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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 05:20:26 -0700
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+<title>Römische Geschichte Book 3, by Theodor Mommsen</title>
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+<pre>
+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 3
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3062]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
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+Character set encoding: UTF-8
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
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+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Drittes Buch<br/>
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#part03"><b>Drittes Buch&mdash;Von der Einigung Italiens bis auf
+die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten</b></a></td>
+</tr>
+
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">KAPITEL I. Karthago</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap11">KAPITEL XI. Regiment und Regierte</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap12">KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap13">KAPITEL XIII. Glaube und Sitte</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap14">KAPITEL XIV. Literatur und Kunst</a></td>
+</tr>
+
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part03"></a>Drittes Buch<br/>
+Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
+griechischen Staaten
+</h2>
+
+<p>
+arduum res gestas scribere
+</p>
+
+<p>
+arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben
+</p>
+
+<p class="right">
+Sallust
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Karthago</h2>
+
+<p>
+Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der
+alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese
+am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die
+Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl der
+Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen, israelitischen,
+arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr
+als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern.
+Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen
+Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem
+Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte
+der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hiess Kanaan
+das &ldquo;Purpurland&rdquo; oder auch das &ldquo;Land der roten
+Maenner&rdquo;, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder
+Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet
+zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der
+Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche
+oestliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und
+hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen
+Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und
+Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was
+aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle
+Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher
+Zeit finden wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in
+Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
+Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis oestlich zur
+malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und die Perlen des
+Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Loewen- und
+Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen
+Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das
+spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen
+die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und
+ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat,
+an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte
+genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
+an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das Altertum
+die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen und dauernden
+Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramaeischen
+Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn
+Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen
+eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch
+weder die phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst,
+soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen Rang
+eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und
+unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu
+naehren als zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung
+phoenikischer Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich
+klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der
+italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst
+vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der
+wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon
+oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem
+Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier
+begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur wirkenden
+Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der Astronomie und
+Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl
+von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre
+Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift
+und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen
+wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das
+Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes
+ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie
+von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben
+sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat
+ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich
+beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und
+selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im
+Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und
+die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch
+dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
+mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den
+indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich
+selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros
+ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil
+herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit
+der halben Macht haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die
+vorsichtigen sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der
+Karawanenstrassen nach dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher
+zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre
+Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es
+nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit.
+Und wie die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie
+auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen
+mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind
+Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und
+zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Laendern zu erwerben und daselbst die
+schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren
+Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
+oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den
+grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen
+Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind
+es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die
+Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man
+sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch
+gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind
+die Phoeniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der
+aelteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen
+sizilischen Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage
+bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
+gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen
+die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens
+ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr
+sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen lassen.
+</p>
+
+<p>
+Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit
+bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den
+Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel
+an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die
+Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je
+erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich
+zu sein duenkt, ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen
+Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und
+okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute
+verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten
+Stammgefuehl, bei der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das
+eigenste Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es
+geluestete sie nicht nach der Herrschaft; &ldquo;ruhig lebten sie&rdquo;, sagt
+das Buch der Richter, &ldquo;nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut
+und im Besitz von Reichtum&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer
+als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an der
+nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des
+Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer
+reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika
+die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen
+Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die &ldquo;Neustadt&rdquo;,
+Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht
+die frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
+vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt
+in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch
+die unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner.
+Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die
+reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren
+noch heute mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern
+bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und
+an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen
+Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den
+besten Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
+Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die
+Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung
+daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen
+Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde
+und noch heute unter nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger
+gut gewaehlten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und
+gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher
+Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die
+Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen
+Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt besessen
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago nicht
+verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis
+in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm,
+Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und
+obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem
+Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des
+Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich
+gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu
+sichern.
+</p>
+
+<p>
+Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
+Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten.
+Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen
+ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von
+Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja
+in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo
+standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo
+sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten,
+genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
+Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
+gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es
+war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die
+Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem
+Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich
+westwaerts der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe
+erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze
+Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die
+Klientel der maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins
+zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers
+den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst
+die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische Stellung.
+Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft
+ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil sie es musste.
+Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der
+Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der
+Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit
+aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das
+auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen Geldspekulation,
+die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist.
+</p>
+
+<p>
+Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die
+Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur
+Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen
+Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den
+Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene
+Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich
+angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den
+Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter;
+wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
+Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen
+libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
+Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - wir
+finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging
+weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau scheint bei den
+Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung,
+vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein - wurden mit Waffengewalt
+unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren
+Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur
+Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen
+Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen
+(νομάδες) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
+verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene
+zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische
+Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit
+des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den
+Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die
+&ldquo;Staedte und Staemme (έθνη) der Untertanen&rdquo;, die in den
+karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien libyschen
+Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in
+Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von
+Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
+gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen,
+da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft
+gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz
+Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen
+Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona),
+Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - die zweite Stadt der
+afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich
+von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter
+karthagische Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen
+vor den Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr
+nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst
+in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten
+niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten.
+Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen,
+sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum
+Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner
+lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in
+gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als
+durch die Pietaet der Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen
+Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt;
+wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der
+griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst
+im auswaertigen Verkehr sind es stets &ldquo;Karthago und Utica&rdquo;, die
+zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass
+die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie
+behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines maechtigen
+nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wueste sich erstreckte
+bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum
+Teil oberflaechlicher Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem
+reicheren oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch
+das Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
+vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend
+sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische Zivilisation herrschte in
+Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zuegen
+Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Hoefen der
+Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und geschrieben und die
+zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische
+Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste
+der Nation noch in der Politik Karthagos.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
+karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu
+den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: οι Καρχ ηδονίων
+ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst heissen sie auch Bundes-
+συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62;
+Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das
+Commercium folgt aus den &ldquo;gleichen Gesetzen&rdquo;. Dass die
+altphoenikischen Kolonien zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die
+Bezeichnung Hippos als einer libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits
+heisst es hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum
+Beispiel im Periplus des Hanno: &ldquo;Es beschlossen die Karthager, dass Hanno
+jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker
+gruende&rdquo;. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern
+nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es
+recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten
+Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in
+der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phoenikern
+haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie
+im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den
+Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar.
+</p>
+
+<p>
+^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
+Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der
+zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings
+diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt
+daraus noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern,
+sondern von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise
+aelteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten
+verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem
+phoenikischen einer Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als
+die, in der die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache
+geschrieben wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
+stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung
+ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt
+als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit
+des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen
+Systems angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und
+fuenfte Jahrhundert Roms ausgefuellt hat.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen
+phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen
+Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen,
+namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im
+zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die
+edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils
+ueber nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin
+ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit
+Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
+kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
+Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder
+gewaltig sich entwickelt.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung in
+Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette
+von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das
+heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon
+innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen
+abzugewinnen war man nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der
+Bergwerke und der Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang
+und hatte Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten.
+Es ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
+waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen
+Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich
+unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die
+Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer
+Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen
+wurden dagegen von den Karthagern selbst in frueher Zeit besetzt, teils der
+Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von
+hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich
+fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen
+ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der
+Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an
+dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen
+Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
+durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet.
+</p>
+
+<p>
+In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere
+oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende
+gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils
+die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter
+denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die
+West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus
+die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien
+unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der
+Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere
+Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher
+Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der
+Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf
+die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische
+Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen
+bequemten sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede
+auf ihr Gebiet.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein
+noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der
+karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der
+Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der
+Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als
+auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der
+nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten
+die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die
+Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen,
+solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit
+den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar
+gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen
+Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl
+schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der
+Vereitelung der grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand
+als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die
+Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und
+zugleich ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden
+auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das
+naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem
+ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389
+406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten,
+die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den
+Syrakusanern und den Karthagern. Die bluehendsten Staedte der Insel: Selinus,
+Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von
+den Karthagern von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das
+Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt
+auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner, die
+veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu
+beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei
+Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen
+Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen
+Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um
+den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer
+von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu
+verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der
+Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476
+(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und
+scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner
+unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos
+waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu
+verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die Seite der
+Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und die, wenn sie auch
+nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer
+Planmaessigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien
+zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die
+Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die
+Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf
+schon entschieden: Pyrrhos&rsquo; Versuch, die syrakusanische Flotte
+wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte
+die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und
+ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte
+und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel
+dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen
+gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor
+irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein
+Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes
+(479-560 275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach
+Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in
+die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig
+ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen,
+sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348)
+freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des
+eigenen karthagischen saemtlich schloss.
+</p>
+
+<p>
+Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor
+dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
+monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende
+Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte
+stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia
+bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und
+achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der
+Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die
+Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
+Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl
+Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber
+genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem
+kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er
+viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss
+zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie
+sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt
+des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles&rsquo; aelterer Zeitgenosse, sagt, dass
+die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und
+so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
+Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen
+Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und
+ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche
+Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des
+Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig
+unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich
+unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den
+Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann
+zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.
+</p>
+
+<p>
+Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der
+Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der
+karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
+sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen
+aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben.
+Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten
+Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen
+hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung
+in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies
+fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
+und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der
+Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch
+der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende
+Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich
+von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja
+lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen
+gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar
+erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
+hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische
+Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad
+bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene,
+die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die
+Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen
+und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode
+bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden
+unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt
+der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es
+begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung
+eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den
+Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig
+nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
+den Feldherrn in Rat und Tat laehmte.
+</p>
+
+<p>
+Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta
+ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt,
+doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen
+zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem
+Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl
+erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt
+war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer
+gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago
+nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich
+durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen
+Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien
+verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar
+ein Gegensatz zwischen &ldquo;Stadtbuergern&rdquo; und
+&ldquo;Handarbeitern&rdquo; wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige,
+vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
+Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer
+Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus
+einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge,
+anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das
+System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu
+Vermoegen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die
+abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer
+verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles
+bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der
+karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben
+noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb
+fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie
+allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward
+abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem
+Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich
+bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen
+Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss
+der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und
+in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei:
+die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung
+zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung
+des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt,
+dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein
+koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der
+Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt
+noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
+reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie
+fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die
+von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos,
+dass sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte
+gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in
+Karthago, die Buben sie machen halfen.
+</p>
+
+<p>
+In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den
+Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges
+war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers
+der Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre
+Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste
+Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche
+Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu
+betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die
+agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
+und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
+Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern
+auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen
+Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge
+Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als
+eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu
+erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des
+Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
+Nomadenwirtschaft es nach Polybios&rsquo; Zeugnis vielleicht allen uebrigen
+Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der
+Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden
+sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago
+mittelbar die Grundrente &ldquo;des besten Teils von Europa&rdquo; und der
+reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte,
+ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in
+Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels
+aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der
+Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher
+schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte
+Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen
+Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem
+Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren
+verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom,
+zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht
+vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische Literatur
+und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago
+geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und
+betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des
+Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die
+agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des
+Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der
+karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von
+seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine
+Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3,
+worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer
+Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche
+der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings
+unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in
+diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den
+oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
+kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte,
+und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die
+Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig
+deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch
+nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen
+war, die laufenden Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von
+340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
+Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der
+Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich
+erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die
+Ueberlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die
+oekonomischen Grundsaetze einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden
+wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von
+auslaendischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben
+Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
+dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine
+Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe geloest als
+Karthago.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
+Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen
+koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen
+&lsquo;Poeners&rsquo; heisst es von dem Titelhelden:
+</p>
+
+<p>
+Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn&rsquo;
+</p>
+
+<p>
+Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und
+Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus
+praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich
+dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
+Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals
+noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die
+karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren,
+bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber
+das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist
+konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf
+der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen
+Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens
+aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als
+die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
+Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle
+Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer
+den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder
+begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen
+Zustaende.
+</p>
+
+<p>
+Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
+Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge
+Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen
+Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der
+griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur
+vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben
+Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame
+Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen
+Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und
+verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich
+oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
+brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte
+auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und
+vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen
+noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk
+ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten.
+Daher der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt
+zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit
+und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte
+Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen
+Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen
+liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige
+Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago
+haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen
+verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei
+gemeinschaftliche Sache zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
+Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht
+aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu
+demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den
+abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige
+Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den
+Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den
+uebrigen untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und
+Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago
+behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar
+den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht
+einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner
+eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete
+selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die
+unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im
+karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit
+Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell
+sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen nicht eine einzige,
+die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen
+sorgfaeltig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch
+aeusserste Massregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren
+gehabt haette als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten,
+die phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
+Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische
+Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen kaufmaennischen Kalkuel
+dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung bewies, dass die roemische
+Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie
+eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische dagegen wie Spinneweben
+zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah
+es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im
+Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel,
+dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum
+Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder
+aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie
+gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit
+dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
+ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich
+bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre
+Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es
+nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen
+Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in
+Sizilien in der Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum
+Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die
+Geschichte des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
+ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren
+phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die
+Samniten und Tarentiner.
+</p>
+
+<p>
+Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um
+vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass
+die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben,
+wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass
+die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische.
+</p>
+
+<p>
+Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr verschieden,
+jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische
+Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit Einschluss
+der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts
+wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im
+Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein
+ebenso starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts
+unter gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen
+Erweiterungen des Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die
+Zahl der waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit
+mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des
+Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich
+angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie
+doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des
+Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem
+Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren
+noch eine &ldquo;heilige Schar&rdquo; von 2500 Karthagern als Garde des
+Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in
+dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager.
+Dagegen standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen,
+sondern auch auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den
+Stammverwandten der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht
+mindere Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
+ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit
+weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die
+zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften.
+In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine
+einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus
+Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher.
+Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes
+Fussvolk bilden liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen
+war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen
+Voelkerschaften Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den
+Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die
+Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene
+Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede
+beliebige Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an
+Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein
+nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben
+bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden
+Augenblick auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend
+die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der
+Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das
+gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages
+galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie
+heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der
+Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen
+gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum
+Sprichwort gewordene Ruf der &ldquo;punischen Treue&rdquo;, der den Karthagern
+nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere
+ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und
+mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine
+Feinde.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den
+Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
+Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer
+Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die
+Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die
+roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind,
+mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen
+Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich
+eine grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in
+Gades aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
+als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen
+und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf
+gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner ausstatten zu
+koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige
+Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den
+Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im
+Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten
+Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte
+zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen,
+dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die
+Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
+unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer
+Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der
+Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete
+den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom
+politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung
+niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die
+Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der
+Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago
+zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die
+karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in
+der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich
+Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und
+die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago
+entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der
+verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in
+der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten
+das westliche Meer beherrschte.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden
+grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen
+und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen
+begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir koennen nicht
+unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und
+Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung
+sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel
+des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden
+Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
+Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich nicht
+verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff
+nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der
+Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich
+herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige
+Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung
+zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit
+Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn
+finden, und waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der
+Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in
+eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der
+hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago</h2>
+
+<p>
+Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und
+den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten ward
+der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago
+Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in
+Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago
+zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit
+welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die
+phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln
+focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen
+Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende
+Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich
+beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera
+und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber saemtliche oestliche
+Staedte anerkannt. Pyrrhos&rsquo; Vertreibung aus Sizilien und Italien (479
+275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem das
+wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als
+Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der
+Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich
+festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von
+den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das
+bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I,
+368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was
+spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die
+soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort
+ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua
+und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die
+roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes
+Regiment die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles
+dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der
+Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose
+Selbstverkauf hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung
+an Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
+Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut
+anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt
+nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern
+nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer
+Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise
+begruendet. Nirgend luden die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen
+Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen
+Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und
+Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein
+kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen
+Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in
+Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der
+antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der
+Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und
+die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der
+Stadt, die &ldquo;Marsmaenner&rdquo;, wie sie sich nannten, oder die Mamertiner
+wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den
+wuesten Zeiten nach Agathokles&rsquo; Tode sich unterwarfen. Die Karthager
+sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer
+stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt
+einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten; mit
+karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der
+unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck.
+</p>
+
+<p>
+Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den
+sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der
+die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der
+Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag
+die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier
+eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die
+schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich
+sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich
+immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu
+rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch
+seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen
+verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die
+Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke
+seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt
+hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die
+Spitze des mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch
+seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er
+schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs
+gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte
+sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres,
+regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als
+Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und
+lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen.
+Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos
+von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der
+Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem
+ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer
+des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge
+kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese
+Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner
+in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch
+einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen
+ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und
+nachdem die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich
+aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit
+eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht
+moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen
+hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die
+einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder
+an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung
+des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es
+vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben,
+war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet
+der kampanischen Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den
+Roemern anzutragen.
+</p>
+
+<p>
+Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten
+der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
+ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber
+dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere
+Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten
+Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein.
+Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei,
+ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das
+Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen
+Kampaner mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre
+nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur
+Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu
+entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu
+Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren
+musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral
+keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die
+den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet
+hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten,
+wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe.
+Haette es sich nur darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in
+Messana geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen.
+Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens;
+schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es
+begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten
+wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus und Messana - und dass
+sie, als dies unmoeglich geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten
+als der anderen Grossmacht. Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion
+und Tarent von den Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte
+fuer sich zu gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot
+jetzt in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine
+Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die
+Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst
+den Phoenikern in die Arme. War es gerechtfertigt, die Gelegenheit
+entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht wiederkehrte, sich des
+natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien zu bemaechtigen und
+ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu
+sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den
+letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit
+Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
+Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
+Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren
+musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn
+nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der
+See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik;
+man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet
+hatten, um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand
+vermochte. Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der
+Glaube an den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut
+gibt, die Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu
+folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den
+Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu
+keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache
+verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten
+Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den
+Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische
+Bahn zu betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch
+die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die
+ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen
+^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu
+senden (489 265).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen
+Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und
+besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die
+Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach
+mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
+hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre
+neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu
+behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von
+Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung
+zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und
+von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er
+in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt.
+Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489
+265), sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
+bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu
+verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten
+auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen
+Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu
+fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die
+Rolle des angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit
+vollem Rechte sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf
+Messana der Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur
+der zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen
+Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen
+Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den
+erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die
+natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt gehalten und unterliessen es, die
+beabsichtigte Invasion Siziliens als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es
+indes; denn wie Rom die italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen
+Angelegenheiten als innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff
+gestatten kann, und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die
+phoenikische Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung
+war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
+endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
+Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
+roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
+erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
+Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei
+in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den
+Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und
+dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische
+Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom
+karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter
+verbindlichem Dank fuer die schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen
+Befehlshabern anzeigen, dass man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen.
+Der gewandte und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
+nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die
+roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte
+der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung
+zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der
+Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana
+sich ebenso nutzlos kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius
+liess sich nicht abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung.
+Kaum angelangt, berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen
+Wunsch erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer
+waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung
+selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die
+schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig
+genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl
+des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war
+der Brueckenkopf der Insel in den Haenden der Roemer.
+</p>
+
+<p>
+Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und Schwaeche
+ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den Krieg.
+Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke
+karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe
+von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans
+Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der
+nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
+beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und
+uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt.
+</p>
+
+<p>
+Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit
+dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die
+Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den
+Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten
+roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt
+ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung
+aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte
+sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch
+die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago)
+mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck
+nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
+Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen
+daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht
+triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht
+verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden
+Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die
+Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug
+&ldquo;der von Messana&rdquo; (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden
+Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser
+Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten
+wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren
+griechischen Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die
+karthagische Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263).
+Er folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es
+den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen
+anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu
+erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene
+Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und
+karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die erstere
+vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer
+sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu
+lassen, und auf alle Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und
+Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der
+Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste,
+standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel.
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das
+Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen
+Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige
+Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und
+unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte
+denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
+Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492
+262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den
+sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben.
+Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern
+seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs
+aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
+die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
+Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am
+Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia
+und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf
+beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht,
+um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte
+sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der
+phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den
+Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
+der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der
+Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten
+Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch
+war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und
+damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in
+denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich
+bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu
+vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der
+Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den
+italischen Kuesten.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten des
+Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem Ausbruch
+der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben,
+denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer
+waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte
+beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen
+Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte
+auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine
+konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren
+Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen
+an den italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was
+schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war
+voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia,
+Neapel, Tarent, Syrakus vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die
+Karthager ueber die Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die
+ausbleibenden sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren
+jetzt, was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso
+leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu
+ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen
+und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern
+herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen Beschlusses war nicht
+leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende Darstellung, die glauben
+machen moechte, als haetten damals zuerst die Roemer die Ruder ins Wasser
+getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens Handelsmarine musste um diese
+Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es
+keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in
+frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren,
+besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich
+in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die
+Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von
+Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und eben
+wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum Muster
+nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine
+gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer,
+wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller
+zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um
+Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
+die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere,
+die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird,
+als fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine
+Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden
+spaeter Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald
+auch die aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und
+wenn man teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des
+Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es
+begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine
+Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und
+ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom
+Stapel lief. Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und
+Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht,
+als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass
+Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass
+Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht
+dieser Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand
+im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile mit
+schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe pflegten
+einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss gelang, der
+gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der Bemannung eines
+gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn
+Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers
+zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis.
+</p>
+
+<p>
+Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei
+ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an
+Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man
+den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man
+brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach
+vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden
+Seiten mit Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front.
+Wenn das feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder,
+nachdem der Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke
+auf dessen Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein;
+wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen
+Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck
+hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene
+Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu
+diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht,
+wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis
+120 Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten.
+</p>
+
+<p>
+So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen war.
+Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen,
+und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der
+Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo
+durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch
+Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen
+ward, die uebler war, als sie zunaechst schien.
+</p>
+
+<p>
+Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der
+Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
+Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt
+Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der
+bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in
+dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre
+mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht
+ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter
+Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein
+schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck
+hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen,
+und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite
+Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen
+uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die
+karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die
+roemische, welche hier ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in
+den schlecht segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte
+Beute erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die
+neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe
+fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war
+ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die
+gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als die
+Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe, fast die
+Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren
+das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war
+gross; noch groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht
+geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich
+hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien, energisch
+zu Ende zu fuehren.
+</p>
+
+<p>
+Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
+italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
+Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
+kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
+durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser
+Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der
+zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln
+vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in
+Agathokles&rsquo; abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und
+alles setzend auf den Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine
+starke Flotte die Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien
+deckend; in diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde
+nach den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte,
+mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen.
+</p>
+
+<p>
+Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht von
+Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf
+Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt
+- und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf
+der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte
+an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit
+besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert;
+aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam
+man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg
+nicht bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
+Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von
+den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und
+in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten,
+namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz
+Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des
+Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen
+Vorgebirg (497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte
+nichts an der Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte
+die Schuld nun an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der
+roemischen Truppen liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe
+kleinerer Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
+strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall nach dem
+damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I,
+426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen
+Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch
+die Brandschatzung der italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische
+Handel nicht viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges
+der Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der
+Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr
+498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der
+libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer
+Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der
+Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso,
+beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die
+feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika
+fanden die Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in
+Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht
+leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht
+gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens
+100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken
+Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens
+die gleiche Zahl, so dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage
+aufgeboten waren, um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu
+entscheiden. Die Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem
+linken Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins
+Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger
+Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das
+dritte mit den zum Transport der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in
+der Linie, die das Dreieck schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den
+Feind. Langsamer folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der
+keilfoermige Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das
+zunaechst angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die
+Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit
+den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum
+nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste
+aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein,
+welches durch die Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen,
+und draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer;
+gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel
+auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei
+Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens,
+offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen
+Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden anderen
+Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen Feind; allein
+im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit
+deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit
+ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft,
+und die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht
+das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden,
+fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil
+verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser
+umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige Verlust
+war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von
+der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz
+des betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu diesem
+Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine
+zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der
+westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der
+oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden Schutz
+bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf einem
+schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche
+Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und
+setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes
+Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die
+roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis 20000
+Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle
+war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man
+schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der
+Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee
+nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit 40
+Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht
+nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene
+nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen
+sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden
+konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und
+ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten
+Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht
+bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug.
+</p>
+
+<p>
+Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die Bedingungen,
+die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien,
+sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager
+verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den
+roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit
+Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
+werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte
+auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige
+Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen,
+bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese
+Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den
+Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen
+Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit
+der Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
+trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten
+ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso
+zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos
+von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen
+Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die
+Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei
+Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt
+zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was
+seine Lage erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch
+nicht imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg
+von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen
+Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern
+versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte
+und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so
+leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich
+und sein Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem
+verzweifelten Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499
+255), hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es
+waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten;
+natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden,
+ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die
+Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im
+offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke
+- denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war,
+gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes
+Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich
+auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos,
+der an diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei
+auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der
+Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den
+feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah sich von demselben
+ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert,
+gingen zum Angriff vor gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung
+vor derselben aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum
+der Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den
+Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten
+feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die
+roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den Seiten und im
+Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar ins Viereck und
+verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden doch die geschlossenen
+Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke Fluegel traf auf das
+noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche Infanterie ihm gleiches
+Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der
+feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen
+gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang
+zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen
+Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu
+erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der spaeter in
+Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den Karthagern nicht
+nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen karthagischen
+Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf
+deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos&rsquo; militaerisches Talent Karthago
+gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden
+schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte
+afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in
+Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen
+Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem
+Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging
+freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste.
+</p>
+
+<p>
+^3 Weiter ist ueber Regulus&rsquo; Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
+seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist
+sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der
+Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp
+des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine
+Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
+widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten
+Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
+gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine
+roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg
+am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten,
+gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten
+Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie
+gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in
+einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein
+Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den
+Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche
+Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und
+leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung
+in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen
+Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit
+nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue
+deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten
+Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen
+abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
+dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen
+Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige
+Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck,
+so jetzt das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt
+der Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit
+der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die
+Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten
+roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen.
+</p>
+
+<p>
+Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte
+Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit
+einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es waren
+ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten;
+die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten
+Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die
+Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des
+Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im
+roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den
+afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu
+unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige
+zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen
+Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen
+Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher
+gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen
+Zeit von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
+erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe
+zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von
+der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos,
+erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion,
+Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der
+Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der
+Hauptstationen der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes;
+die beiden Armeen standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die
+roemischen Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
+Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten.
+</p>
+
+<p>
+Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren
+Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht
+um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie
+damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
+unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit
+Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien
+ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die
+Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu
+waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene
+Meer nach Ostia zu steuern muessen.
+</p>
+
+<p>
+Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte
+abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und
+die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der
+stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502
+(252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen,
+und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht
+im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
+Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die
+unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten
+leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab,
+teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den
+Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen
+Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das
+karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum
+in die Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den
+Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern
+nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden
+an; allein der Sieg des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der
+energischeren Partei im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und
+beschlossen, die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft
+anzugreifen und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen
+zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die
+Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde
+von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es,
+sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von der Seeseite zu
+blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren, vermochten die Belagerer
+nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten
+Bewachung unterhielten gewandte und der Untiefen und Fahrwaesser genau kundige
+Schnellsegler eine regelmaessige Verbindung zwischen den Belagerten in der
+Stadt und der karthagischen Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit
+glueckte es einem karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen
+einzufahren, Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt
+zu werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war
+die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die Maschinen
+wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien sechs Mauertuerme
+eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein der tuechtige karthagische
+Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter
+der Bresche sich ein zweiter Wall erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der
+Besatzung ein Einverstaendnis anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit
+vereitelt. Ja es gelang den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke
+gemachter Ausfall abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht
+die roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
+Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu
+Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern,
+solange man nicht imstande war, den feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich
+zu verlegen; und einen nicht viel leichteren Stand als in der Stadt die
+Belagerten hatte das Landheer der Belagerer, welchem die Zufuhren durch die
+starke und verwegene leichte Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden
+und das die Seuchen, die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu
+dezimieren begannen. Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig
+genug, um geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit
+der Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
+Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu gering;
+es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu aendern und mit
+seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die karthagische in dem nahen Hafen
+von Drepana verweilende Flotte unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen
+Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte,
+fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
+Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit Sonnenaufgang den
+Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl
+ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht und liess sich nicht in den Hafen
+einschliessen, sondern wie die roemischen Schiffe in den nach Sueden
+sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der
+noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich
+ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als
+die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und
+sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser
+rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und musste
+die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der feindlichen um fuenf
+Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach, die Schiffe wieder aus dem
+Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an die Kueste gedraengt war,
+dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich
+untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren,
+ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass
+sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem er
+zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel der
+Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord, fielen den
+Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse Seesieg, den die
+Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der Tat nach von der
+Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen Flotte in ihre
+fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um
+den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem
+Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des
+Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft
+leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und
+aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut
+noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
+Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus,
+der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten
+Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen
+Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu
+geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten
+Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen.
+Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen
+Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon
+Nachricht erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die
+beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und
+zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen
+sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern
+tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit
+laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und
+Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die
+Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm
+vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
+vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen
+unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft
+und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249).
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr, und
+von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten. Vier
+grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit
+roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in
+Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte
+zur See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die
+Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte,
+ist daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247)
+um etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
+Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben
+der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch
+nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht
+moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden
+an Schiffen und Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels
+muessen ungeheuer gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die
+Abnutzung aller Mittel, durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte
+eine Landung in Afrika mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und
+war gaenzlich gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
+unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen
+Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was
+sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die
+Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen
+mochten, wohl wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer
+Italien verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des
+letzten Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu
+dem Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man
+schaffte die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
+Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit
+waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg
+ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man
+begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass,
+notduerftig zu behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr
+zahlreiches Heer und aeusserst kostspielige Anstalten erforderte.
+</p>
+
+<p>
+Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner
+zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte
+gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die
+phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den
+Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
+nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben
+nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und
+sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte
+los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem
+Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um
+Sizilien zu beschraenken.
+</p>
+
+<p>
+So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
+welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch
+fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte
+anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der
+Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247)
+den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder
+karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die
+Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden
+Fall es zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den
+Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz
+heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl,
+dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von
+seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im
+besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland
+auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er
+kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich
+nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des
+Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der
+junge General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon
+gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte
+(Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land
+beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren
+Frauen und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend
+phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte
+er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und
+bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige
+Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die
+Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der
+Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite
+aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die
+gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite trug, hatten bis
+dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar
+nahm die Stadt weg und belagerte das Heiligtum, waehrend die Roemer von der
+Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen
+Posten des Tempels gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen
+Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
+pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
+Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht wieder
+aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der Besatzung von
+Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der sizilische Krieg schien
+eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu nehmen. Der roemische Staat
+kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und die roemischen Feldherren
+um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General
+gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische
+Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener
+zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen
+eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen.
+Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was spaeter
+auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm.
+</p>
+
+<p>
+Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
+Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine
+Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne
+Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu
+machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation
+gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man
+hatte sich schon in Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste
+niedergebrannt, den Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht
+geliefert. Durch Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in
+so grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
+patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den
+Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und
+die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem
+Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im
+dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit
+einer Bemannung von 60000 Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht
+vielleicht ohne Beispiel da in den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius
+Lutatius Catulus, dem die Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See
+zu fuehren, fand dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit
+denen Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht,
+und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon und
+Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch begonnen ward.
+Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden Festungen, schwach
+verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man ruestete daheim an einer
+Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien
+karthagische Segel sich gezeigt haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241)
+die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch
+mehr eine Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die
+Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die
+fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein
+die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der
+heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen
+Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der
+Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und
+bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das
+Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto vortrefflich
+gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen, schlecht und schwach
+bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten
+fuhren die Sieger ein in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung
+der roemischen Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit
+ihm den Frieden.
+</p>
+
+<p>
+Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die Sache
+nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn
+unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine
+siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte
+hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch
+sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu
+halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische
+Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten
+zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die
+roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die
+Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
+Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich
+verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen
+Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und
+abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder
+in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was
+die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der
+roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst;
+dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen
+Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
+Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den
+Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18
+Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet
+der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst
+nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug; allein
+der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien,
+so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann sein,
+dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch den Frieden
+zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des Krieges,
+die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg
+entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht
+selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher
+Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem
+Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter
+dem Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten,
+anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen
+wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den
+Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen,
+oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die
+politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg
+fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden
+handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne,
+so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
+andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
+erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke
+zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der
+vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische
+Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt
+und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um
+den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war,
+um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
+brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu
+beantworten jetzt niemand wagen kann.
+</p>
+
+<p>
+Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission,
+die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im
+wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu
+zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5½ Mill. Taler), davon ein Drittel
+gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung
+von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den
+definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle
+Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich
+die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte
+vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf
+Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag
+gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht.
+</p>
+
+<p>
+So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation
+stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren
+der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert Jahren
+in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle Stuerme der
+Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513 241).
+</p>
+
+<p>
+Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische
+Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist
+einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die
+Soldaten, welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum
+guten Teil noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich
+grossartigen Momente, die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen,
+den die Roemer militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher
+gefuehrt haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines
+Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
+italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische
+Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die
+rein italische Politik. Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine
+Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen
+Hauptstadt als der letzten Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen
+Festungskette. Die Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch;
+Maersche und Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die
+Schlachten; der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg
+kamen kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
+nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der
+blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung
+diese Operationen zu dirigieren und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu
+befehligen imstande war. Auf einen Schlag war das alles umgewandelt. Das
+Schlachtfeld dehnte sich aus in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche
+eines andern Erdteils hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle
+war dem Feinde eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch
+erwarten. Die Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen,
+an der die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
+jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und
+mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was
+schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und
+Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf
+lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen;
+geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht
+den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines
+solchen Regiments der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern
+entschluepften?
+</p>
+
+<p>
+Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im
+Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine
+nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
+militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige
+Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und
+durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung
+war ein grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man
+bildete eine roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach
+und behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering
+geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere
+waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar
+Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den
+drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu
+Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil
+wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der
+Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens
+haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes
+hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend, allmaehlich
+darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch
+Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem
+waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon
+gemacht war; allein es geschah nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das
+roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die
+genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom
+den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen
+Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass
+der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System
+der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging, wie
+die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der Flotte waren; dass
+der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte belagerte und sein Nachfolger,
+statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte
+oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl
+jaehrlich von Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen,
+ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau
+einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines
+solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue
+Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren.
+Regulus&rsquo; Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken
+befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es gibt nicht
+leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in den Schoss
+geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter
+Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee
+gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich
+von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden
+Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um
+strategisch, und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch
+taktisch sich ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als
+Regulus in seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die
+Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die
+Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz
+richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig
+geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von
+militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war
+nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es, dass man das
+Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls der Landarmee
+behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General,
+sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die
+Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch
+weniger die Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner
+Buergeradmirale.
+</p>
+
+<p>
+Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn,
+als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische
+Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die
+Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
+gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der
+Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen
+Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen</h2>
+
+<p>
+Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften
+Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter
+roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das
+Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren
+diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des
+Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige
+Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu
+raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im
+Sueden in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der
+sizilischen Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena
+namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in
+Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen
+Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und
+Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich
+draengenden Ereignisse als eine umfassende politische Berechnung diese
+Erweiterungen hervorgerufen haben; aber begreiflicherweise brach wenigstens
+jetzt, nach den grossen, gegen Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der
+roemischen Regierung eine neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche
+die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte.
+Politisch und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
+niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige Scheidewand
+Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der Herrschaft ueber
+Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und Osten der Halbinsel zu
+vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der Phoeniker aus Sizilien der
+schwerste Teil getan war, vereinigten sich mancherlei Umstaende, um der
+roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu erleichtern.
+</p>
+
+<p>
+In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das
+Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und
+hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil
+in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den
+letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen
+Buendnis festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen
+Anspruch gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss
+begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei
+Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz
+Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das heisst
+ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton,
+Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine Selbstaendigkeit gegen das
+Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im
+bisherigen Umfang gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte
+nicht mit dem voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und
+also fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des
+Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in
+Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein.
+Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht
+ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln,
+solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem
+Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des
+Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach
+dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner und die Untertanen
+gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert. Die Schuld der gefaehrlichen
+Insurrektion trug wesentlich die karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den
+letzten Kriegsjahren seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher
+aus eigenen Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
+erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika
+senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig
+in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise abloehnen oder
+mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber hierauf den Oberbefehl
+nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so sehr an den leeren Kassen als
+an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem Unverstand der Buerokratie. Man
+wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte
+dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand
+eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der
+Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen
+waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten;
+sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte
+Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche Steuerdruck dort
+ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort
+hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem
+meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man
+in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die
+nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die
+Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen
+ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
+karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des
+sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago
+von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer
+durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin
+groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht
+hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu
+bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen
+voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat
+gewesen war, wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham
+verbot zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja
+man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien
+Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den
+Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom
+mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als
+nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen
+Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze
+der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener
+italischer Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer
+dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch
+die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen
+zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen
+karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als
+sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen
+Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an
+(um 515 239); und aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica,
+welche ebenfalls an dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen
+Hamilkars aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in
+Rom zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
+Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische
+Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der
+sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den
+Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit schwererem Gewicht als in der
+Angelegenheit der Mamertiner trifft die Roemer hier der Tadel, dass die grosse
+und siegreiche Buergerschaft es nicht verschmaehte, mit dem feilen
+Soeldnergesindel Bruederschaft zu machen und den Raub zu teilen, und es nicht
+ueber sich gewann, dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen
+Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
+Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig ueber
+die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider Erwarten und
+wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars Genie abgewendet und
+Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt worden war (517
+237), erschienen sofort in Rom karthagische Gesandte, um die Rueckgabe
+Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder
+herauszugeben, antworteten mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden
+Beschwerden ueber allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten
+zugefuegt haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass
+in der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten
+Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen
+Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung
+bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein
+jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den
+vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen entsetzlichen
+Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man wohl sich fuegen. Nur
+auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet
+hatten, fuer die mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung
+von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer
+widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man
+Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom
+letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten
+die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr
+noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den Eingeborenen
+im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr man trieb dort die
+Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den
+Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um
+ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung
+Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die
+Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die
+der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens
+nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
+beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden
+damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie bloss der politischen
+Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
+Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus blossen
+Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, aber darum nicht
+minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den
+Gegensatz der festlaendischen und der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um
+die spaeter gelaeufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und
+der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die
+Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
+Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; wobei
+es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in das
+Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie in jedem
+einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden Bestimmungen
+gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger
+ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen
+Gemeinden die bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267)
+durch Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische
+Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom
+lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man
+scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen
+Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren
+unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man
+sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die
+ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der
+roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der
+Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke stellvertretende
+Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste jetzt (527 227) auch die
+administrativ-militaerische Konzentration in der Person der Konsuln aufgegeben
+werden. Fuer jedes der neuen ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie
+fuer Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt,
+welcher an Rang und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand,
+uebrigens aber, gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur,
+in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war. Nur
+die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln, so auch
+diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere Quaestoren
+zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der Rechtspflege
+wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung zu fuehren
+und darueber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die
+ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach
+denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden
+grossenteils auch auf die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die
+Gemeinden ohne Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren,
+versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan
+kein Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
+Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. Dagegen
+gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen Staedten, die man
+nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative Organisation und wohl selbst
+allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschaedlichen Petitions- und
+Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war es zwar nicht wohl moeglich, das
+roemische Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren;
+aber gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben
+und ebenso, wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das
+Recht, in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb
+nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass
+das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum
+verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es behielten
+auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die
+Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht in
+rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch zugelassen
+ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in
+jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische Aristokratie
+repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die
+sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen
+Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides
+nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat, welcher
+mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen und
+militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht
+regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in dieser wie in
+jener Hinsicht das gleiche geschehen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin fuehren teils das Auftretender &ldquo;Siculer&rdquo; gegen Marcellus
+(Liv. 26, 26 f.), teils die &ldquo;Gesamteingaben aller sizilischen
+Gemeinden&rdquo; (Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils
+bekannte Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden
+commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium noch
+keineswegs.
+</p>
+
+<p>
+^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den
+Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf
+roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch sind
+unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- oder
+hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am besten
+gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die Mamertiner, die
+Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, wesentlich auch die Panormitaner
+haben nur Kupfer geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den
+italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein
+folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
+abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der
+Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen Gemeinden, mit denen
+eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug
+nicht auferlegt, sondern sie verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach
+Aufgebot des roemischen Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat
+verwendet werden konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische
+Truppen in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der
+Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes
+aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom
+entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben,
+welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig sich zahlen
+liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland
+war eine solche Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der
+Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer
+hatten laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach
+Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene
+Rechnung erhoben. &ldquo;Wir haben&rdquo;, sagt Cicero, &ldquo;die sizilischen
+Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie
+bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten, und unter
+denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher
+ihren eigenen Herren gehorcht hatten.&rdquo; Es ist billig, dies nicht zu
+vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die
+Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war
+das Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen
+Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben
+Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle
+Milderungen in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im
+einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht.
+Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte
+wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen
+Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in die
+italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen Freiheit von
+Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in finanzieller Hinsicht
+selbst noch guenstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren dies
+Egesta und Halikyae, welche zuerst unter den Staedten des karthagischen
+Sizilien zum roemischen Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen
+Binnenland, das bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu
+ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien
+griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem
+Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt,
+die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die
+abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu
+gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich
+standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im
+bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger
+Untertaenigkeit.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die
+Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
+latinischer bedienten und &ldquo;Auslaender&rdquo; nur hoechstens unter den
+Leichtbewaffneten verwendeten.
+</p>
+
+<p>
+^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die merkwuerdige
+Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in
+ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
+Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu Rom
+uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den
+steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
+zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise
+zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
+Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den italischen
+Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugruendung von
+Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig
+etwas im Wege wie in dem Lande jenseits des Apennin. Es konnten auch
+festlaendische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributaer sein, wie
+dies fuer einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter
+in ziemlich ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach
+ueberwogen die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande
+wie die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch
+zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen
+roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne
+Zweifel schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
+bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort
+neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren.
+Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, sondern
+sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu
+abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, was dasselbe ist, das
+festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden,
+das von den Alpen bis zum Ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies
+Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der
+italischen Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter,
+teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
+Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges Gebiet
+der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika geschah und
+geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie mit der weiter
+vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch vorzuschieben ^6.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
+konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
+Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert in
+mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse Priester Rom
+nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin ausgelegt, dass es
+ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51;
+Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59).
+Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift,
+dass der Konsul nur &ldquo;auf roemischem Boden&rdquo; den Diktator ernennen
+duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz
+Italien in sich (Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen
+den Alpen und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen
+und einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst
+Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im
+sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als
+&ldquo;Amtsbezirk&rdquo; (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt
+wird. Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter
+allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
+unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst durch
+Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats festgestellte
+Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne norditalische Landschaften
+oder auch Norditalien ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen
+worden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete
+Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet
+worden war (510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der
+Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen sorgte
+schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen
+Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der
+makedonische, war unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer
+durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden
+und kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie
+sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen
+Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich
+anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das
+merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem
+Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
+den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg.
+507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den
+letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den
+hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und
+verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier.
+</p>
+
+<p>
+Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte
+bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
+Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die
+aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber
+einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals
+eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend,
+dass sie allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der
+Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler,
+versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler
+darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort
+erteilten, ging das antiquarische Interesse der roemischen Herren doch
+keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die
+Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239).
+</p>
+
+<p>
+Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
+begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste
+bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen
+sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen
+den Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als
+billig gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung
+Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der
+Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten
+seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen
+Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen,
+zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil vereinigt; mit ganzen
+Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten
+&ldquo;liburnischen&rdquo; Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen
+jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen
+Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen
+Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich von Avlona am
+Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den
+Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten
+Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb
+freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine
+unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die Kuesten
+unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen
+hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den
+Seeraeubern und deren griechischen Bundesgenossen geschlagen; die
+Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra
+(Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der
+altverbuendeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer
+noetigten endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
+schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem Koenig
+Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur Antwort, dass nach
+illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die Regierung
+nicht das Recht habe, der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius Coruncanius
+erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein
+besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr
+diplomatischen Replik wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des
+Koenigs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der
+Moerder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
+525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer
+Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, waehrend diese
+die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die
+Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes fuehrte, musste, in ihrem letzten
+Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren
+von Skodra wurden wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches
+engbegrenztes Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen
+Staedte, sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos,
+die Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
+suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten kuenftig
+illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte nicht ueber zwei
+zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem Adriatischen Meer war in
+der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch
+die rasche und energische Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging
+weiter und setzte sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra
+wurden tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
+wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
+getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse eingesetzt;
+die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der
+Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknuepft.
+Diese Erwerbungen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren nicht
+ausgedehnt genug, um einen eigenen Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach
+Kerkyra und vielleicht auch nach anderen Plaetzen scheinen Statthalter
+untergeordneten Ranges gesandt und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den
+Oberbeamten, welche Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7.
+Also traten gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im
+Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch
+anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen
+Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewaehrten;
+die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstaedte, sahen in
+den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel, was sie konnten, sich des
+maechtigen Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland, war
+nicht bloss niemand imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf
+allen Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die
+Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
+streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre
+Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen
+zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich
+schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen
+muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die
+Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen
+Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb. 22,15, 6
+(falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher von Issa bei Liv.
+43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des Praefectus pro legato insularem
+Baliarum (Orelli 732) und des Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es
+scheint danach ueberhaupt in der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein,
+fuer die entfernteren Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese
+&ldquo;Stellvertreter&rdquo; aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten
+voraus, der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur
+die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien
+und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden
+Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern des spaeteren
+roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu Caesars Verwaltungssprengel mit
+gehoerte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu
+protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man
+nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause
+des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem,
+wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich
+erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der
+kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl
+er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre
+spaeter der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog,
+im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von
+den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte
+Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios&rsquo; Truppen fochten mit in
+Antigonos&rsquo; Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos
+starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess
+es geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten
+Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig aus
+seinem Reiche trieb (535 219).
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war tiefer
+Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241)
+ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem
+Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
+eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze
+Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb
+Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich
+gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise wie das
+eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier
+ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und
+die einzelnen Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder
+als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen,
+wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna
+bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po
+behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis
+Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die
+Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische
+Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
+einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und
+Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts
+vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl
+illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im
+Besitz; zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um
+Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl
+stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der
+bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss
+mit den kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer,
+teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die
+Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare
+Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas,
+waren nach wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die,
+wohl gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig
+und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet
+in den weiten Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man
+durfte erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu
+bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen
+in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu
+regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue
+begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im
+Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas,
+freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert, mit
+ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt
+und im Jahre 518 (236) lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es
+lange nicht gesehen hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um
+die Schlacht zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu
+gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von
+Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des Brennus
+wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende,
+bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier, unzufrieden mit den ungebetenen
+Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel
+mit den Transalpinern; es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener
+Feldschlacht, und nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten
+erschlagen waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den
+Roemern in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den
+Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward
+vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede gewaehrt
+(518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den Wiederausbruch des
+Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser durch die Abtretung
+Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die richtige Politik der
+roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen so rasch und so vollstaendig
+wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor
+einer solchen roemischen Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes
+die Roemer beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
+Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste (522
+232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt gemacht hatten,
+sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit Rom um den Besitz der
+Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das
+ungeduldige Kelterwolk wieder einmal des Sitzens muede war und eine neue
+Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den
+Venetern hielten und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche
+italische Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern
+Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder
+vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu
+Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin zu
+(529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht versehen
+und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung der roemischen
+Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen Stammesgenossen
+geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange
+vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland
+ueberschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der
+Glaube, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom
+Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge
+so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde
+hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen
+und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine
+gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen. Daneben
+traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen Heeren, deren
+jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter
+Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei
+Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem
+zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom
+verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat
+zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von
+den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde
+auf seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr
+der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren,
+bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine
+Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten
+Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und
+Kriegsmaterial zusammengebracht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als &ldquo;die Kelten in den Alpen und an
+der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte)
+nenne&rdquo;, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich
+ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und
+erst die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die
+Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus &ldquo;Germanen&rdquo; zu machen.
+Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige
+Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste Erwaehnung
+dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die spaeter so genannten
+deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen keltischen Schwarm.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und
+wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den Apennin
+kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen des tuskischen
+Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei Clusium, drei
+Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in
+der Flanke erschien, waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der
+Ueberschreitung des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem
+Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich
+gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk
+ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse
+gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
+Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
+Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte sie, dass
+der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben
+darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk
+empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet
+und aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem
+Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel
+Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das
+konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der
+Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
+beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu vernichten,
+war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, zunaechst die
+betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen
+zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste
+und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt
+fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und,
+da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben
+Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
+Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) trafen sie
+auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der
+grossen Strasse vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus
+selber gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so
+bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem
+Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit
+vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
+Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und
+ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden
+Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte
+dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen
+des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische
+Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang.
+Die Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die verzweifelte
+Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die
+Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der
+roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere Staehlung der
+roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff
+der siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen
+entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei roemischen
+Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig
+Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld;
+Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod
+gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die Wiederholung
+solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der
+Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224)
+sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit
+war das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe
+kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in
+dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531 223);
+allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am anderen Ufer
+erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im Ruecken, in einer so
+gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um freien Abzug kapitulierte, den die
+Insubrer toerichterweise zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom
+Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
+Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es sich
+jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen Feldzeichen,
+&ldquo;die unbeweglichen&rdquo; genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot, 50000
+Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser war
+gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht dem Oglio),
+von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer den Beistand im
+Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die unsichere Freundschaft der
+Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen
+fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den
+Insubrern gegenueber, stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab,
+um von den unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur Heimat
+durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen Waffen und
+der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch;
+wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen Fehler gutgemacht.
+Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen
+den gerechten Beschluss des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern
+haetten die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte
+Unterwerfung, und so weit war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe
+der noerdlichen Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen
+Soeldnern derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im
+folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige
+einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei
+einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium
+(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der gallische
+Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer
+halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer
+entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der
+Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der
+Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig besiegt, und
+wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied
+zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie
+jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub
+zu wahren wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen
+inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie
+Griechenland zerrissen dastand.
+</p>
+
+<p>
+Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po entweder
+den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und venetische Gebiet, von
+abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die
+Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man
+verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens
+und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
+ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
+namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen mehr
+Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler den Roemern
+sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier kaum mehr als ein
+Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) scheint nicht viel mehr
+bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu
+vernichten und laengs der Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den
+Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen.
+Dagegen die Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung
+rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation
+nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen
+Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre
+Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. Die
+ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte Gebiet
+zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt, die ohne
+kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf
+diesem Wege ging man weiter, und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem
+Ackerbau nur nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende
+Bevoelkerung, wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse
+Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli
+nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium
+(514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der
+Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei
+Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von Fanum
+(Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den
+Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig
+beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu
+bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem rechten
+Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am
+linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der
+Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere
+Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches
+Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Hamilkar und Hannibal</h2>
+
+<p>
+Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen
+teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den
+Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der
+geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
+hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die saemtlichen
+Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer zu monopolisieren,
+sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher
+ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens
+Verlust fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem
+phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen
+sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen
+vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den
+Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man
+frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien,
+die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und wohlgemut zu
+leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens dies blieb?
+</p>
+
+<p>
+Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er forderte,
+zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom den
+Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte, jetzt
+von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des
+Feindes oder ein besonderer Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft
+verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen,
+dass dem Frieden die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die
+oeffentliche Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein,
+dass Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm
+genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
+Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, dass die
+Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden, den
+afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber doch zu vertilgen?
+</p>
+
+<p>
+Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen Waffenstillstand
+betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung fuer die unvermeidliche
+Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht
+einmal zunaechst, um das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine
+nicht von dem Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten.
+Allein wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
+unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
+entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich
+sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die
+politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken moechten,
+ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse der Geldesknechte,
+der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur Zeit zu gewinnen, nur in
+Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis
+hinauszuschieben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und
+eine Kriegspartei, die beide wie natuerlich sich anschlossen an den schon
+zwischen den Konservativen und den Reformisten bestehenden politischen
+Gegensatz: jene fand ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten
+und der Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
+diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, und in
+den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars
+Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten
+einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen
+schien. Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als
+der libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon
+erzaehlt worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige,
+alle Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
+angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems
+diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und endlich durch ihre und
+namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers Hanno militaerische Unfaehigkeit
+das Land an den Rand des Abgrundes gebracht worden war, ward der Held von der
+Eirkte, Hamilkar Barkas, in der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht,
+sie von den Folgen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando
+an und dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm
+den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimschickte,
+vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte der Regierung zum
+zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und trotz der Feinde wie trotz des
+Kollegen durch seinen Einfluss bei den Aufstaendischen, seine geschickte
+Behandlung der numidischen Scheichs, sein unvergleichliches Organisatoren- und
+Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen
+und das empoerte Afrika zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237).
+</p>
+
+<p>
+Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie
+um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und
+Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
+Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; anderseits
+zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom dabei
+einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der
+roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago
+unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser
+notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur Folge haben
+muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an der Zukunft des
+Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen
+Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es,
+ohne die Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das
+Vorrecht, aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung zu
+schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es
+blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten
+schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer
+gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen Reform ^1.
+Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man sich hinreichend
+ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll
+vergessen noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans
+Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess
+machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der
+Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der
+Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle dieses Missregiments
+haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago selbst schwerlich auf grosse
+Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf desto groessere in Rom, mit dem die
+regierenden Herren von Karthago schon in Verbindungen standen, die an
+Landesverrat grenzten. Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die
+hinzu, dass die Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten,
+ohne dass weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht
+darum gewahr wurden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet, sondern
+auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen Friedenspartei die
+der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in unsern zertruemmerten und
+getruebten Berichten - die wichtigsten sind Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp.
+4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen die Verhaeltnisse der Parteien deutlich
+genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die &ldquo;revolutionaere
+Verbindung&rdquo; (εταιρεία τών πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern
+beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen
+suchen, vielleicht auch finden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen
+Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und
+durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen Krieges
+an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, den
+ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf
+unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass er eine von den
+Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine verfassungswidrige
+monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er
+nur von der Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden
+durfte ^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der
+Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten
+oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem
+Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
+Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet
+deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und behandelte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die
+Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert
+bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago
+hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die
+Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst
+war im Binnenland die &ldquo;Stadt der hundert Tore&rdquo; Theveste (Tebessa)
+von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem
+neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher Bedeutung,
+dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in ihrem naechsten Kreise
+gewaehren liess, zu den darueber von der Volksversammlung getroffenen
+Beliebungen haette stillschweigen koennen, waehrend die Roemer die Tragweite
+derselben vielleicht nicht einmal erkannten.
+</p>
+
+<p>
+So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und im
+libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder keinen zum
+Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm ist vielleicht
+niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden.
+Das Heer sollte den Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische
+Buergerwehr hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht
+schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
+Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt,
+einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu
+bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere,
+aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse vertreten
+- Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige libyphoenikische
+Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus den libyschen
+Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar moeglich
+war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten puenktlich und reichlich den
+Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkuenfte in
+Karthago selbst zu viel noetigeren Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen
+den Feind fechtenden Heere, hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also
+dieser Krieg sich selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf
+dem Monte Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar
+war nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche
+und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende
+Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und mochten
+deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und
+durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In
+einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie
+das ueberall selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber
+Hamilkar fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren
+durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich
+sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige
+Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten. So
+genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu retten, zu
+erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der Verhassten seines
+Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und Schweigsamkeit die
+unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, den verachteten
+Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen
+Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen
+gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von
+innen, auf die Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich
+beide taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten
+zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig
+dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich
+schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er
+schien zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht
+vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der
+Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal
+hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen
+Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne Hasdrubal und
+Mago, die &ldquo;Loewenbrut&rdquo;, wie er sie nannte, im Feldlager auf als die
+Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses.
+</p>
+
+<p>
+Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des
+Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er schien einen
+Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das
+besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die
+Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm
+man, er sei bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
+gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts
+zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen
+Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen
+Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal aufstanden,
+trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu Paaren, dass auf
+lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhaengige Staemme sich
+bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im
+einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach
+Hamilkars Tode in Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen
+sie trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
+Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im
+allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den
+neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, bis
+er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand,
+wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann
+waehrend der naechsten acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und
+seiner Plaene, sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne
+des Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den
+Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der
+spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte,
+ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst
+begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. Die
+schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden phoenikisches
+Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an dem einzigen guten
+Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit
+des Gruenders praechtiger &ldquo;Koenigsburg&rdquo;; der Ackerbau bluehte auf
+und mehr noch die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen
+von Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill.
+Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden
+abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die
+Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische
+Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine
+Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht
+bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und fuer die
+Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte zugleich die
+Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen
+statt; die Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps;
+von den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man
+begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat
+und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte
+Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den tapferen
+Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen Reiterei ein
+brauchbares Fussvolk.
+</p>
+
+<p>
+Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft
+regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie
+noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien
+und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit
+seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es
+sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall,
+bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien durchzusetzen, und
+die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen
+musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere
+und den Poebel zu schelten.
+</p>
+
+<p>
+Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich
+eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der Untaetigkeit
+der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen
+der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die Hauptursache gewesen ist,
+weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst
+wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die
+Erklaerungen, mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um
+Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien
+entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die
+roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
+unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von Hamilkars
+Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den Handel der verlorenen
+Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt einen Angriffskrieg der
+Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens von Spanien aus, wie das
+sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, fuer
+schlechterdings unmoeglich. Dass unter der Friedenspartei in Karthago manche
+weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich
+sehr geneigt sein, ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die
+karthagischen Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde
+aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen;
+und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen
+mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die
+unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in
+Spanien die Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr
+denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat
+Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres
+jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
+halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder Saguntum
+(Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis, und indem sie den
+karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis setzten, wiesen sie ihn
+zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu ueberschreiten, was auch zugesagt ward.
+Es geschah dies keineswegs, um einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu
+hindern - den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln
+-, sondern teils um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die
+gefaehrlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den
+freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
+seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, dass eine
+Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer den
+bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit der Senat
+sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich
+groessere Nachteile, als dass man genoetigt werden koenne, einige Legionen nach
+Spanien zu senden, und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser
+versehen sein werde, als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest
+entschlossen, wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar
+nicht anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu
+beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den
+ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die Kriegserklaerung
+abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von dem Freunde und Feinde
+urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm gestorben seien, endlich in den
+letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass es nicht
+weise sei, mit der Erneuerung des Krieges noch lange zu zoegern, der sehr
+erklaerliche Wunsch, zuvor mit den Galliern im Potal fertig zu werden, da
+diese, mit der Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den
+Rom unternahm, benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften
+aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
+Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
+Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
+versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die spanischen
+Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich ist das Verhalten
+Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich leugnen, dass der
+roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat -
+Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen
+Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst
+mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine
+grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die
+Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind.
+</p>
+
+<p>
+So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
+Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine
+stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte Augenblick, die
+rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der Fuehrer. Der Mann, dessen
+Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg
+zur Rettung gebahnt hatte, war nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu
+betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der
+Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr,
+sich der Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir
+nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von Moerderhand
+gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heeres an
+seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger
+Mann - geboren 505 (249), also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er
+hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im
+entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des
+Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
+Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager gefolgt;
+bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Koerper machte aus
+ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter;
+sich den Schlaf zu versagen, griff ihn nicht an und Speise wusste er nach
+Soldatenart zu geniessen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen
+Jugend besass er die Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im
+Griechischen brachte er, wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung
+seines Vertrauten Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in
+dieser Sprache selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das
+Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
+tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er unter
+seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glaenzende
+persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich ausgezeichnet. Jetzt
+rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an
+ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager
+gelebt und gestorben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine
+Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen
+versucht: den Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich
+hasste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr,
+dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben.
+Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben,
+sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von schlechten
+Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld
+seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des
+Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber ihn
+nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach dem damaligen
+Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass
+er wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft
+miteinander zu vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die
+erfinderische Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen
+Charakters bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte
+und Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der Gegner
+studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage ohnegleichen - er
+hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er von den Vornahmen des
+Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man haeufig in Verkleidungen und mit
+falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie
+zeugt jedes Blatt der Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner
+staatsmaennischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine
+Reform der karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss
+bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der
+oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass, beweist
+seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer,
+das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein
+grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller.
+</p>
+
+<p>
+Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den Beginn
+des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland noch in Gaerung
+war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der Tuer schien, ungesaeumt
+loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die
+Roemer ihn begannen, wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein
+Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
+gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als Lust, die
+Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des patriotischer
+Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen als der Platz des
+Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die
+Oberhand und verfolgte die Fuehrer der Kriegspartei mit politischen Prozessen.
+Sie, die schon Hamilkars Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war
+keineswegs gemeint, den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien
+befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und
+Hannibal scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit
+gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner
+zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu
+fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun diese
+durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein die
+Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien, um in
+Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass Hannibal
+schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon
+traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig
+mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die
+Gruendung der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den
+Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom sich an,
+im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar;
+Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die
+Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
+darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im Fruehjahr
+535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg
+gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen
+nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle
+&ldquo;angesehenen Maenner&rdquo;, heisst es, missbilligten den &ldquo;ohne
+Auftrag&rdquo; geschehenen Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von
+Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die
+naehere Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass
+man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan,
+zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein bestimmtes
+Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu nichts zu
+entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch fuehren zu lassen.
+Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte sich zu verteidigen
+verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen Teil der Energie ihrer
+Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung
+Sagunts mit dem elenden illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten
+sie, Herren der See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des
+zugesagten und nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine
+andere Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
+erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte, ward der
+Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon bisher nichts
+gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede Versoehnung mit Rom ab. Als
+daher nach der Zerstoerung Sagunts eine roemische Gesandtschaft in Karthago
+erschien und die Auslieferung des Feldherrn und der im Lager anwesenden
+Gerusiasten forderte, und als der roemische Sprecher, die versuchte
+Rechtfertigung unterbrechend, die Diskussion abschnitt und, sein Gewand
+zusammenfassend, sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die
+Gerusia waehlen moege, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass
+man es ankommen lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot,
+nahm man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
+Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den Winter
+535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, um alles teils
+zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von Spanien und Afrika; denn
+da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten
+fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen.
+Die gesamte Masse seiner Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss,
+16000 zu Pferd; ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte
+Fuenfdecker ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen.
+Mit Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
+karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser einigen
+phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen
+karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letzteren sich zu
+versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens,
+allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen Winters; den Libyern versprach der
+Feldherr, der den engherzigen phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte,
+eidlich das karthagische Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika
+zurueckkehren wuerden. Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die
+italische Expedition bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere
+Teil nach der Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere
+an die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann
+zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten,
+ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment
+uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar
+karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die Hauptstadt
+im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien, wo neue
+Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen, fuer jetzt eine
+maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker
+Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort
+zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen
+zwischen Spanien und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und
+Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue
+der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der
+spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer
+Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach Spanien,
+die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach Karthago kamen. So war
+fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte
+von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord
+nach der italischen Westkueste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25
+Segeln womoeglich sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass
+von Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit der
+Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne Zweifel
+schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender Angriff auf Rom
+war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom
+seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch
+Karthago sich nicht von vornherein entweder auf ein sekundaeres
+Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung
+beschraenken - die Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche
+Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die Halbinsel
+zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein
+verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische Expedition mit
+strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren Operationsbasis, als
+Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte
+Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer beherrschte. Aber
+ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgendein
+haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der
+hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu
+erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin
+zusammenbrechen werde; zwischen dem roemischen Festungsnetz und der
+festgeschlossenen Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel
+erdrueckt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was
+fuer Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
+ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden
+Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, um die
+eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs- und Chausseenkette
+legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in
+seinen Reihen zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als
+Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege
+mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig
+machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme
+bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Roemer
+sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben
+in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das
+durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte,
+stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das
+roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern
+vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser
+hatte den Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war,
+die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
+gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach
+Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet gewesen, zeigt die
+karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer grossen Verwunderung im
+Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
+</p>
+
+<p>
+Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab;
+denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit Massalia eine
+Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat die Folge bewiesen. In
+unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage genuegend zu entscheiden, nicht
+wenige Faktoren, auf die es ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung
+ergaenzen lassen. Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm
+unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des
+Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die
+unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer
+anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge
+haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel
+geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette
+der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf
+der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und
+Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten.
+</p>
+
+<p>
+So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem
+Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und
+12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier -
+die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu
+imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie
+das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
+Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
+zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie die des
+feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu
+bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena
+auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den
+Kelten angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess
+er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militaerischen
+Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere
+Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite
+folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die
+Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren
+Heimat, das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und
+seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen
+aller.
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in festgegruendeten
+und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte, wusste man wohl;
+es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten Zeit. Laengst
+haette man Herr der Alpentore und mit den Kelten fertig sein koennen; noch
+waren diese furchtbar und jene offen. Man haette mit Karthago entweder
+Freundschaft haben koennen, wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich
+einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen
+sein; jener Friede ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen
+und Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert
+regenerieren. Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen
+Gewinn hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die
+Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben;
+ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der Krieg, zu
+dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und im wohlbegruendeten
+Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang
+der naechsten Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer
+Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig
+minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel
+der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220
+Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr,
+hatte keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende
+entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden
+Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg
+eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere Wendung der
+Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige Landung in Spanien in
+den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den
+Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch
+Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war,
+vor allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel;
+allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht
+Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte Rom zur
+Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das Land zwischen dem
+Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften nicht bloss die
+natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern auch von roemischen
+Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen schleunigen Beistandes
+empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel
+weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten
+foermlichen Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen,
+konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
+</p>
+
+<p>
+Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte fuer
+den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul Publius Cornelius
+Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, und als am Po ein
+Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung bereitstehende Heer dort
+verwenden und bildete fuer die spanische Expedition neue Legionen. So fand
+Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen;
+mit diesen ward er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch
+kostbarer war als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner
+Armee in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass
+durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal
+aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung
+selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug
+nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt haben
+muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet worden.
+Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches
+&ldquo;Koenigreich&rdquo; aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu
+werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung
+Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur Besetzung des
+neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen zurueckliess,
+beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm den Besitz Spaniens
+streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt haben wuerde, sich demselben zu
+entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus
+Spanien auch nur um einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der
+Winter die Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische
+Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab.
+</p>
+
+<p>
+An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen in die
+Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den
+Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefuehl steuern sollte,
+dass sein Unternehmen eines von denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit
+einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten,
+ward das Gebirg ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg
+ueber Narbonne und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils
+die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils die
+Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon gegenueber an die
+Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher Widerstand zu warten. Der
+Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte
+(etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spaet komme und
+Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenaeen passiert habe.
+Auf diese Nachrichten, welche zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel
+Hannibals aufgeklaert zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische
+Expedition vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
+keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
+Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an der
+Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den Einmarsch in
+Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand gegenueber dem Punkte, wo
+er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der keltische Landsturm, waehrend der
+Konsul selbst mit seinem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in
+Massalia selbst vier Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten
+des gallischen Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das
+Heer mit der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
+bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass nicht
+einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den zahlreichen
+Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem Preise aufgekauft und
+was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen gezimmert; und in der Tat
+konnte die ganze zahlreiche Armee an einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend
+dies geschah, marschierte eine starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in
+Gewaltmaerschen stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb
+Avignon gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier
+ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um
+dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
+Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages nach der
+Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen die
+Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer auf, fuer
+Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier,
+sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen
+eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht
+und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu
+wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht.
+</p>
+
+<p>
+Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die geeignete
+Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal durch die dringenden
+Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren
+Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
+zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits
+die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die
+allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem
+sie in der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu koennen,
+einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das
+erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -,
+machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu
+erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen
+Avignon auf; allein als er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des
+Uebergangs der Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit
+drei Tagen abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit
+ermuedeten Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die
+&ldquo;feige Flucht&rdquo; des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum
+drittenmal durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
+Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten Fehler
+vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne irgendeine
+Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer einige Tage zuvor
+geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel, den Fehler
+wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal diesseits der Rhone
+im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern, dass er an die Alpen
+gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste Kunde hin mit seinem ganzen
+Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen war ueber Genua der Po zu erreichen
+- und mit seinem Korps die schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte
+er wenigstens dort dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht
+bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es
+fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die
+militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden gemaess zu
+veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder Gnaeus nach
+Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach Pisae.
+</p>
+
+<p>
+Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
+Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt und den
+aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch den Dolmetsch
+hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen ungehindert seinen Marsch
+nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben er waehlte, darueber konnte weder
+die Kuerze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden,
+wenngleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den
+Weg musste er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die
+Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel,
+sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen konnte - denn obwohl Hannibal
+Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel auf Saumtieren sich nachzufuehren, so
+konnten bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann
+zaehlte, diese doch notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von
+dem Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn
+sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten
+in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenuebergaenge:
+der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in das Gebiet der Tauriner
+(ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der ueber die Graische (Kleiner
+St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist
+der kuerzere; allein von da an, wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den
+unwegsamen und unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen
+Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens
+sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier
+angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen Provinz eine
+kuerzere Verbindung herzustellen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse
+geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische
+Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und
+Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die
+erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er
+sich in dem Tale der oberen Isère, das von Grenoble ueber Chambéry bis hart an
+den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht
+und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist.
+Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen
+Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; obwohl
+dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815
+ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss
+ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die
+grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die
+karthagische Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches
+Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm
+verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard
+wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet
+der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in
+Fehde lagen.
+</p>
+
+<p>
+So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf gegen das
+Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf dem naechsten
+Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von Valence nach Grenoble,
+sondern durch die &ldquo;Insel&rdquo; der Allobrogen, die reiche und damals
+schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone,
+suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies
+wieder deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes
+Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst fruchtbar ist
+und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch
+an der Rhone in und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in
+sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst
+wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen
+Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu
+verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene
+das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
+Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste
+Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger
+gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, waere fast
+der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte den Pass stark
+besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen Ueberfall zu vermeiden, und
+lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Haeuser der
+naechsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So war
+die Hoehe gewonnen; allein auf dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe
+nach dem See von Bourget hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und
+die Pferde. Die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die
+marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in
+Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit
+seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese
+zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, allein die
+Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch den Laerm des
+Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal
+sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und
+zugleich seinen Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu
+ersetzen. Nach einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee
+an der Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund
+durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage
+eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich
+das Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu
+sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans)
+mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie
+durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar
+am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch
+ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel
+des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils
+im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links den Pass einschliessenden
+Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein
+Hannibal, dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts
+gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche
+Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die
+Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten Fussvolk; die
+Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er nicht verhindern konnte,
+dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch
+geschleuderte oder herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten.
+An dem &ldquo;weissen Stein&rdquo; (noch jetzt la roche blanche), einem hohen,
+am Fusse des Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben
+beherrschenden Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der
+die ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu
+decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am
+folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die sich um
+einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2½
+Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die Entmutigung hatte
+angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu bemaechtigen. Die immer
+schwieriger werdenden Wege, die zu Ende gehenden Vorraete, die Defileenmaersche
+unter bestaendigen Angriffen des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten
+Reihen, die hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der
+Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende
+Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu wirken.
+Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich; zahlreiche
+Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier waren nah, die
+Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den
+absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu
+dem letzten und schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden
+ward das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte
+Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das
+Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf
+dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der frischgefallene
+Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen
+und Tiere und stuerzten in die Abgruende; ja gegen das Ende des ersten
+Tagemarsches gelangte man an eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf
+welche von den steil darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen
+hinabstuerzen und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das
+Fussvolk kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
+Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees sich
+hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den Elefanten
+nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag
+bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg fuer Pferde und
+Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger
+Abloesung der Haende konnten endlich die halbverhungerten Elefanten
+hinuebergefuehrt werden. So war nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee
+wieder vereinigt und nach einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer
+breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die
+Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre
+Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die
+Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern einquartiert
+wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige Rast von den
+beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die Roemer, wie sie es
+konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei
+Turin gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so haette es misslich
+ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glueck fuer ihn waren sie wieder
+einmal nicht, wo sie sein sollten, und stoerten die feindlichen Truppen nicht
+in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften ^4.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
+Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als geloest
+gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren Wickham und
+Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten,
+moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen.
+</p>
+
+<p>
+Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, &ldquo;fingen die Spitzen
+schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken&rdquo; (Polyb. 3, 54); auf dem Wege
+lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht frisch
+gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem Bernhard
+beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August
+die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden sie fast gar keinen
+Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die Bergabhaenge davon bedeckt.
+Hiernach scheint Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein;
+womit auch wohl vereinbar ist, dass er dort eintraf, &ldquo;als schon der
+Winter herannahte&rdquo; - denn mehr ist ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν
+(Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden
+(etwa 26. Oktober); vgl. C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831.
+Bd. 1, S. 241.
+</p>
+
+<p>
+Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist auch
+Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende Dezember (περί
+χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die
+Translokation des nach Afrika bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia.
+Es passt dazu ferner, dass in einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν
+(Polyb. 3, 34), also gegen Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht
+ward und der Marsch fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte.
+Wenn also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
+der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August eingetroffen,
+wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. 3, 41), also
+spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich sehr verweilt oder in
+Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit gesessen haben muss.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den
+9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
+Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der Gefechte,
+der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal zaehlte nach seiner
+eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - davon drei Fuenftel Libyer,
+zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil wohl demontierte Reiter, deren
+verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht minder fuer die Trefflichkeit der
+numidischen Kavallerie spricht wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der
+der Feldherr diese ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien
+oder etwa 33 maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch
+keinen besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
+nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler des
+Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer kostete, sondern
+die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie einer laengeren Rast
+bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine militaerische Operation von
+zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage gestellt werden, ob Hannibal sie
+selber als gelungen betrachtete. Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen
+Tadel des Feldherrn knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten
+Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie
+vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob
+ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder
+Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde.
+Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf
+jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr
+durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn,
+Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt
+zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und
+Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und grossartiger war als die von York und
+Bluecher, so hat auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte
+Glied der grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die
+Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am
+Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae</h2>
+
+<p>
+Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem
+Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt.
+Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort
+schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich.
+Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach
+Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische
+Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach
+Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm
+zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen
+aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu
+ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren
+gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen
+Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika
+ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien
+operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und
+dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln
+vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Kueste
+brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an
+der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl
+des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat
+zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an Zahl
+gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man
+hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein
+roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der
+karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden
+roemischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten
+erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen
+Lande hatten schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten
+Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort
+anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
+ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius
+Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner
+einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in
+den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig,
+als sich auf einem Huegel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls
+belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor
+Lucius Atilius Heer und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand
+fuer den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
+einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals
+Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal
+nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps,
+dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte
+genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die
+Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im
+August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien
+zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne
+Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
+Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer Vorposten;
+Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner,
+die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger Belagerung zu erstuermen und
+alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Buendnis zu
+bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen
+hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit
+einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das
+Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich
+regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
+ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, waehrend
+Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, um den
+Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der
+Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit dem leichten
+Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu
+gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in
+Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes
+an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt
+war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend
+diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte
+numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen
+Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken und
+den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr
+betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr
+gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur
+der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde
+hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb.
+Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff
+den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der
+Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter
+den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
+Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der
+roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes
+militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan
+seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend
+Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch
+entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit
+verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab,
+wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
+Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der
+obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt
+werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte
+und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat.
+Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die
+Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs
+neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen
+und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
+Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem
+Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser
+starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den
+Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit
+nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von
+Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee
+abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller
+gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht
+abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe
+genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte
+die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen
+durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar
+dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das
+mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten
+durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen
+und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige
+Aufgabe vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an
+40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an
+Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand,
+um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den
+Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein
+Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen
+Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war
+es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem
+Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius
+Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte
+und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und
+versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen
+keltischen Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht
+sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen.
+Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet,
+zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten
+Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich
+langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene
+Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die
+roemische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner
+zur Schlacht geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das
+Gros der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und
+durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen;
+die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die
+leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das
+Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich
+verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die Reiterei, welche die
+Elefanten von vorn bedraengten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter
+links und rechts ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich
+seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten
+Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die
+Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den
+Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu
+kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu
+bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann
+zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, Hannibals
+juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der roemischen Armee und
+hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Fluegel der Armee und die
+letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest
+und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng
+zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde
+sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den
+gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also,
+nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse ward zum groessten Teil
+bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von den Elefanten und den
+leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und
+einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu
+gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da
+gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr
+Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
+gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht
+vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
+Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich
+einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu
+stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen
+Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und
+nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten
+Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Polybios&rsquo; Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen
+klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den
+Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das
+roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten
+worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die
+roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die
+Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die
+aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps
+sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss
+ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia
+bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere
+Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung
+angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass
+hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer
+von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die
+erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also,
+Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt,
+dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6),
+ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.
+</p>
+
+<p>
+Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische Lager
+auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist
+neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert
+werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch
+Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale
+Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte.
+Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
+Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren
+auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul
+Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp
+der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in
+der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte,
+bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher
+Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch
+Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische
+Positionen den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den
+gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000
+Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.
+</p>
+
+<p>
+Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine ausserordentlichen
+Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der
+verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser
+den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den
+Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln
+Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um
+die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
+verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den
+beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und von denen die
+westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte; jene
+besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen
+aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten
+den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpaesse zu
+besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa
+bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die
+Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die
+Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der
+Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er
+wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen
+roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu erreichen sei,
+sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag
+klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und
+unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das
+schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische
+Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln
+ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische
+Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und
+der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen
+erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
+ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel
+des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu
+fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen,
+sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen
+Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war
+notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die
+Waagschale zu werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins
+Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen
+deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel
+war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige
+Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand
+und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern
+ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen Feldherren. Dass Hannibal
+selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie hierueber getaeuscht hat, ist
+bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten Schlachten.
+</p>
+
+<p>
+Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht
+bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene
+Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den
+Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen
+sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten
+- dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die
+Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark
+uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne
+Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien
+Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte
+Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten
+der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat
+bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch
+die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der
+etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur
+Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie
+es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang
+ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde,
+ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen
+zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die
+Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu
+marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen
+Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen
+Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische
+Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen
+marschierte; es murrte laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn
+nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die
+Flucht unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche
+ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal
+selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward
+erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei
+Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die
+roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der
+vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu verteidigen, aber
+sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts
+Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig
+gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein
+politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu
+beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner
+Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert,
+durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian
+fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, berauscht
+zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem
+bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee
+behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer
+von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige
+Soldaten oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und
+seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius
+Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein
+schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat
+verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von
+unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der
+Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum
+Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen,
+marschierte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern
+gruendlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher
+brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich musste
+auspluendern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern
+versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den
+Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen,
+mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln
+und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
+ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des
+Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen
+Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau
+unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein
+Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwaenden,
+das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See schloss. Mit
+dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die
+Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die
+roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg
+ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
+Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die
+Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes und auf den
+Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel ueberall phoenikische
+Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des
+Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der
+Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten,
+darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der
+roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das
+feindliche Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der
+Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer,
+marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem
+Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt
+und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal
+verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer waren
+gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der
+geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier
+^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am
+Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius
+Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend,
+vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen
+Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
+verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man
+sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und ernannte
+den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und
+die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich
+wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und
+die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand
+gesetzt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach
+dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
+nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
+niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon
+in dieser Zeit in Rom sehr arg.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom;
+auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee
+mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und
+vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah
+wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren
+Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte
+entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und
+machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem
+Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier
+hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen
+Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in
+roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen
+Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange
+unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
+Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich
+wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er
+auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien
+hinein.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich
+jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die
+Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter
+Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des
+feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein
+militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den
+unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein
+seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern,
+erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten
+Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten,
+kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in
+militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen
+Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert.
+Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige
+italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer
+viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
+es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen,
+ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog
+die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen,
+und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi
+marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen
+Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus
+Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die
+nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der
+guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des
+Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und
+Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius
+Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die
+Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
+um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden
+Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten
+Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das
+roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten
+werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht
+zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen
+Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
+richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
+feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den
+Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an
+der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das
+als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und
+die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen
+Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen
+angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen
+liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich
+wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend
+dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte
+seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand
+zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen
+pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich
+eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte
+Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten,
+sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem
+linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die
+kroenenden Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von
+4000 Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein
+Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der
+Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit
+angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als
+zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab.
+Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere
+Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben
+Anhoehen; auf der dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros
+seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne
+Muehe und mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
+und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
+nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
+Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne
+Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller
+Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen
+sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber
+nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig
+blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er
+die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von
+den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache
+nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von
+seiner ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er
+hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von
+Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres
+taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit
+dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu
+decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in
+Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die
+Gelegenheit geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager
+im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die
+Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres
+hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen
+einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden,
+die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte,
+sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die
+begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der
+Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es
+war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem
+Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein
+seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete,
+unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien
+ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten
+Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
+Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden,
+und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine
+Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff gab. Es
+war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen
+Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe
+so fuehlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache
+Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und
+ihrer eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische
+Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser
+Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen
+Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls
+dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen
+entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig ehrenvolle Aufgabe, die
+sein Feldherr, &ldquo;Hannibals Lakai&rdquo;, ihm zuwies, und verlangte mit
+lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es kam zu den heftigsten
+Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann;
+seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius
+Varro, bemaechtigten sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der
+Diktator tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das
+Palladium der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen
+Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
+sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in
+Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in
+gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn
+Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die roemische Armee, nachdem ihre
+gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig
+beseitigt worden war, nicht bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze
+der beiden Haelften Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu
+entgegengesetzte Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr
+als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen
+Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit
+geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier sein
+Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps groesseres
+Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des
+passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in
+diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden
+konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stuermische
+noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war,
+wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollstaendig
+gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde
+vorueberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege
+seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass der
+Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium
+dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us)
+C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden
+worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die
+roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus und
+die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug anboten - die
+letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen italischen
+Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, wurden mit Dank
+abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, dass sie nicht saeumen
+moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den Koenig von
+Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die
+Majoritaet des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten
+Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen,
+von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden
+Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren
+Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache
+darauf, dass man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen
+gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer
+aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein
+Fuenftel ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl
+Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken.
+Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal
+bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat
+zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur darauf an,
+auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des
+Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten
+die Diktatur und ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke
+ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat
+den Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
+Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
+angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege
+machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den
+Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg
+verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure Majoritaet der Buerger gab ihm zum
+Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen
+Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich
+als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und
+den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe
+Unverschaemtheit.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen wurden,
+hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es
+gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den
+Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der
+Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den
+Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die
+canusinische Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin
+gedient hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des
+Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus
+Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln
+kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewusst;
+aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es immer notwendiger,
+den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem
+bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen
+Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien
+ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der
+Italiker, die sie heranfuehrten, stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu
+Fuss, halb Buerger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel
+Buerger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000
+Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts
+mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten
+Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld
+ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil
+die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und
+auf eine Reihe von Festungen gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen
+Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der
+roemischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu
+schlagen und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die
+einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher,
+zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug
+und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu
+noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus
+schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am
+linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem
+Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht
+auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu
+kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem
+linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem
+demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es war so
+viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu stehen,
+sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo
+und wie man ihn eben fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte
+wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag
+um Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der
+Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der
+ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch
+er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen Streitkraefte auf
+dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae
+Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine
+Abteilung von 10000 Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem
+Auftrag, das karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem
+feindlichen Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der
+roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem
+unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser
+Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden
+Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager westlich von Cannae sich
+in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und ueberschritt gleichfalls den
+Strom, an den der rechte roemische wie der linke karthagische Fluegel sich
+lehnten. Die roemische Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der
+Buergerwehr auf dem rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere
+bundesgenoessische auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im
+Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem
+Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
+Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die keltischen
+und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die vorgeschobene Mitte,
+die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten die zurueckgenommenen Fluegel
+bildeten. An der Flussseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter
+Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen
+Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze
+Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
+Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne
+Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen
+zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollstaendig; eilig
+draengten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile
+hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck sich gegen die Roemer gewandt.
+Hannibal hatte den linken Reiterfluegel der Feinde bloss beschaeftigen lassen,
+um Hasdrubal mit der ganzen regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten
+zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die
+roemischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss
+hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
+Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese
+hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu
+verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die
+keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie
+von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten
+heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen
+die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam
+und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht
+mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit
+dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und
+geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des
+Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend
+beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal,
+die Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum
+drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu
+fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier
+ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so
+vollstaendig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld
+selbst vernichtet worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht
+ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der
+erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in der
+Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul
+Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der
+Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus
+Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er
+ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark,
+ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen
+Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem
+Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben
+die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem
+Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von
+den Galliern gaenzlich vernichtet.
+</p>
+
+<p>
+Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Kombination
+zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen
+Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der
+ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit
+der die Kraefte des Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um
+der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die
+die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne
+und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus Scipio
+ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war dieser nach
+Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen den Pyrenaeen und
+dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemaechtigt (536
+218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der
+Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der
+tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen
+war, sogar den Ebro ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar
+hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstaerkungen
+erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemaess eine Armee
+ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen verlegten ihm den
+Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit,
+wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die maechtige Voelkerschaft der
+Keltiberer und zahlreiche andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich
+zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
+zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien aus
+fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten.
+</p>
+
+<p>
+Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel
+geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten die
+Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor einer
+roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte
+nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines
+Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische
+Heer sich selbst genuege, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal
+empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen
+Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen
+allmaehlich leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen
+fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae
+selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat
+beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und Mannschaft,
+teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40
+Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg
+energisch zu betreiben.
+</p>
+
+<p>
+Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war
+anfangs durch Antigonos&rsquo; ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers
+Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen
+unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) verzoegert worden. Erst
+jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei
+Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien
+abzutreten - sie massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst
+jetzt schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine
+Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe
+der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.
+</p>
+
+<p>
+In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit
+Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch
+den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom
+namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein Zweifel,
+dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst ungern sah;
+aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit
+wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der
+Tod den alten Mann nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und
+Nachfolger des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich
+sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
+machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze,
+dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmaessig
+zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess mit der karthagischen
+Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich
+vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem
+zweiten, bei den aegatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun
+gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur
+Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen
+Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste.
+</p>
+
+<p>
+Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der
+roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stoesse
+zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. Es traten auf
+Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die
+roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die
+saemtlichen Staedte der Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der
+Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner
+groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die
+Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua,
+die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld
+zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella und
+Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das roemische
+Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem
+Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die
+hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von
+diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen der
+Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einruecken der
+Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach
+Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu
+liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben
+den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen
+hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die
+roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr
+entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker selbst und deren neue
+lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhaenglichkeit an Rom, das
+jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen
+die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden
+die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff;
+dasselbe taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
+Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den
+vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur Kapitulation
+gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf brettische Kolonisten
+jene wichtige Seestation besetzten. Dass die sueditalischen Latiner, wie
+Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschuettert mit Rom hielten,
+versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im
+fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn
+verfehdet; traf es doch sie zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und
+jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt
+dies von ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
+latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als Genosse der
+Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat
+unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht ein roemischer Buerger, nicht
+eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses
+Grundwerk der roemischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein
+um Stein zertruemmert werden.
+</p>
+
+<p>
+Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der Soldaten und
+Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der
+kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte
+Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss
+einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft
+selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt
+zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht
+moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege
+fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden
+zu lassen. Da eine gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt
+ausfuehrbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette
+zunaechst der einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die
+tatsaechliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und
+Verlaengerung des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die
+formelle Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
+auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege
+sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem
+aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen
+Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, dass die Vornehmen
+mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf das &ldquo;Volk&rdquo;
+Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Koehlerglaubens, die Gaius
+Flaminius und Gaius Varro, beide &ldquo;neue Maenner&rdquo; und Volksfreunde
+vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der
+Menge auf dem Markt entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge
+beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen
+See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt
+besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die
+Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich
+widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste jener
+beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand gab,
+gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus
+Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch
+er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive
+vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der
+Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag,
+um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich,
+dass das wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der
+Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den
+Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht.
+Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius
+noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den
+Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und
+Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit
+Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was
+schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller an sich
+gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergaengliche Ehre des
+roemischen Senats. Als Varro - allein von allen Generalen, die in der Schlacht
+kommandiert hatten - nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis
+an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des
+Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit
+grossen Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
+Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten.
+Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das
+demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die
+Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen zaeher Mut in diesem
+entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt hat als all seine
+Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran
+und gaben den Buergern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurueck. Der
+Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, waehrend die Boten von allen
+Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der
+Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um
+Verstaerkung zu begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien
+preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge
+an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen,
+die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit der
+Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht
+allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass
+fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich
+gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius
+und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere
+verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen
+Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere
+Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des
+Vaterlandes ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit
+einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa
+zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem
+und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr
+ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in den
+gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt
+gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, uebernahm den
+Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige
+Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der
+gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die
+ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die
+Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate
+angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten
+Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in
+Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten
+forderten, aus den Latinern, sondern aus den naechstberechtigten roemischen
+Buergern. Hannibal bot die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen
+Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der
+Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht
+scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen
+sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es
+musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer ihn wie
+fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama</h2>
+
+<p>
+Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen
+Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht, soweit
+es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die latinischen oder
+latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den Tag von Cannae nicht
+irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem Schreck, sondern nur der Gewalt
+weichen wuerden, lag am Tage, und der verzweifelte Mut, mit dem selbst in
+Sueditalien einzelne kleine und rettungslos verlorene Landstaedte, wie das
+brettische Petelia, gegen den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was
+seiner bei den Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf
+diesem Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen,
+so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe
+auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer
+Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal das
+Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die Waffen zu
+rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten
+war, und meinten toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen
+Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht mehr,
+was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der
+sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische
+Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch
+die vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt - nur
+maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten Hass
+beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der herrschenden
+Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem
+Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht
+mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des italischen
+mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern Kleinmut warf die
+sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte
+in Italien der Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel
+beherrschte bis hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften
+nicht wie das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt
+gleichfalls eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und,
+um die gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und
+die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die
+schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine
+Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen Zuzuege zu
+rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er andere Gegner sich
+gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt, gingen die Roemer ueber zu
+einem verstaendigeren System der Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere
+an die Spitze ihrer Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf
+laengere Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
+Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den Gegner, wo
+sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen Zauderei und
+Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten Lagern, unter den Mauern
+der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da an, wo der Sieg zu Resultaten,
+die Niederlage nicht zur Vernichtung fuehrte. Die Seele dieser neuen
+Kriegfuehrung war Marcus Claudius Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach
+dem unheilvollen Tag von Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und
+krieggewohnten Mann die Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen
+Oberbefehl uebertragen. Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen
+Hamilkar seine Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten
+sein Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt. Obwohl
+ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten Soldatenfeuer und
+hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den feindlichen Feldherrn vom Pferde
+gehauen - der erste und einzige roemische Konsul, dem eine solche Waffentat
+gelang. Sein Leben war den beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden
+Doppeltempel am Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und
+wenn die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
+einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und vorzugsweise
+dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem gemeinsamen Bau
+mehr geschafft als Marcus Marcellus.
+</p>
+
+<p>
+Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom
+besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er
+mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen
+koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem
+Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die
+Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist
+unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der
+Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus nicht
+zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus&rsquo;
+erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der Schlacht bei Cannae;
+und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein
+konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder
+auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche leeren
+Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu
+verlieren mit der Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den
+Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die
+Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken diese
+zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte
+hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu
+koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine
+grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer
+erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo
+nur eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen gebliebenen
+Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den zwei cannensischen
+Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und
+Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der
+Diktator Marcus Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam
+nachfolgte, bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu
+retten. Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen
+Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert,
+und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine
+Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen groesseren
+Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der Kampf zwischen der
+Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an die Karthager oder an die
+Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die Oberhand gewinne, ging Marcellus
+bei Caiatia ueber den Fluss und, an den Hoehen von Suessula hin um die
+feindliche Armee herum marschierend, erreichte er Nola frueh genug, um es gegen
+die aeusseren und die inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug
+er Hannibal selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste
+Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war
+als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria,
+Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich
+hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von
+Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten
+hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht
+schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer
+Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden. Der
+Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und Hannibal in
+Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter
+Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215)
+erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus
+Marcellus und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug
+als Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus
+Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln,
+an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und
+Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt, Maximus am
+rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend, Gracchus an der Kueste,
+wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche
+nach Hamae, drei Miglien von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu
+ueberrumpeln, wurden von Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um
+die Scharte auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht
+den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert
+ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht
+bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und andere
+kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals oestlichen
+Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem Praetor Marcus
+Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in Gemeinschaft mit der
+roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen der Makedonier zu
+beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufstaendigen
+Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen. Um diesen Luft zu machen,
+wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus;
+allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden
+Sieg ueber die phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder
+ausgewetzt zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien
+endlich zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
+Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere in
+Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff auf Capua
+ueberzugehen.
+</p>
+
+<p>
+Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer
+deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche, jenes fast
+abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im wesentlichen
+seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere
+Unternehmungen durch die unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast
+unmoeglich gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war
+schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht
+verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung
+der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen
+Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei
+dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Hoefen von
+Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle
+Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind;
+wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von
+Westen, Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren,
+was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das
+Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende
+Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege fast
+unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden
+kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so
+nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich gewesen
+waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke bei Lokri oder
+Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen von Syrakus den
+Karthagern offenstand und durch Makedonien die brundisinische Flotte in Schach
+gehalten ward, beweist die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die
+Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr
+noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen
+war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt
+hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war,
+den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen, und die
+in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der Buergerschaft treue Verbuendete
+fand, die Bitten des Feldherrn um nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der
+halb einfaeltigen, halb tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche,
+wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische
+Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen
+Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen
+koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der
+Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen.
+</p>
+
+<p>
+Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die
+Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus angeknuepften
+Verbindungen und auf Philippos&rsquo; Intervention. Es kam alles darauf an, von
+Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen Rom auf den
+italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen oder zu hindern,
+sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind
+alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher
+angeschlagen. Fuer die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren
+eigentliche Aufgabe ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische
+Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung
+zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese
+Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich
+entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur
+Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der italische
+Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest sich auf in
+Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts entscheiden. Allein
+Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker ueberhaupt die Offensive
+festhalten, stets das Ziel der Operationen, und alle Anstrengung wie alles
+Interesse knuepft sich daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien
+aufzuheben oder zu verewigen.
+</p>
+
+<p>
+Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die
+Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte, so
+konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war Hasdrubals
+Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich, dass die Leistungen
+von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische Sieg die karthagische
+Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden,
+ohne dass doch die Lage der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die
+Scipionen verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom
+Ebro an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
+karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege. In
+Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die Karthager
+hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen, die als
+Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit gewesen waere.
+Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen Heer nach Sardinien
+gesendet ward, vernichtete die karthagische Landungsarmee vollstaendig und
+sicherte den Roemern aufs neue den unbestrittenen Besitz der Insel (539 215).
+Die nach Sizilien geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und
+Osten der Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos,
+welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen
+Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation des
+Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal gesendeten Boten
+auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So
+unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer
+gewannen Zeit, die wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann
+auch mit dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten
+Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in
+Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen
+und Stocken kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen,
+was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette.
+Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie ueberall in
+Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie
+fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige
+Patriotismus, den der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht
+unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte, waren,
+sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung
+der verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden,
+dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen
+waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch
+der besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr
+vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf saemtlichen
+Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen.
+</p>
+
+<p>
+Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in
+Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb
+zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen
+Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel eben aus
+diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich annahm. Nachdem
+Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob
+die Buergerschaft bei der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn
+irgend eine Stadt, so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg
+der Karthager ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft
+ueber ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von
+Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben
+konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten
+der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke zwischen
+Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu bringen, und jetzt
+fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach
+Sizilien gesandt hatten, zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt,
+durch rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen
+zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach
+Hieronymos&rsquo; Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten
+Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den
+erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden
+Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals
+gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche
+zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf; masslos
+uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben
+wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte,
+erweckten auch in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht
+zu spaet sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den
+Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens
+durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der
+Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der
+Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates und
+Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul nichts uebrig,
+als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte Leitung der Verteidigung,
+wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur
+Archimedes sich besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher
+Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln.
+Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten die
+Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der abermaligen
+Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes Landheer unter Himilko
+nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und
+sofort die wichtige Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen,
+rueckte der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus;
+Marcellus&rsquo; Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden
+feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger
+Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der
+Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als die
+feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer auf der Insel
+verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls verdaechtigen
+Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung daselbst, den groessten
+Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212)
+gelang es den Belagerern von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen
+von den Wachen verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen
+und in die Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen
+Stadt am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die
+Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen,
+diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse deckte, war
+hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so die Belagerung der
+Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden
+Heere unter Himilko und Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen
+gleichzeitigen, ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen
+Flotte und einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf
+die roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die
+beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
+aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im Hochsommer und
+im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen erzeugen. Oft hatten diese
+die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des
+ersten Dionys waren zwei phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter
+ihren Mauern durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das
+Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus&rsquo; Heer,
+in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die
+phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen
+Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere,
+groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten Staedte.
+Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von der Seeseite zu retten;
+allein der Admiral Bomilkar entwich, als die roemische Flotte ihm die Schlacht
+anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe
+verloren und entrann nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern
+ergeben; die Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal
+scheiterten sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der
+Soldaten wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener
+Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den
+fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus mit einem
+von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden noch freien
+Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die Buergerschaft ihm
+freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo,
+haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen
+war und mehrfach die ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei
+des fremden Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen
+Grundsaetzen des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger
+Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine
+Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen
+Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den Tod
+fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten
+Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den
+einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die
+frueher von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern
+steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten das
+Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene und die
+bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem den Hafen
+beherrschenden Stadtteil, der &ldquo;Insel&rdquo;, durfte fortan kein
+syrakusanischer Buerger wohnen.
+</p>
+
+<p>
+Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war
+auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter
+Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen
+Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei uebernahm
+und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die roemische
+Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend,
+einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten
+Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und roemische
+Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck einige Gefechte
+bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat
+obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr
+verfolgte mit eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und
+bestand darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die
+Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines
+liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes,
+besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht
+unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen allmaehlich
+ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich der Oberfeldherr, da
+er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte, ihn zu verdunkeln, demselben
+kurzweg das Kommando ueber die leichte Reiterei abnahm und es seinem Sohn
+uebertrug. Der Numidier, der nun seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren
+die Insel erhalten hatte, fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er
+und seine Reiter, die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in
+Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und
+lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach
+Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers
+den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward von den
+Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei verkauft (544
+210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen, wie die Landung von
+540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten
+Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war
+gewesen. Nachdem also ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits
+dafuer gesorgt, dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel
+zurueckkehrte. Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse
+zusammen und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
+Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
+Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der Insel
+in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter die Rede
+davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu erneuern; allein es
+blieb bei Entwuerfen.
+</p>
+
+<p>
+Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse
+eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder
+Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos&rsquo;
+natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter
+bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen
+Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils die
+Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des Krieges, teils
+Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien,
+Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen
+antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der
+aegyptische Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis
+544 (210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten,
+dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen
+italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien
+und Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie
+konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich gewannen, nur
+fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl
+gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos
+prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt
+die Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste
+Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass eine
+staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des gleichen
+Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden
+zwischen Philippos und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen
+Tendenz war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu
+seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in
+Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen
+hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines
+solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die
+Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg allein
+gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe nicht, sich aus dem
+Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. Schon sein Zaudern
+bei dem Abschluss des Buendnisses mit Hannibal verdarb den ersten und besten
+Eifer der griechischen Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom
+eintrat, war die Art der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und
+Zuversicht zu erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der
+cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu
+bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem Philippos
+schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht, dass eine
+roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies geschah, noch ehe es zum
+foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser endlich erfolgt war, erwarteten
+Freund und Feind eine makedonische Landung in Unteritalien. Seit 539 (215)
+standen bei Brundisium eine roemische Flotte und ein roemisches Heer, um
+derselben zu begegnen; Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer
+Flottille von leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren.
+Allein als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
+Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen Hannibal
+gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um doch etwas zu
+tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die roemischen Besitzungen
+in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im besten Falle waere dabei
+nichts herausgekommen; allein die Roemer, die wohl wussten, dass die offensive
+Deckung vorzueglicher ist als die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie
+Philippos gehofft haben mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die
+roemische Flotte fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon
+ward dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das
+makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur voelligen
+Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem Kriegszustand
+verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals, der umsonst solcher
+Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine Klarheit einzuhauchen
+versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann die Feindseligkeiten
+erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit Hannibal einen vortrefflichen
+Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die zunaechst sich zur Landung eines
+makedonischen Heeres eigneten, veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu
+parieren und den Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an
+einen Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
+nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten
+Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
+Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen, fiel es
+dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien eine Koalition
+der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz zustande zu bringen. An
+der Spitze derselben standen die Aetoler, auf deren Landtag Laevinus selber
+erschienen war und sie durch Zusicherung des seit langem von ihnen begehrten
+akarnanischen Gebiets gewonnen hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren
+Vertrag die uebrigen Hellenen auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten
+zu pluendern, so dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe
+den Roemern gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland
+die antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten an:
+in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber Sparta, dessen
+altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister Soldat Machanidas
+ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen des unmuendigen Koenigs
+Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf gedungene Soeldnerscharen
+gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen
+Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen
+Staemme und endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden
+griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit
+Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen
+Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas wert war. Es
+ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen dieses ziellosen
+Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen seiner Gegner
+ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit Energie und
+persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf in dieser heillosen
+Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft
+mit der roemischen Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris
+und Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die
+noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die
+aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von
+Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten
+Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der
+Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam
+so weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von Hannibal
+Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem,
+womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen;
+Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der
+Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und ein Herz
+dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte
+Kraefte sich selbst zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging;
+wiederholt hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja
+selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe
+genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler, auf die
+es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel unter dem Krieg
+zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der Athamanen von Philippos
+gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien den makedonischen Einfaellen
+geoeffnet war. Auch von ihnen gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber
+die ehrlose und verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis
+verurteilte; es ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische
+Nation, als die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische
+Buergerschaften, wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die
+Sklaverei verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie
+wagten viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
+fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung der
+Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den sie
+ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und Nachteil
+wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese sich doch, den
+vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der Gegenbestrebungen der Roemer
+kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede zwischen den griechischen Maechten
+zustande. Aetolien hatte einen uebermaechtigen Bundesgenossen in einen
+gefaehrlichen Feind verwandelt; indes es schien dem roemischen Senat, der eben
+damals die Kraefte des erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen
+Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
+ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der Aetoler die
+Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten fuehren koennen,
+erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu beendigen, durch den der
+Zustand vor dem Kriege im wesentlichen wiederhergestellt ward und namentlich
+Rom mit Ausnahme des wertlosen atintanischen Gebiets seine saemtlichen
+Besitzungen an der epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste
+Philippos sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten;
+allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen
+liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
+widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland gebracht
+hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige Kombination,
+die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick geteilt hatte,
+unwiederbringlich gescheitert war.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf
+ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die eigentuemliche
+Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die
+Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal und dem ueppig fruchtbaren
+Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen Waldgebirgen durchschnittenen
+Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter
+Landsturm zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und
+ueberhaupt nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
+gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
+Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle scheinen
+zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob
+die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder die, welche am Guadalquivir
+sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder kleineres Stueck der Halbinsel
+besassen, mag den Eingeborenen ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von
+der eigentuemlich spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen
+Ausnahmen, wie Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem
+Krieg wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die
+Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich gefuehrt
+hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten festgegruendete
+Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall entschied, und der, wenn
+er zu Ende schien, sich in einen endlosen Festungs- und Guerillakrieg
+aufloeste, um bald aus der Asche wieder aufzulodern. Die Armeen erscheinen und
+verschwinden wie die Duenen am Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man
+heute seine Spur nicht mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der
+Roemer, teils weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des
+Landes von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
+ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger
+Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in der
+Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich, von einem
+also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu geben.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius Scipio,
+beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche Verwalter, vollzogen
+ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der
+Pyrenaeen durchstehend behauptet und der Versuch, die gesprengte Landverbindung
+zwischen dem feindlichen Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier
+wiederherzustellen, blutig zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch
+umfassende Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
+Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die
+roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der Zug
+dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg wiederholt;
+die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen des Herakles, breiteten
+ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und sicherten endlich durch die
+Wiedergewinnung und Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf
+der Linie vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der
+Nation soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus
+Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen
+gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen Fuersten
+Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit den Roemern in
+Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen, ein roemisches Heer
+ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in
+Italien konnte man eben damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war
+zu schwach, um sich zu teilen. Indes schon Syphax&rsquo; eigene Truppen,
+geschult und gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen
+Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende
+Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern
+der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine
+Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem
+der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn
+Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist
+uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der
+grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den
+Aufstaendischen nahm.
+</p>
+
+<p>
+Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den spanischen
+Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald
+betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen,
+die waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im
+karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen
+sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie
+entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten mussten. Sie
+waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um
+den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und
+Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen
+Truppen zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend
+Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den saemtlichen
+spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne
+Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was
+ihnen nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch
+erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem
+roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen
+Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile
+sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen
+phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft angegriffen,
+und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die Karthager in entschiedenen
+Vorteil. Schon war das roemische Lager fast eingeschlossen; wenn noch die
+bereits im Anzuge begriffenen spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die
+Roemer vollstaendig umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen
+besten Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke
+in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl
+anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch
+waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die Verfolgung
+des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch, bis dass die
+phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des Feldherrn die
+verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen
+war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen
+Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen
+und durch die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen
+nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu
+schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem
+Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung
+allein rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus&rsquo; Schule, Gaius
+Marcius, hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem
+Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil
+in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten
+roemischen Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro
+herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick schien
+nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung
+mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den
+rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung aelterer,
+nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und
+seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den
+drei karthagischen Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des
+wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde
+zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein
+neues Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies die
+Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine
+starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das
+Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im
+folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas ward
+umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch unfeine List
+und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den
+Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender
+unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen
+und neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut,
+womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen
+Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die
+Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte
+und durch die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von
+den grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um
+Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden,
+beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen
+ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke
+anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich
+niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts, bis
+endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn
+des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun und
+Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der roemische
+Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von solchem Belang dem
+Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom
+so ausgestorben gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter
+Offizier sich angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten
+auf den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am
+Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der
+erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren und
+Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg einzuschlagen, der
+das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden
+Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere
+spanische Expedition bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser
+angeblich improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der
+Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am
+Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den
+langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich
+darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf
+einmal die Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das
+alles machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und
+unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte
+und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen
+Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise
+zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen, bis die
+Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten
+gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren
+auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist
+weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande
+wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn
+auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich
+deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet, als er
+ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber
+auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung,
+die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie
+von einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die
+Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall
+entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug,
+um den Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch
+schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig ueberzeugt, ein
+Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem Wort eine echte
+Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein
+Mann felsenfesten Worts und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen
+Koenigtitels sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte,
+dass die Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass
+er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte,
+fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter
+Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs,
+hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen Nationalgefuehl,
+redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio die Herzen der Soldaten
+und der Frauen, seiner Landsleute und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat
+und seines groesseren karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen
+Lippen und er der Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt
+schien.
+</p>
+
+<p>
+Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
+Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
+Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem Flottenfuehrer
+und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit einer ueberzaehlig
+starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich sein erstes Auftreten
+bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten Handstreiche, die die
+Geschichte kennt. Die drei karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas
+an den Quellen, Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den
+Saeulen des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von
+der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209),
+ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen
+diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem
+Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr 30000 Mann
+und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann starke
+phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser und zu Lande.
+Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah
+sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von
+den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago
+wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da die
+Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall
+versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits,
+ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen,
+den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem
+schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten
+ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg
+hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm
+hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er,
+unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen
+zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite der Sturm tobte,
+sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das Watt, &ldquo;wo Neptun ihnen
+selbst den Weg zeige&rdquo;, und sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern
+hier unverteidigt zu finden. So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf
+Mago in der Burg kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn
+abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende
+Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler),
+zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter,
+und die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die
+Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr,
+sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und
+nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und
+in besseren Stand zu bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker,
+zweitausend an der Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das
+Versprechen der Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen
+Menge die faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die
+Stadtbuerger aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige
+Stellung gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
+wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen Hafen an
+der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss durch eine Besatzung
+zu sichern.
+</p>
+
+<p>
+So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio
+nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl
+erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt
+war, und weil die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich
+imstande war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch
+nur verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro
+gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er
+seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich auszufuehren,
+ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus und Scipio
+gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme der phoenikischen
+Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles, was man daheim von dem
+wunderbaren Juengling sich versprochen hatte, dass jedes andere Urteil
+verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf unbestimmte Zeit verlaengert; er
+selber beschloss, sich nicht mehr auf die duerftige Aufgabe zu beschraenken,
+der Hueter der Pyrenaeenpaesse zu sein. Schon hatten infolge des Falles von
+Neukarthago nicht bloss die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen,
+sondern auch jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische
+Klientel mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46
+(209/08) dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten
+sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im
+Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne, und
+marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf Hasdrubal
+Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem Bruder zu Hilfe zu
+kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur Schlacht, in der sich die Roemer
+den Sieg zuschrieben und 10000 Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal
+erreichte, wenn auch mit Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen
+seinen Zweck. Mit seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner
+Truppen schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean
+hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und
+stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er
+Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der ihm
+aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und unweise
+gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss
+Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel
+geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze
+einer starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er
+verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207), als
+Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich
+realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren
+zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin
+des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue
+Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den
+faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien
+zu bekaempfen gehabt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Nach Hasdrubal Barkas&rsquo; Entfernung beschlossen die beiden in Spanien
+zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons
+Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen
+aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen zu
+lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge getan. So
+geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im folgenden Jahre (547
+207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch
+Mago und Hasdrubal sich wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus
+schlug Magos und Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst
+gefangen. Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und
+verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in
+diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen
+ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein
+gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde, 70000 zu
+Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte spanische Landwehr.
+Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr
+als die Haelfte des feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier.
+Scipio stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie
+nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu
+verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die
+Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die
+Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines solchen
+Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben - einzeln
+retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen jetzt ohne
+Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig sich fuegenden
+Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft.
+Scipio konnte sogar auf der afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch
+abstatten und mit ihm, ja selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition
+nach Afrika Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch
+keinen entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon
+den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den
+Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als ob,
+nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und die hier und da in
+Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des phoenikischen Regiments auch der
+roemischen Gaeste loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen,
+hinreichend widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die
+Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms
+vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines
+seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold,
+beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte
+und daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die
+bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden,
+ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch
+auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung dem Mago
+zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich vorfinde, und
+damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio
+konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte
+aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung
+der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert
+verliess der letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug
+ergab sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf
+spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war
+nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische Provinz
+verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets besiegte und nie
+ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer fortfuehrte, aber doch im
+Augenblick kein Feind den Roemern gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten
+Moment der Scheinruhe, um sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom
+persoenlich von den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu
+berichten.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland, Scipio
+in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen Halbinsel der
+gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen, nachdem die Cannensische
+Schlacht geschlagen war und deren Folgen an Verlust und Gewinn sich allmaehlich
+uebersehen liessen, im Anfang des Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres,
+die Roemer und Phoeniker folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten
+die Roemer nach Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei
+Legionen, wovon zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in
+Picenum. Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
+Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der
+Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die Festungen
+Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im brettischen
+Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme geworfen hatten und
+wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Roemer von Messana aus
+schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden waren, stand ein zweites
+karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst einen Feind sich gegenueber zu
+sehen. Die roemische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln
+Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas
+zu versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der
+Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und
+Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion
+verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit
+beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien,
+Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den
+unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu versehen
+hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr
+neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf
+annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre
+unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte,
+von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter
+solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit
+waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen
+war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um
+Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch Verlorene zwar
+langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre
+Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend die phoenikischen zusammenschwanden;
+gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten,
+Brettier, die weder wie die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber
+genuegten noch von Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten,
+jaehrlich Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
+begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
+Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu bringen.
+Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am
+Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Buergergenerale waren vorbei.
+Es blieb ihm nichts uebrig, als abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst
+versprochene Landung ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand
+reichen wuerden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit
+moeglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
+Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie kaum ein
+anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es ist
+psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann die beiden
+ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in gleicher Vollkommenheit
+geloest hat.
+</p>
+
+<p>
+Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien
+rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein
+weder vermochte er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer
+besassen, den starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er
+wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum,
+das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden
+Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch
+Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren
+Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das
+brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien
+mit der roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit
+Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei
+dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den
+Sklavensoldaten im Namen des Volks die Freiheit und das Buergerrecht.
+</p>
+
+<p>
+Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi
+zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die
+Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung
+gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der
+Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere
+brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische Abteilung des
+phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere von dem Gang der
+Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische
+Dienste.
+</p>
+
+<p>
+Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue politische und
+militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die
+Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt,
+hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen
+tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine Emissaere zu
+einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen
+Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der
+Roemer foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der
+saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren Unterpfandes, und
+die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen
+moechten. Wirklich ward Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und
+durch die Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern
+besetzt; kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem
+Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur
+Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen.
+Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass Rom
+sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg
+neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise
+die Einnahme von Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die
+Moeglichkeit gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit
+sehr abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten
+Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch
+die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr gehindert, dass
+die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend bedurfte. Hannibal brachte
+also einen betraechtlichen Getreidetransport zusammen und wies die Kampaner an,
+ihn bei Benevent in Empfang zu nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den
+Konsuln Quintus Flaccus und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der
+den Transport deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines
+Lagers und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
+darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen Strasse
+aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber der tapfere Mann
+fiel durch die schaendliche List eines treulosen Lucaners, und sein Tod kam
+einer voelligen Niederlage gleich, da sein Heer, groesstenteils bestehend aus
+jenen von ihm freigesprochenen Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers
+auseinanderlief. So fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte
+durch sein unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
+Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen ihre
+Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als Besatzung in
+Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen nachdruecklich geschlagen
+worden war. Die totale Vernichtung der von Marcus Centenius, einem vom
+Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig befoerderten Mann, angefuehrten
+regulaeren Truppen und Freischaren in Lucanien, und die nicht viel weniger
+vollstaendige Niederlage des nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus
+Fulvius Flaccus in Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses
+Jahres. Aber das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem
+entscheidenden Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie
+Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die
+roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und Volturnum
+unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius, auf der Nolanischen
+Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero; die drei wohlverschanzten und
+durch befestigte Linien miteinander verbundenen Lager sperrten jeden Zugang,
+und die grosse, ungenuegend verproviantierte Stadt musste durch blosse
+Umstellung in nicht entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn
+kein Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die
+Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren, durch
+die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen, begehrten
+schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der Burg beschaeftigt,
+in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33 Elefanten und seinen besten
+Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf
+und nahm sein Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren
+Erwartung, dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin
+die Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten,
+ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht
+und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die
+kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre Linien
+anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht denken; er konnte
+voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen roemischen Heere nach
+Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon frueher der Mangel an Futter in
+dem systematisch ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen
+liess sich nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten,
+der seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten.
+Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben
+Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug
+die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in seinen
+ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen Heer zwischen die
+feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und
+auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er
+passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile von der
+Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward
+von &ldquo;Hannibal vor dem Tor&rdquo;; eine ernstliche Gefahr war nicht
+vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt wurden von den
+Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten,
+verhinderten die Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio
+bald nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal
+uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht;
+seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des
+Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also Gelegenheit geben
+werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder
+auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die
+durch Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die
+roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo
+Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem
+zweiten Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren
+Glaeubigen dem Gott &ldquo;Rueckwender Beschuetzer&rdquo; (Rediculus Tutanus)
+einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und
+schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren hatten den
+Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen
+die Legionen in den Linien um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die
+Kunde von Hannibals Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies
+erfuhr, wandte er sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm
+von Rom her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu
+schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer
+Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die
+Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit bangen
+Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom feindlichen
+Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische Verwaltung fast
+ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die Verzweiflung Vornehme und
+Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat
+waehlten den freiwilligen Tod; die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden
+eines unversoehnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten,
+verstand sich von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob
+es klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats
+auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution der
+Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der roemische
+Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger unmenschliche, siegte ob.
+Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplaetzen
+von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Prokonsuls Quintus
+Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein
+zahlreicher Teil der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
+Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und
+Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was Capuas
+Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn
+nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht
+durch den Mord der saemtlichen in Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden
+roemischen Buerger unmittelbar nach dem uebertritt die Buergerschaft sich
+selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit
+benutzte, um die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten
+Staedten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der
+kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin
+vollstaendig politisch zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er nicht
+durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen Anstrengungen
+Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er
+war ebenso sehr das Signal der den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in
+Italien, wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der
+verlorenen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser
+Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von
+Rhegion oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
+ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel
+zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den Hafen sperrte,
+aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem Geschwader selbst die
+Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum
+genuegte, sein Heer zu ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite
+nicht viel weniger als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den
+Hafen. Es gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager
+gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens
+und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten genossen,
+und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten Gemeinde, auf leidliche
+Bedingungen in die roemische Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit
+empfindlicher fuer Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in
+die schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu
+schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der
+Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im
+Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische
+Reiter niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden,
+um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner
+italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des
+endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten
+betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden
+Scipionen die Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum
+erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der
+Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung
+jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum
+ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg laessiger als
+bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des
+sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er
+betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den
+Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
+Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal die
+Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr
+darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu
+Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen.
+Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter
+Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er,
+am ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg;
+waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner
+zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen
+bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten,
+den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus Fabius,
+der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den Auftrag, Tarent
+wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem nahen messapischen
+Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte
+ihm die Stadt, in der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward.
+Was von der Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde
+niedergemacht und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als
+Sklaven verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen
+sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam
+zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst
+</p>
+
+<p>
+hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel
+beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr (546 208)
+zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem tuechtigen Kollegen
+Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen entscheidenden Angriff ein Ende
+zu machen. Den alten Soldaten fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und
+traeumend verfolgte ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu
+befreien. Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt.
+Bei einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von
+Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus focht
+den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar, vor vierzehn
+bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde sank; Crispinus
+entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden (546 208).
+</p>
+
+<p>
+Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden, die einige
+Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte
+man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges.
+Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von Cannae
+(538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den angesehensten
+Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren
+Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben,
+was moeglich war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle
+Finanzweisheit daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man
+die Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des Silberstueckes
+um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert
+ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten
+auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis
+der arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem
+Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den
+Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten
+litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren
+Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen, freiwillig oder
+durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des Soldes aus. Die
+Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach dem Treffen bei Benevent
+freigesprochenen Sklaven erwiderten der Bankkommission, die ihnen Zahlung
+anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende des Krieges anstehen lassen wollten (540
+214). Als fuer die Ausrichtung der Volksfeste und die Instandhaltung der
+oeffentlichen Gebaeude kein Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die
+Gesellschaften, die diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich
+bereit, dieselben vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward
+sogar, ganz wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe
+bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man verbrauchte
+die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der Eroberung von Tarent den
+letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000 Taler) an. Dennoch genuegte der
+Staat seinen notwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte
+namentlich in den entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die
+Bedraengnis des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen
+Notstandes. ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste,
+fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1
+preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler),
+mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren
+geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und
+nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not
+gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften
+zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden
+Doerfer in Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege,
+aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben.
+</p>
+
+<p>
+Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung der
+Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut frass. Zwar
+auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an. Der Krieg selber
+bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die latinische Nation zu Rom
+stand; an ihrer groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel
+gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen
+Kommunen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien,
+also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten
+von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen
+Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und
+es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten Krieg
+selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein fuer den
+Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck
+handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und
+sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze das maechtige und patriotische
+Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom
+sich anschloessen - freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass
+bei dem gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele
+stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer
+Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens
+nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war sicherlich
+nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und Erschoepfung; ohne Zweifel
+wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit den Phoenikern mit Abscheu
+zurueckgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Roemern und
+Latinern, und der Rueckschlag auf die unterworfene Bevoelkerung der
+Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche
+Gaerung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete
+Verschwoerung ward entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen
+roemische Truppen marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese
+Bewegung zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
+Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
+schreckten.
+</p>
+
+<p>
+In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die
+Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die Pyrenaeen
+ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen muesse, im naechsten
+Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht
+umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten
+ausgeharrt; was die faktioese Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos
+ihm versagt hatte, das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm
+selbst Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
+phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er
+die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem Bruder die Gallier,
+vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien war aber
+nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen; der Staat und die einzelnen waren
+erschoepft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem
+Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte
+die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen
+Fehlers von ihm und dem Lande abwandte.
+</p>
+
+<p>
+Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen
+auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst
+Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und
+Feinden ueber alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547
+207); die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld
+willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom
+beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit
+wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die
+Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass
+Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus Livius sich zu der
+Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien. Etrurien und Umbrien waren
+in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort verstaerkten das phoenikische Heer.
+Sein Kollege Gaius Nero zog aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an
+sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu
+verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der
+grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei
+Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in welchem
+Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch
+mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen geschickten Seitenmaersche sich
+dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er
+stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf
+dem Fuss gefolgt war, dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig
+stehenblieb und nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward,
+scheint nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
+noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit
+Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die wir nicht kennen.
+Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig gegenueberstanden, ward die
+im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdrubals von Neros Posten
+aufgefangen; sie ergab, dass Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse
+einzuschlagen, also zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum
+ueber den Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
+treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung der
+beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische Reserve
+vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der Hauptstadt kam und
+dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt, dass Hannibal die Absicht des
+Bruders nicht kenne und fortfahren werde, ihn in Apulien zu erwarten,
+entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis, mit einem kleinen, aber
+auserlesenen Korps von 7000 Mann in Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und
+womoeglich in Gemeinschaft mit dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu
+zwingen; er konnte es, denn das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb
+immer stark genug, um Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder
+ihn zu geleiten und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen,
+wenn er abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
+erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
+beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte die
+Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen; allein
+seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem ihm fremden
+Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen Reiterei
+angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische Fussvolk eintraf
+und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte die Spanier auf den
+rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die Gallier auf den linken, den er
+versagte. Lange schwankte das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul
+Livius, der hier befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische
+Operation taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind
+stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die
+Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war
+vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das Lager
+erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht verloren sah,
+suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und
+als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum
+vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber, den keine
+Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die Botschaft brachte ihm
+der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Roemer den feindlichen
+Posten hinwerfen liess, also dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten
+verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus
+vergeltend. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles
+vorbei war. Er gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen
+Truppen zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug
+waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine
+beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren
+Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der
+Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel in Rom
+war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in Friedenszeit; jeder
+fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden sei.
+</p>
+
+<p>
+Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die
+Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und materielle
+Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin.
+Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen und latinischen Bauern auf
+ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils
+der kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und
+die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige
+Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen
+latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu
+genuegen.
+</p>
+
+<p>
+Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von Hannibals
+strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm
+gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da an noch durch vier
+Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen
+Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen
+noch sich einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen,
+weniger in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden
+Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden
+und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt
+hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios
+Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten seine
+Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die sie ihm
+verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese
+in der Angst vor der erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst
+wieder hervor (548, 549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago
+nach Spanien Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien
+aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser
+und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine
+Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des Buendnisses und
+zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein es war zu spaet.
+Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden geschlossen; die
+bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er
+tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches
+Korps nach Afrika, das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner
+Tasche bezahlte; begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie
+der spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine
+makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht.
+</p>
+
+<p>
+Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den
+Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte,
+landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die
+Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des
+Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen sogar
+durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten. Allein was er an
+Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das
+eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein
+Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette
+vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der Heimat nicht
+gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten, war sie nicht mehr
+moeglich.
+</p>
+
+<p>
+Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg
+Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen
+Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so
+unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem
+eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten
+Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren, wie
+Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen und
+wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius Nero und
+Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen, allein sie waren
+beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es
+gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon,
+dass die Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied
+-, und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften
+Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien
+zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene Aufgabe so
+glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien, ward sogleich fuer
+das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem
+festen Entschluss, die schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition
+jetzt zu verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der
+methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange nichts
+wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet
+dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische
+Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und etwas
+baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine Kriegfuehrung in
+Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen seine Soldatenzucht. Wie
+begruendet der Vorwurf war, dass er gegen seine Korpschefs allzugrosse
+Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius
+in Lokri veruebte, und die Scipio allerdings durch seine fahrlaessige
+Beaufsichtigung in der aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte.
+Dass bei den Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen
+Feldzugs und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel
+Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in
+Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass er sehr
+deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der Regierungsbehoerde
+gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen
+gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche
+Besorgnis erwecken, ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden
+Entscheidungskrieg und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an
+die ihm gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die
+eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen
+geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht
+zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen, dass
+die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins
+Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst
+faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet
+war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung seines
+Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten Kraefte zu
+erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag
+nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde
+schuldige Ruecksicht wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem
+Beschluss des Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien
+gehen, um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die
+Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika
+landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene beiden aus
+den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen - zur Disposition
+gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache Besatzung und die Flotte
+vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm gestattet, in Italien Freiwillige
+aufzubieten. Es war augenscheinlich, dass der Senat die Expedition nicht
+anordnete, sondern vielmehr geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte
+der Mittel, die man einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben
+dasjenige Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
+behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet des
+Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers, deren Untergang
+der Staat allenfalls verschmerzen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische
+Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen werden
+muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein, wie sie immer
+waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied
+er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der
+Popularitaet der Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die
+betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine
+sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das heisst durch
+eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur
+Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in
+vierzig Tagen war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten
+Freiwillige, deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des
+geliebten Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
+starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
+Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne den
+geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der Naehe von Utica.
+</p>
+
+<p>
+Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die Pluenderungszuege,
+welche die roemischen Geschwader in den letzten Jahren haeufig nach der
+afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein ernstlicher Einfall folgen werde,
+hatten, um dessen sich zu erwehren, nicht bloss den italisch-makedonischen
+Krieg aufs neue in Gang zu bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um
+die Roemer zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
+Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der Massyler, und
+Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran), dem Herrn der
+Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren und bisher den Roemern
+befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen,
+indem man den anderen, den alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der
+Karthager, fallen liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der
+vereinigten Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender
+dem letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in
+der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand ein
+karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140 Elefanten -
+Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt worden - schlagfertig
+zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des in Spanien erprobten
+Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag eine starke Flotte. Ein
+makedonisches Korps unter Sopater und eine Sendung keltiberischer Soeldner
+wurden demnaechst erwartet.
+</p>
+
+<p>
+Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager des
+Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind gegenuebergestanden
+hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte zunaechst den Roemern nichts als
+seine persoenliche Tuechtigkeit, und die Libyer, obwohl der Aushebungen und
+Steuern herzlich muede, hatten doch in aehnlichen Faellen zu bittere
+Erfahrungen gemacht, um sich sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann
+Scipio den Feldzug. Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen
+sich hatte, war er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen
+Reitergefechten zur Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf,
+angeblich mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung
+aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und
+Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging dem
+roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich unbequemen
+Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch einen gluecklichen
+Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig
+als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und
+derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der
+Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu helfen, traf
+ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den
+roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war
+verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut nicht
+sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr der
+Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren die
+erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt; man
+beschloss, auf den &ldquo;grossen Feldern&rdquo;, fuenf Tagemaersche von Utica,
+noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen;
+mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die
+zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die
+Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach
+hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach dieser
+doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff auf das
+roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar
+kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit
+aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein
+beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die
+Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war.
+</p>
+
+<p>
+Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit
+sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich
+offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten. Hasdrubal,
+Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode verurteilt und ein
+Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und Frieden zu erlangen. Er
+forderte Abtretung der spanischen Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres,
+Uebergabe des Reiches des Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe
+bis auf zwanzig und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill.
+Taler) - Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen,
+dass die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms
+Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben an unter
+Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine karthagische
+Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war
+nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die
+edle Sache, das Vertrauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das
+Rom gegeben hatte, feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der
+Friede notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang
+bringen musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das
+Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu
+lassen und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung
+vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst nach
+Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203) daran
+arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben
+damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen
+Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk
+ins Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager zu
+erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die feindlichen
+Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und faehigen
+Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die
+ligurische Kueste zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung
+und vollzog ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde.
+Hannibal waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten
+Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem
+Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in
+Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er
+nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die
+italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen, und
+bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft stehenden
+Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche
+Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also
+freiwillig dem italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem
+einzigen ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit
+mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat
+und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach roemischer
+Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter darbrachte, von der
+ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste Auszeichnung, die einem
+roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und der letzte Ehrenschmuck des
+alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre aus dem Leben schied (551 203).
+Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des
+Waffenstillstandes, sondern allein durch seine Schnelligkeit und sein Glueck,
+ungehindert nach Leptis und betrat, der letzte von Hamilkars
+&ldquo;Loewenbrut&rdquo;, hier abermals nach sechsunddreissigjaehriger
+Abwesenheit den Boden der Heimat, die er, fast noch ein Knabe, verlassen hatte,
+um seine grossartige und doch so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu
+beginnen und westwaerts ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die
+karthagische See einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen
+war, was er hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er
+gedurft, jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
+zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei offen
+auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue Verbindungen
+mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit angeknuepft und nicht
+bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in der Volksversammlung die
+Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die Pluenderung einer an der
+afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen Transportflotte, ja sogar durch
+den ueberfall eines roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der
+Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem
+Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas
+(Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte,
+sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und
+verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand bei
+Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis und
+Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm
+zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer
+persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein Scipio, der
+schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse gegangen war, konnte
+nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit
+sich verstehen, und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt
+etwas anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs
+unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und
+so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1.
+In drei Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die
+karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und die
+phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das dritte die
+Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig
+Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine
+Legionen in drei Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die
+Elefanten durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu
+sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts
+ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in
+Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das
+Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes
+Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der Kampf
+des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den beiderseitigen ersten
+Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge gerieten endlich beide Teile in
+Verwirrung und mussten an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer
+fanden ihn; die karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend,
+dass sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der
+karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was
+von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob
+seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte dagegen
+in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch kampffaehig war und liess
+das zweite und dritte Glied rechts und links an das erste sich anschliessen.
+Abermals begann auf derselben Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres
+Gemetzel; Hannibals alte Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde,
+bis die Reiterei der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der
+geschlagenen feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit
+war nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet;
+dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren, hatten
+ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll Leute gelangte
+Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der
+westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der
+Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder
+Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den 19. Oktober wegen
+der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur
+Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen
+Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt
+noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle
+eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen,
+jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte
+den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen.
+Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie
+fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig Jahre
+eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und
+mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und
+ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen
+Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich
+darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine politische
+Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden
+verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen.
+</p>
+
+<p>
+Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des schwersten
+Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger
+abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage
+moechte gegruendet sein, wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen
+den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die
+Verhaeltnisse so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die
+Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege
+ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser
+entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst
+diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Haende
+gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur
+einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie zu entziehen, geschweige
+denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte,
+dass der soeben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war
+als von Karthago und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich
+schlechterdings nicht erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern
+wenig duenken, dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in
+Flammen aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
+Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernichtete
+Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das Verbrechen, die Roemer
+zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte, gruendlicher zu bestrafen. Scipio
+dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, dass
+in diesem Fall die gemeinen Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen
+und hochsinnigen, die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der
+etwaigen Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings
+nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges haben
+den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles unbegreiflich
+gelungen war, abgehalten, die Exekution an der ungluecklichen Stadt zu
+vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem Adoptivenkel aufgetragen wurde
+und die freilich wohl jetzt gleich schon vollzogen werde konnte. Es ist viel
+wahrscheinlicher, dass die beiden grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die
+politische Entscheidung stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um
+dort der ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
+Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu setzen; der
+Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen Gegner zeigt sich nicht
+minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das Unvermeidliche als in Scipios
+weisem Zuruecktreten von dem Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges.
+Sollte er, der hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben,
+was es denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der
+Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus
+voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation
+frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die ersten
+Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der Nachbarn und die
+ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von sich mit einer muessigen
+Traene abzuwaschen.
+</p>
+
+<p>
+So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der
+Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu
+den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem
+Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu der
+Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer
+natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg
+auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am
+Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen
+gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn
+gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss
+deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des Krieges,
+namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig entsprachen; aber
+die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche Absicht hinaus, und zu dem
+Besitz von Spanien sind die Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig
+gelangt. Die Herrschaft ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie
+erstrebt haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das
+Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die
+Verhaeltnisse zugeworfen worden.
+</p>
+
+<p>
+Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die
+Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung
+begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen
+syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die Begruendung
+des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die bedeutendsten
+numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen
+Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene
+Hegemonie ueber den Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das
+notwendige Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems,
+das im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
+demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte der
+alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das Keltenvolk,
+wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang bestimmt, und es war
+nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution vollzogen werden wuerde. Innerhalb
+der roemischen Eidgenossenschaft war die Folge des Krieges das schaerfere
+Hervortreten der herrschenden latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang
+die trotz einzelner Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft
+ueberstandene Gefahr geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende
+Unterdrueckung der nicht latinischen oder nicht latinisierten Italiker,
+namentlich der Etrusker und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf
+die Strafe oder vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich
+ersten und letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die
+Landschaft der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua
+aus der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar die
+Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den gesamten
+Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger oder roemisch
+gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen Domaene und gab ihn
+seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die
+Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die
+Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch
+haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht
+und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen
+Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen Staedte mit
+Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die
+kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner
+und eine Menge anderer apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die
+grossenteils Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen
+Aecker wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
+Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum (bei
+Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem ehemaligen
+Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg bestimmt, vor allem
+aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen Villeggiatur und des
+asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner ward Thurii latinische Festung
+unter dem neuen Namen Copia (560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo
+unter dem Namen Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und
+Apulien wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln
+angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen
+Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht
+sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht gut
+roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch politische
+Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien
+fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie
+fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine zweite
+Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller Uebermut des
+Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen
+ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser
+Zeit traegt davon die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und
+Atella dem zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und
+die letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter
+darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste
+Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon
+gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen Spoettereien der
+Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder.
+Wie die Dinge standen, zeigt die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des
+folgenden Makedonischen Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben
+ward, und die Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554
+(200), Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom aus
+zugesandt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen Bevoelkerung
+gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen Buergerschaft, deren Zahl
+waehrend des Krieges fast um den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der
+Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe
+scheint danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust
+vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse
+der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt
+die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123
+Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine ausserordentliche
+Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen Normalstand gebracht ward. Dass
+endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der zugleich in allen Landschaften Italiens
+und nach allen vier Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die
+Volkswirtschaft im tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen
+klar; zur Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar
+der Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische
+Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein
+durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der
+Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten gewonnen hatte
+durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge bluehender Ortschaften
+- man rechnet vierhundert - war vernichtet und verderbt, das muehsam gesparte
+Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung durch das Lagerleben demoralisiert, die
+alte gute Tradition buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an
+bis in das letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich
+in Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt,
+dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen wegen
+Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden Weiden mit den
+halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose Verwilderung des Landes.
+Der italische Ackerbau sah sich in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in
+diesem Kriege aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst
+geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden
+koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende
+dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich
+in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet
+worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch
+Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes
+wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen
+friedliche und freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das
+Ziel der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum fremd:
+damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war
+der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die
+latinische Nation immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu
+latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen,
+nicht als Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden
+Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen;
+wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in
+denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete
+Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die damalige
+zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl,
+jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben
+wuerden. Freilich wenn nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die
+bedenklichen Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die
+Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und
+Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die
+geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und
+endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die geschmueckten
+Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus des Gottes
+niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen zufluesterten, er zu Rat und
+Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen hatte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode</h2>
+
+<p>
+In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man
+jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und
+Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den Hannibalischen
+Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, dass man jetzt da
+fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die Kelten begriffen es wohl.
+Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet
+der zunaechst bedrohten Boier die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster
+Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang,
+sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos
+Expedition her in Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden
+Jahr (554 200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
+bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
+naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend hoerte
+diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als auf den Notruf
+der bedrohten Stammgenossen. Von &ldquo;den beiden Riegeln gegen die gallischen
+Zuege&rdquo;, Placentia und Cremona, ward der erste niedergeworfen - von der
+placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der
+zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch
+zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und
+kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers
+vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem
+Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten,
+welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische
+Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer,
+welches bei Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich
+durch die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und
+erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der
+Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die
+Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten nicht bloss
+zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den
+Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer
+Schlacht, die die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und
+Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So
+gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach dem Fall
+von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche
+Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie
+den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten;
+namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten
+gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden
+Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes liess
+man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale
+Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und
+legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen
+Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden
+Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias
+in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens
+griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit
+um sich; die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den
+Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der
+gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586
+(168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang
+des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht
+ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer unter den
+Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet
+laenger behauptet zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
+begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der transalpinischen
+Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der Halbinsel und des inneren
+Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Dass die Furcht vor dem
+roemischen Namen schon zu den naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der
+Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der
+dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute
+zusahen, sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung,
+welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier
+(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in
+Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die beschwerdefuehrenden
+roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche einzelner keltischer
+Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder
+die demuetige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem
+roemischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen
+Gebot, ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575
+186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt
+hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat
+keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer die keltische
+Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen
+diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche Uebersiedlungsversuche von
+Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis
+dahin den Roemern wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen
+Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von
+Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien
+einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem aeussersten
+nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia
+(571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu
+verlegen, sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem
+gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten
+Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias
+veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der
+Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt
+war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die
+Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren
+bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.
+</p>
+
+<p>
+Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der roemische
+Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, die dies zunaechst
+traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus
+von ihnen ueberschritten und ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die
+Waffen zu bringen (560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen
+blockiert und wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam
+gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward
+die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer siegten
+(561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine
+Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das roemische
+Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung sich zu fluechten
+begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass
+von der Nation der Boier nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So
+freilich musste sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die
+Roemer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht
+verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern
+blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern ueber
+die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen
+Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen
+Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde,
+dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess. Dieser
+Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen
+Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des
+halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren,
+bedarf es in der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht -
+verschwinden doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von
+Krieg und Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger
+rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits
+fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See
+herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen
+sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr
+zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet,
+wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine
+Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen
+als auf einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den
+Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
+Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre
+grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und neue
+Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem ehemaligen
+senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 184) und Pisaurum
+(Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die
+Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) und Parma (571 183), von denen die
+Kolonie Mutina schon vor dem Hannibalischen Krieg angelegt und nur der
+Abschluss der Gruendung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband
+sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die
+Flaminische Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
+Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die Strasse von
+Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst Munizipalchaussee
+gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der roemischen Gemeinde
+uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber die Strecke von Arretium
+ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt,
+wodurch man eine kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt.
+Durch diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des
+keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch
+den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-,
+jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war ein
+leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur
+keltischen Landschaft gerechnet ward.
+</p>
+
+<p>
+In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel
+hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren,
+verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno
+wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem
+Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von
+Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was
+hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend
+von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die
+ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr eroberte
+Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das Potal von dem des
+Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals
+apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze
+gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich
+den Roemern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach
+Massalia und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der
+Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber
+Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und
+Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
+</p>
+
+<p>
+Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen Apenninen und
+die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn,
+die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die Pisaner und die Massalioten
+hatten von ihren Einfaellen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden.
+Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen,
+vielleicht auch nicht bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem
+transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
+Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna ueber
+Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen - jenseits der
+Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen Schiffen die Kuestenfahrt
+und den Landreisenden die Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit
+seinen unwegsamen Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber
+gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als
+Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere.
+</p>
+
+<p>
+Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen
+und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie
+gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten. Im
+Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden
+577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den &ldquo;Frieden&rdquo; gab,
+sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben
+behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, dass es
+Sprichwort ward: &ldquo;spottwohlfeil wie ein Sarde&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso
+kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der karthagischen
+Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt bestaendig unter dem
+Druck und unter dem Damoklesschwert einer roemischen Kriegserklaerung zu
+erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar
+ihr Gebiet ungeschmaelert bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle
+diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser
+innerhalb der karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als
+waere sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
+erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat den
+Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische Bundesgenossen
+Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal
+befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen
+Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen und bei der Unsicherheit der
+afrikanischen Grenzverhaeltnisse ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber
+einem ebenso maechtigen wie ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der
+zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber
+die Wirklichkeit war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah
+Karthago sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
+seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von den
+Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die
+Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die Haende der Numidier,
+und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den groesseren Ortschaften.
+Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172),
+seien ihnen wieder siebzig Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft
+ueber Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat,
+ihnen entweder zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein
+Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu
+regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie
+einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen
+zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die roemische
+Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen,
+natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig
+dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie
+maessigte wohl zuweilen das allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten
+Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben
+dieser Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt
+worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder
+roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung
+zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas
+Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt ward.
+Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu
+schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie
+begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen
+und namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen.
+</p>
+
+<p>
+Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und Ergebung.
+Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der
+Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb.
+Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden
+Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den Kampf
+aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne
+wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen
+Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der
+Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen maechtiger
+Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch
+Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich
+unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass
+ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte
+Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein
+demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der
+Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch
+Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch
+Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die
+roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit
+ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben damals im
+Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien zu beginnen,
+folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete
+Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter
+Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen
+Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie
+eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt
+war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen
+Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie
+gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten
+dem Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen waren
+wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft
+ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem
+einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, dass
+der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden
+Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte
+Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische
+Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden
+konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung
+fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago
+den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den
+Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem
+Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem
+Orient die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die
+mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat
+verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das
+tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter sind, denen
+sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also
+an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt.
+</p>
+
+<p>
+Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich verantworten, dass
+die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhoerte, die Stadt zu
+beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort die Parteien nach wie vor; allein
+nach der Entfernung des ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der
+Welt gewendet haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago
+als in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
+damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an
+Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der Phoeniker zu
+machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der
+Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den roemisch
+gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht ueberhaupt aller Gedanken an die
+Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und
+die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette
+man in Rom wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die
+regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der gruendlichen
+Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die roemischen Kaufleute
+aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht
+dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines
+festgegruendeten, durch nichts zu erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567
+(187) erbot sich die karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553
+(201) stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen
+an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den
+Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Ueberzeugung
+gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und
+nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Geruechte ueber die Umtriebe der
+treulosen Phoeniker durch Rom. Bald hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von
+Tyros, sich in Karthago blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung
+einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in
+geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
+Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in
+Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171). Es ist nicht
+wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als hoechstens die
+Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu
+neuen diplomatischen Misshandlungen von roemischer, zu neuen Uebergriffen von
+Massinissas Seite, und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger
+Sinn und Verstand in ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit
+Karthago nicht fertig zu werden sei.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank
+wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer
+Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische
+Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst
+und welches die Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das
+Weidevolk, die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als
+&ldquo;Hirten&rdquo; (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu
+nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht
+ist, keiner anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
+diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der
+Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet, aber auch bei
+ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas
+fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das phoenikische Alphabet und
+ueberhaupt die phoenikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb und es wohl
+vorkam, dass die Berberscheichs ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und
+mit phoenikischen Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik
+wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen
+Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren
+zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika
+beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede freie
+Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen
+Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen
+Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge
+Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom
+Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der
+marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler, Syphax, der
+von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen
+Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig
+der Massyler, Massinissa, der von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die
+karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste
+von diesen, der Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom
+und Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in
+der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der Sohn
+des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den Roemern einen
+kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte (554 200), vermochte
+doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des
+bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gruender des
+Numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an
+die rechte Stelle gesetzt. Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste
+Greisenalter, maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
+ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
+vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
+Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat
+und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der schwereren Kunst,
+in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten,
+gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer ruecksichtslos zu Fuessen zu
+werfen wie den schwaecheren Nachbar ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten
+und zu alledem mit den Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den
+vornehmsten Haeusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von
+afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt,
+ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es schien,
+im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam
+verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie in allem so auch darin,
+dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er starb im neunzigsten Jahr seines
+Lebens (516-605 238-149), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein
+Lebensende im vollen Besitz seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und
+hinterliess einen einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der
+beste und gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon
+erzaehlt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
+Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer Massinissa
+hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis, auf Kosten
+Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und stetig benutzte. Das ganze
+Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam
+von selber zu, und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der
+reichen Stadt Vaga ward dem Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich
+von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere
+Strecken, so dass sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen
+Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste
+und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen
+Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche
+Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des
+Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren
+grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs, der weithin die
+Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess,
+fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu
+treiben. Wie seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in
+Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und
+hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein
+wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta
+(Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein
+Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs
+eifrige und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete
+Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch
+in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie
+Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an,
+unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die
+karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge
+seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der nivellierenden
+Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale
+Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das
+des Massinissa.
+</p>
+
+<p>
+In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der Kueste,
+wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so bereitwilliger
+der roemischen Herrschaft, als sie sich selber ueberlassen, kaum imstande
+gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen zu schuetzen; wie aus gleichen
+Gruenden Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene
+Staedte, es doch nicht versaeumte, durch engen Anschluss an die Roemer, denen
+Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach
+nuetzlich wurde, sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen
+dagegen machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
+an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
+Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine deutliche
+Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete
+nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die
+andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache
+Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit hinaufzureichen
+und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische Alphabet
+zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar
+ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von
+6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besassen; allerdings
+wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und
+zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege
+regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl
+auch Polybios&rsquo; Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand
+des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an
+Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von
+den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll
+&ldquo;Gerstenwein&rdquo;. Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten,
+fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher als irgendwo
+sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung
+vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der
+warmen Baeder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das
+roemische Geld ist allem Anschein nach weit frueher als irgendwo sonst
+ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt
+worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermassen
+begreiflich wird. Das sogenannte &ldquo;Silber von Osca&rdquo; (jetzt Huesca in
+Aragonien), das heisst spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon
+559 (195) erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
+nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen Denare
+nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und oestlichen
+Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen Zivilisation und der
+roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgend auf
+ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Norden und
+das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen, mehr oder minder rohen
+Voelkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wussten - in Intercatia
+zum Beispiel war noch um 600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers
+unbekannt - und sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
+Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Maenner
+und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht
+entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von den Taten seiner Ahnen,
+und dem tapfersten Mann reichte die schoenste Jungfrau unaufgefordert als Braut
+die Hand. Zweikaempfe waren gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie
+zur Ausmachung von Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen
+fuerstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten
+vor, dass ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen
+Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
+und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre
+nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische
+Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem roemischen Feldherrn
+Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel
+und ein Schwert senden moege, sonst werde es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre
+Waffenehre, so dass sie haeufig es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung
+zu ueberleben, waren die Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und
+fuer jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft,
+die ein der Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen,
+im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte: entweder
+nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische Dienste zu treten,
+oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so
+trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die
+friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen
+und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das
+Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von
+Cartagena bei den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen
+aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens
+Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der
+seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der
+oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn
+pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem
+spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, liessen diese jede
+Nacht durch den dritten Teil ihrer Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor
+einen hoeheren Beamten bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die
+griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren
+nur zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll
+Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten
+denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden.
+Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht
+bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals Fuehrung, sondern
+selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht veraechtliche Gegner;
+mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen
+annahmen, und ihren gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten
+selbst die roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich
+militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so haetten
+sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber
+ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr
+voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg,
+aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie
+Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im
+Kriege tapfer erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den
+Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein
+geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu
+zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genuegende, eine
+umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen
+Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren.
+</p>
+
+<p>
+Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien
+erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische
+Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia
+und Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und
+Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten
+Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und
+Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den beiden
+Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen Keltiberien
+zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische Botmaessigkeit zu
+bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die
+Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfaellen
+in das roemische Gebiet abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der
+Nordkueste, den Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht
+sich beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes
+nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des
+diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der Keltiberer und dem des
+jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner jaehrlich zu schaffen machten. Es
+ward somit noetig, in Spanien ein roemisches Heer von vier starken Legionen
+oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch
+sehr haeufig zur Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften
+der Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
+grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem Umfang,
+die militaerische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der
+Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte roemische Weise, nur dahin Truppen
+zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in
+sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr
+bei der Fahne zu halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der
+unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings
+unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich, sie auch nur
+in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die
+Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist,
+sondern auch fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen
+Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die
+Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und
+drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur
+eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und
+waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit
+Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf
+kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine allgemeine
+Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward hart gedraengt, der der
+Diesseitigen voellig ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den
+Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor
+Quintus Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der
+Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden.
+Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige
+Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im
+inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen
+Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach
+hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst mit der
+gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte
+darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich
+gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der
+Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch, und nachdem Cato die
+Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in
+Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung
+der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen
+Staedte der Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl,
+ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie
+weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen;
+die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen
+wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern
+erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg.
+Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der &ldquo;friedlichen
+Provinz&rdquo; ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, und
+die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz fuehrten
+gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel 563 (191) ein
+roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in
+Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren musste. Erst ein Sieg,
+den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch
+bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569
+(185) ueber die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im
+diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer
+ueber die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus
+Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181)
+wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders
+durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher mehr
+noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich
+unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und
+stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer
+bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel;
+indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog -
+die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem
+Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen
+Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege regelte,
+verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger Empoerungen. Sein Name
+blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande
+seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch
+vergleichungsweise Ruhe ein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der
+Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten
+Kupfertafel zum Vorschein gekommen: &ldquo;L. Aimilius, des Lucius Sohn,
+Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und
+Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser
+[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die
+Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und
+haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im
+Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. &ldquo; (L. Aimilius L. f.
+inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana
+habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent,
+item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. Act. in
+castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische Urkunde, die
+wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass
+der Konsuln des Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem
+sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie
+hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557
+(197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die
+definitive Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung
+des Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf zwei
+Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den
+hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung
+der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es
+blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch
+hier bei dem fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen
+besonders unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die
+abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt der
+sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von
+den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen Staedten
+und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche
+auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdefuehrung
+der spanischen Gemeinden im Jahr 583 (171) untersagte. Getreidelieferungen
+wurden hier nicht anders als gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei
+durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies
+gemaess der eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht
+einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen
+Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere
+Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe
+auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das Recht der Praegung
+von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den spanischen Staedten sehr
+haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von
+der roemischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte
+man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung
+in moeglichst schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders
+von Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze
+griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum, Gades,
+Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen Herrschaft auf der
+Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien fuer
+die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als
+ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren
+damaliger Politik der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich
+dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
+Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, selbst im
+fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3, welche Rom wie
+Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato
+regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein;
+allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz
+behielt, war die, dass es dort an Staaten mangelte, wie im Keltenland die
+massaliotische Republik, in Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass
+man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen
+Koenigreichs der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 1. Makk. 8, 3: &ldquo;Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande
+Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst.&rdquo;
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg</h2>
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+<p>
+Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein
+Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den
+ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei
+wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu
+hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines
+hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und
+Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia
+und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt
+fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich der
+Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische Zivilisation sich
+friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen Feldherrn beerbten, vertrugen
+allmaehlich sich untereinander und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich
+her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den
+drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und
+Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort
+den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es gewesen war
+unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondierter
+Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die
+ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt, nachdem die Fluten der
+gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die Grenzwache hielt die
+illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im
+Sueden war Griechenland nicht bloss ueberhaupt von Makedonien abhaengig,
+sondern ein grosser Teil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von
+Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige
+Insel Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und
+im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion,
+Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land- und
+Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen makedonische
+Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia,
+Chalkis auf Euboea und Korinth, &ldquo;die drei Fesseln der Hellenen&rdquo;.
+Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen
+Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses weiten Gebiets war auffallend duenn;
+mit Anstrengung aller Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft
+aufzubringen als ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen
+zaehlte, und es ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch
+nicht von der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall
+hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen
+Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und
+dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert
+schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere mit dem
+Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, waehrend im Orient und
+in Alexandreia die Griechen unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl
+befruchtende Elemente aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre
+Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum
+genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister
+zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen
+Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen
+Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet, aus der die
+Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die
+Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als
+ein besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene Rolle,
+welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die
+Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in
+Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und
+nun, da er in seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die
+Alexandriner gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der
+ungeschwaechte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem
+maechtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist
+auch hier der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen
+staendische Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
+keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt sich noch
+selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, wie er auch heisse,
+in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und die angestammte Regierung, in
+mutigem Ausharren unter den schwersten Bedraengnissen steht unter allen
+Voelkern der alten Geschichte keines dem roemischen so nah wie das
+makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach
+der gallischen Invasion gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie
+leiteten, zu unvergaenglicher Ehre.
+</p>
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+<p>
+Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das oberflaechlich
+umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des &ldquo;Koenigs der
+Koenige&rdquo;, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine Anmassung wie fuer
+seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben Anspruechen von Hellespont
+bis zum Pandschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein
+Buendel von mehr oder minder abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen
+Satrapien und halbfreien griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das
+nominell zum Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze
+Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden
+einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von
+dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und die Inseln
+und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem Grosskoenig hier
+wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse
+Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und
+Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers
+ausser seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den
+vergeblichen Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu
+verdraengen, in dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und
+Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig
+gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen
+der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in
+den Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem
+der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die
+absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein die in
+dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil sie hier bei
+der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung einzelner Landesteile
+auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren pflegten.
+</p>
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+<p>
+Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener
+Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter
+geschickter Benutzung des alten nationalen und religioesen Herkommens eine
+vollkommen absolute Kabinettsherrschaft begruendet hatte und wo selbst das
+schlimmste Missregiment weder Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche
+herbeizufuehren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der
+Makedonier, der auf ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck
+war, war in Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles
+und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in
+Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat
+laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste
+Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst
+brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden
+grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach Schatten
+griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimat
+Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegruendet hatte,
+hoerten nicht auf, sich als unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen
+Monarchie zu betrachten und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben,
+dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben
+nie eine Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung
+getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem
+Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten
+zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen
+Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass Ptolemaeos
+III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos Kallinikos
+zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch
+die guenstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten
+gegenueber in eine vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie
+zum Angriff. Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum
+imstande war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich
+zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich
+festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
+phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von Kleinasien,
+ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose
+Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und
+durch eine die materiellen Interessen ernstlich und geschickt foerdernde und
+ebenso ruecksichtslose wie einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische
+Hof seinen Gegner auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die
+intelligente Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach
+ernster Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
+diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in
+die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte nicht bloss
+unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den Einfluss der
+alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten, sondern machte auch
+diese neue geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das
+hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, soweit
+sie sich ueberhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des
+alexandrinischen Hofes. Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die
+griechische Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig,
+sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr
+der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo
+die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschoepflich waren, die Koenige
+Tragoedien und die Minister Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und
+Akademien florierten.
+</p>
+
+<p>
+Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem Gesagten.
+Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer monopolisierte,
+musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen Trennung des
+europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter hinarbeiten auf die
+Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes und also auf die
+Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten, waehrend umgekehrt Makedonien
+und Asien zwar auch untereinander rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in
+Aegypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber
+zusammenhielten oder doch haetten zusammenhalten sollen.
+</p>
+
+<p>
+Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem
+Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom
+suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere
+und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan
+suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im
+kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am
+suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen
+Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen
+Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte
+Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug spurlos
+voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen und
+oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die in Asien an
+die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte.
+</p>
+
+<p>
+Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der
+Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne zwischen
+Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische
+Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig
+gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer
+Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten,
+jeder einem der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit
+ihrem Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und
+traten auf der &ldquo;heiligen Staette&rdquo; (Drunemetum) namentlich zur
+Faellung von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung
+den Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die
+Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
+unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils die
+umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder brandschatzten.
+Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der
+verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Grosskoenige selbst,
+welche, nachdem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden,
+und Koenig Antiochos I. Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren
+hatte (493 261) zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden.
+</p>
+
+<p>
+Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte
+es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den
+Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war
+im kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung der
+materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung
+und das Regiment eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren
+wesentlicher Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen
+festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen
+Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz
+trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den
+syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter unter den
+roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst
+Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die
+verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps,
+den Achaeern, entrissen hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig
+zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des
+Hofglanzes und des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer
+etwas vom staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik
+gewoehnlich mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo
+de&rsquo; Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann,
+und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
+Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab
+gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien.
+</p>
+
+<p>
+In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen an
+der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra roemische
+Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar makedonischen Gebiet
+noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik zu verfolgen, die
+Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen, die Boeoter und Athener im
+mittleren Griechenland und die Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im
+Peloponnes. Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und
+Boeoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die
+Akarnanen, weil sie der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch
+makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen.
+Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer
+mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten
+zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader Linie
+vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die Bewerber um
+die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich
+verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die
+Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten.
+</p>
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+<p>
+Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu
+werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren
+voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese
+unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von
+Kleinstaedten gleichen Schlages hervor.
+</p>
+
+<p>
+Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige
+Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste
+Zucht- und Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann
+gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als
+Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen,
+dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man
+Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Landrecht. Die
+Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem Nutzen sein koennen, wenn
+sie ihm nicht durch diese organisierte Raeuberwirtschaft, durch ihre
+gruendliche Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft und durch die
+unselige Opposition gegen den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet
+haetten.
+</p>
+
+<p>
+Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des eigentlichen
+Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung, Nationalsinn und
+friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten Eidgenossenschaft. Indes die Bluete
+und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der aeusserlichen
+Erweiterung geknickt worden durch Aratos&rsquo; diplomatischen Egoismus,
+welcher den Achaeischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und
+die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der
+makedonischen Suprematie so vollstaendig unterworfen hatte, dass die
+Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und
+dort jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren
+Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte,
+namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen
+Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und
+antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten. Einige
+Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum,
+das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er
+stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen
+er nicht bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der
+Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine
+Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen
+Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften
+besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea
+waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam verhasst;
+aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama
+war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen.
+</p>
+
+<p>
+Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien
+griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der
+ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie
+sind zugleich die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des
+hellenischen Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders
+Tode wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu
+einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt
+waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die
+Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; Kyzikos an der
+asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin Milets, in engsten
+Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die
+Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben
+hatten, waren durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler
+des Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige
+Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der
+Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle
+vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es
+galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen
+zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu gestatten, und
+ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze Meer zu sperren erlaubten.
+Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der
+gegenueberliegenden karischen Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen
+erworben hatten, und fuehrten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit
+Soeldnern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem
+aber mit Aegypten standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen
+hoher Achtung bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der
+Grossstaaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie
+sich der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
+Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den Seleukiden
+entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige gab, wie zum
+Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios,
+Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. Alle diese waren im wesentlichen
+frei und hatten mit ihren Grundherren nichts zu schaffen, als die Bestaetigung
+ihrer Privilegien von ihnen zu erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen
+Zins zu entrichten; gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald
+schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei
+waren die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
+nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben durch die
+Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen Staedte gegruendet
+hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre nachher zwischen Antiochos und
+den Roemern nicht ueber die Freiheit der Staedte selbst gestritten ward,
+sondern darueber, ob sie die Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig
+nachzusuchen haetten oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in
+dieser eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa, sein
+Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen verhandelte
+und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen die monarchischen
+Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb
+hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn und buergerlicher Wohlstand
+heimisch, und es gediehen hier Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste
+Soldatenwirtschaft zertreten oder von der Hofluft korrumpiert zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem
+Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos
+von Makedonien, veranlasst wurden, in die Verhaeltnisse des Westens
+einzugreifen. Wie es geschah und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549
+214-205) verlief, ist zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was
+Philippos im Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem
+geschah, was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder
+einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist
+als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien
+damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein rechter
+Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte
+Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war
+stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er
+bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn,
+sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten,
+wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz
+gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und
+gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter
+Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang gefaehrlich.
+Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen,
+die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand
+fuerchte als die Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter
+dieselben, denen sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer
+darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das
+Leben seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
+verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch
+Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es
+wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den Vater ermorden lasse,
+auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass ihm nicht eigentlich die
+Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm
+gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den Menschen allein ertraeglich macht,
+fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer
+den absoluten Koenig kein Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so
+schroff und grell zur Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die
+wesentlichsten Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann
+niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und
+Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert, dass er
+schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward und dass sein
+unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und Widerraten ihn in
+seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen Ratgeber von ihm
+verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag, um die schwache
+und schmaehliche Fuehrung des Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen,
+laesst sich nicht sagen - vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst
+gegen die nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
+Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und Eifersucht auf
+Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein spaeteres Benehmen
+nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen Saumseligkeit Hannibals
+Plan scheiterte.
+</p>
+
+<p>
+Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05)
+in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich
+kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet
+keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah; es kann
+auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte
+und dass Philippos im stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern
+verstaerkte. Allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im
+Osten sich einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das
+voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch nach
+Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos keineswegs im
+Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor haette tun sollen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos
+Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen Nachfolger
+Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die Koenige von
+Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll
+der Kontinentalmonarchien gegen den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der
+aegyptische Staat sollte aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos,
+Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos&rsquo;
+Art, der ueber solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg,
+nicht bloss ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, &ldquo;eben wie die
+grossen Fische die kleinen auffressen&rdquo;. Die Verbuendeten hatten uebrigens
+richtig gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
+naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
+Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf diese
+als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom
+den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine von den ihm untertaenigen
+Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord nehmen und an der thrakischen
+Kueste hinauf segeln. Hier ward Lysimacheia der aetolischen Besatzung
+entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Klientelverhaeltnis stand,
+gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den
+Aetolern, die soeben mit Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute
+Einvernehmen gestoert. Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine
+Schwierigkeiten, da Koenig Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war;
+zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet
+bezwingen. Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und
+dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
+Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu besitzen
+wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste
+erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Aetoler, deren Strateg
+in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem
+Koenig schnoede und arglistig vereitelt worden waren. Aber waere auch dies
+nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem
+Spiel. Unmoeglich konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle
+aegyptische Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum,
+mit dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
+nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, dass es
+hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen Freibriefe handelte,
+sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle. Schon war Lampsakos gefallen
+und Thasos behandelt worden wie Kios; man musste sich eilen. Der wackere
+Strateg von Rhodos, Theophiliskos, ermahnte seine Buerger der gemeinsamen
+Gefahr durch gemeinsame Abwehr zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass
+die Staedte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss
+sich und erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
+hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos&rsquo; persoenlicher und
+politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der aeolischen
+Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der seinigen Chios und Samos
+wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst vor Pergamon, das er indes
+vergeblich berannte; er musste sich begnuegen, das platte Land zu durchstreifen
+und an den weit und breit zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer
+Tapferkeit zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff,
+um sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die
+rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der
+Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war geringer, allein
+die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus und Philippos&rsquo;
+Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er endlich. Fast die Haelfte
+seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000
+makedonische Matrosen, 3000 Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates,
+2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800
+Mann und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von
+seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei
+Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen
+Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte,
+starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, waehrend
+Attalos&rsquo; Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig bei Chios
+blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb, seine Fahrt weiter
+fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die karischen Staedte zu besetzen. An
+der karischen Kueste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht
+unterstuetzt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen
+bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide
+Teile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
+waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen, besetzten
+jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos die Kykladen.
+Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der
+rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Staedte; haette er
+Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht vorgezogen, sich auf die
+Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken, so wuerde er jetzt selbst an
+einen Zug nach Aegypten haben denken koennen. In Karien stand zwar kein Heer
+den Makedoniern gegenueber, und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von
+Magnesia bis Mylasa; aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und
+der Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu geben
+oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte den
+Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in der
+Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und die
+griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang. Die
+Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos musste heute den
+pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen
+seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu
+Ende, und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und
+auch die des Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden
+ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug
+abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch
+die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler
+und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr;
+er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in
+Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia,
+Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien
+sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit
+welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, gluecklich die thrakische Kueste
+zu erreichen und noch vor dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm
+nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen.
+Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre
+Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese
+Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie nach
+der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten sich zu
+unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil
+fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser
+Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff,
+sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland
+ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war
+Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist
+augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49 (206/05), der
+sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern gewaehrte; allein wie wenig
+man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte und hegen durfte,
+beweist am besten die geringe und doch nie gegen Uebermacht zu fechten
+genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der
+Senat haette wohl eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den
+Preis eines in Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie
+ihm zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
+freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch nichts
+weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen Frieden in der
+bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer Zeit wieder zu beginnen,
+und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der gruendlichen Erschoepfung des
+Staats und der aeussersten Unlust der Buergerschaft auf einen zweiten
+ueberseeischen Krieg sich einzulassen, der Makedonische Krieg den Roemern in
+hohem Grade unbequem kam. Aber jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen
+Staat, wie er im Jahre 549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen
+lassen; allein unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil
+des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
+neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte. Es kam
+hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
+Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel tiefe
+Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig zusehen, wie
+der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen Kontinentalmaechten
+abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen Bundesgenossen aus dem Ersten
+Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies die Ehrenpflicht zu wahren und zu
+hindern, dass Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn
+nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den
+schuetzenden Arm ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase;
+die Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass
+dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in
+dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und
+wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern das
+Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in
+ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empoert zu
+fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, kommerziellen und
+sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen,
+einem der gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat
+zur hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die
+Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen
+Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553 (201)
+erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von
+38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen
+ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk gegenueber
+notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen
+waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos&rsquo; Art gering
+zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den
+Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die roemischen
+Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit
+laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein
+roemischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos&rsquo;
+Scharen aus dem illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den
+Gesandten des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn
+frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts
+als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte;
+eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur Demuetigung
+und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den saemtlichen
+kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische Gemeinde dem Namen nach
+in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen.
+Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die
+roemische Hilfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn
+auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft
+ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich
+beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention zwar die
+augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der grossen westlichen
+Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer
+Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen
+Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um
+so mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens in
+die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig,
+als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von
+Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es die
+Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten geschehen liess,
+teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab,
+teils endlich den Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die
+Koalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende
+553 201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der Hof
+hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den
+der Senat abgesandt hatte, um als &ldquo;Vormund des Koenigs&rdquo; dessen
+Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche Intervention moeglich
+war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp nicht auf und gab den
+Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens
+aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer,
+in Syrien nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und
+liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen.
+</p>
+
+<p>
+Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte aufs
+neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die
+saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos
+besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen
+Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an,
+an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz von Sestos und
+Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht
+mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach
+oder aus Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das
+schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos
+beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und
+Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier
+gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter ueber bei
+Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben
+hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen,
+den Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein
+die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt,
+nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der
+Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren,
+der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist
+gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf die
+roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und
+Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem
+Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der
+Koenig solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die
+dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den
+Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein Schiedsgericht
+gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur foermlichen
+Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus
+Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen
+schoenen roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte
+zugute halten wolle.
+</p>
+
+<p>
+Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer anderen
+Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und grausamen
+Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich
+zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher
+Erbitterung von Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe,
+konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht
+weigern und gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und
+mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika
+einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es
+liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden
+Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen
+den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine athenische
+Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps auf einen alten
+Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing,
+sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im
+Fruehling 554 (200) seinen Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies,
+das attische Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen.
+</p>
+
+<p>
+Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die
+Kriegserklaerung &ldquo;wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten
+Staat&rdquo; vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast
+einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten
+ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war
+einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der Senat
+unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward durch Vorstellungen und
+Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswert, dass diese
+Konzessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im
+aktiven Dienst befindlichen Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen
+roemischen Maximen - die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und
+Sardinien, zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
+Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber entlassen;
+nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg aufgeboten werden
+duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene
+Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst 555 (199) einen bedenklichen
+Militaeraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten
+wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien
+blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden,
+gefuehrt von dem Konsul Publius Sulpicius Galba.
+</p>
+
+<p>
+So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die weitlaeufigen
+und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war,
+die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall
+abhaengigen Beschluessen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren
+verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der
+militaerisch notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung
+der latinischen Bundesgenossen fuehrte.
+</p>
+
+<p>
+Philippos&rsquo; Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede
+Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden
+auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine
+Schuld so untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder
+nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps
+natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden
+und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen
+Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse
+daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt noch gab
+eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen, wie bereit
+der alexandrinische Hof sei, den Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu
+intervenieren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene
+Teilungsvertrag ueber Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern
+in die Arme und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es
+in die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
+Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter gestellt
+waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon,
+Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das Ihrige getan, um
+den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber Philippos&rsquo; grausame und
+vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu einem ungleichen Kampf gezwungen,
+in den sie ihrer Selbsterhaltung wegen alles anwenden mussten, die italische
+Grossmacht zu verwickeln. Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen
+Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt
+waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der
+antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette
+Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548
+(206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs
+aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen,
+die wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen
+thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des
+phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die
+Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei den
+Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten,
+sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich
+in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern.
+</p>
+
+<p>
+Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das makedonische
+Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Boeotern
+und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter unerschuettert zu Philippos
+standen. Mit den Epeiroten verhandelten die roemischen Gesandten nicht ohne
+Erfolg und namentlich der Koenig der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich
+fest an. Sogar von den Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos
+teils viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
+Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens (502-571
+252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen regeneriert, in
+gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden
+und folgte nicht mehr, wie zu Aratos&rsquo; Zeit, blind der makedonischen
+Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische Eidgenossenschaft, die von
+Philippos&rsquo; Vergroesserungssucht weder Nutzen noch zunaechst Nachteil zu
+erwarten hatte, diesen Krieg vom unparteiischen und nationalhellenischen
+Gesichtspunkte an; sie begriff, was zu begreifen nicht schwer war, dass die
+hellenische Nation damit den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese
+es wuenschten und begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den
+Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
+einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
+Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen; die
+achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste Philippos die
+Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen - es war das die Nemesis
+fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht aendern konnten und nicht
+helfen mochten, blieben neutral.
+</p>
+
+<p>
+Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit
+seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten,
+die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche
+Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte. Indes
+teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung des
+roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts weiter
+vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden
+Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern
+besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren,
+namentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem
+Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu
+nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet.
+</p>
+
+<p>
+Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80
+leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den
+Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem
+Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento indes die
+attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen Besatzung und die
+makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und
+erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in
+Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt
+wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff
+erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht,
+die Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an Truppen,
+um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach
+Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf
+nach Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die
+Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein
+die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der
+Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus,
+des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes
+noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine
+Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu
+bringen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den
+Peiraeeus sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als
+seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der
+Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und nach dem
+Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem Fruehjahr 555 (199)
+brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen,
+seine Legionen von Apollonia auf der kuerzesten Linie in das eigentliche
+Makedonien zu fuehren. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei
+Nebenangriffe unterstuetzen: in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner
+und Illyrier, in oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und
+der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
+sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme am
+Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge, die der
+Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und durch die
+fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an die Gebirgskette,
+die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese uebersteigend, das
+eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegengegangen; allein in
+den ausgedehnten und schwach bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich
+die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen
+Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen
+Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager
+schlugen. Philippos&rsquo; Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der
+noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu
+Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die
+Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend und mit
+Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt erhielten,
+waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht
+wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot
+die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und die
+Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin einige
+Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt,
+sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes
+aufzuschlagen, von wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber
+auch hier wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und
+der Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen
+und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war,
+mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst das Pferd
+verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben
+rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die Roemer der bessere Erfolg
+der von Galba veranlassten Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die
+Schwaeche der makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet
+moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere
+Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den
+Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er selbst dem
+Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und ueberdies noch, um dieses
+zu bilden, die Nordpaesse in der pelagonischen Landschaft entbloessen muessen.
+Fuer die Deckung der Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm
+angeordnete Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen
+Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos
+und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte.
+Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutralitaet der
+Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich dem Bunde gegen
+Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien
+ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften
+ueberschwemmten und die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra
+aufbrechend, in den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos,
+der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten.
+</p>
+
+<p>
+Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in oestlicher
+Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der
+Aetoler zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins
+Verderben zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu
+tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so
+geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen,
+seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die
+Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu erreichen und
+zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen einen heissen Empfang zu
+bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten Stelle zur Schlacht. Aber die langen
+makedonischen Speere erwiesen sich unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen
+Terrain; die Makedonier wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren
+viele Leute. Indes wenn auch Philippos&rsquo; Heer nach diesem ungluecklichen
+Treffen nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu
+wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen
+Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck nach
+Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens Eordaea,
+Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron
+(jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen
+ergeben hatte - es war die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre
+Tore oeffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an
+den oberen Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem
+aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen.
+</p>
+
+<p>
+Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht, sondern
+wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen, die in der
+Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des
+Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und
+noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu,
+retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die
+in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der
+Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der
+leichten Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust
+ueber die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel
+aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und
+Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber
+die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des Sommers
+verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die entschlossene
+Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache
+makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und wagte
+nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen diese in die
+Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und
+Pergamener in die Heimat.
+</p>
+
+<p>
+Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich Glueck
+wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst beschwerlichen
+Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling aufgebrochen waren, und
+ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler und die unerwartet glueckliche
+Schlacht am Pass von Eordaea haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann
+das roemische Gebiet wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall
+ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes
+Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich
+vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze
+gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern
+zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den
+Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte er
+grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke dieser sich
+dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des
+Koenigs Attalos, der von den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes
+beeilten sich nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten
+Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos&rsquo; Gebiet geraeumt
+ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen.
+</p>
+
+<p>
+Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder
+Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der
+Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des
+verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten
+Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die
+atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos
+(Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein
+wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue
+Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul des
+vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) der
+diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl fuehrte.
+Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der
+juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen Wesen auch den
+altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing und zwar auch noch an das
+Vaterland, aber mehr an sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter
+Offizier und besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung
+der schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere
+es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf
+einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein
+Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen
+noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit der
+hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und kuenstlerischen
+Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern
+aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen nachzustreben.
+</p>
+
+<p>
+Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine Zusammenkunft,
+waehrend die beiden Heere untaetig sich gegenueberstanden. Philippos machte
+Friedensvorschlaege; er erbot sich, alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und
+wegen des den griechischen Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen
+Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
+namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. Vierzig Tage
+standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass Philippos wich oder
+Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den Sturm anzuordnen oder den
+Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige Expedition wieder zu versuchen. Da
+half dem roemischen General die Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst
+gut makedonisch gesinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der
+Verlegenheit. Sie fuehrten auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu
+Fuss und 300 Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie
+alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
+Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden
+roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und
+gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass Tempel die Pforte des
+eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die
+Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht verteidigen konnte,
+zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem
+Verderben. Teils durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch
+Flamininus&rsquo; geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom
+makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom
+Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die
+Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die
+festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos
+Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden
+sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo
+in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen
+Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland
+in den Haenden der Koalition.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das
+Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung
+unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in
+makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu spaet war,
+um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte
+gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen
+und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit beschaeftigt
+gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen
+und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder
+aufgegeben und von dem makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs
+neue besetzt wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae,
+dem oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der
+anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in
+der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend, namentlich
+Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier ausersehen. Die
+Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen Legionen sich naehern, auf
+der anderen die roemische Flotte schon an ihrem eigenen Gestade sahen,
+verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, aber politisch unhaltbare
+Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften
+Staedte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss
+dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere
+Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer
+vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth zu Lande
+einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen
+roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die
+makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus
+italischen Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast
+uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer
+Abteilung von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das
+Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch
+gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung
+war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des Nabis von
+Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er
+nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich
+hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur deshalb roemischer
+Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den Achaeern und seit 550
+(204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos&rsquo;
+Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf
+seine Seite zu schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von
+Philippos an, allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit
+Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg
+begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und
+Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte.
+</p>
+
+<p>
+So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich einen
+billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea am Malischen
+Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich und versuchte, mit
+Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen, indem er den petulanten
+Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und Feinheit zurueckwies und durch
+markierte Deferenz gegen die Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner
+von diesen ertraegliche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet
+genug, um durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen
+die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten gelernt
+hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht ging nicht so
+weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen Einraeumung von Phokis
+und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand zu und wies ihn in der
+Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen Senat war man sich laengst einig,
+dass Makedonien alle seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher
+Philippos&rsquo; Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob
+sie Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis
+und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die
+Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des Krieges. Mit
+Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so nachteiligen Wechsel des
+Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Kommando zu verlaengern; er
+erhielt bedeutende Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber
+Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu
+stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um
+Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und
+Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf
+6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des erschoepften
+Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein
+Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die
+Beine brachte. So begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte
+einen Teil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im
+eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der boeotischen
+Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen
+Makedonien wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die
+Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach
+Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten
+der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die
+schon oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen,
+indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika,
+Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung
+kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und
+zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, den Feind an der
+makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt
+hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm
+entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide
+Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten
+und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen
+ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr
+gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei
+dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf
+waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den
+feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen
+Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die
+Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen
+und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits
+den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden
+wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem
+groessten Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich
+vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager
+zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht die
+aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten haetten, bis
+Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf
+der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig
+nach und ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder
+Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu
+besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der rechte
+Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh genug dort an,
+um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu stellen; der linke aber
+war noch zurueck, als schon die leichten Truppen der Makedonier, von den
+Legionen gescheucht, den Huegel heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen
+Haufen rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten,
+bis auf dem linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte
+der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren
+den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig die wieder
+geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die Flanke fallen. Der am
+guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der Phalanx zersprengte das roemische
+Fussvolk, und der linke Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem
+anderen Fluegel liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere
+Haelfte der Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und
+waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten
+Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen,
+gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der Roemer
+ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen linken fertig; die
+Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen, vernichteten die aufgeloesten
+makedonischen Scharen. Waehrend hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand,
+nahm ein entschlossener roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf
+sich mit diesen auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen
+linken verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
+Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und mit
+dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen Aufloesung der
+beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils gefangene, teils
+gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene, weil die roemischen Soldaten
+das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht
+kannten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und
+nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren,
+raeumte er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere
+Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen
+die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen
+dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward
+von Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das
+akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos war
+vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben
+sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae.
+</p>
+
+<p>
+Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren: sie
+nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders
+vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von
+aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess das anders als den
+Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten niederreissen? Schon war
+waehrend des eben beendigten Krieges das bluehende Lysimacheia auf dem
+Thrakischen Chersonesos von den Thrakern gaenzlich zerstoert worden - eine
+ernste Warnung fuer die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die
+widerwaertigen Verfehdungen der griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht
+die Hand dazu bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der
+aetolischen Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
+hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso sehr
+gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl verletzt war durch
+die Prahlerei der Aetoler, der &ldquo;Sieger von Kynoskephalae&rdquo;, wie sie
+sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es nicht roemische Sitte sei,
+Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es
+ihnen frei, mit Makedonien ein Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig
+ward mit aller moeglichen Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit
+erklaert hatte, auf die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm
+von Flamininus gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter
+seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den
+Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
+hinauszuschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen Angelegenheiten ward
+vom Senat einer Kommission von zehn Personen uebertragen, deren Haupt und Seele
+wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie
+Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in
+Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres;
+dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige
+unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward
+- eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die die
+Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es
+unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von ihm abgefallene
+Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet, keine auswaertigen
+Buendnisse ohne Vorwissen Roms abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen
+zu schicken; ferner nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten
+noch ueberhaupt gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer
+ueber 5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu
+unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos
+mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu
+senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den Legionen
+zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von 1000 Talenten
+(1700000 Taler).
+</p>
+
+<p>
+Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet herabgedrueckt
+und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, um die Grenze von
+Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig
+abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien
+erfuhren, dass ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und
+die ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten,
+nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre
+Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
+Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren; und
+Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den Isthmischen
+Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). Ernsthafte Maenner
+freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und
+was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute; doch war der Jubel
+gross und aufrichtig, wie die Absicht aufrichtig war, in der der Senat die
+Freiheit verlieh ^1.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift
+&ldquo;T. Quincti(us)&rdquo;, unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in
+Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist eine
+bezeichnende Artigkeit.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen
+Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos,
+fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land-
+und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen
+Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften im
+westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess, und
+die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer seine vielen
+Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller
+Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten
+und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen
+nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den
+verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die
+doch am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
+scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen
+griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen
+Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden
+ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende;
+sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie aufnehmen,
+allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen,
+wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die
+thessalischen Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften
+geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos,
+der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute.
+</p>
+
+<p>
+Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Griechenlands,
+sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten in sich. Die
+dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achaeern seit 550
+(204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den Roemern notwendig zufiel. Allein
+nach vielfachen Versuchen, Nabis zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der
+von Philippos ihm ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen,
+blieb Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
+Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer und auf
+Antiochos&rsquo; Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung von Argos
+beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf einer grossen
+Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit der Flotte und dem
+roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch einem von Philippos gesandten
+Kontingent und einer Abteilung lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen
+Koenig von Sparta, Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den
+Gegner durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden
+nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlaessigung
+der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst umstellt; allein der
+gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. Nabis hatte eine betraechtliche
+Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine
+Herrschaft durch ein vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in
+Masse der ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
+befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen Armee
+und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten
+verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf &ldquo;das
+Volk&rdquo;, das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte Raubgesindel,
+nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege fuerchtend und getaeuscht
+durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das
+Heranruecken der Aetoler und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn
+gebotenen Frieden, und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor
+den Mauern und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern
+erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur
+Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende.
+Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen, die Emigranten
+wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die
+bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet.
+Dagegen musste Nabis seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die
+kretischen Staedte und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich
+verpflichten, weder auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren
+und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles
+Raubgut wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine
+Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte
+an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im
+Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der &ldquo;freien
+Lakonen&rdquo; nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr
+Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen angewiesene
+Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre
+Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden
+sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die
+freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die
+Beseitigung des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der
+Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen
+Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass
+Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie
+es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische
+Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen
+den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas in den Achaeischen
+Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der
+Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der
+Emigranten und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren
+beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle eines
+anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der
+rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer
+gruendlich gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende
+hatte und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde
+unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte
+und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war,
+davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch unabsehbar sich
+fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trueben;
+moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der
+Achaeischen Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der
+erste Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig
+wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten.
+</p>
+
+<p>
+Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen Staaten
+Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden
+gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre
+makedonische Gesinnung selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus
+Griechenland offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in
+Philippos&rsquo; Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet
+hatte, ward der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum
+Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf
+alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch
+gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer warte,
+beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich
+dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward
+demnach ermordet; worauf die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu
+verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen
+Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg;
+Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und
+da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und
+belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der Tat
+liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen eine sehr
+maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die makedonische Partei
+fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer
+knabenhaften Opposition nichts entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im
+uebrigen Griechenland begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne
+Gewalttaetigkeit anging, auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der
+neubefreiten Gemeinden einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der
+Reicheren und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
+staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde nach
+Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der betreffenden
+Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu knuepfen. Im Fruehjahr
+560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus versammelte noch einmal in
+Korinth die Abgeordneten der saemtlichen griechischen Gemeinden, ermahnte sie
+zu verstaendigem und maessigem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und
+erbat sich als einzige Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen
+Gefangenen, die waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft
+worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
+Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst
+den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth, also die
+Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt,
+tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und
+den befreiten Gefangenen in die Heimat.
+</p>
+
+<p>
+Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
+Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
+Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb der
+grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte, einzig zu
+suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen Aufloesung der
+hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine maechtige Nation das
+Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre Urheimat und als das Heiligtum
+ihrer geistigen und hoeheren Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm
+ploetzlich zur vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die
+Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte
+Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als
+politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung
+Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom
+und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen
+Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle
+und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats
+ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des
+damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und
+dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und gegeneinander gaerenden
+ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten
+verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. Wie die Dinge einmal standen,
+war es vielmehr noetig, dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit
+durch eine an Ort und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein
+Ende zu machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren
+Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In
+Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht
+veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, die
+roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den roemisch
+gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher Weise sich
+selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen dieser Halbheit. Der
+Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne den politischen Fehler der
+Befreiung Griechenlands, und er waere ungefaehrlich geblieben ohne den
+militaerischen Fehler, aus den Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die
+Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer
+den impotenten Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Der Krieg gegen Antiochos von Asien</h2>
+
+<p>
+In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der
+Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er
+war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte
+Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen
+im Osten entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse
+zu heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des
+aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm
+gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und
+zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von Achaeos
+diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat wieder mit der
+Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich entbehrte syrische
+Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im Jahre der Trasimenischen
+Schlacht von Philopator bei Raphia blutig zurueckgewiesen worden, und Antiochos
+hatte sich wohl gehuetet, mit Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange
+dort ein Mann, wenn auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach
+Philopators Tode (549 205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten
+ein Ende zu machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und
+hatte sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen
+Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen
+Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache
+machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich brachten.
+Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die
+Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte
+Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos&rsquo; leicht
+vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das
+Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer sich
+allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen
+Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht,
+wirklich, wie er sich nannte, dessen &ldquo;Beschuetzer&rdquo; zu sein; fest
+entschlossen, sich um die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im
+aeussersten Notfall zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den
+Saeulen des Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig
+machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als
+getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen
+ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern zu
+unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen und
+palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198) am Berge
+Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn Skopas erfocht,
+gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses Gebiets bis an die Grenze
+des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte die aegyptischen Vormuender des
+jungen Koenigs so sehr, dass dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten
+abzuhalten, sich zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels
+mit der Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also
+das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem der
+Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck- und 100
+offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen Besitzungen an
+der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte
+die aegyptische Regierung diese Distrikte, die faktisch in Philippos&rsquo;
+Haenden waren, im Frieden an Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die
+saemtlichen auswaertigen Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um
+ueberhaupt die kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich
+sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes.
+</p>
+
+<p>
+Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an
+Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien
+wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den Freistaedten die
+bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an Philippos&rsquo; Stelle
+sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten. Unmittelbar aber sahen
+sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos durchaus mit derselben Gefahr
+bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte;
+und natuerlich suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben
+beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern
+militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe,
+waehrend Attalos&rsquo; Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien.
+Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im
+Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf
+segelte, dass sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der
+lykischen Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos
+sich hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende
+Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die
+wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die Insel
+Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den halbfreien Staedten
+hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt, allein einige derselben,
+namentlich die wichtigen Staedte Smyrna, Alexandreia, Trogs und Lampsakos
+hatten auf die Kunde von der Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen,
+sich dem Syrer zu widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit
+denen der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
+ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten, schon jetzt
+es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen Besitzungen in
+Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer sich zu erobern und einen
+Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen.
+Die Roemer hatten insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu
+willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich
+dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg
+waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer Verwendung,
+die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch nach dem Siege sprach
+man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden
+gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit
+der asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den
+roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um sie
+durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die gute
+Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um
+die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in
+Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen
+Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm und
+laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die
+Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem
+Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien
+ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser
+Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig
+Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit
+der saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der Koenig
+redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von
+seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander,
+dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet
+seines angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in
+seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit
+Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei
+und es den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren ^2.
+Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch die falsche
+Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und die dadurch
+hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia,
+beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu einem Abschluss,
+geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195)
+kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und
+beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne
+Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte
+landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm
+zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom. Nichtsdestoweniger
+zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus saemtliche roemische Besatzungen aus
+Griechenland heraus. Es war dies unter den obwaltenden Verhaeltnissen
+wenigstens eine arge Verkehrtheit, wenn nicht ein straefliches Handeln wider
+das eigene bessere Wissen; denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass
+Flamininus, um nur den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten
+Hellas ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
+Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten. Der
+roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden Versuch,
+Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen und jede
+Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten fuer einen
+politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in Griechenland, der
+schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen des erbitterten
+Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im
+syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens
+einer neuen Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein
+musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der antiroemisch
+gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich
+weiter gesteckt haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht
+geschehen lassen konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen
+ignorierend, aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch
+an den Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
+nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und vergass
+seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen Eitelkeit, die Rom den
+Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen die Freiheit geschenkt zu haben
+wuenschte und waehnte.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891,
+S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den
+roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und dem
+Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden moege (όπως
+συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν
+[βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens nach der Auffassung der Bittsteller,
+denselben gewaehrte und sie im uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten
+wies. Von diesem erbitten dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung
+und Briefe an die Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben;
+ueber den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
+Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
+Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und positiv
+garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich bei den
+hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um Verwendung bei dem
+Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den Gesandten erteilten.
+</p>
+
+<p>
+Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische Legende
+zurueckgehende &ldquo;Bruederschaft&rdquo; der Lampsakener und der Roemer und
+die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen und Freunde
+Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch die gemeinsame
+Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
+</p>
+
+<p>
+^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der syrischen
+Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198) setzt, in Verbindung
+mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian (Syr. 3) und mit dem
+wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561 (193) setzen es ausser Zweifel
+dass die Einmischung der Roemer in die aegyptischen Angelegenheiten in diesem
+Fall eine formell unberufene war.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn
+die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu dem er
+seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der Feind zu
+zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig von Aegypten
+dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich seinem Schwiegersohn
+die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter
+aegyptischerseits behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls
+blieb faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im
+Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war,
+die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner
+Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso
+vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die
+Galater durch Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und
+andere kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden
+ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte
+erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie
+Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen
+wolle mit einer bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er
+gab sogar zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier
+zu unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und
+hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein
+Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine
+Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000 Reitern
+erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und sodann in
+Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte; tyrische Emissaere
+gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte
+endlich auf Erfolge der spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago
+verliess auf ihrem Hoehepunkt stand.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
+Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai) irrt,
+wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden wir, dass um
+567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach Alexandreia zahlen (Ios.
+ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel geschah dies unbeschadet der
+Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil die Mitgift der Kleopatra auf diese
+Stadtgefaelle angewiesen war; und eben daher entsprang spaeter vermutlich der
+Streit.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom
+vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten
+Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten
+taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu
+glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden worden
+sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in Griechenland
+einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg
+bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung
+gegen Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische
+Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des
+syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem
+Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten
+Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren wollten,
+dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es
+ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu
+bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach
+Flamininus&rsquo; Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein
+sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch
+den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und
+nahm sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen,
+schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil seines
+Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in der
+Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um
+Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den
+Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser
+wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte
+man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter
+dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt
+einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und die Stadt
+besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau erschlagen; allein
+als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die
+Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann
+nieder. Die Stadt liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den
+Achaeischen Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also
+verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den
+entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den
+Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser,
+indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen
+Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und Karystos auf
+Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die Besetzung von Demetrias, da
+die Magneten, denen die Stadt zugefallen war, nicht ohne Grund fuerchteten,
+dass sie von den Roemern dem Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos
+versprochen sei; es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter
+unter dem Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
+gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen wussten. So
+traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die Seite der Aetoler,
+und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden geltend zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht war, ihn
+durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften hinauszuschieben, liess
+sich nicht laenger vermeiden. Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus,
+der fortfuhr, im Senat in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort
+zu haben, gegen die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische
+Ultimatum ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach
+seinem Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
+der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen zu
+lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz und
+Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch einmal
+zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius und Publius
+Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man sich getrennt mit
+der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom
+war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine
+roemische Flotte von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius
+Serranus vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den
+Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste
+wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein; fuer
+den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet. Flamininus bereiste im
+Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192) Griechenland, um die Intrigen
+der Gegenpartei zu hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung
+Griechenlands wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit
+gekommen, dass die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen
+gelang es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine
+Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner
+einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn
+auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des grossen
+Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er durfte jetzt nicht
+laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die Roemer all die Vorteile
+wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen
+aus Griechenland zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe
+und Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40
+Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und
+brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562
+(192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das
+nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein roemisches
+Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also
+war von beiden Seiten der Krieg begonnen.
+</p>
+
+<p>
+Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als
+deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan
+betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so traf
+Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine grossartigen und
+hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung
+entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige
+karthagische Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl,
+als sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte
+eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und
+nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel den
+Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des
+Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang es ihr,
+den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf seine
+Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu beherrschen
+war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu
+bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln
+lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur
+fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich
+natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem Gesindel,
+indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte.
+</p>
+
+<p>
+In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von
+Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der
+alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen
+sollte. Er hatte Antiochos&rsquo; Anerbietungen nicht bloss beharrlich
+zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt,
+von dem er die Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die
+Rhodier und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten
+trat auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an,
+welche man indes roemischerseits nicht annahm.
+</p>
+
+<p>
+In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien
+einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen,
+sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos zu
+vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche Ruecksichten
+bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein
+Hass viel mehr den treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den
+gemeinschaftlichen Feind im Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil
+an der Beute einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden,
+als seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam
+hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten auf die
+makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei Kynoskephalae
+bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen Mann tief verletzte.
+Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur
+Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die
+zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den
+kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die Athener, bei
+welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung
+die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben
+sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf
+Antiochos&rsquo; Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der
+benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen,
+Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die makedonische
+Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom
+noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt,
+mit den Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein
+erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den
+die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man
+hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren
+Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark wie ein
+gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche
+Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen
+ein paar Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig
+Waffenbruederschaft an.
+</p>
+
+<p>
+Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
+Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen
+Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck; allein die
+Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht davorrueckte, und
+eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu besetzen, wurde beim
+Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war fuer die Roemer verloren. Noch
+machte schon im Winter Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen
+einen Versuch, Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt,
+Pherae und andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von
+Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des
+Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis
+zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner fuenfzig
+Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen Chalkidierin Hochzeit
+machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91), ohne dass Antiochos viel mehr
+getan haette als in Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg
+mit Tinte und Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr
+563 (191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius
+Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den
+Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral Gaius
+Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens,
+und Lucius Valerius Flaccus, die nach altroemischer Weise es nicht
+verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in
+das Heer einzutreten. Mit sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und
+Mannschaft, darunter numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa
+gesendet, und die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten
+bis zu 5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen
+Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des
+Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose
+Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von Glabrios
+Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst den Feldzug zu
+beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in Asien Saumseligkeit
+waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er
+nichts hatte als das schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den
+liederlichen Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen
+Jahres bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen
+hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn
+nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die
+Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem
+makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen Staedten
+hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul mit der
+Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich in Larisa.
+Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht
+ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von
+ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen
+Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und
+befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst Xerxes
+gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen
+Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen
+2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht
+keinen andern Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das
+roemische Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg
+postierten Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten
+auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische
+Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob
+auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da
+Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward
+das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet; kaum dass
+ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis
+erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa war bis auf die
+thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu
+verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als
+Entschaedigung fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des
+Konsuls aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis
+ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im
+eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der
+dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in
+Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu
+machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges
+Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und
+Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den Achaeern. Es
+erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt hatte, dass auf die
+Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts
+ankomme. Selbst die Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia
+eingeschlossenes Korps nach hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen
+worden war, mit den schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die
+strengen Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
+einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch einmal
+abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in Naupaktos
+auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und die Erstuermung
+oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus, fortwaehrend bemueht,
+jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen ihres eigenen Unverstandes
+und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen zu bewahren, sich ins Mittel
+schlug und zunaechst einen leidlichen Waffenstillstand zustande brachte. Damit
+ruhten in ganz Griechenland, vorlaeufig wenigstens, die Waffen.
+</p>
+
+<p>
+Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind, als die
+weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr
+bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos&rsquo;
+kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im
+eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der
+See zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs in
+Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen Griechenland und
+Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen war, um die Zeit der
+Schlacht bei den Thermopylen einen starken asiatischen Transport bei Andros
+aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien
+fuer das naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus
+dem Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem
+suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die
+roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs
+karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der syrische
+Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe
+entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe
+erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der
+tyrischen und sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu
+Anfang zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu
+versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und
+nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass sie
+nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens stiessen zu
+der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in
+diesen Gewaessern war nun zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt
+sich seitdem ruhig im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer
+zweiten Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte
+fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen
+von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters
+fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer
+suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen: Smyrna, das
+alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen, beharrlich
+zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf und auch in Samos,
+Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische
+Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den
+Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils
+durch Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und
+vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue
+Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen
+Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im
+naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder
+auf. Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel
+stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos
+beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und den
+pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch
+die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten.
+Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde
+von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral
+Pausistratos, eingeschlaefert durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von
+Antiochos abfallen zu wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln
+lassen, er selbst war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf
+rhodische und zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf
+diese Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
+Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte teils von
+Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit zwanzig neue Schiffe
+der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten, ward Polyxenidas abermals
+genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos einzuschliessen. Da er die angebotene
+Seeschlacht verweigerte und bei der geringen Zahl der roemischen Mannschaften
+an einen Angriff von der Landseite nicht zu denken war, blieb auch der
+roemischen Flotte nichts uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen.
+Eine Abteilung ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den
+Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten
+Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte,
+die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als dieses
+Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue Admiral Lucius
+Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei
+Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der
+ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs
+begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara
+ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur
+Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte
+mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos
+mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer
+auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig
+zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach
+Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da
+es dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien
+verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem
+Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren
+kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen
+Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen
+Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal
+geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die
+stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer
+zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in Pamphylien
+traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in der Schlacht, die
+die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber
+die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und
+Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte
+Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche rhodische
+Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte
+Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die
+roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der
+pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben
+anlangenden Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des
+Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am
+23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende
+August 564 (190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und
+Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und umzingelten
+den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder
+sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in
+saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken dieses
+Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des Koenigs Antiochos
+und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten geschlagen worden und die
+Roemer also &ldquo;den grossen Zwist schlichteten und die Koenige
+bezwangen&rdquo;. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf
+der offenen See zu zeigen und versuchten nicht weiter, den Uebergang des
+roemischen Landheers zu erschweren.
+</p>
+
+<p>
+Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der Sieger
+von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl fuehrte fuer den
+nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig unbedeutenden und
+militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die bisher in Unteritalien
+stehende Reserve ward nach Griechenland, das Heer des Glabrio nach Asien
+bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe befehligen werde, meldeten sich
+freiwillig 5000 Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter
+ihrem geliebten Fuehrer zu fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit
+im Maerz fanden die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen
+Feldzug zu beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt
+dessen sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
+verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus&rsquo; grenzenlose Ruecksichten
+gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl gelassen
+zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen Kriegskontribution und
+unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die Waffen getrieben hatte; es
+war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen
+werde. Scipio beseitigte das unbequeme Hindernis durch Verabredung eines
+sechsmonatlichen Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an.
+Da die eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und
+die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung
+beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den
+Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den Hellespont zu
+gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig
+Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von
+Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich
+in der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg laengs der
+makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen Verlust
+zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche
+Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern,
+teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit
+der Schlacht von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber
+Scipios wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in
+Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht
+bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in Europa die
+starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von der Besatzung und
+der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen Einwohnerschaft raeumen
+liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen aus Aenos und Maroneia
+gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen Magazine zu vernichten, am
+asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer nicht den geringsten Widerstand
+entgegensetzte, sondern waehrend derselben sich in Sardes damit die Zeit
+vertrieb, auf das Schicksal zu schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er
+nur bis zu dem nicht mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette
+verteidigen und sein grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio
+genoetigt worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
+einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
+stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
+zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte des
+Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos bot die
+Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen Besitzungen
+sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen griechischen
+Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die Aufgebung von ganz
+Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren annehmbar gewesen, wenn das
+Heer noch vor Lysimacheia oder auch diesseits des Hellespont staende; jetzt
+aber reichten sie nicht, wo das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die
+Versuche des Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer
+Art den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
+Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche Rueckgabe
+seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze Buerger dem
+Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung Frieden zu schliessen.
+In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig sich zu entschliessen vermocht,
+den Krieg in die Laenge und in das innere Asien zurueckweichend den Feind sich
+nachzuziehen, so war ein guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein
+Antiochos, gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und
+fuer jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
+ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto lieber
+dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos bei Magnesia
+am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190) die roemischen Truppen
+auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann, darunter 12000 Reiter; die
+Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und makedonischen Freiwilligen etwa 5000
+Mann bei sich hatten, bei weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges
+so gewiss, dass sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea
+zurueckgebliebenen Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das
+Kommando uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen,
+bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen,
+die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der Myser,
+Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die Sichelwagen; im
+zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten,
+eine Art Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und
+kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000
+Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand
+und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum
+der beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und
+der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo
+der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die
+saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes fuehrte; die
+Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die Schlacht damit, dass er
+seine Schuetzen und Schleuderer gegen die Sichelwagen schickte mit dem Befehl,
+auf die Bespannung zu halten; in kurzer Zeit waren nicht bloss diese
+zersprengt, sondern auch die naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen;
+schon geriet sogar im zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der
+schweren Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen
+roemischen Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die
+im zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren
+Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung geratenen
+Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen durchgelassen hatte und
+sich fertig machte, gegen die roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den
+Angriff der Reiterei in der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und
+nach beiden Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl
+zustatten kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so
+haette die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel
+war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die
+kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend,
+das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe
+erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden Augenblick
+die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit den Legionen
+anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und Schleuderer, denen in
+der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich
+nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen
+stehenden Elefanten scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das
+ganze Heer sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten,
+misslang und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des
+Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung
+nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen
+waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte, 24
+Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo
+der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes.
+Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten
+Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht
+gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu deren
+Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf
+nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber
+nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines
+Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der Muehe,
+ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war
+mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl
+niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde
+gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst
+ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei
+der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu
+fuellen gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die
+Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die
+roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu
+keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt hatte. Die
+politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt worden. Die griechischen
+Freistaedte an der ionischen und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich
+gleichartige pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen
+Traeger der neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als
+Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren
+Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von
+Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos
+allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war unabweislich
+eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der roemische Einfluss fortan
+massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der
+asiatischen Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten
+Kelten. Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich
+verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die
+festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter der
+kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher
+sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der
+hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist
+erwachsen aus diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen
+hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein
+entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren
+staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen
+Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl der
+uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten Abhaengigkeit
+verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die Hellenen auch in Asien mehr
+als ein Name sein sollte, so musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen
+Klienten ein Ziel gesetzt werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz
+und die damit verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch
+viel mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in
+der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet
+gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den Kleinasiaten
+ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue Oberherrlichkeit mit der
+Tat einzusetzen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit
+hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom
+erbaten, sondern auch Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst
+Tolistoboger genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen
+Inschrift CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind
+wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges
+diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den
+Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf
+gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat
+vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel gegen
+diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt; derselbe war
+vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse,
+so, wie es geschehen war, eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser
+Politik. Ob das hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann
+gewiss in Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den
+Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war
+die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie der
+Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem rechten
+Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit Antiochos
+hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande
+Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass
+die Sendung einer roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen
+Buergerschaft nur unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen
+werden konnte und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles
+dafuer sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen
+Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus
+und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der Feldzug in
+das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von Ephesos auf,
+brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander und in Pamphylien
+ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die Kelten. Der westliche
+Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf den Berg Olympos, der
+mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen,
+in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter
+die Fremden zum Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer
+und Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag
+gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker,
+erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie
+sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden sind,
+die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des nordischen
+Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die Zahl der
+Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden Stellen ungeheuer.
+Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu dem dritten keltischen Gau
+der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an
+welcher die damaligen Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten
+innezuhalten. Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig
+werden; die weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber.
+</p>
+
+<p>
+Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den
+Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen
+Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von Geiseln,
+darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach dem Mass der
+Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten
+(25½ Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf
+Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines
+gesamten europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner
+Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von
+der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm
+in Vorderasien nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem
+Patronat ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es
+natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an
+gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht, gegen die
+westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines
+Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das
+Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu
+befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt
+Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines Verteidigungskrieges,
+und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das Recht, in den westlichen Staaten
+Werbungen zu veranstalten oder politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus
+bei sich aufzunehmen. Die Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl
+besass, die Elefanten und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich
+befanden, lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel
+eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu
+Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer;
+es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des
+Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen
+Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung
+durch die Waffen begehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien,
+verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des roemischen
+Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und
+ihre Inhaber Artaxias und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den
+Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600
+Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines
+Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die
+Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber die
+Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen Staedte
+hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht, diese allerdings
+allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit goldenen Kraenzen und den
+transzendentalsten Lobreden zu vergelten.
+</p>
+
+<p>
+In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da
+hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa
+kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen. Allen
+griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei und den
+Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit
+Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die
+verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die
+Staedte Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von
+Aeneas&rsquo; Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios,
+Kolophon, Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die
+Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt
+zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie
+fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den
+meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies
+Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich
+Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil
+von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in
+seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die bisher
+genossene Zollfreiheit.
+</p>
+
+<p>
+Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die
+Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege
+bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall der
+entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein Koenig seinen
+Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa den Chersonesos mit
+Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon besass, die Provinzen
+Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und Sardes, den noerdlichen Streif
+von Karien bis zum Maeander mit Tralles und Magnesia, Grossphrygien und
+Lykaonien nebst einem Stueck von Kilikien, die milysche Landschaft zwischen
+Phrygien und Lykien und als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt
+Telmissos; ueber Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos
+gestritten, inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und
+also jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft und
+das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht unbeschraenkt
+die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt, dass den Staedten ihre
+Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht werden solle. Ferner musste
+Antiochos sich anheischig machen, die 350 Talente (600000 Taler), die er dem
+Vater Attalos schuldig geworden war, dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit
+127 Talenten (218000 Taler) fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu
+entschaedigen. Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von
+Antiochos abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
+wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war das
+Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was Numidien in Afrika
+war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit absoluter Verfassung,
+bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien in Schranken zu halten, ohne
+anders als in ausserordentlichen Faellen roemischer Unterstuetzung zu
+beduerfen. Mit dieser durch die roemische Politik gebotenen Schoepfung hatte
+man die durch republikanische und nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene
+Befreiung der asiatischen Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die
+Angelegenheiten des ferneren Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest
+entschlossen, sich nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die
+Bedingungen des Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte
+Weigerung des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie
+erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem festgestellten
+Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen zu erwerben. Nachdem
+die roemische Flotte noch eine Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung
+der dorthin in die Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen
+Flotte und Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das
+wieder durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs
+von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten
+nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon
+beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze,
+zusammenzufinden pflegten.
+</p>
+
+<p>
+Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg
+erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer noch
+nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten nach dem im
+Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen Waffenstillstand nicht bloss
+durch ihre kephallenischen Korsaren den Verkehr zwischen Italien und
+Griechenland schwierig und unsicher gemacht, sondern vielleicht noch waehrend
+des Waffenstillstandes, getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand
+der Dinge in Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen
+athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten
+aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen, wobei der
+Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass hiernach Rom ihre Bitte
+um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er
+traf im Fruehling 565 (189) bei den Legionen ein und nahm nach
+fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle
+Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die
+Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von
+eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten
+Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab und
+gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und tueckischen Gegnern
+gegenueber billig genannt werden muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und
+Gebiete, die in den Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches
+infolge einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und
+selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten
+sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen und
+wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms abhaengig;
+endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia setzte sich auf eigene
+Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst, als Marcus Fulvius auf der
+Insel landete; ja die Einwohner von Same, die befuerchteten, aus ihrer
+wohlgelegenen Stadt durch eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen
+nach der ersten Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche
+Belagerung aus, worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich
+in die Sklaverei verkauft wurden.
+</p>
+
+<p>
+Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die italischen
+Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden
+Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen
+Seestationen am Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige
+Laendererwerb kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten
+derselben, Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den
+ihnen an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
+verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
+Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und der
+Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen Beistand
+ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem er ihm den noch
+rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm zuruecksandte; allein
+Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing er nicht. Er erhielt das
+magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den Aetolern abgenommen hatte;
+ausserdem blieben tatsaechlich in seinen Haenden die dolopische und
+athamanische Landschaft und ein Teil von Thessalien, aus denen gleichfalls die
+Aetoler von ihm vertrieben worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland
+in makedonischer Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos
+und Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der
+Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht schwer zu
+erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa empfing, um nicht
+bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung
+des stolzen und in vieler Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein
+es war nicht Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche
+politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht
+ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt hatte:
+man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen Karthago, sich
+vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht wiederkehre.
+</p>
+
+<p>
+Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen
+Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz in ihre
+Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach der Vertreibung
+der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen
+beigetreten waren. Die Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar
+geduldet, dass man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom
+verfuhr. Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu
+unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese
+darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu
+fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich
+unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als unpassend
+seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen Nachgiebigkeit gegen die
+Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren Willen getan. Allein damit hatte
+die Sache kein Ende. Die Achaeer, von ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht
+gepeinigt, liessen die Stadt Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges
+besetzt hatten, nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede
+ihrer Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten
+Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur widerwillig
+gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig Flamininus&rsquo;
+guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie glaubten es sich
+schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates um so mehr zur Schau zu
+tragen, je weniger daran war; man sprach von Kriegsrecht, von der treuen
+Beihilfe der Achaeer in den Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen
+Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere,
+da Achaia ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also
+gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das
+alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel
+laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und ein noch
+tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu
+gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen
+nichts gab als die Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch
+den hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle
+zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist
+ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder
+eine Torheit und eine wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all
+jener nationalen Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum
+letzten Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
+Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem Himmel,
+wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der Senat zu verstehen
+gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig nachzugeben, um es nicht gezwungen zu
+tun; man tut, was man muss womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden
+Weise, &ldquo;um die Formen zu retten&rdquo;; man berichtet, erlaeutert,
+verschiebt, weicht aus, und wenn das endlich alles nicht mehr gehen will, so
+wird mit einem patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch
+wo nicht auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf
+entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft
+vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen
+solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn
+doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die die
+gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten
+Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie die
+Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern bringen. Der
+von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel
+wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in
+Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten, welche
+politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die Roemer trugen den
+Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen -, sondern die Griechen
+ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die Achaeer, die ueber ihren
+Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten
+es gewesen, dass Flamininus die aetolisch gesinnten Staedte nicht der
+Eidgenossenschaft einverleibt hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich
+eine wahre Hydra inneren Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder
+dieser Gemeinden in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen,
+darunter charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
+Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen Bunde in
+Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten Emigrierten von
+dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen
+Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und
+zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen
+von Nabis mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft
+verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis
+gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt, die
+Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern niedergerissen
+wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward dann zuletzt von allen
+Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung,
+die die gerechte Strafe fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit
+entfernt, sich zu viel in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat
+nicht bloss die Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit
+musterhafter Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit
+straeflicher Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia,
+als nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat
+darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die Lakedaemonier
+geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert ueber den von den
+Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig bis achtzig Spartanern,
+der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die Spartaner nahm - freilich ein
+empoerender Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines unabhaengigen
+Staates! Die roemischen Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um
+diese Suendflut in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen
+ueber die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
+Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier Parteien
+aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam der persoenliche
+Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen Staatsmaenner in Rom machten;
+selbst Flamininus schuettelte den Kopf, als ihm einer derselben heute etwas
+vortanzte und den andern Tag ihn von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so
+weit, dass dem Senat zuletzt die Geduld voellig ausging und er die
+Peloponnesier dahin beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie
+machen koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht
+recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und politische
+Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand
+herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat
+ging, um ihn ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine
+folgerechte und gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas
+weniger getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik
+wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht.
+</p>
+
+<p>
+So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten
+von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein
+Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein
+Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der erst den
+ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und
+der vielleicht nur gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an
+der kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten muessen,
+den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach
+Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias,
+beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie
+immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den
+Prusias zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie
+erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der
+roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl
+aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt,
+scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in seiner
+unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte, auf seine
+eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten, so Rom von
+Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar
+nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu
+richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte
+sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit
+zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein Haus
+von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst darauf,
+fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige.
+Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte
+des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt
+Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade genug
+gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch selber seine
+letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt
+zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand
+gleichwie der Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein
+imstande war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen,
+als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den
+Knabenschwur gehalten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs Artaxias
+die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528; Plut. Luc. 31), ist
+sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie Hannibal, fast wie Alexander,
+mit den orientalischen Fabeln verwachsen ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den
+die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das
+Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt
+blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien, Afrika,
+Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die erste Gemeinde
+Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt.
+Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen
+Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten
+Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in
+freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche nicht in
+der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in der seine Ahnen
+ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die
+Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und
+mehr noch gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel
+nichtige Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren;
+obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher,
+statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der
+Anklaeger zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu
+begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess
+den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies
+der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein
+anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr entschiedene
+Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius den widerwaertigen
+Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der
+echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem
+Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber
+gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold und schimmerndem
+Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes
+und des Glanzes der Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn
+dieser Zauber zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der
+Zauberer selbst erwacht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/>
+Der Dritte Makedonische Krieg</h2>
+
+<p>
+Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die Behandlung, die er
+nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern erfahren hatte; und der weitere
+Verlauf der Dinge war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine
+Nachbarn in Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor
+dem makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem
+roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht
+all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos&rsquo; des Zweiten Zeiten
+von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile
+antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft auf den
+Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen
+Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden
+worden, was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler
+angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der Magneten,
+wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der thessalischen
+Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen,
+den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem
+Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe. Auch die
+Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die
+Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich
+Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische
+Chersonesos ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose
+geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias
+gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes
+Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von
+Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht nehmen
+oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil stets gegen ihn
+ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen
+und perrhaebischen Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen
+Kommissare hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles
+vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert gegen
+Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn
+sogar geneigt; man verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die
+Formen, aber im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von
+Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer
+Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach
+seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem
+ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern
+persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts
+gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn
+schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen.
+Dies Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass
+den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen
+Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der
+Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl
+gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos&rsquo; Gunsten zu tun, und
+hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an mit Makedonien
+in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos politisch und persoenlich
+aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden, die unter allen oestlichen
+Maechten am meisten dazu beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu
+zertruemmern und die roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die
+Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit
+Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten
+muessen, hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des
+Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der
+makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat
+an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient
+war.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein weiser und
+sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich entschlossen, den ungleichen
+Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen; allein Philippos, in dessen Charakter
+von allen edlen Motiven das Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am
+maechtigsten waren, war taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der
+Resignation, und naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu
+werfen. Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den
+thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten, antwortete er
+mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne nicht untergegangen
+sei ^1.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse
+eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie
+bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung
+gegeben haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er
+sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann
+eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und
+die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia,
+buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien der
+Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos&rsquo; Geheiss bewirkte sein
+juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige
+Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich
+Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien
+eine roemische Partei zu bilden, die Philippos&rsquo; natuerlich den Roemern
+nicht unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte zu
+deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren,
+leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit
+absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes
+willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen Hause
+selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs aelterer und vom
+Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus
+in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint
+nicht, dass Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der
+falsche Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da
+beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes
+Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise
+erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige
+und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu spaet
+erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der Tod ereilte
+ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von der Thronfolge
+auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in Demetrias, im
+neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er zerschmettert, das
+Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er sich ein, dass all seine
+Muehsal und all seine Frevel vergeblich gewesen waren.
+</p>
+
+<p>
+Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder bei dem
+roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen
+Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt,
+gleich seinem Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel.
+Ihn reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments
+nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig
+und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten
+zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom Schicksal
+verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in seinem
+einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen worden war in
+den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen war im Druck der
+Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte
+er von seinem Vater mit dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine
+Hoffnungen. In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des
+vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum
+Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht die
+Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit Stolz sah die
+stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend
+stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen
+aller Staemme meinten in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen
+Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte
+Philipps Genialitaet und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen
+Eigenschaften, die das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende
+Macht der Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die
+Dinge gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und
+ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit
+unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was er
+angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit
+entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschraenkten
+Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er haeufte Schaetze auf
+Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer im Lande standen, vermochte er
+nicht von seinen Goldstuecken sich zu trennen. Es ist bezeichnend, dass nach
+der Niederlage der Vater zuerst eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem
+Kabinett zu vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich
+einschiffte. In gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag
+so gut und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht
+geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn
+nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte.
+</p>
+
+<p>
+Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus
+der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch
+den Hader politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der
+monarchischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank
+beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen
+herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen
+mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer
+und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters
+brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig
+Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung teils von
+selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer als fuer den
+eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos
+hielt die Makedonier an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die
+Kuestenstaedte, aus denen er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen
+Kolonisten von zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die
+verheerenden Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden
+eine Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
+das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in den
+noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer Makedonien,
+wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal gruendete. Die
+Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und die Mietstruppen zu
+rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den bestaendigen Grenzkrieg
+gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es, dass Philippos nicht wie
+Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu organisieren; allein es begreift
+sich, wenn man sich erinnert, was den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene,
+aber doch noch immer unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen
+Finanzquellen, die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen
+hatte, und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
+die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
+makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und fuer
+10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und fanden sich in
+den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso lange Zeit (18 Mill.
+Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer ein dreifach so starkes
+Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war Makedonien ein ganz anderer
+Staat geworden, als da es durch den Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom
+ueberrascht ward; die Macht des Reiches war in allen Beziehungen mindestens
+verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es
+vermocht, Rom bis in seine Grundfesten zu erschuettern.
+</p>
+
+<p>
+Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der Natur der
+Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von Antiochos wieder
+aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze einer Koalition aller
+unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu stellen; und allerdings gingen
+die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering.
+Dass die Treue der Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte
+weder Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der
+Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen
+makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa in Rom
+denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Maenner nicht
+erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich ist, voellig erfunden
+waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch
+Zwischenheiraten in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei
+weiter nichts heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die
+Laender mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den
+Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten
+Perseus&rsquo; Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo
+er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der
+saubere Plan misslang.
+</p>
+
+<p>
+Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und
+die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die
+alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken
+durch einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen
+Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der
+ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem
+Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse
+bereits erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen
+auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist
+mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung
+Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos&rsquo; letzte Zeit faellt (573
+181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen
+Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an dem
+verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen naechstwohnenden
+Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen und der ganze Haufen
+ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der Koenig
+suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen des illyrischen Landes, des
+heutigen Dalmatiens und des noerdlichen Albaniens, seine Klientel auszubreiten.
+Nicht ohne Perseus&rsquo; Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom
+hielt, Arthetauros, durch Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios,
+der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater
+in Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf
+einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus mit
+dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem Einverstaendnis
+stehe und Genthios&rsquo; Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten.
+</p>
+
+<p>
+In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu stand der
+maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr
+des ganzen oestlichen Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros
+(Maritza) bis an den mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge
+und tapfere Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren
+Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer,
+Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten Raubzugs von
+Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hierher hatte Philipp
+zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger
+Zahl zu Gebot.
+</p>
+
+<p>
+Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus
+lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft
+gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte den Ausdruck -
+die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu bringen versuchte. Dass
+alle national Gesinnten unter den asiatischen wie unter den europaeischen
+Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht
+wegen einzelner Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die
+Herstellung der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in
+sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff,
+dass die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer
+Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter Auslaender
+hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und rechtschaffensten
+Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen, war in der Ordnung;
+roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hier und da ein einzelner
+ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der
+Nation nicht taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon,
+der Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich
+behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art;
+vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit
+wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste vernehmen,
+dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines schoenen Tages im
+ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle frueher ihm errichteten
+Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln eingeschmolzen habe (584 170), waehrend
+Perseus&rsquo; Name auf allen Lippen war; waehrend selbst die ehemals am
+entschiedensten antimakedonisch gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die
+Aufhebung der gegen Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend
+Byzantion, obwohl innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von
+Eumenes, sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und
+empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss;
+waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine
+syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich nicht
+zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her
+zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum
+Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte,
+also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten
+geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte schien
+wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der Koenig Perseus
+unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen
+sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese
+nationale Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in
+der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische
+Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der
+Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der
+beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im europaeischen
+Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas besser geordneten
+Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam
+vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu
+machen, so zum Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den
+Perrhaebern, den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden
+sich foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen
+Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung
+verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine Anzahl
+von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer versuchten zu
+vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter Sache zurueck und
+meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die Erbitterung nicht zu
+bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes mehr als der Offizier und
+der Scharfrichter; der sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu
+werden, wie er von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber
+bemaechtigte sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die
+nichts, am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess
+nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern
+liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche saemtliche
+wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer Schulden wegen
+landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach Makedonien zu kommen und
+volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und Gueter zu gewaertigen. Dass sie
+kamen, kann man sich denken; ebenso dass in ganz Nordgriechenland die glimmende
+soziale Revolution nun in offene Flammen ausschlug und die national-soziale
+Partei daselbst um Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet
+nur mit solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer
+Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises
+wert sei.
+</p>
+
+<p>
+Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es Zeit sei,
+dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des thrakischen Haeuptlings
+Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis stand, die Buendnisse Makedoniens
+mit den Byzantiern, Aetolern und einem Teil der boeotischen Staedte waren
+ebensoviel Verletzungen des Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das
+offizielle Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im
+Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und
+Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173)
+sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich
+unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem roemischen
+gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom
+mit einem langen Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im
+Senat auf, worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die
+Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen
+versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren
+Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck
+koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis
+mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben
+an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit
+war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus
+wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei
+ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende
+roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und den
+Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon vor dem Ernst
+der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular
+Quintus Marcius Philippus, ueber die Frivolitaet der roemischen
+Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und sich durch diese bestimmen, den
+Angriff zu verschieben und noch einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen,
+den, wie begreiflich, der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher
+Makedonier aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die
+Senatoren der aelteren Schule die &ldquo;neue Weisheit&rdquo; ihres Kollegen
+und die unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter
+verfloss, ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen
+Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
+berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei
+daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war noch
+ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen
+Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen; und ueberdies
+war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen,
+die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen
+inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der
+roemischen Gesandten gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als
+die Roemer selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die
+Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs
+tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer
+Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae,
+Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die
+Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen
+Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener, dass sich
+am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und welche nicht, wenn
+jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische
+Eidgenossenschaft geradezu auseinander. Es ist nicht wahr, dass
+Epaminondas&rsquo; grosser Bau von den Roemern zerstoert worden ist; er fiel
+tatsaechlich zusammen, ehe sie daran ruehrten, und ward also freilich das
+Vorspiel fuer die Aufloesung der uebrigen, noch fester geschlossenen
+griechischen Staedtebuende ^2. Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten
+boeotischen Staedte belagerte der roemische Gesandte Publius Lentulus
+Haliartos, noch ehe die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte
+uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung Korinths
+(Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit epeirotischer
+Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen
+Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die
+Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus
+sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines
+eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im
+Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist
+zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch
+wenn er soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen
+Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen
+Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago,
+Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das
+mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe
+an, welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine
+Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln
+nach Rom. Perseus&rsquo; Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb
+neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von
+Syrien, im Kurialstil &ldquo;der Gott, der glaenzende Siegbringer&rdquo;
+genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem &ldquo;Grossen&rdquo;, ruehrte
+sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges
+das syrische Kuestenland zu entreissen.
+</p>
+
+<p>
+Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht
+veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten
+und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils Soeldner.
+Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen 30- und 40000 Mann
+italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann numidischen, ligurischen,
+griechischen, kretischen und besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die
+Flotte, die nur 40 Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand
+- Perseus, dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte,
+richtete erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann
+Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken
+bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul
+Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um
+von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie
+gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran,
+den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien
+einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete er den
+Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den beiderseitigen
+Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden entschieden geschlagen. Kotys
+mit der thrakischen Reiterei hatte die italische, Perseus mit der makedonischen
+die griechische geworfen und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss,
+2000 Reiter an Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich
+gluecklich schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen.
+Perseus benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
+hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er bereit.
+Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden nach einer
+Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings folgeweise den
+Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes anzugreifen verstand der elende
+roemische Feldherr auch nicht; man zog hin und her in Thessalien, ohne dass
+etwas von Bedeutung geschah. Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die
+Roemer schlecht gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht
+durch Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
+glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen Insurrektion
+der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines Guerillakrieges
+unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein guter Soldat, aber kein
+Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Verteidigungskrieg gefasst
+gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen
+unbedeutenden Erfolg, den die Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei
+Phalanna davontrugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten
+und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und
+Thessalien zu raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken
+einer hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen
+lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden
+Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig
+Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch gesinnten
+Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hinausschlagen. Dagegen
+nahm die roemische Westarmee einige illyrische Staedte, und der Konsul
+beschaeftigte sich damit, Thessalien von den makedonischen Besatzungen zu
+reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von
+Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut
+die ungluecklichen boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner
+sowohl von Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral
+Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore
+schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft,
+Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso behandelt.
+Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter
+diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten
+Feldzug 584 (170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen
+nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso
+unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen
+Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius
+Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war,
+erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien
+hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit
+den an der Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee
+entbehrlich gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche
+Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit dem
+Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen,
+waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er
+vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee
+machte ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die
+thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden schlaff
+angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte
+der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen
+Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier
+erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die Abteilungen daher
+niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die
+Offiziere im grossen Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten
+Voelkerschaften wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die
+Schuld der schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei
+der aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
+Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros. durch
+falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte wurden, als
+waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und wenn sie auf den
+roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet oder zu Sklaven
+verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis. Der Senat schritt sehr
+ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung der ungluecklichen Koroneier und
+Abderiten und verbot den roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats
+Leistungen von den Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der
+Buergerschaft einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das
+Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein
+Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum
+wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft
+gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus&rsquo;
+Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der
+Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen begonnen
+haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets von seinen Gegnern
+ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und
+Westen eine wahre Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu
+verschanzen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die
+Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.; AM 4,
+1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese Verhaeltnisse.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte, Quintus
+Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund des Koenigs, war
+seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig
+und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass
+Lapathus westlich von Tempe den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu
+gewinnen, dass er gegen die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess
+und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
+bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss konnte
+eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen
+Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand er mit der
+makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten
+Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und
+ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren, in einer nicht minder
+verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten Konsulat in den ligurischen
+Engpaessen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte
+umzingeln lassen. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt
+Perseus&rsquo; Unfaehigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen
+die Roemer anders als durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er
+sich seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben
+erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu
+verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser freiwillige
+Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch nicht aus seiner
+peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste aber nach vier
+Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden;
+und da auch der Koenig zur Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die
+verlassene Position wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse
+Gefahr geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe
+kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die
+Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert;
+aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten Stellung an dem
+Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert und hemmte hier den
+weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das roemische Heer den Rest des
+Sommers und den Winter eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und
+wenn die Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste
+wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der
+Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen
+Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und
+richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus&rsquo; leichte Schiffe streiften
+kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten
+Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand
+es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung
+nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die
+Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von
+Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen,
+mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf
+uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder
+zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der
+bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen Rom
+einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der
+nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu
+trennen vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken
+koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso
+viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen;
+allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es
+so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen
+Kasse leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu
+geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
+</p>
+
+<p>
+Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland zu
+senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen Konsuls, der
+bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem Vermoegen und deshalb
+auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem Schlachtfeld, wo er in
+Spanien und mehr noch in Ligurien sich ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte
+das Volk fuer das Jahr 586 (168) zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste
+wegen, was damals schon eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung
+der rechte: ein vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich
+und seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein
+unbestechlicher Beamter - &ldquo;einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen man
+kein Geld bieten konnte&rdquo;, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein Mann von
+hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit benutzte, um
+Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen.
+</p>
+
+<p>
+Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess er,
+waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
+beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius Nasica
+ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach Pydna
+zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder am 22. Juni des
+Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein kundiger roemischer
+Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses Anzeichen darin gefunden
+werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der
+Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten handgemein, und beide Teile
+entschlossen sich, die eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte
+Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend
+ordnete der greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so
+stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch
+manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert
+habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward
+niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck,
+bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier
+wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung hatte die
+Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede
+Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische
+Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald
+sich in Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in
+weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000
+erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es
+war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug,
+hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen
+auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am
+fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte; ganz
+Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete mit seinem Golde
+- noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach
+Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch
+einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes
+versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch
+die koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er,
+dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich
+an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So
+schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er sich
+darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte auf Gnade
+und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen Schaetzen,
+kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und
+mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend
+empfing der Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr
+heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in
+Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben
+italischen Landstadt als Schreiber.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben
+verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs
+getoetet, ist sicher eine Fabel.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
+hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde.
+</p>
+
+<p>
+Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch
+der Krieg gegen den &ldquo;Koenig&rdquo; Genthios von Illyrien von dem Praetor
+Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte
+genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des
+grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen in Rom
+ein.
+</p>
+
+<p>
+Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren duerfe,
+die Flamininus&rsquo; unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte. Makedonien ward
+vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon verfuegte die roemische
+Kommission die Aufloesung des festgeschlossenen, durch und durch monarchischen
+Einheitsstaates in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
+zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von Amphipolis in
+den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der chalkidischen
+Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und den von Pelagonia im
+Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen der verschiedenen
+Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte in mehr als einer
+derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene
+Soehne mussten das Land verlassen und sich nach Italien begeben, bei
+Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten
+Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens
+bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und
+innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen
+gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den
+Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben,
+ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138)
+wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die Einfuhr von
+Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die bisher an den Koenig
+gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den
+Gemeinden ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte
+der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz,
+zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das
+ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift;
+nur an der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren
+bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde
+nach Rom gesandt, der Rest verbrannt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke
+wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen.
+Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also
+blieben entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren
+verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens
+(Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze
+Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl
+derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr energischen
+Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des alten Koeniggeldes.
+</p>
+
+<p>
+^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der
+&ldquo;herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward&rdquo; (Polyb. 37,
+4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser Steuer
+angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios&rsquo; Worten,
+dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der
+der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die
+augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem
+Erlass der Steuer vereinigen lassen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den Ruf
+von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen, und ist
+uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne Geschichte geblieben.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei kleine
+Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die Haelfte der
+bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es
+mit den Roemern gehalten hatten und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine
+Ausnahme, die zu machen Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische
+Piratenflotte ward konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an
+dieser Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den
+Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens
+auf lange hinaus ein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu
+brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck.
+</p>
+
+<p>
+So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von
+dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je,
+ein Koenig nirgend mehr vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu
+zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen hellenischen
+Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie
+miteinander in dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst
+mag sich rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen
+die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht
+nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist.
+Am schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom
+geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und dessen
+man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich
+der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes
+einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung
+zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die
+Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber
+ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine
+Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm
+500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an
+Perseus&rsquo; Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische
+Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins
+Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung
+gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur
+irgendeine heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente
+Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172)
+zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus&rsquo; Banditen
+ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten
+eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er ueberdies nie
+ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil an der Beute seinem
+Moerder um einige Talente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche
+Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen,
+sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus&rsquo; Papieren
+noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht,
+jene Verdaechtigungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man
+wollte, zeigt das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes&rsquo;
+Bruder, der die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte.
+Mit offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
+aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten - gern
+werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat nichts als Aenos
+und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine vorlaeufige Bitte sei und
+gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er aber abreiste, ohne weitere
+Forderungen gestellt zu haben, und der Senat zu der Einsicht kam, dass die
+pergamenische Regentenfamilie unter sich nicht so lebe, wie es in den
+fuerstlichen Haeusern hergebracht war, wurden Aenos und Maroneia zu
+Freistaedten erklaert. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Pergamener
+von der makedonischen Beute; hatte man nach Antiochos&rsquo; Besiegung
+Philippos gegenueber noch die Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen
+und demuetigen. Um diese Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz
+Eumenes und Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben.
+Wichtiger war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des
+Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien
+vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen
+Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne Zweifel
+rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene Spannung, wenn
+nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich
+ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische
+Vermittlung; der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos,
+der das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden
+nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er
+erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht
+erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater
+von dem Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss
+sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren. Da
+beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige
+kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach
+Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn
+zu fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise
+gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich,
+weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche
+der halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann
+die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie
+standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen
+Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder Art
+einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug zu leisten.
+Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr Einverstaendnis mit
+Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten Zerwuerfnisse mit Rom
+hatten stattgefunden infolge des Aufstandes der nach Antiochos&rsquo;
+Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178)
+als abtruennige Untertanen in grausamer Weise knechteten; diese aber
+behaupteten, nicht Untertanen, sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und
+drangen damit im roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den
+zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes
+ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste
+getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen wie
+anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus ausbrach, sahen ihn
+die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen Griechen ungern, und
+namentlich Eumenes als Anstifter desselben war uebel berufen, so dass sogar
+seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein
+dies hinderte sie nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die
+es wie allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch
+585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist
+die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor der
+Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier und im
+roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht laenger diesen
+Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel und auf die
+Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu
+schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende
+bereits mit Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen
+haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese
+wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann,
+als man in Rhodos den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere
+Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul
+Quintus Marcius, jener Meister der &ldquo;neumodischen Diplomatie&rdquo;, im
+Lager bei Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen
+Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht
+hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit
+taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette gern
+zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt - Verbindungen mit
+Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten
+mehr, als sie sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel
+groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame
+Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute
+Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger
+Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu
+beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber das andere
+kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des
+einen Verstosses zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der
+makedonischen Partei auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen
+schweren Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der
+ehrliche Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen
+haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und
+ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles
+erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine Worte und
+Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre Besitzungen auf
+dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120 Talenten (200000 Taler)
+abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon
+die Verbote der Salzeinfuhr nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus
+Makedonien scheinen gegen Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den
+rhodischen Handel die Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische
+Hafenzoll, der bis dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen
+hatte, sank in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt
+aber waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
+kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen. Selbst das
+erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590 (164) nach
+wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber machtlosen Kreter
+kamen mit einem derben Verweis davon.
+</p>
+
+<p>
+Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war
+Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der
+Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der syrischen
+Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von Babylon indes, der
+sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte. Wie es scheint, gab die
+Anweisung der Mitgift auf die Steuern der koilesyrischen Staedte die
+Veranlassung zu dem Hader und war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch
+des Krieges veranlasste der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem
+spaetestens die Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten
+begonnen zu sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die
+Gelegenheit gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die
+Erwerbung Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch
+einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm
+guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor, der Sohn
+jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten und war schlecht
+beraten; nach einem grossen Sieg an der syrisch-aegyptischen Grenze konnte
+Antiochos in demselben Jahr, in welchem die Legionen in Griechenland landeten
+(583 171), in das Gebiet seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in
+seiner Gewalt. Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors
+Namen, sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
+deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle den
+juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig. Unruhen in
+seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten ab; als er zurueckkam,
+hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich miteinander vertragen, und er
+setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht
+lange nach der Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte
+Gaius Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des
+Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu
+raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe
+einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis
+ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach seiner
+Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der er war, die
+Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des
+Paullus zu parodieren.
+</p>
+
+<p>
+Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch die
+Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre
+Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so
+machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten
+Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend
+fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das
+barsche Wort eines Diplomaten entschied.
+</p>
+
+<p>
+In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die
+boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter
+zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig
+Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner,
+150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die
+Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die
+fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss
+Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um
+die oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil
+ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die
+Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch
+ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus&rsquo; Heer gedient
+hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des
+Koenigs oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen
+Gegner konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos
+zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten
+unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der
+Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so sehr
+den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die kindische
+Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich
+sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten,
+erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der
+Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien
+bleiben wuerden. Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich
+gehalten, Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage
+der aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge
+einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der ertraeglichste
+und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig zufrieden damit, dass
+man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es deshalb zweckmaessig gefunden,
+in der Ratsversammlung vorlaeufig 500 der vornehmsten Maenner der aetolischen
+Patriotenpartei niederstossen zu lassen; die roemische Kommission, die den
+Menschen brauchte, liess es hingehen und tadelte nur, dass man diesen
+hellenischen Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen.
+Aber man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes
+italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen
+Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder Pergamon
+bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht, sondern was man
+tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im roemischen Sinne, zu ueben und
+die aergerlichsten Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen.
+</p>
+
+<p>
+Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen Klientel
+vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich Alexanders des Grossen,
+gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe geworden, an die roemische
+Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten stroemten die Koenige und die
+Gesandten nach Rom, um Glueck zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals
+kriechender geschmeichelt wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig
+Massinissa, der nur auf ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu
+erscheinen, liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den
+Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches
+betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig
+lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien
+aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem
+Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat gefuehrt
+ward, und huldigte den &ldquo;rettenden Goettern&rdquo;. Da er so sehr
+veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und schenkte
+ihm die Flotte des Perseus.
+</p>
+
+<p>
+Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der
+Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen
+Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein
+zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt
+gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege
+gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der roemisch-griechischen
+Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt
+erkennt fortan in dem roemischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen
+Kommissionen in letzter Instanz zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um
+dessen Sprache und Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge
+Maenner in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser
+Herrschaft zu entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden,
+von dem grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
+auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
+Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
+Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen
+Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu halten.
+Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und Anarchie aufloesen,
+wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich
+zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien
+versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf
+eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft
+eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue
+Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber sich
+aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem Asiatischen
+Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward
+nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es
+erwies sich auch das roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von
+vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge
+eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten
+in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich schon
+deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der makedonischen
+Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere Intervention in die
+inneren Angelegenheiten der griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung
+und ihrer politischen wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo
+doch die Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte,
+endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und
+Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten
+in Untertanen Roms.
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der Einigung
+Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen Lauf, so erscheint
+die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von unersaettlicher Laendergier
+entworfener und durchgefuehrter Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der
+roemischen Regierung sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat.
+Freilich liegt jene Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den
+Mithradates sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und
+Koenigen aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden
+Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht
+hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine
+geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede nicht
+oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung waehrend dieses
+ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die Herrschaft ueber Italien,
+dass sie bloss wuenschte, nicht uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben,
+und dass sie, nicht aus Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr
+richtigen Gefuehl, den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu
+lassen, sich ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich
+Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende
+jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit
+unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet, dass sie
+nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien; es
+ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit
+Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen
+nicht minder als zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat
+entweder durch einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung
+der bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der Regel
+von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg sich nicht so
+gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse Italiens es haette tun
+sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung Spaniens, die Uebernahme der
+Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der halb phantastische Plan, den Griechen
+ueberall die Freiheit zu bringen, schwere Fehler waren gegen die italische
+Politik, ist deutlich genug. Allein die Ursachen davon sind teils die blinde
+Furcht vor Karthago, teils der noch viel blindere hellenische
+Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig
+bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen.
+Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen
+gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt,
+sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten
+Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu
+entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen
+Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel gehabt hat.
+Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen
+Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht
+der Nationen nicht und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt
+hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die
+hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn
+freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist
+vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des
+Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und
+Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint,
+dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums
+haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am
+letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens Groesse
+und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die geschichtliche
+Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die militaerische Ueberlegenheit
+der Legion ueber die Phalanx, sondern die notwendige Entwicklung der
+Voelkerverhaeltnisse des Altertums ueberhaupt gewaltet, also nicht der
+peinliche Zufall entschieden, sondern das unabaenderliche und darum
+ertraegliche Verhaengnis sich erfuellt hat.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/>
+Regiment und Regierte</h2>
+
+<p>
+Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen
+aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen
+worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in
+gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn
+innerhalb des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten
+hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in
+den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten
+senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der
+Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen
+Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben
+entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie jene dem
+gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten
+Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten
+staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge dieser Parteibildung
+gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte Auspraegung erst dem folgenden
+Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloss von dem
+Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es
+entzieht sich auch ihr Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der
+roemischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom
+sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese
+neue roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
+Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und
+langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich
+geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren
+historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe
+tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung
+zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen
+Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen fallen in
+diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms
+ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener
+Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und
+in dem furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen
+zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit des
+Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen hoechsten
+Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich, von jeher
+tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran schon frueh gewisse
+Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher
+Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt
+war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben
+aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im
+Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung
+des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und
+die roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden
+ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng ueberwachte.
+Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen
+durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene
+Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der
+Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 -
+geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche
+Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend
+des Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis
+gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte
+oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in
+der Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des Patriziats
+noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den ersteren als
+aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher
+erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt
+wohl schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat
+gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten.
+Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese
+erblichen Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die
+ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern lediglich
+das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an der gemeinen
+Rechtspflege, also an der Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende
+kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne
+des Wortes sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den
+Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen
+von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil
+laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche Adelschaft
+vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze kommt also der Sache
+nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen Pairsschub nennen wuerde. Wie
+die durch ihre kurulischen Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den
+patrizischen sich koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte
+Stellung und ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf
+dem Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
+eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in der Tat
+nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und musste die Fehde
+zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern und den gegen die
+Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals beginnen. Und so weit war man
+sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen
+Ehrenrechten, sondern rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte
+die wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus
+Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst
+wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen
+Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher
+Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden
+sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im
+fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten
+schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von
+Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von dem
+silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet
+zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den
+Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin
+denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen
+Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1,
+6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der
+Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der
+ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die
+Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen.
+</p>
+
+<p>
+Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der
+Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal
+trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward
+durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das
+unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute jemand
+ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.
+</p>
+
+<p>
+^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer Gewalt,
+das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere mehr. Was die
+Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen Sessels der Zensoren (Liv.
+40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches Amt gegolten zu haben; fuer die
+spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne
+praktischen Wert. Die plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu
+den kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass
+sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des
+weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch
+gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244
+(510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die
+Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor
+allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten
+auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten
+berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so
+gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber ergaenzendes
+Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den
+Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den
+Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar
+war in dieser Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen
+aus dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft
+noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
+aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
+Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei
+Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch namentlich der
+nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der
+Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie
+wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen, zu einer unbedeutenden und
+verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in demselben herabgedrueckt und ward
+der Senat wesentlich Traeger der Nobilitaet.
+</p>
+
+<p>
+Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der
+Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel
+musste, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien
+anzumassen, es in hohem Grade wuenschenswert sein, wenigstens eine
+Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der
+Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die
+Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen.
+Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden
+verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die
+Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle
+durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter
+anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise
+den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und
+ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf vornehme
+Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen ansehnlichen
+Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen.
+Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator
+dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens
+tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien stimmten
+und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen Maenner der
+Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch
+die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der
+Legionarreiterei, als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der
+militaerischen Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im
+Fussvolk mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der
+eigentlichen Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch
+Herkunft und Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei.
+Man wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des
+Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit den
+Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und weshalb Cato
+als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine ernste Strafrede zu
+halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung der Buergerreiterei in eine
+berittene Nobelgarde gereichte dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil
+als zum Vorteil der Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht
+bloss ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die
+gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht haltbar. Die
+Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgefuehrten
+Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser
+Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu erklaeren. Bezeugt aber
+ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser
+Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die
+zweite, die ueberhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht fuer
+die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch
+Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist
+gewiss, dass die Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann
+sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die
+Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhaengende
+Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt
+nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen
+Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der
+handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius&rsquo;
+Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der
+grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244)
+offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verstaendlich an,
+dass hiermit der damalige Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt
+bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den
+hervorragendsten Teil uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den
+alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher
+Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents
+der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S.
+238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde
+auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben vorgetragenen
+wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der
+Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem
+faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem
+Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die
+Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener
+Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo
+publico, stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem
+Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse;
+sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und
+nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch.
+</p>
+
+<p>
+In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das erbliche
+Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als
+Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und faellt
+damit fuer die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen
+Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den Volksfesten
+zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194)
+sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur
+Abstimmung berufene der Zenturien; und dass jene nichts zu beschliessen hatte,
+machte die hierin liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von
+Herrenstand und Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum
+auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und
+nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie ihr
+Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu verstecken, ein
+sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es sich, weshalb die Zensur
+der Angelpunkt der spaeteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses
+urspruenglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit
+einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer
+ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der
+Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn
+erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in
+dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner
+Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als
+einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie
+ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu
+erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die
+ungewoehnlich ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der
+Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres
+550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
+sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
+wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig,
+den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren- und Ritterpersonal zu
+belassen, da das Ausschliessungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt
+und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle
+Kapazitaeten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser
+Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu
+bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
+Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der blanken
+Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab. Ausser der Schranke,
+welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen
+Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf Jahren der Revision unterlagen, und
+ausser den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des
+Nachfolgers gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare
+hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht
+machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher
+Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches
+Verfahren von der Liste zu streichen.
+</p>
+
+<p>
+In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
+gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das Regiment
+wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um.
+Es gehoert schon hierher, dass man, um die Gemeindeaemter im Preise zu halten,
+die Zahl derselben so wenig wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade
+vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es
+erfordert haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
+abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor verwalteten
+Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die
+Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen unter
+Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm, im Jahre 511
+(243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer die vier
+ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das
+Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der
+roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende Einfluss des Bueropersonals
+gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der
+roemischen Magistratur.
+</p>
+
+<p>
+Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie fast
+durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der bestehenden
+Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die
+Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der
+buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und
+deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr
+und mehr von Geburt und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung
+der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach.
+Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom Feldherrn auf die
+Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, dass die
+saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen jaehrlichen Aushebung, die
+vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den
+Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unuebersteiglicher zog sich also
+die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und
+tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch
+Bewerbung von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen
+dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen wichtigen
+Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen
+an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knuepfen.
+Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Saeule des
+roemischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer
+politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr
+haeufig eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des
+demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivitaet. Es
+war eine schneidende Kritik der neuen Institution, dass bei ernsthaften Kriegen
+(zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische
+Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn
+zu ueberlassen.
+</p>
+
+<p>
+Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die Wiederwahl zu
+den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies allerdings notwendig,
+wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der
+vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn
+Jahren gestattet und die zur Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich
+ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung
+darin, dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre
+537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon
+nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die
+Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser
+Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um Gemeindeaemter
+verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei
+jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich
+hatte beides laengst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche
+Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen
+erhoben und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen
+Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den
+Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der
+Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und
+geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden
+sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie
+gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von
+den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich
+ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der
+sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich
+ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der
+Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis
+zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und
+Zensorenlisten erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die
+meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier,
+Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf
+besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564
+(190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschliessung der
+Aermeren vom Regiment war freilich durch die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom
+ein rein italischer Staat zu sein aufgehoert und die hellenische Bildung
+adoptiert hatte, war es nicht laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom
+Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig
+und nicht wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
+kurulischen Haeuser sich bewegten und ein &ldquo;neuer Mensch&rdquo; nur durch
+eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine
+gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen Instituts,
+insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der Geschlechter beruhte,
+sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt, insofern staatsmaennische
+Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von dem tuechtigen Vater auf den
+tuechtigen Sohn sich vererben und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden
+edlen Funken in der Menschenbrust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht.
+In diesem Sinne war die roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen,
+ja sie hatte in der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den
+Rat nahm und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem
+konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des Triumphators,
+seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre Erblichkeit mit grosser
+Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der aelteren Zeit die Erblichkeit
+der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen Grade durch die Vererbung der
+inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen war und die senatorische Aristokratie den
+Staat nicht zunaechst kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des
+hoechsten aller Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
+gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit
+reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von ihrer
+urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und Tat
+erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich
+ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit war es
+in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der Oligarchie
+das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne Familien sich
+entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des Siegers von Zama und von
+seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die
+Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede
+gewesen; und der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter
+und aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte
+in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass
+Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne
+Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio mit
+dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat gelangte, wenn
+Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat
+emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon
+dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre
+Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das
+ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie
+opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die
+patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten
+deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit
+Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln
+Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet.
+Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den varronisch ungeraden
+Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus
+den Patriziern gewaehlt worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547,
+549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese
+patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den
+Geschlechtern:
+</p>
+
+
+<p>
+Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener
+</p>
+
+<p>
+             (366-254): (253-173): 16 patrizische Kollegien
+</p>
+
+
+<p>
+Cornelier 15 15 14
+</p>
+
+<p>
+Valerier 10 8 4
+</p>
+
+<p>
+Claudier 4 8 2
+</p>
+
+<p>
+Aemilier 9 6 2
+</p>
+
+<p>
+Fabier 6 6 1
+</p>
+
+<p>
+Manlier 4 6 1
+</p>
+
+<p>
+Postumier 2 6 2
+</p>
+
+<p>
+Servilier 3 4 2
+</p>
+
+<p>
+Quinctier 2 3 1
+</p>
+
+<p>
+Furier 2 3 -
+</p>
+
+<p>
+Sulpicier 6 2 2
+</p>
+
+<p>
+Veturier - 2 -
+</p>
+
+<p>
+Papirier 3 1 -
+</p>
+
+<p>
+Nautier 2 - -
+</p>
+
+<p>
+Julier 1 - 1
+</p>
+
+<p>
+Foslier 1 - -
+
+</p> <p>
+—————————————————————————
+
+</p> <p>
+ 70 70 32
+</p>
+
+<p>
+Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der
+Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne wesentliche
+Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht
+erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich
+behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilitaet treten zwar von Zeit zu
+Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Haeuser, wie
+die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den
+Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel
+das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog in
+dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die
+Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet worden war. In der
+schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich
+allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von
+Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung
+geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so
+legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber
+klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und
+der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt,
+dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig
+der roemische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein
+ueber dem grossartigen und mit den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten
+des regierenden roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht
+uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und
+weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die
+Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast
+entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die
+entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr, was es
+gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er
+der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden
+Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich nach. Wo das
+Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in dem damaligen Rom,
+huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge
+durch strenge Worte und ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal
+ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der
+Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse
+des Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus,
+als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter
+Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze
+voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den
+faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht
+kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms
+Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der
+Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch,
+im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten
+hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen
+damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom
+vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der
+Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern
+gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl
+des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in
+welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt
+der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia
+(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele
+in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische
+Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener
+Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher
+aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war es noch, dass der Taeter nicht
+bloss nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato
+deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den
+Ausgestossenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen -
+freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der
+maechtigsten Koteriehaeupter des Senats.
+</p>
+
+<p>
+Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurueck
+als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die
+indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen infolge der
+erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es zum Beispiel noetig
+machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen
+Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo
+einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach
+den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204),
+indem es nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten
+roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes
+die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum
+Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmassregel
+fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages
+der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten
+italischen Domanialland dem Aerar von Rechts wegen zukam, ward zum
+allergroessten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht
+bloss das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des
+Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domaenen, namentlich der groessere Teil
+des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben,
+sondern parzelliert und an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier
+versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich
+entgegengetreten; wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere
+Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die
+wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den
+Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
+Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende Summen
+in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200
+(14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) -
+letzteres die groesste Barsumme, die je auf einmal in die roemische Kasse
+gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben
+groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens,
+kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege-
+und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch
+die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der schweren
+Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher
+auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die
+schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr
+namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer
+ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am
+Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten
+noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den
+Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr
+danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb
+der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die
+Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen
+wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde
+sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward, die
+Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man
+litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf
+oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser aus den
+oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses
+Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt
+und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten
+oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde
+gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine
+merkwuerdige Weite. &ldquo;Wer einen Buerger bestiehlt&rdquo;, sagt Cato,
+&ldquo;beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber,
+wer die Gemeinde bestiehlt.&rdquo; Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche Gut
+der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten
+gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der
+Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten
+finde, der nicht in die Kasse greife; wie der roemische Kommissar und Beamte
+auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in
+Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
+aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur, dass die
+soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter
+vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der
+unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle
+Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen
+Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche
+Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel
+der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich
+gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in
+die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die
+Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung der
+italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher Gebaeude. Wohl die
+bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten
+war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und
+Erweiterung des hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000
+Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache
+nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem
+Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den
+schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen
+zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung
+angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug
+im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000
+Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser
+Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse
+vorraetig waren. Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche
+in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen
+Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit
+als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen Angaben
+es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die roemischen
+Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe, aber
+darum doch nichts weniger als ein glaenzendes Gesamtergebnis.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen
+worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muss nicht
+selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie
+beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in der
+Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der roemischen
+Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die
+latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die
+roemischen Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe
+dieser Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon
+fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war,
+jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese
+allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae,
+das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl
+benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im
+Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie
+Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren
+Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und ganzen
+betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der Kommunalfreiheit und
+des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich
+behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehoerigen der
+ehemaligen, mit Hannibal verbuendet gewesenen kampanischen, suedlichen
+picentischen und brettischen Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die
+diesseits der Alpen geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der
+italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch
+die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus
+diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen,
+hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird.
+</p>
+
+<p>
+Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher
+angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil
+veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel,
+Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle dieses Krieges
+unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht
+unveraendert behalten; bei weitem die meisten mussten infolge ihres
+Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Vertraege
+gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung der nichtlatinischen
+Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen;
+als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung
+ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, dass waehrend der
+letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen
+Kolonie Fregellae uebergesiedelt seien.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des roemischen
+Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die
+ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der
+Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch
+jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im
+Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten
+wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von
+der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen
+gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen
+aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Buerger
+alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren
+vorzugsweise fuer den Besatzungs- und den verhassten spanischen Dienst
+verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie
+sonst die gleiche Verehrung mit den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben,
+so dass inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die
+zurueckgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
+Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je drei
+Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den latinischen
+Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach
+Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres
+Vermoegens in der Heimatgemeinde zurueckliessen. Indes diese laestigen
+Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder uebertreten, und der
+massenhafte Zudrang der Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die
+Klagen ihrer Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die
+Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu
+leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus
+der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die
+Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer
+empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten
+Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle
+Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien
+geschehen war, und die bisher fast regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft
+durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen
+Gruendung 571 (183) begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms
+geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr
+gleichzeitig ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna
+(570-577 184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
+offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
+Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten wurden
+von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen Buergerschaft
+ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren Teile derselben die
+Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung bedeutender materieller
+Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht zu vertauschen.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das
+roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere Verfahren, die
+unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350)
+fallenlassen, um nicht durch uebermaessige Ausdehnung der roemischen
+Buergerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die
+Halbbuergergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der
+Gemeinde auf, indem teils die Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht
+empfingen, teils zahlreiche entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde
+hinzutraten; aber auf das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten
+Gemeinden gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
+Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische mit
+dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht nachweisen;
+wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der
+Uebertritt einzelner Italiker in das roemische Buergerrecht fand fast allein
+noch statt fuer die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere
+Beguenstigung fuer einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit
+zugelassenen Nichtbuerger ^7.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der
+Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius
+Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch
+nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben,
+wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten
+Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig
+dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung
+einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen
+Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte Anzahl von
+Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der
+italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit
+nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis
+ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert und, waehrend die
+Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln
+bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die
+verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft
+der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den oeffentlichen Lasten
+durchgaengig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich
+nahm, so trat die Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft
+gegenueber und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft
+aus, waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil
+ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die
+Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des
+verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner
+Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die starren
+Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbuergerschaften kann an sich
+nicht getadelt werden und gehoert auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen
+anderen, spaeter noch zu eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch
+ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das
+Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
+Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte Stellung der
+latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Fuessen, seit die
+latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an
+der Herrschaft der maechtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich
+gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre
+Lage gleich unertraeglich zu finden begannen. Denn dass die Brettier und ihre
+Leidensgenossen schon voellig wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie
+Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als
+Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste
+nahmen; dass ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen
+Untertanen eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht
+der Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den
+Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung
+innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren
+Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen
+Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung
+bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht
+hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei
+Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das
+roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur Unzeit
+gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher
+Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis
+zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach
+Italien getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten
+Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein
+wuerde.
+</p>
+
+<p>
+Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das
+roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche am
+entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich,
+waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht kannte
+zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen Buergerschaften wurden
+entweder in die Sklaverei verkauft oder in der roemischen aufgehoben oder
+endlich zu einem Buendnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale
+Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen
+Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren
+frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal
+behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste
+und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den
+bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische
+Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch
+diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren
+entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war
+es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der
+Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der
+Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon
+ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die
+Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit
+weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass
+man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer den
+Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum
+pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das neue
+Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren Stellung nicht
+bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der roemischen
+Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die roemische Gemeinde in den
+Provinzen an die Stelle des frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt
+daselbst an Koenigs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in
+dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar
+der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
+Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm
+untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener begleitet, welcher
+ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen
+Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtross, weil er
+sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung
+zu bringen. Es ist auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich
+sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die
+Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch
+ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende
+ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und
+Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter
+den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter und Bankiers,
+ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens den Untertanen, vor
+allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten.
+Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich.
+Man war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht
+verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den
+nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es
+ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die
+goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge
+nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das
+Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen
+Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der
+Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf.
+Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an
+dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der
+Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der
+Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt.
+Die ueble Sitte, dem Amtmann &ldquo;Ehrenwein&rdquo; und andere
+&ldquo;freiwillige&rdquo; Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die
+Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein;
+schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen,
+diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und
+ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie
+Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere
+Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute
+Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei
+anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz
+auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen der
+Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises fuer
+beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst
+fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu
+werden; die masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus
+fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie
+ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat, offiziell
+dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am
+Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen,
+sondern selbst gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm,
+das zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die
+heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die
+Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder
+ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen
+Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht
+ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als
+bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung
+keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft
+gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine
+Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten,
+musste ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache
+in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde
+von dem Senator, der die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der
+damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury
+gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des
+Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um
+gegruendete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar
+verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines
+Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen
+von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie
+vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch
+mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen von
+Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war;
+und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt
+fanden die Geschaedigten freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen,
+welche die Staedte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und
+andern ihnen naeher getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter
+empfanden es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff;
+und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der
+Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum
+Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen Mann.
+Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes
+Talent, sich ihren Herren gegenueber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch
+ihre bereitwillige Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die
+Beschluesse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt
+zerstoert und gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt
+hatten, sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von
+Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen Familienpolitik
+dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem
+Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten die Goetter und den Senat
+einigermassen fuerchteten und im Stehlen meistenteils Mass hielten, allein man
+stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die
+heillose Regel stellte sich fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger
+Gewalttaetigkeit der roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und
+von Rechts wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten;
+woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht
+unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie
+schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den aergsten
+Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in
+der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten
+Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier
+am fruehesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen
+Regiments sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit
+strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer
+die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo
+das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert
+werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze
+bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie
+souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden Institute,
+die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der spaeter
+erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten
+Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische
+Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender
+Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von
+der Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen
+Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem
+der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr
+einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in der
+Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande
+eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck
+in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende,
+aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass
+die beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und
+die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter
+den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen
+Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der
+Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus den
+Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen
+Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis
+hervor, welche die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier
+gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment
+der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und
+der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger
+Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch
+ungehemmten stetigen Fortgang.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie
+formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige
+Buergerschaft im Mitgenuss der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben
+darum die zweite Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu
+sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich
+nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf
+dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische
+Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem bewegenden
+Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein
+sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenueber
+dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten und boesen Tagen und vor allem
+die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen
+Wohlbehagens fuer das Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde
+in so hohem Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet,
+jede Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute
+und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der
+Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber beweist mit
+vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige Buergertum, vor dem selbst
+Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch in den roemischen Komitien
+entschied; die Buergerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in
+Poebeltuecke, sondern in buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber
+allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang
+der oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen
+ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den
+Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen
+Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter
+Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist schon angegeben
+worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische Buergerschaft in ziemlich
+geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil
+Kampaniens, so dass sie an der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis
+Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur,
+Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die
+Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische
+Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der
+juengsten Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und
+eine sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche,
+gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et
+conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der
+Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der
+Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten
+stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch schon,
+namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen
+Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer staedtischer Gemeinwesen
+innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten
+Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung
+auf dem roemischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen,
+dass diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht
+mehr war, was sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre
+buergerliche Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren
+Hoefen weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
+hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser Absicht,
+laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den Buergerverband
+eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in neuerrichtete Wahlbezirke,
+sondern in die alten mit einschrieb; so dass allmaehlich jeder Bezirk aus
+verschiedenen, ueber das ganze roemische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich
+zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die
+staedtischen natuerlich von mehr, die laendlichen von weniger
+Stimmberechtigten, und ohne oertlichen Zusammenhang und innere Einheit, liessen
+schon keine bestimmte Leitung und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was
+um so mehr vermisst werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie
+Debatte voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
+hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
+geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche die
+herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber zufaellig
+zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort
+einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in letzter
+Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch die Folgen ihrer
+Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden
+Dingen haben denn auch die roemischen Urversammlungen eine unmuendige und
+selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja
+zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten,
+wie zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte
+sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und kuemmerlich
+auslaufende Opposition.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich
+beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche
+Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach
+Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer
+Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend
+domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen.
+dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne
+kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in
+Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel formell
+gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur Seite. Die
+Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit
+uebte der vornehme Roemer auch ueber seine Freigelassenen und Zugewandten eine
+Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren
+Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht
+leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu
+haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
+Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloss die
+Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen
+Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhoehlte
+aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die Aristokratie duldete nicht
+bloss diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum
+Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu
+religioesen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden
+hatten, jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
+Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
+ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die
+Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550 204), weil die
+Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmaessigen Tribut
+zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die
+Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche
+maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem
+selbstaendigen Mittelstand machte.
+</p>
+
+<p>
+Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt,
+welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende
+Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert
+gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber
+ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des
+Hannibalischen Krieges vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren
+freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten
+zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den
+Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser
+als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden
+Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso
+unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.
+</p>
+
+<p>
+Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen
+eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet noch
+die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben
+grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten
+Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu haben. Noch war die
+Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im
+grossen sich haette zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster
+Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der
+Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die
+Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die
+entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot umsonst und
+ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder die
+Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde stellten oder
+auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen roemischen Beamten in
+Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte
+des sechsten Jahrhunderts den Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische
+Buergerbevoelkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein
+Wunder, meinte Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere -
+der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in
+erschreckender Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem
+Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische
+Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und
+einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen
+Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes:
+&ldquo;plebejische Spiele&rdquo; hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft
+haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in
+der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit
+des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur wenig juenger sein als das
+plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen
+Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204)
+ein fuenftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen
+Mutter hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen
+Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem
+Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie
+war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten,
+um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und
+Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die
+Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in
+solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja
+selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres
+Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen
+Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste
+beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen zu dem
+alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der Flora, die
+plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der staedtische Praetor die
+Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem
+gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt
+haben; in der Tat waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget
+mit einer Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die
+Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die
+Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen Konsularkandidaten
+machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele einander eine Konkurrenz, die
+die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete
+begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch ausser dieser
+gleichsam gesetzlichen eine freiwillige &ldquo;Leistung&rdquo; (munus), ein
+Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde
+allmaehlich der Massstab, nach dem die Waehlerschaft die Tuechtigkeit der
+Konsulatsbewerber bemass. Die Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein
+anstaendiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie
+zahlte gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
+verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt, sondern
+uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr hatte sich
+gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die Kriegsarbeit und im
+gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren,
+an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das roemische wie das Beutegeld mit
+vollen Haenden unter sie aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten
+Feldzuege gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem
+Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
+durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von
+den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den
+Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus
+dessen Lager nicht wenige Maenner mit Golde, sondern viele mit Silber in den
+Taschen zurueckkamen - dass auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an
+in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit
+derselben verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die
+durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen,
+nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes
+aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen
+Doerfern wegwarf.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen
+Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143
+Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden
+(Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach
+dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch
+hinreichend bewiesen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter
+diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den
+Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die
+einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo ueber ein
+geringes, vom Geruechte lawinenhaft vergroessertes Scharmuetzel das Landheer
+und die Seemacht der Roemer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und
+Cato seinen Landsleuten ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten
+noetig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des
+Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die
+Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen
+einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein
+Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation
+fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Soehne der
+Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten Stolzes und
+der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und
+Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen
+Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes draengte man sich so,
+dass es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die
+Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten
+Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten
+eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste
+es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche vergeblich
+versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der
+Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg
+triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem
+ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den
+Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die
+Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die
+Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die
+wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward
+oefter durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den
+vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom
+Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich
+zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers
+einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart,
+dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius
+Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den
+der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt;
+jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits
+der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm,
+wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein
+Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf
+Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer
+eine Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange
+genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen
+Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen;
+welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich
+selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von
+Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach.
+Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung
+festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu
+dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie
+verlangten, wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif
+schmuecken zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden
+nicht bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven,
+sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener
+von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem
+gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen
+Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das
+Werk der buergerlichen Gleichheit war!
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des
+Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen
+Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in aehnlicher Weise Calenus
+genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und
+Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition.
+Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach
+Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt die Demagogie ihr
+Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig trennen lassen, sondern
+mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der
+Betrachtung voneinander zu sondern.
+</p>
+
+<p>
+Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person des
+Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des
+aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem Weltregiment
+abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster des echten Roemers
+von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird man ihn betrachten als den
+Vertreter der Opposition des roemischen Mittelstandes gegen die neue
+hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch
+seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen,
+Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe
+sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem
+Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht
+getaeuscht. Unter Flaccus&rsquo; Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und
+Tat den Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
+Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre
+eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von
+der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter
+Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in
+Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und
+als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem
+Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender
+Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen
+Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten
+ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt
+und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war,
+zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den
+Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein
+Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem
+einreissenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu
+begegnen, und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem
+neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene
+Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser
+Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich
+gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und
+auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen
+sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen
+alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der
+polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht,
+ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und
+vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die
+Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten
+als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen
+zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht,
+ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat
+zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer
+republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem
+Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem Abgott
+der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen
+hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor, allerdings ohne es mit den
+Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuss
+denjenigen, die ihn persoenlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut
+verwies und beschalt er oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue
+Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten
+ihm zahllose Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich
+den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversoehnlicher
+Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt worden. Aber die
+Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie maechtig noch in dieser
+Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae
+hatte uebertragen machen - liess den ruecksichtslosen Verfechter der Reform in
+ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem
+adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im
+voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der
+Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die
+beiden gefuerchteten Maenner von der Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller
+Anstrengungen des Adels, und derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das
+grosse Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von
+der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
+gestrichen wurden.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und
+Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war,
+aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf
+eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem
+zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat,
+so ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der
+Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem
+Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse
+wenigstens in den politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso
+erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel
+mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur
+Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen
+Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum
+Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden.
+</p>
+
+<p>
+Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden
+Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen
+Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen.
+Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago
+und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts
+in grosser Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten
+darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius
+im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und
+vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und
+dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona,
+Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma
+und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten
+dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden.
+Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen
+Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der
+freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und
+gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen
+Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato
+und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische Regierung
+diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab nachkam, wie sie es
+gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende
+Stimme des verstaendigen Mannes.
+</p>
+
+<p>
+Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der
+Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu
+tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch
+scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem
+Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der
+Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die
+schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem
+gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach
+orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der fuer den
+Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von
+11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die
+zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen
+und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus
+fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall
+auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler)
+und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk
+miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser
+Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die
+servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie
+taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit
+den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann
+auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die
+Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit
+sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten
+Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien,
+welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg
+um Sizilien zu Ende ging (513 241).
+</p>
+
+<p>
+Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch
+nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansaessigen
+gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter
+gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die
+Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens
+100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden
+Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das
+Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von
+zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung unter dem niedrigsten
+Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch
+gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre
+gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf
+eine aus der ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen.
+Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen
+werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf
+die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der
+eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die gesetzlich
+den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite
+Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch
+ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu
+besetzen, ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt
+hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich
+erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers
+Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle
+einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich
+charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur
+dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den
+Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus
+der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die
+erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie
+waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben,
+dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das
+Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward.
+Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem
+allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des
+Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb
+gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn
+Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein
+die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen
+der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, dass unter allen
+Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch
+und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die
+neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die
+Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus
+angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste.
+Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben worden
+waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend sie in den
+Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen Abteilungen beschraenkt
+waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell
+das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der
+Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus
+eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung
+gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in
+der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder
+Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen Buerger davon nur
+acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den vier anderen Stufen den
+ansaessigen Buergern das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen
+Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den
+Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die
+ansaessigen Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies
+geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der
+Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor
+Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen
+Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese
+Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von
+Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung, die die
+neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der eigentlichen
+Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschraenkung des
+zensorischen Willkuerregiments, teils in der Beschraenkung des Einflusses
+einerseits der Nobilitaet, anderseits der Nichtansaessigen und der
+Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem fuer
+die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl,
+dass Wahlen, Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die
+Mitwirkung der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die
+Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders
+zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch
+ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen
+Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues
+Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in der praktisch
+haeufigeren und wichtigeren Kategorie der Buergerschaftsversammlungen
+massgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber
+keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu
+den eigentlichen Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem
+Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische
+Bedeutung dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden
+Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die
+gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht
+verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher
+nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung, dass wir nirgend
+eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen
+Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser
+Reform noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten
+roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die
+Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der
+Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen,
+waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern sich gleichzeitig
+breiter und tiefer zog.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas
+Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der
+ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen in dem
+(wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber
+versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem
+leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu
+muessen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als
+schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen
+Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die
+Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht
+des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er
+dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese bei der
+Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die spaeteren
+Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in
+diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte
+enthalten haben wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken
+erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter
+Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften
+Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen
+Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung
+verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen
+uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen Vollhufe von
+vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach die Schatzungssaetze
+ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht
+ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des
+Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber
+auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet
+unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu
+einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres
+politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren
+fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kraeftigen Ausdruck;
+aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch
+einen festen Plan, im grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse
+Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten
+Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig
+Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt
+werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser
+Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und
+den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf
+ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so trat
+auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die
+volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an
+der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich
+Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den
+Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe
+braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte
+diese nach dem Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten
+spassigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen;
+zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
+Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer ein
+Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese
+Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen
+und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie
+vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und Erweiterung der
+Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die
+tatsaechliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine
+populaeren Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus
+unpopulaeren Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch
+(538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit
+aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch
+in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt
+552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der zu ernennenden Person
+durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer staedtische Geschaefte eingesetzt
+worden war, kam dieses Amt, ohne foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich
+ausser Gebrauch. Damit ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen
+Verfassungssystem ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr
+wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das
+Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in
+der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte,
+eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt
+durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in
+ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand
+oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu
+verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln
+zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand
+herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der
+Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in
+bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch
+wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem
+Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese
+Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur
+Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht
+bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die
+Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen Gewicht, aber
+bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen,
+dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien
+selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der
+Pontifices aus dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die
+Gemeinde ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler
+Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke,
+also nicht das &ldquo;Volk&rdquo; den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung
+war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche
+Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher
+gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom
+Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen
+der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der
+verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch
+das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem
+populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt
+ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft
+verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher
+Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager
+nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung
+vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren
+Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph
+abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung
+eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210);
+hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der
+Senat ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu lassen
+(549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen,
+der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht
+ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167);
+hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch
+Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und
+Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit
+bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss,
+weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf
+das aelteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche
+Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der
+wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der
+Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit
+der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt
+in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt,
+sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft
+und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche
+Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen
+Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige
+Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel
+abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf
+Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die Buergerschaft
+ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch
+den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius
+Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem
+Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden,
+als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende
+Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines grossen Staates
+brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloss die Regierungs-, sondern
+auch die Reformpartei das militaerische, administrative und finanzielle
+Regiment als legitime Domaene des Senats und huetete sie sich wohl, von der
+formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Aufloesung begriffenen
+Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern.
+Wenn nie, selbst nicht in der beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so
+voellig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke
+zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber
+bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der
+Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen
+nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche in das eigentliche
+Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen gewuenschten politischen
+oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklaerung gegen
+Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch
+Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte
+schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in
+ihnen eine boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort
+eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not
+in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten
+Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus
+sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte den
+Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des
+Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich ueberzeugen, endigte den
+Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den
+wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen
+bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die
+Masse willenlos dem naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.
+</p>
+
+<p>
+Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt,
+schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung
+schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der
+Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren. Jedem
+einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren zu predigen
+oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu
+verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und
+Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale,
+gewohnt, im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres
+angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst
+herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen
+Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in
+Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am Trasimenischen
+See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf
+Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren
+Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da
+am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die
+geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren.
+Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der verfassungsmaessigen Rechte
+der Buergerschaft die faktioese Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor.
+Was formell als Wille der hoechsten Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache
+nach sehr oft nichts als das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was
+sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung
+und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das
+gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen?
+Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die
+Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch die
+schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar
+entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen sowohl
+hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der
+Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich
+eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den
+Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner derjenigen Bahn, aus
+welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir hinzu - weiterhin die
+demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio,
+obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der
+Nobilitaet, stuetzte sich in seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik
+gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner
+Individualitaet bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf
+die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und
+vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und niedere Klientel
+- nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwaeche
+dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht, liessen ihn aus dem Glauben:
+nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Buerger von Rom, nicht oder
+doch nicht voellig erwachen.
+</p>
+
+<p>
+Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein, wie
+sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und
+Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite dazu ein
+ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen geschah von
+seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen Opposition mancherlei.
+Dort wie hier waren die Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss
+weg, der die Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um
+gemeinschaftlich die schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die
+Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit
+Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen
+und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und
+selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz
+und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich genug
+anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft zu bereiten.
+Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es Zeit war, zeitigten
+Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme
+der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als
+die goldene Roms und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war
+vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen
+Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England;
+und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder
+in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem
+alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald sie zu
+verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem
+ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich
+nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner
+Epoche ist die roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom
+Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter
+darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall
+nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung
+und der Vorbote der Revolution.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/>
+Boden- und Geldwirtschaft</h2>
+
+<p>
+Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen
+pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten
+auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer
+Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die Grosswirtschaft im
+Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise und Ausdehnung jetzt zuerst
+sich fest, ohne dass sich genau scheiden liesse, was darin auf aelteres
+Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- und Geldwirtschaft der frueher
+zivilisierten Nationen, namentlich der Phoeniker, was auf die steigende
+Kapitalmasse und die steigende Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur
+richtigen Einsicht in die innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese
+wirtschaftlichen Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft,
+wovon die erste in der von Cato entworfenen Schilderung uns mit grosser
+Anschaulichkeit entgegentritt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es
+notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die
+neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen
+nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der Kaiserzeit
+mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien
+zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des
+siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus
+Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur entstandene
+Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in ihrer
+Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen oder die
+&ldquo;griechische Nuss&rdquo;, der Pfirsich oder die &ldquo;persische&rdquo;,
+auch die &ldquo;weiche Nuss&rdquo; (nux mollusca) sind zwar Italien
+urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor
+Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus
+dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten
+kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward in
+Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5,
+5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben
+wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen
+Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von
+Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien
+gepflanzt zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch
+ist; noch juenger vielleicht die Aprikose oder die &ldquo;armenische
+Pflaume&rdquo;. Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in
+Italien kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder
+dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe
+(Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut
+worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten
+Italien eigen.
+</p>
+
+<p>
+Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen Produkte, die
+uns recht &ldquo;italienisch&rdquo; scheinen; und wenn das heutige Deutschland,
+verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt
+werden kann, so ist auch Italien in nicht minderem Grade seitdem
+&ldquo;suedlicher&rdquo; geworden.
+</p>
+
+<p>
+Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
+durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte ein
+Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte Centuria
+von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward, wurde die
+Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer diesen Fall einen
+Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital in die Landwirtschaft
+stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter;
+wie denn wohl schon der Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als
+Inbegriff von zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft
+fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere
+Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter
+alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte
+der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein
+eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3.
+Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner Gueter;
+indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern erschien nur von Zeit
+zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu
+beaufsichtigen und seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm
+moeglich ward, teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach
+Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des
+Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen
+Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen
+ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst
+die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und der aehnlichen italienischen
+Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer
+Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das fuenfte
+Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis neunten
+Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht
+Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen
+Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt.
+</p>
+
+<p>
+^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen
+Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu erwerben;
+wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine Zeitpacht durch mehrere
+Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut;
+daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter,
+Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der Regel ward im
+Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die Bewaesserung und
+Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die Drainage durch
+geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur Heugewinnung fehlten
+nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie haeufig kuenstlich berieselt. Von
+gleicher, wo nicht von groesserer wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut
+waren der Oelbaum und der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser
+fuer sich auf eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn-
+und andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, teils
+wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen, Pappeln und
+andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den Italikern, bei denen
+durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur ausnahmsweise und dann fast nur
+Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch kamen, die Viehzucht eine weit
+geringere Rolle gespielt als in der heutigen Oekonomie. Obwohl man den
+oekonomischen Zusammenhang des Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die
+Wichtigkeit der Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige
+Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward
+nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
+nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im
+Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe
+aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet; haeufig indes
+zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen grossen Herdenbesitzer in
+Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpaechter gegen Ablieferung
+einer bestimmten Anzahl von Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und
+Milch zu ueberlassen. Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn
+Staelle -, Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
+gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein
+Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so
+unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens
+leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl.
+137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen
+anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die
+Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6).
+Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen
+diesen Getreide.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die
+besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch
+ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog
+diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig waren
+wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet
+Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer Landwirt Saserna auf
+200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag fuer das kleinere
+Grundstueck drei, fuer das groessere vier erfordert.
+</p>
+
+<p>
+Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der
+Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von
+villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des
+Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm
+stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer,
+Huehnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und
+gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde
+gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der
+Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen
+werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen
+zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit
+Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten
+gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf
+ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und
+zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen Knechte;
+die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu
+gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird
+auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die
+Freiheit zu erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen
+Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen,
+sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn
+sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem
+Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude (villa
+rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die Fruechte und
+Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf
+dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder
+Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung
+des Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann
+auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden
+und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so
+monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner
+Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete
+sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere
+Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing. Alles Backen und
+Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe
+Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt
+hatte oder einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf
+die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6.
+Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von
+selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern
+aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in
+besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu
+beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der
+Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der
+Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt
+von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch
+droschen, das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich
+umbrische Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte
+einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem
+Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene
+Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom
+Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den
+Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig verkaufte auch der Gutsbesitzer
+die Ernte auf dem Stock oder Zweig und liess den Kaeufer die Einbringung
+besorgen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven
+nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen;
+und ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der
+Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht
+geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2)
+ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt,
+wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der Arbeit befreit, die
+Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine
+selbstaendige Spekulation als ein Teil des regelmaessigen Gutsbetriebes,
+aehnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung
+und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst
+erwaehnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
+Dienerschaft (familia urbana).
+</p>
+
+<p>
+^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der
+Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei
+Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen,
+statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit
+tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv von
+dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1,
+8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder
+durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem
+vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit vielen
+aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden
+Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck des
+Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass die Lage der
+Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und darum vorwiegend
+diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu
+haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die
+Fesselung eintreten liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch
+klar darin angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven
+treffenden Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber
+Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte
+eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet
+(Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S.
+XXXI).
+</p>
+
+<p>
+^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro (rust.
+1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft
+gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten
+einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die
+Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit
+der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund,
+heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu freundlich gegen seine
+&ldquo;Mitsklaven&rdquo; sein. Man naehrt gehoerig den Knecht wie den Stier,
+solange sie arbeiten koennen, weil es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern
+zu lassen; und man verkauft sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie
+arbeitsunfaehig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere,
+sie laenger zu behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch
+hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen
+Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer
+den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die
+Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache nach
+umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu
+lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen
+Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr
+keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos
+Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche
+Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht
+einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit,
+und man machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. &ldquo;Soviel Sklaven,
+soviel Feinde&rdquo;, sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer
+Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu
+unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und
+nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven
+gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche
+Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie schon
+gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die
+roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den &ldquo;Landguetern
+des roemischen Volkes&rdquo;, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden,
+dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem
+entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des
+Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das
+darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der
+Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht
+versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen
+Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und
+zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor
+allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und
+das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder
+Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu
+Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen
+Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als
+rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn
+anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und
+den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu
+denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann,
+heisst es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein
+schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen
+laesst, es sei denn, dass das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer,
+welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste
+von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten
+laesst. Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl
+sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum
+Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor Reben und
+Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu frueher Jugend ein
+Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft
+freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und
+Wirkungen treten durchgaengig die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf;
+doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische
+Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
+griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und
+Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl
+der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen
+Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des
+Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreissig Tage
+anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig das wandelbare
+&ldquo;Saatfest&rdquo; (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661).
+Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und
+Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur
+verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine
+Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand
+zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und
+seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten
+zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen groesseren
+Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten,
+aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen
+Ertrag.
+</p>
+
+<p>
+Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der Feldbau.
+Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum
+haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit
+Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den
+klimatischen Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die
+Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener
+Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden,
+die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck
+von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt
+ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil
+Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den
+Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu
+liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger
+aber und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von
+Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im
+ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister pecoris) an
+die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen die Hirtensklaven
+meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen
+Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Huerden; es lag also in den
+Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und
+Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei
+der Gutsmannschaft geschah.
+</p>
+
+<p>
+Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu
+wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise dieser
+Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und
+zum guten Teil durch Schuld der roemischen Regierung, welche in dieser
+wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine
+unverzeihliche Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der
+italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist.
+Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des
+italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich,
+teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung geliefert ward,
+wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen
+Beamtenpersonals und der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter
+in der Art abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder
+auch es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst
+erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die
+roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn
+dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss sich
+doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen Landmann. Indes dies
+war das geringste. Der Regierung, welche laengst wie billig auf die Kornpreise
+ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch
+rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die
+Kornlieferungen der Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und
+wahrscheinlich groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende
+fuehrten, und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
+Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu erwerben, mit
+solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu ueberfuehren und dasselbe zu
+Saetzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen
+Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es
+scheint, zunaechst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische
+Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen
+an die Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre
+nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem
+letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato
+gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein,
+und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr haeufigen Austeilungen von
+Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der
+Keim der spaeteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische
+Korn nicht auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte,
+drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen,
+die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von
+diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem
+Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in
+den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der guenstigen
+Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach
+karthagischem System der Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger
+als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides
+nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport
+dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im
+natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen
+und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die leidige
+Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen waere es vielleicht
+gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das
+ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das
+Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach
+Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein -
+denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als
+besondere Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die
+Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das
+ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen
+dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher
+Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (=
+1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu
+demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60
+Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft
+wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in
+Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst
+Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen
+Haefen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den
+reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei
+zahlte man zu Polybios&rsquo; Zeit fuer Kost und Nachtquartier im Wirtshaus
+durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preussische
+Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere
+Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9,
+zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen
+Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen das Korn
+wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das
+siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den
+roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer
+heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und
+Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob
+diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und der heutigen Preise
+auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich
+schwerlich entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der
+spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies
+heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten von 4
+und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten Kriegsteuerung
+und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preussische
+Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf
+198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter
+Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7
+Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind
+wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen
+auch heute noch sich wiederholen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu
+ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht
+unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien, wo die
+Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf
+diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich
+unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich das Brot nicht
+billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmaehlichste Weise
+geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht
+die Verfassung und wie unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit
+der Republik war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu
+ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber
+in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher sich
+geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die
+diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten sein; aber die Masse
+des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen
+das wahre Glueck des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine
+hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die
+republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff ungehindert
+in die Brandung hinein.
+</p>
+
+<p>
+Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war
+die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich auch aus
+ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die sittliche Haltung
+und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur
+noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und
+Niederlegen in den groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden.
+</p>
+
+<p>
+Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe
+produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem
+aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren
+durch seine Knechte bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher
+geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen
+Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne
+Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher
+durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten
+gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnuegen
+als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte,
+was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft
+das Zuruecktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der
+fuer das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben
+scheint ^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der
+Viehzucht. Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens
+die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
+italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
+Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide
+nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken.
+Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die oekonomischen Resultate der
+roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme
+vorhanden, dass das in Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich
+gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren
+durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im
+ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten
+der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am
+wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer jeden
+Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem
+naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon
+aus, um allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die
+Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen
+entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das spaeter noch
+zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser
+von der Spekulation ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien
+kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst
+die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen
+ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem
+Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als
+die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen
+erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem Kapitalistensinn
+dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht die dauernde Anwesenheit
+des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges Erscheinen daselbst und
+gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl und die Vervielfaeltigung des
+Besitzes nur in beschraenkten Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt
+ausdehnen liess und den Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde
+fing man schon an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu
+verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht
+um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen
+der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da regelmaessig
+in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich grosse Gueter, sondern
+es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden
+und rechtlich immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken,
+namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man
+diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg
+Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss
+Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren
+freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird,
+sich mit Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten
+alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei
+fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro
+(rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der
+Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen,
+bevor die alte verkauft ist.
+</p>
+
+<p>
+^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs
+Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag
+fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf
+den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt:
+</p>
+
+<p>
+Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Kaufpreis der Arbeitssklaven
+</p>
+
+<p>
+auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Verlorene Zinsen waehrend
+</p>
+
+<p>
+der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+Zusammen 4640 Sesterzen
+</p>
+
+<p>
+                                             = 336 Taler.
+</p>
+
+<p>
+Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen
+(65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes
+ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen, die
+Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben, Pfaehle und
+Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind.
+</p>
+
+<p>
+Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf
+hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger
+als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 roemischen
+Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstaedtischen
+Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen
+Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden
+haben muss. Varro (3, 2) rechnet als gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines
+groesseren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind
+hierfuer nicht ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger
+Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod.
+Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser
+rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16,
+2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich nicht heissen
+soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern
+relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf
+Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem
+in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage.
+Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde
+Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig
+wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des
+Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in absteigender
+Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der
+Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung;
+6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung -
+welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter
+saemtlich wiederkehren.
+</p>
+
+<p>
+Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch,
+dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr
+zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den
+Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfaengt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende
+Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem
+roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem
+mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln
+laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht weniger noch als die
+Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut
+der gesamten antiken Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise
+eben wie die heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das
+kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den
+Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der
+Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch,
+dass der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten wie im
+Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.
+</p>
+
+<p>
+Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
+Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Roemern
+eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen Geldverleihers
+(fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers (argentarius). Das
+Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Uebergang der groesseren
+Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der
+fuer seine Kunden Zahlung empfaengt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und
+im In- und Ausland ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen
+Zeit vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
+Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die kleinen
+Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und Klientelstaaten
+sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon im ganzen Umfange des
+Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das System der
+mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen roemischen Verkehr. Der
+Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle
+Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu
+zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch
+Private gaben durchgaengig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess:
+die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der
+Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein
+Bankier - die saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die
+Passiva vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
+nach Umstaenden noch daraufzuzahlen.
+</p>
+
+<p>
+Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische
+Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem
+weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende
+Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser
+den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die
+Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich
+gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische
+Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen
+Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende
+Zollfreiheit.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren
+freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu
+einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen
+Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pfluegen,
+Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch
+von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht
+bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige
+Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen
+oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde
+auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere
+Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog
+hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und milesischem oder
+tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus
+der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie spielen. Die
+Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
+ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst den
+Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge dieser
+spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden Spekulation fallen,
+namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den
+Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt
+waren, doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
+Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die Haende zu
+geben.
+</p>
+
+<p>
+Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgaengig
+durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr
+Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer
+Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle
+gepachtet hatte, stellte fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich
+ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte
+sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
+Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog
+sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk
+abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren auf eigenen Schiffen
+unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie
+wieder in derselben Weise im Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der
+Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach
+kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht
+beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen; dennoch
+befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven
+sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie
+und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und
+eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese
+Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand,
+welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der
+roemischen Buerger und nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und
+sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven
+selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens beigetragen haben.
+</p>
+
+<p>
+Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen
+politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art nicht
+minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs
+mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht nur die Literatur, namentlich die
+Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phoenikische Handelsmann
+phoenikisch redend auf die Buehne gebracht wird und der Dialog von griechischen
+und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst
+sich die Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
+Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt voellig
+Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen Muenzstaetten,
+zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der roemischen Eroberung
+geschlossen oder doch auf Kleinmuenze beschraenkt wurden und in Sizilien und
+Sardinien der Denar wenigstens neben dem aelteren Silbercourant und
+wahrscheinlich sehr bald ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon
+gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze
+in Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
+Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die spanischen
+Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen. Ueberhaupt bestand,
+da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte, ausser der roemischen keine
+einzige bedeutende Muenzstaette im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme
+derjenigen von Massalia und etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen
+Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer
+anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der
+Art unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
+durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre Drachme auf
+das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die
+roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamuenze (victoriatus)
+zunaechst fuer Oberitalien zu praegen begann. Dieses neue von dem roemischen
+abhaengige System beherrschte nicht bloss das massaliotische, oberitalische und
+illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
+Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das
+ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige
+Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des Mittelmeergebiets erstreckte in
+dieser Epoche wie die unmittelbare roemische Herrschaft so auch die roemische
+Muenze sich noch nicht; dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse
+Vermittler des internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar
+die roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von
+einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des Hannibalischen
+Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran fest, ausser dem
+national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr
+hatte bereits solche Verhaeltnisse angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem
+Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre
+597 (157) in der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes
+oder ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel
+fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die edlen
+Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das
+Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter
+geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und
+namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant
+uebergegangenen Osten.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten,
+18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war
+1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen
+Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben
+auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an,
+sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr gewonnenes
+Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den
+erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus
+fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war
+denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische.
+Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie
+heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren
+Scipio Africanus sagt, dass er &ldquo;fuer einen Roemer&rdquo; nicht reich
+gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man
+ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000
+Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass eine
+Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie erhielt, von
+90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens
+angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr
+als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der Nation
+bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -, dass daselbst das
+Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und Stellungen des Lebens
+durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen,
+Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war
+durchaus ein Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. &ldquo;Einer Witwe
+Habe mag sich mindern&rdquo;, schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten
+Lebenskatechismus, &ldquo;der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige
+ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei
+seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat&rdquo;. Wo
+darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne
+irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und wenn nicht
+durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch
+erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden ^14; aber
+das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie
+in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht
+muss, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen
+Angehoerigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische
+Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das
+Geben von Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften
+wurden in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften,
+wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im
+engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische Puenktlichkeit,
+Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische Leben. Buch ueber seine
+Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich
+verpflichtet - wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein
+besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er
+nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen,
+die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne
+Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den
+kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen
+Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht
+bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter
+rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der
+einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten,
+womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb
+eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den
+unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher
+Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die
+konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in der scharfen und immer
+schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich
+fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn
+nicht bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit
+oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere
+Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen,
+sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander
+leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung (depositum),
+Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstaende
+(commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach
+demselben Grundsatz behandelt, so dass es unschicklich war, dafuer eine
+Verguetung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht
+gestattet ward. Wie vollstaendig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am
+schaerfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem roemischen
+Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form,
+um persoenliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger
+und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden
+Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in
+aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer
+solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz
+wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber
+ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und
+ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen.
+</p>
+
+<p>
+^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer
+den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des
+Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte Forderung, gibt
+diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen Glaubwuerdigkeit der
+Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den
+Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese kaufmaennische
+Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht
+gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer
+fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung
+des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch
+das schon oft erwaehnte System der Regierung, ihre Geschaefte durch
+Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen
+war es natuerlich und wohl auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate
+vorgeschrieben, dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern
+Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach
+dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es
+finden sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
+Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen
+Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16.
+Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko
+verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an,
+dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat.
+Nichts war gewoehnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige
+Grossaventurgeschaeft, wodurch Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels
+sich auf die Eigentuemer von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese
+Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber
+ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit
+kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu spekulieren; Cato riet dem
+Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszuruesten, sondern
+mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden
+und an jedem zum fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch
+herbeigefuehrte groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der
+roemische Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
+Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
+vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
+kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie eines
+jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios&rsquo; Zeugnis kaum einen
+vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei
+den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um soviel mehr wird ein jeder
+durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmaennischen
+Assoziationen ueberhaupt stecken gehabt haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der
+Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph: &ldquo;Es
+soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zuruecktreten,
+um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; ausser
+wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft
+macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des
+Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen
+Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren,
+[nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den
+Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.&rdquo; Dass der
+Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird
+stillschweigend vorausgesetzt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht
+noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in dieser
+Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen Geschlechter
+durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den
+einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen der kaufmaennischen
+Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung.
+</p>
+
+<p>
+Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie
+konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Uebelstaende
+nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche bereits durch das
+Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte,
+erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich
+zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung
+nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte,
+anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut
+und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei, fuer
+die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand nicht bloss
+zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem respektablen Guts- und
+Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und
+dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben
+hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlasste Claudische
+Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte,
+Seeschiffe ausser zum Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und
+wahrscheinlich auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen,
+ueberhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter
+&ldquo;Spekulation&rdquo; (quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung
+nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen
+Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte,
+dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es kann
+auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft, mit der
+demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit
+wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die Konkurrenz zu
+vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das
+Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eroeffnete, im stillen weiter zu
+spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen
+den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen
+gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die
+Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit
+dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung
+ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem
+Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli)
+und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius &ldquo;jede Spekulation fuer
+den Senator unschicklich gefunden ward&rdquo;, so hat das Claudische Gesetz
+wahrscheinlich weiter gereicht.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige
+Hervortreten eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und
+grossen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster
+Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel
+bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze
+scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den
+keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den
+anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben;
+wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland
+von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit
+Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die Bilanz notwendig
+zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der
+Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben
+auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter
+als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich
+gefallen - besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man
+brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der
+Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der
+roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung
+eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten war,
+verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall
+zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.
+</p>
+
+<p>
+Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen
+Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens
+und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten
+Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des
+Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der
+instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten
+Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben
+des Rechtes nach immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst
+in einem Lustspiel dieser Zeit:
+</p>
+
+<p>
+Wahrhaftig gleich eracht&rsquo; ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer;
+</p>
+
+<p>
+Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr&rsquo;s auf offnem Markte.
+</p>
+
+<p>
+Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut&rsquo; ihr beide.
+</p>
+
+<p>
+Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen;
+</p>
+
+<p>
+Ihr bracht&rsquo; sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden.
+</p>
+
+<p>
+Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr.
+</p>
+
+<p>
+Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der Reformpartei
+Cato sich aus. &ldquo;Es hat manches fuer sich&rdquo;, heisst es in der Vorrede
+seiner Anweisung zum Ackerbau, &ldquo;Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist
+nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze
+geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu
+leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer
+Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward&rdquo;. Der
+Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder
+sei nicht gross; und man muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht
+hinter seinen Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch
+seine strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
+hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt seiner
+ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen
+und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in
+den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur
+brachen der haeufige Wechsel der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche
+Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern,
+notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht
+schwer war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
+ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu geben;
+hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato war, durch Lehre
+und Beispiel der Ackerbau gepredigt. &ldquo;Wenn unsere Vorfahren&rdquo;,
+faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, &ldquo;einem tuechtigen Mann
+die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tuechtigen Bauern und einen
+tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das hoechste Lob erhalten zu
+haben. Den Kaufmann halte ich fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein
+Geschaeft ist Gefahren und Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die
+Bauern geben die tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb
+ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
+abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken&rdquo;. Von sich selber pflegte
+er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme:
+aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch
+gedacht noch genau der Wahrheit gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit
+Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen
+Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche
+Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel
+der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
+Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie
+war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der
+sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem
+Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fuenften Jahrhundert der
+Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art gefuehrt hatte, dass es mittels
+des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den muessig
+zehrenden Rentiers in die Haende fuehrte, war ausgeglichen worden
+hauptsaechlich durch die Erweiterung der roemischen Oekonomie und das
+Hinueberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen
+Mittelmeergebiet taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
+Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine
+wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen
+Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu
+draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland
+systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen
+die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die
+Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten
+verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den
+Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer
+keinen Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht
+radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten
+sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das
+ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der
+Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte. Die Schilderung der
+Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie
+passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anraet? Wenn ein
+roemischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgueter
+wie das von Cato beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der
+zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig
+Bauernfamilien ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa
+fuenfzig groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war,
+um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit
+selber bis zum Verwechseln aehnlich.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer in
+Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art,
+geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert,
+was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm
+Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende
+Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem
+Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich
+zu den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten
+Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand
+der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der
+Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser Anzahl
+daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios,
+der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre
+zahlreiche, schoene und kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen
+Korngesetzgebung waere es wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die
+Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum
+und der sogenannte &ldquo;gallische Acker&rdquo; durch die Aufteilungen des
+Domaniallandes in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine
+zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
+mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren
+Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien
+Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des
+hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der
+Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen
+Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen hatte der
+Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer Menge kleinerer
+Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und Tarent, beide einst
+imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium
+hatte von den schweren Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt;
+nach der Zaehlung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu
+stellen als die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach
+dem roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein
+der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die
+Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl
+bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch uebler waren in
+demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevoelkerte
+Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden
+spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien
+wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die schoene kampanische Ebene; doch
+ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten
+Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht
+Eigentuemer, sondern kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und
+brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne
+Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich
+reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel,
+um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von
+Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht
+in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und oekonomischen
+Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhaeltnismaessig
+bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rueckgang
+unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den
+allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin
+ueberein, dass Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am
+Ende des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen
+aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der
+Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen
+herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von ihnen zu
+stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die roemische
+Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252),
+kurz nach Regulus&rsquo; Zug nach Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner;
+dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534
+220), war sie auf 270000 Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre
+weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also
+um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine
+ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders
+der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren
+ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder
+erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte.
+Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische Bevoelkerung ueberhaupt, so
+wuerden sie ohne allen Zweifel ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres
+Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch
+ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
+aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs
+die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem
+Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau
+ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die
+Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, dass starke
+Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine
+im groessten Massstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich
+verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell
+verurteilt. Aber auch in Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine
+Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte
+wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte
+ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und
+loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und
+Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege mit
+Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten
+und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl
+die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar
+und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen;
+aber erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils
+wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht
+einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der
+ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen Adel,
+die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten Punischen
+Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem
+roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden
+aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu
+stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte Luft zu
+machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war
+diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der
+straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die
+gemeine Buerger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr
+Verderben, aber man liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in
+maessiger und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
+bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/>
+Glaube und Sitte</h2>
+
+<p>
+In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war,
+desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in
+einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die
+bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu
+haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein
+Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat
+seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein
+konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde
+auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging
+zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein
+Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem
+alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen
+roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die
+Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren,
+wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen.
+Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes
+auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit
+waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die
+schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern
+durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes
+mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung
+im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren
+Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die
+Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: &ldquo;Jener
+Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das
+Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause&rdquo;. Es eroeffneten
+ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen
+letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien,
+auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der
+Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste
+Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige
+Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren
+Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist
+schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische
+Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
+getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
+gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige
+hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen
+Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des
+Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen
+Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich
+Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren,
+jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der
+Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im
+purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres
+Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren
+purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten
+Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von
+ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten
+Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre
+kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne
+des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die
+Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen.
+So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet;
+die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen
+sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse
+betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines
+jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst
+Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren.
+</p>
+
+<p>
+Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation
+haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis
+in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst
+sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel
+Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich
+imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der
+stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die
+abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem
+gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren
+satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte
+erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.
+</p>
+
+<p>
+Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht
+mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen
+uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat
+an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem
+Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es
+ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das
+jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet,
+geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr
+aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum
+praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer
+dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas
+wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben
+zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu
+erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische
+und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht
+haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu
+bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit
+brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der
+geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und
+Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel
+hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber
+sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie
+hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade
+auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein
+Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf
+Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen
+auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch
+Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation.
+Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen
+das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer
+dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische
+Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der
+Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den
+frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss
+prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und
+Laecherlichkeiten verfiel.
+</p>
+
+<p>
+Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der
+alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen
+Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu
+emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der
+verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den
+Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische
+Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit
+massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die
+Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur
+Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da
+wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum Beispiel liess der Besieger des
+Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf
+dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich
+Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch
+praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine
+wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem
+Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den
+Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der
+Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer
+sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus
+vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der
+verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung
+schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer
+Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr
+schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter
+Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen
+in griechische Art und griechische Kunst.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und
+seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn
+die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den
+mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener
+Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere
+Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia
+bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
+Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der
+Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von
+dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer
+zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine
+Darstellung zu versuchen.
+</p>
+
+<p>
+Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am
+deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der
+italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem
+Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er
+waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern;
+wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die
+politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt,
+dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und
+dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien.
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet
+war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur
+Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung
+des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen
+Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche
+Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch
+immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der
+Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten
+Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei
+Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss
+die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es
+hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit
+Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die
+klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer
+Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht
+beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur
+Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die
+Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein
+kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme
+dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den
+Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern
+verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen
+und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine
+auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende
+Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast
+zu werden - &ldquo;Erbschaft ohne Opferschuld&rdquo; ward bei den Roemern
+sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns &ldquo;Rose ohne Dornen&rdquo;. Das
+Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male
+infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten
+ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem
+gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus
+zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die
+untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts;
+und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne
+in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und
+Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint:
+</p>
+
+<p>
+Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau;
+</p>
+
+<p>
+Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand&rsquo; ist&rsquo;s,
+schick&rsquo; ich nichts.
+</p>
+
+<p>
+Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich.
+</p>
+
+<p>
+Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt
+einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den
+niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen
+Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war
+unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten
+Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war
+bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und
+feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist
+damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des
+Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der
+natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den
+Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer
+wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander
+wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der
+leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine
+unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft
+mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten.
+In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
+Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube
+liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249)
+kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul
+selber offenkundigen Spott trieb - freilich ein Konsul aus dem absonderlichen
+und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen
+das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre
+vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden
+und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten
+sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und
+nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch
+wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur
+Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die
+Landesreligion nach Polybios&rsquo; Auffassung als einen zur Prellung des
+grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet
+war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
+Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter
+an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken.
+Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene
+Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen
+Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des
+griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl
+auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war
+die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die
+poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des
+alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470)
+ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten,
+sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der
+Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie,
+aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten
+Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die
+allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine
+historisierende Zersetzung der Religion lieferten die &ldquo;heiligen
+Memoiren&rdquo; des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von
+Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen
+die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und
+urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder
+gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen,
+dass die Geschichte von Kronos&rsquo; Kinderverschlingung erklaert wird aus der
+in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften
+Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei
+machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in
+Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es
+ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten
+Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius
+diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins
+Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich
+damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
+und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich
+durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer
+sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen
+und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.
+</p>
+
+<p>
+So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man
+die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit
+wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer
+Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben-
+und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten
+Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und
+Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie
+Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei
+der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier
+verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so die
+praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige
+Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche
+ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr
+als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die
+Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf
+den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische
+Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden
+Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen
+zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer
+Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den
+Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach
+Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz
+besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren
+schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
+bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der
+phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der
+roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des
+Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen
+eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen
+Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die
+richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem
+Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das
+froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit
+umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das
+beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der
+Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen
+offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt,
+dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen,
+auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum
+sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der &ldquo;Grossen
+Mutter&rdquo;, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer
+Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen
+aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze
+sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und
+Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur
+zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der
+scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime
+naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen
+Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich
+fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die
+Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht,
+Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen
+wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge
+Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft
+Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende
+Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich
+absehen lasse.
+</p>
+
+<p>
+Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie
+gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die
+altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen
+hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die
+Instruktion, &ldquo;dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer
+darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am
+Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder
+bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
+Chaldaeer&rdquo;. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das
+Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort
+und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden.
+Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die
+Bettelpropheten und ihren Anhang:
+</p>
+
+<p>
+Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
+</p>
+
+<p>
+Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein,
+</p>
+
+<p>
+Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,
+</p>
+
+<p>
+Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.
+</p>
+
+<p>
+Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft
+verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller
+wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders
+konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des
+verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von
+Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng
+verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch
+der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung
+dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem
+Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden
+Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der
+etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs
+wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die
+Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren,
+unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer
+Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist
+ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die
+Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber
+eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche
+Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie
+die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige
+Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward.
+</p>
+
+<p>
+Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische
+Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus
+dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie
+taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war,
+so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein
+guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht
+war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch
+ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden
+nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen
+Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man
+daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm
+abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing.
+Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener
+Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische
+eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und
+Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die
+Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der
+Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft
+zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen
+Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so,
+wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau
+durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von
+Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene
+Geschlecht; &ldquo;ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle&rdquo; -
+meinte der alte Herr - und &ldquo;waeren die Menschen der Weiber los, so
+moechte unser Leben wohl minder gottlos sein&rdquo;. Dagegen war die Erziehung
+der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen
+eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn
+sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer
+auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege,
+worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen,
+Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu
+mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn
+irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche
+Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er
+in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu
+nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn
+diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist
+wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten
+Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als
+der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen
+Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und
+Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit
+vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu
+sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben
+haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
+Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte
+er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und
+das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die
+allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was
+er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu
+ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn
+berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen
+deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine
+strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn
+mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in
+seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine
+Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und
+litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu
+stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt
+und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war
+er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt
+als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei
+Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn
+zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die
+Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen
+Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine
+ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes
+Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war
+eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu
+rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb
+denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der
+Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und
+ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so
+verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.
+</p>
+
+<p>
+So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte
+roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen
+Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings
+etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen -
+wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt:
+</p>
+
+<p>
+Nichts ist an der fremden Sitt&rsquo; als tausendfache Schwindelei;
+</p>
+
+<p>
+Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt;
+</p>
+
+<p>
+Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.
+</p>
+
+<p>
+Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die
+Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem
+Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der
+fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern.
+</p>
+
+<p>
+Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit.
+Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die
+Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas
+Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf
+diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten
+und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt
+tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520
+(234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im
+Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
+Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner
+Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat
+herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was
+auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach
+alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der
+eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete
+unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der
+vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht,
+die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber
+jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu
+streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich
+der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens
+selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel
+bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt
+zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich
+zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem
+exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen
+gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche
+Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften
+denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber
+die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften,
+praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen
+fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato
+meinte, &ldquo;die Herrscher der Welt zu beherrschen&rdquo;; in der
+Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich
+bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen.
+</p>
+
+<p>
+Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der
+Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug
+der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte,
+sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende
+Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es
+trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae
+(539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die
+bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559
+195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf
+diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und
+groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr,
+Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und
+Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war
+es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne
+Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten
+Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die
+Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten
+die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei
+Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann
+Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die
+wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch
+gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk
+zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die
+ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen
+Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr
+Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen,
+pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden,
+und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des
+koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen
+Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer
+Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte
+man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage
+nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein
+wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das
+Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das &ldquo;griechisch
+Trinken&rdquo; (Graeco more bibere) oder &ldquo;griechen&rdquo; (pergraecari,
+congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm
+das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche
+Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten.
+Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug
+vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das
+Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und
+zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der
+Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang
+derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen
+Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September
+ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
+bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
+Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu
+Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen,
+gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November
+das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert.
+Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet
+vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen
+ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von
+den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die
+Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem
+Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion
+abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249),
+gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten
+Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien
+an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren
+Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der
+fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man
+war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden
+Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen
+wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen
+von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb
+dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und
+mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich
+nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr
+anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn
+er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die
+bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach
+neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern
+treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den
+dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein
+Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser
+Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach
+Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und
+hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus
+diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien
+Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen
+Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen
+Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie
+sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang;
+zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum
+Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch
+auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus,
+sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt
+hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen
+Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge
+darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch
+hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang
+zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von
+Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht
+unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem
+Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer
+den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des
+hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen
+und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht
+der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der
+Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe
+der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer
+Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten,
+wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
+waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten
+griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom
+Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf
+denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen &lsquo;Curculio&rsquo; schildert das
+derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber
+mit grosser Anschaulichkeit:
+</p>
+
+<p>
+Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt,
+</p>
+
+<p>
+Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht
+</p>
+
+<p>
+Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
+</p>
+
+<p>
+Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick&rsquo; ich Dich.
+</p>
+
+<p>
+Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.
+</p>
+
+<p>
+[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar;
+</p>
+
+<p>
+Auch der Lustknab&rsquo; ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.]
+</p>
+
+<p>
+Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.
+</p>
+
+<p>
+Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,
+</p>
+
+<p>
+In der Mitt&rsquo; am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.
+</p>
+
+<p>
+Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin;
+</p>
+
+<p>
+Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus
+</p>
+
+<p>
+Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag.
+</p>
+
+<p>
+Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;
+</p>
+
+<p>
+Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;
+</p>
+
+<p>
+Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;
+</p>
+
+<p>
+Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
+</p>
+
+<p>
+Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
+</p>
+
+<p>
+Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia.
+</p>
+
+<p>
+Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten
+roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit
+Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7
+Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den
+Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen
+Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu
+demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte
+Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession,
+zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und
+kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten,
+so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren
+Kreisen in Gebrauch.
+</p>
+
+<p>
+Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine
+oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward
+immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter
+Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das
+Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler)
+hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800
+Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die
+Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas
+umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit
+dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht
+zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen
+versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden,
+fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die
+Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben,
+nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl
+womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu
+gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und
+Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung
+rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die
+letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren
+gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten
+sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter
+Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen
+Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in
+der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu
+gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle
+Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer
+mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe
+von zweifelhaftem Wert.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/>
+Literatur und Kunst</h2>
+
+<p>
+Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei
+einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu wuerdigen,
+ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die Volksbelustigungen
+dieser Zeit ins Auge zu fassen.
+</p>
+
+<p>
+Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer
+Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der
+Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist,
+bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den Fall
+kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat
+man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher
+grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den
+Knabenjahren sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der
+hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen
+war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation
+laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung
+ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem
+Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon sehr
+wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu
+einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang
+griechische Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein
+auch in die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung.
+Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben der nicht
+vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum
+rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes
+Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der
+senatorischen Familien aber redeten nicht bloss griechisch vor einem
+griechischen Publikum, sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius
+Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und
+schrieben in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher
+Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen noch
+weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in roemischer
+Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der &ldquo;grosse Feldherr der
+Aeneiaden&rdquo; brachte den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit
+griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator
+rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische
+Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera,
+nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus, morus,
+graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum Charakter der
+Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu gefuegt und nur bei
+Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises
+stehen, wie zum Beispiel es im &lsquo;Wilden&rsquo; (1, 1, 60), freilich in
+einem vielleicht erst spaeter eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia
+[Edelmut ist Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in
+der &lsquo;Casina&rsquo; (3, 6, 9):
+</p>
+
+<p>
+πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor;
+</p>
+
+<p>
+ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in &lsquo;Die beiden Bacchis&rsquo;
+(240):
+</p>
+
+<p>
+opus est chryso Chrysalo;
+</p>
+
+<p>
+wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros, Andromache als
+den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind
+die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im
+&lsquo;Bramarbas&rsquo; (213):
+</p>
+
+<p>
+euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice!
+</p>
+
+<p>
+Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur!
+</p>
+
+<p>
+^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet also:
+Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse!
+</p>
+
+<p>
+Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn!
+</p>
+
+<p>
+Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe,
+</p>
+
+<p>
+Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische
+Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der
+elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
+zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven wurde
+viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem Wirtschaftersklaven zum
+Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die Faehigkeit zu lesen und zu schreiben
+voraus. Der Elementarunterricht sowie der Unterricht im Griechischen muessen
+lange vor dieser Zeit in sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein.
+Dieser Epoche aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer
+bloss aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher
+hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und geselligen
+Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in einem Dorfe der
+deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn gibt; und die aeltesten
+Schreiber griechischer Chroniken mochten unter den uebrigen Senatoren stehen
+wie in den holsteinischen Marschen der Bauer, welcher studiert hat und des
+Abends, wenn er vom Pfluge nach Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt.
+Wer mit seinem Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot
+und als Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar
+nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder Konsul
+werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche Zersetzungsprozess der
+italischen Nationalitaet war bereits, namentlich in der Aristokratie, weit
+genug gediehen, um das Surrogat der Nationalitaet, die allgemein humane
+Bildung, auch fuer Italien unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach
+einer gesteigerten Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der
+griechische Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward
+dabei die klassische Literatur, namentlich die &lsquo;Ilias&rsquo; und mehr
+noch die &lsquo;Odyssee&rsquo; zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen
+Schaetze hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet
+vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des
+Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein
+hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende
+allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass die
+erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der
+Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die
+Lustspiele Menanders.
+</p>
+
+<p>
+In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein groesseres
+Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu
+empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch
+wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch
+hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die
+oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere
+geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in
+der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen oder
+Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3; es hatte dies
+um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet dem griechischen fast
+gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war
+das wenigste; weit tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen
+Unterrichts in den lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es
+ist, fuer die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und
+geeignete Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal
+gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem
+Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu genuegen
+wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems, welche der griechische
+Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf den Unterricht im Lateinischen
+einfach uebertrug - geht doch heutzutage in der Uebertragung der
+Unterrichtsmethode von den toten auf die lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher
+Prozess unter unseren Augen vor.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als
+Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch
+lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine
+lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war in Rom
+nicht vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit ist
+frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die Buehne eine
+bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die eigentliche
+Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal, am Schlusstage
+statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen.
+Allein lange Zeit bestanden diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in
+Taenzen und Gaukelspiel; die improvisierten Lieder, die bei denselben auch
+vorgetragen wurden, waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man
+fuer sie sich nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen
+Volksfestlichkeiten standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr
+Talent des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
+Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in Griechenland
+beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater; dasselbe musste bald die
+Blicke der roemischen Festgeber und ihres Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl
+lag nun in dem aelteren roemischen Buehnenlied ein dramatischer, der
+Entwicklung vielleicht faehiger Keim; allein daraus das Drama herauszubilden,
+forderte vom Dichter wie vom Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen,
+wie sie bei den Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu
+finden war; und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit
+dem Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe und
+Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches Beduerfnis
+vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man wuenschte sich ein
+Theater und es mangelten die Stuecke.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit
+war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht auf
+der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu
+einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische
+Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das
+Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und musste statt
+sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist
+die literaturlose Zeit. Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen
+und die hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
+stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum steht sie
+von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf griechischem Boden
+und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch roemischen Nationalsinn. Vor
+allem die roemische Poesie ging. zunaechst gar nicht aus dem innerlichen
+Dichtertriebe hervor, sondern aus den aeusserlichen Anforderungen der Schule,
+welche lateinische Lehrbuecher, und der Buehne, die lateinische Schauspiele
+brauchte. Beide Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und
+durch antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem
+Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein Greuel; und
+wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem roemischen Gemeinwesen
+war, dass es innerhalb der roemischen Buergerschaft keinen Herrn und keinen
+Knecht, keinen Millionaer und keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche
+Glaube und die gleiche Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule
+und die notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer
+das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die
+wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil sie
+lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen und schreiben,
+ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber gewoehnte man sich, mit
+roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze innere Sein und Leben griechisch
+ward. Es ist nicht eine der erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden
+Saeculum des roemischen Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten
+und geschichtlich belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht
+unmittelbar politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und
+wie der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im engen
+Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
+</p>
+
+<p>
+Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere
+Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482 bis nach 547
+272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius Andronicus genannt,
+kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den anderen tarentinischen
+Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator
+(Konsul 535, 547 219, 207). Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei
+und Textschreiberei, teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen
+Sprache, welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben
+vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei
+so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich seiner
+nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung des
+Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des Dankliedes
+uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und Schauspielerzunft
+einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im Minervatempel auf dem
+Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen
+Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den
+lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen bei
+seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste
+roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet.
+Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst,
+sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie
+oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger
+war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das
+griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten
+Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne
+aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie
+in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war
+geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann
+nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als
+Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um so
+empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt,
+sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt.
+Die starken Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus
+der Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald
+schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was
+die alten Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule
+abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand nahm.
+Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die
+Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten
+die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen
+geschah und die Livische &lsquo;Odyssee&rsquo; vielmehr in dem nationalen
+saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben
+und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen
+nachbilden liessen als die epischen Daktylen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des
+Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht.
+</p>
+
+<p>
+^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es:
+</p>
+
+<p>
+quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem.
+</p>
+
+<p>
+Milchfuell&rsquo; ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt&rsquo; ich ihn.
+</p>
+
+<p>
+Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)
+</p>
+
+<p>
+Ούδ' άρα Κίρκην
+</p>
+
+<p>
+εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα
+</p>
+
+<p>
+ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή
+</p>
+
+<p>
+σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον.
+</p>
+
+<p>
+aber verborgen
+</p>
+
+<p>
+Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig
+</p>
+
+<p>
+Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
+</p>
+
+<p>
+Brot ihr und Fleisch in Fuell&rsquo; und den tiefrot funkelnden Wein her.
+</p>
+
+<p>
+werden also verdolmetscht:
+</p>
+
+<p>
+tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae:
+</p>
+
+<p>
+simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis.
+</p>
+
+<p>
+mília ália in ísdem - ínserínúntur.
+</p>
+
+<p>
+In Eil&rsquo; geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause.
+</p>
+
+<p>
+Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen
+</p>
+
+<p>
+Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge.
+</p>
+
+<p>
+Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die Gedankenlosigkeit des
+Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke
+schickt. Ein zweites, noch laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von
+αιδοίοιςιν έδωκα (Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen
+ist auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der
+Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden Schulmeister
+standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er gleich in Tarent
+geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich Muttersprache gewesen sein
+kann.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten.
+Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem
+Recht, gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser
+Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden
+Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine lyrische,
+epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher
+Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
+</p>
+
+<p>
+Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das Publikum stand
+an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein stehendes Theater mit
+festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in Griechenland wie in Rom trat
+das Schauspiel nur als Bestandteil der jaehrlich wiederkehrenden oder auch
+ausserordentlichen buergerlichen Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch
+die Regierung der mit Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste
+entgegenwirkte oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie
+die Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt dessen
+wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer die Akteure
+(proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund (scaena)
+aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der Zuschauerplatz (cavea)
+abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss abgeschraegt ward, so dass die
+Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich mitbringen liessen, kauerten, lagen
+oder standen ^7. Die Frauen moegen frueh abgesondert und auf die obersten und
+schlechtesten Plaetze beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die
+Plaetze nicht geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt
+ward, den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am
+Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt
+Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen.
+</p>
+
+<p>
+^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga
+zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl. O.
+Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875, S.
+285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen Prologe, sondern
+schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82;
+83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten
+Zuschauer sich Stuehle mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren
+Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter
+der Stadt scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei
+denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden
+zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit
+Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die
+Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie heutzutage bei
+oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es
+denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und
+kreischten, hier und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu
+draengen; die Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als
+Feiertag und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der
+Rute zu wirken.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen
+worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp.
+12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von Rechts wegen
+ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223)
+und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den
+Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5,
+155; Tust. 43, 5, 10; Suet. Aug. 44).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
+Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten kein
+Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal in Ermangelung
+von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden. Allein. in der Stellung
+des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts; der Poet oder, wie er in dieser
+Zeit genannt ward, der &ldquo;Schreiber&rdquo;, der Schauspieler und der
+Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der an sich gering geachteten
+Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch vor wie nach in der oeffentlichen
+Meinung auf die markierteste Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt
+(l, 475). Natuerlich hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe
+fern - der Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in
+der Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre
+Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt werden,
+sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein
+Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem Ende
+dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern ward ueberdies
+von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das Stueck nicht durchfiel. Mit
+der Bezahlung war alles abgetan: von Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie
+sie in Attika vorkamen, war in Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst
+in dieser Zeit, wie bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem
+Tage nur ein einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter
+solchen Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
+Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
+Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich
+entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die attische
+Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im ganzen genommen,
+nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man nur sich wundert, dass sie
+im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu entfalten vermocht hat.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
+Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 229);
+aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original, nicht dem
+Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der Didaskalien und
+Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber Preisgerichte und Preise ist
+entscheidend.
+</p>
+
+<p>
+Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die
+Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende
+nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben
+Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur
+Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer
+Rechnung etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches
+Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor.
+epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer &ldquo;ganze
+Tage&rdquo; im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren
+Zeit.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
+ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des gehofften
+Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass diese Zeit wohl
+eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius, aufweist, eigene
+Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter den dem Namen nach uns
+bekannten Dramen dieser Epoche auf ein Trauerspiel drei Lustspiele kommen.
+Natuerlich griffen die roemischen I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer
+zunaechst nach den Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit
+beherrschten; und damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den
+Kreis der neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter
+Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen
+(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische
+Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig geworden,
+dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt
+geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte
+menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede
+Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon,
+heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die
+neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen,
+warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden
+Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben sollten.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie
+sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch
+des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und
+sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck geht
+regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der
+die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der
+Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad
+des Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude und
+Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor
+Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die
+Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch
+der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander
+unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und Befriedigung der
+Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen pflegt als wenn nicht
+ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden
+gekommene Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute
+Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum
+Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der &lsquo;Strick&rsquo; sich um
+Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das &lsquo;Dreitalerstueck&rsquo; und
+&lsquo;Die Gefangenen&rsquo; gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die
+edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den
+Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer
+Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den
+Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit
+irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden Masken,
+deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben
+Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur
+auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine
+solche Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor,
+wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation
+beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element, sondern
+ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine
+grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch
+verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der
+Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere Komoedie sich
+von der aelteren ebenso sehr durch die groessere innerliche Leere wie durch die
+groessere aeusserliche Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders
+durch die Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte
+Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums war.
+Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen,
+oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel die Casina
+mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut aufgeputzten Soldaten
+echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren und Raetsel, welche ja auch
+an der attischen Tafel dieser Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs
+die stehenden Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese
+Komoedien aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und
+Aristophanes fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und,
+wie andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel,
+in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch
+kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung
+derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst daran
+erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander
+und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild
+der gebildeten attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch
+niemals heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir
+sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt
+und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern,
+dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und
+selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als in
+seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die freundlichen
+haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und
+Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so
+allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht
+verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der &lsquo;Stichus&rsquo;
+schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht
+der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von
+unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten
+Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im bunten
+goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf der Buehne
+Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die Gelegenheitsmacherinnen sich ein,
+bald von der gemeinsten Sorte, wie deren eine im &lsquo;Curculio&rsquo;
+auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter Barbara, wie die Scapha in der
+Wunderkomoedie; auch an hilfreichen Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr
+reichlich und mannigfaltig besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen
+umeinander der strenge und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der
+nachsichtige gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
+Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen den
+Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen zuruecktreten
+und weder der erste Liebhaber noch der hie und da begegnende tugendhafte
+Mustersohn viel bedeuten wollen. Die Bedientenwelt: der verschmitzte
+Kammerdiener, der strenge Hausmeister, der alte wackere Erzieher, der
+knoblauchduftende Ackerknecht, das impertinente Juengelchen - leitet schon
+hinueber zu den sehr zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter
+ist der Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des
+Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen,
+auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat - es
+war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es auch keine
+poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und
+Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der
+Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern
+auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit
+Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im &lsquo;Luegenbold&rsquo;
+ein Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die
+Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der
+gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der
+feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen mehr.
+Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der Aberglaeubige
+Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie. Die
+nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten Schoepfung ihre
+unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier
+doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr,
+je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend,
+dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische Wahrheit
+grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der
+Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als
+verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und
+ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren Komoedie
+faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten Nation. Das
+spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland, Volksglaube,
+Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und
+Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als
+die Schule, der Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein
+Tadel, wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt
+ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das
+Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die
+Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen
+den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu
+verfallen, sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen
+Ueberrest des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus&rsquo;
+&lsquo;Amphitryon&rsquo; weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als in
+allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise
+ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die
+possierlich feigen Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und
+nach dem drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter
+Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe der
+Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch,
+verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden
+Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom geschichtlich-sittlichen Standpunkt
+aus gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein
+individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche
+steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben
+waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser
+Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen, notwendig, auf
+den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit und Zierlichkeit sich
+auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar Menander einigermassen vermied,
+an denen aber bei den anderen Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit
+schlimmer ist die grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit
+und der Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie
+Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene
+Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer gewissen
+Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche Sittlichkeit, mit welcher
+namentlich die menandrischen Stuecke staffiert sind. Das Laster wird
+abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder
+nach der Hochzeit zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische
+&lsquo;Dreitalerkomoedie&rsquo; und mehrere Terenzische, in denen allen
+Personen bis auf die Sklaven hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt
+ist; alle wimmeln von ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von
+Maedchentugend womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden
+Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind
+gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in &lsquo;Die
+beiden Bacchis&rsquo; ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter
+zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine voellig
+Kotzebuesche Sittenfaeulnis.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel.
+Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern
+wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter
+der betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns
+bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung
+eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen Titel,
+dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit genannt wird, und
+wenn, wie das wohl vorkam, ueber die &ldquo;Neuheit&rdquo; eines Stueckes
+gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon frueher
+uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss haeufig im Ausland,
+sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula
+palliata) danach benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in
+Athen ist und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind.
+Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der
+ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische Kostuem
+streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer vermieden und wo
+ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch &ldquo;Auslaender&rdquo;
+(barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male vorkommenden Geld- und
+Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal die roemische Muenze. Man macht
+sich von so grossen und so gewandten Talenten, wie Naevius und Plautus waren,
+eine seltsame Vorstellung, wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl
+zurueckfuehrt; diese krasse und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen
+Komoedie war ohne Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten
+bedingt. Die Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die
+neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen
+Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte
+gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig von den
+Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat abhingen, und
+selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele,
+nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei
+ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu machen
+gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese Komoedie, selbst
+nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch
+keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland
+verbannt blieb.
+</p>
+
+<p>
+Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend
+oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf die
+Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und nachplautinischen
+Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht zu einer einzigen
+Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei dem lebhaften
+Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen Invektiven gegen Gemeinden -
+wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere
+Spur als der bezeichnende Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner
+und merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das
+schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den
+Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der
+Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu den
+friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher, gegen
+Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe,
+gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende
+Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges Mal - im
+&lsquo;Curculio&rsquo; - eine an die Parabasen der aelteren attischen Komoedie
+erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben
+auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal
+patriotischen Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter:
+</p>
+
+<p>
+Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat,
+</p>
+
+<p>
+Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum?
+</p>
+
+<p>
+und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als
+das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige
+Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus
+Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so
+sind doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von
+Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter anderm sich
+heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen,
+sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren
+Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen:
+</p>
+
+<p>
+Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte,
+</p>
+
+<p>
+Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt,
+</p>
+
+<p>
+Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.
+</p>
+
+<p>
+Wie in den Worten:
+</p>
+
+<p>
+Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest,
+</p>
+
+<p>
+so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben,
+wie zum Beispiel:
+</p>
+
+<p>
+Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert?
+</p>
+
+<p>
+worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum
+Beispiel:
+</p>
+
+<p>
+Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
+ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner (com. 21
+R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern tritt oefter
+hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der pyrrhischen sowie die
+Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher damit im Zusammenhang.
+Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten natuerlich die Zensur.
+Bemerkenswert ist auch das Kompliment fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1).
+</p>
+
+<p>
+^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die
+hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen
+Krieges in der auf uns gekommenen Literatur:
+</p>
+
+<p>
+Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt
+</p>
+
+<p>
+Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan.
+</p>
+
+<p>
+Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds,
+</p>
+
+<p>
+Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess,
+</p>
+
+<p>
+Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob,
+</p>
+
+<p>
+Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen.
+</p>
+
+<p>
+Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den
+saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen
+(Liv. 29, 15; oben 2, 175).
+</p>
+
+<p>
+^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von Anspielungen auf
+Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art
+hat die neueste Untersuchung beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung
+auf die Bacchanalien, welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga,
+Bd. 1, S. 192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus
+den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der &lsquo;Casina&rsquo; und einigen
+anderen Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
+besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
+geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien zu reden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die
+Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch nur zu
+dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in den Block
+geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien oeffentlich Busse
+und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel, wie es scheint, aus. der
+Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch sein Beispiel sich warnen - einer
+derselben deutet sehr verstaendlich an, dass er ganz und gar nicht Lust habe,
+gleich dem Kollegen Naevius der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So
+ward es durchgesetzt, was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die
+Besiegung Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung
+eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
+Farblosigkeit entstand.
+</p>
+
+<p>
+Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen
+Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte Naevius die
+Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und Seleukiden, verglichen mit
+derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen
+ward natuerlich bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden
+Originals und das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller
+individuellen Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
+Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele denselben
+Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst wurden.
+Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im hoechsten Grade
+frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die Originalstuecke vor derselben
+Gesellschaft spielten, die sie kopierten, und eben hierin ihr
+hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische Publikum dieser Zeit von dem
+attischen so verschieden, dass es jene auslaendische Welt nicht einmal imstande
+war recht zu verstehen. Von dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der
+Roemer weder die Anmut und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die
+uebertuenchte Leere. Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische
+Sklave war ein Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen
+vorkommen, oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern
+die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen
+gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele in
+roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des pfiffigen
+Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum solche, ihre
+Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug. Eher als die feinen
+Alltagsfiguren hielten die an sich derber und possenhafter zugeschnittenen
+Staende- und Charakterbilder die Uebertragung aus; aber auch von diesen musste
+doch der roemische Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
+originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
+Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und sich
+vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen der bereits
+sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus sein Publikum vertraut
+gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der Spassmacher in dem Plautinischen
+Lustspiel mit so auffallender Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so
+liegt der Schluessel dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon
+damals auf dem roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot,
+einen Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu
+setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten
+attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht brauchen.
+Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens stand der roemische
+Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche Kleinstaedter zu den
+Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in
+seinen Kopf; die Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung
+sehr zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und
+die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische Schweinebraten.
+Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der griechischen Rhetorik und
+Philosophie, die in den Originalen eine so grosse Rolle spielten, begegnet in
+der Bearbeitung nur hier und da eine verlorene Spur.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem &lsquo;Maedel von
+Tarent&rsquo; nicht bedeuten:
+</p>
+
+<p>
+Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand,
+</p>
+
+<p>
+Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt -
+</p>
+
+<p>
+Wie viel besser als hier der Freie hat&rsquo;s darin der Knecht!
+</p>
+
+<p>
+^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum Beispiel bei
+Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen:
+</p>
+
+<p>
+Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur:
+</p>
+
+<p>
+Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als
+</p>
+
+<p>
+Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf ihr
+Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte sie
+unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und Durcheinanderwerfens
+hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition sich vertrug. Es war
+gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals herauszuwerfen, sondern
+auch dafuer andere aus anderen Lustspielen desselben oder auch eines anderen
+Dichters wieder einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen
+Komposition der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig
+so arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren
+Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen.
+Die Handlung des sonst so vortrefflichen &lsquo;Stichus&rsquo; (aufgefuehrt 554
+200) besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen moechte,
+sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis
+die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den
+Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der
+&lsquo;Casina&rsquo;, die bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt
+die Braut, von der das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum
+Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv als &ldquo;spaeter drinnen vor
+sich gehend&rdquo; vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die
+Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen
+und was dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache
+hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der
+roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des roemischen
+Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der
+Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf die
+Komposition gewendet und &lsquo;Die Gefangenen&rsquo; zum Beispiel, der
+&lsquo;Luegenbold&rsquo;, &lsquo;Die beiden Bacchis&rsquo; sind in ihrer Art
+meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke
+mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die
+kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete.
+</p>
+
+<p>
+In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen
+roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die
+Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die wunderlichsten
+Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen, militaerischen,
+juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam aus in der griechischen
+Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den
+Agoranomen und Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken
+den Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine
+solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen
+Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr
+spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige
+Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung
+des Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von den
+neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen;
+Stuecke wie die Plautinische &lsquo;Eselskomoedie&rsquo; werden ihre
+unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer
+verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in
+einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder
+mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen
+Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche
+erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische
+Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der Weiber.
+Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die
+elegante attische Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich
+manche von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem
+Plautinischen &lsquo;Stichus&rsquo; der Vater mit seinen Toechtern ueber die
+Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob
+es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit
+einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu unsinnigen
+Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den
+folgenden Fall. In Menanders &lsquo;Halsband&rsquo; klagt ein Ehemann dem
+Freunde seine Not:
+</p>
+
+<p>
+A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst
+</p>
+
+<p>
+Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert
+</p>
+
+<p>
+Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt,
+</p>
+
+<p>
+Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns;
+</p>
+
+<p>
+Zur Last ist sie all&rsquo; und jedem, nicht bloss mir allein,
+</p>
+
+<p>
+Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss,
+</p>
+
+<p>
+So ist es.
+</p>
+
+<p>
+In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner grossen
+Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog geworden:
+</p>
+
+<p>
+B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! -
+</p>
+
+<p>
+B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm&rsquo; ich etwa dir
+</p>
+
+<p>
+Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir
+</p>
+
+<p>
+Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie&rsquo;s schon;
+</p>
+
+<p>
+Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der
+geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen
+Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen
+Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr
+haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so
+wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der Bearbeiter
+zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben wussten, als in dem
+ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang
+der Langverse auch da gefiel, wo er nicht hingehoerte.
+</p>
+
+<p>
+Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel der
+Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die aesthetischen
+Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon wegen des Umfangs des
+Theaters und des Spielens bei Tage auf ein eigentliches Gebaerdenspiel
+verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern besetzte und einer kuenstlichen
+Verstaerkung der Stimme des Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in
+szenischer wie in akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts-
+und Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den
+Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch
+wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren
+sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel kuenstlicheren
+Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern abgesehen, in Verbindung mit
+der mangelhaften akustischen Einrichtung der Buehne ^17 den Schauspieler nicht
+bloss noetigte seine Stimme ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den
+Livius zu dem hoechst unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die
+Gesangstuecke durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger
+vortragen und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch
+stummes Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
+ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in wesentliche
+Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte regelmaessig eine Strasse
+mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte keine wandelbaren Dekorationen;
+allein man besass doch ausser anderem mannigfaltigen Apparat namentlich eine
+Vorrichtung, um eine kleinere, das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf
+die Hauptszene hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht
+versehen, und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles,
+sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die
+Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler
+unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art
+und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt
+von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares Bild;
+in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das Original nicht hoch
+und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch
+die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten,
+erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik
+gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der
+Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein
+Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein Lebens-,
+ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande
+war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und
+Athleten anzukuendigen und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu
+verwandeln, vor einem Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in
+Masse aus dem Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder
+gar Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren,
+Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die
+eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der
+herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist alles
+Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische Talente unter
+ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in der Poesie wenigstens
+zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen Bahnen zu erfreulichen und
+selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen vermochten. An ihrer Spitze steht
+Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der es verdient, ein Dichter zu heissen und,
+soweit die ueber ihn erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner
+Werke uns ein Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten
+und bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war des
+Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann bedeutend
+vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen Kriege - und im
+allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in gemachten Literaturen zu
+sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im
+Epos, im Trauer- und Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen
+sich eng an ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen
+eine ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und
+kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener
+Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und Soldat
+im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist Naevius&rsquo;
+Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von aller Affektion und
+scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu
+gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen,
+spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die
+Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein
+aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der Griechen ging,
+so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und traf mit der wahren
+Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine
+volkstuemliche Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die
+Komik. Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein
+Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und lesende
+Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein
+Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben gewesen;
+mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der Schauspieler ward nun der
+Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein
+volkstuemliches Gepraege. Es tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten
+Nationalschauspiel und in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein
+wird; aber auch in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen
+Leistungen die seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen
+zu sein scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
+Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den griechischen
+Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert, in frischer
+Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine Nachfolger und
+wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter sich zurueckzulassen, ja
+in gewissem Sinne in die Bahnen des Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er
+hat es wohl empfunden und in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er
+seiner Nation gewesen ist:
+</p>
+
+<p>
+Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte,
+</p>
+
+<p>
+Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen;
+</p>
+
+<p>
+Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied,
+</p>
+
+<p>
+Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten
+Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519 (235)
+wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben (Gell. 12, 21,
+45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie gewoehnlich angegeben wird,
+bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so
+muesste er waehrend des Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein.
+Auch die Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
+geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194) setzen
+duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen Scipionen (Cic.
+rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und vielleicht zehn Jahre aelter
+als Plautus war. Seine kampanische Herkunft deutet Gellius, seine latinische
+Nationalitaet, wenn es dafuer der Beweise beduerfte, er selbst in der
+Grabschrift an. wenn er nicht roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von
+Cales oder einer anderen latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich
+leichter, dass ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte.
+Schauspieler war er auf keinen Fall, da er im Heere diente.
+</p>
+
+<p>
+^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus
+Naevius&rsquo; Trauerspiel &lsquo;Lycurgus&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht,
+</p>
+
+<p>
+Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf,
+</p>
+
+<p>
+Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch.
+</p>
+
+<p>
+Oder die beruehmten Worte, die in &lsquo;Hektors Abschied&rsquo; Hektor zu
+Priamos sagt:
+</p>
+
+<p>
+Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann.
+</p>
+
+<p>
+und den reizenden Vers aus dem &lsquo;Maedel von Tarent&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe
+gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und
+der fuer die tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht
+gerade den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und
+volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in
+welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich
+dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das
+individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen
+zugrunde.
+</p>
+
+<p>
+In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint
+ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254-184).
+weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich
+umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen Sassina,
+lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit gemachten Gewinn in
+kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst hatte, als Theaterdichter von
+der Bearbeitung griechischer Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der
+Literatur taetig zu sein und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches
+Schriftstellertum zu machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter
+scheint es in Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre
+Namen sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20,
+so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging
+spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die
+Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig solcher
+&ldquo;plautinischer Stuecke&rdquo;, von denen indes auf jeden Fall ein grosser
+Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der Kern derselben
+ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die poetische
+Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht
+unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne
+Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem
+Publikum gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die
+aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum
+und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind
+Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen
+Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich gelten die
+meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes
+Geschick, die Situation buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast
+immer gewandte und oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und
+frische Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen
+Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen
+Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in
+denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der
+Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als
+selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer
+zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein es wird
+dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der
+rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach
+dem Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen
+ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der
+Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen
+Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller des
+roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche Ungewissheit
+ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen
+anderen aeusserlichen Dingen besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen
+Plautus und Shakespeare.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und
+letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg -
+namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu gelangen. Der
+Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus gleich. Geboren im
+Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter den insubrischen
+Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener
+von der Bearbeitung griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem
+wahrscheinlich fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist
+bei seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt
+ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur
+schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz
+den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen Literaturzeit
+Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter den roemischen
+Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die erste Stelle eingeraeumt
+haben, so scheint dies darauf zu beruhen, dass die kunstrichterliche
+Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten poetischen vor dem einseitig
+Vortrefflichen den Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den
+Caecilius nur deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als
+Plautus und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit
+geringer als beide gewesen sein kann.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr achtbaren
+Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen
+Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine
+kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das geschichtlich-sittliche
+Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem haerter ausfallen. Das
+griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde liegt, war sittlich insofern
+gleichgueltig, als es eben nur im Niveau der Korruption seines Publikums stand;
+die roemische Schaubuehne aber war in dieser zwischen der alten Strenge und der
+neuen Verderbnis schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus
+und des Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
+wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
+usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen und
+widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen Verherrlichung des
+Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit und auslaendischem
+Raffinement, war eine fortlaufende Predigt roemisch-hellenischer Demoralisation
+und ward auch als solche empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der
+Plautinischen &lsquo;Gefangenen&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar:
+</p>
+
+<p>
+Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht,
+</p>
+
+<p>
+Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung;
+</p>
+
+<p>
+Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei.
+</p>
+
+<p>
+Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien,
+</p>
+
+<p>
+Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel,
+</p>
+
+<p>
+Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein:
+</p>
+
+<p>
+Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel.
+</p>
+
+<p>
+Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das griechische
+Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden, dass auch in jenen
+weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die Moralitaet von derjenigen Art
+ist, die nur dazu taugt, die Unschuld gewisser zu betoeren. Wer kann es
+bezweifeln, dass diese Schauspiele der Korruption praktischen Vorschub getan
+haben? Als Koenig Alexander an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser
+ihm vorlas, keinen Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das
+nicht an ihm sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen,
+muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen
+Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk; wenn also
+die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen Komoedien
+Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah. Es gereicht der
+roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer diese Poesie so wenig
+tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch
+ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine
+Kanzel zu errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung,
+dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der
+Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie
+wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette walten,
+den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen selbstaendige
+roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie ist auch eine
+sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu
+heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig
+und zu viel; die politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer
+Buehnenpolizei hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation
+das Ihrige beigetragen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete, die
+Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger auf die Buehne zu
+bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines lateinischen
+Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn die roemische
+Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der latinischen Nation
+zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und
+Massalia, ebenso auch in den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu
+lassen. In der Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel
+(fabula togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke,
+Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese
+Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war
+nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in
+Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga.
+Hier waltet das latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die
+Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie
+schon die Titel zeigen: &lsquo;Die Harfenistin oder das Maedchen von
+Ferentinum&rsquo;, &lsquo;Die Floetenblaeserin&rsquo;, &lsquo;Die
+Juristin&rsquo;, &lsquo;Die Walker&rsquo;, und manche einzelne Situationen noch
+weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe
+nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender
+Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt
+nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges
+und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
+</p>
+
+<p>
+Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der technischen
+Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch
+zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I,
+200, von 21; 50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die
+nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder
+Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und
+nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet,
+bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung,
+insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die grosse
+Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint
+ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern nennt, an die
+latinische Nation gedacht zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu erkennen
+haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in Griechenland; beiden
+aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das Ausland gemeinsam, und die Stadt
+und die Buergerschaft Roms auf die Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem
+Lustspieldichter untersagt. Dass in der Tat die togata nur in den Staedten
+latinischen Rechts spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in
+denen unseres Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia,
+Ferentinum, Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
+latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die
+Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den Lustspieldichtern diese
+latinische Inszenierung verloren, da das Cisalpinische Gallien, das rechtlich
+an die Stelle der latinischen Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen
+Buehnendichter zu fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der
+Tat verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden
+Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die
+fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata.
+</p>
+
+<p>
+^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach
+einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595
+196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) - denn mehr
+moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden koennen und,
+wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius,
+Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta),
+darum noch nicht gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten
+sein als der juengste der aelteren.
+</p>
+
+<p>
+^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs nach
+Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus), neun nach
+Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna, psaltria oder
+Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?), von denen zwei, die
+&lsquo;Juristin&rsquo; und die &lsquo;Floetenblaeserin&rsquo; offenbar
+Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet die Frauenwelt
+vor.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
+griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
+Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht haben, wie
+sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro hervortritt. Wie in der
+deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher Weise von der franzoesischen
+ausgegangen war wie die roemische von der attischen, sehr bald die
+franzoesische Lisette durch das Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so
+trat, wenn nicht mit gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und
+vielleicht mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das
+latinische Nationallustspiel.
+</p>
+
+<p>
+Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im Laufe
+dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht
+auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels,
+das griechische, namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd
+und bereits mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der
+empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen
+Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur
+minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende Weise
+gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war, dass die
+griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von Euripides (274, 348
+480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen Mann und seine noch viel
+merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist
+dieses Ortes nicht; aber die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und
+der griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es
+unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren.
+Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine
+hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige
+Gefuehl dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu
+erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe aller
+Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer die antike
+Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber eigentliche
+Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der
+Kampf des Menschen und des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht
+wesentlich darauf, dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst
+wird; das wesenhafte Menschliche ist im &lsquo;Prometheus&rsquo; und
+&lsquo;Agamemnon&rsquo; nur leicht angehaucht von dichterischer
+Individualisierung. Sophokles fasst wohl die Menschennatur in ihrer allgemeinen
+Bedingtheit, den Koenig, den Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des
+Menschen in seiner Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner
+Gestalten zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
+hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die Verflechtung
+dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer hoeheren poetischen
+Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind, gegen Shakespeare gehalten,
+Aeschylos und Sophokles unvollkommene Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides
+es unternimmt, den Menschen darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein
+logischer und in gewissem Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer
+Fortschritt. Er hat die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu
+erschaffen vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken,
+durch welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins
+Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des Altertums
+ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel unvertraeglich; Euripides
+aber behielt sie bei. Mit bewundernswert feinem Gefuehl hatte die aeltere
+Tragoedie das dramatische Element, das frei walten zu lassen sie nicht
+vermochte, niemals rein dargestellt, sondern es stets durch die epischen Stoffe
+aus der Uebermenschenwelt der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere
+gewissermassen gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss:
+er ging mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab
+und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen
+sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch hat er
+weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit gestellt noch den
+Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der
+volle Ausdruck einer Zeit einerseits der grossartigsten geschichtlichen und
+philosophischen Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie,
+der reinen und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige
+Froemmigkeit der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz
+des Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der
+aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so
+erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation so
+entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken wie die
+Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube
+ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich despotische Macht, und
+knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der
+verzweifelnde Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt.
+Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber
+ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft
+poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner
+Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten
+geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer
+Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche Manier, den
+Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine Goettererscheinung oder
+eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht.
+Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist
+hierin von allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel
+poetischer Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten
+Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch
+durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen
+mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der willig
+sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem
+die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der
+groessten Schoenheit; aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und
+Aristophanes&rsquo; Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern
+vermoege, vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des
+gemeinen Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten
+Heroen, wie der Menelaos in der &lsquo;Helena&rsquo;, die Andromache, die
+Elektra als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos,
+widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen
+dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen
+Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende
+Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie uebergehen, wie
+die &lsquo;Iphigenie in Aulis&rsquo;, der &lsquo;Ion&rsquo;, die
+&lsquo;Alkestis&rsquo; vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die
+erfreulichste Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der
+Dichter das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die
+verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere
+Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen;
+dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu
+unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im Ziergarten
+durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin vor allem die
+Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar menschlicher
+Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht. Seine Medeia ist
+insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt
+gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe
+und Eifersucht wird der unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor
+allem aber ist in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt
+durch die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen
+einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge
+fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen zusammen mit
+dem gleichzeitigen politischen und philosophischen Radikalismus und ist der
+erste und oberste Apostel der neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit
+aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition,
+auf die der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess,
+so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und
+das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der
+Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische
+Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach also
+zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch nur
+gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt und
+gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte sittlich wie
+poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal
+geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse,
+wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist
+Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig
+las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn
+entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm
+gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides
+ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns
+entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen, sondern der
+Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem
+neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und
+das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder mittelbar
+wesentlich durch Euripides bestimmt ward.
+</p>
+
+<p>
+Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten Kanaele nach
+Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer mittelbar gewirkt haben
+als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die tragische Schaubuehne ist in Rom
+nicht gerade spaeter eroeffnet worden als die komische; allein sowohl die bei
+weitem groesseren Kosten der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens
+waehrend des Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden
+ist, als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
+Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien nicht
+gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art moegen aus den
+Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig erfolgreiche
+Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus juengerer Zeitgenosse
+Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke schon von den gleichzeitigen
+Lustspieldichtern parodiert und von den Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein
+geschaut und deklamiert wurden.
+</p>
+
+<p>
+Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als die
+komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen, die bei
+dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire ging
+gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke hervor. Die
+Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den unmittelbar damit
+zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil dieser Mythenkreis allein dem
+roemischen Publikum durch den Schulunterricht gelaeufig war; daneben
+ueberwiegen die sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den
+&lsquo;Eumeniden&rsquo;, im &lsquo;Alkmaeon&rsquo;, im
+&lsquo;Kresphontes&rsquo;, in der &lsquo;Melanippe&rsquo;, in der
+&lsquo;Medeia&rsquo;, die Jungfrauenopfer in der &lsquo;Polyxena&rsquo;, den
+&lsquo;Erechthiden&rsquo;, der &lsquo;Andromeda&rsquo;, der
+&lsquo;Iphigeneia&rsquo; - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass
+das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war. Frauen-
+und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die
+bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung von dem Original
+betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl
+fuer das komische chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere
+Tanzplatz (orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor
+sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art
+Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und
+der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der
+Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen fehlte es
+natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen und Verunstaltungen
+nicht; in der lateinischen Bearbeitung der Euripideischen
+&lsquo;Iphigeneia&rsquo; zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster einer anderen
+Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein
+Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die
+lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden
+^24, doch gab wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen
+Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von
+dem des Menander.
+</p>
+
+<p>
+Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in Rom
+ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig; und wenn,
+wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt, in dem Trauerspiel
+die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher auftritt, so trug dagegen
+die tragische Buehne dieser Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch
+weit entschiedener die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische
+Tendenz zur Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der
+einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner,
+sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer
+Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom ueber und
+lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in beschraenkten
+Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen und Griechischen,
+teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den Verehrungen derjenigen
+roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius
+Nobilior, geneigt waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu
+lohnen, der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von
+ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten
+bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer
+einen solchen Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25.
+Von Haus aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es,
+die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar
+die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben;
+und wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr folgeweise
+aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr deutliches Ziel
+gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten,
+sich auf einen volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr
+seiner revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet
+sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern
+energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die
+Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte
+tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles
+sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die
+meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides nachgebildet
+hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere
+Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so
+entschieden den Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr
+vernachlaessigte als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als
+der Grieche akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den
+&lsquo;Thyestes&rsquo; und den aus Aristophanes&rsquo; unsterblichem Spott so
+wohlbekannten &lsquo;Telephos&rsquo; und deren Prinzenjammer und Jammerprinzen,
+ja sogar ein Stueck wie &lsquo;Menalippe die Philosophin&rsquo;, wo die ganze
+Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht und die Tendenz,
+dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen
+Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich
+eingelegten Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die
+folgende ist:
+</p>
+
+<p>
+Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt&rsquo; ich sonst und sag&rsquo; ich noch;
+</p>
+
+<p>
+Doch sie kuemmern keinesweges, mein&rsquo; ich, sich um der Menschen Los,
+</p>
+
+<p>
+Sonst ging&rsquo;s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
+</p>
+
+<p>
+wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten. Dass
+Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet wissenschaftlich
+predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm mit dieser Aufklaerung
+Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die hier und da hervortretende
+radikal gefaerbte politische Opposition ^27, die Verherrlichung der
+griechischen Tafelfreuden, vor allem die Vernichtung des letzten nationalen
+Elements in der lateinischen Poesie, des saturnischen Masses, und dessen
+Ersetzung durch den griechischen Hexameter. Dass der
+&ldquo;vielgestaltige&rdquo; Poet alle diese Aufgaben mit gleicher Sauberkeit
+ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch angelegten Sprache den Hexameter
+abrang und ohne den natuerlichen Fluss der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit
+und Freiheit in den ungewohnten Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem
+ungemeinen, in der Tat mehr griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man
+bei ihm anstoesst, verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als
+roemische Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
+Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die freilich des
+poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu fuehlen, und der die
+komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den Stolz, womit der
+hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht, &ldquo;in denen die
+Waldgeister und die Barden ehemals sangen&rdquo;, und die Begeisterung, womit
+er die eigene Kunstpoesie feiert:
+</p>
+
+<p>
+Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen
+</p>
+
+<p>
+Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der
+Ennianischen &lsquo;Medeia&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος
+</p>
+
+<p>
+Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας
+</p>
+
+
+<p>
+Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε Utinam ne in nemore Pelio securibus
+</p>
+
+<p>
+Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας Caesa accidisset abiegna ad terram
+</p>
+
+<p>
+                                        trabes,
+</p>
+
+<p>
+                                        Neve inde navis inchoandae exordium
+</p>
+
+<p>
+                                        Coepisset, quae nunc nominatur
+</p>
+
+<p>
+                                        nomine
+</p>
+
+<p>
+Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος Argo, quia Argivi in ea dilecti
+</p>
+
+<p>
+                                       viri
+</p>
+
+<p>
+                                       Vecti petebant pellem inauratam
+</p>
+
+<p>
+                                       arietis
+</p>
+
+<p>
+Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή Colchis, imperio regis Peliae, per
+</p>
+
+<p>
+                                       dolum.
+</p>
+
+<p>
+Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας Nam nunquam era errans mea domo
+</p>
+
+<p>
+                                       efferret pedem
+</p>
+
+<p>
+Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος. Medea, animo aegra, amore saevo
+</p>
+
+<p>
+saucia.
+</p>
+
+
+<p>
+Nie durch die schwarzen Symplegaden
+</p>
+
+<p>
+haette hin
+</p>
+
+<p>
+Fliegen gesollt ins Kolcherland der
+</p>
+
+<p>
+Argo Schiff,
+</p>
+
+<p>
+Noch stuerzen in des Pelion O waer&rsquo; im Pelionhaine von den
+</p>
+
+<p>
+Waldesschlucht jemals Beilen nie
+</p>
+
+<p>
+Gefaellt die Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt
+</p>
+
+<p>
+sie die Hand der Tannenstamm
+</p>
+
+<p>
+                                       Und haette damit der Angriff
+</p>
+
+<p>
+                                       angefangen nie
+</p>
+
+<p>
+                                       Zum Beginn des Schiffes, das
+</p>
+
+<p>
+                                       man jetzt mit Namen nennt
+</p>
+
+
+<p>
+Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos
+
+</p> <p>
+dem Pelias auserlesne Schar,
+
+</p> <p>
+ Von Kolchi nach Gebot des
+
+</p> <p>
+ Koenigs Pelias
+
+</p> <p>
+Zu holen gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes
+
+</p> <p>
+waere mir Widdervliess!
+
+</p> <p>
+Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den Fuss mir
+
+</p> <p>
+dann Herrin setzte nie,
+
+</p> <p>
+Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea, krank im Herzen, wund von
+
+</p> <p>
+hinweggeschifft. Liebespein.
+</p>
+
+<p>
+Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht bloss die
+Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung oder Erlaeuterung der
+weniger bekannten mythologischen Namen: der Symplegaden, des Kolcherlandes, der
+Argo. Eigentliche Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten.
+</p>
+
+<p>
+^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters
+die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich
+ruft,
+</p>
+
+<p>
+mit welchem er gern und
+</p>
+
+<p>
+Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung
+</p>
+
+<p>
+Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen,
+</p>
+
+<p>
+Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat;
+</p>
+
+<p>
+Welchem das Gross&rsquo; und das Klein&rsquo; und den Scherz auch er mitteilen
+</p>
+
+<p>
+Durft&rsquo; und alles zugleich, was gut und was uebel man redet,
+</p>
+
+<p>
+Schuetten ihm aus, wenn er mocht&rsquo;, und anvertrauen ihm sorglos;
+</p>
+
+<p>
+Welcher geteilt mit ihm viel Freud&rsquo; im Hause und draussen;
+</p>
+
+<p>
+Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit
+</p>
+
+<p>
+Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
+</p>
+
+<p>
+Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens,
+</p>
+
+<p>
+Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich,
+</p>
+
+<p>
+Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,
+</p>
+
+<p>
+Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,
+</p>
+
+<p>
+Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch,
+</p>
+
+<p>
+Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen.
+</p>
+
+<p>
+In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges divumque
+hominumque.
+</p>
+
+<p>
+^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul.
+956), dass er ein Mann sei,
+</p>
+
+<p>
+Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt
+</p>
+
+<p>
+Im besten Fall; und trifft er&rsquo;s nicht, es geht ihm hin.
+</p>
+
+<p>
+hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller
+gemacht:
+</p>
+
+<p>
+Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo
+</p>
+
+<p>
+Jovis Zieg&rsquo; oder Krebs ihm aufgeh&rsquo; oder einer Bestie Licht.
+</p>
+
+<p>
+Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum.
+</p>
+
+<p>
+^27 Im &lsquo;Telephus&rsquo; heisst es:
+</p>
+
+<p>
+Palam mutire plebeis piaculum est.
+</p>
+
+<p>
+Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
+</p>
+
+<p>
+^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der
+Bearbeitung des Euripideischen &lsquo;Phoenix&rsquo; an:
+</p>
+
+<p>
+Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt&rsquo;s zu wirken in der Welt
+</p>
+
+<p>
+Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl.
+</p>
+
+<p>
+Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz;
+</p>
+
+<p>
+Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat.
+</p>
+
+<p>
+In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte einverleibten
+&lsquo;Scipio&rsquo; standen die malerischen Zeilen:
+</p>
+
+<p>
+— munduscaeli vastus constitit silentio;
+</p>
+
+<p>
+Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit,
+</p>
+
+<p>
+Sol equis iter repressit ungulis volantibus,
+</p>
+
+<p>
+Constitere amnes perennes, arbores vento vacant.
+</p>
+
+<p>
+[Iovis winkt&rsquo;;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum.
+</p>
+
+<p>
+Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun,
+</p>
+
+<p>
+Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott,
+</p>
+
+<p>
+Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind.
+</p>
+
+<p>
+Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter seine
+Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung der Worte, die
+in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie &lsquo;Hektors
+Loesung&rsquo; ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander
+Zuschauender spricht:
+</p>
+
+<p>
+Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant.
+</p>
+
+<p>
+Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind.
+</p>
+
+<p>
+und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her.
+</p>
+
+<p>
+^29 So heisst es im &lsquo;Phoenix&rsquo;:
+</p>
+
+<p>
+- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit.
+</p>
+
+<p>
+Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt,
+</p>
+
+<p>
+und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch akrostichische
+Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das
+griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen
+Nation.
+</p>
+
+<p>
+Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer Schiffer
+nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss gleich Ennius,
+wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische Trauerspiele fuer die
+roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein ernstes Nationalschauspiel
+(fabula praetextata) selbstaendig zu schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen
+hier nicht im Weg; er brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der
+gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine
+&lsquo;Erziehung des Romulus und Remus&rsquo; oder der &lsquo;Wolf&rsquo;,
+worin der Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein &lsquo;Clastidium&rsquo;,
+worin der Sieg des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach
+seinem Vorgang hat auch Ennius in der &lsquo;Ambrakia&rsquo; die Belagerung der
+Stadt durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung
+geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die
+Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die
+farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf
+die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben wir
+kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in Anschlag
+kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige Griffe von solcher
+Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur
+die griechischen Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher
+fuehlenden Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut
+gehabt, die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen
+der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig
+entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es
+hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber
+geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der
+man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war.
+</p>
+
+<p>
+Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius buergerte die
+Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation vertrat, die Vorlesung
+neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom wenigstens insofern ein, als er
+dieselben in seiner Schule vortrug. Da die Dichtkunst hier nicht oder doch
+nicht geradezu nach Brot ging, ward dieser Zweig derselben nicht so wie die
+Buehnendichtung von der Ungunst der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das
+Ende dieser Epoche sind auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in
+dieser Art als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
+rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der szenischen
+sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der Buehnendichtung eine
+untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein eigentliches dichterisches
+Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben
+haben kann. Vor allem schwach vertreten war die lyrische, didaktische,
+epigrammatische Poesie. Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher
+dieser Zeit allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
+halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche das
+saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen Literatur
+an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint, tritt sie in der
+Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung,
+die urspruenglich dem alten, seit Livius durch das griechische Drama von der
+Buehne verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der
+rezitativen Poesie einigermassen unseren &ldquo;vermischten Gedichten&rdquo;
+entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive Kunstgattung und
+Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer
+Art von beliebigem, meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos
+spaeter noch zu erwaehnendem &lsquo;Gedicht von den Sitten&rsquo;, welches
+vermutlich, anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer
+Poesie, in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die
+kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare
+Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert veroeffentlichte:
+kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen Sagen- oder
+gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen Romans des Euhemeros,
+der auf den Namen des Epicharmos laufenden naturphilosophischen Poesien, der
+Gastronomie des Archestratos von Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst;
+ferner einen Dialog zwischen dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine
+Sammlung von Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten -
+geringe Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
+didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete, wohin die
+Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei &ldquo;Konsulare und
+Poeten&rdquo; genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und
+Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre
+Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in
+Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der
+dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen
+Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich den
+Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie die Dinge
+waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie,
+namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung
+oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit
+berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass
+heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe, was von
+dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die epische Poesie der
+Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und wesentlich in der heroischen
+Zeit; es war ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein
+beneidenswert grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu
+durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel
+mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen
+Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz
+besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer
+Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen Aufzeichnungen
+noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und
+der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die
+grossartigsten Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu
+haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido:
+</p>
+
+<p>
+Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas
+</p>
+
+<p>
+Von Troia schied.
+</p>
+
+<p>
+spaeter:
+</p>
+
+<p>
+Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig
+</p>
+
+<p>
+Amulius, dankt den Goettern -
+</p>
+
+<p>
+aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
+</p>
+
+<p>
+Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner,
+</p>
+
+<p>
+Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte.
+</p>
+
+<p>
+bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256):
+</p>
+
+<p>
+Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel
+</p>
+
+<p>
+Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
+</p>
+
+<p>
+endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte:
+</p>
+
+<p>
+Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius
+</p>
+
+<p>
+Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne
+</p>
+
+<p>
+Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die Gleichheit
+des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen Gegensatz des nationalen
+und des antinationalen Dichters nur um so greller hervortreten. Naevius suchte
+fuer den neuen Stoff eine neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in
+die Formen des hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers,
+die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende Homeridenmanier
+die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht, wird geradezu Homer
+uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach
+dem Muster der Bestattung des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des
+mit den Istriern fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer
+steckt als der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse
+wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange;
+nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat
+den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher
+Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die neologische und
+hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die
+&lsquo;Jahrbuecher&rsquo; keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der
+Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht, womit das
+Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im
+Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem
+Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der
+Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst
+die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen
+Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre
+griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen
+Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer
+</p>
+
+<p>
+Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen.
+</p>
+
+<p>
+Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren
+Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht
+abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege
+dem italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet sich
+gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich
+traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit
+aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die
+Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und
+gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war, einem sonst
+verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich
+einzufuegen. Im ganzen aber waren die &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; ohne Frage
+Ennius&rsquo; verfehltestes Werk. Der Plan, eine &lsquo;Ilias&rsquo; zu machen,
+kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem Gedicht zum
+erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die Literatur
+eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als Gespenst, das weder
+zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das
+Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit
+fuer den roemischen Homer als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den
+Zeitgenossen und mehr noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor
+dem Vater der roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den
+Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
+altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr
+ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte, der moege an
+verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der Henriade, der Messiade
+sich erinnern. Eine maechtige poetische Entwicklung der Nation freilich wuerde
+jene beinahe komische offizielle Parallelisierung der Homerischen
+&lsquo;Ilias&rsquo; und der Ennianischen &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; so gut
+abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin und den Pindar-Willamov; aber
+eine solche hat in Rom nicht stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des
+Gedichts besonders fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent
+des Dichters blieben die &lsquo;Jahrbuecher&rsquo; das aelteste roemische
+Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und
+lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem
+durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit
+das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise
+entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl die
+kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne vor der
+Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche Hemmung, worauf
+namentlich die roemische Komoedie in der strengen und beschraenkten
+Buehnenzensur traf. Es war ferner diese schriftstellerische Taetigkeit nicht
+durch den dem &ldquo;Baenkelsaenger&rdquo; anhaftenden Makel von vornherein bei
+der guten Gesellschaft in den Bann getan. Darum ist denn auch die prosaische
+Schriftstellerei zwar bei weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die
+gleichzeitige poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die
+Poesie fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
+vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint, so ist
+umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht senatorischer Norne
+und sind es durchaus die Kreise der hoechsten Aristokratie, gewesene Konsuln
+und Zensoren, die Fabier, die Gracchen, die Scipionen, von denen diese
+Literatur ausgeht. Dass die konservative und nationale Tendenz sich besser mit
+dieser Prosaschriftstellerei vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache;
+doch hat auch hier, und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur,
+in der Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form
+maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt.
+</p>
+
+<p>
+Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine
+Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu
+den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede
+Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die
+Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen
+Italiens ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen
+Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch so
+fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das
+Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf
+schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun
+aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die roemische
+Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an einem fertigen
+Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide
+zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen
+umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der Muttersprache,
+aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen
+Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581
+173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten
+historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das ueberhaupt
+aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig
+entstanden die griechischen Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32
+(nach 553 201), eines waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften
+taetigen Mannes aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus,
+Publius Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
+gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das nicht
+gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen griechischen
+Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das weit hinaus ueber die
+Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche Interesse derselben es nahelegte,
+zunaechst an das gebildete Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen,
+den zweiten die vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs
+des Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und
+Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in franzoesischer
+Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und
+Feldherren franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen
+Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche
+lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor
+dem Schluss dieser Epoche publizierte &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo;
+zugleich das aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste
+bedeutende prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
+Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43) ausser
+Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen von Quintilian
+und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen Annalen, und es wird die
+Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass unter demselben Namen auch eine
+sehr ausfuehrliche Darstellung des pontifizischen Rechts in lateinischer
+Sprache angefuehrt wird. Indes die letztere Schrift wird von keinem, der die
+Entwicklung der roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem
+Verfasser aus der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch
+lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es
+dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren
+Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder
+ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und des
+Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei Annalisten
+des Namens Fabius Pictor gegeben hat.
+</p>
+
+<p>
+Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte,
+ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk
+aus augustischer Zeit.
+</p>
+
+<p>
+^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein Greisenalter
+(Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der frueheren Buecher der
+&lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo; faellt nicht vor, aber wahrscheinlich auch
+nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im
+Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische
+Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder geordneter
+Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die Landesgeschichte
+von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers, obwohl dem Titel nach
+das Werk des Naevius nur den ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die
+Ursprungsgeschichten betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei
+Abschnitte der Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit
+war fuer die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
+Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu
+ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
+unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den
+Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war, und
+die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern nicht
+unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom an Troia
+anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn Romulus, hier von
+dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich
+entweder dem Naevius oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden
+Maerchen an. Der albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber
+wird zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer
+die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium, sein
+Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole Latiums, das Lange
+Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt erfunden. Dass die
+urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am
+roemischen Markte, sondern in dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem
+Roemer ein Greuel sein, und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg,
+indem die Goetter erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden
+hatten. Indes die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen
+Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz
+Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark im
+Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde dies die
+stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor, dass
+der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine Geschichte pragmatisch zu
+schreiben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen
+Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert,
+so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus
+einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen
+duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei
+Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote
+gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus Herodot
+eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl noch fremd
+gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes in diesem
+Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei
+dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht
+bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein
+urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus
+Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach Italien
+wandernden Urgriechen oder Pelasger.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten
+von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine Version der
+Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten der Herodotischen
+Erzaehlung von Kyros&rsquo; Jugend geschlagen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und lose
+geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die Koenigszeit
+bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz,
+und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den
+Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken eine
+irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten
+empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit
+sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im
+dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den
+Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik
+hoechstens in den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch
+schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen
+eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er
+selber sagt, &ldquo;zu berichten, was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters
+steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich
+verfinstert haetten&rdquo;; und so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch
+seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen
+italischen Gemeinden und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er
+machte sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach
+Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich
+hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge
+&ldquo;abschnittsweise&rdquo; erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke
+auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in
+die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das
+hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien stuetzte,
+teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde Geschichte Roms
+von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den Pyrrhischen Krieg, indem
+sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art
+gleichfalls darstellte.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend
+behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den
+zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den achtzehn
+Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg;
+Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege
+vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten,
+wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den
+letzten zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag
+Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen
+aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von
+Augenzeugen, teils einer auf dem andern.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann
+die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der
+frueheren Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in
+spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden, wie
+zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als
+Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato
+dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und
+taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem
+Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils in
+seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege
+dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine
+gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon
+von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern
+auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den Thukydides
+und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist bestimmt bezeugt.
+Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung absieht, welche Cato als
+Fruechte dieser Lektuere fuer sich zusammenstellte, ist von einer
+schriftstellerischen Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine harmlose
+Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser
+nahmen an inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig
+Tarquinius der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und
+neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt
+nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein
+Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen
+Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre 262
+(492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln dort mit dem
+aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348 406) den Thron
+bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in der Behandlung der
+roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon
+in der vorigen Epoche festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung
+Roms 240 Jahre vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor
+den gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken
+erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion
+388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol.
+8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden
+Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436;
+nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms der
+Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann hier
+nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch aufmerksam;
+eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu haben - das spaeter
+zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher
+nicht von ihm her.
+</p>
+
+<p>
+Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem gewissen
+Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte trugen sicher
+ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen welcher der fabische ueber
+die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago von Polybios mit der ihm eigenen
+kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am
+Platz als der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen
+Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen;
+eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus
+nicht von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen
+Geschichte doch nicht nachgewiesen worden.
+</p>
+
+<p>
+Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender
+Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige
+Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis
+des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der
+innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf
+und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung
+unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die roemische
+einigermassen zu modifizieren.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder &ldquo;lesen
+und die Rechte und Gesetze kennen lehren&rdquo;; und dasselbe zeigt Plut. Cato
+mai. 20.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen
+Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf
+das verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr
+gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint
+ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem
+ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich
+gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen
+okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der Rechtschreibung
+werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die
+lateinischen Musen haben ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und
+zu allen Zeiten neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich
+Ennius hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende
+Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch
+fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die
+genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und Plautus
+freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen Poeten werden
+gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so gleichgueltig
+verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat,
+Ceres davon quod gerit fruges.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede
+stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als
+dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte Redner
+Cato goss ueber das alberne Isokrateische &ldquo;ewig reden lernen und niemals
+reden koennen&rdquo; die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die
+griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und vor
+allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer gewann,
+wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt
+gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen
+Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat
+mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie
+geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius aussprechen:
+</p>
+
+<p>
+Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie;
+</p>
+
+<p>
+Gut ist&rsquo;s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur Redekunst, die
+sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen werden als die
+roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum
+der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren
+fuer das Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen
+Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch
+die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle Cato
+eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man ungefaehr sich
+eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den Nachfahren oefter
+angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, &ldquo;an die Sache zu denken
+und daraus die Worte sich ergeben zu lassen&rdquo; ^38.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^38 Rem tene, verba sequentur.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch fuer die
+Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
+Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder unter
+griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und Mathematik, so fanden
+doch die damit zusammenhaengenden Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem
+gewissen Grade Eingang in Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im
+Jahre 535 (219) der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in
+Rom sich niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
+Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen und das
+roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen scharenweise
+nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden Heilkuenstler mit
+einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig war, sondern versuchte
+auch, durch sein aus eigener Erfahrung und daneben wohl auch aus der
+medizinischen Literatur der Griechen zusammengestelltes medizinisches
+Hilfsbuechlein die gute alte Sitte wieder emporzubringen, wo der Hausvater
+zugleich der Hausarzt war. Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig
+sich wenig um dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
+eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und Jahrhunderte
+lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung
+behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der Aufstellung
+der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491 (263) fing die
+griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den Roemern an gebraucht zu werden;
+freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine fuer das um vier Grade
+suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert
+lang sich danach richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne
+vornehme Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius
+Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein
+Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen
+Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja
+uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand
+als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der griechisch
+gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um
+allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul
+588 166), der nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt,
+sondern auch ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und
+der selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde
+deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des
+Scharfsinnes angestaunt.
+</p>
+
+<p>
+Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte und die
+eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und spricht auch in
+derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur Landwirtschaft, die auf unsere
+Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen
+untergeordneten eben wie in den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der
+griechischen und der lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen
+und kann schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
+unberuecksichtigt geblieben sein.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft.
+Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der
+Bescheidung der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren
+Zuhoerer; doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein
+traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht
+ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das
+von Sextus Aelius Paetus, genannt der &ldquo;Schlaue&rdquo; (catus), welcher
+der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner
+gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560 194)
+emporstieg, veroeffentlichte sogenannte &ldquo;dreiteilige Buch&rdquo;, das
+heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze derselben
+eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und unverstaendlichen
+Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular hinzufuegte. Wenn dabei in jener
+Glossierung der Einfluss der griechischen grammatischen Studien unleugbar
+hervortritt, so knuepfte die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung
+des Appius und die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung
+an.
+</p>
+
+<p>
+Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
+Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
+aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen Saetzen
+darlegen sollten, was ein &ldquo;tuechtiger Mann&rdquo; (vir bonus) als Redner,
+Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein Unterschied
+zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch nicht gemacht,
+sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und nuetzlich erschien,
+von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen ist dabei teils die
+lateinische Grammatik, die also damals noch nicht diejenige formale Entwicklung
+gehabt haben kann, welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht
+voraussetzt, teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und
+physischen Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar
+Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht
+zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt,
+aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare
+Erfahrungssaetze zu gewinnen - &ldquo;die griechischen Buecher muss man
+einsehen, aber nicht durchstudieren&rdquo;, lautet einer von Catos
+Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die
+freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den
+griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die
+Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten
+massgebend geworden sind.
+</p>
+
+<p>
+So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom ein,
+oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden:
+</p>
+
+<p>
+Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
+</p>
+
+<p>
+Der Quiriten hartem Volke sich die Mus&rsquo; im Kriegsgewand.
+</p>
+
+<p>
+Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es
+gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in
+etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen
+Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen Komoedie
+verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig mit Naevius und
+Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der roemischen hellenisierende
+Literatur in der Bildung begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist
+verschollen, und die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch verstattet ist,
+wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt
+dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem
+Wert als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem
+waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die
+italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die
+allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige
+Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation
+durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit
+der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den
+ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die
+roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche Orangerie
+neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber
+nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch
+entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache
+gilt dies von derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr
+grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von
+Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein
+sich erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als
+Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein
+nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das
+eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch;
+schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist
+nicht bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln
+behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der
+grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie
+durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in
+poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der
+einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst
+folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst nach dem
+Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten
+Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung
+der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus Hand in
+Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische Literatur des
+sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder
+eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der
+flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen
+Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu den
+Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^39 Vgl. 2, 445:
+</p>
+
+<p>
+Enni poeta salve, qui mortalibus
+</p>
+
+<p>
+Versus propinas flammeos medullitus.
+</p>
+
+<p>
+Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt ποιητής -
+wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist charakteristisch.
+Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser epischer und rezitativer
+Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher in dieser Zeit vielmehr scriba
+heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr
+einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese
+gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss keine
+volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen
+gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums
+fremd ist, faellt die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die
+unbegreifliche Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet
+der Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass
+ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von
+menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der antiken
+Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt gestaltlos und die Sage
+nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht
+gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige
+Entwicklung wie die aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren
+gleichmaessig auf einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die
+auf dem Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende
+roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren.
+Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und denationalisierenden, aber
+fuer die notwendige geistige Ausgleichung der Nationen unerlaesslichen
+Propaganda des Hellenismus in Italien beruht die geschichtliche und selbst die
+dichterische Berechtigung der roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus
+ihrer Werkstatt nicht ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen,
+aber sie hat den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon
+rein aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine
+gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige Abgeschlossenheit in
+sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des
+Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken Dichtung fremd; wem der
+griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer
+jede Tragoedie den Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis
+vermissen. Wenn dem roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen
+Lustspiele zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen
+gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt
+waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins
+Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung
+wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf schon
+die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den Ton gelegt haben,
+die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium.
+Wenn &ldquo;das besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst
+ueberwand&rdquo;, so geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen
+lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward,
+dass anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der
+Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste,
+die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der
+Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der idealen Welt
+der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen Empfindung; wem das
+beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der
+Daktylen und Jamben nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und
+Sophokles umsonst gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische
+Gefuehl sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von
+der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie
+guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten
+latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage auch
+nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen Sprache deren
+Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum ausgereicht haette. Der
+geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber den Menschen ausuebt und von dem
+Dichtersprache und Rhythmus nur Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig
+angelernten, sondern einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus
+wird man die hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer
+dieser Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den
+Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter entweder in
+verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen, ueberhaupt dem
+denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium an die Seite zu setzen
+und alle rein und scharf entwickelten Volkstuemlichkeiten in den
+problematischen Begriff der allgemeinen Zivilisation aufzuloesen, so steht
+diese Tendenz erfreulich oder widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben,
+in niemandes aber, ihre historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem
+Gesichtspunkte aus laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie
+zwar nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen
+sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen
+dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig
+vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch eben
+formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht
+schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und
+Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die
+Poesie zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so
+waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und
+die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch weniger
+schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die verschliffensten
+und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem Sinne war es zweckgemaess.
+Niemand wird die Euripideische Poesie der Homerischen an die Seite stellen
+wollen; aber geschichtlich betrachtet sind Euripides und Menander voellig
+ebenso die Bibel des kosmopolitischen Hellenismus wie die &lsquo;Ilias&rsquo;
+und die &lsquo;Odyssee&rsquo; diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und
+insofern hatten die Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor
+allem in diesen Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das
+instinktmaessige Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen
+Bearbeiter bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten
+und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn
+waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen ist, so sind
+Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die Menandrische Dichtung
+beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer verdient es noch ruehmliche
+Anerkennung, dass die roemischen Poeten des sechsten Jahrhunderts nicht an die
+hellenische Tagesliteratur oder den sogenannten Alexandrinismus sich
+anschlossen, sondern lediglich in der aelteren klassischen Literatur, wenn auch
+nicht gerade in deren reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich
+suchten. Ueberhaupt, wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige
+Missgriffe man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
+Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als reinliche
+Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und sie werden
+geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen durch den von dem
+Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag
+man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so
+sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen
+Dichtern des sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt
+werden. Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen
+Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu
+verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und
+flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste
+dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die
+poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab; eher
+vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei aller
+Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen
+Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher
+gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden
+Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr
+als in irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende
+Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich nicht
+taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie selber sich
+gefeiert hat, dass sie den Sterblichen
+</p>
+
+<p>
+das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete
+Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275),
+Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum Beispiel
+die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch.
+810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon
+(Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes ist,
+so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige nationale
+Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger wollte, als die
+latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in
+Form und Geist hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und
+reinste Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die
+entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun.
+Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr
+wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten
+den Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der
+Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie im
+Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind
+Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und
+die Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden.
+Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit
+Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der
+gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit
+unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm
+behandelt. Man hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart
+getadelt und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten
+bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung
+indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern
+auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr
+als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden
+Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus
+Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den Hellenen selbst
+zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon griechische Verse zimmerte - wenn
+dieser Albinus sich in der Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des
+mangelhaften Griechisch damit verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei,
+war da die Frage nicht voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt
+worden sei, Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die
+Gewerbe des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und
+Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie
+es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken,
+dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen
+Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato selbst mit
+Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen Grosstaten mit sich nach
+Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen, die er in Rom und Athen
+kennenlernte, ein unverbesserlich elendes Gesindel zu schelten? Diese
+Opposition gegen die Bildung der Zeit und den Tageshellenismus war wohl
+berechtigt; einer Opposition aber gegen die Bildung und das Hellenentum
+ueberhaupt hat Cato keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das
+hoechste Lob der Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die
+Notwendigkeit begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die
+Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach
+die lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht und
+der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter griechischer
+Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem
+genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem
+Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem
+gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur
+Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom war, was
+Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen Empfindung beruht
+sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem
+roemischen Epos und einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die
+Schoepfung der lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die
+Goetter und Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht
+dem Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu
+stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes
+Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger
+ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der Gegenpartei,
+obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren roemischen, des appischen
+Sitten- und des Ackerbaugedichts eine didaktische Poesie in nationalem Versmass
+zu erschaffen, wenn nicht dem Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und
+achtungswert bleibt. Einen guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er
+hat denn auch die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt,
+eine prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
+Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein Publikum
+zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in seiner Zeit ziemlich
+alleinstand. So entstanden seine &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo;, seine
+aufgezeichneten Staatsreden, seine fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings
+sind sie vom nationalen Geiste getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen;
+allein sie sind nichts weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich,
+nur freilich in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter
+griechischem Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines
+Hauptwerkes ist den griechischen &ldquo;Gruendungsgeschichten&rdquo; (κτίσεις)
+entlehnt. Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
+verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht. Seine
+&lsquo;Enzyklopaedie&rsquo; ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
+griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische Mann
+angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem Vaterlande
+nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl verhaeltnismaessig gering
+angeschlagene literarische Taetigkeit. Er fand zahlreiche und wuerdige
+Nachfolger in der Rede- und der wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn
+auf seine originellen, in ihrer Art wohl der griechischen Logographie
+vergleichbaren &lsquo;Ursprungsgeschichten&rsquo; auch kein Herodot und
+Thukydides gefolgt ist, so ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt,
+dass die literarische Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie
+mit der Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
+sei.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^41 &ldquo;Von diesen Griechen&rdquo;, heisst es bei ihm, &ldquo;werde ich an
+seinem Orte sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung
+gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften
+einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und
+unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das
+Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders,
+wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren
+umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit
+man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen
+sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf
+die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.&rdquo;
+</p>
+
+<p>
+Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im Lateinischen
+eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz unverfaenglich ist, und
+dass die Griechen auf die unschuldigste Weise dazu gekommen waren, die Italiker
+mit demselben zu bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und
+bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich
+weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den
+Schluss dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184) faengt
+man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit
+ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit
+Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und
+vor allem die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten
+Basiliken nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen
+Basaren entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde
+von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch
+andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die
+Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren.
+Tiefer aber griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein,
+welche spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich
+allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen
+(peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle,
+Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl
+im Hofe wie im Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die
+Gartenhallen verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster
+kopiert oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach;
+&ldquo;unsere Vorfahren&rdquo;, sagt Varro, &ldquo;wohnten in Haeusern aus
+Backsteinen und legten nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges
+Quaderfundament&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die
+Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die
+Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im
+Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses
+abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele gleichartige
+folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was nicht viel spaeter
+das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es
+werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete,
+</p>
+
+<p>
+verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum
+</p>
+
+<p>
+die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
+</p>
+
+<p>
+Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
+Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter griechischer
+Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate Marcus Plautius Lyco,
+dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel zu Ardea diese Gemeinde ihr
+Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch eben darin sehr deutlich hervor,
+dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr
+Handwerk als Kunst war, sondern dass sie auch, wahrscheinlich noch
+ausschliesslicher als die Poesie, den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die
+Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch nicht
+fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des ardeatischen
+Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss,
+durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren
+dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht der
+korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen Tonbilder auf den
+roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius
+Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte
+den Zeus des Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus
+den eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten
+Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl
+dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel der alte
+strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209) die Bildsaeulen
+der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern ihre erzuernten Goetter
+zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen Tempelpluenderungen immer
+haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius
+Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch
+Lucius Paullus (587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den
+Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung
+auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil
+der hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache; allein
+waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse poetische
+Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen
+auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege
+gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch
+gemacht worden.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 3 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
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+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
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+of this license, apply to copying and distributing Project
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+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
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+even without complying with the full terms of this agreement. See
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
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+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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+
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
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+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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+
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+
+</body>
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