging
+nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter
+ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die
+hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder
+ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint
+in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu
+sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen
+Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den
+Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug
+ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
+erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe,
+so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische
+Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
+Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder
+Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
+Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in
+die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art
+nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der
+Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
+einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten
+aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul,
+nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand
+der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna,
+unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die
+Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die
+Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie
+enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und
+der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die
+Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten
+in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der
+Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner
+einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die
+Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
+gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
+Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils
+bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
+Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die
+Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter
+Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht
+bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der
+Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter
+Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
+diesem "Octaviustag", wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
+schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
+durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war
+ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb
+den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen
+die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren
+gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr
+loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des
+Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande
+Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht
+der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern
+aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der
+Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
+Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht
+ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass
+die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich
+vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter
+herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen
+Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur
+Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren,
+zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger
+gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert
+erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden
+Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten
+ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und
+Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee
+von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer
+gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende
+Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen
+Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius,
+aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen,
+machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen
+Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes
+wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des
+Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das
+kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm
+Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von
+den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden
+herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens
+aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu.
+Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren
+die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste
+gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils
+Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius
+Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte
+Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in
+denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit
+einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit
+zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und
+die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang
+herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000
+Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die
+sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden
+Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul"
+Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten;
+die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der
+allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die
+Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso
+jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem
+Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten
+nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See
+mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt
+zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz
+die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des
+Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten;
+Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er
+erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner
+starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die
+noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein
+dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es
+geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna
+mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer
+dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber
+gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf
+drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
+Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt
+sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel
+der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem
+Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
+schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in
+grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in
+Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum
+befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen
+gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna
+insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet;
+ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und
+die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius
+durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das
+Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die
+Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es,
+dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern
+anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine
+Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung
+und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis
+des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des
+Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht
+geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme
+zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an
+dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die
+die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst
+hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht
+verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen,
+dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines
+grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt
+hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar
+tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was
+in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen
+worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
+Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
+betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann.
+Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu
+einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen
+Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die
+Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
+Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
+und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern
+entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst
+sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst
+in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch
+den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im
+suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
+Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den
+gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
+schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung
+ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella
+in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles
+bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre!
+-und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte.
+Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die
+Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten
+besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal,
+von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward.
+Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit
+Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und
+namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr
+und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine
+Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von
+Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen
+Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig
+seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die
+gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm
+verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende
+Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die
+Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos
+Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann
+denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und
+ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er
+starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten
+Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch
+die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul
+Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus' Eintreffen und Strabos
+Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
+gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe
+sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief
+erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn
+mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand
+es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
+Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden
+unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze
+der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius,
+sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
+kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu
+bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
+beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem
+Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht
+ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen
+Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser
+sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
+desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter
+und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden
+Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise
+aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass
+der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit
+zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
+konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts
+uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen
+zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem
+Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise
+Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend
+dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so
+griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war,
+irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
+dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
+hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
+aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius,
+ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
+Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende
+Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des
+Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und
+vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als
+bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung
+durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27
+hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist
+des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm
+nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung
+des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach
+Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin.
+nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie
+die Spaeteren es missverstanden haben.
+------------------------------------------------- Die Tore der
+Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber
+Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt
+zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten
+sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen.
+So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen,
+nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner
+der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter
+einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte
+waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder
+Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang
+ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das
+erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den
+Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu
+machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen
+Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange
+saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte
+Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den
+Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und
+Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius
+(Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der
+erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im
+Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung
+Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der
+angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen
+Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden.
+Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider
+seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
+angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
+Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar
+des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
+priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden
+Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
+des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
+herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt
+fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
+hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all
+dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker
+- nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform
+beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er
+die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt
+ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er
+verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla
+ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die
+Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er
+ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette
+des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal
+durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er
+bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem
+Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte
+abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen,
+namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und
+versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die
+Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam,
+zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
+ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul,
+demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken.
+Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht;
+man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es
+war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
+fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius
+vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
+Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel
+weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
+unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
+Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der
+umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
+an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
+den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem
+alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten
+Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen
+Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte;
+er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er
+trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des
+siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er
+seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er
+wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie
+in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den
+Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen
+ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger,
+stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit
+dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige,
+kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer
+ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel
+vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt
+die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein
+hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen
+wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten
+schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er
+eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen,
+was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis
+ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa
+keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode
+des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde
+von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar
+kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten;
+so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den
+Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei
+dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
+verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus
+Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von
+der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie
+er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden
+lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem
+Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen
+zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen
+und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich
+niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis
+gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670
+87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch
+regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es
+war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit
+absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der
+Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt
+in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit
+hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu
+nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere.
+Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst
+beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht
+mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe
+durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen
+(670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche
+Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine
+seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen
+Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91)
+hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu
+verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als
+Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die
+von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen
+um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen -
+so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten
+Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so
+wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von
+Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671
+(83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus
+der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten
+Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der
+Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven
+waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme
+vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das
+Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein
+verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste
+den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch
+zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte
+an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs
+empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des
+Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess
+sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
+Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische
+Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche
+Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
+betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
+blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
+nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
+zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass
+dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus
+den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich
+auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime
+Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
+sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er
+blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine
+zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung
+der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und
+Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren
+Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz
+hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war
+ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch
+groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen
+Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als
+die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten
+Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation
+insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend
+doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und
+ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende
+dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger
+endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo
+nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie.
+Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
+Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
+Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch,
+diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus
+Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen
+Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen
+in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich
+untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung,
+Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats;
+somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz
+Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich
+Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und
+nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier
+eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen
+Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die
+Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden
+entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus,
+Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in
+Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich
+war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so
+waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch
+auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln
+nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius
+Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius' Tode das Konsulat
+und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat
+noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber
+unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach
+schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass
+Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach
+Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich
+selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden
+geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla
+den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen;
+jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die
+Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien
+ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten;
+Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die
+Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna
+aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan
+hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine
+Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss
+er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits
+weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt
+zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche
+Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des
+aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende
+Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien
+einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum
+Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die
+Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht
+selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als
+Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
+Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht
+geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
+Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert.
+Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern,
+sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
+Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen
+Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen
+Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer
+Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt
+sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das
+Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in
+Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere
+Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur
+die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen
+niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche
+dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste
+diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes
+abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
+veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
+bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis
+dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
+Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten,
+von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
+und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als
+politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
+Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
+Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
+wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und
+einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
+Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum
+Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel,
+benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
+gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei
+Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
+gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4
+Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
+ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
+juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
+die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
+rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass
+dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus
+geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
+genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
+notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
+Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat
+in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein,
+da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon
+tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den
+Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten
+nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und
+also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und
+der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in
+Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius
+Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
+--------------------------------------------- Gegen diese italische
+Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf
+Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im
+Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen
+mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in
+Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt
+und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei,
+Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts
+verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den
+Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
+jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei
+die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
+Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die
+Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten,
+und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
+Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
+Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
+doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen
+bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
+zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten
+fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
+gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
+oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
+gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
+Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
+lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
+den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die
+Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
+und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei
+charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand,
+waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine
+Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
+bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert
+war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung
+behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er
+irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen
+und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der
+weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen
+Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
+Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
+gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen;
+im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
+revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung
+in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu
+schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern
+begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern
+die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von
+jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was
+indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
+scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
+darin, dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubuerger
+allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch
+daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten
+nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit
+seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf
+die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln
+unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht
+vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung
+dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die
+Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen
+suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen
+zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche
+Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General
+die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien.
+Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und
+hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von
+allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das
+Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich
+gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege
+Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm
+aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit
+einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten
+freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und
+geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren
+bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten
+retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven
+zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem
+demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene
+Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige
+Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und
+unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste
+Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz
+Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia
+und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt;
+selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von
+Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung
+im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der
+Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen
+Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus
+aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung
+anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward
+ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution
+getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage
+auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater
+wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines
+sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die
+Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus
+Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den
+oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die
+Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte
+Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die
+besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo)
+die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern
+bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche
+grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte
+sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht
+dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im
+Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind
+einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
+den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion
+ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
+Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter
+denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
+entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie
+es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn
+als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden
+und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den
+Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
+vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht,
+der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit
+eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen.
+--------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier
+gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers,
+im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren
+konnte. --------------------------------------------- Also moralisch
+und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach
+Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach
+Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es
+schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls
+Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit
+allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee
+rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie
+eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter
+Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man
+an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
+kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom
+Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
+ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
+revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess
+dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
+schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
+diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen;
+statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich
+aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden,
+und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand.
+Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden;
+es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein;
+ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen
+die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts,
+beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat,
+persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon
+war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um
+die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die
+Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit
+Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim
+Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als
+zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem
+gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die
+so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den
+Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und
+der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand,
+dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen
+Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene
+schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden
+Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul
+auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem
+Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein
+kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde
+wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes
+weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen
+Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch,
+mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter
+ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla
+die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der
+einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee.
+Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren
+zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit
+ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen
+politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn
+der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug
+sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten
+Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der
+Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat
+uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male
+und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann
+gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig
+wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser
+und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde
+angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in
+seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu
+fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen
+Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war,
+erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber
+4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig
+waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder
+freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft
+betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich
+waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf
+den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl
+sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so
+leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen
+Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen
+die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus
+den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man
+daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt
+faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so
+gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum
+erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der
+Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg
+so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man
+stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um
+den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen.
+Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz
+anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine
+Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die
+Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug
+des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und
+gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide
+weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas
+Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man
+im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte
+sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische
+Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von
+Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf
+Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium
+begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit
+Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten
+"Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen
+dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer
+war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher
+Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die
+wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen
+hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem
+alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der
+Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die
+Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der
+Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des
+Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu
+suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte,
+unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten
+Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher
+aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei
+niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des
+Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem
+Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der
+Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen.
+Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch
+noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius,
+der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius
+Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der
+Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden
+besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius
+Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola,
+der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend
+der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut
+anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah
+die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die
+Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius' aufgeloeste
+Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba
+und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der
+Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor
+Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia,
+zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der
+festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie
+einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von
+verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
+Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
+nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen
+und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
+Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
+zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen
+Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen
+Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte
+diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee
+herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein
+auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
+Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische
+Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
+und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
+Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene
+Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius
+Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden
+Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
+Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
+begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
+Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von
+Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende.
+Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt
+bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das
+auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
+liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines
+Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
+Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen
+auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei
+Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
+Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
+aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
+Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei
+Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend
+bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm
+entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung
+im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht
+mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
+zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
+endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
+Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
+Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich
+guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser
+Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle
+ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
+Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
+sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
+sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte.
+Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
+Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen
+ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und
+Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer
+nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
+Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
+Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass
+der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua
+noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
+und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
+selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach
+Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine
+wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
+Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
+vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
+unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
+gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte.
+Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
+kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
+Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des
+Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und
+ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen
+Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
+spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an;
+die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung
+seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf
+die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
+schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
+Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
+Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut,
+indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem
+Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt
+schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
+Vorraeten und Kassen geriet in Metellus' Gewalt; Norbanus schiffte nach
+Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
+das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten
+sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
+Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
+Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
+ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch
+heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die
+im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der
+Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden
+sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen
+und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte
+inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte
+heran. Carrinas' Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung
+zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien
+beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in
+wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
+Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von
+Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
+Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit
+verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch
+diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten,
+so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
+geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
+ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich
+auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach
+Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und
+vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was
+Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die
+Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten,
+in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt
+als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas,
+Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine
+Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der
+20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der
+Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich
+gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in
+der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die
+Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme
+Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige
+Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht
+vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom,
+gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden
+Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen
+seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der
+Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor
+dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine
+Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch
+erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog,
+was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten
+Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der
+linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die
+Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen;
+schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht
+verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den
+Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel
+wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits
+ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den
+folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von
+3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten,
+setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer
+die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben.
+Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl,
+darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten
+Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das
+staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den
+letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona,
+wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der
+Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche
+Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht
+gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben,
+wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft
+hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit
+vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
+eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen.
+--------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet,
+dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich
+war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm
+als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand
+Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten
+herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall
+kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf
+der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
+------------------------------------------------- Damit war der Krieg in
+der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als
+die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer
+Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der
+Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein
+Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern
+Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus
+darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten
+lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis
+zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt
+hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und
+Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen
+Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und
+Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die
+roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten
+wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert.
+Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht
+uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster
+Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als
+Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich
+untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
+die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
+frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig
+aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
+Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch
+uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
+hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
+seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
+er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen
+Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte
+der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
+und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse;
+und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen
+in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
+Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
+(674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die
+Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
+in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in
+Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus
+den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich
+sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann
+von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
+Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
+nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
+freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
+Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und
+steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen
+Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation
+abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
+verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt;
+unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam
+die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition.
+----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name
+kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich
+verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
+------------------------------------------------------ Noch gab es
+in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der
+revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus
+entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete
+geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa
+schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs
+verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter
+Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die
+Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen
+Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche
+zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder
+bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
+unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch
+brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
+er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die
+Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute
+von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und
+mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
+nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas
+Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm
+daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die
+Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime
+Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten
+zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
+demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und
+aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
+gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
+zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach
+Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
+sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius
+Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der
+jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die
+Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch
+erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen
+seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich
+verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu
+behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen
+und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht,
+vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln,
+nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf
+hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus
+focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte,
+und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus
+Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120
+Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne
+Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach
+Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob;
+Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul
+Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu
+fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von
+ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker
+zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika,
+schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht
+unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren
+Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig
+ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager.
+So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den
+Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen
+und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt;
+eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine
+Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal
+untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
+roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius' Landung
+in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
+aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph
+gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter
+dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
+heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
+afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
+Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen
+Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator
+(12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
+diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht
+nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten
+hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht
+geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung
+einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen
+blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius
+Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich
+Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
+eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile
+war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig
+Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach
+dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen
+erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
+beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum
+Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und
+ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
+Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
+Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom
+gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates
+noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen
+nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
+Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies
+vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In
+der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein
+er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das
+unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit
+Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer
+festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam
+und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust
+bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die
+roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
+zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den
+Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und
+eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
+weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
+(673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer
+verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer
+Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute
+Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige
+Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der
+Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen
+und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war
+schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte,
+ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des
+Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen
+war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
+Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen
+vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die
+Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen
+Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671
+(83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge
+Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont
+hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen
+aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes
+der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte
+eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte
+doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich
+hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass
+jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen
+werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem
+Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur
+Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung
+aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein
+Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht
+vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die
+Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht
+hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes
+Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige
+kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende
+Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt,
+nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte,
+war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und
+Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig
+das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen
+Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit
+Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine
+Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den
+Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
+Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
+Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
+leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff,
+wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst
+ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser
+als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
+Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils
+umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das
+Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen
+Repressiv- und Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der
+Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden
+systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon
+nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und
+der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war
+er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen
+entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen
+auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul,
+sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer
+Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den
+verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen
+Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In
+einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm
+unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines
+einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes
+zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe
+zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter
+den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der
+Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater,
+als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft
+den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die
+Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und
+Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht
+erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und
+letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken
+zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu
+verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden,
+ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das
+hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
+Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft
+den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden
+solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies
+ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben
+es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste
+Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
+sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
+nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
+die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
+Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
+Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem
+bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten
+als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
+"Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens",
+wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
+ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation
+an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche
+Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem
+der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als
+ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit
+unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
+tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
+verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
+Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet
+eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum,
+das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft,
+einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
+Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein
+Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich
+ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie
+die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine
+vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte.
+So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den
+in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
+musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
+der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
+andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
+letzten Siege der Oligarchie. ----------------------------------------
+^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
+---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige
+und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht
+gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich
+unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff
+er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine
+Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war
+an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war,
+konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein
+Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische
+Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
+war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der
+Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde
+aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn
+persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
+Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper
+seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er
+dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
+freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu
+bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
+zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
+kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
+in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
+es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern
+nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
+abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
+der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
+war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar
+nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
+saemtliche Zivil- und Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
+zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer
+die Revolution taetig gewesen waeren, und von den uebrigen Buergern
+diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten.
+Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der
+Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
+auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600
+Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der
+naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der
+Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
+Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch
+aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
+senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten
+Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen
+derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch
+hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die
+Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
+Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
+aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
+und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der
+Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den
+Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr
+diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
+Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit
+der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
+der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
+sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
+der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
+Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und
+die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege
+ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen
+Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus
+Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen
+Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der
+Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern
+hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner
+hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der
+in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine
+Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und
+wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis,
+in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu
+duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen
+Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da
+wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der
+getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator
+befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten
+Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer
+Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl,
+zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses
+oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die
+Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber
+die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen
+spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa
+sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste
+verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die
+schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten,
+die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen -
+"Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns
+die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter
+totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten
+viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war
+es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden,
+und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck
+die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war
+ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei,
+nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem
+Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder
+Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die
+Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein
+Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum,
+einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius
+Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in
+das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als
+Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und
+seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage
+bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten
+und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene
+Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres
+Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht,
+die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden
+bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei
+mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
+------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl
+gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von
+Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige
+hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ.
+3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den
+ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen
+580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist
+ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss
+Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang
+offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als
+von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90
+Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt,
+die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt.
+Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus
+Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95),
+Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666
+(88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius
+Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672
+(85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius
+Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio,
+verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9)
+und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Buergerkrieg weggerafft
+(consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier,
+200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen
+Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99),
+Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89),
+teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius
+Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer
+dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns
+nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind
+drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht
+Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
+gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
+Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
+Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
+willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen
+Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer
+Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus.
+---------------------------------------------------------- In aehnlicher
+Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen
+Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen
+Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig
+sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den
+obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu
+vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte,
+die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur
+Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich
+selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere
+ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene
+und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den
+Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer
+seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern)
+fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner
+Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10
+Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und
+gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der
+Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und
+Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes
+betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger
+als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang
+dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden
+Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein
+fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung
+mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das
+freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt.
+Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als
+das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute
+seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man
+moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft
+notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben
+oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das
+Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und
+gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien
+das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden
+Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse
+Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen
+alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden
+Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch
+fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer
+italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die
+Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen
+Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren
+und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte
+Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis
+wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine
+grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren
+Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden
+mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung
+der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser
+Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die
+einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt
+durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze
+Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie
+zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte,
+Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit
+erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen,
+Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den
+hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
+Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
+allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
+Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
+oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit
+Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
+Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
+das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
+latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
+Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
+gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des
+Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich
+von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
+Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
+diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
+In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste
+und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
+Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift.
+Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
+Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen
+Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium.
+Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen,
+zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums
+Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern
+das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die
+ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die
+Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.
+--------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch
+die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst
+regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer
+bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss,
+hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen
+und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes
+Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die
+Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch
+nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann
+als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen
+Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern
+oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren.
+----------------------------------------------- Diese Anordnungen
+ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen
+Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur
+Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die
+roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der
+straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte
+sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen.
+Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel
+nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter
+andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium
+wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten.
+Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise,
+so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde
+hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der
+verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch
+einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der
+Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere,
+wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt
+blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber
+jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach
+Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser
+Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er
+damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den
+Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen
+zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die
+Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der
+ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer
+Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm
+hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der
+Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten
+gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich
+seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze
+Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht
+mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die
+Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften
+konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die
+aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der
+Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen
+Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der
+Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das
+freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut.
+Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der
+sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den
+Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben
+sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer
+des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen
+die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen
+Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die
+Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000
+der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt
+freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an
+die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war,
+sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den
+staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
+der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese
+ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie
+lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen
+mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln
+greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in
+Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher
+ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das
+dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie
+musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so
+konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
+nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre
+hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
+Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
+ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
+Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht
+der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige
+Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger;
+Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten
+und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
+Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
+Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der
+Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
+Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen
+Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der
+Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
+eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
+sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
+schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her.
+Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
+einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit
+laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die
+Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher
+durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
+Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
+hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen
+und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als
+einzig privilegierter Stand auftreten.
+------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage
+der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die
+Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft
+massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in
+vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung
+der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc.
+14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten
+Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano)
+gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad
+Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus
+den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6
+Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
+ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische
+Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch,
+Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber
+dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
+---------------------------------------------- Vor allem musste zu
+diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig
+gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren
+furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die
+Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular
+Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
+machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies
+ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der
+reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
+Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise
+ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
+aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie,
+wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der
+senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
+durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die
+Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
+andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
+den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
+und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
+kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an
+welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
+Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
+oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
+Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner
+sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
+beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
+tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab,
+dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet
+an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu
+ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den
+Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr
+in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den
+von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter
+Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft
+ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren
+ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der
+Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht
+viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch
+betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8
+was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen
+stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner
+sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren
+ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf
+den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl
+gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit
+genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des
+Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten
+bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten
+befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur
+eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich
+zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
+entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde,
+auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis
+der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen
+zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
+einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
+Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt
+ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch
+deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die
+Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme
+gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert.
+------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren
+bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487
+(267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaer-
+und vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten
+Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in
+Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die
+Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst
+der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein
+wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien
+zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn
+Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten
+dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen
+und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft
+worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging,
+die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr
+quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann
+selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in
+dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor
+Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der
+Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch
+die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten,
+so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu,
+die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein
+kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren,
+als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass
+Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht
+war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von
+durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer
+der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark
+besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder
+anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich
+der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen
+Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie
+sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen
+gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der
+formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien
+es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren,
+aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu
+verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der
+geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
+Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
+damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
+schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die
+doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte,
+wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden
+Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die
+legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch
+nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
+das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
+Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
+konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder
+zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu
+sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen,
+deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr
+aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration
+aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
+Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von
+650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt
+dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen
+Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von
+Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung
+in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich
+der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der
+bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue
+Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine
+wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja
+gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der
+Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass
+Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung
+jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig
+betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien,
+sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss
+der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden
+wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines
+jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft;
+ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die
+Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet
+haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen.
+Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach
+vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch
+fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen
+Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung
+zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen
+Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten;
+mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten
+ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder
+Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342)
+aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und
+suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer
+die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte
+ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die
+hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei
+Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren.
+Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich
+geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das
+dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment
+unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und
+stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger
+und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
+Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
+Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu
+veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
+Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts
+eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende
+Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
+Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
+insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
+teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch
+den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten;
+sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem
+Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde
+hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur
+Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung,
+die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die
+altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der
+Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat
+einer- und die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar
+erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie,
+der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und
+aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe
+festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung
+zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur
+Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs
+und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum
+irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich
+sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die
+jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am
+bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede
+Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.
+--------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte
+des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus
+exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim
+turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia
+quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das
+Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic.
+leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der
+Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass
+die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen
+Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht
+bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der
+Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem
+Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch
+in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen,
+wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu
+andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden.
+------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur,
+obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren
+Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen
+doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches
+durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen,
+aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an
+die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die
+folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der
+Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt
+derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht
+gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war
+der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich
+nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften,
+und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien,
+Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar
+fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf
+der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden
+hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen
+Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln
+kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen
+nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den
+festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also
+doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung
+der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen
+acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer
+ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht
+militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen
+ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht
+ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor
+zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden
+hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen;
+wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere
+Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel
+aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab,
+also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des
+Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der
+Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was
+dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf
+seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder
+Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss
+des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es
+observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die
+sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die
+Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu
+lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem
+Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando
+zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche
+Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige
+Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen
+aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und
+Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die
+Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen
+Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt
+eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr
+durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch
+das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl
+veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene
+tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen
+Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste,
+als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff
+die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
+Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden
+sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen
+Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
+und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
+Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
+roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein,
+dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder
+prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde
+die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es
+kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern
+abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen.
+Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch
+Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben
+der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr
+fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung
+oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich
+durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr
+fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
+nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
+wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
+Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen
+gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter
+diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor
+allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
+oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
+Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den
+Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu
+uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die
+Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten
+wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine
+qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen
+seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die
+vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-,
+und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte,
+und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von
+einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das
+zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die
+buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch
+die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese
+begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische
+und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig
+sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln,
+der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber
+jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich
+abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung
+der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher
+hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern
+Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Sueditalien
+von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das
+gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge
+bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-,
+latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen
+Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden
+hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch
+dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche
+Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als
+ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet,
+den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem
+Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
+der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland
+diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden
+Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
+konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als
+eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
+der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward,
+stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu
+ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als
+Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die
+beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der
+Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
+- sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln
+oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
+Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
+Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte
+Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls
+in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer
+diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische
+Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen
+und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel
+bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie
+allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat
+et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit
+der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu
+Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber
+nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus
+Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis
+und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen,
+dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus' Praetur 679 (75)
+noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der
+Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium
+hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist
+auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden,
+aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus
+bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch
+nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet
+hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82)
+als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich,
+ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in
+dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die
+fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer
+die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten
+fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter
+Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10,
+14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet
+war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische
+Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere
+Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die
+zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier
+Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte
+jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst
+sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst
+ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu
+allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden
+Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
+Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der
+Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der
+bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
+Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb
+des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
+fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien
+^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das
+umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an
+sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
+sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben;
+die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die
+Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung,
+dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in
+seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe,
+zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte
+Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben
+oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser
+Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der
+Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung
+der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der
+Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius
+zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert;
+wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte,
+dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie
+zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer
+Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung
+hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische
+Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese
+ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung
+der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese
+Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den
+Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung
+nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es
+war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die
+Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor
+ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die
+gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam,
+formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde.
+-------------------------------------------------- ^12 Die italische
+Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht,
+wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen
+Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
+--------------------------------------------------- Dass endlich das
+hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber
+in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon
+bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die
+Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich
+steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward,
+hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der
+Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem
+Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man
+dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden
+Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten,
+wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und
+nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen
+den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre
+hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der
+Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen
+Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren
+zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die
+der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von
+drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach
+der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es
+handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten
+Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot
+befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold
+des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch
+nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse
+nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen
+muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke
+der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die
+befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in
+Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle
+eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden.
+Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
+Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
+Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der
+augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt
+weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
+Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
+als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt
+noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung
+der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
+roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen
+wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um
+in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende
+Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach
+der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die
+Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die
+ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats
+hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der
+Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse,
+durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner
+Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf
+Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle
+uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den
+kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt,
+in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen
+Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie
+die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen
+Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den
+aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen
+erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein
+doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches
+anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder
+Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen
+den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der
+beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein
+von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied.
+Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen
+wichtigen Zivil- oder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere
+Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof
+bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne
+Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
+Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei
+und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen
+im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
+endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheits- und
+der Hundertundfuenf- oder kuerzer der Hundertmaenner fuer den
+Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten
+Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof
+(decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze
+der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung
+des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr
+dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen
+Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen
+Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden
+bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht
+ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem
+Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren
+vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer
+das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung
+aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die
+Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung
+hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die
+Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das
+einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl
+des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien
+gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den
+Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich
+dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr
+betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen
+fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem
+Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung
+des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testaments-
+und Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen,
+namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch
+fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere
+Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla
+entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer
+besonderen Kriminal- und Kriminalprozessordnung versehen worden.
+Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer
+einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise
+wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft,
+namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission
+gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt,
+indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was
+zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie
+schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen
+Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die
+am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl
+anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten
+drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der
+politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der
+Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
+laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische
+Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
+dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen
+Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
+Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte
+Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
+damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
+dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige
+Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem
+Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
+Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische
+Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je
+besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
+einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam
+es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
+nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische
+Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von
+Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die
+Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft
+erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der
+Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung
+der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der
+Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne
+Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg
+gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die
+gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein
+bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen
+Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten
+Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen
+die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen
+mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das
+Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte
+wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt
+der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen
+und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch
+das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen
+roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde
+als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen
+organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens
+kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in
+der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig
+zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus
+ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt
+mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
+Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um
+ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene
+Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht
+erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
+aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen
+Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das
+Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das
+Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus
+ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
+dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
+anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der
+hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien,
+das heisst formell souveraenen Staedten ward die Zivil- oder
+Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
+verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
+entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger
+verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
+Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden
+war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige
+Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war
+schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein
+Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten
+war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch
+entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom
+Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten
+Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen
+Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens
+fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde
+war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen
+Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser
+grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach
+Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich
+die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht
+schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest
+haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein
+Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten
+zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der
+roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde.
+Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen
+latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der
+roemischen gleich ist, die der roemischen altpatrizisch-konsularischen
+Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen
+in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der
+Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an
+die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die
+Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern
+uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird
+verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die
+den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen
+entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf
+Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung
+der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten,
+also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche
+in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit
+zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse
+verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die
+beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien
+priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn.
+Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem
+primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
+diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also
+der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den
+Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische
+Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden
+Taetigkeit der Staats- und der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise
+beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei
+den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
+ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es
+durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz
+Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet
+werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die
+Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine
+foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
+das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben
+wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen,
+im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der
+dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen
+Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
+auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
+Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen
+Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie
+in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen
+Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet
+wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle
+Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin,
+dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende
+Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung
+gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung
+kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden
+Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien
+wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue
+Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem
+Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als
+die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des
+Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob
+schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst
+Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die
+Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint
+zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung
+eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste
+latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht
+kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein-
+und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und
+folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen
+Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat
+allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat,
+das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres
+heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine
+politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die
+gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom
+geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung
+der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen
+Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische
+Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
+zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
+Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den
+Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat
+diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem
+und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das
+Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die
+Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen
+Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf
+diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht
+selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die
+Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand,
+Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin,
+wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen,
+doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das
+roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war
+allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und
+militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia
+nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine
+Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem
+Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an
+sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte
+der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs
+kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius
+Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten;
+einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu
+bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel
+schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn
+deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so
+ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben
+der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen
+Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als
+Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um
+den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um
+alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die
+Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar
+ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab.
+Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen
+spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert
+die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt
+ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden,
+schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste
+Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der
+Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und
+Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug
+seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen,
+unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand.
+Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der
+Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich
+in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das
+Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius
+kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande.
+Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm
+die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute
+sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und
+bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen
+sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er
+dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen
+Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als
+Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz
+niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft
+auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen
+sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des
+Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen
+und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er
+diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch
+uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der
+Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch
+erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren
+hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner
+Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten
+Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender
+Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss
+nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen.
+Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet,
+die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen
+wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von
+anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die
+Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren
+Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung
+der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen,
+der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673
+(81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle
+Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht
+noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere
+Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla
+die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und
+verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus
+Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt,
+aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben
+fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen.
+Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den
+neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch
+zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er
+den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat
+als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald
+nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr
+Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft
+nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit
+dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte,
+auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
+Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen
+ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer
+festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk
+der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser
+Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle
+freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete,
+seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft
+aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles
+schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den
+Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor
+acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die
+Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig
+zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die
+Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der
+Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen
+eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein
+Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder
+leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein
+schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt,
+dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters
+Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem
+der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann
+der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten.
+Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem
+Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den
+minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte
+er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse,
+welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu
+gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war
+er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad;
+vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und
+den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber
+seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte.
+Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
+Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn
+er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der
+Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine
+ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung
+der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes
+schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu
+verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu
+besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte,
+geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann
+und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern
+und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma,
+sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen;
+wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung
+in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen
+Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft
+verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag
+er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die
+Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein
+Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum
+stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen
+gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit
+beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er
+gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute
+in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine
+adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch
+weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen
+geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet
+auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder
+andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war,
+schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem
+Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben
+mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom
+Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf
+nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der
+Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben
+folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische
+Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen
+und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der
+finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
+Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende
+Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig
+sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom
+Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer
+zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
+Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
+Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es
+demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse
+fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich
+scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes
+hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass
+man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott
+seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
+Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders
+jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der
+Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
+ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die
+Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
+auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein
+einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte
+Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und
+eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf
+seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist
+doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der
+Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner
+Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe
+unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix,
+als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende
+Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige
+Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner
+Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als
+das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig
+Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig
+befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen,
+in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die
+Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und
+ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht
+fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der
+Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius
+Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben
+baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten
+empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und
+anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen
+und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene
+eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren
+seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs
+und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen,
+hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der
+eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete
+jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am
+Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
+Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent;
+nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
+hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In
+der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
+hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm
+in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber
+Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden
+sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war
+es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
+zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
+gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand
+mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich
+ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
+juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
+Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
+wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im
+Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und
+abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg
+empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor
+allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war,
+endigte mit Marius' Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war
+Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie
+geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische
+Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen.
+Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern
+fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die
+Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der
+Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er
+die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der
+verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war
+fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst
+erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge
+habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war
+seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter
+Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend
+auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere
+Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende
+Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz
+machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen
+Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen
+Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz.
+Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die
+Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die
+Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt
+und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer
+in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet
+war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward
+der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen
+langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht
+verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden
+und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl
+hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des
+Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und
+sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen
+und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die
+Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich
+selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen
+Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein
+Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und
+die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der
+Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer
+Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat
+durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts,
+den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative
+des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug
+des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer
+des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem
+Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor,
+selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla
+geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment
+entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja
+selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen
+und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica,
+Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die
+rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich
+der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun
+gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung;
+und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische
+Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen
+bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte;
+aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die
+Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten
+als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften
+Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie
+insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin
+verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den
+Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes
+Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern
+wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu
+nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche
+und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den
+Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder
+findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden
+und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und
+Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk
+eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht.
+Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht
+mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten
+Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit
+wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb
+der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig,
+sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und
+stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen
+Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede
+Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn
+und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein
+Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht
+oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit
+des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen -
+verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die
+Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt
+gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit
+sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen
+andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist,
+indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller
+Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber
+der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit
+endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft
+war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben
+Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in
+Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung
+war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere
+Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in
+jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten
+widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller
+denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist
+nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte
+roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn
+nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz
+desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig
+Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen,
+dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit,
+darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der
+Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener
+Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in
+dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter
+tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
+geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
+zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
+jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
+Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
+es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter
+die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht
+verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
+auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
+Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere
+Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine
+richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen
+und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen
+Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen
+Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es
+nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das
+empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen,
+was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine
+Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit
+begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
+Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
+verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
+dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings
+auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels
+noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher.
+Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess
+gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die
+stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer
+diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die
+Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe
+oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste
+Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher
+ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der
+feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der
+Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor
+allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung
+der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu
+beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und
+noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf
+dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner
+tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos
+durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr
+haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder
+Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen
+die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen
+und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und
+Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit
+seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste
+absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des
+Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an
+den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen.
+Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat
+sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon
+seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische
+Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel
+schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen
+Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so
+zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste
+Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die
+Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus
+Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch
+verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der
+Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas
+eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum
+verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei
+seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr
+verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng
+auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor
+seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger
+Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das
+Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen
+muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem
+er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch
+sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie
+es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch
+der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der
+Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach
+Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse
+sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden
+genuegen. ----------------------------------------------------- ^13
+Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und
+gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den
+Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
+----------------------------------------------------- Wie er nun aber
+war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein
+ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens;
+in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war
+derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder
+den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der
+absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen
+Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen
+Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte.
+Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und
+ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein
+und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd
+und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen
+Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen
+Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli
+ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt.
+Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die
+Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen
+Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig
+ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch
+an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager
+- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie
+- raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck
+verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal
+in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden
+und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren
+zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien
+und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben
+koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der
+Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen
+Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die
+man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu
+frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde
+beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort
+die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier
+gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen
+ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da
+schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das
+Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den
+Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt
+hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose
+Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle
+Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe
+der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten
+harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess,
+seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren
+besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und
+kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die
+Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe
+aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten
+und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer
+Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte
+der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast
+noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem
+Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern
+der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen
+errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und
+die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber
+ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt,
+und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert.
+--------------------------------------------------- ^14 Nicht die
+Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen
+Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.
+--------------------------------------------------- 11. Kapitel Das
+Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig
+Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen
+hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische
+Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung
+die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der
+spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-
+griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare
+Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der
+Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen
+Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich,
+den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen
+der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die
+volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang
+der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der
+roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation
+immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer
+altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich
+jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen
+Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den
+Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und
+Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen,
+das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen
+Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes
+dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch
+in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter.
+Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische
+Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie
+Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von
+diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken
+mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische
+Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich
+gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die
+ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer
+Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der
+Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise
+sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide
+Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei,
+hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem
+ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig
+und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben
+kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber
+war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie
+bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte
+jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren
+unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die
+Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich
+selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen
+in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im
+vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte
+organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen
+und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder
+disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
+und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung
+lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward
+gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der
+Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische
+Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der
+Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte
+gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien
+gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst
+die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten.
+Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden
+Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen
+politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese
+Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen
+gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung
+der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das
+Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst
+das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit
+all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die
+Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war
+keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten
+wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern
+der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das
+roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann
+war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie
+zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser
+beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten
+freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass
+menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen
+Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter
+den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag
+wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und
+energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde
+nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen
+keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die
+Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
+werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich
+an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war,
+seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche
+zusammenstuerzen werde.
+------------------------------------------------------------------------
+^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave
+populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
+nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
+"Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini).
+-----------------------------------------------------------------------
+Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses
+Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen
+ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich
+auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer,
+die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen
+Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der
+Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte
+Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des
+roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats,
+wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je,
+so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
+Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
+geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien
+einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
+Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
+Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
+und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische
+Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
+Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die
+Ausdehnung des roemischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
+Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens,
+ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der
+roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in
+den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils
+in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der
+ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen
+Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi,
+Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon
+und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen
+galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen
+Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer
+bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter
+ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer
+die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er
+den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte
+durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und
+Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten
+gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien
+scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch
+nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Oelbaues im
+Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute.
+Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben.
+Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum
+Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte
+(civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades
+waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die
+roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung
+einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten,
+teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung
+jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst
+mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung,
+und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo,
+und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates
+immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die
+direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in
+einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte
+wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem
+entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem
+groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in
+einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden
+festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz
+Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei
+Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im
+ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft
+entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat
+gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an
+Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die
+einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von
+der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf
+die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3.
+Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten
+Chaussee-, Bruecken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen.
+Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr
+vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung
+bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde
+in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer
+erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr
+urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische
+Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
+allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
+Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen
+Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach
+wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
+die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
+Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten,
+fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen
+Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen
+wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere
+roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen
+verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen
+Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der
+karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von
+allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert
+erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
+Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
+in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der
+roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
+Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche
+Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen
+unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige
+Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle
+gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen.
+----------------------------------------------------------------- 2
+Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt,
+ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das
+Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
+fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
+verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
+Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr.
+3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches
+Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint,
+folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung
+und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der
+Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5
+4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr
+ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in
+Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50)
+und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet,
+wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach
+der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl
+der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio
+capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi
+t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser
+Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen
+Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
+festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
+Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6);
+wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
+ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
+Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas
+omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den
+Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon
+zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
+Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
+erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder
+einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem
+Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
+Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der
+Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten.
+------------------------------------------------------- Hierauf waren
+die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt,
+wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten
+hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig
+mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das
+System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch
+Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist,
+so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und
+die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs
+aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen
+noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung
+trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die
+Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen
+Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in
+der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende
+hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich
+zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der
+Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht -
+regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe,
+Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte,
+so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in
+Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis
+von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten
+einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen
+Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der
+Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber
+dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch
+praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der
+Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von
+der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es
+begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen
+Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte
+Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
+nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der
+Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines
+Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges
+Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung
+einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide,
+das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt
+eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
+Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der
+einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
+beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
+unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
+Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
+der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung
+also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
+kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste
+gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
+vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
+fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch
+nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe
+Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
+Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede
+war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen.
+Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da
+die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude,
+ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen
+wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer
+Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber
+wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die
+Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen,
+die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu
+einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die
+Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten
+ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst
+herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika,
+Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer
+haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen,
+nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war
+dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien
+die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber
+aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden
+ueberlastet. ------------------------------------------------- 4
+Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische
+Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten;
+wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte
+sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen
+Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben.
+------------------------------------------------- Endlich ist das
+grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen
+Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast
+der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter
+nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu
+kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot
+ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug.
+Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und
+des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von
+Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das
+den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die
+Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor
+allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten
+Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und
+das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung
+sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als
+gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit
+der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste
+Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre
+605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
+Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
+immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte
+selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst
+drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich
+der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf
+die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben
+mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen
+wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog,
+nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir
+jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen
+Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des
+von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich
+auch die auffallende Geringfuegigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es
+findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit
+Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in
+Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht
+mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei
+Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem
+Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden.
+Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und
+zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr
+mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die
+Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der
+Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer.
+Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das
+karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius
+Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die
+Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt
+hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen
+Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung
+klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich
+ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche
+eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige
+Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im
+ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten
+ein Ueberschuss, welcher es moeglich machte, die Staats- und Stadtbauten
+reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch
+die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit
+dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die
+Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem
+Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz:
+die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie
+die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung
+beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen
+Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische
+Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn
+diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als
+die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt
+wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren
+und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
+Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein.
+Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in
+der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert
+und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
+gestattete. Der hieronisch- karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
+weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit
+Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen
+Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der
+Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz
+der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der
+Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
+Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert
+wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen
+Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers
+ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen
+Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann
+aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
+in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
+fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
+Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
+verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss
+eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich
+motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei
+eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und
+Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen
+Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben
+noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser
+Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem
+die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert
+worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere
+Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua,
+Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine
+Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
+Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur
+die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse
+chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach
+Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert
+und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
+Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen
+etrurischen Chausseen, die Kuesten- oder Aurelische Strasse von Rom nach
+Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward,
+und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte
+Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als
+roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst
+bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke
+(Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber
+ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
+Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
+Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606
+(148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber
+Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward,
+weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse
+aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das
+Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die
+im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung
+zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse
+unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius
+Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte
+die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der
+Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die
+Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn
+ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die
+Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so
+auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte
+endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu
+foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
+dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
+die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
+von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae
+Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
+fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres,
+jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
+hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
+Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte
+von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an
+die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der
+truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden
+ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der
+roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
+unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des
+Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
+von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man
+wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig.
+So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe,
+die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und
+wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109)
+in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die
+Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt.
+Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und
+Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen
+roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den
+Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die
+Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch
+zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die
+an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb,
+und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die
+roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels
+reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als
+die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche
+Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13 Mill. Taler) ward innerhalb
+dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen
+auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch
+schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und
+ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen
+zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen
+Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch
+in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung
+waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende
+und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso
+notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer
+das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den
+Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern
+hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die
+Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab
+es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte
+bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss
+schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den
+Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben
+eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die
+Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die
+Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten
+hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte;
+immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser
+setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen,
+ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie
+gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich
+schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter
+den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen
+Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht
+Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der
+Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen;
+aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen
+ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben
+Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der
+verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet
+gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden
+mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen
+Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue
+und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung,
+die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
+erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen
+zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia
+neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen.
+Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem
+fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
+erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
+angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit
+nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und
+Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645
+(109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
+Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
+des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer
+mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
+der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand
+im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektions- und
+Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der
+kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
+wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
+dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
+Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im
+zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der
+Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von
+Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
+Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
+lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und
+die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb.
+Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich
+unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen
+Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den
+Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob,
+die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem
+Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen
+Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen
+Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein
+neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der
+sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur
+weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir
+bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und
+kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich
+verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah
+nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche
+Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten
+der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot
+der transalpinischen Wein- und Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl
+die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
+Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen
+die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
+dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten
+in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der
+Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
+gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden
+Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen,
+sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
+vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
+geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
+Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
+waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und
+mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens
+war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst
+in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits
+durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und
+rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher
+Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
+Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das
+zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot
+der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte
+sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben
+dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom
+Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem
+der letzte Krug geleert war. -------------------------------------------
+5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor
+Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
+zusammenhaengen, dass der Wein- und Oelbau sich bestaendig weiter
+nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung
+der Magonischen Buecher gehoert hierher.
+--------------------------------------------- Von Gewerben und
+Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser
+Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man
+zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher
+wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche
+Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen,
+was die griechischen Haeuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefaessen
+und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken
+noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen
+zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen,
+weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft
+sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen
+Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern
+zugleich Bau- und Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann
+jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die
+glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen
+Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
+stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein grosser,
+vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die
+Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im
+ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder
+in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende
+dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der
+roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie
+das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der
+ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der
+Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche
+Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der
+von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die
+roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und
+nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres
+urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen
+Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen
+Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war
+nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur
+unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu
+kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr
+betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien
+neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der
+massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering
+gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer
+Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und
+Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach
+Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr
+nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten
+Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet,
+Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der
+Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen
+Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch
+nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten
+Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in
+Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das
+innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr
+sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer,
+Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als
+der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste
+Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr,
+dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das
+durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl
+und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von
+Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden
+Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr
+durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie
+denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos"
+heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege
+betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die
+Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an
+und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten
+ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der
+bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den
+Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel
+mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass
+die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische
+Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm.
+Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
+hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
+politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
+roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente
+fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets,
+die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
+Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
+ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die
+immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
+Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler)
+war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein
+anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der
+Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100
+Mill. Sesterzen (7Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn
+dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn
+er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die
+Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum
+Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein
+Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
+Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht.
+Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
+Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
+daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der
+Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
+finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern
+der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
+politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr
+aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
+der italisch- asiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen
+Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und
+der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der
+Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen;
+wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
+Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
+Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
+aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
+die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere
+Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen
+allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische
+Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall
+im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
+italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
+waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und
+die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
+Mithradates' Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so
+viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie
+gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war
+angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich,
+vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
+ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne
+Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege
+hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
+freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von
+der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung
+ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der
+oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der
+kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend
+waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste.
+Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie
+parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche
+oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
+Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und
+Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich
+in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
+unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
+italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684
+(70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien
+Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung
+zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den
+Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-,
+die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind.
+Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel
+hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige
+Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette
+man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es
+bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche
+Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
+die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
+Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
+die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
+sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
+seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders
+und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
+verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung
+der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die
+oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem
+roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den
+einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als
+allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner
+Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen
+gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand,
+ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der
+Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden
+die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung
+eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken
+Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung
+der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien
+um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die
+Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
+Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
+entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat,
+was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die
+Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich
+dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in
+der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder
+fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent
+schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine
+Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze
+ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie
+gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls
+auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen.
+Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die
+betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher
+Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte
+hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel
+selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung
+abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie
+musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von
+1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als
+drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein
+geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um
+den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie
+frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde
+etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr
+geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht
+fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und
+darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet
+und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans
+(1 Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es
+war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen
+wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig
+dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist.
+Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum
+gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden
+Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren
+zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen
+genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld
+analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse,
+insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke
+zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig
+wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb:
+Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden
+zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne,
+neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger
+bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine
+bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich
+darueber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in
+welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit
+des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der
+Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der
+Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen
+und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte.
+Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und
+Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des
+saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein
+Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward,
+ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen.
+Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen
+Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den
+Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser
+Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei
+den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
+auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
+Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die
+Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen,
+vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische
+Gold- und Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im
+Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen
+weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr
+bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider
+Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht
+erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und
+ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter
+roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die
+Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben
+gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme,
+dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des
+siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich
+auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im
+Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen
+Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden;
+und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten
+Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden
+indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach
+Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der
+unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen
+worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward;
+wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische
+Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen
+Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb.
+So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten
+Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich
+herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der
+naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein
+anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten
+ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch
+umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und
+Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im
+Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die
+Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar
+nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich
+gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige
+Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch
+teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem
+der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss
+wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
+roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender
+eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung
+der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus,
+von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
+Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen
+ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und
+des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen
+Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat
+in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel
+gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser
+Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der
+lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der
+griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt
+jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur
+dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich
+ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen
+Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu
+ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des
+Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch
+lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall,
+bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht
+der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern
+derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens
+und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende
+zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer
+muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich
+wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was
+die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses
+Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss
+die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien
+foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften
+Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103)
+erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die
+ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen
+auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die
+Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die
+Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen
+Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu
+verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten
+ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius
+Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl
+seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge,
+sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste
+bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000
+Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
+prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte
+Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6
+Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt,
+waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
+Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
+der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen
+Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700
+Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen
+Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
+machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
+Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
+keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse
+ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
+erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und
+seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten
+wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
+auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich
+die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
+vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
+100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute
+mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der
+Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
+frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes
+Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke
+den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
+einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer
+schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der
+bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
+musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die
+Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden
+oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
+Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten
+sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
+82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
+Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und
+Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen
+Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine
+Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit
+vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17 Groschen und
+5 Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und
+17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass
+von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
+Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
+auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates
+den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen
+Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus
+im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes
+Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses
+eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber,
+dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne
+Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass
+nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe
+Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000
+Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund
+(250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits
+gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche
+ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer
+verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch
+die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer
+ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius
+Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
+letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
+Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall.
+Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
+Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung,
+einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn
+bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
+haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der
+Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein
+Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit
+und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
+war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im
+Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als
+eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende
+oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In
+dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das
+Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen
+Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses
+kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
+wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000
+Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
+(Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7
+"Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir
+freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
+eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne
+die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf
+dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben."
+-------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die
+landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer,
+hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In
+der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden;
+die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest
+und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte
+mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen
+Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher
+Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die
+politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn
+man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig,
+dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als
+oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern
+oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines
+Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder
+jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint
+habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf
+offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
+Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin
+in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein
+parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
+lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich
+umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen
+den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer,
+welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den
+Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst
+auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine
+Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll
+Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben
+den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
+Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie
+er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die
+Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die
+Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen,
+laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: 'Was gehen mich die
+langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen
+mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel
+und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'" Die
+den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass
+dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion,
+Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten
+Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in
+dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste
+unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos
+die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften
+Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten,
+Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen
+der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung
+Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische
+Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu
+rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen
+Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der
+roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv
+wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung.
+Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem
+Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott
+roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
+transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung
+aller anderen Stadt- und Landrechte ausschliesslich gilt: so ist
+damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaefts- und bald
+gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
+ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
+beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen.
+Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner
+Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner
+Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel;
+hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker
+massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung
+daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische
+Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall
+standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte
+Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren
+Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen
+Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger
+als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen
+Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn
+auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach
+Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen
+der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich
+anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das
+roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte
+italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter
+Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn
+das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer
+zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und
+widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt
+wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon
+um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der
+Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster
+Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des
+roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das
+heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben;
+und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich
+auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die
+Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an
+sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und
+noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der
+Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja
+das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem
+letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische
+Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an
+sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer
+geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische
+Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn
+man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen
+Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische
+Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die
+geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die
+lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
+darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
+gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort
+des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr
+ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische
+Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die
+hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und
+tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich
+mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution,
+die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel
+nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion,
+Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von
+roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als
+solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung
+Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren
+Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum
+integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623
+(131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der
+geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen
+Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem
+Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen
+Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt
+nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz
+nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien
+blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland,
+Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen
+Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die
+gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths
+bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen
+und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im
+Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die
+griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme
+roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen
+hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der
+griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen,
+minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken
+eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil
+in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit
+sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in
+Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner
+Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern
+Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und
+widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos
+eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen
+als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische
+Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl
+voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt
+in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen;
+wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte,
+und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich
+in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten
+auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius,
+der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt
+zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin,
+den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und
+literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren
+Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen
+andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und
+syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus
+dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit
+orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten
+Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und
+gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass
+neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte
+zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
+sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte
+zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.
+--------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608
+(146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14,
+21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler"
+(technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
+Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13).
+-------------------------------------------------- Das
+unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den
+Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als
+erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern,
+Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten
+Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen
+sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der
+allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an
+Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo
+der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts
+uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem
+Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine
+Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in
+Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste,
+gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie
+und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als
+roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der
+Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und
+mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger
+Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere
+Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf
+die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich
+fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff
+sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und
+frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen
+Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung
+desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig
+in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische
+Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie
+der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch
+verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze
+Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis,
+den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
+aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
+der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
+ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges
+vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend
+der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die
+lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem
+Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
+Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
+Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit
+dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
+fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
+zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in
+einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones
+und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird,
+zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der
+nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren
+und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten,
+das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und
+der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion
+war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig
+verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der
+roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution
+notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der
+alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern
+erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens
+Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die
+Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das
+Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge
+von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution,
+bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die
+hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der
+Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung
+der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal
+bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults
+nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben,
+namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten.
+Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr
+in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist
+auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der
+gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an
+den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische
+Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht,
+hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich
+ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion;
+seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch
+Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen
+Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der
+produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium
+angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen,
+sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der
+aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald
+scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
+Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
+statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und
+ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt.
+Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt
+und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die
+gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder
+ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die
+toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
+vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf
+die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
+genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt
+wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts
+als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der
+historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
+aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
+lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
+Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
+hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung
+geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon
+(+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades
+(541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa
+und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der
+Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur
+ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als
+moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden
+Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den
+Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer
+Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die
+Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr
+gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros
+und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des
+Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der
+Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros,
+der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie
+fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die
+Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend
+an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische
+Gegensaetzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt;
+woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im
+epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und
+hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig
+rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber
+den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon
+eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele
+anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das
+unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten
+aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige
+Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und
+zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur
+aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der
+Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube
+als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die
+Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu
+einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des
+Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils
+motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es
+war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der
+hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als
+antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische
+Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
+sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide
+ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der
+Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich
+billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
+anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
+auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
+gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche
+Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die
+Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
+dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
+darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
+(599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare
+Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen
+passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede
+und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso
+nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen
+wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
+dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne,
+Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken
+auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache
+maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
+emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
+aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
+nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich
+genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
+auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
+verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und
+dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
+hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
+reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend
+nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
+Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst
+wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in
+ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden
+Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie
+ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die
+Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen
+festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus
+sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die
+Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem
+sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre
+Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss
+auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der
+roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben
+verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert,
+dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe
+trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und
+Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein
+Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger
+Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar
+schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser
+drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit
+des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer
+geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu
+tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen
+Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb
+er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur
+allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas
+moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
+schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
+die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die
+langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
+Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den
+Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
+roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und
+brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und
+die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
+Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg
+zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein
+philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
+- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
+gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte;
+wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius,
+in Lucilius' Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel
+hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die
+stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss
+sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem
+Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit
+seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich
+fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
+wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich
+ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
+als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar
+war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes
+war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
+Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
+ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
+Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in
+die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des
+Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus
+einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
+einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
+Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den
+besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
+Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als
+eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der
+urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus
+die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn
+sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt
+fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die
+supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie
+fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der
+Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder
+als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die
+Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als
+die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild
+nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war
+es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren
+anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen
+sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren
+Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und
+auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne
+der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die
+Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern
+deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter
+und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies
+dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die
+Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So
+inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes,
+aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus
+dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
+verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel
+weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der
+roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis,
+der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der
+Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen
+Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein
+gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern
+nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen
+und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus
+einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der
+aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen
+Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die
+namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender
+der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen
+Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige
+Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens
+aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche,
+scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa.
+Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der
+stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue
+Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus
+aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon
+weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits
+ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen
+hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den
+Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand
+spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der
+idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder
+goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht
+unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System
+zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und
+erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen
+Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom
+Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen
+Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen
+Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung
+des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie
+Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als
+denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar
+entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten
+Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische
+Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und
+machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse.
+Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische
+Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem
+die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit
+den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen
+Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit
+herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im
+einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel
+hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder
+drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward.
+------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches
+Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.
+------------------------------------------- Dieser neuen
+Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist
+die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste
+Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens
+aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der
+hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche
+Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und
+schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
+erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit
+Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige
+Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten
+Polybios' roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie
+auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion
+sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen
+in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas
+anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
+Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als
+dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten
+auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in
+seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass
+es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische
+und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht
+eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu
+wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte
+Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
+desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
+roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
+Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der
+Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter
+neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
+den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu
+benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder
+3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
+Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen
+und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr
+hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu
+dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben
+jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von
+selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische
+Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und
+eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer
+eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten
+die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz
+fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse
+der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu
+den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die
+Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte
+unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen
+System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender
+Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward
+sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet,
+dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es
+einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu
+schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen
+Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss
+den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte
+die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die
+vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber
+ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die
+Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien
+schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
+dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich
+zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren
+und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden
+politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit
+ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145)
+schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die
+Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104)
+ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der
+Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen,
+dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der
+Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in
+vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer
+die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass
+eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben
+ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die
+priesterliche Kueche; die Augural- und Pontifikalschmaeuse
+waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen
+Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der
+Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit
+des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr
+brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu
+machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur
+Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu
+verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und
+Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis
+zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die
+Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge
+Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der
+vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus
+den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies
+die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss
+eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung
+gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun
+konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts
+einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern
+fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich
+einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten.
+Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich
+lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und
+Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion
+behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch
+brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen
+zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen
+und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr
+Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin;
+aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen
+ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete
+dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes
+in den eigenen uebergehen koenne.
+----------------------------------------------------------- 3 Auch in
+Varros Satire 'Die Aboriginer' wurde in spoettischer Weise dargestellt,
+wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den
+nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach
+Goetterpuppen und Goetterbilderchen.
+----------------------------------------------------------- Im scharfen
+Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die
+verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und
+denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen
+werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren
+wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in
+Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf
+dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische
+Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der
+Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit
+Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius'
+eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo
+der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die
+Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im
+Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
+an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in
+den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
+verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren
+der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene
+Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist
+es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den
+Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die
+etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie
+erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten
+Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
+kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch
+die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
+dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf
+hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien
+herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
+die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
+grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
+geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
+verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich
+seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen
+Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie
+fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer
+den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelker- auch die
+Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war
+der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem
+Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen
+und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die
+Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden.
+In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der
+Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die
+Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu
+vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen
+Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten
+sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen,
+dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde,
+nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie
+denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja
+es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem
+Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die
+unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische
+Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
+marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei
+und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen
+Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die
+saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu
+raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem
+Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das
+Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder
+Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar
+sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der
+kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher
+bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer
+verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen
+sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und
+von den spaeteren roemischen Isis- und Osirisgemeinden fuehrten die
+aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war
+irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich
+selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution,
+das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am
+Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit
+der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte
+sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden
+Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das
+Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte.
+Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen,
+oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen
+Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren
+Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher
+und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
+Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In
+aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die
+in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
+Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche
+Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
+Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden.
+Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
+verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war
+doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter
+roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand,
+zeigt Catos 'Encyklopaedie'; es ist wenig mehr als die Formulierung
+des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
+hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe
+noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in
+Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich
+abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen
+privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche
+Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser
+Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der
+buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu
+finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben
+der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte
+auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine
+besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten
+Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig
+sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des
+griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
+Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch
+die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus,
+zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
+vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
+geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
+ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn,
+hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug,
+um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche
+Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele
+heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen
+ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den
+klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf
+Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die
+Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen,
+soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische
+Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen
+Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der
+bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den
+griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um
+des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art
+der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft
+und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der
+griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen
+mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie.
+Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus
+aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen
+zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem
+Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass
+die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus
+gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden;
+die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art
+durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen
+Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms
+und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern
+war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise,
+und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und
+Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt
+ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die
+freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente
+4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man
+raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen
+Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt
+worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl
+besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon
+begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen
+Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene
+Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und
+ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die
+Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen
+Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts,
+revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand
+der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161)
+gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten
+Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne
+nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem
+Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der
+hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen
+Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher
+Teil der italischen Bildung.
+------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt,
+dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt
+habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei
+Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel
+und Zeltdach Als der Philosoph.
+------------------------------------------------------- Aber ihm zur
+Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist
+in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische
+Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle
+der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische
+Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung,
+wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag
+der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
+und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
+wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
+Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der
+griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
+die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch
+ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
+ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
+bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab
+und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer
+gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
+die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren
+Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
+Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
+durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer
+die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius' 'Punischen Krieg',
+Ennius' 'Chronik', spaeterhin auch Lucilius' Gedichte zuerst einem
+erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
+grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
+Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege,
+die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
+kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
+die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen
+lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung
+der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in
+fruehem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten
+angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes
+erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand
+eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der
+Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus
+Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten
+der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius
+(611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663
+140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend
+im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben
+doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf
+beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich
+sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.
+Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
+lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus
+von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng
+konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen
+Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus
+und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern
+durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war
+ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo
+nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom
+die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der
+aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
+stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige
+hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
+lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
+Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
+Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen
+Literatur- und Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von
+selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen,
+nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht,
+wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
+lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
+Staats- und Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die
+erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
+Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik
+um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
+lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
+neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung.
+Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede,
+wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden
+war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich
+bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl
+unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der
+griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die
+letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde
+Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische
+Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand
+und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu
+seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
+koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem
+Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger
+schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und
+durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik
+schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging
+die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten
+Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
+Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
+und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
+zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
+war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
+noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
+lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern
+und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der
+Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
+der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn
+verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
+Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit
+einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung
+nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht
+zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und
+verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich
+regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an
+Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen
+hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten;
+und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der
+erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich
+sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die
+gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des
+roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben
+zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede
+ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis
+aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue
+Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand
+teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen
+Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder
+nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet
+sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
+roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in
+sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national
+kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
+Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13.
+Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch
+wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem
+schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann
+ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige
+Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im
+hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt
+man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen,
+epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den
+Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich
+verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform
+und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock
+ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
+schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen;
+aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
+nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und
+die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
+Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im
+Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
+Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen
+Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
+vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der
+heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann,
+teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die
+unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
+ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation.
+Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
+Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
+und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
+siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
+naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit
+dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren
+Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und
+hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
+schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen
+vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius
+Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius
+Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers
+von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der
+Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon
+und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht
+imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer
+Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu
+liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik
+patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
+sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten
+Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte
+Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen
+Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu
+schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
+Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
+die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische
+Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos
+staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
+den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
+erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus
+seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess
+man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen
+und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
+einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich
+vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren
+Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den
+Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
+Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
+von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
+ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft
+und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die
+Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement
+der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die
+griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt.
+Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
+begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger
+in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
+oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
+Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein.
+Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen
+Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
+Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien,
+doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich
+fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
+Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
+goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig
+verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass
+auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
+Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die
+Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
+Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
+(Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz
+darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu
+sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist
+hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit,
+die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
+entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die
+Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten
+wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst.
+Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die
+Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der
+vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses
+Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
+Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
+Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur
+noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der
+Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern
+griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen.
+Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in
+seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom
+Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
+dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
+Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
+Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
+hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen
+Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
+in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen,
+die Ciceros sprachlichen und Lucilius' aesthetischen Tadel des Dichters
+rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
+Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden
+sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion
+gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen
+Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung
+predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei
+Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie
+des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein.
+------------------------------------------------- ^1 So hiess es im
+'Paulus', einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des
+Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio
+est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in
+einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung
+zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
+Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und,
+ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich
+erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend
+schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest,
+wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die
+Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei
+den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der
+Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden.
+------------------------------------------------------ Lesbarere
+und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des
+Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen
+Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige
+namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war
+er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller,
+bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in
+Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward
+auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen
+Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere
+Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des
+Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare
+und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion.
+Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich
+interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im
+phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und
+dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von
+Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen
+Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische
+Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden
+einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung
+der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen
+seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen.
+Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen
+Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter,
+wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich
+fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und
+zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere
+griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von
+Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen
+Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr
+Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog
+entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz
+ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die
+Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in
+unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer
+drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund,
+wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt,
+nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine
+Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische
+ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen
+Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen
+gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere
+Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles,
+was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht.
+Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine
+Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch,
+traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der
+Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die
+allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
+seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3.
+Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
+immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
+behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft
+vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den 'Bruedern' die
+beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte,
+durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
+bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
+Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische
+Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
+obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz
+besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
+Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
+Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
+unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
+regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein
+Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt,
+so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe
+oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den
+Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen
+das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung
+aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung
+daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen
+Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
+Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig
+schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit
+zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung
+durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose
+Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen
+Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt
+4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann
+am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im
+'Verschnittenen' und im 'Maedchen von Andros' gar anmutig geschildert;
+ja in der 'Schwiegermutter' erscheint sogar am Schluss als rettender
+Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische
+Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei
+Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt
+und geprellt zu werden; bei Terenz wird im 'Selbstquaeler' der verlorene
+Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll
+trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke,
+den 'Bruedern', die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
+Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
+finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose
+und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend
+gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu
+gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den
+raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das
+lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf
+"ruhiges Gespraech". Plautus' Sprache fliesst ueber von burlesken
+Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen
+Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft
+entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt
+Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die
+Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen.
+Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in
+poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von
+Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei
+Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung
+wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl
+die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben
+verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des
+Plautus, wie der 'Stichus', die Kaestchenkomoedie, 'Die beiden
+Backchis', wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des
+Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander".
+Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker,
+kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und
+Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt
+erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die
+elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen
+Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der
+Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen
+Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern
+ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren
+wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie,
+sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen
+Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer
+Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen
+Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise
+hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen
+Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum,
+das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand.
+Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den
+eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll
+defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus
+seiner 'Schwiegermutter' zweimal weggelaufen war, um einer Fechter-
+und Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen
+Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei
+freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig
+sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten
+haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar,
+dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der
+Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur
+herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der
+Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134)
+die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um
+so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein
+hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die
+Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder
+fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser
+Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien
+als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im
+Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie
+(palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar
+nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und
+Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich
+bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es
+war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer
+Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien
+einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius
+(blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben
+keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem,
+was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen
+Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen
+Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung
+natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen
+borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren
+Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem
+Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten,
+begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr
+allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter
+griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein
+feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
+Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
+auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte,
+die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
+Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren
+ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie
+Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine
+eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe.
+------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige
+Ausnahme ist im 'Maedchen von Andros' (4, 5) die Antwort auf die Frage,
+wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst's ja, da, wie wir moechten,
+es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen
+Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht's nicht so, wie
+du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste
+der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem
+Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist
+bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend
+einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm.
+prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen
+Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen.
+Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische
+Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den 'Bruedern' (I, 1)
+preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt,
+"was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des
+'Selbstquaelers' laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen:
+Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist
+vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu
+den 'Bruedern' heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme
+Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet
+dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum Ruhm sich: dass
+den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind,
+Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt
+ihr all' und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es
+allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint
+seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten;
+man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen
+Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass
+dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts
+getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends
+maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon
+besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen
+unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel
+aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten
+andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und
+Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und
+Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch
+dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe
+stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die
+erste Auffuehrung der 'Brueder' und die zweite der 'Schwiegermutter'
+stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die
+dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben
+vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge
+des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische
+Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines
+Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich
+entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische
+Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei
+der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf
+das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt.
+------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche
+in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst
+war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen
+bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden
+Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund
+erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die
+im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene
+ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese
+Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella"
+ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese
+Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen
+beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
+nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das
+Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich
+wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
+Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
+Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz
+selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
+verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst
+sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig
+Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen
+Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts
+^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
+dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
+beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte
+der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
+regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der
+tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen
+Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage
+und oeffentliche Akte komisch geschildert: 'Die Hochzeit, 'Der erste
+Maerz', 'Pantalon Wahlkandidat'; ebenso fremde Nationalitaeten: die
+transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf
+den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der
+Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen
+ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die
+Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider
+gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen
+Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden
+und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses
+laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen
+Titel, wie zum Beispiel 'Die Kuh', 'Der Esel', 'Das Zicklein', 'Die
+Sau', 'Das Schwein', 'Das kranke Schwein, 'Der Bauer, 'Der Landmann,
+'Pantalon Landmann, 'Der Rinderknecht, 'Die Winzer, 'Der Feigensammler',
+'Das Holzmachen', 'Das Behacken, 'Der Huehnerhof'. Immer noch waren es
+in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen
+Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum
+ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell
+dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und
+dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen
+Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und
+endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel 'Pulcinell
+Soldat, 'Pulcinell Wirt', 'Jungfer Pulcinell', 'Pulcinell in der
+Verbannung, 'Die beiden Pulcinelle' moegen dem gutgelaunten Leser eine
+Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz
+herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden,
+den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den
+Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so
+hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und
+volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische
+Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie
+^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht
+sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte
+sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem
+menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen 'Hercules
+Auctionator'. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich;
+sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder
+schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal
+mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der
+Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an
+lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen,
+kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht
+unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der
+Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich
+an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge
+Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in
+oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein
+verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder
+als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und
+Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen
+zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich
+auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und
+stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt
+sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen
+Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten
+latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese
+zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre
+543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von
+roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder
+Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung,
+dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch
+rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden
+Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi
+und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses
+in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich
+gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium,
+ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der
+oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius
+(+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von
+"Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess
+(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung
+"Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar
+danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen.
+Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von
+Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer
+gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
+wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
+duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer
+Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht
+unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
+Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten
+Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die
+namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser
+sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar.
+Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied
+ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne
+und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das
+bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf
+der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner
+Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
+Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang
+und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch
+Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt,
+worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen
+Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser
+Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit
+ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt
+(Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese
+anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber
+kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane
+unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die
+vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
+Widerspruch, dass noch zu Livius' (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
+Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
+damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
+mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht
+mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten
+aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb.
+^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss
+vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
+Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros 'Das Linsengericht,
+'Bakchis' Freier, 'Des Mystakos Lohnlakai, 'Die Gelehrtem, 'Der
+Physiolog') lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese
+Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen
+in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
+bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt
+schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse 'Saturnus'. ^11 Nach
+Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen
+des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667
+143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein;
+die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen
+'Malern' noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon
+die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig
+genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius' 'Phoenissen':
+Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz
+wie Menanders 'falscher Herakles' auftritt.
+---------------------------------------------- Was endlich die
+Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im
+einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine
+Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben
+immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt
+wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne
+Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern
+wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar
+entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
+Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch
+immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
+(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
+war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass
+man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden
+Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend
+zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess,
+um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
+Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
+und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl
+ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung
+der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
+uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
+Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
+145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
+akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen
+und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
+von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer
+Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die
+Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen
+und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und
+hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius
+Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der
+Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung
+der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
+gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene
+Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen
+hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund
+und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen
+sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher
+hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm
+ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen
+und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre
+580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die
+Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27);
+dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft
+ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben.
+^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
+folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl,
+Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
+gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
+welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen
+gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese
+epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte
+des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm".
+^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein,
+da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
+setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
+Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem
+kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen
+besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
+"Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen,
+aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes
+Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: Constiteram, exorientem
+Auroram forte salutans, Cum subito a laeva Roscius exoritur. Pace mihi
+liceat, caelestes, dicere vestra: Mortalis visust pulchrior esse deo.
+ Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: Da
+zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf. Zuernet, ihr
+Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: Schoener fuerwahr
+als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch
+gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms
+ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius
+Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------
+In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
+das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
+entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
+zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
+voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas
+zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen
+und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius
+'Histrischer Krieg' und des Aulus Furius (um 650 100) 'Jahrbuecher
+(vielleicht) des Gallischen Krieges', die allem Anschein nach
+unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen
+Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der
+didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender
+Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser
+Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an,
+derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede
+Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen
+Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines
+jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze
+von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb
+der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die
+einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius,
+der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an
+seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter
+gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung
+bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen
+Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr
+Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer
+angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und
+gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte
+sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein
+geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten
+unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne
+vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den
+Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und
+Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer
+einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer
+alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen
+und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene
+Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten
+sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus
+individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte
+oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl
+wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung
+der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein
+redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das
+grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung
+des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche
+Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten
+Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender
+der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das
+Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und
+mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer,
+das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings
+eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte
+beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie
+und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer,
+etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen,
+woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen
+Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und
+selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht
+ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als
+das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat-
+und im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in
+eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen
+Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen
+Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern
+latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner
+ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen
+Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in
+vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen
+Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm
+hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er -
+er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um
+asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen
+Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
+Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der
+roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten
+in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
+unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den
+gar vieles in Lucilius' politischer und poetischer Stellung erinnert.
+Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden
+Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
+Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
+Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen
+die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der
+Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den
+andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu
+werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All' untereinandern
+belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19.
+----------------------------------------------------------- ^17 Quam
+lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque
+emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so
+zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der
+Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass
+du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht
+pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem,
+festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque
+Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio
+omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
+Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si
+hostes sint omnibus omnes.
+------------------------------------------------------------ Die
+Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos,
+ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
+Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
+Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner
+Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die
+Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
+sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall
+einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene
+Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der
+Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf
+uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und
+bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind
+eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und
+dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund,
+weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der
+roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller
+Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren
+Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch
+und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst;
+ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach
+Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp
+zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben
+Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort,
+lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die
+Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man
+die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein
+Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache
+Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen
+vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf
+demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte
+und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder
+geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung
+und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem
+afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch
+und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war;
+Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie
+Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom
+Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen
+Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man
+sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel
+wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser
+Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit
+hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch
+gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang
+unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als
+eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und
+in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich
+und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist.
+----------------------------------------- 20 Folgendes laengere
+Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische
+Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich
+wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis
+in versamur, queis vivimu' rebu potesse; Virtus est homini scire id
+quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit,
+honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
+Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium
+persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem
+esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum
+morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
+Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam
+postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach
+ihrer Art und Weis Fuer jede Sach' in unserm Kreis; Tugend, zu wissen,
+was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring'; Tugend, zu wissen, was
+nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend,
+wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem
+Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind
+zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut
+und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in
+Lieb' und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil,
+Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil
+kommt. ---------------------------------------------------- Von der an
+den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche
+noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen
+uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst
+wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche
+Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten
+und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern
+gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius,
+ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere
+scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen
+Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der
+Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf
+gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen
+Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und
+abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land
+der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund,
+den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu
+registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen
+bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt
+noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
+Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die
+Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
+gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste
+verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
+546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen
+Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
+Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter,
+vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von
+seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften
+verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise
+wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo
+er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und
+durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise
+eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn
+in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
+seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von
+Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien
+vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
+deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten.
+Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
+roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und
+gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten
+Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen
+waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
+Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht
+und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
+Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des
+Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf
+dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
+anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen
+hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
+verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
+Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
+ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt
+haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht
+der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
+engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und
+ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und
+stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
+hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
+persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
+stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in
+seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege,
+worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch
+einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen
+Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen
+hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er
+der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich
+doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist,
+den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es
+war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
+Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
+Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst
+sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst
+Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos
+und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische
+Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
+er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmaessigkeit der roemischen
+Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht
+diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen
+die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische
+Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem
+Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
+geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
+beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
+individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung
+wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
+Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine
+Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber
+der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so
+vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker
+gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der
+Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte
+weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder
+rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und
+Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die
+Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei
+den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder
+Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht
+erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie
+den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den
+roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine
+universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im
+Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte.
+Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie
+Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt.
+Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden
+Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich
+geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen
+Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und
+Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse,
+all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten
+entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln
+lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der
+Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht
+und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen;
+er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur
+der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung
+zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den
+ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet
+der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans
+21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er
+kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder
+gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen
+Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen
+und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige
+Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist
+musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen
+Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges.
+Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische
+fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande.
+Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist
+ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein
+mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat;
+das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch
+erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente,
+geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man
+den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
+geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches
+in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser
+innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im
+hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen
+Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich
+entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder
+Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht
+ungestraft verkannt. Polybios' Behandlung aller Fragen, in denen Recht,
+Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern
+auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische
+Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche,
+die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum
+Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation
+gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen
+Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente
+her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms
+abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum
+Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige
+und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu
+widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die
+uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie
+gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als
+billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht
+selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein
+oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte
+seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur
+einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den
+Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass
+er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft
+als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer
+gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner
+Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die
+unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich
+auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon faellt.
+Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit
+und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist
+vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele
+ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne
+auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier,
+die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo
+sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung.
+------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte
+Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes.
+So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze
+Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh' ich nicht nach
+Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
+---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu
+dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen
+Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische
+Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige
+griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus
+Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius
+Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem
+Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung
+des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet
+so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren
+Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene
+vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins
+Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen
+Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
+geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der
+Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
+ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
+Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
+Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
+632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
+achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
+auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
+veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab,
+als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten,
+doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
+nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher,
+mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankuendigen,
+waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
+geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
+wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre
+Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
+Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und
+Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und
+Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
+Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte
+Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte
+und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte.
+Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
+Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
+rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
+Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig
+Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
+187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
+besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das
+Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja
+sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl
+eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut
+eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
+langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen
+Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
+poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
+wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann
+zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die
+Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um
+die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger
+Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das
+nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten
+erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte
+der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte
+des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
+des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner
+Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster
+Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
+manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
+Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger
+Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der
+leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen
+Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach,
+die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
+historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
+zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
+Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus
+Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine
+dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die
+Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia,
+der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft
+reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste
+in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische
+Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte
+in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel;
+Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
+angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische
+Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese
+Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
+ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes'
+Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende
+Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
+bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
+Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten
+Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden
+des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
+Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das
+nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
+Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
+Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser
+hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
+----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche
+Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus
+Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90)
+bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul
+649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil
+zu Smyrna schrieb. -----------------------------------------------
+In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
+Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
+veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
+uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
+zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
+Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb
+dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon
+der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den
+allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
+mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert
+der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche
+Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen
+der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein
+humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie,
+der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als
+dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen
+Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
+Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
+Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen
+Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung
+der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang
+dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
+Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der
+Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
+sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius
+und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
+beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
+historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden
+die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die
+des Hemina 'ueber die Zensoren', des Tuditanus 'ueber die Beamten'
+schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
+die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
+Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische
+Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien
+des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
+lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen
+Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
+Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
+Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
+dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
+verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprach-
+und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
+wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
+zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte
+die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der
+Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu
+und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
+Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge
+einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs
+geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln,
+und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis
+seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen
+ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
+bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
+und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat
+dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
+indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf
+seinen Schueler Varro vererbte.
+----------------------------------------------------- 23 Die
+Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der
+Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher
+falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt.
+------------------------------------------------------- Mehr
+untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit
+auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als
+Hand- und Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien
+des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die
+Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des
+Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser,
+der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und
+lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein
+solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst
+erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere
+Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige
+Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte
+Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen,
+weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was
+die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die
+Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft
+die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der
+Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich
+zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen
+auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig
+und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der
+Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von
+dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso
+ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die
+Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten
+Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der
+letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht
+hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die
+Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer
+eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
+Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen
+Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
+theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere
+Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur
+noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine
+nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine
+lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit
+als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen
+populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie
+trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist
+die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu
+rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung
+dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich
+praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der
+militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht
+nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht
+chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und
+mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage
+das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche
+an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen
+Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der
+boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig
+schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht,
+wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen
+Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der
+politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon
+mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die
+Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel
+trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das
+gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden,
+sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die
+rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge
+die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im
+Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor
+dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet.
+Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur
+sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und
+Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode
+bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren
+heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst
+nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern
+von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt
+wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und
+die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen
+sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
+aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
+dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus
+(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
+nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
+systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der
+Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in
+dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum
+erblich war. Seine achtzehn Buecher 'vom Landrecht, welche das positive
+juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate
+und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus
+der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit
+zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der
+ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde
+seine resuemierende Schrift 'Definitionen' (oros) die Grundlage der
+juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese
+Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus
+unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem
+philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen
+unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der
+Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische
+Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt.
+Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische
+Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.
+----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte
+wohl den Titel 'De iuris disciplina' (Gell. 13, 20), das des Brutus den
+'De iure civili' (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es
+wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33,
+142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist
+noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur,
+Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen
+immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueck-
+als vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in
+griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer
+namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
+670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
+sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte
+man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss
+griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen.
+Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
+Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
+Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
+darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der
+ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
+Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb.
+Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den
+der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf
+dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die
+Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
+Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius
+(Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus
+war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo
+man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah
+es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur,
+dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu
+verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen
+des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet
+ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen
+Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne
+Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der
+Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die
+roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611
+143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle,
+fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen
+Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland,
+der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der
+Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die
+Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist
+bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen
+der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im
+Stempelschnitt eher einen Rueck- als einen Fortschritt zeigen. Endlich
+Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom,
+einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu
+werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu
+in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
+Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und
+die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem
+Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und
+musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
+wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
+Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und
+Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden
+durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
+ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum
+Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es
+auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
+Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle
+fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen loeste, als dass
+vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
+Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
+Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
+musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
+einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
+Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch
+solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
+ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich
+einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst
+Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen
+Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der
+vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die
+hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern,
+so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind
+die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des
+Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere;
+in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten
+Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen
+Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die
+beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller
+emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur
+ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger.
+Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache
+Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst-
+und Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen
+Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und
+ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher,
+als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die
+achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung,
+die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und
+Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der
+Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die
+gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen
+Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt
+bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was
+diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer
+als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht
+sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre
+Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die
+Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten,
+so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen,
+dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen
+oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht
+beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by
+Theodor Mommsen
+
+
+
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor
+Mommsen (#4 in our series by Theodor Mommsen)
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+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
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+information is included below. We need your donations.
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+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 4
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3063] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by Theodor
+Mommsen ******This file should be named 3063.txt or 3063.zip******
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+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
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+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
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+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
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+http://promo.net/pg
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+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
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+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
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+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
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+
+Information about Project Gutenberg (one page)
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+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
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+We need your donations more than ever!
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+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
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+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
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+Mail to:
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+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
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+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
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+GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books]
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+contain characters other than those intended by the author of the work,
+although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+be used to convey punctuation intended by the author, and additional
+characters may be used to indicate hypertext links; OR
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+plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the
+etext (as is the case, for instance, with most word processors); OR
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+form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form).
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+[2] Honor the etext refund and replacement provisions of this "Small
+Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Project of 20% of the gross
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+Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out
+the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? The Project
+gratefully accepts contributions of money, time, public domain
+etexts, and royalty free copyright licenses. If you are interested
+in contributing scanning equipment or software or other items, please
+contact Michael Hart at: hart@pobox.com
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END*
+
+
+
+
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
+
+Viertes Buch Die Revolution
+
+"Aber sie treiben's toll; Ich fuercht', es breche". Nicht jeden
+Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen
+Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des
+Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache,
+die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des
+Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort
+des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck
+der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in
+hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren.
+Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht
+fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlings-
+und Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber
+versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf
+der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich
+gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht
+beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in
+seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber
+wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen
+moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer
+Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser
+Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag,
+der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den
+naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo
+uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen
+waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen
+fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine
+foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden
+spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil
+der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht
+worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
+Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander;
+gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
+verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
+Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse
+phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden
+Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
+zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende
+Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die
+roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
+Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische
+Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde
+von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer
+seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet,
+wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort
+^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst
+durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen
+erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als
+freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in
+Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie
+konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der
+Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178)
+genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen
+des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer
+und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600
+(154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner
+ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten
+roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute.
+Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch
+bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so
+verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische
+Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der
+roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man
+nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach
+Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und
+liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei
+und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es
+war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz
+sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich
+feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch
+der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es
+zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius
+Mummius, und den jetzt nach Punicus' Fall von seinem Nachfolger Kaesarus
+gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften
+Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das
+lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils
+bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens
+sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich
+vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das
+eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die
+Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich
+unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen
+Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den
+Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen
+Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch
+hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen
+Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
+Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
+beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
+Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser
+roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
+unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten,
+und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit
+nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden
+Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um
+Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen
+aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien.
+Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000
+Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn
+Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt
+nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein
+die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen
+Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer
+gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg
+der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der
+fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach
+seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer
+geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23.
+August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer
+Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in
+ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am
+Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern
+der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die
+Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt
+zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in
+Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde
+eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die
+Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten
+roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in
+der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die
+Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat
+und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern
+den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile
+aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz
+erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein
+Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig
+sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage
+beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze
+roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die
+suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche
+sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen
+Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen
+Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor
+586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten
+sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr
+noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab
+sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung
+bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden
+wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom.
+Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die
+Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig
+erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach
+seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen
+Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
+wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der
+ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden
+mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren
+Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei
+den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der
+Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass,
+wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
+Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
+nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel
+zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
+entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
+Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden
+Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
+Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg
+beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte,
+sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in
+der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
+Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen
+Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den
+Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
+Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung
+zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen
+Rechte wiedereingesetzt wurden. ---------------------------------------
+^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
+conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae
+in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden
+beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig,
+dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
+---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der
+Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den
+zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss
+beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien
+heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene
+Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer,
+an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern
+im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn
+gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca,
+acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit
+schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte,
+rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die
+Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa
+20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch
+weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder
+schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer,
+Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte
+in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die
+mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen
+moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die
+Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen
+Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen
+Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von
+Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da
+das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines
+Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung
+von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia
+musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das
+roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero
+verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo
+der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern
+sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander,
+Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen
+im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
+errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba
+richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten
+Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze
+ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker
+wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
+geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils
+niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
+Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden
+Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze
+der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
+Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr,
+wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung
+zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
+heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht
+so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht
+hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten
+Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die
+spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen
+Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch
+Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das
+reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter
+Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern
+draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe
+rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
+abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst
+als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
+Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter
+Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas
+zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches
+Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen
+wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm
+den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
+einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
+Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
+zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
+der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
+wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung
+zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem
+Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er
+ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der
+roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten
+Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber
+gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an
+die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her
+5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer
+gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und
+gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die
+Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als
+Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das
+volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des
+Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem
+gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines
+Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er
+auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu
+haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine
+Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
+jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
+treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
+daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen
+zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht
+allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen
+Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl
+in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich
+in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu
+brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen
+Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den
+Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut
+vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn
+dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten
+im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn
+die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben
+und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des
+Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus
+vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das
+platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich
+Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und
+mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt
+vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm
+jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges,
+der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus
+Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und
+Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen
+Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen,
+die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder
+unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische
+Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig
+ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres
+seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla)
+zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im
+folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig
+geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu
+behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins
+Winterlager ging. Als aber an Maximus' Stelle der feige und ungeschickte
+Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum
+eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder
+mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus' Scharen die
+suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des
+Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit
+zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet,
+versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer
+Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen
+Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische
+Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber
+seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich
+sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142).
+Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive,
+durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in
+Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der
+Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500
+- wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde
+Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei
+verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische
+Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei
+der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf
+einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war.
+Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den
+Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen,
+worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig
+derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen
+als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh,
+des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem
+Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
+Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
+wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
+heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und
+bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts
+wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
+das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied
+den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen
+dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht
+bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen
+Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in
+Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er
+ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen
+Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer
+auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten
+oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht
+auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was
+ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer
+der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die
+Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von
+ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner
+Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue
+zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten
+Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas,
+Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt
+noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit
+Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen
+Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
+des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in
+das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer
+Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
+Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
+ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
+fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
+an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
+ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den
+Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder
+seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die
+Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei
+dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt
+zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von
+Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.
+----------------------------------------- 2 Die Chronologie des
+Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass
+Viriathus' Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61;
+Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p.
+110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63),
+zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4,
+16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90)
+berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil
+Viriathus' Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie
+auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft
+wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug,
+gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus
+zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war
+(Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl
+der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
+--------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz
+durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren
+Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter,
+nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus' glaenzende Erfolge
+bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer
+sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung
+des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius
+Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die
+Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend
+der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia,
+dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen
+Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612
+143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur
+die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die
+Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast
+schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den
+Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff
+auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den
+Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem
+kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das
+konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus
+Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige
+Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr
+erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613,
+614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht
+erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss
+ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte
+der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde
+unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf
+Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen
+darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen
+auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren
+abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als
+im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager
+eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern
+gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden
+Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu
+entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern
+zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung
+zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des
+Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen
+Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt
+ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas
+mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus
+beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern
+benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam,
+lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von
+Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut
+und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf;
+Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger
+Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit
+weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende
+Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von
+Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und
+Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche
+Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia
+heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das
+Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
+angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
+in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und
+umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
+durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
+Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein
+Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
+Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
+dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
+Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
+Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein
+der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess
+auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den
+Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm
+die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf
+diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
+haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag
+beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre
+Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der
+hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde
+Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische
+Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner
+ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als
+nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und
+die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von
+Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer
+Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius
+Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die
+Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er
+unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das
+freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem
+Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein
+Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger
+setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich
+geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade
+so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und
+festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die
+Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten
+und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner
+die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht
+zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene
+roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer
+ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse
+auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus
+Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu
+fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich
+ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an
+einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man
+entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt
+ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu
+uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei
+mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten
+auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die
+Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt
+haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von
+Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der
+vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert
+hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache
+konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu
+reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager
+raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und
+Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar
+war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer
+vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich,
+die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den
+Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der
+Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer
+um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern,
+Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha
+und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen,
+ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer
+waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss.
+Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl
+erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag
+sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei
+den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum
+durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der
+Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten
+veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht
+bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr,
+was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf
+sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten.
+Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile
+im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und
+Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der
+Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer
+und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So
+musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger
+erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich
+gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald
+litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner,
+Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen
+Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen
+nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der
+Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger
+von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von
+den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern
+und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der
+trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des
+roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner,
+also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die
+Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der
+Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass
+Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge
+zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk
+vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite
+Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich
+zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am
+folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage
+Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu
+ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward
+ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der
+elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus,
+um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die
+Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter
+die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn
+Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias
+Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der
+Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten
+aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur
+Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung
+der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der
+Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die
+kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer
+neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung
+(616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen
+Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern
+an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern,
+Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden
+Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen
+Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein
+sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der
+Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste
+die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine
+senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio
+das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat,
+was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner
+Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren
+schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als
+Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in
+ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum
+fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes,
+der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus
+Caecilius Metellus' Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem
+Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst
+waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
+unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz.
+Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der
+Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern
+in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
+Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische
+Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit
+und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische
+Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht
+bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
+den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in
+Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
+oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln
+gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
+Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht,
+diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen
+lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
+nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den
+jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen
+Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung
+der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das
+bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
+Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich
+und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren
+Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher
+Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und
+asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago,
+Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen
+Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis
+seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges
+auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit
+eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass
+der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese
+Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In
+Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger
+Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch
+den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und
+Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten
+und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von
+Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien,
+Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und
+dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich
+zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt
+zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den
+bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten
+im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und
+selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem
+inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die
+Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft
+und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden
+vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der
+Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann
+und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten
+tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz
+nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu
+vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die
+achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt
+ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so
+war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der
+roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht
+mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte,
+freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass
+die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und
+jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren
+musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
+als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde
+zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte
+Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
+Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben
+oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit
+die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat
+keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff
+der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen,
+asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten
+und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die
+Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der
+Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago
+und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der
+vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
+und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
+gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass
+Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte,
+nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den
+Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern
+zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom
+Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
+Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen
+Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von
+Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar
+sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu
+widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat
+geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil
+zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in
+der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
+brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um
+die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge
+insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermassen
+preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
+vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der
+roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
+die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
+fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden
+Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der
+ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen
+Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
+erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass
+in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
+Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein
+Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die
+Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher
+geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich
+nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts
+zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den
+Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten
+politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich
+in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die
+Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich
+nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er
+den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und
+energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den
+Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf
+dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago.
+Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment
+sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch
+die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und
+Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen
+war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie
+es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie
+bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber
+derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt
+an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als
+dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit
+ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der
+fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von
+roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch
+in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als
+Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
+(860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass
+Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
+Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen
+Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig,
+als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen.
+Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika
+eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen,
+ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben
+zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
+sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
+die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage
+zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung
+fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission
+war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste
+Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem
+vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen
+und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand
+der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen,
+die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche
+Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal
+all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und
+mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis,
+dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden
+verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht
+sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der
+Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen
+Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
+vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der
+kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene
+Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
+politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
+roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit
+dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht
+unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
+sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es
+scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren,
+die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu
+bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen
+Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
+und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet
+beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
+forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit
+Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken.
+Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
+Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in
+Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer
+der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran
+dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
+die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
+wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
+Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus
+der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung
+je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
+die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern
+ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
+Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich
+wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
+der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem
+Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer
+gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
+Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat
+wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des
+Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
+ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte
+seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen
+Karthagos fuer den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und
+die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
+Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in
+der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
+Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung,
+dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
+verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
+verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
+Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
+Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die
+Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
+einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
+auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig.
+Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
+gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren
+zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
+Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
+der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu
+machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
+Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des
+Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee,
+an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
+Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
+herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager
+und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl
+durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte
+numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch
+den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager
+gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio
+versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein
+an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer
+auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng
+eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles
+zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer,
+Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch,
+Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten
+fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht
+gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der
+Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet
+hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern,
+hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn
+die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch
+ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings
+von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus
+geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom
+gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die
+Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden
+Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und
+Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom
+geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich
+trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort
+ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen
+zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien
+es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung
+ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte,
+dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf
+die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja
+bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein
+es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die
+liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
+karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter
+Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert
+(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
+versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung
+zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der
+karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr
+Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermoegen zu garantieren, wofern
+sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
+Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
+und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln
+nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
+zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
+Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur
+begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
+dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika
+zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
+verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
+er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
+kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen
+Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette.
+Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche
+Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte
+weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse,
+sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
+sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die
+karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand
+geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt.
+Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago
+erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die
+Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
+Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
+gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
+die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert,
+dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach
+der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
+Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz
+befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle
+Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
+sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass
+in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
+zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
+wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
+Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl
+ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
+wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
+und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
+Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
+vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat
+und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
+Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung
+der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und
+Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
+Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche
+mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
+des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
+ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
+welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
+die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt
+heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils
+die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens
+an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man
+beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
+von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
+entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
+den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei
+erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das
+mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste,
+Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica,
+das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine
+unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
+dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
+phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
+Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an
+die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer
+Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die
+Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren
+wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in
+der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der
+Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und
+verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
+um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
+Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
+gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
+oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze
+unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
+in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder
+bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen
+entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
+wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
+daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
+Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern
+die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen
+und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die
+grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu
+besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann
+zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie
+durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen
+Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina,
+oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach
+Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und
+nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an
+der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
+ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
+den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
+die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der
+Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt
+Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und
+dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
+natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung.
+Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
+Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
+vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der
+Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste
+gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6 Fuss Dicke und an diese
+hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten
+ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten
+Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss
+breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11
+Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern
+zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die
+maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von
+45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung
+und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle,
+Magazin- und Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha
+= Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und
+an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten
+7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die
+Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche
+desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen
+ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils
+der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen
+Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast
+gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An
+dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk
+von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches,
+die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss
+breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
+und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
+Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren
+gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
+ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen
+den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich
+einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens
+lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der
+Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der
+eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener
+Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten
+gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt,
+eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der
+gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem
+heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-,
+die Vor- und die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite
+der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur
+zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene
+schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war,
+aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren
+Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot.
+------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist
+im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der
+alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen
+wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch
+von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in
+den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster
+393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule
+(Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern
+und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6 Fuss
+Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3Fuss
+Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter
+= 3Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p.
+522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1 Fuss), waehrend Livius
+(bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder
+genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die
+Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die
+bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet
+war, ist die Aussenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der
+Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier
+in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns
+haben, wird jedem einleuchten; N. Davis' Einwuerfe (Carthage and
+her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen
+Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur
+muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die
+es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von
+der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite
+des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
+stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und
+Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben
+jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund
+vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der
+Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen
+in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
+Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
+laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu
+Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
+Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
+Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie
+lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen;
+doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
+Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die
+Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
+Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
+einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
+Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
+Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet
+Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen,
+die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch
+12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen
+hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11
+griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob
+diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in
+ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung
+festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden,
+haben die Dicke von 1,1 Meter = 3 Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich
+2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind
+ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl.
+Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter
+im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene
+Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9
+Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin
+bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
+die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren
+Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
+eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones
+p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den
+viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben.
+--------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so
+wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass
+teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800
+Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils
+beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten
+Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten,
+sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern
+zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der
+verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten
+numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen
+werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte
+Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung
+regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte,
+schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus
+mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die
+Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an
+dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den
+zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten
+ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer
+Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte
+Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit
+ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes
+musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang
+es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch
+einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am
+naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die
+Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten
+Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig
+vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit
+groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun
+Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend,
+seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die
+Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius
+gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in
+die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten,
+die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung
+und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr
+ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der
+bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs
+brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie
+hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander
+und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch
+Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung
+fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete
+Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei
+der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer
+foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den
+Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun
+Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde
+auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und
+den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem
+ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider
+seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres
+geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden
+Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch
+seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der
+Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen
+geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio,
+einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern
+zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des
+sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige
+Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in
+Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer
+zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter
+Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen
+leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang
+auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf
+allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war,
+wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres
+605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos,
+erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen
+Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die
+andern sind wandelnde Schatten ^10."
+--------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de
+skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber
+diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel
+herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
+und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
+der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun
+gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung
+der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen
+phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg,
+wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon
+Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das
+Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen
+musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt
+gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen
+nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer
+Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische
+Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und
+Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen
+einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der
+Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt
+befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im
+Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine
+fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom,
+um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu
+schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der
+bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein
+Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet,
+um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden
+Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die
+Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147)
+in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der
+roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung
+der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem
+bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der
+schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast
+seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der
+Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In
+der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore
+derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung
+auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe
+zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der
+groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum
+angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz
+von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen
+Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese
+Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos,
+um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal
+aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar
+an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von
+Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab
+der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten.
+Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen
+saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender
+und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an.
+Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang.
+Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem
+Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die
+Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze
+Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den
+Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich
+belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant
+bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische
+Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des
+Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess;
+und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die
+Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte,
+nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr
+nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier
+auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem
+Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche
+der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner
+ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin
+vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den
+Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils
+Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus
+jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu
+bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung
+war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge
+zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96
+Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien
+verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als
+unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine
+Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter
+an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate
+lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu
+sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben
+die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten
+aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl
+Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend
+die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in
+oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen,
+welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt
+werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu
+begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte
+und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese
+verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht
+zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne
+Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen
+Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch
+entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun
+seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der
+Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall
+notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge
+aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser
+Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das
+Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins
+Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen
+musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie
+Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen
+wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den
+Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer
+an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt
+endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollstaendig
+abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen
+gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das
+Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius
+angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die
+ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen.
+Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die
+Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das
+Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn
+inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal
+freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im
+Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere
+Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte
+sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber
+Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung
+kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren
+Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch
+keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen
+anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach
+der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den
+gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach
+dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse
+gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen
+Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess
+nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche
+fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und
+Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich
+Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten.
+Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
+Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher
+Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger
+Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
+zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
+ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und
+25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig
+die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
+mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
+des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie
+fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber
+als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den
+Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu
+sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein
+Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren
+Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den
+Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese
+Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren
+Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst
+die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende.
+Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des
+Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die
+Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man
+im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als
+roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich
+behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder
+Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von
+den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den
+sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum
+Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel
+an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem
+groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben
+wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage
+an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der
+Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat
+befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem
+Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt
+mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu
+fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen,
+und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder
+Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war.
+Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der
+karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
+einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken,
+Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die
+fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
+hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen
+Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
+Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
+statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher
+Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig,
+fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen
+zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen
+Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt.
+Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges
+Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den
+Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago
+zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte
+ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische
+Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der
+schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von
+Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
+gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die
+uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter
+beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten,
+blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige
+Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei
+Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon,
+dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
+verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
+andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig
+abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
+Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter,
+dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte
+dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von
+den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
+ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
+seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte
+Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
+Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte;
+dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer.
+Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
+Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches
+Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen
+Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum
+und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
+Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig
+als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die
+Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein
+fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
+mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
+wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung
+der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute,
+welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten
+und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die
+bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften
+auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand
+auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen
+Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte
+Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht
+zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner,
+zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat
+einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos
+ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete
+(590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern
+herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio
+Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen.
+Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos
+nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und
+der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt
+Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner
+hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem
+vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich
+an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es
+fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder
+zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder
+in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens
+abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen,
+den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat
+achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt
+konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war
+er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals
+aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit
+dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es
+geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und
+wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht
+bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner
+Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern.
+Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in
+Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er
+doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike
+jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der
+ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine
+Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte
+Philippos Perseus' Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und
+dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der
+adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der
+Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage
+sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken.
+Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet
+eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung,
+dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen
+werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war,
+musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den
+Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen,
+bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser
+griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er
+selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum
+groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment
+hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte.
+Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius
+Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische
+Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht
+die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und
+Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten,
+sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren,
+verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606
+148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin
+Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung
+erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem
+Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der
+Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund
+vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den
+die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das
+Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine
+roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die
+roemische Regierung ihr System geaendert und das Klientel- durch das
+Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde
+die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem
+ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
+empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien
+abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen
+Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel
+gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass
+dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits
+Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit,
+die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst
+dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die
+Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie
+in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges
+Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es
+scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen
+Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen
+neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige
+Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten
+(155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden
+umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen
+Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung
+des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn,
+Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und
+hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius
+Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den
+fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
+auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei
+Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte;
+seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als
+dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der
+Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren
+es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und
+Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation
+gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen
+Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie
+gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse
+Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios' Zeit von
+den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion,
+quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis
+an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche
+Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die
+zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel
+ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die
+spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.
+------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse
+zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in
+deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen
+begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudo-
+aristotelischen Schrift 'Von den merkwuerdigen Dingen'. Auch heute noch
+laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die
+Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida
+(Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki.
+------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte
+das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu
+erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass
+daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und
+die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die
+verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der
+Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare
+Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten,
+stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs
+heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst
+waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und
+Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen
+der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten,
+deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu
+fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem
+Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich
+zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung
+der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund
+in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war
+zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er
+in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien
+erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft
+jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst
+ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale
+Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern
+durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende,
+mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher
+das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach
+Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden
+versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehr- und die
+daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und
+Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und
+pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den
+Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen
+Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt.
+Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und
+der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald
+erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um
+nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern
+Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen
+Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der
+Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die
+Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen
+Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
+Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
+Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
+Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die
+Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die
+Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
+wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder
+vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt
+ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat
+aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine
+Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses
+Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide
+falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer,
+die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den
+falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit
+und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148)
+unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte,
+von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische
+Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
+erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
+fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht
+als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward
+abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs,
+setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten
+Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen
+Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange
+erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun
+ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in
+Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter
+und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die
+unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die
+achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer
+durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die
+aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden
+sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
+gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta
+im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
+auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie
+dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort
+auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die
+roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der
+regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in
+Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck
+ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der
+tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als
+hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in
+die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten
+Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden,
+obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten
+dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im
+Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung,
+die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst
+auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die
+erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius
+Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der
+Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue
+Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als
+staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus
+bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago
+und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die
+Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht,
+zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der
+streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem
+Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich
+auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und
+zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer
+in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das
+heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach
+Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte
+auf Kritolaos' Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt
+noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen,
+und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia,
+groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handels- und
+Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang
+sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos' Erklaerung, dass man
+die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit
+unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung
+sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines
+Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der
+Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen
+Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker
+und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war,
+zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle
+Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also
+Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter
+naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608
+(146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta,
+das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen
+Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen.
+Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden
+beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es
+Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem
+achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war
+von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl
+gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst
+machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei
+den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung
+und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris.
+Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos
+ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer
+der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen
+Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung
+von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia
+aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem
+Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben
+gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte
+durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen
+Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit
+Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche
+scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation
+der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos'
+Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen
+auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in
+das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten
+und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
+Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt.
+Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische
+Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
+sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
+dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius
+Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und
+das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch
+einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen
+Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei
+Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht
+sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse
+aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten
+standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps
+auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
+Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber
+Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar
+das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage
+zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
+von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen
+Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn
+Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten
+Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind
+gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den
+Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt
+einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in
+aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen,
+sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich
+gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den
+Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien;
+in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber
+doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen
+des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen,
+umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten
+Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die
+geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter
+erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern
+oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
+ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und
+anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in
+den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den
+isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
+definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
+Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
+die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche
+aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass
+niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der
+Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht
+hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in
+jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment
+in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom
+zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter
+von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem
+Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung
+zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung
+an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die
+"Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum
+Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum
+an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit
+in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein
+Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch
+die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes
+beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den
+sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch
+mehrere mit Mummius' Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche
+Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146)
+roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf
+einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig
+"frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar.
+9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass
+Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm.
+14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen
+Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die
+kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10,
+485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch
+in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21,
+55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543)
+sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
+2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich
+die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war.
+Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
+anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien
+Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B.
+Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B.
+los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz
+in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und
+etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen
+gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das
+tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen
+Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur
+Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu
+der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch
+viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655
+(89) aus lauter Buerger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch
+durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften,
+die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch
+keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der
+Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts
+als das "Kommando" und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstaetigkeit des
+Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner
+militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die
+formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden
+werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands
+Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische
+als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen
+Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere
+Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung
+der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der
+hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen
+Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die
+tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als
+Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes
+wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt.
+--------------------------------------------- Strengere Behandlung aber
+traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich
+nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch
+Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden;
+dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten
+Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer
+Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des
+Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei
+nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
+bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
+nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
+sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder
+Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil
+an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten
+des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu
+roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas",
+der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen
+Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
+muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
+Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die
+Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und
+die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention
+erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles
+damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein
+Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von
+Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei
+weitem besser als die bisherige Wirr- und Missregierung der griechischen
+Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes
+hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
+begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen
+Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das
+Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
+von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
+Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
+welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
+in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
+Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren
+grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser
+Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und
+barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu
+entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
+die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
+numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche
+durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten
+ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts
+weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
+aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
+sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel.
+Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
+erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
+anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
+Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei
+der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man,
+weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb
+man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die
+Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer
+die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen
+Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
+wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon
+seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte
+von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in
+die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der
+Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.
+---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer
+ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in
+der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder
+"delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien
+begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den
+Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht
+geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos
+selbst fabriziert wurden. ------------------------------------
+Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
+getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
+entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren
+Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden
+das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
+Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf
+das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
+strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie
+sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
+Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu
+pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms
+nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste
+Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen
+und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen,
+von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden
+auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei
+dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
+erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken
+eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht
+war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch
+unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an
+sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den
+ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den
+barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung
+der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war,
+ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der
+pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum
+Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es
+scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den
+Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen
+Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die
+asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer
+unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes
+ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem
+Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg.
+Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine
+Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische
+Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die
+eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes' Bitte sich
+herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
+wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch
+die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und
+obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten
+Versuche, dort die Haende im Spiel zu behalten, durch roemischen
+Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller
+offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und
+die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das
+Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos
+(+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich
+der Vormundschaft ueber Eumenes' unmuendigen Sohn zu bemaechtigen,
+mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie
+Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam,
+ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von
+der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die
+antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das
+Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von
+ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen
+Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen
+Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen
+bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? -
+605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten
+Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische
+Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt
+belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt
+gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der
+Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133)
+trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein
+asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass
+der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu
+entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen
+und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb
+er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs,
+bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht
+der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer
+die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent
+testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke,
+das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den
+wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der
+ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere
+Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu
+entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft
+an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom
+als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber
+auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg.
+Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende
+Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes' II., Aristonikos
+in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als
+Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes
+von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige
+Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf
+der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten.
+Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an
+der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von
+ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich
+der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der
+attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter
+seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen
+in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der
+Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos,
+Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit
+gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast
+ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131)
+ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und
+Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten
+und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als
+Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten
+in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von
+dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und
+ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den
+Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem
+solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten,
+ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als
+Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig
+Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach
+diesem Siege von Crassus' Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein
+Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und
+bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch
+Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der
+Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius
+(625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet.
+Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen
+ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der
+Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos
+kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in
+Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige
+Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der
+karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward,
+in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren,
+wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie
+Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat
+eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15
+Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
+Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester
+von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20),
+erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben
+und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes
+am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt
+(164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst
+nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen.
+Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in
+der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix.
+Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen,
+die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche
+desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu
+mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32,
+3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos
+hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt
+hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia
+von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu
+haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen
+abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des
+Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi)
+beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem
+Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die
+Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde,
+setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie
+auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben
+Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das
+heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut
+einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches
+Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des
+Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also
+konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen
+der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und
+den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
+staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis
+in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die
+Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser
+umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
+roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
+fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
+innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
+benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von
+einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass
+die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht
+fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die
+ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
+---------------------------------------------------- Die zahlreichen
+andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien,
+die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und
+die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos
+blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen.
+Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes
+V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der
+Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und
+Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
+Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
+auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast
+barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse,
+wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden
+Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue
+gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
+Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe
+Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos
+versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der
+suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der
+oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten
+Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte
+"Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu
+steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von
+Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys
+bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des
+reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt
+dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe
+gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze,
+deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer
+Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien
+zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes
+sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120),
+treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
+Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben
+sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die
+paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
+dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich
+wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat
+fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen,
+von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien
+empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die
+Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte,
+ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von
+Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien
+als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien
+und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der
+kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so
+vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand
+im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des
+Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache
+sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565
+(189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen
+Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug
+auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist
+Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien
+die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im
+Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl
+des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da
+in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum
+gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten
+zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos
+Epiphanes' Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos
+des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs
+Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone;
+hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden
+Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den
+juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem
+Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken,
+persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat
+lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des
+roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung
+des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der
+Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische
+Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich,
+durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das
+Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und
+im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In
+Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch,
+teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer
+ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt
+und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer
+wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie
+nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies
+war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den
+Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft
+auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos
+und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des
+Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck
+auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward
+unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und
+beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in
+Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh
+aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der
+roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des
+koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162).
+Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg
+aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem
+aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch
+mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei
+Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht
+und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den
+ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name
+gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre
+zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten
+vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz
+ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur
+Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius
+gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb;
+aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als
+Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es
+ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss
+Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten,
+sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und
+dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch
+dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische
+Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten
+sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch
+ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den
+naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu
+verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status
+quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies-
+und jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen
+Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich
+wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht
+lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra
+unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige
+baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
+der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
+Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
+dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
+bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
+das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener
+Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der
+Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
+angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der
+Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der
+beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im
+Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung
+in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern,
+gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich
+Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung.
+Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines
+Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte
+Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem
+Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten
+der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung
+die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
+hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall
+in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in
+religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit,
+auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich
+einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war
+und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste
+Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete.
+Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen
+Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst
+taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
+zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an
+den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter
+mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
+Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
+zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
+Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort
+anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden
+nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel
+des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den
+Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und
+trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots,
+ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich
+lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu
+erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer
+sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das
+Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des
+Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen
+Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und
+Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das
+Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation
+wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst
+Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139).
+----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die
+Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des
+"heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem
+Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm,
+sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian.
+------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese
+Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus
+gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften,
+wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder
+leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und
+des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des
+Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren
+Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen
+Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die
+hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und
+aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther,
+die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen
+Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom
+Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem
+skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden
+als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus
+seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I.
+(579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen
+Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die
+Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten
+am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte
+Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften
+westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals,
+teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des
+Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden
+Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im
+vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen;
+in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an
+der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem
+entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder
+der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz
+Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich
+vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte,
+gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am
+Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz,
+sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen
+in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem
+roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen
+Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien,
+Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten
+Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg
+und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr
+Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische
+Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu.
+Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht
+bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen
+Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen
+Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch
+nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im
+allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der
+Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem
+der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und
+die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die
+orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und
+Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten.
+Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat
+beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt
+wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es
+nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder
+den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten
+in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
+einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
+voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
+musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten
+oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische
+Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
+Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
+Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
+Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren
+asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
+eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
+den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
+Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien
+und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner
+Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die
+mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
+unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
+noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
+vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem
+den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche
+Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien
+ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut,
+die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen
+Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die
+Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in
+Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten
+haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in
+das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise.
+Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
+Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren
+letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von
+Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis
+bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
+Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat,
+nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
+fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
+die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
+Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu
+sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden;
+mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
+Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf
+die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl
+darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends
+mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte
+vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige
+Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem
+Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten
+wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal
+fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit
+Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer.
+Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und
+wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
+ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen
+Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
+vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
+furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
+Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien,
+von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten
+Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen
+sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah
+nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht
+der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen
+die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten
+Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in
+den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631
+(123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen
+und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern
+ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich
+abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese
+entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die
+zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst
+ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten
+der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht.
+Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine
+glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des
+Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine
+Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und
+gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger
+aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe
+das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
+was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein
+schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen
+war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der
+ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
+achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer
+schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus
+fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind
+all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege
+verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten
+"Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in
+Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und
+die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz
+fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht
+mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie
+denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
+Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
+Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
+zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
+letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie
+gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen
+die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
+scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese
+Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht
+bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat:
+der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig
+Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch
+Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem
+Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die
+Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die
+zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler
+waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in
+Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die
+Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel
+ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann,
+Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und
+Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische
+Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht
+stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen
+Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an
+Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die
+Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der
+Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische
+Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als
+die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den
+bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in
+regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung
+der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt
+ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf
+die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat
+begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem
+Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht
+voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des
+Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken
+und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den
+leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die
+Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine
+die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu
+setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig
+durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben
+Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen
+der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen
+Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich
+Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment
+selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen
+Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur
+eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen
+die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem
+Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen
+andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt
+deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein
+streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie
+an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und
+gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und
+jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem
+jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern
+auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge,
+unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung
+weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle
+beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern
+das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wort-
+und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit
+Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute
+und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische
+Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den
+ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und
+Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel
+dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von
+Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle
+Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur
+eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung
+der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen
+Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der
+verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold
+der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der
+erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen,
+wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von
+Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren
+durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio
+Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien
+zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man
+den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die
+Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie
+ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft
+auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die
+Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von
+Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger
+ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des
+roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter
+Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm
+missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege
+geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der
+Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei
+der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft
+allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten
+Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat
+sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das
+Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung
+der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen
+abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die
+italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der
+elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr
+aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die
+spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben.
+Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen
+Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung
+bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der
+alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der
+dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu
+ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen
+Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen
+Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die
+Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige
+Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den
+spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so
+machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn
+zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios
+Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten,
+vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die
+roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen,
+in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen
+Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache
+ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen
+Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege
+in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit
+Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des
+Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus' Meuchelmord ein Meisterwerk der
+roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat.
+Wie voellig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Roemern
+abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die
+Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
+selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
+liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
+seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene
+Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
+behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
+bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er
+gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein
+volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische
+Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten
+Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der
+roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem
+Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum
+stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen
+Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung
+erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik
+des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer
+ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und
+Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
+bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
+keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
+machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
+Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge
+anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein
+eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der
+Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art
+ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere
+Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine
+geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter
+staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten
+der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und
+heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe
+kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem
+andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet.
+Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln
+bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden
+solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein
+tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette
+fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern,
+welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des
+Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener
+gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der
+Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten
+von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte.
+Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war
+eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das
+Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich
+gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess
+man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben;
+wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der
+laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht
+regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war
+die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien.
+Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den
+rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein
+angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch
+durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf
+das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten
+politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und
+die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der
+Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1
+und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die
+Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit
+dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen
+Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine
+Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der
+Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es
+keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden
+Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer
+Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte
+es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu
+einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
+Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst
+oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die
+Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es
+war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde
+folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
+Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
+niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
+vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
+Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen
+Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der
+roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen
+der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das
+Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische
+(617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das
+Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden
+bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen,
+bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den
+bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten.
+In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden
+Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie
+veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
+erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
+des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das
+mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
+nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
+war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet
+der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres
+Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf
+den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).
+---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde
+das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des
+Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach
+Marcellus' Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn
+die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden,
+ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586,
+591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152);
+also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den
+zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte,
+ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne
+Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und
+599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende
+wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der
+Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da
+dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149)
+eingebracht worden sein muss. -------------------------------------
+Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich
+bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
+Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war
+in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig
+zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die
+jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich
+zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und
+den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen
+Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte
+politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben
+rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten
+gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem
+Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende
+des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und
+gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig
+erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des
+kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen
+Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und
+Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur
+war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der
+Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen,
+wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken
+weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht,
+solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische,
+politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze
+warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet
+den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit
+wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden
+jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und
+unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche
+Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die
+oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe
+begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der
+einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene
+getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und
+oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf
+die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr
+und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als
+sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der
+Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem
+"Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und
+ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen
+entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss
+im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge
+durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder
+groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu
+vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie
+wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die
+Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt,
+um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der
+unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos
+weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen
+einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des
+Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut
+der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den
+Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die
+Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam
+gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen
+auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die
+Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die
+schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie
+um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und
+Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den
+Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch
+aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber
+Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis
+zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen
+Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung
+direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus
+ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber
+das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten
+ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging,
+die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren
+versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise
+verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende
+einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon
+im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach,
+welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten"
+den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung
+bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre
+Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide
+Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren
+Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der
+politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich
+nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da
+weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein
+politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und
+so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie
+auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und
+der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der
+politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen,
+wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu
+einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches
+Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten
+und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die
+einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und
+Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten,
+sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt.
+Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer
+mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen.
+Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution
+eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor,
+sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die
+roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche
+also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt
+ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
+uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig
+sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der
+Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem
+grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg
+gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst
+des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche
+Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und
+der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen
+Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben
+Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
+veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende
+Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft
+vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer
+ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines
+Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz
+des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort
+mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die
+Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form
+Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann
+der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig
+gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr
+trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer.
+Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche:
+die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der
+Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien
+durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in
+Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schliesslich die
+Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch
+Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das
+Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung
+sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum
+gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen
+sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es
+versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und
+Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang
+der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir
+haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen
+Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte
+ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften
+kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung
+zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber
+einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar
+zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit
+die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften
+und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven
+gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus
+der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den
+Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
+die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
+Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch
+betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
+Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung
+bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
+Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
+Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
+verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der
+arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward.
+Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
+kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger
+und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln
+ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den
+Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
+ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
+dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den
+verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen
+Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen
+Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware
+an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
+10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
+gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
+geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
+ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der
+roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden,
+dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums
+auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf,
+ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte
+Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben,
+so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der
+Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle
+in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den
+Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh
+kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden,
+deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die
+Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut
+bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung
+des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten,
+haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens
+ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward
+bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen
+Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155),
+als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise
+die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit
+schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der
+Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven,
+welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die
+Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig
+unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese
+Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert
+und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo,
+wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher
+und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen
+Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa
+30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren
+verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit
+geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also
+durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein
+einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten
+waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten
+hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen
+Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die
+roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die
+mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien
+indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer
+jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die
+Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo
+sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand,
+hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht
+fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch
+ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte,
+daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben.
+Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens
+von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand
+619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise
+lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.
+------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es
+geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere
+Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus
+(Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer
+sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses
+(ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet
+darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen
+Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit
+den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer
+von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich
+vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche
+Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen
+Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist.
+Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als
+auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf
+das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat
+weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr
+beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen
+koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das
+Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer
+Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen
+bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf
+die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien
+Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen
+beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die
+allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In
+Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren
+Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu
+erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450,
+in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133).
+Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem
+grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte
+man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen
+zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine
+kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der
+Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es
+natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in
+Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande,
+laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu
+steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller
+Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna
+(Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven
+ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna
+stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich
+erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten
+oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen
+Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer
+zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt,
+jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum
+auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht,
+der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche
+Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen
+Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und
+nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die
+seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles
+Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche
+Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave,
+Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen
+Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich
+vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den
+Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen
+Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager
+zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der
+Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000
+Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei
+Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere
+nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil
+ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und
+von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die
+sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um
+sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner
+verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die
+Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch
+und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4.
+------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden
+sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist,
+nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von
+621 (133): L. Piso L. f. cos.
+------------------------------------------------- Das waren die
+Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und
+dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die
+Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit
+der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die
+polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen
+verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die
+besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie
+auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der
+albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang
+der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder
+Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der
+Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung
+trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des
+Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche;
+aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische
+Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die
+aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
+lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne
+Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
+mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
+eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
+zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der
+Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese
+Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie
+Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn
+die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz
+war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul
+Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber
+20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger
+moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende,
+freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge
+der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer
+Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser
+Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte
+man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner
+Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt
+ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den
+Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach
+karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins
+Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem
+roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe
+Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr
+in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte
+nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten
+sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles
+Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden
+und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren
+Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das
+Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden
+Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende
+Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs
+in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen;
+man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte
+Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen
+neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie
+namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben,
+aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare
+Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt,
+vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach
+der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt
+stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597
+(157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die
+Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser
+den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht
+gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als
+das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der
+Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie
+vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur
+Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig;
+Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen
+italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn
+man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die
+Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
+uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und
+also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
+auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne
+Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging
+- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde
+stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie
+der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer
+fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu
+bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst
+abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das
+gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken.
+Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das
+italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe
+auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte
+einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten
+schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien
+Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt
+werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts
+geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren
+der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar
+zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen
+Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre
+595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
+wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
+Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000
+waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges
+Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607
+(147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger
+stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und
+aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich
+auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat,
+wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt
+kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der
+Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin
+man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall;
+jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich
+aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte
+an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen
+Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des
+Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen
+glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft
+eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus
+(570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und
+durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den
+naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte
+er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen
+Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren
+und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als
+Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter
+seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer
+sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der
+Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern
+seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die
+Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische
+Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren
+der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende
+Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und
+durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des
+Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus
+erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem
+klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller,
+zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden
+gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen,
+von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger
+Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und
+roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm
+freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat,
+die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein
+sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund
+und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach;
+dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und
+uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner
+Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein
+tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er
+den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener
+Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als
+Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen
+Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm
+keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale
+Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen
+Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter
+Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch
+organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es
+nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche
+abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung
+der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte
+Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und
+Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein
+Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten
+Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime
+Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht
+hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der
+schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem
+Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber
+und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das
+Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der
+alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der
+glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die
+Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter
+treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es
+verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte
+Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen
+Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt.
+Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein
+politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die
+Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen
+Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends
+verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand
+von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff
+war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte
+also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff,
+wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
+ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass
+dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
+vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
+hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
+schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
+Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des
+Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
+auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam,
+nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
+Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
+hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter
+angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
+Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten.
+Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber
+wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall
+zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum
+Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus
+(591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585
+177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten.
+Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege
+gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren
+und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein
+Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm
+verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
+Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die
+Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte
+und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
+durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst
+und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes
+Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war
+die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen
+Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn
+erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die
+nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von
+Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den
+Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden
+Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks
+und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als
+zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen
+gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische
+und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio
+Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter
+ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos
+mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und
+kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die
+Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie
+in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung
+des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus
+der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch
+nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor
+der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern
+schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618
+136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der
+gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier
+erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der
+Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer,
+wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die
+Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius
+Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und
+Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt.
+Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der
+wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht
+abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er
+gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus
+Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch
+als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und
+Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius
+Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen
+Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib
+genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm
+regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer
+Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative
+gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der
+Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss,
+war wesentlich Gracchus' Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass
+der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit
+den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die
+groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war,
+konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen
+gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen
+er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der
+Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen
+er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden,
+fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche
+Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes,
+der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm
+Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der
+bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische,
+sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss
+jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine
+ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war
+der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine
+spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es
+noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus' Entschluss
+zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit
+unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach
+Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des
+Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt
+worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die
+Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine
+Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es
+sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne
+Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel
+das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen
+eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne
+Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht
+ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten
+oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von
+den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und
+Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also
+eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und
+diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt
+werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche
+Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine
+maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein
+Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte
+der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt
+wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschaeft beauftragt,
+wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich
+festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die
+Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend,
+bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen
+Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz
+verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel
+zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen
+beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und
+vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in
+dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe
+ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen
+Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen
+Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem
+zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter
+Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf
+in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen
+des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege
+des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der
+Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter
+Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte;
+womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte
+nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte
+seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war
+unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos,
+brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich
+wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte
+seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht
+zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet
+werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges
+Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen,
+ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus
+einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn
+auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging
+der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass
+der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe;
+allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der
+Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die
+verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte
+man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen,
+den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem
+folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der
+Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man
+rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf
+die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste;
+er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft
+trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden
+muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen,
+welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich
+natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die
+Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der
+Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem
+Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob
+nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt
+habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten
+Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem
+vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes
+persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast
+einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus' Befehl durch
+die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
+allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
+Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des
+Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem
+Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
+Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich
+an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
+erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
+Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer
+gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft
+der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in
+jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte.
+Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht,
+weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber
+ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus
+Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat
+niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen,
+die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste.
+Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche
+Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine
+Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem
+der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte
+hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
+seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass
+er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber
+er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
+als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
+blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer
+neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch
+das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und
+Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
+den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
+des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt,
+gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die
+neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber
+Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts,
+ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als
+Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen
+Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet
+haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich
+nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung
+darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf
+ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese
+verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in
+Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
+zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
+aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
+fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre
+Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch
+schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung
+unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden
+Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in
+Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im
+Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall,
+dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf
+er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem
+Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam
+der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden
+und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger
+zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der
+Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt,
+bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass
+er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat
+versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die
+erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als
+Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem
+Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er
+fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde
+zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter
+sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich
+keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren
+unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein
+harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich
+zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten
+war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk
+wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen
+und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus
+versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der
+Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius
+Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre -
+vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen
+Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere
+Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die
+Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche
+seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte
+Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien
+waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt,
+wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
+Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man
+hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen
+der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
+die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt
+offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
+rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
+ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus' Mitschuldige
+einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius
+Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse
+Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art
+rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den
+vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
+hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
+vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald
+darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
+gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
+Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
+Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
+verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
+Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich
+darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder
+nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach
+der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen
+wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen.
+Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen
+Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer
+Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden
+italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
+Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
+obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die
+Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
+sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass
+die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie
+irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer
+Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer
+des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss
+geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen
+Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte,
+stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die
+Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine
+Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle
+Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit,
+dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag
+tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch,
+diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch
+keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat,
+wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich
+seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen
+Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem
+Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar
+hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich
+in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats,
+das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den
+privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut
+wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder
+sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist
+mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel
+als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des
+agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie
+anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche
+nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines
+aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211)
+zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war
+in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in
+Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten
+Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss
+bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die
+Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum
+Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte
+auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch
+Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein
+Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die
+Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem
+Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem
+Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber
+doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose
+Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die
+liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten
+Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der
+roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab
+angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu
+bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der
+Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt
+wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur
+aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte
+Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich
+vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen,
+dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte
+Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern
+aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war
+und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.
+---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass
+diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen.
+Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der
+Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das
+einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu
+vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens
+auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die
+ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen
+Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die
+Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der
+Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen
+Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der
+Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen
+Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit
+regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine
+Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es
+war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
+Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
+Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
+Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte,
+die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik
+gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt,
+sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die
+sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus' Tun. Fuer die
+Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat
+zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer,
+aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann.
+Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur
+zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
+Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das
+des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
+denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger
+verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den
+Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die
+Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische
+Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
+grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung
+zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
+klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der
+Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der
+staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
+System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
+Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in
+England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler
+Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
+allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in
+der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
+Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss
+zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
+Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein
+paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig
+aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand
+sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
+Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie
+in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden
+dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss
+nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die
+Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
+Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
+obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten.
+Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man
+es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger
+erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den
+Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
+Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
+bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
+abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe
+die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam
+etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt
+ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den
+Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
+anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
+Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da,
+sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt
+zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht,
+dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den
+Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der
+Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war
+schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien
+und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete
+und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den
+Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem
+gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess;
+wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim
+Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu
+beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen
+Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht
+am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie
+angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen
+Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die
+Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt.
+Darum bezeichnen Gracchus' Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen
+Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt
+auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles
+der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der
+Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
+gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie
+doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
+festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass
+redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt
+wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich
+anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne
+nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es
+ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass
+dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
+Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat
+ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
+Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne
+Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger,
+durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
+wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
+Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
+die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in
+die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission,
+den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und
+Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse
+und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer
+Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
+Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und
+verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet
+sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein
+die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus' Namen geschmueckt
+hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner
+Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe
+gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb' ein jeder, der
+aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder
+Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene
+Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird
+die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den
+Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte
+Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch
+ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3.
+Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot;
+indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution,
+ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat
+gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen
+Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den
+wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr
+befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der
+Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer
+Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und
+Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio
+Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst
+im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein
+Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach
+dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde
+ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
+bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl
+wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen
+nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat
+fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
+Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
+auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in
+Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer
+der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
+Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft
+der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer
+und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an
+Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
+derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus
+leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den
+ersten, der auf den Domaenen die Hirten aus- und dafuer die Bauern
+eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die
+Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen
+Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
+Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden
+die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen
+Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser
+Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst
+auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie
+denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende
+Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und
+Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten
+aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre
+623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132)
+stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen
+sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die
+Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich
+infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische
+Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen
+in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf
+alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches
+Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung
+achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt
+mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener
+Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch
+vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei,
+auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben;
+unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht
+bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert,
+sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der
+Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie
+laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess
+die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal
+die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses
+Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
+dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland
+war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken
+desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volks-
+oder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen,
+andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubter- oder unerlaubterweise
+okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
+an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern
+einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder
+vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst
+des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen
+Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
+verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
+nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
+Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
+einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
+verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
+mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in
+diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte,
+so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
+politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon
+durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr
+entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
+Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
+Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen,
+die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die
+Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte
+jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
+setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten
+Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
+schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1
+ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die
+Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
+Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln
+gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam.
+Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
+Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
+gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
+Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr,
+zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft
+unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da
+die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
+sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
+Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios
+Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der
+Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
+ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages
+ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige
+in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
+oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den
+naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein
+Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes
+geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher
+der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche
+meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner
+Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag
+gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen
+Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen
+Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur
+dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist
+einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
+aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
+nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer,
+Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess
+moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der
+Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio
+ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht
+ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen
+entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten
+gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen
+schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des
+grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward
+beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht
+des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten
+Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens
+verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des
+Verbrechens. ----------------------------------------------------------
+^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
+nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte
+gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
+triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv.
+ep. 28; oben S. 95).
+---------------------------------------------------------- Die
+Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus,
+aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des
+politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt;
+vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle
+zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich
+bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen
+Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer
+Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen,
+in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
+gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder
+verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
+gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
+Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs
+von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
+Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte.
+Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
+wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius
+Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
+unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht
+gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment
+traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
+Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
+mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
+fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort
+den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
+nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
+gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging
+an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
+konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
+hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich
+Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
+Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
+geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt,
+soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den
+bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
+dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also
+das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war,
+gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
+Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach
+dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln,
+wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsaechliche Absicht der Partei
+ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten
+Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen,
+die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
+entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu
+beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
+begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
+Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt
+beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
+Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen
+Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
+Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul
+mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der
+roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht
+gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen
+Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte
+inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius
+Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem
+Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die
+der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig
+geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten
+zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den
+grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit
+aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
+Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze
+von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten
+eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die
+zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche
+Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge
+der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen
+Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen,
+nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens
+gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den
+Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu
+ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern
+durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward
+der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die
+ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward.
+Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
+gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
+umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht
+schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse
+verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der
+Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an
+dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius
+Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten
+Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche
+Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren
+dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
+Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
+Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh
+auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich
+zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
+(123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei,
+immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch
+notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende
+und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo
+und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft
+berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die
+Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an
+anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer
+zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen
+anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
+sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
+---------------------------------------------------- Gaius Gracchus
+(601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren
+Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt,
+ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia
+unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung
+gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war
+er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und
+Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der
+verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen
+Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die
+echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
+Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen,
+die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens
+und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
+Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht
+mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in
+die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die
+das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch
+diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste
+Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir
+ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen
+duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten
+Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder
+Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch
+nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte.
+Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn
+selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder
+stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und
+Leidens. In Gaius' Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders,
+von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren
+Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen
+umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der
+Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb
+ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem
+Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland
+zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde
+bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das
+Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis
+war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung,
+Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber
+zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen
+werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich
+Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber
+auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus
+italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt,
+und sie hat recht daran getan.
+------------------------------------------------------- 3 So die bei der
+Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu
+euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und
+meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter
+uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus
+Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen,
+damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein
+Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl
+solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden."
+------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus
+war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft
+getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte,
+war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren
+erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint,
+dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende
+Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die
+Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung
+gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
+sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur
+von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war,
+hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer
+zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der
+hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem
+Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu
+Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus
+verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich
+meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5
+Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt
+werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2 Groschen) oder noch nicht die
+Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch
+Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine
+erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der
+Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des
+Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische
+Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
+abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei
+bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und
+eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit
+hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch
+bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem
+Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen
+sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer
+jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese
+Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische
+Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber
+die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber
+die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den
+Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der
+Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen
+Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage
+war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und
+selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius
+durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die
+Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass
+hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung
+wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen
+ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115)
+genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb
+nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene
+Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen
+der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr
+schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen
+werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber
+das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in
+Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also
+auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung
+ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar
+nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden
+ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne
+Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre
+Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und
+folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt,
+das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats
+zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000
+vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus
+den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen
+Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die
+Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip
+der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein
+bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe
+eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts
+aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das
+Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten.
+Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats
+unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die
+hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen
+Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere
+Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im
+Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach
+altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem
+siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum
+ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung
+Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich
+verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde
+gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied,
+wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht
+schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam
+der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu
+Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte
+die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger
+vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und
+beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der
+Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde
+den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde
+gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.
+----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe
+Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied
+zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19),
+ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die
+Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen,
+als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die
+Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios' Zeit bestand.
+Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint
+aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio
+fr. 83; 7 Bekker. ---------------------------------------------
+Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
+hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch
+mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil
+selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
+Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den
+Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser
+nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach
+der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
+Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
+beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
+suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
+Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu
+bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt,
+dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu
+Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord,
+der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies,
+welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
+gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an
+die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die
+der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
+unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
+eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der
+Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch
+Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
+denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
+Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige
+Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden
+selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel
+Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren
+Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts
+festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess
+hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus
+aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf
+Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann
+gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch
+dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten
+das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen
+und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus
+zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den
+verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung
+gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal
+populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich
+lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer
+Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie
+an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss
+auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war
+er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen
+Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen
+Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein
+Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei
+wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lords- und
+der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den
+tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien,
+die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre
+ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
+Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
+zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer
+dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschaefte
+im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
+dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
+sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die
+Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem
+kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen
+Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere
+Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In
+der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter
+dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch
+in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die
+urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug
+sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle
+diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000
+Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
+also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische
+Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
+Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
+gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen
+ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und
+ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
+Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
+eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen
+Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen,
+ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn
+Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren,
+fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich
+zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der
+vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem
+regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den
+vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang
+gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen,
+standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und
+Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig
+waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter
+hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen
+weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen
+Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen
+doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den
+Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten
+der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von
+jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen
+Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels-
+und Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein
+Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die
+Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte,
+durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge
+sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen
+eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den
+Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen
+worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn
+aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die
+Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf
+den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus' Art ist, so war
+es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines
+zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der
+Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes
+aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie
+an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht
+bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere
+Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie
+dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer
+allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem
+Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und
+reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und
+die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung,
+sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch
+Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen
+Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten
+Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in
+den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden
+Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber
+ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten,
+dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen
+selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden
+Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst,
+den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen
+roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor
+die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im
+wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5
+stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht
+bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten
+indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er
+verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom
+verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der
+Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft
+fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine
+Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief.
+Charakteristisch fuer Gracchus' Bestreben, den Kapitalistenstand vom
+Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der
+voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher,
+vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten
+Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand
+eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft
+ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat
+der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
+Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen.
+Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
+Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und
+ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
+Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen,
+wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils
+ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese
+ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies
+sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen
+und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
+den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
+Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich
+neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der
+senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
+von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
+Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in
+den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
+sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
+sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
+und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in
+ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
+also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
+dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
+Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als
+legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
+jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der
+materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
+sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
+Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
+ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
+gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen
+einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
+Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
+nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und
+Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz.
+Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen
+Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
+bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
+Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer
+gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.
+----------------------------------------------------- 5 Dass er und
+nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in
+den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep.
+3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese
+Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung
+fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum
+grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen
+oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
+------------------------------------------------- Mit den also
+bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus
+an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat
+stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine
+wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln
+mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie
+zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung
+hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm
+sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
+durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische
+Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
+Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
+die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind
+schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
+fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
+oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete,
+ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats-
+und Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die
+Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
+Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus
+andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
+Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen
+Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
+bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten
+dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
+festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien.
+Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die
+verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in
+seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die
+Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
+Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss
+die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
+Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen
+Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme
+Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und
+gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung
+griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die
+Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt;
+dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste
+Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei
+scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten
+Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher
+Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen
+war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu
+Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat
+die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
+Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven
+Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden
+Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der
+Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft
+beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen
+erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius
+Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise
+ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der
+Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen
+persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der
+Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes
+Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch
+Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle,
+einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf
+Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die
+Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu
+verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius
+gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie
+verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von
+ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius' freilich wohl
+schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue
+Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu
+verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu
+lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in
+die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben
+wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und
+das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein.
+------------------------------------------------ Dies ist die
+Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der
+beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren
+wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf
+irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung
+seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die
+Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung
+sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir
+die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit
+dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die
+Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie
+sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt
+ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer
+Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass
+nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und
+neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische
+Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form
+eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte
+Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes,
+eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der
+Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die
+nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute
+Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung
+selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben
+will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher
+seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb
+in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer
+das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des
+aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung
+moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und
+Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede
+stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die
+Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber
+aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise
+denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die
+beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst,
+so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen
+tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die
+Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der
+Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die
+Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste
+und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein
+nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze
+Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht,
+indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den
+persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient.
+Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe
+zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er
+zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue
+hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein
+hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
+gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
+Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den
+Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
+schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
+Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine
+Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess.
+Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der
+Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit
+heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
+durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
+Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
+ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er
+zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
+mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit
+einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
+war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
+nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
+und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der
+Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
+Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
+bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und
+eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige
+Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem
+auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter
+Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete
+Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen
+Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird,
+absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die
+Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus' Tendenzen zu einem
+sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich
+hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle
+sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte
+sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger
+den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
+bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius
+Gracchus' Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt
+daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die,
+den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
+Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine
+Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie
+abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
+Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit
+ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer
+Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm
+datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des
+Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
+entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
+hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
+von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig
+demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen
+bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von
+Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
+roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
+doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der
+Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
+roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus.
+Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
+Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
+praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz
+her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als
+Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst
+benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden
+beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von
+Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein
+fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik
+der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich
+stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch
+eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen
+Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren.
+Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung
+zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie
+unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die
+italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt
+der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist
+das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen
+Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren
+politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so
+ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was
+der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.
+------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den
+Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches
+von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf
+geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht
+sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus.
+Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die
+oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung
+auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an
+Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher,
+die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die
+stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die
+zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn
+diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und
+jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde.
+-------------------------------------------------------- Als Gracchus
+die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte,
+legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die
+Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der
+demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt;
+sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen
+Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen
+zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der
+ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um
+die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
+Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen,
+ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
+republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
+Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
+vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem,
+was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus
+dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht
+sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei
+sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz
+und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die
+Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
+entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der
+eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
+Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der
+Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
+Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die
+Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
+Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg
+beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
+uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
+Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht
+der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte
+Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art
+diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus
+der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den
+Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also",
+sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht
+erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der
+Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
+finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden
+Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts,
+die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein
+solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand
+seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen
+Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon
+dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem
+entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte
+das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
+Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
+einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus
+nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
+Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der
+dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen.
+Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher
+Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus' Macht ruhte auf der
+Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das
+in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits
+nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es
+war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem
+Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder
+Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung
+anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer
+Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos
+gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus
+selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten
+wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner
+der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein
+Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von
+Gaius Gracchus. Gracchus' Institutionen standen, fuer den Augenblick
+wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
+eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in
+Gracchus' Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
+Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
+anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
+nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
+jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags,
+die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
+Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer
+Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf
+den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem
+eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass
+der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm
+an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag
+des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den
+Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre
+Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren;
+ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen
+in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren
+Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur
+Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
+Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
+Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen
+haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
+Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht
+mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne
+Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen
+Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem
+roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die
+allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere
+Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten.
+Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
+Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
+gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen,
+die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
+italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
+man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer
+zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften
+erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege,
+endlich Drusus' Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes
+nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe
+herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte,
+war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
+entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles
+ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete
+und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch
+sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende
+arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
+bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
+neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen
+maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121)
+zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei
+uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher
+beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
+die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
+Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen
+gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
+der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
+Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
+wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann
+fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit
+zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte
+Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
+sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und
+die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von
+Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar
+durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt
+afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und
+die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches
+Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
+gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
+gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der
+Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
+derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
+an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft
+berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
+bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern
+nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
+hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen,
+der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit
+den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
+ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden.
+In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
+Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
+Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in
+der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und
+schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
+Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand
+ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
+und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich
+abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
+mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden,
+einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
+verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste
+Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln,
+um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
+Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand
+zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel
+am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit
+kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der
+Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der
+Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und
+jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es
+fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte
+und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
+erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
+Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten
+Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche
+des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
+ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein
+zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu
+beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
+Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
+Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien,
+mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem
+Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben
+beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den
+Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging
+Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte
+sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn
+Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich
+zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie
+unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des
+Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
+Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus
+wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
+wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen
+Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
+beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals
+sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu
+stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung;
+er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den
+Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der
+das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
+buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der
+vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
+gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
+tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den
+fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
+geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in
+ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
+Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
+zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
+sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
+womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich
+bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
+entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte
+sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
+Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
+Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles
+allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
+sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
+von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
+des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen;
+es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
+den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der
+Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes
+des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
+Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe
+Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten
+wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung
+der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der
+Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker
+aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus
+Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner
+Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem
+Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem
+Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen
+Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden,
+wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der
+getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift
+ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem
+Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit
+dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die
+Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren
+ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle,
+zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der
+juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution
+verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell
+geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den
+Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche
+Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder
+und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender
+Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die
+Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen
+polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel
+Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus
+aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie
+der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war
+doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten
+Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu
+begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle
+um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen
+Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden
+war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen
+Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu
+einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert
+gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch
+Tiberius' hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die
+ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch
+nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer
+Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber
+der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren
+Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung.
+So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus' erblosem Abgang stellte das
+Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
+dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
+formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
+Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
+wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
+sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
+Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
+immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
+Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
+geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den
+Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
+fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der
+Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit
+wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der
+regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste
+reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
+Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus
+der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den
+Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius
+nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
+bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist
+fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
+Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
+Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und
+noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
+Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn
+von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward,
+liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
+Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
+erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
+Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
+Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung
+griff die Reaktion zunaechst nicht an und schonte nicht bloss die
+Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte,
+wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
+diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
+als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil
+die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange
+nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und
+Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
+vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es
+ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle
+diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des
+oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
+begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung,
+liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
+angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst
+die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die
+Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied
+zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und
+arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die
+umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt,
+die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen
+graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte
+Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien
+das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben
+muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus
+war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete
+Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen
+Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die
+naechste Ursache zu Gracchus' Untergang geworden war. Nach seinem Tode
+wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von
+der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon
+verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der
+demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung
+gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der
+Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre
+636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste
+ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher
+Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung
+derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt
+wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen,
+dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer
+Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung,
+die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern.
+In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
+italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
+soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest;
+nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die
+neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite
+trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen
+bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus
+im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und
+Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen
+die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem
+von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden
+haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern
+gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten
+definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung
+abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen
+die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet
+werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter
+dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands
+belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen
+Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine
+Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
+zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
+der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
+635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
+Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam -
+es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
+noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der
+Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab.
+Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
+einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
+umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten.
+Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht
+okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide
+offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung
+eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Gross- und fuenfzig Stueck
+Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den
+kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen
+die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems
+nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
+getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
+Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie
+also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in
+ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie
+zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben
+an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
+genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
+aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
+ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in
+den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
+hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene
+mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die
+ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem
+Senat Schutz suchten und fanden.
+-------------------------------------------------------- ^1 Er ist
+grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert
+Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.
+-------------------------------------------------------- Waehrend also
+die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum
+Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich
+auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus
+erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig.
+Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter
+Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der
+Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch
+eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren
+unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht,
+dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
+Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
+verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
+einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
+senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der
+Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung
+der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse
+an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber
+auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen
+zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine
+Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
+der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
+aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
+Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
+dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass
+der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte;
+weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsruecksichten an die
+Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit,
+jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot,
+dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
+Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
+die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen
+Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
+Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen
+wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
+schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde
+zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den
+kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf
+dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
+Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur
+planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der
+eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
+eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
+klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein
+unuebertroffenes Ideal der Missregierung.
+---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie
+bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei
+Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein
+teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird,
+schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss
+hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten
+Tatsachen. --------------------------------------------------- Es
+konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
+und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die
+Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich
+an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und
+verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch
+Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
+Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und
+wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in
+der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in
+dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und
+sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
+Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht
+und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so
+hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
+Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass
+fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
+der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch
+unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende
+Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die
+Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
+Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne
+und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
+einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
+berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich
+zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
+von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewalt-
+und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war,
+er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
+Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die
+Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass
+in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
+dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
+restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam
+weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen
+Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen
+Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
+Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der
+Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
+Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt,
+Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
+auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
+des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
+verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller,
+sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
+Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht,
+laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als
+Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
+seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege
+ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
+indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein
+wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
+Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor
+allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum
+den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar
+einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten
+Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren,
+wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus
+den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen
+zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu
+fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
+einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter
+Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
+der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese
+ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser
+restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und
+sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf
+die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser
+Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte
+in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels
+als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die
+entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag
+auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend
+charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was
+sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens
+griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie
+das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen,
+und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger
+sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die
+Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische
+Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein
+gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100)
+tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende
+Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die
+Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges
+alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet
+von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass
+gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren
+muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch
+tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war
+eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave
+gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine
+Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven
+frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich
+die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien,
+beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von
+Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung
+betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber
+5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss
+gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war
+in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war,
+ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils
+stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr
+noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in
+Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in
+jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von
+Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft
+die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen
+gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte
+Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich
+unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu
+erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern
+pluenderten Land- und Seepiraten die saemtlichen Landschaften des
+Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die
+Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt
+sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen
+Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt
+bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese
+brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige
+Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die
+Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz
+desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische
+Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den
+roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war
+loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies
+leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den
+asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen
+Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie
+bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3
+Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien
+erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
+f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla
+(App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
+Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
+nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
+(102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die
+Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
+ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf
+Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich,
+denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel,
+dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist
+daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
+der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein
+selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die
+Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
+fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den
+Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die
+ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das
+sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit
+der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62),
+dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.
+---------------------------------------------------- Aber nirgends kam
+die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung
+in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des
+Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie
+zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen.
+Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen
+der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und
+vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten
+waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder
+gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im
+Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht.
+In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf,
+besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch
+von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche
+Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen
+Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden
+kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die
+Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten
+Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache
+der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien
+wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr
+Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben
+nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien
+Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer
+hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung
+setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva,
+in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst
+durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die
+Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen
+immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten
+nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher
+unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich
+terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen
+Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und
+Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren
+haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt
+dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf
+militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm
+der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss
+mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das
+Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven
+durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward
+man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang
+es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu
+schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie
+vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen
+und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische
+Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
+angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
+Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie
+ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den
+Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als
+Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini),
+wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den
+Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon
+von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen
+und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor
+Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
+Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
+wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern,
+da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
+liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
+ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig
+auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
+Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
+sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit
+geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
+retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von
+den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
+erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel
+der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus
+auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben
+wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat
+Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden.
+Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen
+und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen
+Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er
+nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden
+Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein
+organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung
+anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes
+Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden
+Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang
+er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich
+veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig
+fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt
+damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so
+gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier
+wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen
+Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen,
+und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst
+herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche
+sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege
+stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da
+kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt
+wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische
+Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den
+roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu
+drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor
+den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von
+Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend
+des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen,
+sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000
+Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter
+dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte
+Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht
+an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den
+Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon
+musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten
+ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes
+die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann,
+behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden
+war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor
+allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste,
+um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee
+desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche
+Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem
+Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder
+nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere
+Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen
+kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein
+sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode
+(652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an
+der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius
+Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich
+ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges
+uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit
+Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben -
+schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder
+und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch
+Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und
+der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden
+abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst
+unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine
+hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises
+bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern
+beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung
+dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.
+Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen
+Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor.
+Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur
+der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war,
+so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in
+Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der
+Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten
+Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die
+die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren
+Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht
+mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden
+Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren
+vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich
+aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das
+Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits
+an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen
+Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste
+ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem
+groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten
+seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende
+altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis
+(Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen
+nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage
+Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach
+Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die
+Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in
+der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse,
+der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt
+regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas
+aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber
+als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen
+Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren,
+fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe
+des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel
+Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger
+Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen
+Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er
+als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen
+erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er
+durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen
+Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu
+adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des
+Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein
+Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden
+Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu
+groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der
+roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb
+Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne
+Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige
+Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in
+die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke
+an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man
+versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige
+vermochten ueber die Landes- und Schatzquoten sich nicht zu einigen,
+und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort
+zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht.
+Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des
+Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt
+bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte
+Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward
+Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen
+Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien
+Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und
+besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des
+gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die
+seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der
+roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren.
+Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden
+Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr
+von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz,
+eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich
+eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der
+Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne;
+schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale
+Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen
+Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen,
+dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als
+mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas
+Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass
+sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten,
+bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht
+ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal
+seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden
+und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern
+Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem
+Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat
+ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die
+beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
+erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine
+Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
+Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
+Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen
+Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
+stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht
+zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine)
+mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein
+eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche
+Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte
+Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien)
+zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum
+der numidischen Fuersten ist folgender:
+
+---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es
+noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal
+um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum
+Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen
+gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess
+und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha,
+ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg.
+In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig
+geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die
+Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta
+zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter
+als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich
+herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals
+erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene
+Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen
+regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie
+als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse,
+ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme.
+Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst
+heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu
+berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute
+in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als
+im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die
+Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
+Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
+derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den
+Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue
+Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an
+der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen,
+dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen
+genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen.
+In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu
+verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz
+geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die
+Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck
+und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah
+sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen
+Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer
+ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen
+Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt.
+Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
+hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der
+Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen
+(642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die
+Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten
+einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des
+Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten
+die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und
+italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war.
+Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie
+appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle
+Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den
+lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111)
+gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann,
+sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache
+brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung
+ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg
+an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden.
+Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien
+ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter
+seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich
+auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst
+uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer
+Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte,
+am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische
+Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten
+Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung
+einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine
+Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und
+Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das
+roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des
+Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag
+mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit
+den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst
+abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen
+Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben.
+Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte
+nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen
+Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht.
+Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen
+Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch
+der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas
+Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward
+abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt
+und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung
+dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade
+und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich
+ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung
+der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche
+letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch
+Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren.
+Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
+wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war
+zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen
+Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat
+ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er
+wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in
+Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich
+der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
+beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte
+sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht
+als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
+sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in
+Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam
+bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der
+cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum
+hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer
+seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu
+schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der
+Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen
+gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben
+abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
+Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in
+der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
+Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
+seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
+geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs
+Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag,
+meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess
+gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den
+Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens
+so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der
+Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und
+der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein
+das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab
+in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und
+militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war
+die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften,
+ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das
+Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
+nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
+Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im
+Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
+diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies
+spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
+wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts
+zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch
+den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus
+Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen
+Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der
+schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter
+Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
+erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos,
+und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt
+gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn
+zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen
+naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
+Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten,
+eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils
+waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht
+vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug
+des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des
+ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
+Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen
+wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die
+Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den
+kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche
+Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des
+siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche
+Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche
+Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der,
+genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von
+Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag
+des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen
+Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche
+Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen
+Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche
+sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius
+Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen
+Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem
+zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner
+der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse
+einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten
+kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich
+der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer
+Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst
+nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache,
+dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und
+maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er
+eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der
+Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward.
+Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre
+Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem
+numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden
+Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl
+selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte
+zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der
+ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig
+Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit
+der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward
+diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika
+zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen
+vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen
+waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze
+maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein
+starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es
+zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu
+dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische
+Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer,
+weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein
+einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch
+von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen
+Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den
+trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner
+musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und
+verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt
+ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
+Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren
+begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
+und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
+zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt
+hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand
+fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen
+Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des
+Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie
+Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich
+verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
+Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als
+dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
+vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
+mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
+Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
+Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus
+als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden;
+ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische
+Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in
+seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert
+und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als
+wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende
+Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten
+desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern.
+Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem
+Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister;
+Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders
+konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden
+Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte,
+erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem
+Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis
+auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war
+und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in
+der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha
+das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein
+Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken
+auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die
+gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch
+das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den
+Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung
+und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich
+verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die
+schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene
+Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte
+Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement
+unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu
+schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges
+in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den
+Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene
+drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische
+Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese
+sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten
+von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab
+angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte
+den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter
+Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner
+Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer
+bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang
+es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des
+Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen
+verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast
+ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg
+hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk
+gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten
+in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am
+Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger
+und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden
+Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas
+ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die
+unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein
+die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha
+sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim
+und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit
+Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von
+Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und
+Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die
+erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten
+die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig
+geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein
+die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland,
+Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig
+nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers
+gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung
+aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren
+Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von
+Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und
+benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem
+er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu
+bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich
+anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine
+Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische
+Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde
+des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht
+besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder
+des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus
+gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und
+grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern
+lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle
+Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat.
+Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich
+sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen
+ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe
+festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese
+diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten
+allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
+bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
+weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
+beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern
+besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
+roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
+Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen
+Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst
+sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt
+und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage
+nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
+preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und
+verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren,
+wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden
+Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
+den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher
+der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das
+fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt
+werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
+mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie
+war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
+Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der
+sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
+Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
+Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit
+neuer Gewalt wiederzuerwecken?
+------------------------------------------------ 5 In der spannenden und
+geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie
+mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu
+Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107)
+begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die
+Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus
+allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er
+spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete
+(c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat
+auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit
+Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107)
+spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul
+648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des
+Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen.
+Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph.
+epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und
+die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius'
+Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108)
+gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf
+keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm
+Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die
+Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie
+steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf
+Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu
+waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere
+Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss
+stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten
+Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo
+.... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln
+vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante
+uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat
+- oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo
+[ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der
+Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im
+Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends
+stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten
+Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die
+Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen,
+ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer
+zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im
+Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste,
+lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha
+sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern
+seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte
+es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in
+Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward
+erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss
+vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem
+sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den
+wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig
+Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien
+zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man
+damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein
+immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien
+gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg
+gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien,
+dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht
+hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie
+gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf,
+sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas
+Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im
+Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass
+er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden
+hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn
+teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den
+Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha
+und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch
+keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber
+verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt
+worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius
+abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106)
+den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im
+Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm
+zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um
+das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso
+verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des
+tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt
+haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung
+eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde
+der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich
+begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und
+Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber
+von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen
+Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus
+verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis
+Metellus' Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und
+kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr
+647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten.
+Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem
+er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus
+in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen
+Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von
+geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen
+der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen,
+dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie
+moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies
+vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der
+Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte
+Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit,
+die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
+nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern
+ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
+Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
+zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die
+den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen
+Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess
+trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus' Stelle und
+fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die
+zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger
+und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom
+abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum
+mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte;
+er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten
+des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot,
+nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle
+erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den
+Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein
+am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
+belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
+und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
+Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner
+Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf
+angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem
+Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus' Zug in die Wueste durch
+eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese
+Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf
+alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten
+hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt.
+Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des
+Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an
+den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte,
+war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den
+Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn
+ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
+ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
+versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das
+roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich
+eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer
+und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen
+eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein
+leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich
+schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
+entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen.
+Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
+entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend
+der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim
+grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich
+zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit
+groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf
+demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in
+grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die
+ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren
+Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
+warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken
+bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen;
+Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das
+Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich
+begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs
+Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben
+gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich
+aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass
+von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden
+hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte
+zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder
+diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf
+Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man
+einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass
+Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen
+Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig
+bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des
+Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen
+der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs
+Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er
+die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie
+an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als
+unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit
+den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den
+Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig
+nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg
+zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand
+sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er
+auf, geleitet von Koenig Bocchus' Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
+wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
+des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner
+Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt
+durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier
+in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich
+eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben,
+dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem
+eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge
+niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse
+Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius
+Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
+roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der
+Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem
+Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig
+Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
+650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste
+wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten
+Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es
+nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt
+zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es
+liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den
+geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der
+Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
+und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling
+einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
+dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
+brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk
+auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
+darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
+die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
+Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen
+Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber
+die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
+Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen
+Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
+Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius
+den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei
+Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
+militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
+haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
+in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben.
+--------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht
+wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana,
+noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die
+Identifikation mit einer auch heute Thala genannten
+Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet.
+-------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion
+des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen
+politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen
+Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von
+der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine
+roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht
+ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu
+behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer
+zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft
+Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen
+von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz
+Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum
+verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden
+legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen
+Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf
+Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht
+hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika
+als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag
+stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen.
+---------------------------------------------------------------- 8
+Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der
+sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche
+das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit
+Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
+historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden
+Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda
+Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
+79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
+630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen
+die zwischen Numidien einer- und dem roemischen Afrika und Kyrene
+andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben,
+zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere
+Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
+auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus' Reich
+bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass
+Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis
+(Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
+Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte
+der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern
+vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann
+708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich
+die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei
+der zweiten Vergroesserung hinzugekommen.
+-------------------------------------------------------------- Wichtiger
+als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen
+Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen
+Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen
+worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in
+unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss
+notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den
+regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
+Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
+Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
+seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette,
+mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze
+aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel
+teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns
+der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die
+anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die
+richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen
+eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene
+Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer
+die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der
+restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und
+noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von
+Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche
+Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere
+sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
+Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition
+offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die
+Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich,
+wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre
+645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben,
+das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung
+wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen
+Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte
+nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
+Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
+in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte
+Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
+dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab,
+die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer
+Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug
+war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft
+hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete;
+dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter
+war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser
+Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an
+sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus'
+Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht
+zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus
+dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung,
+geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser
+Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten
+besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere
+Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten
+militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen
+der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den
+Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe
+in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt
+werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am
+wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem
+Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat,
+es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
+Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
+was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war,
+in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
+neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das
+Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht
+in die politische Revolution. Ob Marius' Auftreten unmittelbar die
+Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
+Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche,
+als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere
+Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber
+war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis
+zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie
+Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
+gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der
+Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten
+Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn
+er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion
+gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten
+veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein
+folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie
+ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten
+Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern
+anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten
+als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie
+herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620
+(134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich
+gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert
+aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des
+sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei
+grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden
+Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb
+derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen
+Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens
+die ganz- oder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen
+Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen
+Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der
+oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der
+Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete
+der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des
+politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen,
+was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
+sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen,
+die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
+anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die
+griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass
+sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir
+zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins
+Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers
+seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten,
+treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen
+Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas),
+oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und
+Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu
+den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen
+weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen
+oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten
+ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der
+Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen
+und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen,
+den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen
+Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit
+zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der
+Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende
+Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute
+untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation
+traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von
+Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der
+Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre
+611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser
+Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft
+das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch,
+sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl
+die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage
+begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der
+Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte
+spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie
+Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den
+westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen.
+Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als
+Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als
+Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst
+betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten
+keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen
+seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft
+behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den
+Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner
+2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000
+Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst
+die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend
+in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons)
+den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der
+Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende
+jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des
+Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden
+Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
+Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines
+Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge,
+vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend
+- die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von
+1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs
+Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos.
+In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen
+Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem
+Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation
+gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunaechst nicht auf die
+Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den
+Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit
+nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der
+keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden
+war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder
+Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre
+noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso
+sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die
+Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
+Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer,
+Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen,
+aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
+nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang
+Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
+ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem
+Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig
+Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
+Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen
+mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als
+die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
+anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur
+Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
+erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer.
+Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
+Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um
+in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
+suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere
+in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
+ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus,
+wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die
+Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie
+die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen
+haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres
+zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
+dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter
+der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
+groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
+ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte
+und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen,
+unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker
+genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung
+des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig
+Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst
+habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in
+treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der
+Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den
+verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben,
+Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache
+gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch
+einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss
+der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die
+Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal
+hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer
+zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und
+die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3.
+------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies
+den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht
+einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl
+nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und
+Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der
+Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare
+Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab.
+4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem
+Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der
+Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von
+Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische
+Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte
+Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils
+dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat.
+7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
+Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus
+triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den
+Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass
+die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden
+haben muss als die gegen die Arverner allein.
+------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser
+militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen
+Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen
+Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern
+abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon
+jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und
+den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht
+den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres
+mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen
+bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa
+(Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser
+Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und
+Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die
+Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur
+Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile
+den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser
+Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in
+gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen
+die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber
+Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich
+verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im
+oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten
+geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die
+zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier
+entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae
+Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich
+an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in
+geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon
+vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen
+Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
+erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
+Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
+Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und
+der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
+Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz
+Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae
+ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab.
+4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen
+1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so
+ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein
+keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches
+Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
+------------------------------------------------------- Die Gracchische
+Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste,
+wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer
+ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie
+Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden
+konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen
+Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier
+sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der
+Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht
+ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene
+Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der
+Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte,
+blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an
+die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte
+die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem
+gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese
+Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie
+im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward
+gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als
+jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische
+Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet
+des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher.
+Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein,
+und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den
+unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen
+wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen
+unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in
+der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und
+Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium
+(an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der
+Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend
+die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren,
+kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne
+daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
+unter die gemeinsaessigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen
+bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren
+Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra
+gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen
+Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos;
+allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich
+losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche
+Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von
+Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende
+Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier,
+namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern
+wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale
+Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den
+Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung,
+an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort
+zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich
+gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156)
+ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er
+drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das
+roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599
+(155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft
+sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern untertaenig.
+Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht
+wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte
+sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan,
+sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten
+zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre
+608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren
+nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5.
+------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten
+in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften
+aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
+------------------------------------------------ Aber ebendiese
+Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft
+gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere
+Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die
+ueberall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen
+Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange
+darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden
+gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher
+den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier
+gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von
+der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft
+darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des
+Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens
+insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen
+Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die
+maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen
+Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit
+suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die
+Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren
+Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen
+und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit
+ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer
+See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und
+Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier,
+deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6.
+Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in
+der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der
+Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre
+Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und
+weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen
+Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin
+gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die
+Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen
+Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich
+ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur
+das Flach- und Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und
+ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt
+und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung
+geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas
+Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den
+Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter
+um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die
+beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler
+Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia
+von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter
+waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen
+Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren
+Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen
+und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch
+in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten
+und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den
+Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die
+roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen
+Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die
+ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf
+und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen
+Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung,
+wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den
+Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren,
+die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die
+urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest
+die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens
+im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
+Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an
+die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
+im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein
+urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
+An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
+Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
+dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
+allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
+Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
+Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit
+die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und
+Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten
+man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das
+feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save.
+Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien
+sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der
+Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der
+Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.
+------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen
+Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten
+die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch
+Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo
+sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h.
+die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie
+"jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht
+im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht,
+kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit
+vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft
+als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als
+Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort
+erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus
+diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen
+deutschen Staemmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100)
+vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten
+umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das
+westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee,
+wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die
+sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten
+aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.
+------------------------------------------ Es waere fuer eine
+kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte
+Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine
+geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den
+Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah,
+genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen
+die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118)
+ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona
+gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius
+Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner
+niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu
+erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den
+Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen
+Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne
+sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
+Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
+Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der
+entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die
+Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte
+mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den
+Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden.
+Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber
+die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
+Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig
+offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
+eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere
+reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
+(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die
+Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral
+noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an
+der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der
+Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen
+Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber
+in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward
+von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
+vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche
+Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul
+Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
+der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich
+eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach
+Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von
+Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
+in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter
+(635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
+Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und
+dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
+sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien,
+Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie
+und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der
+Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht
+unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen
+Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium
+(bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter
+des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539
+(115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg,
+der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten
+Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern
+Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert
+ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies
+nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts
+der Alpen hineingezogen worden waeren.
+----------------------------------------------------------------------
+7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
+so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben)
+bei Victor.
+-----------------------------------------------------------------------
+Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch
+einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
+Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
+deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel
+in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
+(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
+gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit
+seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden
+war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig
+der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals
+ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren
+8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig
+wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre
+darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
+serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer
+vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich
+entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische
+Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius
+(641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste
+roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus
+(644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die
+Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie
+bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das
+roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst
+da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg
+ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11.
+Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien)
+in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die
+erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------
+8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
+(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
+Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
+sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
+erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius,
+mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
+werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben,
+dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre
+Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die
+Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals
+eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus
+Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG
+1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S.
+167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero
+(Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari
+quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die
+fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei
+makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und
+des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius
+und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren,
+so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos
+(Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung
+der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen
+wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die
+Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche
+Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras
+stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen
+Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu
+muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung
+der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben
+verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die
+Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also
+wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung
+hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein
+Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis
+vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum
+Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist
+es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge
+der cinnanisch- marianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat
+gelangt sein kann. -------------------------------------------------
+Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
+Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen
+Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
+Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho,
+die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche
+Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum
+Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den
+Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen.
+Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben
+die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine
+Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von
+Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken
+sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht
+minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der
+Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der
+die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen
+die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
+Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste,
+der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen
+Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
+Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
+gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
+Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil
+Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der
+Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen
+gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen
+selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges
+Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf
+die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher
+Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich
+befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel
+jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine
+Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet,
+wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder
+wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
+kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch
+nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
+ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
+ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
+eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch
+nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere
+Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
+Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das
+Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz
+sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die
+Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
+den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
+Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben,
+die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die
+flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war
+wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die
+italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten,
+sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer
+eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert
+geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch
+einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in
+dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine
+rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx,
+deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die
+metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren
+rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der
+tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art
+der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher
+mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein
+einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf
+machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein
+entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben
+und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
+nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
+Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war
+-, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
+Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern,
+darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann
+wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen
+aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden.
+Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern
+und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen
+und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder
+Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner
+Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie
+viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die
+Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer
+geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art
+angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte
+Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern
+deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
+unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich
+belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
+uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit,
+die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und
+Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
+die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
+vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts
+sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren
+sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in
+der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das
+wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette
+zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
+Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die
+unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.
+------------------------------------------------------ ^12 Denn der
+Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse
+Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der
+Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
+nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er
+auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu
+entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies
+heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau,
+namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen,
+durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die
+Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die
+kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen,
+oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre
+Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker
+einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich
+den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius
+Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten
+siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen
+anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten
+Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der
+transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die
+Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet
+der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit
+diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen
+Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese
+Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu
+locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen
+Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten
+und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das
+die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung
+der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen
+Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden.
+Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt
+der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und
+ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage
+abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und
+das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien
+645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius
+Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich
+niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren
+liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig
+geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen,
+welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf
+so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der
+vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum
+Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die
+Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an
+den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und
+beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung
+der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die
+roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe;
+dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier,
+die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu
+leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt,
+gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze
+zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr
+Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter
+Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und
+der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in
+das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer
+unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen,
+liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der
+Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem
+groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische
+Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet
+hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen
+Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten,
+und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer
+die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte,
+Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln
+schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche
+Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in
+Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen
+und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die
+Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise
+truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung,
+voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
+ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes
+da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die
+Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten,
+hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle
+Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und
+das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den
+darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein
+erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider
+die Gold- und Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
+schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden
+und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses
+Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
+beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
+und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den
+Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
+649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an
+einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
+Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
+ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
+Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig
+geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht,
+wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des
+gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
+ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber
+die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich
+bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
+roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre
+ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen
+zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten
+Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul
+seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
+prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein
+dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
+gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
+vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
+roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche
+Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte
+nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer
+verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung
+allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst
+auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem
+Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog
+die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee
+nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem
+ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen
+sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren
+gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten
+hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag
+von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus,
+des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck
+voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen
+zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so
+unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich
+zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
+den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde
+Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der
+Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende
+Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf
+aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen
+Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
+Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung
+und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen
+Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft
+anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
+Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen
+stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen
+Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene
+der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
+dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
+haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
+durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie
+ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in
+ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
+Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die
+Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14
+Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
+---------------------------------------------- Wenn der erstarrte
+Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer
+heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch
+einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so
+reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen
+Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so
+ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere,
+sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben
+Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen
+eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen
+Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr
+der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen;
+allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor
+allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender
+Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz
+in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den
+wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es
+auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es
+wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal
+dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud
+freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich
+mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649
+(105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf.
+Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die
+Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum,
+indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter
+Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder
+jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen.
+Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
+mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch
+seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der
+wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der
+tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn
+entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch
+gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um
+seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten
+Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen
+den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille
+Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio
+durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den
+Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen
+war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht
+lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem
+Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr
+Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter
+Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius
+Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
+Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
+trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
+Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
+Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen
+und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische
+Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune
+wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen
+Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die
+Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre
+651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege
+im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene
+Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio
+befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen
+Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15.
+------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des
+Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv.
+ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio
+(6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass
+zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit
+verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio
+gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat
+nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus
+(p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini
+rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei
+Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von
+Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe
+herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das
+Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen
+Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt
+desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage
+[Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer
+ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend
+der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die
+Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
+30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
+wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche
+Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die
+Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die
+ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110).
+Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen
+Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen
+an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
+anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
+der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur
+Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
+part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
+der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
+Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot
+war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu
+ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und
+schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche,
+sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95),
+zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher
+zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als
+Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
+aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
+wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
+Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese
+zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass
+sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
+zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
+hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
+zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
+sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer
+das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien
+naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber
+Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
+diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge
+der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
+Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
+fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill.
+73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht
+entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
+afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
+uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward,
+dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist
+eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie
+(Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als
+sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische,
+ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.
+------------------------------------------------ Wichtiger als diese
+Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg
+jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die
+Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener
+Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war
+zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten
+nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus
+Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus
+Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit
+Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen
+Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens
+gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und
+roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
+genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns
+bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war
+als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
+war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
+Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig
+bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
+weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
+Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an
+die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder,
+dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
+wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio.
+Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als
+einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt
+und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des
+dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in
+dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf
+Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat
+uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn
+gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit
+und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber
+freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit
+dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich
+war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen
+Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar
+Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch
+als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten
+Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
+inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
+Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius
+Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer
+Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha,
+Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen
+italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den
+Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute,
+die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward,
+nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber
+die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den
+tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien,
+als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei
+ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius
+volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam
+zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und
+ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb
+der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer
+gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den
+Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits
+durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme
+und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch
+Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung
+eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren
+Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte -
+die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er
+verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen
+der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651
+(103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen
+Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer
+sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da,
+wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen
+Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an
+der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen
+sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie
+im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher
+Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner
+und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten
+hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
+sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
+ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen
+aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen
+waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen
+Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen
+sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals
+beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit
+dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
+zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
+denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker
+an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
+Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die
+Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
+die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon
+im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die
+neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
+Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische
+Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
+Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone
+ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach
+fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem
+wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in
+die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren
+Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der
+Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager
+an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm
+der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut
+scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der
+Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die
+dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass
+nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
+vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses
+als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne
+anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die
+Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren
+liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren
+der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht
+benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten
+vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und
+folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht
+sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse
+zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die
+Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen
+stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der
+feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
+allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten
+den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche
+Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am
+dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze
+das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht.
+Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen,
+stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war
+ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die
+Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte
+ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen
+roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem
+Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der
+schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie
+begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen;
+unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine
+Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als
+Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr
+sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem
+sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen
+Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten
+(Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16
+Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig
+zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
+ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei
+Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen
+schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von
+Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die
+Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer
+in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652
+(102) gemeint sein kann. ----------------------------------------------
+So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
+standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
+verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in
+das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass
+ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch
+hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
+Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig
+kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
+in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken
+Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf
+das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun
+die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
+panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen
+davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste
+Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte
+Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine
+Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den
+Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume
+und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu
+zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion
+indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und
+bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als
+der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten
+durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich
+durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre
+gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des
+uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf
+das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen
+dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die
+Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im
+Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und
+den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer
+ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr
+bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten,
+blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die
+ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen
+reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl
+sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit
+vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der
+demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen
+Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen
+haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde
+das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in
+der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger
+Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den
+vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000
+Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum
+den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts
+marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu
+ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den
+Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden
+geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer
+wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den
+Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und
+nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das
+Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische
+Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den
+Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel
+fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren
+roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf
+das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward
+ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich
+mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter
+ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die,
+die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf
+dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen
+Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu
+haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen
+der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen,
+verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die
+Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro,
+von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der
+Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen
+Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk
+der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.
+------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl
+getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona
+zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der
+Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache
+Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe
+(Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch
+die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho
+spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer
+geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher
+nach Vercellae als nach Verona.
+--------------------------------------------------- Ueber den Leichen
+haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter,
+ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon
+hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu
+geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms
+Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden
+Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den
+so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch
+gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten
+Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen,
+das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten
+einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien
+- seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch
+die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen
+habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der
+eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er
+kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl
+gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem
+Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der
+zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den
+ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger
+diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom
+errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knuepften, als die
+politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter
+Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast
+wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und
+Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter;
+aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein
+Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher
+von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk
+zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen
+der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es
+knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man
+wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder
+diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen,
+seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit
+zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen
+und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem
+angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften
+viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des
+Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen
+verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum?
+Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und
+vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des
+Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines
+armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals
+arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae
+Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare)
+traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen,
+dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang
+zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als
+Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen
+und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte,
+war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der
+Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios
+Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen
+Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und
+seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares
+Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und
+kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich
+betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den
+damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein
+zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht
+gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen
+Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die
+Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der
+Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen
+Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als
+Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit
+aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie
+zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul
+(648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem
+Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen
+berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101)
+wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung
+des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen
+ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem
+Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen
+Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener
+Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich
+war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen
+eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wieder in brauchbaren
+Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten
+in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im
+kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber
+kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine
+militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen
+koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die
+er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen
+vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen
+gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten
+unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht
+besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein
+Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht
+wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie
+ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat
+sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die
+Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und
+bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha
+mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
+unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
+Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
+Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
+loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
+denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul,
+dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die
+Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie
+- ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein
+abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart
+war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren
+Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten
+Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand
+und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei
+den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
+vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile
+bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
+Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
+Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie
+diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht
+viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb
+der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119)
+durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen
+zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die
+Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen
+nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen,
+sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst
+waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt
+und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die
+Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager
+der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den
+Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst
+vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies
+weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des
+allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
+eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
+(107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
+Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie
+ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den
+verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann
+in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich
+ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er
+der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf
+allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem
+Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch
+seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische
+Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er
+hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den
+Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem
+Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn
+er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos
+von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen
+Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen
+fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser
+taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem
+Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette.
+Marius' Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer
+als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem
+ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition
+kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und
+Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er
+sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und
+Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die
+klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
+Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war
+von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
+brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen,
+seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
+Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
+Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die
+inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen,
+was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare
+Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine
+Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die
+Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die
+Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu
+ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt
+in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300
+Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die
+aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen
+beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen
+Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den
+aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
+Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach
+dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier
+ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen
+in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch
+hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht
+vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger
+ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen
+auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten
+Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der
+Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck,
+teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt
+zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel
+der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden,
+andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein
+militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei,
+die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im
+Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher
+Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614
+(140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre
+Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von
+den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter
+Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch
+als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da
+an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen
+mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der
+Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von
+Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften
+ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen
+sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der
+Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen,
+die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei,
+das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer
+von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer
+Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten
+sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die
+nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die
+Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen
+Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische
+Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein
+konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz
+der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im
+Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem
+Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich
+aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den
+kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer
+die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht
+aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen
+Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu
+kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls
+auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung
+hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen
+der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man
+auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie
+hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegens-
+oder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes
+seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes
+seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen
+gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer
+ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren
+Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung
+entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der
+Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig
+geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen
+Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und
+aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis
+ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
+Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber
+das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
+Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
+bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen
+Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die
+in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen
+Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An
+die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
+zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
+Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
+traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
+sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich
+gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
+Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
+5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
+bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper
+gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die
+Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
+verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
+der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
+Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die
+bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
+Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die
+Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
+gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
+Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen
+Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein
+soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon
+einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte
+Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache
+des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
+bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des
+Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich
+erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben
+zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen
+Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos
+demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der
+berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung
+hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen
+zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von
+Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des
+Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern
+eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese
+Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen
+persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die
+der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt,
+hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lager- und
+Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen.
+Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint
+allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen
+und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
+berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene
+Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es
+ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems
+durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat,
+wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung
+des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
+Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
+eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
+ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor
+allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
+bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit
+seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
+allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
+beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in
+Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
+sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres
+Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und
+gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
+der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu
+heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst
+nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und
+im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem
+Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
+geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen
+auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der
+Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
+wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders
+zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine
+einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
+seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
+Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer
+Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht
+auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er
+spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze
+nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das
+Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren
+sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch
+andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen
+werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie
+in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen
+bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem
+Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da
+riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen
+verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel
+unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die
+seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine
+truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens
+nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen
+Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im
+frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in
+ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten.
+Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und
+abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum
+nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten
+Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war,
+wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass
+nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie
+tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge,
+welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke
+empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes
+griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl
+die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des
+Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke
+fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die
+Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner,
+schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der
+populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und
+selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum
+Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie
+haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche
+Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist
+bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen
+Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch
+die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch
+Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht
+hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging,
+ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu
+widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der
+Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und
+dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot
+sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen
+versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer
+konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg;
+dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des
+Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht
+betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu
+betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhasst
+und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als
+seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz
+der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
+harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius,
+im Hinblick auf Gracchus' leichten und scheinbar fast vollstaendigen
+Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen
+Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem
+nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der
+mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
+Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer
+tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
+wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang
+begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend
+dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
+Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die
+widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die
+Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde.
+Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den
+ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
+war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten,
+kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess
+also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und
+schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der
+Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft
+im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die
+sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine
+Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft
+erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte
+die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder
+zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius
+Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das
+Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer
+als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten
+Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden
+und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische
+Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der
+Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt
+in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und
+vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben,
+der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der
+Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr
+war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der
+Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus
+hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der
+Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus
+nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur
+Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche
+Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und
+beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit
+ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder
+auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an
+Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus
+persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen
+sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu
+aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius
+und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der
+Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige
+Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der
+Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung:
+sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos
+genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester
+Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner
+drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius
+Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
+feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
+gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in
+ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des
+Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung
+als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der
+Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner
+der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
+Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
+gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
+Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er
+hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten
+Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
+aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen
+Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus
+Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen
+Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die
+Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus
+Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia
+aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses,
+war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen
+Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und
+dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei,
+er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum
+Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der
+energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer
+der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig
+und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse
+hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu
+widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten
+Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche
+Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen
+zusammen, und auch schon bei Marius' frueheren Bewerbungen hatte
+wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn
+Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius
+um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia
+um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die
+beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die
+Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er
+konnte, um Marius' und Saturninus' Wahl zu hindern oder doch wenigstens
+jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im
+Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel,
+erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem
+Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken.
+Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar
+auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun
+Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch
+die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus
+Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der
+vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll,
+angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich
+auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul,
+Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht
+Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius
+Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner
+konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu
+setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir
+uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt
+hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen,
+also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt
+in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die
+Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde
+umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die
+drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossen-
+und der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit
+einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende
+zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder
+auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon
+frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte
+^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen
+Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch
+der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des
+karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen
+ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines
+gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert
+worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht
+bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester
+Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen
+Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte
+von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land
+der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung
+der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden
+weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
+von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
+Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen
+Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die
+Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und
+ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus
+sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern
+indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und
+doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien
+einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer
+durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden
+Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu
+befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und
+Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungs-
+und Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur
+Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und
+Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom;
+wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat
+alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der
+sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer
+Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken
+oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden
+Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein
+buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen
+sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus
+den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die
+beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren.
+----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht
+moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten
+Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden
+offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische
+Ackergesetz setzt die Schrift 'De viris illustribus' (73, 1) mit
+Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz
+vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite
+Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaets-
+und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
+(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
+---------------------------------------------- Wenn also das Ziel
+beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt
+hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den
+voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen
+gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem
+Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar
+nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht
+bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich
+gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten
+vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der
+Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem
+Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus'
+Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen
+Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen
+Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward
+der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu
+entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse
+Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den
+Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so
+ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich
+nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
+Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
+ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
+vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen
+Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging
+also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stiessen bei der
+Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies
+im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen
+bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man
+erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
+liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
+dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
+altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
+Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
+ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der
+Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio,
+vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und
+gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem
+Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander.
+Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser
+Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft,
+wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem
+wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze
+zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam,
+ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen
+fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner
+Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid
+abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit
+einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu
+verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn
+und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung
+aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2
+Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106)
+Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um
+oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass
+jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
+nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im
+Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben.
+----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem
+schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert
+erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der
+ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines
+faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als
+von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man
+hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene
+handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr
+bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine
+Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an
+Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des
+Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt;
+dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit
+gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig
+an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen
+noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine
+Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die
+Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse
+Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern
+gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber,
+den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der
+Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus
+Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse
+mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des
+Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe
+und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus'
+erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich
+herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun
+fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige
+Partei war. Es waere Marius' Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe
+dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu
+ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm,
+dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die
+Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen
+intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans
+Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber
+die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das
+wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus,
+wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung
+gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die
+besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine
+Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen.
+Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin
+des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
+Marius' mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
+Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von
+seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig
+leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der
+militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen
+einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
+den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als
+seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen
+konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen
+liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer
+Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen
+und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt
+ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern
+seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem
+anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen
+gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber
+das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie
+er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen
+ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden
+und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes.
+Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage,
+wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze
+geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler
+halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt
+schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein
+Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche
+Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese
+Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert,
+sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen
+dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn
+entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen
+die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft
+verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn
+Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten
+Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten
+die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen.
+Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn
+weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage
+gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung
+sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das
+fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren.
+Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht
+zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher
+Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit
+gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu
+greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen.
+Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99)
+abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl
+Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses
+sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus
+in ihrem Sinne entschieden und Marius' Versuch, den falschen Tiberius
+Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu,
+dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert
+war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus
+eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte
+ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl
+suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel
+zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der
+Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf
+Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem
+Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die
+Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet,
+um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf,
+einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert,
+das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen
+hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft
+ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden
+ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien
+bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus
+Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf
+einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie
+es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur
+Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens -
+den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen
+Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam
+es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand,
+innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang
+war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und
+hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt
+und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl
+fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen
+Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass
+alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen
+sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor
+der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst
+nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend
+das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen
+eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben.
+So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia
+ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil
+und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes.
+ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer
+bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der
+schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen
+hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten,
+die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten
+Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen
+vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere
+Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste,
+dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag
+durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer
+fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war,
+der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und
+vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden
+oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat,
+gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der
+Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und
+vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten
+wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus' gewandter Hand sich
+zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
+oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung
+ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
+jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders
+konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
+denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer
+Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung
+der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich
+656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er
+sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der
+triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge
+zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein
+Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe
+und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen
+werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug
+gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege
+zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner
+Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm
+aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer
+tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in
+seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen
+hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies
+Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur
+sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher
+noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe
+Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung
+des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess.
+Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte
+jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward
+Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen
+verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so
+Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen
+Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere,
+von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht
+ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert.
+Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den
+Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659
+95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und
+lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig
+oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind,
+Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch
+zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung
+an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit
+man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen
+Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte,
+das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend
+und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch
+elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte
+ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass
+die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr
+des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen,
+ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie
+sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten,
+oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von
+ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im
+stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse
+gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen
+waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur
+wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur
+in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre
+die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter
+Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem
+Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und
+der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und
+Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her,
+sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo
+es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen.
+Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des
+ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und
+energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
+auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
+der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet,
+so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen,
+Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung
+der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen
+Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
+Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
+Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker
+war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
+bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das
+Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
+konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand
+kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette;
+den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren
+Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
+eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen
+Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
+mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen;
+wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative
+wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der
+Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte
+es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers
+ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie
+nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese
+Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die
+Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen.
+Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene
+Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich
+auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den
+Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles
+an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der
+Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments,
+war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen
+Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die
+Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalisten-
+und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die
+Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen
+die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden
+Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in
+den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt
+gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und
+eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen
+Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person
+entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola,
+gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul,
+der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit.
+Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und
+gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft
+mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber
+ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein
+ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen
+Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm
+er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und
+Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu
+leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten
+Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er
+diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie
+Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem
+den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die
+Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein
+die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden
+Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht,
+zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen
+Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte
+Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die
+Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden
+kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
+Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines
+gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit,
+den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die
+falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend,
+sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen
+Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der
+Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter
+Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
+angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von
+saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit
+seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch
+uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste,
+aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als
+solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber
+neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel
+nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken.
+Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten,
+seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige
+Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
+aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
+war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig
+betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
+schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen.
+Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen
+ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er
+nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil
+der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber
+jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht
+und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung.
+Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem
+kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst
+das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
+furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus' ahnungsvolles Wort,
+dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt
+sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war
+unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte,
+dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich
+schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich
+empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende
+politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten,
+von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius
+Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und
+Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete
+dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen
+Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt
+und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker
+sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng
+konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem
+Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen
+des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens;
+auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch
+stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter
+sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald
+ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das
+schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens
+ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes
+hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen
+Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten,
+denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als
+eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde
+seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand
+er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner
+Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich
+aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er
+sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten
+Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse
+der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus
+und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der
+Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der
+derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache
+der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit
+verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den
+zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus
+zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese
+entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die
+zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch
+nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und,
+statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen
+Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich
+von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder
+auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte
+zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne
+die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen.
+Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom
+Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher
+zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand
+gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen;
+zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
+schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine
+eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste
+Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu
+berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen.
+Indes Drusus' Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf
+keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln,
+sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte
+ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu
+decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von
+kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte
+noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die
+Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
+Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
+Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
+roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier
+von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und
+ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus' Verfassung
+beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
+Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen
+die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf
+das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die
+Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als
+ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt
+dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie
+zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der
+Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus,
+so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die,
+ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die
+alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und
+Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die
+Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf
+dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde
+militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die
+Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
+mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
+selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht
+wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch
+die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man
+kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch,
+dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur
+Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus'
+eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot
+und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun
+ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender
+Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen
+Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits
+die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch
+zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr
+abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab
+wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflussreichen Italikern
+sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der
+Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen
+politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in
+den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten
+Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den
+Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner
+Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der
+Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die
+beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren
+sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch
+persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen
+Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern
+ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die
+Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens
+der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag,
+den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen,
+vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Acker-
+und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs
+heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils
+der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die
+Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein
+zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen
+Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den
+Getreide- und Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden,
+auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und
+durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz
+bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und
+etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen -
+freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte
+zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker
+abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und
+empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die
+Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen
+anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit
+Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig
+bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte
+den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu
+kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte
+los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf
+offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich
+sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien
+einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen
+berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein
+Tadels- und Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in
+einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen,
+mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu
+drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten
+und angesehensten unter Drusus' Gesinnungsgenossen, der Redner
+Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung
+(September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften
+Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt
+hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber
+Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die
+meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige
+Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest
+auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich
+zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie
+zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen
+verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des
+Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung
+desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen
+der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der
+einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel
+erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte
+sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten
+Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den
+Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff
+des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen,
+und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch.
+Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus
+eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende
+Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde
+seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so
+sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war
+in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte,
+und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
+derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
+Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
+grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
+war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
+tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche
+der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
+reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
+Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen,
+die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden;
+er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah
+alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass
+seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein
+werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die
+Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
+Seitdem mit Pyrrhos' Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker
+fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das
+heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat
+in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten
+Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette.
+Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
+Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die
+italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige
+Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
+Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos
+erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
+Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
+indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als
+verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
+nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
+durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen
+Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren
+und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
+hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
+denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen
+Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts
+der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren
+die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst
+abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
+bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
+freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in
+denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich
+erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
+verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen
+die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl
+fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen
+nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der
+Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde
+von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die
+roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den
+besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte,
+hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom
+ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst
+sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden
+Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des
+Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden
+in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die
+Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die
+zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts,
+welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden,
+scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt
+geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der
+standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht
+zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene
+latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet
+wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht
+zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In
+welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum
+Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie
+billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide
+durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden
+jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu
+Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die
+Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig
+gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren
+Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen
+Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische
+Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss
+der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die
+roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen
+Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die
+Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines
+jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen.
+In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein
+Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit
+Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu
+baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden
+ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war.
+Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt
+besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie
+Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier
+Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen
+Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt
+hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte
+zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des
+fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen
+Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und
+ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten
+nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte
+Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers
+einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser
+Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung,
+welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den
+sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht
+verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die
+Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem
+gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie
+beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und
+die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen
+den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der
+italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis
+umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich
+denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden.
+Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft
+sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze
+Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr
+beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit
+der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien
+bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das
+Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom
+sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volks- und Senatbeschluss aus der
+Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige
+wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche
+Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern
+frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt
+als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als
+leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig
+beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher
+Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und
+Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete
+Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte
+an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher
+Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der
+nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter
+Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der
+Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich
+ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht
+als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis
+zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die
+gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft
+konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich
+einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung
+hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte,
+nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu
+werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung
+nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird
+nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den
+Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das
+Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht
+gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass
+die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen
+Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens
+500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei
+einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter
+aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner
+Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache
+oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische
+Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr
+gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die
+schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte
+Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel,
+die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere
+zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die
+Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen
+war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen
+Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung
+zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit
+der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig
+erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten
+Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer
+Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten
+wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen
+Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die
+begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben
+Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von
+ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt
+worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution
+und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden,
+aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
+Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge
+hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
+Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die
+Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
+und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
+man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den
+Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
+sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat
+die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame
+Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
+denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die
+Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
+verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein
+konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte,
+des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit
+Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl
+der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten
+interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker
+zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
+staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
+jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
+vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des
+Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses
+Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
+gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
+verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
+Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
+Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche
+Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
+zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet
+hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des
+Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten
+Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus
+entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
+den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
+Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer
+die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
+Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
+eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
+zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen
+hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer,
+all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene
+zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines
+Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und
+dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer
+Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn
+er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen
+Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es
+doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind,
+wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen
+hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in
+Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats
+seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel
+feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
+ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten
+sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
+Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern,
+musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats
+unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge
+lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte
+Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten
+als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei
+(Herbst 663 91). -----------------------------------------------------
+^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
+entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in
+diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und
+dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
+nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe
+gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer,
+die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab,
+ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
+der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in
+der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst
+die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen,
+hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich
+500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
+Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es
+moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen
+Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging;
+rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was
+nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des
+Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2
+Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich
+schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta
+und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der
+naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den
+Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll,
+wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines
+eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
+ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
+ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will
+ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner
+Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger,
+als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere
+ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen
+Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen
+Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von
+dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift 'Eid des
+Philippus' zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber
+diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch
+bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel
+aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.
+--------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch
+Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen,
+ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser
+konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen
+seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt
+auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur
+die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor
+fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim
+erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu
+wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben,
+sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war
+dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung;
+wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden
+gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen
+als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische
+Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit
+maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung
+das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein
+Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber
+sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt
+in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die
+angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem
+Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war
+hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die
+jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu
+qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja
+allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb
+keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
+das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine
+Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch
+verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
+darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren
+italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht
+unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
+Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
+bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Fest- und
+Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden.
+Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden
+einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum
+dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner,
+an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches
+oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und
+gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen
+wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte,
+dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten
+besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man
+vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und
+die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr
+unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu
+rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher
+Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um
+etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt,
+dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo,
+einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen
+haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den
+Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen
+und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand
+bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen
+still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas
+frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen
+Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit
+prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon
+benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die
+Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius
+und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der
+grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der
+Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu
+ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten
+aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten
+wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als
+gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung
+abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die
+saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe
+gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch
+die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser
+in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den
+Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der
+schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der
+Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt,
+wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen
+Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden
+vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so
+dass bald in ganz Mittel- und Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die
+Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit
+den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend,
+dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und
+Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich
+verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich
+reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der
+Bauern- und ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand
+wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt
+noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es
+auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne
+Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten
+an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna
+fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland
+gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die
+roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten
+fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in
+Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis
+und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien,
+wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege
+die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die
+sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten
+Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und
+mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten
+Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber
+die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit
+gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der
+Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die
+Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine
+ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach
+erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser
+gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch
+keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege,
+auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne
+in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht
+ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei
+grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen,
+noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen
+Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine
+vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung
+gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der
+roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten
+Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den
+Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der
+Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich
+wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und
+jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen
+mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der
+italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die
+Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung
+eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache
+nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder
+Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des
+Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten
+und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere
+Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen
+Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von
+Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten
+Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die
+jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und
+erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien.
+Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der
+senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern
+ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die
+Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem
+gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus
+geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus
+dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen
+den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten
+wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen
+marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig
+Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger
+als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete.
+Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der
+Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen
+Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen;
+die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius,
+Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius
+Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die
+Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch
+Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des
+Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir,
+als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia
+jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen
+des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit
+Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig
+ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts
+als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also
+der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges
+sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere
+Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren.
+In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und
+vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften
+belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem
+Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur
+Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter
+Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und
+Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt
+den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
+Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den
+Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die
+ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt
+in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
+schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in
+offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
+suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
+bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach
+roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen
+italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
+von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
+diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht,
+dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den
+Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen
+und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch
+hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der
+roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen
+Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung
+statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher
+Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren,
+mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie
+in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch
+eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive
+- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie
+zum Beispiel der Konsul- oder Praetortitel des hoechstkommandierenden
+Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege
+vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als
+der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild
+erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur
+darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom
+von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische
+Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen
+Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte,
+wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der
+Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel
+zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend
+aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl
+einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken
+einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von
+einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die
+kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher
+reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie
+hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von
+dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den
+Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke
+des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die
+Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung,
+dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und
+vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie
+in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten
+der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch
+weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten
+vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst
+aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5,
+4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum
+Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die
+Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
+werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist
+wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
+Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige
+Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die
+Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten,
+ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den
+Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den
+Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
+------------------------------------------------- So begann wenige
+Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine
+der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen
+die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden
+grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man
+aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete
+und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in
+Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich
+gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten
+teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den
+schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits
+der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten
+4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer
+Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen
+Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne
+die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an
+Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die
+Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges
+war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig,
+weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu
+Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits
+die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und
+zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu
+verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als
+die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten
+Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in
+zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen
+bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden
+Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus
+Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den
+Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt
+die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als
+Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer
+Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen
+auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber
+zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den
+Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die
+Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen.
+Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius,
+Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare
+Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln
+sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so
+gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg,
+dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden.
+--------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie
+von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr
+zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom
+22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von
+Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen
+Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren
+und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass
+von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren
+aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben
+heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben
+ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen
+die fuenfzehnte Legion nennen.
+---------------------------------------------------- Die Offensive in
+diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der
+Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es
+faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um
+einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die
+Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die
+feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
+Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
+haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen
+Regierung einer- und die lose Verbindung der foederierten Gemeinden
+andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen
+haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und
+Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung;
+nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
+von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald
+kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos
+truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht
+herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den
+insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst
+ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften.
+Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf
+die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier
+trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen
+im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent,
+Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere
+sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem
+die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden
+kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua
+mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die
+bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie
+zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien
+unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen
+zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern
+unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die
+wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie
+die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser
+Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war
+Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung
+sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
+Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
+ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor
+Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten
+Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
+hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste
+Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
+Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum
+einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien
+und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst
+ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an
+der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab
+die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische
+Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet,
+die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
+Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
+zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
+erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
+noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch- lucanischen
+Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars
+Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder
+vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von
+Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen
+Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar
+sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat
+zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische
+Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem
+Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei
+6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den
+in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum
+Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder
+an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee
+bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so
+nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort
+wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen
+des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder
+in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
+einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee
+unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen
+auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und
+der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt
+bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward
+ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu
+bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte
+unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des
+marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee
+der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus
+(Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet
+und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig
+draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den
+unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst
+im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke
+Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr
+entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den
+Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber
+dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von
+ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit
+voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen
+gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an
+der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der
+Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten
+von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung
+genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet
+waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den
+Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen
+blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch
+endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust
+der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang
+und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die
+Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas
+zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als
+Hoechstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens,
+dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald
+darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines
+gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom
+tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich
+empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein
+Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit
+einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern
+zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger
+Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner,
+die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das
+marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich
+sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen
+Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt
+zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur
+Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch
+empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die
+Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte
+zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen
+den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner
+See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das
+picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten.
+Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato
+und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen,
+es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius
+den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und
+Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden
+Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der
+roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die
+Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu
+bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von
+Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er
+selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht
+nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge
+sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die
+Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich
+abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres
+zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen
+und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft
+gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den
+ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne
+etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu
+erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus
+Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier
+indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen
+Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten
+das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste
+Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und
+bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen
+der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen
+geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die
+Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in
+ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele
+Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen
+und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man
+es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom
+zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten
+Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von
+Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie
+Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen,
+dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht
+imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der
+Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an
+der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene
+in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen
+Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich,
+die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu
+setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach
+der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm
+gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der
+Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden,
+als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und
+die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die
+hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu
+bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und
+alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen
+nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen
+Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den
+Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des
+zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch
+nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den
+kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus
+der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen
+des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann
+den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber
+man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn,
+die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz
+gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere
+Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist
+kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber
+nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt,
+nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen,
+sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen
+Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber
+mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben
+wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der
+Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das
+Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des
+von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines
+Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger
+des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an
+allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der
+rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte
+der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben
+Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission
+den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien,
+nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
+Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus
+einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie
+unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche
+Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung
+des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
+Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
+Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die
+Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
+zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen;
+Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
+derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
+Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
+erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde
+zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen
+haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette
+man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite
+zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen
+Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen
+Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein
+freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche
+Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu
+ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen
+Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt
+ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch
+jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in
+widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7
+durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern
+aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht
+Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius
+Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten
+und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm
+gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das
+roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger,
+aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt
+sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie
+die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die
+Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht
+mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf
+das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona
+und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen,
+das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in
+der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche
+latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen
+war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung
+der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen
+Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in
+Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen
+bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
+sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
+eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
+nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu
+sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
+Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige
+Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
+roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
+dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
+welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden
+hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die
+transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich
+vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger- oder
+latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier
+keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung
+der keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung
+bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
+dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
+gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
+Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
+Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische
+Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da
+waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische
+ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege,
+unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664
+(90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
+----------------------------------------- So ansehnlich diese
+Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als
+hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
+roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine
+Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils
+die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten,
+teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen
+herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das
+wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind,
+laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur
+Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen.
+Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen
+Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen
+Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
+latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
+uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband.
+Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen
+Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und
+Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die
+Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken
+trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom
+Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies
+Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht
+hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser
+Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt,
+sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in
+Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige
+Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
+unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser
+Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch
+das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen
+Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem
+die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung
+des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen
+Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese
+Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem
+Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von
+den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen,
+als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die
+Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich
+in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl
+mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen
+Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen
+Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche
+und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der
+Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand
+zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach
+Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man
+seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den
+sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr
+wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem
+er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine
+koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem
+letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber
+glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott
+sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte
+er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren
+Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen
+geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul
+dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien
+gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr
+Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen
+Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit
+so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So
+begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten
+eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen
+Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann
+der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu
+senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte,
+verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten
+zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den
+roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato
+das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben
+vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm
+auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der
+Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte
+sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der
+Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften.
+Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum
+Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde
+Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die
+roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen
+60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang
+es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu
+werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8
+durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung
+der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche
+Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach
+mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah,
+liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft
+unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden
+die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen
+ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die
+uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von
+Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall
+von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten
+aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur
+Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie
+bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang
+der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte
+Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius
+der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer
+zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang
+ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
+musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen
+wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien.
+Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der
+Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser
+ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und
+Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88)
+an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
+bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des
+italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet.
+---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit
+dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der
+"entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift
+entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene
+roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
+jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
+--------------------------------------------- Die roemische Suedarmee,
+welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig
+die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte
+suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert
+(30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint
+bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii.
+Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz
+zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch
+Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich
+durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig
+geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten
+Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das
+dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit
+welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt
+wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden
+gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den
+Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte
+Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion
+war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum
+verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie
+unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu
+ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert
+vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der
+Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde
+umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen;
+das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach
+Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft
+Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern
+erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit
+machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung
+der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion
+den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so
+ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben
+hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide
+Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig,
+Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der
+Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung
+gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener
+Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der
+lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden
+ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer
+und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen
+die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends
+drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses
+ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht
+mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas
+geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung
+der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu
+beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische
+Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel
+gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck,
+Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu
+tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften
+aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen
+sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter
+heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass
+die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von
+Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der
+Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich
+eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die
+"Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten
+den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der
+Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte
+sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward
+durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf
+Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und
+neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause
+die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk
+abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische
+Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine
+landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen.
+Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der
+Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien
+noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion
+war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
+---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche
+muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer
+Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten
+festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene
+Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen.
+---------------------------------------------------- Allerdings war
+inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen
+Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten,
+an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das
+naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee
+nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum
+Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben
+Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure
+Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen
+Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte,
+war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit
+dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
+bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die
+Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
+der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem.
+Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
+ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse
+war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung
+einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
+ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der
+seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die
+Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2 Mill. Taler) geloest wurden,
+lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
+gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
+Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen
+Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den
+Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
+voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666
+(88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten
+Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte
+Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders
+von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an
+militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand
+ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen
+genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von
+Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General
+Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war
+als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt
+liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften,
+die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und
+Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus
+Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei
+einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der
+Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in
+der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar
+einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische
+Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte
+man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung
+von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien
+verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
+der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
+unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus'
+Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter
+jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die
+bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie
+zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der
+Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt
+hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
+zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war,
+trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
+kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht
+zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert.
+Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen
+Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
+ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr
+wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
+Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des
+latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
+ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen
+wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das
+Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den
+Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft,
+hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert
+^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie
+bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und
+die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit
+der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste;
+all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden
+Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder
+gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht
+ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn
+somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen
+Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und
+die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in
+ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische
+Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen
+deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern
+durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man
+Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch
+einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines
+Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als
+ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die
+Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber
+von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
+erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus
+unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste
+geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit
+dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern
+geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der
+sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den
+Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er
+sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand
+eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
+---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt
+Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data;
+qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin
+der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data
+est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind
+nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius
+inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden
+und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss
+Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit
+eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis
+cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch
+rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii
+qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren
+Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12;
+Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini
+Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate
+gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede
+Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2)
+und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte
+nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App.
+Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter
+ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine
+Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch
+Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen
+deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende
+(Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und
+nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der
+Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die
+Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren
+Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des
+Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden,
+keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65
+(90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti
+fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber
+unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht
+empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter
+verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle
+Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem
+Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als
+Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die
+Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati
+fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der
+Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.
+--------------------------------------------- Mit diesen Elementen
+politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall
+der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime,
+welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug,
+entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des
+demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne
+Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar
+in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda
+trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der
+militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward
+der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus
+Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem
+Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen;
+und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen,
+durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang
+auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von
+jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend
+aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen
+Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius,
+vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging
+derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes
+nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte
+umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius
+Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die
+Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen
+und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische
+Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen
+Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die
+Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von
+ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden
+Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um
+ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen
+Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten
+Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten
+Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das
+tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und
+instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die
+verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius
+sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in
+priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der
+Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht
+einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in
+den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders
+geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst
+durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger
+an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des
+Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der
+befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des
+starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder
+stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte
+Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die
+Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen
+Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und
+diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler
+sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in
+grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg
+all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft
+gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution.
+Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius
+Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege
+stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde,
+seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie
+Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat
+freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen
+und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu
+gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum
+Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630
+124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt,
+seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als
+seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner
+ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an
+Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines
+Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner
+Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats,
+und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des
+der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den
+Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus.
+Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das
+Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
+abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er,
+wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer
+verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein
+und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
+beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
+Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
+Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus
+zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger
+schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
+seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das
+gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch
+sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen
+Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren;
+und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
+Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es
+heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges
+uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein
+anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte
+er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung
+der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das
+Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich
+verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf
+guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger
+Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der
+Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular
+Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben
+anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich
+mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung
+ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der
+von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs
+die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers
+verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war
+nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen
+Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der
+Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die
+Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der
+Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius
+eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst
+wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den
+gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem
+stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten
+Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann,
+ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte.
+Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel
+herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes
+tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei
+Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber
+an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie
+dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen
+aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu
+liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler
+Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von
+den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die
+Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward -
+womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat
+so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie
+er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den
+herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde.
+Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft
+zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen;
+an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen
+Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen
+zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts
+insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in
+Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der
+Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine
+Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu
+regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch
+die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr
+grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch
+abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung
+abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen.
+Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief
+diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des
+Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes,
+als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um
+das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den
+Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen
+zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering
+sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie
+ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion
+jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet
+aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten
+halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige
+Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
+leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was
+dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen
+auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
+erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
+in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
+realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch
+den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen.
+Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
+bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
+3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern
+aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte
+erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten
+Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu
+gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
+Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche
+religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die
+Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
+Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
+der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
+und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
+soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein
+Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
+angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege
+gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal
+noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
+Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
+Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
+uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
+Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
+Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
+fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet
+in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
+Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
+Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die
+wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
+lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der
+Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
+Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den
+konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu
+werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen
+Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen
+politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und
+seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse
+Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
+keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren
+lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
+beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
+eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
+entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
+Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein,
+dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den
+Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge
+plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und
+Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden
+konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als
+rach- und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
+stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge
+Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch
+Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische
+Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht
+ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene
+Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
+dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der
+abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
+Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
+Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit
+vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich
+abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des
+Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher
+hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
+kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
+und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune
+in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten
+Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen
+Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem
+groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte
+mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der
+gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in
+welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten
+Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und
+verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden.
+Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen
+uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft
+von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen
+Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu
+welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte.
+Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl
+Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer
+war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des
+Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere
+und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem
+Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
+Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
+Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war,
+der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
+Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
+halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
+Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
+waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom
+angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten,
+dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern
+andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die
+hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich
+zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
+Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien
+einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
+auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
+und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom
+zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs
+seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
+Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
+Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
+Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der
+Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
+Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
+Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
+hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
+innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches
+Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es,
+zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
+berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen
+gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern
+heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
+sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel
+und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die
+Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S.
+Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
+zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden
+Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben
+Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
+Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel
+der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz
+zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor
+Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich
+entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in
+Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
+gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
+Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
+bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern
+nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
+nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese
+Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der
+Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen
+Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen
+Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und
+unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt
+des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die
+konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der
+denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der
+zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt
+triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber
+formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze
+als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine
+namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf
+an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und
+Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei
+Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt
+des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben
+Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in
+voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten
+wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den
+Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage
+durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo
+der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger
+von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien
+die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug
+bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an
+Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut
+Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach
+sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger
+gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung
+des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden
+Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
+Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen
+Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius
+am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in
+den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
+fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde
+von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel,
+ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
+erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das
+Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
+anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man
+dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der
+Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
+Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht
+hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
+sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
+Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie
+liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen
+Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie
+nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer
+den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu
+gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben
+hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um
+sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu
+bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern
+und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina
+(Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla
+seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den
+Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass
+die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen
+Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten,
+veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die
+bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die
+Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die
+Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten
+und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat
+ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl
+natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden
+hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative
+wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung
+der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem
+Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast
+die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der
+im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse
+mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der
+Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht
+Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die
+legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt,
+dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden
+musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen
+konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist
+es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666
+(88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber,
+darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass
+der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das
+zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward.
+------------------------------------------------- Diese durch den
+Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen
+Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei
+aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen
+Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu
+fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende
+Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu
+verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine
+Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr
+konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen
+Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende
+Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten
+Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation
+seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien,
+tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die
+zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen
+hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je
+ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so
+ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt
+und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf
+die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
+Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt
+worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr
+oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu
+sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die
+prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem
+Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich
+geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit
+und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel
+Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen
+Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl
+der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten
+gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung
+zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
+der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte
+in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben
+in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder
+Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen
+und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus
+unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es
+immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich
+das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne
+solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte
+durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die
+Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
+an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den
+Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war
+unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne
+konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
+Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches
+gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte
+durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
+Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war
+eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung
+des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
+aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
+treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf
+samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren
+wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner,
+die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden
+Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius'
+leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und
+wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
+materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden
+darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
+beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen
+Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den
+Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das
+Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666
+(86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status
+quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
+zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess
+aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen
+suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden
+zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus
+in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt
+der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten
+bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
+Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
+guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des
+Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass
+das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie
+widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
+die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen
+sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen
+immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass
+die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert
+hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
+keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils
+in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden,
+teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
+Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm
+auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den
+Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
+Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
+optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
+entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich
+die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
+vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass
+es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit
+Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur
+abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
+Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
+groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch
+Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen
+Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo
+in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser
+der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der
+Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
+hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle
+den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
+erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene
+Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass
+er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
+Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
+strafte. Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
+eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
+abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
+einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach
+Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
+andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
+es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und
+seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung
+wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es
+zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die
+italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten
+und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich -
+ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht
+werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium
+zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus
+Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl
+in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem
+Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87)
+mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel
+Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die
+Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf
+die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die
+Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber
+die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen
+nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen
+Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der
+Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der
+Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch
+kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen
+Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose
+Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen
+Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
+nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
+fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen
+Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
+die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann
+die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
+Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse
+noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten
+mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode
+Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf.
+Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und
+trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem
+haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen
+beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88),
+was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten
+sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im
+Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen
+Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu
+aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst,
+indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais,
+Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der
+koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von
+Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr
+eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die
+hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel
+nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und
+Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich
+dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten
+waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass,
+als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier
+erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu
+ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in
+Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser
+geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden
+Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659
+95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward
+das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die
+kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die
+Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der
+Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen
+setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das
+wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie
+der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer
+Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen
+gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? -
+667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung
+in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen
+Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen
+das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend
+die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig
+sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess,
+erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit
+seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das
+eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche
+oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde
+durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu
+einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils
+die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von
+ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich
+zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften
+zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es
+von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden
+uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand
+die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches
+unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich
+ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche
+Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und
+Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine
+aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte
+dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich
+wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment
+naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die
+mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich
+an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch
+Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die
+Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete
+die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in
+einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette
+daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den
+roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die
+roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der
+Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein
+es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen,
+sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es
+konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen
+Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein
+Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte
+damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator
+(geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher
+Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn,
+im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I.,
+zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden
+entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes,
+der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger
+Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und
+Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters
+Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen
+Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner
+gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend
+gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette
+wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses
+Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann.
+Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche
+Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger
+die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig
+frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber
+auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter
+der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in
+beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch
+wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des
+Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr
+noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild;
+als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten
+Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker
+fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich
+war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd
+traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen;
+aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl
+Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und
+fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in
+den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner
+griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden.
+Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben
+-Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht
+wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der
+hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik,
+das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und
+griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte
+stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner
+Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser
+und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den
+besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im
+Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr
+den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes traegt, ist der
+Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und
+misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf
+seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder
+angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte
+Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter.
+Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen
+Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner
+vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass
+er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen,
+seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen
+Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab.
+Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen
+wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper
+an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf
+von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann
+und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige
+und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine
+Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner
+Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger
+Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel
+diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem
+Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle
+von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in
+der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
+seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner
+Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man
+ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz
+Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch
+erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein
+redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber
+die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers
+zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher
+des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze
+Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
+Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie
+auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im
+Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren
+gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer
+Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien
+zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der
+Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition,
+eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung
+wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen
+Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed
+II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der
+hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen
+Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale
+gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch,
+grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so
+gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein
+unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie
+Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der
+Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in
+den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung
+der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es
+Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern
+zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf
+die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern
+ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt
+hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen
+naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch
+nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die
+Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche
+Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege
+sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
+gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen
+Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der
+nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates
+selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das
+Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die
+Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der
+alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden
+von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des
+Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen
+Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu
+finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge
+gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die
+Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in
+dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den
+Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und
+vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie
+seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun
+des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen
+hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element
+bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht
+ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu
+gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen
+Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster
+Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander
+geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten
+weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt
+sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien
+fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen
+lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren,
+waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten
+der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und
+die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den
+iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und
+der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen
+hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn
+von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und
+phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben
+eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare
+Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich
+ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt
+es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer
+Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten
+Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den
+Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses
+Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der
+durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen
+Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen
+Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden.
+------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch
+angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind
+unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche
+Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG,
+10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen
+Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien
+am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo,
+am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in
+steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder
+gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal
+der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo
+mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die
+bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts-
+und Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches,
+Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als
+haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch
+heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit
+Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu
+Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert.
+Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die
+den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern
+zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in
+Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle
+gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu
+getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und
+wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst
+nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
+sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz
+orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war,
+wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen
+angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
+wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
+Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
+freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen
+Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier
+einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
+vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
+geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
+unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
+ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti)
+mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten
+entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch
+waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten
+huegel- und waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen
+Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer
+Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von
+Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz
+und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger
+anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und
+ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer,
+wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse
+vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der
+Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese
+Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und
+fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben,
+indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit ihren Rossherden
+Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich
+nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach:
+die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer
+aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild
+geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren
+der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen,
+die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen
+Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich,
+von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben,
+Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer
+Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man
+ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen
+sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen
+Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten
+thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
+gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der
+grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
+beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst
+die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
+bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten
+und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz
+standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
+Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
+diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als
+Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau,
+fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des
+Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot,
+als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten
+hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren
+Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die
+Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in
+der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
+Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
+Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
+gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen
+in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
+Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische
+Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der
+Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell
+zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit
+noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia
+und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt
+Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten
+die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des
+Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze
+Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen
+war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
+traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten
+Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
+fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
+Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
+der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
+selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt,
+ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und
+Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit
+der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung
+ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr
+starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils
+wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten
+die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein
+lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt
+uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die
+nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint.
+Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins
+an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt
+lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher
+Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der
+Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe
+zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die
+Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den
+Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die
+Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die
+schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem
+Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt
+sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen
+und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
+--------------------------------------------- 2 Sie sind hier
+zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten
+und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom
+fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und
+eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings
+nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos
+hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos
+zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die
+zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats
+zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus
+der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele
+Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich
+jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt
+erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder
+des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem
+gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
+schuetzten. --------------------------------------------- Diese
+Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm
+des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und
+Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich
+zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias
+geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen
+empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten
+Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier
+versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die
+Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden;
+die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel
+hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt;
+gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
+hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
+umsonst. Mithradates' tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos
+und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern
+fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils
+zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
+Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen
+der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie
+sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
+Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
+seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen
+4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen
+verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer
+Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt,
+das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze
+umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel
+Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die
+Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung
+traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit
+dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
+wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen.
+------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich
+aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos
+(SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die
+Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer,
+Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt
+teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem
+von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende
+Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des
+Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft
+macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
+(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
+westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
+Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos
+ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich
+sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die
+spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch
+die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
+Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben;
+Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die
+als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen
+fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu
+ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen
+zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi)
+des Mithradates. -------------------------------------------------------
+Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
+Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als
+die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen
+Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
+enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab
+dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
+er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der
+Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
+scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
+dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
+die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage
+gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und
+faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken
+zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien
+endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische
+Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich -
+und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche
+als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den
+Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime
+Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien
+anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies
+Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen
+sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates
+besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem
+er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich
+Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem
+Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an
+sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in
+Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es
+hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes
+Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen
+des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen
+Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig
+gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu
+gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide
+Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor
+eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten
+Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters,
+uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die
+unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des
+letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats
+ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der
+baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab
+dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das
+kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie
+in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter
+dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete.
+Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig
+Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen
+Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des
+Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich.
+Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem
+Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier,
+Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor
+allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern.
+Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs,
+Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste
+Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien
+gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit
+600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte
+fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten
+vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht
+beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die
+Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich.
+------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der
+folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa
+scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu
+haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die
+Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig
+Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In
+die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen
+Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in
+Saturninus' erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod.
+631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom
+verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in
+Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut.
+1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.
+---------------------------------------------- Dass der roemische Senat
+seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen
+Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte,
+beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode
+Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem
+Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr
+fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese
+Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber
+nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
+Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante
+Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen
+Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass
+einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht
+entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die
+engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die
+Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens;
+dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer
+unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht
+berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar
+in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel,
+als Schutzherr fast bis an die makedonisch- thrakische Grenze gebot.
+Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das
+hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich
+dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes
+berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar
+fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte.
+Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die
+Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt
+hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch
+der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich
+erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang
+des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
+Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
+geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen
+durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden
+konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs
+Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch
+seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz
+zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den
+seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische
+Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass
+Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit
+war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
+Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen
+die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute
+unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der
+falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso
+sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen
+und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen,
+durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die
+Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt
+ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit
+der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten
+kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck
+vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer
+besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte
+die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden
+vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich,
+den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine
+freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien
+zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der
+asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug
+den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus
+Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach;
+Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und
+der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische
+Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den
+angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner
+Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen
+damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser
+Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und
+den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und
+Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien
+man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung
+der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf
+die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der
+parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz
+zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten.
+Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese
+vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste
+spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick
+hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im
+Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die
+gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen,
+die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens
+zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662
+92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem
+in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom
+Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S.
+51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen
+Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters
+nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet,
+sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam.
+------------------------------------------------- So hiess es; in der
+Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der
+Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig
+Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien,
+Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen
+Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode
+des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III.
+Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger
+Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als
+Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar,
+dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen
+Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder
+offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur
+handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen
+Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch
+Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den
+benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran
+zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
+Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes
+persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
+Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
+Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
+erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
+Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
+und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand
+Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische
+Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
+roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte,
+und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes
+und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
+Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter
+verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern
+keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates
+wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare
+Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer
+in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen
+Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht
+also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick,
+den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius
+in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion
+auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut
+machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr
+664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er
+so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese
+seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der
+Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue,
+dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und
+weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu
+fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und
+hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl
+seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur
+begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger
+Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste
+sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig
+war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder
+beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung
+an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr
+fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht,
+in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch
+egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache
+und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied
+sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu
+versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla
+wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer
+energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut
+wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss
+zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl
+freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt
+es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption
+einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu
+verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen
+ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber
+dies zuzulassen war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung
+nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente
+er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des
+roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen
+Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein
+Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg
+zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte;
+aber selbst als Nikomedes' Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten,
+seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und
+die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch
+unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die
+Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft
+und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung
+gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass
+er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten
+habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen
+Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen
+Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch
+Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan
+hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat
+dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und
+Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch
+wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn
+Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch
+einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen,
+wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung
+von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der
+roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch
+gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).
+Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
+militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
+allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien
+fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das
+in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig
+Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen
+sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten
+Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
+Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht,
+sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der
+griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen.
+Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten
+Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und
+beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt
+im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen
+Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich,
+und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man
+hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten
+Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die
+Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens.
+Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der
+Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde
+jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit
+furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische
+Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung
+und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen
+Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht
+unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes
+mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur
+wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps
+gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren.
+Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen
+in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische
+Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern
+das Feld nahm, dass 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See
+stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der
+ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich
+die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige
+griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte
+es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold- und
+silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder
+mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen.
+Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese
+buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
+war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
+wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
+einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber
+stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der
+westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
+sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
+den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so
+uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
+wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf
+seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben
+jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine
+anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung
+unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der
+militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge
+des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im
+guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis
+dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes
+hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen,
+wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im
+vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet
+zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen,
+galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter
+Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die
+bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem
+Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An
+einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri),
+stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die
+bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen
+Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene
+Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende
+fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der
+Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden,
+noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich
+ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo
+Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander.
+Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte
+in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn
+wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich
+mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen
+Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise
+Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius
+ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und
+so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die
+roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese
+ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der
+Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte
+Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen
+und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen
+Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander
+mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr
+man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen
+Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen,
+gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich
+untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl
+im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber
+zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten
+auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der
+Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten
+vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward
+ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien
+und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des
+neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
+Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich
+gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
+Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere
+gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
+Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
+Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
+Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges.
+Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt,
+bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
+bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme
+Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
+des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe,
+zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter
+Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn,
+der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
+adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle
+von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und
+demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
+Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters
+zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
+behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass
+hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder,
+zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden
+mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich
+vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend
+wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit
+kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
+Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
+entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
+Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
+vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel
+nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess
+auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten
+waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum
+kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem
+sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie
+faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht
+bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche
+Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische
+Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden
+Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der
+Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt.
+--------------------------------------------------- 7 Die Urheber der
+Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig
+Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode
+dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab.
+--------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des
+Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber
+der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla
+liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete
+sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters,
+Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde
+als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung
+uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als
+pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge
+wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden
+nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch
+Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso
+verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch
+sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des
+Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen,
+die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen;
+wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die
+Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der
+noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln
+waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen
+Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das
+gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der
+Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt
+Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen
+bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere
+Belagerung, bei welcher Mithradates' tuechtigster Offizier Archelaos
+geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien
+entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius,
+wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht
+angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des
+Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor,
+dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden
+und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die
+Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden
+war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie
+das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber
+nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der
+zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
+unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
+den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
+die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit
+auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
+665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
+pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit
+noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den
+makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
+Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
+unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
+sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
+dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm
+maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
+Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die
+Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
+zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
+Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
+Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
+Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte
+der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von
+Mithradates' bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer,
+wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
+roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000
+Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea
+erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen
+Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum
+Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische
+Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius
+Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit
+seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und
+besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass
+der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier
+wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der
+nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser
+Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
+ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling
+Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende
+Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit
+Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig
+Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon
+unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
+dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und
+ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So
+ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine
+pontische Soeldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
+dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen
+auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
+Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach
+Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung
+herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae
+Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen
+Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner
+Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen
+Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667
+88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See,
+dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte,
+einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
+bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der
+roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und
+Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See
+herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische
+Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten
+Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum
+beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und
+furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen
+in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten
+hervorgerufene fuerchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an
+zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft,
+um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion
+voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte
+eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem
+unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die
+Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie
+wir sahen, fuer den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf
+vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt
+des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses
+das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine
+Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei
+nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von
+Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten
+aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens
+30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee,
+war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische
+Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla,
+gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres
+wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der
+Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil
+seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit
+leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not
+fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich
+ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr
+seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem
+Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes
+die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
+Mithradates' Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse
+Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es
+war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche
+Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
+halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der
+rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
+nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren
+Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten
+Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
+Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte
+er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien
+vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
+Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast
+ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
+Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich
+geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang.
+Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien
+und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte
+vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende
+feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
+und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
+und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
+hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert,
+unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn
+sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen
+schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen
+in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das
+schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und
+des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung
+ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft,
+schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab
+und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum
+Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter
+den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
+Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern
+geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
+Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt
+hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht
+imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die
+Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen
+Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen
+zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher
+Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es
+erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der
+Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen
+Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die
+Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt
+ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige
+Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei
+Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die
+Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren
+inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung
+versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre
+redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student,
+sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung
+annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm
+bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum
+noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich
+in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr
+liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die
+angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst
+aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das
+wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre
+herrlichen Toten. ----------------------------------------------------
+8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
+Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet
+ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
+----------------------------------------------------- Ueber den
+Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage
+blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein
+Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
+vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
+Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die
+Eroberung Makedoniens von Mithradates' Statthaltern kuerzlich durch die
+Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
+immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und
+die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
+sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die
+Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu
+Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
+Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
+Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort
+womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
+den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
+Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
+aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
+Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene
+nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um
+Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab.
+Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
+roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten,
+mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen
+vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern
+schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis;
+schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des
+Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer
+die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene
+Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
+militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der
+politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
+Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen
+hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
+abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
+Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in
+Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
+Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess
+sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
+und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
+Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!
+Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen
+Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
+seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
+foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes
+aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
+bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
+Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
+rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
+das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit
+einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an
+den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos
+raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch
+Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und
+stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der
+Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl
+zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung,
+vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen.
+Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die
+See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst
+unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der
+Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und
+blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt,
+wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um
+bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben.
+In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen
+die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien
+zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit
+der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der
+griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach
+staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und
+bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei,
+gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig
+fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
+zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
+liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich
+das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen,
+an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und
+Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
+sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
+Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
+herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
+Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach
+die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich
+rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
+anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst
+auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des
+Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum
+Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die
+Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das
+durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft
+bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos
+anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um
+so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer
+mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll
+Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den
+Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande.
+Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was
+wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich
+genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen
+Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich
+bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich
+vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von
+Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte
+einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen
+in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet,
+nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer
+kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben;
+bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste
+Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges
+lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss
+schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte
+sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war
+ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen
+Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing,
+in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er
+in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um
+durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch
+Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen.
+Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt
+ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter
+668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet
+auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische
+Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug
+dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun
+hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die
+ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn
+die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem
+gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es
+in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine
+Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia
+aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos
+nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den
+Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien
+gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die
+bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die
+Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung
+nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der
+Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben,
+mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun
+unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah,
+wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
+Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die
+Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
+sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu
+weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen
+ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind
+vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie
+frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie
+antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und
+ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit
+leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der
+Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben
+fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen
+Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten
+den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu
+buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege:
+Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig
+geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden
+gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla
+Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den
+asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in
+den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen.
+----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser
+Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das
+die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass
+die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die
+Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz
+668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende
+thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest
+des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch
+nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass
+Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug
+auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer
+den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die
+Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von
+Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach
+Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
+-------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die
+kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig
+Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er
+mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen
+seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur
+zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er
+in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei
+der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben
+begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung
+trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln.
+Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die
+Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen
+Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an
+15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos.
+Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab
+erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten
+Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den
+Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich
+fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter
+Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar
+zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten
+Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung
+zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000
+Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in
+Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen
+Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit
+pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen
+Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern
+und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu
+verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an
+Mithradates' eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt,
+allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer
+kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos,
+aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder
+verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in
+solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten
+zum Tode verurteilt. -----------------------------------------------
+^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der
+desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
+Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von
+Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
+Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
+Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft
+(/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg.
+---------------------------------------------- Wenn also der Koenig
+durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen
+sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in
+Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem
+der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren,
+gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen,
+in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine
+werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen
+verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen.
+Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen
+und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und
+Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios
+den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee
+durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge
+passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den
+Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten
+die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten
+Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich
+geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria,
+welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das
+auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus
+ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit
+Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten
+Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem
+befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen,
+ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum
+warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig
+hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls
+dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger
+General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos
+westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der
+als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war,
+vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch
+diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz,
+jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb
+und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um
+dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte
+in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm
+die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat
+war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der
+Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates' Lage bedraengt
+genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien
+gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer
+eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht.
+Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen
+Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und
+bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die
+inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an
+sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem
+Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den
+sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu
+unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des
+ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden
+mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der
+roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates
+ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine
+Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer
+General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind
+standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen
+Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an
+Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine
+Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen,
+der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler
+entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach
+Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und
+dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu
+gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen
+der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der
+asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen
+Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an
+und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so
+nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die
+im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea
+gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen
+Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die
+vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern,
+aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht
+hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm
+noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens,
+Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der
+Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des
+Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte,
+endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten
+mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die
+nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt,
+den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien
+zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl
+Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen
+gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen,
+schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine
+Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war.
+Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb
+ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11.
+Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel
+erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen
+die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus
+den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein
+Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer
+auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien
+einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm
+weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt
+durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen
+Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits
+angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit
+benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder
+zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich
+Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen,
+um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien
+stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont.
+Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die
+widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er
+spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens
+scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit
+nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu
+fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften.
+Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische
+Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der
+an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten,
+der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien
+unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien
+zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine
+Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die
+politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in
+peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen
+sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die
+Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg
+gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg
+gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres
+gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich
+offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die
+Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet
+schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden
+Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es
+schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der
+in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe
+nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu
+unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu
+Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von
+der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach
+Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit
+dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu
+vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand,
+um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu
+machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von
+Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in
+Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den
+Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er
+bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
+demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl,
+Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen
+mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren
+unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
+wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten
+die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den
+geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende
+abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
+erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich,
+ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung
+zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
+statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren
+zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in
+sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben
+sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige
+Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas.
+----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass
+Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden
+Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem
+Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt
+auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des
+Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen
+benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten
+Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses
+von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im
+Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
+Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf
+er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem
+Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens,
+seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine
+Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer
+Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
+Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den
+noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
+darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland
+zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer
+mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
+Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
+Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
+Leute. Nach Ardasches' Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die
+Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das
+armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
+uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag
+(Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
+Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte
+man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von
+bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier
+verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne
+Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich
+durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und
+namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz
+ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt.
+Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht
+aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils
+die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
+fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen
+Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
+Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
+Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
+okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
+orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der
+unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren,
+sie noch staerker zu trueben.
+--------------------------------------------------- Sulla beschloss,
+diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht
+traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange
+in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando
+ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien
+uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die
+revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven
+und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine
+Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
+durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets
+unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit
+dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
+Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
+Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten
+Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die
+saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und
+Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine
+Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
+zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die
+Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
+sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
+fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch
+gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht
+ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph
+aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
+belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
+Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich
+belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
+Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier
+fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame
+Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften
+Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und
+Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien
+hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt
+und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
+freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
+koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
+nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
+beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die
+Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war
+man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein
+Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein
+einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des
+Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft
+befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend
+sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem
+Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen
+durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er
+gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm
+gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken.
+Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem
+reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen
+entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von
+Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo
+die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu
+fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege
+in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts
+zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden
+Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren
+Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im
+Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt
+worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem
+mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen
+Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der
+Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz
+oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die
+Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch
+erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen
+des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des
+Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten,
+soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust
+ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der
+herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten
+Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die
+Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit
+den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und
+Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze.
+Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand
+es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige
+Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen.
+Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung
+Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich
+geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
+Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
+sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser
+Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen
+gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte;
+groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie
+alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder
+minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten
+Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der
+Konsul- und Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die
+Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius
+Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er
+als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die
+Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir
+weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers
+in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine
+andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
+geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht
+gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen
+ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des
+Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich
+aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger
+charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen
+Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der
+Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein
+der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging
+nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter
+ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die
+hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder
+ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint
+in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu
+sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen
+Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den
+Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug
+ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
+erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe,
+so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische
+Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
+Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder
+Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
+Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in
+die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art
+nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der
+Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
+einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten
+aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul,
+nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand
+der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna,
+unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die
+Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die
+Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie
+enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und
+der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die
+Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten
+in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der
+Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner
+einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die
+Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
+gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
+Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils
+bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
+Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die
+Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter
+Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht
+bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der
+Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter
+Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
+diesem "Octaviustag", wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
+schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
+durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war
+ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb
+den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen
+die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren
+gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr
+loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des
+Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande
+Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht
+der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern
+aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der
+Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
+Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht
+ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass
+die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich
+vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter
+herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen
+Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur
+Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren,
+zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger
+gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert
+erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden
+Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten
+ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und
+Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee
+von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer
+gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende
+Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen
+Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius,
+aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen,
+machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen
+Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes
+wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des
+Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das
+kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm
+Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von
+den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden
+herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens
+aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu.
+Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren
+die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste
+gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils
+Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius
+Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte
+Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in
+denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit
+einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit
+zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und
+die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang
+herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000
+Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die
+sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden
+Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul"
+Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten;
+die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der
+allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die
+Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso
+jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem
+Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten
+nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See
+mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt
+zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz
+die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des
+Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten;
+Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er
+erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner
+starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die
+noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein
+dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es
+geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna
+mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer
+dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber
+gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf
+drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
+Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt
+sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel
+der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem
+Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
+schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in
+grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in
+Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum
+befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen
+gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna
+insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet;
+ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und
+die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius
+durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das
+Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die
+Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es,
+dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern
+anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine
+Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung
+und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis
+des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des
+Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht
+geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme
+zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an
+dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die
+die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst
+hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht
+verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen,
+dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines
+grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt
+hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar
+tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was
+in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen
+worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
+Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
+betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann.
+Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu
+einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen
+Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die
+Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
+Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
+und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern
+entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst
+sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst
+in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch
+den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im
+suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
+Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den
+gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
+schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung
+ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella
+in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles
+bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre!
+-und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte.
+Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die
+Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten
+besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal,
+von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward.
+Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit
+Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und
+namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr
+und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine
+Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von
+Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen
+Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig
+seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die
+gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm
+verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende
+Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die
+Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos
+Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann
+denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und
+ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er
+starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten
+Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch
+die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul
+Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus' Eintreffen und Strabos
+Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
+gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe
+sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief
+erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn
+mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand
+es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
+Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden
+unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze
+der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius,
+sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
+kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu
+bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
+beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem
+Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht
+ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen
+Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser
+sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
+desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter
+und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden
+Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise
+aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass
+der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit
+zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
+konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts
+uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen
+zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem
+Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise
+Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend
+dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so
+griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war,
+irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
+dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
+hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
+aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius,
+ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
+Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende
+Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des
+Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und
+vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als
+bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung
+durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27
+hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist
+des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm
+nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung
+des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach
+Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin.
+nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie
+die Spaeteren es missverstanden haben.
+------------------------------------------------- Die Tore der
+Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber
+Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt
+zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten
+sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen.
+So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen,
+nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner
+der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter
+einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte
+waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder
+Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang
+ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das
+erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den
+Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu
+machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen
+Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange
+saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte
+Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den
+Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und
+Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius
+(Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der
+erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im
+Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung
+Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der
+angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen
+Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden.
+Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider
+seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
+angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
+Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar
+des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
+priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden
+Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
+des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
+herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt
+fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
+hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all
+dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker
+- nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform
+beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er
+die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt
+ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er
+verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla
+ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die
+Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er
+ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette
+des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal
+durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er
+bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem
+Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte
+abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen,
+namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und
+versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die
+Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam,
+zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
+ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul,
+demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken.
+Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht;
+man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es
+war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
+fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius
+vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
+Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel
+weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
+unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
+Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der
+umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
+an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
+den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem
+alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten
+Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen
+Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte;
+er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er
+trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des
+siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er
+seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er
+wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie
+in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den
+Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen
+ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger,
+stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit
+dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige,
+kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer
+ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel
+vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt
+die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein
+hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen
+wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten
+schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er
+eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen,
+was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis
+ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa
+keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode
+des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde
+von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar
+kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten;
+so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den
+Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei
+dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
+verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus
+Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von
+der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie
+er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden
+lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem
+Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen
+zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen
+und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich
+niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis
+gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670
+87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch
+regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es
+war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit
+absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der
+Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt
+in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit
+hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu
+nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere.
+Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst
+beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht
+mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe
+durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen
+(670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche
+Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine
+seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen
+Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91)
+hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu
+verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als
+Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die
+von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen
+um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen -
+so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten
+Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so
+wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von
+Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671
+(83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus
+der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten
+Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der
+Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven
+waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme
+vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das
+Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein
+verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste
+den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch
+zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte
+an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs
+empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des
+Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess
+sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
+Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische
+Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche
+Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
+betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
+blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
+nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
+zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass
+dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus
+den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich
+auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime
+Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
+sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er
+blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine
+zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung
+der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und
+Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren
+Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz
+hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war
+ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch
+groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen
+Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als
+die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten
+Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation
+insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend
+doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und
+ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende
+dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger
+endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo
+nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie.
+Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
+Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
+Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch,
+diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus
+Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen
+Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen
+in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich
+untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung,
+Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats;
+somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz
+Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich
+Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und
+nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier
+eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen
+Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die
+Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden
+entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus,
+Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in
+Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich
+war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so
+waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch
+auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln
+nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius
+Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius' Tode das Konsulat
+und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat
+noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber
+unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach
+schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass
+Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach
+Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich
+selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden
+geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla
+den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen;
+jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die
+Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien
+ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten;
+Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die
+Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna
+aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan
+hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine
+Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss
+er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits
+weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt
+zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche
+Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des
+aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende
+Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien
+einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum
+Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die
+Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht
+selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als
+Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
+Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht
+geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
+Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert.
+Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern,
+sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
+Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen
+Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen
+Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer
+Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt
+sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das
+Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in
+Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere
+Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur
+die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen
+niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche
+dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste
+diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes
+abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
+veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
+bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis
+dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
+Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten,
+von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
+und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als
+politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
+Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
+Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
+wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und
+einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
+Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum
+Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel,
+benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
+gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei
+Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
+gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4
+Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
+ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
+juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
+die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
+rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass
+dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus
+geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
+genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
+notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
+Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat
+in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein,
+da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon
+tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den
+Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten
+nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und
+also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und
+der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in
+Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius
+Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
+--------------------------------------------- Gegen diese italische
+Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf
+Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im
+Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen
+mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in
+Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt
+und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei,
+Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts
+verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den
+Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
+jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei
+die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
+Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die
+Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten,
+und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
+Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
+Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
+doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen
+bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
+zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten
+fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
+gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
+oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
+gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
+Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
+lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
+den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die
+Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
+und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei
+charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand,
+waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine
+Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
+bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert
+war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung
+behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er
+irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen
+und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der
+weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen
+Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
+Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
+gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen;
+im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
+revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung
+in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu
+schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern
+begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern
+die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von
+jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was
+indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
+scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
+darin, dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubuerger
+allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch
+daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten
+nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit
+seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf
+die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln
+unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht
+vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung
+dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die
+Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen
+suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen
+zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche
+Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General
+die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien.
+Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und
+hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von
+allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das
+Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich
+gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege
+Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm
+aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit
+einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten
+freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und
+geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren
+bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten
+retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven
+zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem
+demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene
+Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige
+Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und
+unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste
+Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz
+Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia
+und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt;
+selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von
+Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung
+im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der
+Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen
+Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus
+aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung
+anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward
+ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution
+getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage
+auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater
+wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines
+sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die
+Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus
+Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den
+oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die
+Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte
+Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die
+besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo)
+die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern
+bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche
+grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte
+sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht
+dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im
+Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind
+einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
+den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion
+ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
+Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter
+denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
+entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie
+es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn
+als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden
+und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den
+Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
+vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht,
+der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit
+eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen.
+--------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier
+gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers,
+im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren
+konnte. --------------------------------------------- Also moralisch
+und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach
+Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach
+Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es
+schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls
+Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit
+allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee
+rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie
+eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter
+Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man
+an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
+kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom
+Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
+ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
+revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess
+dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
+schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
+diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen;
+statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich
+aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden,
+und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand.
+Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden;
+es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein;
+ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen
+die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts,
+beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat,
+persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon
+war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um
+die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die
+Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit
+Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim
+Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als
+zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem
+gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die
+so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den
+Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und
+der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand,
+dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen
+Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene
+schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden
+Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul
+auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem
+Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein
+kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde
+wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes
+weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen
+Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch,
+mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter
+ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla
+die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der
+einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee.
+Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren
+zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit
+ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen
+politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn
+der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug
+sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten
+Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der
+Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat
+uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male
+und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann
+gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig
+wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser
+und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde
+angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in
+seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu
+fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen
+Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war,
+erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber
+4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig
+waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder
+freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft
+betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich
+waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf
+den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl
+sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so
+leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen
+Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen
+die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus
+den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man
+daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt
+faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so
+gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum
+erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der
+Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg
+so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man
+stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um
+den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen.
+Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz
+anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine
+Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die
+Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug
+des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und
+gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide
+weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas
+Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man
+im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte
+sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische
+Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von
+Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf
+Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium
+begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit
+Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten
+"Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen
+dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer
+war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher
+Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die
+wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen
+hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem
+alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der
+Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die
+Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der
+Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des
+Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu
+suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte,
+unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten
+Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher
+aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei
+niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des
+Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem
+Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der
+Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen.
+Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch
+noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius,
+der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius
+Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der
+Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden
+besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius
+Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola,
+der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend
+der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut
+anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah
+die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die
+Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius' aufgeloeste
+Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba
+und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der
+Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor
+Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia,
+zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der
+festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie
+einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von
+verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
+Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
+nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen
+und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
+Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
+zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen
+Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen
+Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte
+diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee
+herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein
+auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
+Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische
+Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
+und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
+Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene
+Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius
+Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden
+Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
+Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
+begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
+Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von
+Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende.
+Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt
+bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das
+auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
+liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines
+Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
+Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen
+auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei
+Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
+Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
+aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
+Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei
+Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend
+bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm
+entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung
+im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht
+mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
+zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
+endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
+Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
+Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich
+guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser
+Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle
+ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
+Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
+sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
+sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte.
+Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
+Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen
+ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und
+Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer
+nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
+Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
+Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass
+der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua
+noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
+und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
+selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach
+Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine
+wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
+Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
+vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
+unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
+gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte.
+Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
+kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
+Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des
+Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und
+ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen
+Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
+spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an;
+die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung
+seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf
+die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
+schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
+Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
+Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut,
+indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem
+Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt
+schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
+Vorraeten und Kassen geriet in Metellus' Gewalt; Norbanus schiffte nach
+Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
+das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten
+sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
+Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
+Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
+ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch
+heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die
+im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der
+Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden
+sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen
+und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte
+inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte
+heran. Carrinas' Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung
+zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien
+beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in
+wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
+Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von
+Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
+Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit
+verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch
+diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten,
+so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
+geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
+ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich
+auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach
+Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und
+vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was
+Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die
+Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten,
+in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt
+als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas,
+Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine
+Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der
+20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der
+Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich
+gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in
+der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die
+Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme
+Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige
+Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht
+vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom,
+gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden
+Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen
+seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der
+Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor
+dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine
+Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch
+erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog,
+was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten
+Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der
+linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die
+Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen;
+schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht
+verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den
+Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel
+wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits
+ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den
+folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von
+3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten,
+setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer
+die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben.
+Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl,
+darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten
+Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das
+staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den
+letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona,
+wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der
+Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche
+Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht
+gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben,
+wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft
+hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit
+vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
+eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen.
+--------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet,
+dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich
+war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm
+als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand
+Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten
+herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall
+kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf
+der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
+------------------------------------------------- Damit war der Krieg in
+der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als
+die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer
+Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der
+Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein
+Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern
+Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus
+darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten
+lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis
+zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt
+hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und
+Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen
+Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und
+Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die
+roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten
+wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert.
+Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht
+uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster
+Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als
+Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich
+untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
+die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
+frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig
+aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
+Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch
+uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
+hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
+seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
+er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen
+Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte
+der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
+und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse;
+und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen
+in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
+Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
+(674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die
+Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
+in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in
+Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus
+den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich
+sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann
+von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
+Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
+nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
+freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
+Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und
+steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen
+Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation
+abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
+verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt;
+unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam
+die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition.
+----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name
+kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich
+verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.
+------------------------------------------------------ Noch gab es
+in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der
+revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus
+entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete
+geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa
+schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs
+verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter
+Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die
+Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen
+Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche
+zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder
+bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
+unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch
+brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
+er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die
+Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute
+von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und
+mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
+nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas
+Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm
+daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die
+Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime
+Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten
+zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
+demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und
+aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
+gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
+zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach
+Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
+sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius
+Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der
+jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die
+Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch
+erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen
+seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich
+verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu
+behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen
+und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht,
+vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln,
+nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf
+hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus
+focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte,
+und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus
+Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120
+Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne
+Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach
+Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob;
+Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul
+Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu
+fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von
+ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker
+zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika,
+schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht
+unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren
+Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig
+ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager.
+So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den
+Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen
+und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt;
+eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine
+Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal
+untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
+roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius' Landung
+in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
+aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph
+gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter
+dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
+heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
+afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
+Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen
+Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator
+(12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
+diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht
+nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten
+hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht
+geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung
+einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen
+blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius
+Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich
+Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
+eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile
+war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig
+Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach
+dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen
+erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
+beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum
+Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und
+ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
+Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
+Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom
+gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates
+noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen
+nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
+Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies
+vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In
+der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein
+er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das
+unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit
+Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer
+festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam
+und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust
+bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die
+roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
+zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den
+Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und
+eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
+weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
+(673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer
+verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer
+Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute
+Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige
+Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der
+Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen
+und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war
+schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte,
+ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des
+Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen
+war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
+Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen
+vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die
+Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen
+Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671
+(83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge
+Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont
+hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen
+aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes
+der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte
+eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte
+doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich
+hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass
+jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen
+werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem
+Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur
+Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung
+aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein
+Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht
+vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die
+Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht
+hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes
+Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige
+kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende
+Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt,
+nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte,
+war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und
+Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig
+das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen
+Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit
+Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine
+Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den
+Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
+Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
+Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
+leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff,
+wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst
+ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser
+als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
+Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils
+umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das
+Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen
+Repressiv- und Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der
+Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden
+systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon
+nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und
+der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war
+er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen
+entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen
+auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul,
+sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer
+Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den
+verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen
+Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In
+einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm
+unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines
+einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes
+zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe
+zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter
+den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der
+Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater,
+als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft
+den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die
+Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und
+Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht
+erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und
+letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken
+zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu
+verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden,
+ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das
+hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
+Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft
+den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden
+solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies
+ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben
+es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste
+Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
+sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
+nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
+die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
+Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
+Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem
+bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten
+als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
+"Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens",
+wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
+ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation
+an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche
+Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem
+der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als
+ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit
+unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
+tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
+verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
+Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet
+eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum,
+das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft,
+einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
+Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein
+Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich
+ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie
+die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine
+vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte.
+So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den
+in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
+musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
+der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
+andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
+letzten Siege der Oligarchie. ----------------------------------------
+^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
+---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige
+und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht
+gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich
+unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff
+er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine
+Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war
+an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war,
+konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein
+Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische
+Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
+war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der
+Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde
+aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn
+persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
+Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper
+seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er
+dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
+freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu
+bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
+zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
+kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
+in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
+es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern
+nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
+abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
+der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
+war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar
+nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
+saemtliche Zivil- und Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
+zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer
+die Revolution taetig gewesen waeren, und von den uebrigen Buergern
+diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten.
+Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der
+Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
+auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600
+Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der
+naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der
+Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
+Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch
+aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
+senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten
+Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen
+derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch
+hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die
+Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
+Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
+aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
+und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der
+Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den
+Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr
+diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
+Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit
+der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
+der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
+sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
+der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
+Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und
+die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege
+ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen
+Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus
+Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen
+Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der
+Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern
+hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner
+hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der
+in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine
+Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und
+wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis,
+in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu
+duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen
+Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da
+wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der
+getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator
+befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten
+Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer
+Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl,
+zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses
+oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die
+Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber
+die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen
+spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa
+sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste
+verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die
+schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten,
+die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen -
+"Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns
+die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter
+totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten
+viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war
+es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden,
+und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck
+die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war
+ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei,
+nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem
+Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder
+Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die
+Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein
+Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum,
+einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius
+Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in
+das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als
+Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und
+seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage
+bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten
+und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene
+Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres
+Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht,
+die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden
+bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei
+mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.
+------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl
+gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von
+Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige
+hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ.
+3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den
+ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen
+580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist
+ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss
+Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang
+offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als
+von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90
+Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt,
+die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt.
+Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus
+Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95),
+Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666
+(88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius
+Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672
+(85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius
+Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio,
+verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9)
+und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Buergerkrieg weggerafft
+(consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier,
+200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen
+Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99),
+Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89),
+teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius
+Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer
+dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns
+nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind
+drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht
+Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
+gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
+Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
+Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
+willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen
+Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer
+Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus.
+---------------------------------------------------------- In aehnlicher
+Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen
+Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen
+Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig
+sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den
+obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu
+vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte,
+die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur
+Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich
+selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere
+ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene
+und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den
+Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer
+seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern)
+fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner
+Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10
+Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und
+gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der
+Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und
+Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes
+betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger
+als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang
+dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden
+Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein
+fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung
+mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das
+freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt.
+Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als
+das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute
+seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man
+moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft
+notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben
+oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das
+Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und
+gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien
+das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden
+Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse
+Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen
+alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden
+Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch
+fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer
+italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die
+Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen
+Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren
+und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte
+Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis
+wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine
+grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren
+Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden
+mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung
+der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser
+Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die
+einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt
+durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze
+Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie
+zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte,
+Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit
+erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen,
+Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den
+hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
+Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
+allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
+Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
+oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit
+Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
+Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
+das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
+latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
+Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
+gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des
+Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich
+von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
+Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
+diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
+In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste
+und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
+Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift.
+Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
+Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen
+Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium.
+Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen,
+zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums
+Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern
+das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die
+ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die
+Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.
+--------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch
+die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst
+regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer
+bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss,
+hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen
+und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes
+Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die
+Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch
+nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann
+als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen
+Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern
+oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren.
+----------------------------------------------- Diese Anordnungen
+ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen
+Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur
+Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die
+roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der
+straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte
+sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen.
+Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel
+nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter
+andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium
+wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten.
+Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise,
+so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde
+hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der
+verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch
+einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der
+Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere,
+wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt
+blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber
+jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach
+Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser
+Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er
+damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den
+Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen
+zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die
+Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der
+ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer
+Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm
+hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der
+Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten
+gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich
+seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze
+Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht
+mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die
+Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften
+konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die
+aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der
+Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen
+Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der
+Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das
+freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut.
+Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der
+sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den
+Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben
+sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer
+des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen
+die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen
+Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die
+Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000
+der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt
+freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an
+die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war,
+sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den
+staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
+der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese
+ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie
+lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen
+mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln
+greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in
+Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher
+ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das
+dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie
+musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so
+konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
+nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre
+hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
+Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
+ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
+Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht
+der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige
+Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger;
+Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten
+und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
+Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
+Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der
+Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
+Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen
+Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der
+Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
+eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
+sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
+schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her.
+Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
+einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit
+laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die
+Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher
+durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
+Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
+hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen
+und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als
+einzig privilegierter Stand auftreten.
+------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage
+der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die
+Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft
+massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in
+vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung
+der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc.
+14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten
+Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano)
+gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad
+Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus
+den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6
+Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
+ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische
+Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch,
+Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber
+dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
+---------------------------------------------- Vor allem musste zu
+diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig
+gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren
+furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die
+Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular
+Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
+machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies
+ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der
+reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
+Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise
+ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
+aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie,
+wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der
+senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
+durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die
+Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
+andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
+den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
+und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
+kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an
+welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
+Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
+oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
+Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner
+sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
+beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
+tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab,
+dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet
+an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu
+ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den
+Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr
+in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den
+von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter
+Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft
+ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren
+ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der
+Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht
+viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch
+betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8
+was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen
+stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner
+sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren
+ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf
+den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl
+gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit
+genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des
+Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten
+bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten
+befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur
+eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich
+zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
+entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde,
+auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis
+der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen
+zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
+einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
+Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt
+ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch
+deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die
+Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme
+gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert.
+------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren
+bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487
+(267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaer-
+und vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten
+Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in
+Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die
+Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst
+der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein
+wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien
+zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn
+Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten
+dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen
+und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft
+worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging,
+die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr
+quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann
+selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in
+dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor
+Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der
+Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch
+die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten,
+so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu,
+die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein
+kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren,
+als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass
+Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht
+war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von
+durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer
+der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark
+besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder
+anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich
+der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen
+Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie
+sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen
+gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der
+formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien
+es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren,
+aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu
+verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der
+geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
+Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
+damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
+schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die
+doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte,
+wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden
+Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die
+legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch
+nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
+das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
+Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
+konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder
+zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu
+sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen,
+deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr
+aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration
+aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
+Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von
+650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt
+dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen
+Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von
+Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung
+in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich
+der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der
+bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue
+Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine
+wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja
+gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der
+Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass
+Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung
+jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig
+betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien,
+sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss
+der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden
+wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines
+jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft;
+ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die
+Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet
+haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen.
+Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach
+vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch
+fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen
+Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung
+zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen
+Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten;
+mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten
+ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder
+Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342)
+aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und
+suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer
+die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte
+ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die
+hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei
+Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren.
+Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich
+geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das
+dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment
+unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und
+stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger
+und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
+Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
+Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu
+veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
+Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts
+eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende
+Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
+Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
+insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
+teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch
+den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten;
+sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem
+Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde
+hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur
+Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung,
+die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die
+altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der
+Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat
+einer- und die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar
+erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie,
+der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und
+aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe
+festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung
+zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur
+Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs
+und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum
+irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich
+sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die
+jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am
+bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede
+Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.
+--------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte
+des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus
+exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim
+turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia
+quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das
+Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic.
+leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der
+Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass
+die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen
+Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht
+bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der
+Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem
+Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch
+in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen,
+wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu
+andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden.
+------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur,
+obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren
+Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen
+doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches
+durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen,
+aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an
+die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die
+folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der
+Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt
+derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht
+gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war
+der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich
+nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften,
+und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien,
+Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar
+fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf
+der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden
+hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen
+Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln
+kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen
+nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den
+festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also
+doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung
+der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen
+acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer
+ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht
+militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen
+ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht
+ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor
+zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden
+hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen;
+wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere
+Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel
+aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab,
+also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des
+Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der
+Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was
+dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf
+seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder
+Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss
+des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es
+observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die
+sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die
+Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu
+lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem
+Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando
+zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche
+Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige
+Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen
+aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und
+Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die
+Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen
+Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt
+eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr
+durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch
+das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl
+veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene
+tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen
+Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste,
+als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff
+die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
+Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden
+sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen
+Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
+und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
+Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
+roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein,
+dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder
+prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde
+die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es
+kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern
+abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen.
+Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch
+Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben
+der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr
+fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung
+oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich
+durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr
+fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
+nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
+wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
+Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen
+gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter
+diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor
+allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
+oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
+Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den
+Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu
+uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die
+Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten
+wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine
+qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen
+seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die
+vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-,
+und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte,
+und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von
+einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das
+zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die
+buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch
+die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese
+begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische
+und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig
+sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln,
+der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber
+jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich
+abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung
+der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher
+hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern
+Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Sueditalien
+von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das
+gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge
+bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-,
+latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen
+Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden
+hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch
+dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche
+Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als
+ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet,
+den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem
+Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
+der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland
+diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden
+Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
+konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als
+eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
+der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward,
+stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu
+ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als
+Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die
+beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der
+Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
+- sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln
+oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
+Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
+Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte
+Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls
+in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer
+diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische
+Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen
+und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel
+bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie
+allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat
+et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit
+der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu
+Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber
+nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus
+Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis
+und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen,
+dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus' Praetur 679 (75)
+noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der
+Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium
+hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist
+auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden,
+aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus
+bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch
+nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet
+hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82)
+als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich,
+ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in
+dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die
+fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer
+die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten
+fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter
+Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10,
+14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet
+war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische
+Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere
+Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die
+zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier
+Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte
+jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst
+sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst
+ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu
+allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden
+Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
+Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der
+Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der
+bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
+Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb
+des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
+fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien
+^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das
+umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an
+sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
+sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben;
+die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die
+Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung,
+dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in
+seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe,
+zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte
+Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben
+oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser
+Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der
+Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung
+der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der
+Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius
+zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert;
+wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte,
+dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie
+zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer
+Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung
+hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische
+Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese
+ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung
+der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese
+Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den
+Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung
+nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es
+war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die
+Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor
+ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die
+gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam,
+formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde.
+-------------------------------------------------- ^12 Die italische
+Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht,
+wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen
+Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
+--------------------------------------------------- Dass endlich das
+hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber
+in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon
+bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die
+Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich
+steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward,
+hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der
+Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem
+Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man
+dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden
+Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten,
+wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und
+nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen
+den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre
+hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der
+Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen
+Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren
+zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die
+der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von
+drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach
+der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es
+handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten
+Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot
+befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold
+des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch
+nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse
+nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen
+muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke
+der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die
+befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in
+Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle
+eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden.
+Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
+Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
+Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der
+augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt
+weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
+Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
+als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt
+noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung
+der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
+roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen
+wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um
+in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende
+Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach
+der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die
+Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die
+ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats
+hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der
+Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse,
+durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner
+Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf
+Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle
+uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den
+kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt,
+in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen
+Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie
+die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen
+Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den
+aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen
+erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein
+doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches
+anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder
+Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen
+den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der
+beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein
+von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied.
+Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen
+wichtigen Zivil- oder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere
+Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof
+bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne
+Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
+Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei
+und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen
+im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
+endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheits- und
+der Hundertundfuenf- oder kuerzer der Hundertmaenner fuer den
+Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten
+Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof
+(decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze
+der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung
+des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr
+dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen
+Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen
+Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden
+bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht
+ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem
+Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren
+vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer
+das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung
+aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die
+Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung
+hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die
+Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das
+einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl
+des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien
+gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den
+Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich
+dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr
+betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen
+fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem
+Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung
+des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testaments-
+und Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen,
+namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch
+fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere
+Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla
+entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer
+besonderen Kriminal- und Kriminalprozessordnung versehen worden.
+Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer
+einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise
+wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft,
+namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission
+gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt,
+indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was
+zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie
+schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen
+Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die
+am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl
+anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten
+drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der
+politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der
+Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
+laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische
+Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
+dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen
+Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
+Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte
+Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
+damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
+dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige
+Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem
+Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
+Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische
+Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je
+besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
+einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam
+es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
+nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische
+Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von
+Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die
+Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft
+erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der
+Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung
+der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der
+Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne
+Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg
+gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die
+gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein
+bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen
+Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten
+Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen
+die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen
+mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das
+Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte
+wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt
+der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen
+und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch
+das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen
+roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde
+als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen
+organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens
+kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in
+der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig
+zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus
+ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt
+mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
+Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um
+ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene
+Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht
+erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
+aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen
+Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das
+Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das
+Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus
+ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
+dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
+anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der
+hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien,
+das heisst formell souveraenen Staedten ward die Zivil- oder
+Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
+verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
+entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger
+verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
+Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden
+war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige
+Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war
+schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein
+Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten
+war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch
+entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom
+Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten
+Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen
+Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens
+fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde
+war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen
+Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser
+grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach
+Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich
+die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht
+schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest
+haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein
+Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten
+zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der
+roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde.
+Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen
+latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der
+roemischen gleich ist, die der roemischen altpatrizisch-konsularischen
+Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen
+in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der
+Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an
+die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die
+Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern
+uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird
+verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die
+den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen
+entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf
+Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung
+der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten,
+also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche
+in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit
+zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse
+verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die
+beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien
+priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn.
+Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem
+primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
+diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also
+der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den
+Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische
+Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden
+Taetigkeit der Staats- und der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise
+beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei
+den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
+ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es
+durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz
+Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet
+werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die
+Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine
+foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
+das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben
+wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen,
+im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der
+dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen
+Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
+auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
+Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen
+Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie
+in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen
+Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet
+wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle
+Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin,
+dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende
+Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung
+gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung
+kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden
+Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien
+wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue
+Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem
+Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als
+die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des
+Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob
+schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst
+Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die
+Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint
+zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung
+eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste
+latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht
+kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein-
+und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und
+folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen
+Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat
+allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat,
+das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres
+heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine
+politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die
+gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom
+geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung
+der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen
+Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische
+Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
+zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
+Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den
+Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat
+diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem
+und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das
+Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die
+Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen
+Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf
+diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht
+selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die
+Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand,
+Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin,
+wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen,
+doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das
+roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war
+allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und
+militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia
+nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine
+Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem
+Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an
+sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte
+der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs
+kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius
+Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten;
+einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu
+bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel
+schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn
+deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so
+ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben
+der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen
+Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als
+Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um
+den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um
+alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die
+Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar
+ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab.
+Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen
+spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert
+die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt
+ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden,
+schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste
+Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der
+Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und
+Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug
+seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen,
+unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand.
+Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der
+Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich
+in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das
+Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius
+kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande.
+Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm
+die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute
+sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und
+bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen
+sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er
+dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen
+Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als
+Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz
+niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft
+auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen
+sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des
+Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen
+und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er
+diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch
+uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der
+Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch
+erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren
+hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner
+Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten
+Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender
+Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss
+nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen.
+Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet,
+die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen
+wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von
+anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die
+Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren
+Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung
+der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen,
+der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673
+(81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle
+Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht
+noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere
+Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla
+die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und
+verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus
+Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt,
+aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben
+fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen.
+Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den
+neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch
+zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er
+den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat
+als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald
+nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr
+Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft
+nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit
+dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte,
+auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
+Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen
+ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer
+festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk
+der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser
+Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle
+freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete,
+seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft
+aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles
+schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den
+Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor
+acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die
+Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig
+zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die
+Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der
+Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen
+eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein
+Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder
+leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein
+schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt,
+dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters
+Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem
+der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann
+der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten.
+Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem
+Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den
+minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte
+er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse,
+welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu
+gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war
+er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad;
+vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und
+den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber
+seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte.
+Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
+Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn
+er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der
+Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine
+ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung
+der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes
+schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu
+verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu
+besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte,
+geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann
+und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern
+und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma,
+sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen;
+wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung
+in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen
+Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft
+verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag
+er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die
+Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein
+Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum
+stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen
+gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit
+beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er
+gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute
+in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine
+adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch
+weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen
+geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet
+auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder
+andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war,
+schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem
+Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben
+mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom
+Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf
+nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der
+Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben
+folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische
+Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen
+und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der
+finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
+Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende
+Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig
+sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom
+Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer
+zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
+Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
+Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es
+demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse
+fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich
+scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes
+hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass
+man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott
+seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
+Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders
+jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der
+Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
+ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die
+Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
+auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein
+einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte
+Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und
+eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf
+seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist
+doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der
+Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner
+Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe
+unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix,
+als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende
+Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige
+Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner
+Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als
+das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig
+Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig
+befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen,
+in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die
+Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und
+ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht
+fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der
+Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius
+Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben
+baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten
+empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und
+anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen
+und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene
+eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren
+seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs
+und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen,
+hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der
+eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete
+jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am
+Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
+Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent;
+nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
+hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In
+der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
+hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm
+in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber
+Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden
+sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war
+es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
+zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
+gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand
+mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich
+ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
+juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
+Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
+wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im
+Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und
+abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg
+empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor
+allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war,
+endigte mit Marius' Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war
+Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie
+geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische
+Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen.
+Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern
+fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die
+Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der
+Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er
+die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der
+verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war
+fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst
+erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge
+habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war
+seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter
+Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend
+auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere
+Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende
+Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz
+machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen
+Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen
+Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz.
+Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die
+Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die
+Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt
+und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer
+in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet
+war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward
+der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen
+langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht
+verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden
+und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl
+hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des
+Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und
+sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen
+und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die
+Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich
+selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen
+Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein
+Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und
+die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der
+Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer
+Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat
+durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts,
+den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative
+des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug
+des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer
+des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem
+Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor,
+selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla
+geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment
+entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja
+selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen
+und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica,
+Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die
+rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich
+der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun
+gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung;
+und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische
+Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen
+bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte;
+aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die
+Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten
+als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften
+Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie
+insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin
+verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den
+Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes
+Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern
+wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu
+nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche
+und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den
+Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder
+findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden
+und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und
+Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk
+eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht.
+Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht
+mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten
+Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit
+wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb
+der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig,
+sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und
+stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen
+Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede
+Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn
+und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein
+Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht
+oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit
+des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen -
+verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die
+Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt
+gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit
+sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen
+andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist,
+indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller
+Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber
+der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit
+endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft
+war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben
+Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in
+Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung
+war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere
+Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in
+jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten
+widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller
+denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist
+nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte
+roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn
+nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz
+desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig
+Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen,
+dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit,
+darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der
+Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener
+Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in
+dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter
+tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
+geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
+zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
+jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
+Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
+es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter
+die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht
+verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
+auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
+Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere
+Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine
+richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen
+und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen
+Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen
+Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es
+nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das
+empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen,
+was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine
+Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit
+begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
+Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
+verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
+dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings
+auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels
+noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher.
+Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess
+gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die
+stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer
+diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die
+Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe
+oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste
+Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher
+ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der
+feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der
+Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor
+allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung
+der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu
+beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und
+noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf
+dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner
+tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos
+durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr
+haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder
+Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen
+die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen
+und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und
+Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit
+seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste
+absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des
+Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an
+den von ihm selbst erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen.
+Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat
+sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon
+seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische
+Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel
+schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen
+Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so
+zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste
+Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die
+Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus
+Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch
+verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der
+Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas
+eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum
+verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei
+seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr
+verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng
+auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor
+seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger
+Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das
+Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen
+muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem
+er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch
+sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie
+es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch
+der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der
+Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach
+Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse
+sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden
+genuegen. ----------------------------------------------------- ^13
+Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und
+gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den
+Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
+----------------------------------------------------- Wie er nun aber
+war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein
+ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens;
+in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war
+derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder
+den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der
+absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen
+Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen
+Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte.
+Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und
+ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein
+und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd
+und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen
+Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen
+Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli
+ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt.
+Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die
+Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen
+Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig
+ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch
+an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager
+- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie
+- raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck
+verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal
+in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden
+und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren
+zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien
+und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben
+koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der
+Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen
+Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die
+man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu
+frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde
+beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort
+die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier
+gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen
+ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da
+schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das
+Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den
+Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt
+hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose
+Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle
+Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe
+der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten
+harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess,
+seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren
+besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und
+kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die
+Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe
+aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten
+und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer
+Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte
+der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast
+noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem
+Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern
+der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen
+errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und
+die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber
+ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt,
+und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert.
+--------------------------------------------------- ^14 Nicht die
+Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen
+Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.
+--------------------------------------------------- 11. Kapitel Das
+Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig
+Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen
+hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische
+Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung
+die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der
+spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-
+griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare
+Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der
+Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen
+Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich,
+den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen
+der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die
+volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang
+der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der
+roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation
+immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer
+altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich
+jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen
+Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den
+Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und
+Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen,
+das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen
+Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes
+dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch
+in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter.
+Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische
+Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie
+Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von
+diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken
+mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische
+Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich
+gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die
+ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer
+Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der
+Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise
+sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide
+Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei,
+hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem
+ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig
+und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben
+kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber
+war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie
+bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte
+jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren
+unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die
+Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich
+selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen
+in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im
+vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte
+organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen
+und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder
+disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
+und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung
+lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward
+gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der
+Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische
+Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der
+Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte
+gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien
+gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst
+die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten.
+Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden
+Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen
+politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese
+Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen
+gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung
+der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das
+Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst
+das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit
+all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die
+Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war
+keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten
+wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern
+der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das
+roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann
+war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie
+zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser
+beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten
+freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass
+menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen
+Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter
+den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag
+wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und
+energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde
+nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen
+keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die
+Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
+werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich
+an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war,
+seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche
+zusammenstuerzen werde.
+------------------------------------------------------------------------
+^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave
+populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
+nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
+"Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini).
+-----------------------------------------------------------------------
+Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses
+Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen
+ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich
+auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer,
+die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen
+Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der
+Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte
+Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des
+roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats,
+wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je,
+so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
+Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
+geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien
+einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
+Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
+Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
+und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische
+Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
+Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die
+Ausdehnung des roemischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
+Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens,
+ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der
+roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in
+den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils
+in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der
+ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen
+Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi,
+Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon
+und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen
+galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen
+Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer
+bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter
+ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer
+die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er
+den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte
+durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und
+Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten
+gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien
+scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch
+nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Oelbaues im
+Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute.
+Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben.
+Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum
+Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte
+(civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades
+waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die
+roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung
+einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten,
+teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung
+jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst
+mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung,
+und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo,
+und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates
+immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die
+direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in
+einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte
+wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem
+entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem
+groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in
+einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden
+festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz
+Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei
+Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im
+ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft
+entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat
+gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an
+Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die
+einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von
+der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf
+die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3.
+Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten
+Chaussee-, Bruecken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen.
+Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr
+vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung
+bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde
+in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer
+erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr
+urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische
+Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
+allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
+Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen
+Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach
+wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
+die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
+Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten,
+fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen
+Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen
+wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere
+roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen
+verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen
+Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der
+karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von
+allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert
+erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
+Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
+in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der
+roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
+Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche
+Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen
+unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige
+Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle
+gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen.
+----------------------------------------------------------------- 2
+Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt,
+ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das
+Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
+fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
+verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
+Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr.
+3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches
+Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint,
+folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung
+und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der
+Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5
+4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr
+ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in
+Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50)
+und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet,
+wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach
+der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl
+der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio
+capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi
+t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser
+Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen
+Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
+festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
+Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6);
+wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
+ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
+Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas
+omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den
+Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon
+zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
+Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
+erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder
+einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem
+Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
+Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der
+Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten.
+------------------------------------------------------- Hierauf waren
+die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt,
+wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten
+hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig
+mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das
+System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch
+Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist,
+so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und
+die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs
+aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen
+noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung
+trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die
+Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen
+Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in
+der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende
+hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich
+zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der
+Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht -
+regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe,
+Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte,
+so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in
+Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis
+von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten
+einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen
+Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der
+Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber
+dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch
+praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der
+Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von
+der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es
+begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen
+Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte
+Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
+nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der
+Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines
+Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges
+Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung
+einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide,
+das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt
+eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
+Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der
+einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
+beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
+unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
+Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
+der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung
+also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
+kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste
+gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
+vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
+fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch
+nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe
+Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
+Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede
+war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen.
+Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da
+die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude,
+ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen
+wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer
+Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber
+wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die
+Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen,
+die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu
+einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die
+Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten
+ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst
+herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika,
+Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer
+haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen,
+nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war
+dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien
+die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber
+aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden
+ueberlastet. ------------------------------------------------- 4
+Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische
+Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten;
+wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte
+sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen
+Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben.
+------------------------------------------------- Endlich ist das
+grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen
+Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast
+der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter
+nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu
+kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot
+ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug.
+Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und
+des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von
+Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das
+den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die
+Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor
+allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten
+Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und
+das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung
+sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als
+gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit
+der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste
+Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre
+605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
+Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
+immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte
+selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst
+drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich
+der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf
+die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben
+mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen
+wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog,
+nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir
+jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen
+Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des
+von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich
+auch die auffallende Geringfuegigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es
+findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit
+Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in
+Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht
+mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei
+Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem
+Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden.
+Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und
+zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr
+mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die
+Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der
+Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer.
+Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das
+karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius
+Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die
+Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt
+hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen
+Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung
+klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich
+ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche
+eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige
+Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im
+ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten
+ein Ueberschuss, welcher es moeglich machte, die Staats- und Stadtbauten
+reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch
+die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit
+dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die
+Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem
+Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz:
+die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie
+die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung
+beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen
+Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische
+Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn
+diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als
+die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt
+wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren
+und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
+Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein.
+Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in
+der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert
+und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
+gestattete. Der hieronisch- karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
+weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit
+Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen
+Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der
+Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz
+der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der
+Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
+Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert
+wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen
+Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers
+ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen
+Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann
+aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
+in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
+fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
+Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
+verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss
+eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich
+motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei
+eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und
+Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen
+Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben
+noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser
+Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem
+die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert
+worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere
+Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua,
+Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine
+Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
+Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur
+die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse
+chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach
+Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert
+und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
+Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen
+etrurischen Chausseen, die Kuesten- oder Aurelische Strasse von Rom nach
+Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward,
+und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte
+Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als
+roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst
+bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke
+(Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber
+ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
+Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
+Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606
+(148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber
+Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward,
+weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse
+aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das
+Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die
+im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung
+zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse
+unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius
+Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte
+die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der
+Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die
+Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn
+ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die
+Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so
+auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte
+endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu
+foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
+dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
+die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
+von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae
+Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
+fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres,
+jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
+hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
+Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte
+von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an
+die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der
+truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden
+ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der
+roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
+unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des
+Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
+von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man
+wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig.
+So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe,
+die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und
+wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109)
+in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die
+Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt.
+Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und
+Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen
+roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den
+Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die
+Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch
+zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die
+an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb,
+und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die
+roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels
+reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als
+die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche
+Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13 Mill. Taler) ward innerhalb
+dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen
+auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch
+schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und
+ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen
+zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen
+Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch
+in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung
+waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende
+und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso
+notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer
+das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den
+Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern
+hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die
+Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab
+es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte
+bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss
+schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den
+Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben
+eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die
+Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die
+Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten
+hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte;
+immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser
+setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen,
+ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie
+gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich
+schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter
+den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen
+Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht
+Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der
+Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen;
+aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen
+ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben
+Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der
+verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet
+gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden
+mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen
+Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue
+und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung,
+die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
+erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen
+zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia
+neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen.
+Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem
+fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
+erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
+angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit
+nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und
+Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645
+(109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
+Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
+des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer
+mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
+der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand
+im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektions- und
+Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der
+kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
+wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
+dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
+Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im
+zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der
+Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von
+Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
+Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
+lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und
+die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb.
+Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich
+unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen
+Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den
+Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob,
+die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem
+Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen
+Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen
+Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein
+neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der
+sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur
+weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir
+bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und
+kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich
+verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah
+nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche
+Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten
+der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot
+der transalpinischen Wein- und Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl
+die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
+Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen
+die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
+dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten
+in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der
+Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
+gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden
+Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen,
+sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
+vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
+geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
+Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
+waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und
+mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens
+war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst
+in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits
+durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und
+rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher
+Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
+Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das
+zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot
+der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte
+sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben
+dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom
+Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem
+der letzte Krug geleert war. -------------------------------------------
+5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor
+Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
+zusammenhaengen, dass der Wein- und Oelbau sich bestaendig weiter
+nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung
+der Magonischen Buecher gehoert hierher.
+--------------------------------------------- Von Gewerben und
+Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser
+Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man
+zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher
+wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche
+Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen,
+was die griechischen Haeuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefaessen
+und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken
+noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen
+zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen,
+weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft
+sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen
+Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern
+zugleich Bau- und Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann
+jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die
+glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen
+Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
+stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein grosser,
+vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die
+Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im
+ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder
+in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende
+dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der
+roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie
+das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der
+ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der
+Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche
+Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der
+von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die
+roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und
+nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres
+urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen
+Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen
+Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war
+nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur
+unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu
+kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr
+betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien
+neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der
+massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering
+gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer
+Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und
+Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach
+Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr
+nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten
+Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet,
+Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der
+Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen
+Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch
+nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten
+Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in
+Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das
+innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr
+sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer,
+Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als
+der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste
+Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr,
+dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das
+durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl
+und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von
+Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden
+Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr
+durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie
+denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos"
+heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege
+betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die
+Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an
+und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten
+ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der
+bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den
+Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel
+mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass
+die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische
+Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm.
+Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
+hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
+politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
+roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente
+fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets,
+die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
+Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
+ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die
+immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
+Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler)
+war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein
+anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der
+Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100
+Mill. Sesterzen (7Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn
+dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn
+er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die
+Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum
+Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein
+Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
+Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht.
+Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
+Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
+daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der
+Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
+finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern
+der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
+politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr
+aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
+der italisch- asiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen
+Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und
+der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der
+Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen;
+wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
+Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
+Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
+aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
+die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere
+Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen
+allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische
+Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall
+im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
+italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
+waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und
+die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
+Mithradates' Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so
+viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie
+gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war
+angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich,
+vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
+ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne
+Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege
+hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
+freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von
+der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung
+ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der
+oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der
+kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend
+waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste.
+Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie
+parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche
+oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
+Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und
+Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich
+in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
+unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
+italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684
+(70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien
+Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung
+zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den
+Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-,
+die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind.
+Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel
+hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige
+Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette
+man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es
+bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche
+Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
+die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
+Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
+die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
+sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
+seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders
+und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
+verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung
+der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die
+oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem
+roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den
+einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als
+allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner
+Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen
+gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand,
+ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der
+Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden
+die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung
+eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken
+Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung
+der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien
+um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die
+Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
+Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
+entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat,
+was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die
+Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich
+dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in
+der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder
+fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent
+schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine
+Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze
+ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie
+gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls
+auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen.
+Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die
+betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher
+Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte
+hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel
+selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung
+abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie
+musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von
+1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als
+drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein
+geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um
+den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie
+frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde
+etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr
+geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht
+fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und
+darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet
+und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans
+(1 Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es
+war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen
+wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig
+dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist.
+Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum
+gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden
+Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren
+zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen
+genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld
+analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse,
+insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke
+zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig
+wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb:
+Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden
+zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne,
+neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger
+bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine
+bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich
+darueber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in
+welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit
+des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der
+Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der
+Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen
+und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte.
+Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und
+Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des
+saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein
+Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward,
+ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen.
+Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen
+Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den
+Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser
+Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei
+den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
+auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
+Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die
+Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen,
+vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische
+Gold- und Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im
+Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen
+weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr
+bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider
+Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht
+erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und
+ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter
+roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die
+Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben
+gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme,
+dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des
+siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich
+auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im
+Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen
+Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden;
+und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten
+Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden
+indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach
+Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der
+unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen
+worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward;
+wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische
+Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen
+Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb.
+So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten
+Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich
+herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der
+naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein
+anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten
+ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch
+umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und
+Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im
+Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die
+Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar
+nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich
+gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige
+Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch
+teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem
+der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss
+wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
+roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender
+eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung
+der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus,
+von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
+Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen
+ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und
+des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen
+Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat
+in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel
+gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser
+Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der
+lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der
+griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt
+jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur
+dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich
+ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen
+Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu
+ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des
+Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch
+lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall,
+bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht
+der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern
+derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens
+und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende
+zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer
+muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich
+wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was
+die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses
+Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss
+die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien
+foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften
+Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103)
+erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die
+ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen
+auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die
+Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die
+Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen
+Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu
+verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten
+ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius
+Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl
+seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge,
+sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste
+bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000
+Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
+prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte
+Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6
+Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt,
+waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
+Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
+der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen
+Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700
+Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen
+Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
+machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
+Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
+keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse
+ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
+erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und
+seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten
+wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
+auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich
+die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
+vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
+100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute
+mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der
+Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
+frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes
+Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke
+den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
+einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer
+schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der
+bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
+musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die
+Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden
+oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
+Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten
+sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
+82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
+Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und
+Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen
+Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine
+Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit
+vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17 Groschen und
+5 Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und
+17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass
+von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
+Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
+auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates
+den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen
+Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus
+im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes
+Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses
+eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber,
+dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne
+Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass
+nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe
+Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000
+Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund
+(250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits
+gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche
+ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer
+verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch
+die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer
+ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius
+Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
+letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
+Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall.
+Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
+Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung,
+einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn
+bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
+haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der
+Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein
+Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit
+und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
+war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im
+Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als
+eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende
+oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In
+dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das
+Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen
+Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses
+kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
+wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000
+Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
+(Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7
+"Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir
+freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
+eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne
+die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf
+dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben."
+-------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die
+landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer,
+hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In
+der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden;
+die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest
+und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte
+mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen
+Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher
+Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die
+politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn
+man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig,
+dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als
+oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern
+oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines
+Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder
+jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint
+habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf
+offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
+Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin
+in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein
+parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
+lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich
+umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen
+den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer,
+welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den
+Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst
+auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine
+Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll
+Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben
+den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
+Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie
+er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die
+Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die
+Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen,
+laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: 'Was gehen mich die
+langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen
+mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel
+und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'" Die
+den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass
+dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion,
+Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten
+Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in
+dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste
+unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos
+die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften
+Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten,
+Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen
+der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung
+Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische
+Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu
+rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen
+Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der
+roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv
+wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung.
+Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem
+Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott
+roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
+transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung
+aller anderen Stadt- und Landrechte ausschliesslich gilt: so ist
+damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaefts- und bald
+gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
+ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
+beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen.
+Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner
+Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner
+Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel;
+hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker
+massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung
+daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische
+Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall
+standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte
+Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren
+Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen
+Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger
+als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen
+Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn
+auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach
+Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen
+der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich
+anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das
+roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte
+italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter
+Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn
+das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer
+zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und
+widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt
+wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon
+um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der
+Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster
+Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des
+roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das
+heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben;
+und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich
+auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die
+Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an
+sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und
+noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der
+Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja
+das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem
+letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische
+Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an
+sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer
+geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische
+Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn
+man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen
+Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische
+Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die
+geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die
+lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
+darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
+gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort
+des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr
+ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische
+Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die
+hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und
+tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich
+mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution,
+die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel
+nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion,
+Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von
+roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als
+solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung
+Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren
+Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum
+integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623
+(131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der
+geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen
+Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem
+Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen
+Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt
+nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz
+nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien
+blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland,
+Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen
+Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die
+gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths
+bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen
+und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im
+Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die
+griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme
+roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen
+hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der
+griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen,
+minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken
+eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil
+in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit
+sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in
+Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner
+Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern
+Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und
+widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos
+eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen
+als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische
+Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl
+voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt
+in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen;
+wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte,
+und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich
+in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten
+auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius,
+der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt
+zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin,
+den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und
+literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren
+Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen
+andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und
+syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus
+dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit
+orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten
+Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und
+gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass
+neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte
+zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
+sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte
+zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.
+--------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608
+(146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14,
+21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler"
+(technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
+Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13).
+-------------------------------------------------- Das
+unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den
+Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als
+erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern,
+Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten
+Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen
+sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der
+allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an
+Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo
+der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts
+uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem
+Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine
+Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in
+Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste,
+gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie
+und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als
+roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der
+Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und
+mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger
+Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere
+Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf
+die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich
+fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff
+sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und
+frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen
+Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung
+desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig
+in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische
+Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie
+der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch
+verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze
+Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis,
+den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
+aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
+der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
+ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges
+vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend
+der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die
+lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem
+Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
+Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
+Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit
+dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
+fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
+zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in
+einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones
+und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird,
+zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der
+nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren
+und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten,
+das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und
+der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion
+war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig
+verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der
+roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution
+notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der
+alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern
+erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens
+Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die
+Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das
+Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge
+von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution,
+bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die
+hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der
+Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung
+der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal
+bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults
+nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben,
+namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten.
+Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr
+in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist
+auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der
+gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an
+den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische
+Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht,
+hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich
+ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion;
+seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch
+Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen
+Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der
+produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium
+angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen,
+sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der
+aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald
+scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
+Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
+statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und
+ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt.
+Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt
+und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die
+gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder
+ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die
+toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
+vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf
+die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
+genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt
+wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts
+als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der
+historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
+aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
+lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
+Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
+hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung
+geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon
+(+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades
+(541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa
+und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der
+Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur
+ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als
+moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden
+Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den
+Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer
+Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die
+Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr
+gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros
+und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des
+Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der
+Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros,
+der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie
+fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die
+Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend
+an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische
+Gegensaetzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt;
+woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im
+epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und
+hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig
+rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber
+den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon
+eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele
+anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das
+unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten
+aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige
+Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und
+zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur
+aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der
+Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube
+als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die
+Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu
+einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des
+Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils
+motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es
+war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der
+hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als
+antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische
+Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
+sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide
+ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der
+Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich
+billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
+anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
+auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
+gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche
+Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die
+Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
+dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
+darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
+(599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare
+Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen
+passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede
+und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso
+nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen
+wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
+dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne,
+Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken
+auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache
+maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
+emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
+aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
+nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich
+genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
+auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
+verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und
+dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
+hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
+reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend
+nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
+Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst
+wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in
+ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden
+Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie
+ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die
+Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen
+festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus
+sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die
+Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem
+sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre
+Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss
+auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der
+roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben
+verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert,
+dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe
+trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und
+Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein
+Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger
+Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar
+schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser
+drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit
+des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer
+geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu
+tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen
+Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb
+er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur
+allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas
+moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
+schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
+die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die
+langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
+Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den
+Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
+roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und
+brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und
+die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
+Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg
+zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein
+philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
+- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
+gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte;
+wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius,
+in Lucilius' Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel
+hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die
+stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss
+sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem
+Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit
+seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich
+fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
+wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich
+ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
+als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar
+war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes
+war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
+Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
+ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
+Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in
+die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des
+Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus
+einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
+einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
+Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den
+besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
+Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als
+eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der
+urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus
+die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn
+sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt
+fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die
+supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie
+fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der
+Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder
+als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die
+Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als
+die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild
+nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war
+es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren
+anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen
+sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren
+Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und
+auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne
+der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die
+Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern
+deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter
+und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies
+dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die
+Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So
+inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes,
+aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus
+dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
+verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel
+weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der
+roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis,
+der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der
+Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen
+Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein
+gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern
+nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen
+und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus
+einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der
+aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen
+Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die
+namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender
+der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen
+Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige
+Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens
+aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche,
+scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa.
+Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der
+stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue
+Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus
+aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon
+weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits
+ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen
+hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den
+Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand
+spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der
+idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder
+goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht
+unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System
+zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und
+erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen
+Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom
+Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen
+Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen
+Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung
+des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie
+Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als
+denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar
+entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten
+Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische
+Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und
+machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse.
+Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische
+Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem
+die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit
+den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen
+Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit
+herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im
+einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel
+hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder
+drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward.
+------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches
+Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.
+------------------------------------------- Dieser neuen
+Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist
+die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste
+Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens
+aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der
+hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche
+Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und
+schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
+erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit
+Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige
+Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten
+Polybios' roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie
+auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion
+sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen
+in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas
+anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
+Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als
+dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten
+auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
+Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in
+seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass
+es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische
+und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht
+eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu
+wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte
+Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
+desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
+roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
+Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der
+Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter
+neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
+den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu
+benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder
+3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
+Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen
+und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr
+hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu
+dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben
+jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von
+selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische
+Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und
+eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer
+eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten
+die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz
+fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse
+der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu
+den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die
+Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte
+unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen
+System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender
+Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward
+sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet,
+dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es
+einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu
+schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen
+Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss
+den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte
+die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die
+vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber
+ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die
+Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien
+schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
+dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich
+zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren
+und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden
+politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit
+ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145)
+schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die
+Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104)
+ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der
+Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen,
+dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der
+Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in
+vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer
+die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass
+eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben
+ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die
+priesterliche Kueche; die Augural- und Pontifikalschmaeuse
+waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen
+Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der
+Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit
+des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr
+brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu
+machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur
+Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu
+verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und
+Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis
+zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die
+Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge
+Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der
+vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus
+den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies
+die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss
+eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung
+gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun
+konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts
+einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern
+fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich
+einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten.
+Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich
+lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und
+Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion
+behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch
+brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen
+zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen
+und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr
+Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin;
+aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen
+ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete
+dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes
+in den eigenen uebergehen koenne.
+----------------------------------------------------------- 3 Auch in
+Varros Satire 'Die Aboriginer' wurde in spoettischer Weise dargestellt,
+wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den
+nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach
+Goetterpuppen und Goetterbilderchen.
+----------------------------------------------------------- Im scharfen
+Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die
+verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und
+denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen
+werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren
+wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in
+Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf
+dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische
+Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der
+Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit
+Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius'
+eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo
+der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die
+Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im
+Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
+an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in
+den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
+verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren
+der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene
+Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist
+es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den
+Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die
+etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie
+erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten
+Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
+kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch
+die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
+dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf
+hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien
+herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
+die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
+grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
+geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
+verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich
+seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen
+Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie
+fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer
+den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelker- auch die
+Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war
+der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem
+Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen
+und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die
+Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden.
+In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der
+Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die
+Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu
+vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen
+Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten
+sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen,
+dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde,
+nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie
+denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja
+es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem
+Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die
+unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische
+Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
+marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei
+und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen
+Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die
+saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu
+raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem
+Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das
+Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder
+Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar
+sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der
+kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher
+bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer
+verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen
+sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und
+von den spaeteren roemischen Isis- und Osirisgemeinden fuehrten die
+aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war
+irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich
+selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution,
+das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am
+Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit
+der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte
+sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden
+Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das
+Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte.
+Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen,
+oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen
+Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren
+Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher
+und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
+Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In
+aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die
+in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
+Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche
+Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
+Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden.
+Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
+verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war
+doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter
+roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand,
+zeigt Catos 'Encyklopaedie'; es ist wenig mehr als die Formulierung
+des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
+hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe
+noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in
+Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich
+abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen
+privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche
+Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser
+Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der
+buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu
+finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben
+der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte
+auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine
+besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten
+Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig
+sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des
+griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen.
+Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch
+die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus,
+zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
+vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
+geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
+ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn,
+hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug,
+um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche
+Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele
+heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen
+ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den
+klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf
+Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die
+Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen,
+soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische
+Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen
+Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der
+bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den
+griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um
+des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art
+der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft
+und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der
+griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen
+mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie.
+Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus
+aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen
+zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem
+Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass
+die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus
+gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden;
+die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art
+durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen
+Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms
+und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern
+war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise,
+und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und
+Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt
+ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die
+freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente
+4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man
+raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen
+Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt
+worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl
+besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon
+begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen
+Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene
+Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und
+ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die
+Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen
+Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts,
+revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand
+der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161)
+gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten
+Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne
+nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem
+Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der
+hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen
+Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher
+Teil der italischen Bildung.
+------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt,
+dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt
+habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei
+Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel
+und Zeltdach Als der Philosoph.
+------------------------------------------------------- Aber ihm zur
+Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist
+in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische
+Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle
+der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische
+Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung,
+wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag
+der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
+und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
+wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
+Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der
+griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
+die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch
+ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
+ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
+bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab
+und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer
+gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
+die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren
+Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
+Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
+durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer
+die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius' 'Punischen Krieg',
+Ennius' 'Chronik', spaeterhin auch Lucilius' Gedichte zuerst einem
+erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
+grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
+Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege,
+die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
+kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
+die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen
+lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung
+der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in
+fruehem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten
+angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes
+erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand
+eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der
+Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus
+Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten
+der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius
+(611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663
+140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend
+im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben
+doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf
+beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich
+sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.
+Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
+lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus
+von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng
+konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen
+Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus
+und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern
+durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war
+ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo
+nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom
+die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der
+aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
+stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige
+hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
+lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
+Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
+Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen
+Literatur- und Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von
+selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen,
+nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht,
+wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
+lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
+Staats- und Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die
+erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
+Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik
+um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
+lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
+neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung.
+Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede,
+wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden
+war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich
+bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl
+unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der
+griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die
+letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde
+Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische
+Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand
+und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu
+seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
+koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem
+Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger
+schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und
+durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik
+schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging
+die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten
+Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
+Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
+und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
+zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
+war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
+noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
+lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern
+und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der
+Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
+der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn
+verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
+Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit
+einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung
+nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht
+zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und
+verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich
+regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an
+Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen
+hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten;
+und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der
+erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich
+sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die
+gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des
+roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben
+zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede
+ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis
+aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue
+Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand
+teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen
+Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder
+nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet
+sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
+roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in
+sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national
+kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
+Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13.
+Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch
+wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem
+schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann
+ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige
+Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im
+hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt
+man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen,
+epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den
+Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich
+verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform
+und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock
+ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
+schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen;
+aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
+nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und
+die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
+Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im
+Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
+Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen
+Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
+vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der
+heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann,
+teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die
+unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
+ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation.
+Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
+Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
+und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
+siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
+naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit
+dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren
+Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und
+hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
+schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen
+vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius
+Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius
+Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers
+von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der
+Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
+Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon
+und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht
+imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer
+Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu
+liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik
+patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
+sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten
+Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte
+Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen
+Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu
+schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
+Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
+die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische
+Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos
+staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
+den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
+erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus
+seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess
+man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen
+und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
+einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich
+vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren
+Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den
+Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
+Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
+von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
+ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft
+und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die
+Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement
+der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die
+griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt.
+Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
+begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger
+in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
+oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
+Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein.
+Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen
+Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
+Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien,
+doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich
+fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
+Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
+goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig
+verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass
+auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
+Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die
+Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
+Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
+(Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz
+darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu
+sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist
+hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit,
+die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
+entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die
+Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten
+wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst.
+Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die
+Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der
+vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses
+Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
+Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
+Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur
+noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der
+Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern
+griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen.
+Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in
+seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom
+Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
+dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
+Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
+Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
+hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen
+Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
+in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen,
+die Ciceros sprachlichen und Lucilius' aesthetischen Tadel des Dichters
+rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
+Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden
+sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion
+gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen
+Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung
+predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei
+Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie
+des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein.
+------------------------------------------------- ^1 So hiess es im
+'Paulus', einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des
+Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio
+est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in
+einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung
+zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
+Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und,
+ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich
+erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend
+schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest,
+wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die
+Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei
+den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der
+Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden.
+------------------------------------------------------ Lesbarere
+und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des
+Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen
+Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige
+namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war
+er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller,
+bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in
+Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward
+auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen
+Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere
+Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des
+Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare
+und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion.
+Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich
+interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im
+phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und
+dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von
+Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen
+Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische
+Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden
+einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung
+der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen
+seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen.
+Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen
+Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter,
+wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich
+fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und
+zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere
+griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von
+Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen
+Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr
+Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog
+entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz
+ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die
+Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in
+unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer
+drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund,
+wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt,
+nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine
+Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische
+ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen
+Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen
+gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere
+Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles,
+was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht.
+Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine
+Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch,
+traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der
+Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die
+allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
+seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3.
+Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
+immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
+behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft
+vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den 'Bruedern' die
+beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte,
+durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
+bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
+Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische
+Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
+obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz
+besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
+Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
+Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
+unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
+regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein
+Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt,
+so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe
+oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den
+Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen
+das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung
+aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung
+daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen
+Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
+Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig
+schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit
+zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung
+durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose
+Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen
+Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt
+4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann
+am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im
+'Verschnittenen' und im 'Maedchen von Andros' gar anmutig geschildert;
+ja in der 'Schwiegermutter' erscheint sogar am Schluss als rettender
+Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische
+Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei
+Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt
+und geprellt zu werden; bei Terenz wird im 'Selbstquaeler' der verlorene
+Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll
+trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke,
+den 'Bruedern', die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
+Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
+finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose
+und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend
+gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu
+gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den
+raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das
+lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf
+"ruhiges Gespraech". Plautus' Sprache fliesst ueber von burlesken
+Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen
+Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft
+entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt
+Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die
+Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen.
+Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in
+poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von
+Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei
+Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung
+wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl
+die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben
+verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des
+Plautus, wie der 'Stichus', die Kaestchenkomoedie, 'Die beiden
+Backchis', wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des
+Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander".
+Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker,
+kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und
+Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt
+erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die
+elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen
+Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der
+Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen
+Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern
+ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren
+wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie,
+sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen
+Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer
+Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen
+Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise
+hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen
+Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum,
+das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand.
+Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den
+eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll
+defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus
+seiner 'Schwiegermutter' zweimal weggelaufen war, um einer Fechter-
+und Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen
+Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei
+freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig
+sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten
+haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar,
+dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der
+Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur
+herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der
+Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134)
+die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um
+so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein
+hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die
+Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder
+fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser
+Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien
+als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im
+Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie
+(palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar
+nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und
+Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich
+bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es
+war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer
+Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien
+einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius
+(blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben
+keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem,
+was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen
+Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen
+Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung
+natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen
+borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren
+Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem
+Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten,
+begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr
+allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter
+griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein
+feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
+Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
+auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte,
+die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
+Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren
+ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie
+Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine
+eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe.
+------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige
+Ausnahme ist im 'Maedchen von Andros' (4, 5) die Antwort auf die Frage,
+wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst's ja, da, wie wir moechten,
+es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen
+Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht's nicht so, wie
+du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste
+der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem
+Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist
+bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend
+einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm.
+prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen
+Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen.
+Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische
+Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den 'Bruedern' (I, 1)
+preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt,
+"was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des
+'Selbstquaelers' laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen:
+Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist
+vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu
+den 'Bruedern' heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme
+Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet
+dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum Ruhm sich: dass
+den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind,
+Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt
+ihr all' und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es
+allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint
+seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten;
+man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen
+Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass
+dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts
+getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends
+maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon
+besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen
+unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel
+aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten
+andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und
+Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und
+Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch
+dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe
+stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die
+erste Auffuehrung der 'Brueder' und die zweite der 'Schwiegermutter'
+stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die
+dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben
+vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge
+des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische
+Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines
+Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich
+entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische
+Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei
+der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf
+das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt.
+------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche
+in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst
+war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen
+bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden
+Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund
+erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die
+im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene
+ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese
+Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella"
+ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese
+Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen
+beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
+nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das
+Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich
+wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
+Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
+Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz
+selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
+verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst
+sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig
+Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen
+Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts
+^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
+dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
+beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte
+der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
+regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der
+tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen
+Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage
+und oeffentliche Akte komisch geschildert: 'Die Hochzeit, 'Der erste
+Maerz', 'Pantalon Wahlkandidat'; ebenso fremde Nationalitaeten: die
+transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf
+den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der
+Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen
+ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die
+Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider
+gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen
+Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden
+und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses
+laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen
+Titel, wie zum Beispiel 'Die Kuh', 'Der Esel', 'Das Zicklein', 'Die
+Sau', 'Das Schwein', 'Das kranke Schwein, 'Der Bauer, 'Der Landmann,
+'Pantalon Landmann, 'Der Rinderknecht, 'Die Winzer, 'Der Feigensammler',
+'Das Holzmachen', 'Das Behacken, 'Der Huehnerhof'. Immer noch waren es
+in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen
+Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum
+ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell
+dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und
+dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen
+Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und
+endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel 'Pulcinell
+Soldat, 'Pulcinell Wirt', 'Jungfer Pulcinell', 'Pulcinell in der
+Verbannung, 'Die beiden Pulcinelle' moegen dem gutgelaunten Leser eine
+Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz
+herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden,
+den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den
+Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so
+hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und
+volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische
+Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie
+^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht
+sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte
+sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem
+menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen 'Hercules
+Auctionator'. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich;
+sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder
+schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal
+mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der
+Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an
+lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen,
+kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht
+unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der
+Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich
+an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge
+Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in
+oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein
+verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder
+als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und
+Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen
+zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich
+auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und
+stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt
+sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen
+Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten
+latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese
+zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre
+543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von
+roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder
+Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung,
+dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch
+rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden
+Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi
+und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses
+in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich
+gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium,
+ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der
+oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius
+(+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von
+"Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess
+(Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung
+"Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar
+danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen.
+Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von
+Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer
+gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
+wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
+duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer
+Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht
+unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
+Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten
+Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die
+namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser
+sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar.
+Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied
+ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne
+und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das
+bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf
+der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner
+Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
+Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang
+und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch
+Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt,
+worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen
+Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser
+Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit
+ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt
+(Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese
+anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber
+kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane
+unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die
+vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
+Widerspruch, dass noch zu Livius' (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
+Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
+damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
+mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht
+mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten
+aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb.
+^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss
+vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
+Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros 'Das Linsengericht,
+'Bakchis' Freier, 'Des Mystakos Lohnlakai, 'Die Gelehrtem, 'Der
+Physiolog') lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese
+Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen
+in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
+bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt
+schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse 'Saturnus'. ^11 Nach
+Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen
+des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667
+143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein;
+die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen
+'Malern' noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon
+die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig
+genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius' 'Phoenissen':
+Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz
+wie Menanders 'falscher Herakles' auftritt.
+---------------------------------------------- Was endlich die
+Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im
+einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine
+Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben
+immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt
+wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne
+Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern
+wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar
+entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
+Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch
+immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
+(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
+war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass
+man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden
+Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend
+zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess,
+um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
+Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
+und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl
+ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung
+der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
+uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
+Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
+145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
+akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen
+und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
+von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer
+Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die
+Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen
+und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und
+hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius
+Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der
+Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung
+der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
+gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene
+Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen
+hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund
+und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen
+sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher
+hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm
+ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen
+und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre
+580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die
+Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27);
+dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft
+ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben.
+^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
+folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl,
+Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
+gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
+welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen
+gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese
+epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte
+des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm".
+^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein,
+da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
+setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
+Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem
+kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen
+besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
+"Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen,
+aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes
+Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: Constiteram, exorientem
+Auroram forte salutans, Cum subito a laeva Roscius exoritur. Pace mihi
+liceat, caelestes, dicere vestra: Mortalis visust pulchrior esse deo.
+ Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: Da
+zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf. Zuernet, ihr
+Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: Schoener fuerwahr
+als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch
+gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms
+ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius
+Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------
+In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
+das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
+entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
+zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
+voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas
+zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen
+und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius
+'Histrischer Krieg' und des Aulus Furius (um 650 100) 'Jahrbuecher
+(vielleicht) des Gallischen Krieges', die allem Anschein nach
+unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen
+Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der
+didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender
+Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser
+Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an,
+derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede
+Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen
+Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines
+jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze
+von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb
+der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die
+einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius,
+der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an
+seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter
+gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung
+bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen
+Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr
+Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer
+angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und
+gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte
+sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein
+geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten
+unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne
+vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den
+Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und
+Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer
+einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer
+alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen
+und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene
+Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten
+sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus
+individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte
+oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl
+wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung
+der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein
+redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das
+grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung
+des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche
+Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten
+Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender
+der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das
+Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und
+mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer,
+das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings
+eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte
+beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie
+und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer,
+etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen,
+woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen
+Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und
+selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht
+ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als
+das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat-
+und im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in
+eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen
+Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen
+Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern
+latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner
+ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen
+Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in
+vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen
+Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm
+hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er -
+er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um
+asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen
+Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
+Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der
+roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten
+in den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
+unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den
+gar vieles in Lucilius' politischer und poetischer Stellung erinnert.
+Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden
+Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
+Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
+Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen
+die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der
+Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den
+andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu
+werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All' untereinandern
+belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19.
+----------------------------------------------------------- ^17 Quam
+lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque
+emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so
+zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der
+Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass
+du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht
+pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem,
+festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque
+Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio
+omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
+Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si
+hostes sint omnibus omnes.
+------------------------------------------------------------ Die
+Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos,
+ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
+Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
+Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner
+Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die
+Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
+sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall
+einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene
+Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der
+Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf
+uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und
+bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind
+eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und
+dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund,
+weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der
+roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller
+Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren
+Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch
+und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst;
+ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach
+Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp
+zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben
+Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort,
+lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die
+Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man
+die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein
+Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache
+Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen
+vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf
+demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte
+und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder
+geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung
+und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem
+afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch
+und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war;
+Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie
+Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom
+Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen
+Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man
+sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel
+wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser
+Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit
+hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch
+gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang
+unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als
+eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und
+in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich
+und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist.
+----------------------------------------- 20 Folgendes laengere
+Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische
+Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich
+wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis
+in versamur, queis vivimu' rebu potesse; Virtus est homini scire id
+quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit,
+honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
+Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium
+persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem
+esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum
+morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
+Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam
+postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach
+ihrer Art und Weis Fuer jede Sach' in unserm Kreis; Tugend, zu wissen,
+was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring'; Tugend, zu wissen, was
+nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend,
+wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem
+Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind
+zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut
+und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in
+Lieb' und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil,
+Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil
+kommt. ---------------------------------------------------- Von der an
+den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche
+noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen
+uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst
+wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche
+Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten
+und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern
+gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius,
+ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere
+scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen
+Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der
+Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf
+gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen
+Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und
+abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land
+der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund,
+den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu
+registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen
+bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt
+noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
+Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die
+Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
+gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste
+verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
+546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen
+Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
+Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter,
+vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von
+seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften
+verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise
+wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo
+er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und
+durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise
+eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn
+in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
+seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von
+Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien
+vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
+deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten.
+Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
+roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und
+gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten
+Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen
+waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
+Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht
+und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
+Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des
+Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf
+dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
+anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen
+hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
+verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
+Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
+ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt
+haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht
+der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
+engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und
+ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und
+stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
+hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
+persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
+stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in
+seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege,
+worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch
+einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen
+Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen
+hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er
+der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich
+doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist,
+den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es
+war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
+Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
+Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst
+sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst
+Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos
+und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische
+Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
+er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmaessigkeit der roemischen
+Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht
+diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen
+die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische
+Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem
+Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
+geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
+beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
+individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung
+wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
+Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine
+Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber
+der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so
+vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker
+gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der
+Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte
+weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder
+rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und
+Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die
+Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei
+den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder
+Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht
+erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie
+den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den
+roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine
+universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im
+Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte.
+Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie
+Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt.
+Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden
+Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich
+geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen
+Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und
+Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse,
+all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten
+entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln
+lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der
+Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht
+und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen;
+er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur
+der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung
+zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den
+ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet
+der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans
+21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er
+kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder
+gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen
+Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen
+und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige
+Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist
+musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen
+Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges.
+Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische
+fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande.
+Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist
+ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein
+mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat;
+das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch
+erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente,
+geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man
+den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
+geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches
+in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser
+innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im
+hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen
+Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich
+entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder
+Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht
+ungestraft verkannt. Polybios' Behandlung aller Fragen, in denen Recht,
+Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern
+auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische
+Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche,
+die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum
+Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation
+gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen
+Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente
+her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms
+abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum
+Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige
+und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu
+widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die
+uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie
+gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als
+billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht
+selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein
+oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte
+seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur
+einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den
+Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass
+er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft
+als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer
+gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner
+Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die
+unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich
+auftritt und aus dem Geschichtschreiber- in den Rezensententon faellt.
+Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit
+und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist
+vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele
+ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne
+auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier,
+die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo
+sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung.
+------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte
+Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes.
+So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze
+Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh' ich nicht nach
+Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
+---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu
+dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen
+Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische
+Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige
+griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus
+Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius
+Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem
+Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung
+des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet
+so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren
+Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene
+vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins
+Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen
+Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
+geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der
+Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
+ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
+Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
+Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
+632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
+achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
+auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
+veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab,
+als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten,
+doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
+nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher,
+mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankuendigen,
+waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
+geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
+wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre
+Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
+Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und
+Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und
+Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
+Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte
+Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte
+und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte.
+Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
+Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
+rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
+Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig
+Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
+187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
+besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das
+Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja
+sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl
+eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut
+eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
+langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen
+Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
+poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
+wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann
+zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die
+Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um
+die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger
+Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das
+nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten
+erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte
+der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte
+des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
+des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner
+Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster
+Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
+manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
+Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger
+Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der
+leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen
+Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach,
+die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
+historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
+zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
+Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus
+Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine
+dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die
+Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia,
+der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft
+reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste
+in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische
+Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte
+in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel;
+Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
+angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische
+Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese
+Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
+ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes'
+Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende
+Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
+bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
+Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten
+Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden
+des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
+Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das
+nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
+Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
+Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser
+hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.
+----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche
+Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus
+Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90)
+bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul
+649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil
+zu Smyrna schrieb. -----------------------------------------------
+In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
+Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
+veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
+uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
+zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
+Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb
+dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon
+der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den
+allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
+mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert
+der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche
+Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen
+der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein
+humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie,
+der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als
+dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen
+Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
+Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
+Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen
+Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung
+der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang
+dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
+Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der
+Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
+sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius
+und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
+beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
+historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden
+die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die
+des Hemina 'ueber die Zensoren', des Tuditanus 'ueber die Beamten'
+schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
+die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
+Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische
+Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien
+des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
+lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen
+Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
+Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
+Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
+dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
+verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprach-
+und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
+wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
+zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte
+die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der
+Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu
+und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
+Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge
+einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs
+geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln,
+und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis
+seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen
+ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
+bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
+und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat
+dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
+indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf
+seinen Schueler Varro vererbte.
+----------------------------------------------------- 23 Die
+Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der
+Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher
+falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt.
+------------------------------------------------------- Mehr
+untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit
+auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als
+Hand- und Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien
+des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die
+Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des
+Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser,
+der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und
+lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein
+solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst
+erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere
+Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige
+Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte
+Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen,
+weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was
+die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die
+Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft
+die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der
+Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich
+zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen
+auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig
+und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der
+Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von
+dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso
+ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die
+Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten
+Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der
+letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht
+hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die
+Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer
+eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
+Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen
+Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
+theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere
+Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur
+noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine
+nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine
+lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit
+als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen
+populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie
+trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist
+die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu
+rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung
+dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich
+praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der
+militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht
+nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht
+chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und
+mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage
+das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche
+an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen
+Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der
+boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig
+schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht,
+wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen
+Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der
+politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon
+mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die
+Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel
+trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das
+gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden,
+sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die
+rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge
+die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im
+Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor
+dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet.
+Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur
+sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und
+Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode
+bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren
+heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst
+nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern
+von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt
+wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und
+die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen
+sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
+aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
+dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus
+(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
+nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
+systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der
+Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in
+dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum
+erblich war. Seine achtzehn Buecher 'vom Landrecht, welche das positive
+juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate
+und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus
+der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit
+zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der
+ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde
+seine resuemierende Schrift 'Definitionen' (oros) die Grundlage der
+juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese
+Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus
+unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem
+philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen
+unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der
+Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische
+Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt.
+Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische
+Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.
+----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte
+wohl den Titel 'De iuris disciplina' (Gell. 13, 20), das des Brutus den
+'De iure civili' (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es
+wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33,
+142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist
+noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur,
+Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen
+immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueck-
+als vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in
+griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer
+namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
+670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
+sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte
+man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss
+griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen.
+Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
+Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
+Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
+darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der
+ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
+Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb.
+Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den
+der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf
+dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die
+Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
+Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius
+(Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus
+war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo
+man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah
+es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur,
+dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu
+verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen
+des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet
+ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen
+Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne
+Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der
+Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die
+roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611
+143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle,
+fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen
+Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland,
+der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der
+Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die
+Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist
+bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen
+der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im
+Stempelschnitt eher einen Rueck- als einen Fortschritt zeigen. Endlich
+Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom,
+einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu
+werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu
+in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
+Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und
+die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem
+Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und
+musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
+wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
+Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und
+Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden
+durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
+ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum
+Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es
+auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
+Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle
+fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen loeste, als dass
+vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
+Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
+Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
+musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
+einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
+Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch
+solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
+ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich
+einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst
+Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen
+Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der
+vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die
+hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern,
+so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind
+die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des
+Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere;
+in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten
+Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen
+Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die
+beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller
+emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur
+ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger.
+Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache
+Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst-
+und Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen
+Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und
+ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher,
+als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die
+achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung,
+die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und
+Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der
+Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die
+gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen
+Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt
+bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was
+diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer
+als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht
+sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre
+Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die
+Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten,
+so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen,
+dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen
+oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht
+beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.
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+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 4 by
+Theodor Mommsen
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