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+<title>Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen</title>
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+<pre>
+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 1
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+
+
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+
+</pre>
+
+
+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Erstes Buch<br/>
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#pref01">Vorrede zu der zweiten Auflage</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#pref02">Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage</a><br/><br/></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#part01"><b>Erstes Buch&mdash;Bis zur Abschaffung des römischen Königtums</b></a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Einleitung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Die Anfänge Roms</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme.
+Anfänge der Samniten</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Die Etrusker</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">Kapitel X. Die Hellenen in Italien.
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap11">Kapitel XI. Recht und Gericht</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap12">Kapitel XII. Religion</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap13">Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap14">Kapitel XIV. Mass und Schrift</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap15">Kapitel XV. Die Kunst</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="pref01"></a>Vorrede zu der zweiten Auflage</h2>
+
+<p>
+Die neue Auflage der &lsquo;Roemischen Geschichte&rsquo; weicht von der
+frueheren betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten
+Buechern, welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen.
+Wo die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich
+selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die
+Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit-
+und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art,
+dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der
+Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und
+der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte,
+so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese
+Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die
+staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der
+dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden.
+Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung
+durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und
+uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren
+Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht,
+wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit
+wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt
+worden.
+</p>
+
+<p>
+Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu
+loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen
+wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser
+es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht
+ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr
+wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es
+abgeschlossen und fertig war.
+</p>
+
+<p>
+Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich
+bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte
+beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor
+Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt
+dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt
+worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen
+Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt
+werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des
+Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten
+Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das
+roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden,
+dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und
+fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu
+100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde
+gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000
+Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½ Talern
+preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird.
+Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische
+Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag.
+Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein
+alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **,
+da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so
+rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.
+</p>
+
+<p>
+——————-
+</p>
+
+<p>
+* Hier in Klammern im Text.
+</p>
+
+<p>
+** Karte und Register sind hier weggelassen.
+</p>
+
+<p>
+——————-
+</p>
+
+<p>
+Breslau, im November 1856
+</p>
+
+<p>
+Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande dieses
+Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, sind
+zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des
+Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers,
+Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat
+einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der
+Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige
+Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben.
+</p>
+
+<p>
+Breslau, im Mai 1857
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="pref02"></a>Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage<br/>
+Einleitung</h2>
+
+<p>
+Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird
+man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden.
+Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie
+das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede
+inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu
+wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen
+der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen
+oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer
+Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine
+Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten
+Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe
+angemessener Weise in einer besonderen Schrift (&lsquo;Die roemische
+Chronologie bis auf Caesar&rsquo;. Zweite Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und
+deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung der Ergebnisse von allgemein
+geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die
+Einrichtung nicht veraendert.
+</p>
+
+<p>
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4.
+August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902.
+</p>
+
+<p class="center">
+Meinem Freunde<br/>
+Moritz Haupt<br/>
+In Berlin
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part01"></a>Erstes Buch<br/>
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+</h2>
+
+<p class="letter">
+Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ τεκμηρίων ων
+επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα νομίζω γενέσθαι,
+ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα.
+</p>
+
+<p class="letter">
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht genau
+erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen
+Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren,
+weder in bezug auf die Kriege noch sonst.
+</p>
+
+<p class="right">
+Thukydides
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Einleitung</h2>
+
+<p>
+Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die
+Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder
+vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite
+ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in
+alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und
+sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein
+Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner
+des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns
+vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem
+suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die
+Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und
+Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und
+der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu
+ihrem Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren
+Anfaengen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt
+bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch
+stammverwandten Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber
+und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und
+Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach
+sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen
+gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich
+abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt
+die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier
+Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und
+grossartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung
+zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und
+entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die
+bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand
+umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste
+geschichtlich trennten von der noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation
+verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte
+Geschichte von der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die
+neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen
+Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an
+die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie
+diese an die aelteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine
+eigene Bahn zu durchmessen und Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu
+erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die
+beglueckende Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen
+Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst
+das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten
+Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; das grossartigste
+Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber
+das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die
+alte Aufgabe auf weiterem Felde und in hoeherem Sinne neu gestellt wird.
+</p>
+
+<p>
+Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen
+weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den
+drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer
+erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach
+Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in
+suedoestlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen
+oestlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine
+hoechste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in
+den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in
+suedlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach
+einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen
+flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst
+dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich
+zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende
+Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete Zeit auch historisch
+nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, demjenigen Italien, dessen
+Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das
+Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien
+einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern
+der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern
+breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene
+Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen eine wohl
+geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von dem oestlich,
+suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und Kuestenland. Zwar an
+der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen
+geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus inselartig
+unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach
+entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den
+beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere
+Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich
+und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden
+Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst
+zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und
+Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium
+und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das
+Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem
+Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der
+Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und
+groesste des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum,
+vor allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten,
+grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die
+sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen &ldquo;Riss&rdquo; (Ρήγιον) der
+Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich
+Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der
+Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Staemme und der
+gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt
+mit der griechischen die gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den
+maessig hohen Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der
+Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer,
+das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem
+Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und
+kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf.
+Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit des Menschen
+anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem
+ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber
+wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische
+nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind
+die apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter
+Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche
+Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien,
+Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und
+fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das
+unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben
+Italiker und Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse
+beruehrt als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie
+so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker
+vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten
+Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der
+andere nach Westen.
+</p>
+
+<p>
+Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die
+Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde
+von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt
+gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs
+behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer
+zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten
+Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur
+ein Zweig sind.
+</p>
+
+<p>
+Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere
+Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des
+latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir
+werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der
+Halbinsel; die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine
+teilweise Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer
+Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen
+die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der
+beiden italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie
+auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor
+Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der
+beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen
+Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an
+und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen
+Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im
+dritten und den folgenden Buechern erzaehlt werden.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Die ältesten Einwanderungen in Italien</h2>
+
+<p>
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung des
+Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein,
+dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei.
+Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren
+genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem
+Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch wichtig
+festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes daselbst
+autochthon oder selbst schon eingewandert ist.
+</p>
+
+<p>
+Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung
+in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu
+der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder
+auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit
+moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an
+Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem
+bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der
+deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich,
+Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich
+ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr
+gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton
+oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des
+Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise
+ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige
+Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten
+Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die
+schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt
+die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie
+die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der
+sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist
+bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in
+Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des
+Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen
+Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden
+hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede
+Spur schlechterdings ausgeloescht.
+</p>
+
+<p>
+Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme.
+Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von
+den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den
+Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich
+bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig,
+deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens
+auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht
+nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat;
+diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst
+festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der
+Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung,
+welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse
+meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer
+Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die
+Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine
+Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch
+authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien
+seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst
+geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die
+nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen
+Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen
+hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die
+Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den
+einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren.
+</p>
+
+<p>
+So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den
+iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen,
+von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom
+und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten
+angehoeren.
+</p>
+
+<p>
+Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten
+Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in
+einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden
+worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die
+Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen
+Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren
+dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in
+Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um
+dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um
+positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der
+Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht
+entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass
+der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen
+aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο
+anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten
+Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen
+iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer
+gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer
+vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen
+findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach
+hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der
+Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit,
+mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos&rsquo;
+Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im
+sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung
+von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische
+Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich
+vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm-
+oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs
+so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des
+Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen
+bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu
+erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur
+weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte
+schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht
+in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation
+passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich
+gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen
+Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen
+der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen
+Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch
+in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren
+Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der
+Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung
+wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten
+Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen
+Saume begegnen wir der iapygischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie θeotoras
+artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
+</p>
+
+<p>
+^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache
+von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine
+Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen
+angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten
+anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen
+und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener
+hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und
+namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese
+vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein;
+Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde
+daraus zunaechst noch nicht folgen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben
+Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer
+Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war.
+Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die
+geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden
+Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen
+Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von
+den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen
+Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in
+der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine
+Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint
+bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den
+Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und
+hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen,
+die von den Griechen durchaus und die haerteren davon auch von den Etruskern
+festgehalten werden, sind den Italikern urspruenglich fremd und werden bei
+ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es
+durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die
+Griechen soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig
+beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das
+Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der
+Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den
+Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als diese
+angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen ist sicher
+nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern spaetere
+Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom
+geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im
+Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind
+dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit
+festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. Damit
+haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur
+geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch
+Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste
+Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet
+wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den
+Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen
+Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den
+Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch den
+Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss daran genommen
+zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu
+spalten, waehrend man die in den Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen
+mit grosser Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit
+fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo
+durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter.
+</p>
+
+<p>
+Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele
+genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen
+indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich
+wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und
+der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern.
+Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und
+Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst
+aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort
+raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet,
+und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, die von allen, den
+Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht
+aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird.
+</p>
+
+<p>
+Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in
+einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings
+sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische
+Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und
+schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der
+volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie
+in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit
+Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der
+sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im
+provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst
+die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen
+Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des
+grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem
+lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder
+von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig
+sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis;
+ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem
+Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen
+ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt
+den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen
+Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der
+Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal
+abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv
+der Woerter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der
+ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im
+Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im
+Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen
+Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im
+Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den
+Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete
+Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast,
+vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen
+Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser
+Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur
+vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge
+zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen
+selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu
+der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich
+die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten
+Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in
+Sparta.
+</p>
+
+<p>
+Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen
+Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen,
+dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein
+Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich
+in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese
+wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in
+Umbrer und Osker auseinander gingen.
+</p>
+
+<p>
+Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht
+lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen
+ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen
+Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die
+Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und
+vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand,
+als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge
+der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der
+Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das
+treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und
+sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen
+Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus
+welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen
+Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem
+angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell
+festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der gegebenen
+Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht
+bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der
+Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des
+Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch
+eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer
+gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen
+Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung
+erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des
+Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten Namen der
+zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos, griechisch βούς;
+sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch όις; sanskritisch açvas,
+lateinisch equus, griechisch ίππος; sanskritisch hansas, lateinisch anser,
+griechisch χήν; sanskritisch âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso
+sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in
+dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf
+unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten
+Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, ueberschritten und
+war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen
+fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon damals der Acker
+gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. Unter den
+lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit
+einziger Ausnahme von ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht,
+uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es
+muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen
+Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende
+Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven
+Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen
+schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und
+Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und
+Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen
+Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern
+gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer,
+dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden
+Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man
+schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung
+ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der
+wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber
+durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern
+ueberhaupt Flur, kûrnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas
+das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind
+uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu
+mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie
+das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war
+bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch
+nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen
+und zum Beispiel von dem sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben
+bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch
+girnôs ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen,
+dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss,
+dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus
+untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er
+spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich
+eingepraegt, als es geschehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen sanskritisch
+dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch vêças, lateinisch
+vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch
+θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch
+nâus, griechisch ναύς, lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch
+aritram, griechisch ερετμός, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch
+der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch
+akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα;
+sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen
+des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής - und
+des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah,
+lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen indogermanischen Sprachen die
+gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in
+gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung
+des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes
+Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der
+Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten
+Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom
+Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich
+entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie
+denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch
+metallener Waffen hinleitet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste,
+Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Géographie botanique
+raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen in
+Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber
+Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.).
+</p>
+
+<p>
+^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben
+und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und Italiker
+sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese
+erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander,
+in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht
+nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl,
+bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist
+den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens
+sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen
+die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die
+Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum
+des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie
+ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche
+Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die
+positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und
+Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und
+Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall
+einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion
+zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft.
+</p>
+
+<p>
+Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, lateinisch
+centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst in allen Sprachen
+davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der Gottheit
+selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch θεός) gehoeren zum
+gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und
+Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde
+als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf
+sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte
+Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der
+griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter vom
+Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen
+ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis
+pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der
+hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere
+indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen
+geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern
+schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche
+Windspiel Saramâ, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und
+Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken
+zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt
+der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Saramâ, dem Saramêyas
+oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der
+roemischen Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der
+Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener
+alten sinnvollen Naturphantasie.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der
+Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten
+Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte,
+zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische
+Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist
+dies keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der
+italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich ein
+Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die
+Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren.
+Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen
+noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein
+geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der
+chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede
+gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder
+stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch
+keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie
+heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn
+die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten
+Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf
+Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen
+wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig.
+Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des
+Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss
+auf alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die
+Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten
+Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau,
+wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als
+voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten
+Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller
+aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον,
+ligo neben λαχαίνω, hortus χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς,
+malva μαλάχη, vinum οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und
+italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und
+roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten
+Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu
+schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu
+lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls πόλτος, pinso πτίσσω,
+mola μύλη, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch deshalb im
+roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass
+auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische Einwanderung
+hinausgeht, dafuer spricht die Benennung &ldquo;Weinland&rdquo; (Οινοτρία), die
+bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach
+muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die
+Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben,
+nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber
+bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens
+scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter
+sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem
+Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die
+wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der
+indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den
+keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen
+gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem
+wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange
+nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und
+Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung
+hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre
+Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen,
+vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss
+es darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur
+der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der
+Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten;
+die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den
+europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von denjenigen, welche die
+einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die griechisch-italische, die
+deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf
+jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen
+Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die
+graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern
+des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein
+geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet
+anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im
+geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder Εστία,
+fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen von Haus
+aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem Koenig
+Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder Vitulus,
+die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft
+sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung
+davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den
+Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk
+bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter
+(Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen
+Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk
+auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie
+bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen,
+mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti,
+arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben
+hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch
+malunas, keltisch malirr.
+</p>
+
+<p>
+Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass es
+eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der
+Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in
+Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht
+dies nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er
+anfaenglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies
+versteht es sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung
+der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet
+mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als
+dies spaeter der Fall war.
+</p>
+
+<p>
+^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die
+aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung
+setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die
+Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach,
+Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in
+Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten
+griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber &ldquo;Ernte&rdquo;
+heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt
+ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der
+Stadtgruendung ist bekannt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die
+Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn das
+Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht
+werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte
+entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist
+dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und
+zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen,
+in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in
+gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch
+eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle
+(termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, gewoehnlich όροι) bezeichnen.
+Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen
+Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr
+alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich
+ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern,
+sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist
+erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst,
+wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess,
+sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der
+aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der
+Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es
+schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig
+festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere
+Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach
+mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts
+anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und
+schwarzberusster Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der
+Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu
+Segelschiffen aber gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es
+keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und
+Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte
+italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren
+Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von
+Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die
+aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es
+spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend
+die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger
+Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen
+und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des
+&ldquo;Reibers&rdquo; (τρύπανον, terebra) und der &ldquo;Unterlage&rdquo;
+(στόρευς εσχάρα, tabula, wohl von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung
+beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem
+Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem
+so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass
+die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in
+den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht ^7
+und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise
+angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte
+zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der
+menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an den
+Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch eine Nation
+ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte
+aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit λόγχη
+zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen
+oder Spaniern entlehnt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit
+sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu
+leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters
+Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die
+Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der
+graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche
+diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen
+und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren
+Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat,
+Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so
+durchaus national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf
+der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern
+Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das
+Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen
+Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang
+war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen
+Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen
+Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst die
+Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die Glieder
+entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner
+Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes
+roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die
+Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts
+forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger zwang, jeden
+Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche
+Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders
+sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat
+alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe
+Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren
+auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete
+und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften zu
+wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfaenge der
+italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere Periode zu
+bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber
+die Richtung zu weisen.
+</p>
+
+<p>
+Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in
+Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert
+hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8,
+welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet
+und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises
+die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt.
+Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose
+Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den
+Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in
+Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde
+die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei
+lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen
+ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und
+rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein
+gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der
+Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder
+abgeschlossenen&rdquo; (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium liberorum
+quaerendorum causa).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen
+desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den
+Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwaecheren
+politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative
+Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit hinein
+behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm
+gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt.
+Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland
+weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen
+Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in
+der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der
+urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt
+der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre
+Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber
+waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet,
+wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum
+Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm
+unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr
+zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders
+der roemischen Individualnamen, verglichen mit der ueppigen und poetischen
+Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung,
+hier die freie Entwicklung der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag.
+</p>
+
+<p>
+Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer
+die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen
+wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die
+Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die
+&ldquo;Gesetze des Koenigs Italus&rdquo;, die noch in Aristoteles&rsquo; Zeiten
+angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen
+Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde,
+Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat
+der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung
+muessen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse
+(poena, ποινή), Wiedervergeltung (talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische
+Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die
+Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern
+und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken
+der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder
+Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte
+Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in
+Aristoteles&rsquo; Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu
+groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der
+Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos)
+sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der
+Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie
+die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden
+aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten
+Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen
+Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die
+weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen
+ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass
+die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen,
+und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine
+Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes
+Spiel treibt, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem
+Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter
+Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen
+der roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren
+Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen
+Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der
+Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen
+Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig
+ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so
+vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur
+weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder
+missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den
+Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die
+graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte,
+so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein
+Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken
+am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der
+Goetter die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass
+es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer
+einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten
+bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte,
+sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder
+auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia;
+und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald
+in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene
+Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete.
+Wohl anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des
+italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form
+ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel
+aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist
+Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und
+Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der
+Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist
+zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der
+maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem
+Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem
+nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der
+Taetigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den
+Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens,
+Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des
+Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere
+physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes
+die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der
+Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der
+Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft,
+Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen
+alles konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte,
+vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten
+Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten
+der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger
+festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier
+der Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und
+allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den
+Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen Flut
+uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen
+Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter
+konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie
+wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des
+Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten
+Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger
+fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas,
+davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem Worte
+wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die
+&ldquo;Religio&rdquo;, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus
+einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen,
+dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der
+griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die
+Freiheit, hier die Notwendigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz
+und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des vollen
+und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die
+einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben:
+der ehrbare Waffentanz, der &ldquo;Sprung&rdquo; (triumpus, θρίαμβος,
+δι-θύραμβος); der Mummenschanz der &ldquo;vollen Leute&rdquo; (σάτυροι,
+satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest
+beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den
+lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends
+vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der
+Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden
+Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die
+Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen
+Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch
+harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation
+und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der
+Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner
+kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; in
+Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen Vorstellungen der
+Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der
+Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat.
+In Latium gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als
+Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende
+Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwaermerei dem
+schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern
+des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+</p>
+
+<p>
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes erreicht
+hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der
+Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem
+Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung
+und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen
+Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich
+einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit
+wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand
+wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie
+Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des
+griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit
+zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der
+Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles
+und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet
+ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt,
+beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel
+und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur
+die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab
+dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem
+Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der
+Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche
+Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein
+Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter
+allen Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden
+Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten
+hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand
+legte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ansiedelungen der Latiner</h2>
+
+<p>
+Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens;
+von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils
+in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der
+Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und
+von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem
+asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen
+naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der
+beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen,
+raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer
+allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung
+liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist
+ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren
+weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem
+Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben;
+denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste,
+Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und
+vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und
+andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten,
+Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl
+vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres
+erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette
+gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt,
+gesiedelt haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist,
+auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach
+Griechenland gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her
+in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten.
+Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken
+Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich
+verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen
+Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug.
+Vermutlich zog sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange
+bevor die ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die
+Hoehen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die
+latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass
+die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus,
+wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker draengten.
+</p>
+
+<p>
+Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer
+Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten
+Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden,
+verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften
+zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm
+besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen
+Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola
+(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare),
+Opsci (Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und
+beweisen, dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und
+wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die
+Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften,
+die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten
+Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt;
+es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch
+vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung
+dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die
+Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den
+gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in
+Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber
+Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen
+Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei;
+und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern
+wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu
+Thukydides&rsquo; Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende
+Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit dem
+Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der
+Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen
+Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloss die
+latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische
+Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und
+die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Staemmen
+der latinischen Nation bewohnt gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien,
+Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in
+Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten
+nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in
+Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen
+Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer
+und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der
+Geschichte der Halbinsel zu spielen.
+</p>
+
+<p>
+Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind
+und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie
+gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die
+Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen
+bestimmt war.
+</p>
+
+<p>
+Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der
+grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des
+Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben
+desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die
+Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner
+und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss
+Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin
+durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss
+des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem
+Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem
+Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite
+etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus,
+durchflossen von dem Tiberis, dem &ldquo;Bergstrom&rdquo;, der aus den
+umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig
+steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im
+Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche,
+obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen,
+deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die
+bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei
+zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
+</p>
+
+<p>
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der
+Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses
+Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der &ldquo;alten
+Latiner&rdquo; (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die
+Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles
+Land noerdlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches
+Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich
+war und die Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein
+scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch
+die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese
+folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen
+Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt,
+in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon
+Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der
+mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den
+Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen,
+wenig groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die
+&ldquo;Ebene&rdquo; ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich
+darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen
+und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche
+unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe
+Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens
+bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der
+Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die
+boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im
+Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst
+durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des
+letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben;
+ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt
+noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen
+gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der
+Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil
+aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen
+der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten
+ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner
+gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie
+die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine
+fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer
+niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das,
+was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote,
+vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger
+anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen
+der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden,
+allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung,
+Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva
+nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus
+sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe
+gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im
+uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke
+einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten
+und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab
+auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte
+Korn ^2. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt
+die Bevoelkerung jede frische Quelle.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz
+zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die &ldquo;Ebene&rdquo; den
+Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht hierher.
+</p>
+
+<p>
+^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des
+Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne in
+Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit
+einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten
+ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die
+Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden
+vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von
+Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt
+dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten
+spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann
+dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet
+zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere
+Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde
+dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer
+verteilt werden wuerden Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des
+Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert
+Jahren ohne Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage
+die Campagna di Roma.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der
+Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind
+darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich
+dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten
+&ldquo;Landquartiere&rdquo; (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen
+Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen
+Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die
+uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind
+nicht, wie die der spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten
+entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die
+Geschlechter, die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen
+gaben, soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii,
+Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen
+Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii,
+Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen
+Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom
+uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird jeder italische und ohne
+Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich
+oertlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist
+diese Geschlechtsansiedlung das &ldquo;Haus&rdquo; (οικία) der Griechen, aus
+dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die Komen oder Demen
+hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen
+&ldquo;Haus&rdquo; (vicus) oder &ldquo;Bezirk&rdquo; (pagus von pangere) deuten
+gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im
+Sprachgebrauch begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie
+zu dem Hause ein Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine
+Geschlechtsmark, die aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in
+verhaeltnismaessig spaete Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem
+System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium
+selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon
+als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage,
+auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in
+welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung
+gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht
+neben der Abstammung noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht
+blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag
+festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert
+Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit
+gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen
+des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der
+Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie
+und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z.
+B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics,
+Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen
+Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen
+moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als
+selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen
+Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger
+Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff
+verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher
+Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau
+so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-,
+das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt
+des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine
+gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen
+Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag
+des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im
+Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in
+den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war.
+Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande
+der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst
+in Italien &ldquo;Hoehe&rdquo; (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder
+&ldquo;Wehr&rdquo; (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die
+Grundlage einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und
+spaeterhin sich umgeben mit dem &ldquo;Ringe&rdquo; (urbs mit urvus, curvus,
+vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied zwischen
+Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg moeglichst wenige, die
+Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens
+drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstaedtische Gauverfassung
+Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum staedtischen
+Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht
+vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der
+Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der
+Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in
+unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher
+Mauerringe, die als &ldquo;veroedete Staedte&rdquo; mit einzelnen Tempeln das
+Staunen der roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene
+ihre &ldquo;Urbewohner&rdquo; (aborigines), diese ihre Pelasger hier
+unterbringen zu koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen
+nicht ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen,
+wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger
+kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu
+staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne
+Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu
+wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch
+Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten
+Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese
+Zufluchtsstaetten verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel.
+</p>
+
+<p>
+Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse
+Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die
+urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen
+Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue
+sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem
+historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die
+gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage
+darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen
+zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb
+Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen
+Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des
+latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen
+Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften
+Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten
+Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und
+gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der
+Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der
+Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen
+Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden
+her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden
+Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem
+der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch
+gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges
+entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau
+auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.
+</p>
+
+<p>
+Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten
+Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die
+ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und
+Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber;
+Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte
+Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder
+namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren
+in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten
+unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner
+regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und
+Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich
+dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in
+dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand
+urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen
+Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von
+Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und vornehmste der
+latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich
+dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in
+Griechenland wie in Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu
+den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die
+Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig albanischen
+Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht
+mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der
+Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt
+dieser Vereinigung das &ldquo;latinische Fest&rdquo; (feriae Latinae), an
+welchem auf dem &ldquo;Berg von Alba&rdquo; (mons Albanus, Monte Cavo) an einem
+alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem &ldquo;latinischen
+Gott&rdquo; (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer
+dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach
+festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von
+dem Opferbraten ein Stueck zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in
+die spaete Zeit und sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen
+Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen
+aufzustellen. Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem
+Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der
+benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und
+ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine
+gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige
+Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine
+Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden
+konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine
+gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als
+integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der
+Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz
+erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die
+Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet
+haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des souveraenen
+Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen.
+Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit
+gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren,
+wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber
+wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich
+gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war,
+auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen.
+Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie
+waehrend der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4
+und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander
+sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der
+Vorrechte des fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass
+keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre
+politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja
+wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die
+elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war der Umfang wie
+der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch
+war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder
+einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des
+latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle
+latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer
+nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland
+ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische
+Eidgenossenschaft.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand&rdquo; (indutiae Macr.
+Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt,
+waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.).
+</p>
+
+<p>
+^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals
+in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer
+Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht nicht
+von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist
+sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem
+durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher
+einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom
+niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen
+Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt
+hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die
+hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen
+Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein;
+und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3,
+10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien
+schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel,
+wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und
+geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es
+muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem
+gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber
+doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und
+damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem
+jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit
+der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Die Anfänge Roms</h2>
+
+<p>
+Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts
+erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem
+rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens
+dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht
+angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten
+uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht
+Romaner; und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber
+in frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis
+fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich
+nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich
+aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii Fovii,
+Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung
+der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass
+dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals
+unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen
+Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus in Attika
+Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl
+am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer
+&ldquo;teilen&rdquo; und &ldquo;Teil&rdquo; regelmaessig sagen
+&ldquo;dritteln&rdquo; (tribuere) und &ldquo;Drittel&rdquo; (tribus) und dieser
+Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung
+einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen
+Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark
+und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig vertreten; wie
+denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller
+aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder,
+der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung
+zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische
+Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige
+Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und
+bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen
+als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das wie
+wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und
+volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und
+sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln.
+Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst
+sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der
+komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden
+kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt
+werden, da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die
+Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber
+die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege
+steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die
+zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies
+kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte
+Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in
+die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden
+waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der
+sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf
+gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische
+Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da
+die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den
+Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den
+aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener
+Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie
+viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter
+erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und
+seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier
+unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die
+Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht
+einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch
+sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4.
+Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen
+Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische
+Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem
+nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern
+sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht
+auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger
+urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner
+gewesen war, ein Teil der latinischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig
+verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle
+gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170).
+</p>
+
+<p>
+^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die umbrische
+trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine
+graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen
+Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen
+Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung
+sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im
+graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein
+scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer
+koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen
+Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit
+nachzuweisen.
+</p>
+
+<p>
+^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache aus
+griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von
+allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A.
+Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch
+in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte
+finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen
+Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen
+zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl
+und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher
+Mischung.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner,
+Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln
+ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker bestellt
+haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das
+&ldquo;Wolfsfest&rdquo; sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen
+Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten
+Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im
+christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer
+eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in
+keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber
+verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer
+hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann,
+waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte.
+Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die
+der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in
+Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn
+weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der
+spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu
+kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in
+der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere
+zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler
+und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die
+Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es
+ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck
+innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse
+Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not
+oder vielmehr irgendein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst
+haben muesse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das
+Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung
+der albanischen Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver
+Versuch der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so
+unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die
+allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die Geschichte
+sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen, wird
+die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es
+ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung
+der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber
+ueber die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner
+Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. Gegen
+Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster Naehe,
+zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, und
+muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft
+man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden
+Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter
+gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom.
+Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium
+bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau
+ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er
+sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen
+das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter
+Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze
+begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch
+zu berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die
+&ldquo;sieben Weiler&rdquo; (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der
+Muendung durch Koenig Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass
+Koenig Ancus am rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum)
+befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der
+&ldquo;Muendung&rdquo; (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen
+am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert
+haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein
+der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin (dea dia),
+der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft;
+und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl
+einst das vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das
+Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt
+gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche
+Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige
+Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr
+des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den
+latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete
+kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der
+unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des
+Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden
+Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse
+der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz
+gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht
+seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen
+Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die
+von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher
+ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer
+Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde;
+daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt
+in dem roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher
+der uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum
+Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium)
+in dem Hafen von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf
+den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen
+des gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom.
+In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine
+geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die
+juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon
+einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der
+Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber
+entstand. Ob ein Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale
+Blick eines verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns
+nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese
+Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an.
+Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen
+Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische
+Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu
+Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst
+wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo
+sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen
+oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die
+boese Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging,
+auf den luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben
+dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und
+Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte
+Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum
+Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der
+aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte,
+also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art
+einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der
+weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf
+ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen
+die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist
+des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder
+Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom
+zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was
+Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings
+zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten
+Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften
+war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen
+Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und
+damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser
+merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem
+wichtiger und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und
+wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene
+staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den
+Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und
+Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen
+Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein
+muss.
+</p>
+
+<p>
+Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte
+Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in
+spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der
+regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern
+dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei
+von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am
+Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen
+Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem
+Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf
+hin, dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war.
+Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte
+&ldquo;Einrichtung&rdquo; (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem,
+dessen das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde
+eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die
+saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen
+Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der
+&ldquo;Springer&rdquo; (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der
+heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der &ldquo;Woelfe&rdquo; (lupercal)
+und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die
+Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte
+Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige
+Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem
+Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des
+Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene
+Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen
+gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher hat solche
+auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber
+sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten laesst
+sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt,
+die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber
+dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen
+Gemeinde gewesen sein moegen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen hat sich in dem &ldquo;Fest der sieben Berge&rdquo; (septimontium) das
+Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den
+Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine
+jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den
+urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich
+die Aussendeiche, angelehnt. Die &ldquo;sieben Ringe&rdquo; sind der Palatin
+selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem
+Kapitol nach dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia,
+der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen
+Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der
+Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine
+ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb
+S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal
+angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die
+aelteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich
+vor, zumal wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung
+gebildete Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt.
+</p>
+
+<p>
+Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und
+urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie
+ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten
+Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen
+Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den
+Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse,
+worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der
+palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und
+die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt
+mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile
+des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche
+vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die
+auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus
+laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze
+Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche
+Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom
+Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter
+liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter
+gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk
+einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere
+vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden
+Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom
+bewahrt, das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des
+Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt
+gestritten zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse
+und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen
+Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin
+angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in gleich
+berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae -
+welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst - in der Tat, was
+sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die
+Vorstadt; sie wurden in der spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und
+es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder
+ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und
+Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor
+allem die &ldquo;Pfahlbruecke&rdquo; (pons sublicius) ueber den natuerlichen
+Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt
+dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am
+etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen haben;
+aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befestigungsring
+gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die spaeteste Zeit festgehalten
+worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufuegen
+sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus,
+dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen
+oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die
+roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu den
+drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich frueher
+Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer
+urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie
+freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und
+was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige
+Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die
+Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden
+Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische
+jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es
+zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und
+palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare
+Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt
+vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben
+als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den
+neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen,
+also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die
+Staette bereitet.
+</p>
+
+<p>
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters
+bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine
+zweite auf dem Quirinal. Die &ldquo;alte Burg&rdquo; (Capitolium vetus) mit
+einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der
+Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt
+wurden, ist das deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-,
+Juno- und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen
+Archiv bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer,
+dass auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen
+Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf
+dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der
+aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter
+zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der
+Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt
+vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom
+Quirinal bestanden hat, neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine
+Fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal
+gehabt hat ^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht,
+gewinnen um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau
+bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss
+und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke
+der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem
+benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch,
+zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem
+Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich
+ja die beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die
+Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine
+Burg aufgefuehrt werden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus
+hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die Fabier
+beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier zu den
+Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal (Liv. 5,
+46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253)
+Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult
+zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 17)
+findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die bei den
+Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also
+entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern,
+sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1,
+30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern
+genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das
+Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom
+Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische
+Stadt sich die &ldquo;der sieben Berge&rdquo;, ihre Buerger &ldquo;die von den
+Bergen&rdquo; montani) sich nennen, die Bezeichnung &ldquo;Berg&rdquo; wie an
+den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so
+heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas
+hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen
+Sprachgebrauch nie anders als &ldquo;Huegel&rdquo; (collis); ja in den sakralen
+Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der &ldquo;Huegel&rdquo; ohne
+weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende
+Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige
+Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der vom
+Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische
+das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend
+haftenden Namen der &ldquo;Roemer&rdquo; moegen dabei die Huegelmaenner ebenso
+wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini)
+sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich
+eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen,
+welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer
+stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus
+^7.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der
+Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch
+keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem
+Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt
+ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es
+unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher
+lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und
+collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung
+des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der
+speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt
+wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel
+gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber
+der Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der
+Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl
+collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als
+der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer.
+</p>
+
+<p>
+^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1,
+S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den
+Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische
+Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen
+Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden
+sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende,
+duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die
+alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen
+&ldquo;latiarischen Huegel&rdquo; gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet,
+aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus
+fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar
+in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn
+an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie
+der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta
+sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder
+unbefangene Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte,
+nicht fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit,
+dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet
+werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die
+unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element im
+Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden
+Studien ernstlich zu warnen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die
+Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte
+und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber,
+einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die
+Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog,
+ist mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer
+Neu- und Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen
+Huegelroemer in der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen
+gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich
+zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen
+Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander
+jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die
+einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen
+gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen,
+obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - moegen sich mehr
+gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff
+staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen
+Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und maechtigen Familien
+gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl
+beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius
+zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und
+Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen
+des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und
+somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses
+gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden
+Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der
+Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern
+latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten
+leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer
+Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des
+latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung
+auf dem Palatin und in den &ldquo;sieben Ringen&rdquo; zusammenfaellt mit der
+Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit
+dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer
+Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in
+den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer
+einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in
+der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu
+ringen und endlich sie zu erringen vermochte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Die ursprüngliche Verfassung Roms</h2>
+
+<p>
+Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet -
+das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die
+Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber
+gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese
+natuerlichen Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich
+aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an
+schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst
+vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse.
+</p>
+
+<p>
+Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt
+gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des
+Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio)
+angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten
+Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem,
+einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die
+Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich
+sind, der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in
+gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem
+roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein
+Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des
+Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in
+fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme
+fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein
+trug die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der
+sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann
+nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter
+dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem
+Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig
+gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause
+notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die
+vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese
+sind es und nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau
+verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin,
+sondern Herrin. Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde
+zukommenden Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische
+Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der
+Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde
+die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen
+Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der Vater
+das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben
+sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet
+und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater
+familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht,
+der Stier und der Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau
+durch die freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind,
+das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist
+nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben hat,
+vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und Kinderzeugung
+sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein
+des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von
+Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater,
+welchem Drillinge geboren werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie
+man ueber die Aussetzung dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich
+aller Soehne - mit Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten
+Tochter. Aber wie gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die
+Untersagung derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in
+religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem Hause
+durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in
+strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die
+richterliche Gewalt auszuueben und sie nach Ermessen an Leib und Leben zu
+strafen. Der erwachsene Sohn kann einen gesonderten Hausstand begruenden oder,
+wie die Roemer dies ausdruecken, sein &ldquo;eigenes Vieh&rdquo; (peculium) vom
+Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag
+er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen
+Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater
+lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher auch nicht
+anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie vererben. In dieser
+Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher Linie mit dem Sklaven, dem
+die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht selten verstattet ward, und
+der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater
+kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen;
+ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer,
+so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann,
+seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche
+Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon erwaehnten
+des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche mit rechtlicher
+Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; so trafen diese den,
+der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn verkauft; und durch die
+Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der Ausuebung der haeuslichen
+Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und
+Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die
+seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung
+der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht
+zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden
+Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss
+wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern auch,
+so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den
+griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich
+selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen
+Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn
+desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur dass die
+Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann das Kind im Wege
+der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine
+rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus
+ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des
+Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war.
+Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn,
+als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward
+frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde
+erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr
+den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide freigibt, so
+erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die Freilassung
+vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch die
+unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von
+den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt.
+Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an
+die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich
+aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass
+sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und
+gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des
+Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem
+absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind
+wohl auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht
+Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die
+Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert;
+wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren
+ein und erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen
+die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn
+die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium
+confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar
+nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die
+Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus)
+ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet,
+Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich
+in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib,
+ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor,
+sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt
+sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht
+Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3,
+14).
+</p>
+
+<p>
+^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, ist
+nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.
+</p>
+
+<p>
+Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt&rsquo; an und lies ihn durch.
+</p>
+
+<p>
+Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau.
+</p>
+
+<p>
+Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
+</p>
+
+<p>
+Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
+</p>
+
+<p>
+Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie
+</p>
+
+<p>
+Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss.
+</p>
+
+<p>
+Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
+</p>
+
+<p>
+Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter
+sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten
+ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta
+domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo
+diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der
+Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis,
+lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non
+conspiciendi, cultus modici.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des
+Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig
+gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als
+eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch
+gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der
+unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das
+Weib nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben,
+so bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die
+Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen
+Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen
+Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber
+die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal
+gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers
+ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band
+sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der
+urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der
+Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck,
+der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie
+aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation
+aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn
+dartun koennen, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die
+Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr
+vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen.
+Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst:
+&ldquo;Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der
+Quintier&rdquo;, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell
+bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das
+Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine
+Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.
+</p>
+
+<p>
+Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten
+oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien- und
+Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das
+sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem
+fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als
+Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen
+(clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie
+Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande
+geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils
+diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner
+Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt
+hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng
+rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den
+Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die
+&ldquo;Hoerigen&rdquo; (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen
+Knechten die von dem Willen des &ldquo;Buergers&rdquo; (patronus, wie
+patricius) abhaengige &ldquo;Knechtschaft&rdquo; (familia); darum ist nach
+urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten teilweise
+oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei
+zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche
+Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den
+wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes
+hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung
+des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem
+tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem
+Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des Klienten der
+rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen
+hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber
+gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen
+von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in
+Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis
+abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von
+den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen als
+der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten
+Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier,
+Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten
+Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener
+Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen
+abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und begruendete fuer die Kinder das
+Buergerrecht; wer in unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem
+Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die
+&ldquo;Vaterkinder&rdquo; (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater
+hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien
+dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und
+Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate
+gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause
+unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die
+Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich natuerlich dahin, dass die
+Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der
+ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den
+Schutz derjenigen Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der
+Sache, dass von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die
+Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden
+konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen
+buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr
+galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie
+das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den
+Insassen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so
+ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie
+nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe
+entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen
+soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht,
+die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden
+sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex)
+und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in
+oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte
+Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu
+finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend,
+das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der
+Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam
+ist die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der
+waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen
+hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater
+zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern
+der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt
+alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der
+Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein
+Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft
+gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege,
+weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm
+ueberall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat
+das Recht, oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die
+Schluessel zu dem Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das
+Zuechtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen,
+namentlich Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in
+allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber
+Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an
+Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche
+Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um
+Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch
+nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das
+Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle
+erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der
+allein Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige
+Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen
+besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat
+einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne
+Befugnisse andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den
+Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die
+Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu
+verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen
+Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben
+der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den
+Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten Zeit, der
+ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer (tribuni, von
+tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts
+als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine
+aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht
+haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der
+Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt
+seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im
+Fall der Vakanz das &ldquo;Zwischenkoenigtum&rdquo; (interregnum) uebergeht.
+Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach
+der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der
+Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen
+Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird &ldquo;der hohe Goettersegen, unter
+dem die beruehmte Roma gegruendet ist&rdquo;, von dem ersten koeniglichen
+Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des
+Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese
+Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis
+darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht
+die des hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu
+Fuss geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der
+goldene Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in
+gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen
+Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott
+und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen.
+Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des
+Staats. Darum weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung
+eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der
+Koenig von anderem Stoff waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die
+Verwandtschaft mit frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine
+Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an
+Geist und Leib gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist
+also eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem
+aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn
+gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber
+Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer
+achtet als den Vater, so unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn
+gerade fuer seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische
+Begrenzung der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das
+Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren
+Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder
+sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber
+wenn er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam,
+sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer
+schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen? Die
+rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz
+nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr
+entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein
+musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht
+entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im
+tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im
+modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein
+entsprechendes Abbild vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische
+Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich
+so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien ueber den
+Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit
+curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde;
+jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie equ-es,
+der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten
+Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen
+Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit
+der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den
+Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die
+Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-,
+sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel
+Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der
+Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede
+war.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der
+spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder
+Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner
+(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom,
+welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren;
+dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen
+hervor.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden
+ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig
+genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter
+allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten,
+bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen
+dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der
+Dreissigkurienverfassung sind.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom
+entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht
+sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr
+glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen
+Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die
+Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten
+Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in
+dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als
+wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt.
+</p>
+
+<p>
+Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die
+&ldquo;Teile&rdquo; koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen
+sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist;
+wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das
+Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in
+ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der einzelne Teil einen
+Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse
+Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im Interesse der Einheit des
+Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in
+der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar
+soviel Anfuehrerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser
+Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne
+Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte Fussheer. Die
+Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben
+wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende
+Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in
+Zweige gespalten und es als doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache
+zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen Ueberlieferung schlechterdings
+keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen,
+dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht
+veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel
+weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich fixiert; wenn die
+Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder
+ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus
+jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in
+dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo
+mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war
+eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen
+Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio)
+standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde
+auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft
+nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht
+zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die
+Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Es liegt dies schon im Namen. Der &ldquo;Teil&rdquo; ist, wie der Jurist
+weiss, nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der
+Gegenwart ohne alle Realitaet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war
+innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk,
+das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es
+den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen
+Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit
+solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des
+Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu
+vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger
+hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben,
+wo er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem
+ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas
+immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren
+Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte
+Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich
+als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte
+Buerger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem
+nominellen Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft
+und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher
+vorgekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in
+Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede
+Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die
+innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt
+werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde
+bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war,
+konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten.
+Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den
+Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen
+Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der
+Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder
+Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste,
+bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich
+angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein
+tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem
+Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige
+Gliederung der Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im
+uebrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der
+aeusserlichen Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den
+Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen
+dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus;
+uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene
+oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem
+Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel
+urspruenglich begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in
+dieser Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten
+und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl
+mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern
+botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit
+begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische
+Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der
+hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst.
+Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die Buergerschaft
+hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger sind zugleich
+die &ldquo;Kriegerschaft&rdquo; (populus, verwandt mit populari verheeren); in
+den alten Litaneien ist es die &ldquo;speerbewehrte Kriegsmannschaft&rdquo;
+(pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die
+Benennung, mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als
+Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die
+&ldquo;Lese&rdquo; (legio) gebildet ward, ist schon gesagt worden; in der
+dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie aus drei Hundertschaften
+(centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder flexuntes, die Schwenker)
+unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei
+Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des
+Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des
+Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied
+fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der
+Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst konnten
+noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die Pflicht zur
+Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden (I, 78) und die
+Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie
+schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass
+der Name der &ldquo;Fronden&rdquo; (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine
+regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte
+regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es
+derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt
+oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine
+solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet
+ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht
+dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen
+Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, indem, wer im
+ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des Streitgegenstandes
+abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden
+Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen
+flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den
+Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die Gemeinweide
+aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der
+Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der
+Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde
+eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die
+Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete
+die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben
+ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts
+der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel
+das Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen
+gewonnene Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie
+weit der Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen
+beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere
+Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann,
+wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des
+im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der
+Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern
+zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den Alten von σαύνιον,
+Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an
+arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im
+Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf
+gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des
+Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars)
+quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende Gottheiten gedacht; und von
+Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit
+stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll,
+wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma,
+populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale
+Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen
+nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides,
+wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff
+bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche
+darauf, dass &ldquo;dieser Wehrmann mit Tode abgegangen&rdquo; (ollus quiris
+leto datus), und ebenso redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem
+Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften
+Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili). Populus
+Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt)
+heisst also &ldquo;die Gemeinde und die einzelnen Buerger&rdquo; und werden
+darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini,
+den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd.
+2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche
+Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde
+einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren
+Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der aufnehmenden im
+sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68 A.
+</p>
+
+<p>
+^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64) nach
+den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (οι
+ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz
+ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis)
+celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten
+roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der
+Schrift &lsquo;De viris illustribus&rsquo; 1 Celer selbst centurio genannt
+wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen
+sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die
+Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius
+(dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus
+(mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister
+equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der
+Kaiserzeit.
+</p>
+
+<p>
+Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden sind,
+ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen
+Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens,
+welcher nur &ldquo;Teilfuehrer der Reiter&rdquo; heissen kann; vor allen Dingen
+aber kann der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte
+Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit
+der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur.
+Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die
+offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit
+historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum
+den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die
+Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem
+Reiterfeldherrn.
+</p>
+
+<p>
+^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites und
+die spaetere Organisation der Legion.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische Buergerschaft,
+sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die
+Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfaehigen
+Kinder, also, wie die Anrede lautet, die &ldquo;Lanzenmaenner&rdquo; (quirites)
+auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen eine
+Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die dritte
+Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien
+zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und
+zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so
+oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden,
+sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in
+der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu gestatten fuer gut
+findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des
+Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung.
+Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die deutsche und
+vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte
+Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im
+ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die
+Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu
+diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die
+versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und ihn
+selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen;
+eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr
+ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war
+durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen,
+ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht
+beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die
+Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich
+souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der
+Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden
+Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen
+Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne
+Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der
+souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der
+Buergerschaft und des Koenigs oder Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis
+zwischen Regent und Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort
+kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der
+Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an
+die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in
+welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum
+ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von dem
+Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern
+zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und
+Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es
+rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz
+zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein
+Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe
+sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei
+seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn,
+dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt
+versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen
+konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann
+der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch
+weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem
+andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches
+gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das
+Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden -
+es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben
+gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in
+gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den
+todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach
+Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig
+nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte
+Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des
+Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch
+vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen
+ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige
+Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die
+Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig
+befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem
+Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim
+Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an
+die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich
+ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des
+bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und
+insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen
+aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit
+rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann
+blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa
+faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie
+beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein
+konstitutives Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach
+mehr ueber als neben dem Koenig.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet
+bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines
+Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil
+einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der
+Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der
+Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist
+also auch sprachlich praegnant bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der
+aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln
+bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und
+innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten
+oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der
+Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom
+die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich
+insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter
+des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der
+aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies
+wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat,
+wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst
+jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es
+durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge
+bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts
+gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom
+Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der
+letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten
+gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings
+ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem
+latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und
+vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu
+entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium
+lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht
+kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des
+gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder
+abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner
+vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem
+Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht
+werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates
+der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige
+Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des
+Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die
+Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig
+einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine
+Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im
+Kreise herum zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der
+Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl
+der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch
+nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die
+Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht
+auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt
+worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der
+Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die
+staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren
+zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies
+lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und
+die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit
+darboten, den unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen,
+so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt.
+Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr
+gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit,
+solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als
+Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und
+bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen
+haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren
+Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der
+Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur
+das noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.
+</p>
+
+<p>
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die
+Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen
+den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in
+dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der
+Roemer, zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig,
+ausgeuebt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches,
+nicht der Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde;
+weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben
+gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des
+Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es
+ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der
+roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig,
+so treten ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse
+der koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur
+einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen
+und es unterscheidet sich ein solcher &ldquo;Zwischenkoenig&rdquo; (interrex)
+von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle
+der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber
+festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den
+Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt
+ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los
+festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt.
+Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht
+geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet,
+nicht bloss alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen,
+sondern selbst einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten
+von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser
+angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger
+ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin
+der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen
+Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer
+desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung.
+Wenn also dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu
+sein duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat
+eine solche gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der
+roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die
+Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat
+dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den
+Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb
+auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an
+Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet
+werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der
+Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem
+spaeteren Rom nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des
+Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer
+der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft.
+Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten
+Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen
+schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in
+allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war,
+also bei jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der
+Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings
+darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der
+Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden
+Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl
+Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren,
+wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende
+Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch
+organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben
+schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn
+der roemische Koenig die Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft
+dieselbe zum Beschluss erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige
+Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden
+war, der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit
+den Worten schloss: &ldquo;darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim,
+wie wir zu unsrem Rechte kommen&rdquo;; erst wenn der Rat der Alten sich
+einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft beschlossene,
+vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war es weder die Absicht
+noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die
+Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die
+Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der
+Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung
+verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung
+gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte
+Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege
+vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach
+dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht
+zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich
+vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu
+befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich
+brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner
+Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach
+dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen.
+Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten
+Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge
+indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren,
+dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei
+Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche
+waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu
+bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte
+Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig
+war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es
+ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine
+Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von
+dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der
+Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den
+Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu
+berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag
+sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne
+dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung
+zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare
+Kassationsrecht. &ldquo;Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet,
+sondern um euch zu gebieten&rdquo;: diese Worte, die ein spaeterer
+Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser
+Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen richtig.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde, an
+welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war sie
+nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen
+werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich bestellten
+Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt,
+berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven
+Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt
+selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze
+gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot,
+gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden,
+insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen,
+dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen
+erzeugte. Also war die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die
+umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und
+Traeger der Machtfuelle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte
+lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen
+verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische
+Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das
+Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein
+Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der
+Gemeinde stand.
+</p>
+
+<p>
+Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen einzelnen
+Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von der
+Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer
+unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des
+Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und
+Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht
+allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst
+wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und
+Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich
+der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der
+Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das
+Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es
+ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten
+roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten,
+aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit
+bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst
+die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke
+bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische
+Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und
+verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden
+Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so
+wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der
+unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit
+gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst.
+</p>
+
+<p>
+So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen
+verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in
+unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung
+der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt
+werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore
+weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern
+erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der
+aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht;
+aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher
+Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder
+Tacitus&rsquo; Bericht ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten
+Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem
+Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der
+souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten
+Kompetenz und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es
+mag ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den
+Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch
+die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland
+heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des
+roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie wenig
+und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgaengige
+Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern latinischer Praegung.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer alle
+Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es
+fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt
+befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass
+jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst
+der Volksgemeinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</h2>
+
+<p>
+Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein
+grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein
+dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die
+aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess
+der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt
+ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die
+Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden
+Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen
+gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht
+werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der
+Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der
+uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der
+Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die
+roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie
+einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich
+spaeterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des
+Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr
+nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der
+Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den
+kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom
+Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den
+drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die
+Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem
+urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung
+wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit gewissermassen
+politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die
+Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse wieder
+vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in die
+bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen
+sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die
+bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist
+dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den
+Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile
+doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die
+Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit
+haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde
+ueberall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare
+der heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile
+erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte
+Larenpaar ist vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese
+Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der
+dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische
+Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer
+wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des
+Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch,
+dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf
+zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des
+Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern
+sechs Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung
+der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl
+von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die
+normale geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der
+angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der
+palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den
+Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von
+seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt
+dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt
+fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der
+verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber
+die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre
+Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben,
+dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen
+Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern,
+Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die
+&ldquo;zweiten&rdquo; oder die &ldquo;minderen&rdquo; gewesen. Indes war der
+Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den
+Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen
+Ratsherren vor denen der &ldquo;minderen&rdquo; gefragt. In gleicher Weise
+steht das collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem
+vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars
+hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter
+denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den die
+palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe
+zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander
+verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende
+Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen
+Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht bloss
+bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba,
+geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was
+spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr
+eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden
+Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher
+durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten
+Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung
+der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen
+Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die &ldquo;Hoerigen&rdquo;
+(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen
+Buergerhaeuser, oder die &ldquo;Menge&rdquo; (plebes, von pleo, plenus), wie
+sie negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die
+Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt
+ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste
+diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu
+groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte,
+so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer
+Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde
+zweckmaessig erscheinen, die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als
+Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu
+gestatten, so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den
+Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens
+aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die
+Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche Handhabung des
+rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen. Bereits in unvordenklich
+frueher Zeit ist in das roemische Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden,
+von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen
+hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts -
+Testament, Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder
+stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger
+diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner
+Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen koennen.
+Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder Buerger- noch
+Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung von seiten der
+Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer mit der
+roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein
+gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit;
+und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen
+Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons
+gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn
+auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen
+einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber
+allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in
+eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung
+ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu
+erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar
+weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen,
+eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt
+werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden
+Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und
+des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der
+buergerrechtlichen zu gestalten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern
+auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und dort
+eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit uralter Zeit
+die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische Recht weiss
+weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und
+gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten
+vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel
+wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt
+war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches
+und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, in
+gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom
+eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem
+internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit
+grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen
+Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden
+Fremden gewaehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die
+Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald
+schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem
+faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die
+durch das latinische Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle
+privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss selbst der Erwerbung von
+Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Haeufigkeit der Freilassungen
+mussten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhaeltnismaessig vermehren.
+Es kam dazu der groessere Teil der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen
+und Rom inkorporierten Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom
+uebersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben,
+in der Regel wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht
+vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und
+lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die
+Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu
+bezahlen.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische
+Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall
+war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der
+Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an
+einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer
+Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht
+empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und
+immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe,
+wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation
+zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie
+das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die
+schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht
+urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des
+Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester
+Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen
+Haeusern hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass
+dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der
+Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die
+eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe
+hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe
+selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt,
+wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des
+Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung,
+hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in bestaendigem
+und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die der Buerger
+sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die
+Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren
+nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten
+dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen
+Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst
+des Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom
+lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in der
+neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder und
+Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen
+Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, der
+eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht
+mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu
+dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der
+Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des
+Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die
+Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch
+ohne Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und
+Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger,
+namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen
+ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der
+Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten
+dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen
+Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der
+Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm
+abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu
+bilden.
+</p>
+
+<p>
+So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den
+Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
+rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem
+Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem
+jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten
+Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie
+das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der
+politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber
+allen gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen
+des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes
+schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen
+schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius
+Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel,
+wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch
+historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren
+Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie
+gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte
+gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren
+Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von
+der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der
+Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall
+vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot.
+Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber
+schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der
+Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh
+auch auf die &ldquo;Begueterten&rdquo; (locupletes) oder die &ldquo;stetigen
+Leute&rdquo; (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die
+&ldquo;Kinderzeuger&rdquo; (proletarii, capite censi) blieben davon frei.
+Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbuerger zu der
+Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft als solche, gelegt
+auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder bloss Insassen
+sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im
+einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige
+Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der
+Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der
+entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt
+war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der Erwerb
+roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie,
+was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet
+ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die
+kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die
+Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern
+vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden
+Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften,
+Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der
+Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also
+unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung
+des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die
+Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich
+ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das
+Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und
+achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr
+man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht,
+und nur darin wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen
+mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern
+blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern
+gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man
+damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr
+entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militaerischen Ruecksichten
+auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmaessige Uebungen hielten, die
+als Festlichkeiten der roemischen Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit
+fortbestanden ^3. So liess man denn auch bei dieser Reform den einmal
+bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem
+Buerger zugaenglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die
+unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des
+eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei -
+zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter;
+doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt
+der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft aber statt
+der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen
+stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine
+Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im
+Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen
+ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier
+&ldquo;Teile&rdquo; (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer
+lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches
+Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses
+Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den
+collinischen, den der Quirinal und Viminal, die &ldquo;Huegel&rdquo; im
+Gegensatz der &ldquo;Berge&rdquo; des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der
+Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in
+welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen
+Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist,
+dass jeder ansaessige Buerger einem dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich
+nicht sagen; aber es war dies der Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr
+gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei
+der Aushebung. Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden
+allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen
+Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung zugekommen;
+denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der raetselhaften
+Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken,
+als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward.
+</p>
+
+<p>
+Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie der
+ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen,
+sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk
+zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und
+gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen
+Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu
+verschmelzen.
+</p>
+
+<p>
+Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes und
+zweites Aufgebot, von denen jene, die &ldquo;Juengeren&rdquo;, vom laufenden
+achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum
+Felddienst verwandt wurden, waehrend die &ldquo;Aelteren&rdquo; die Mauern
+daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt
+verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und
+geruestete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von
+tausend Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400
+&ldquo;Ungeruestete&rdquo; (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten
+Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgeruesteten Hopliten der
+Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die minder geruesteten Bauern der
+zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu
+der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte
+Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, war
+gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000
+Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner
+2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fuenften Abteilung; ungefaehr
+stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann.
+Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche
+Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren
+gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann
+kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten
+Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der
+Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800
+Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der
+Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres ersten und
+zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem
+Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der
+Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen
+haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien
+vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die
+roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch
+Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere
+Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder
+jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt
+werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den
+Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen
+sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah,
+wurde fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das
+zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind
+aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus
+hervorgegangen.
+</p>
+
+<p>
+Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer Natur.
+In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der
+auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese;
+und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist,
+genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu
+erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen
+Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den
+Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die
+Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der
+Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts
+verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der
+Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue
+Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung
+wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier werden koennen,
+solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer
+zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der
+bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die
+Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert
+werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die
+bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als
+Buergeraufgebot geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und
+Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem
+Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist
+wichtig der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer
+Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen;
+allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr
+folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie
+vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche
+Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben
+diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender
+aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der
+Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den Tribus
+stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger
+nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen.
+</p>
+
+<p>
+Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und
+Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen
+Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht
+beherrscht haben.
+</p>
+
+<p>
+Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde ins
+Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier
+Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor
+die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine
+urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle
+ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den
+Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht
+moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000
+Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen
+Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht
+kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit,
+wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20
+Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben
+muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000
+ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei
+dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt
+ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern
+vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der
+Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen
+ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und
+diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen
+maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer
+Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen
+Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten
+notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio
+gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische
+Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das
+Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach
+urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5;
+Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur.
+Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu
+berichtigen ist) den Empfaengern klein.
+</p>
+
+<p>
+Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und
+Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen
+werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30,
+nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig,
+wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei
+Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium
+von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den
+Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die
+Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische
+Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den
+Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung
+des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist
+unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum
+Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die
+Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung
+der Ruestung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist
+sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten
+Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen
+Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das
+Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den
+Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im
+wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng
+monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte
+Verfassungsaenderung.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der
+Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat
+eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann
+auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein
+unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es
+sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische
+Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+Roms Hegemonie in Latium</h2>
+
+<p>
+An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und
+leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem
+Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in
+den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte
+angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln
+und Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich
+aeusserst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat
+kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns
+die geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der
+Machtverhaeltnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder
+Genauigkeit zu erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht
+und seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten
+Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie
+waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem
+Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis
+an die etwas ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung
+(Ostia). &ldquo;Groessere und kleinere Voelkerschaften&rdquo;, sagt Strabon in
+der Schilderung des aeltesten Rom, &ldquo;umschlossen die neue Stadt, von denen
+einige in unabhaengigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig
+waren&rdquo;. Auf Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die
+aeltesten Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden
+Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria,
+Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon
+in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit
+eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk
+spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit
+rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken
+Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter
+mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den
+Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in
+die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem
+Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1.
+Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9
+Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe
+ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte
+Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole
+Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der
+Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der
+Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist
+nichts als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und
+eng verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war.
+Wir wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und
+Zerstoerung Albas durch Rom ^2.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und
+Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche
+Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat
+stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst
+unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden
+verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer
+geschichtliche Urkunden gehalten.
+</p>
+
+<p>
+^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom
+ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein
+Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung
+in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und
+Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen
+historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe
+zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die
+Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische
+Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings
+untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer
+Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die
+Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei
+gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in
+religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba
+auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter,
+sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet
+ward.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge
+festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten
+Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher
+Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche
+Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten.
+</p>
+
+<p>
+Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den
+rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen
+Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben
+Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische
+Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt
+gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen
+vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern
+voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des
+latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen
+Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er
+selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und
+damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der
+Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die
+Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an
+dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte
+keine politische Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein
+Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das
+allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch
+das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch durch
+freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. Die Festung des
+Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den
+Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine
+neue Heimat gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die
+neue Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird
+man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums
+konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der
+Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den
+neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich
+an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der
+Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo
+die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen
+erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben
+haeufig in offenen Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht
+selten auch die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in
+ihrem neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen
+Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts,
+dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das
+Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen,
+uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht aufgezwungen
+^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Buergerrecht, das
+heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem
+Fall ihrer Heimat in die roemische Buergerschaft eingereihten albischen
+Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier,
+Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen
+Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in
+Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder
+Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch
+gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in
+der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und
+als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist.
+</p>
+
+<p>
+^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i
+mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen
+Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die
+latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche
+Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz
+ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini
+prisci cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten
+Gemeinden Latiums.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war
+natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die
+Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze
+der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es
+gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe
+Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika
+Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem
+bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer
+Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen
+Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als
+irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in
+Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine
+Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System
+zu danken.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige,
+unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so
+kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht
+bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die
+Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben.
+Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die
+Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas
+hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die
+boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen
+Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als
+Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und
+welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten,
+vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie
+ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne
+Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr
+entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft,
+als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft
+gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten
+gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die
+unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der
+materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt,
+groesser war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom
+nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward,
+sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die
+Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen
+Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische
+Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so
+bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae
+gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte
+eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der
+Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie
+Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen
+Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark
+und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt
+ward. &ldquo;Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der
+Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren
+untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten;
+dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und
+gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen
+Krieg.&rdquo; Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im
+Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die
+gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen
+Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht
+wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb
+jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war
+das latinische Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir
+finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh
+abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die
+einfache und rein volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das
+Bestreben, die Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch
+dahin, dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz
+Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen
+ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers.
+Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein
+Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb
+dessen das Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was
+dasselbe war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus
+dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz
+erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten
+sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft.
+Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass
+der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle,
+verkauft werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des
+Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago,
+dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle,
+so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen
+zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden
+ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner
+nur da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der
+privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich
+niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den
+besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines
+eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als
+Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die
+allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische
+Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend
+schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom
+lebte, ist begreiflich.
+</p>
+
+<p>
+In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen,
+sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als
+solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung
+zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass
+die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies
+insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus
+mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber
+es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die
+deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas
+Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms
+Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen
+sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben,
+waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es
+scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen
+abhalten liess und sich begnuegte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem
+Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten
+Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so dass von nun an
+teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium, teils auf latinischem fuer
+Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass
+die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner
+latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der
+die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der
+maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich
+die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die
+Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich
+zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer roemischen und einer
+latinischen. Das Oberkommando stand ein fuer allemal bei den roemischen
+Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich
+einzufinden und begruesste hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als
+seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten
+Roemer sich aus der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter
+mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut
+gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder
+verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische Foederation nur
+durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der
+Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen
+Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge
+eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der
+Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat
+rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon
+die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und
+ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Uebergewicht
+auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.
+</p>
+
+<p>
+Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig
+bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der
+latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter
+ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst
+den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht
+auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem
+latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen
+etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus
+dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich,
+wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der
+Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr
+ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den
+entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit
+bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von
+zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz
+aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker.
+Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten
+erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem
+feindlichen Lande begruendeten und als autonome Glieder der latinischen
+Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen
+Kolonien, von denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen
+scheinen. Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit
+sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den
+benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den roemischen
+Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften
+wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der
+pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Dass die Koenigszeit
+nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach aussen
+hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der
+Stadt Rom mehr gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im
+Beginn der Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon
+in der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin
+stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge hier
+verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit Roms, vor allem
+auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die
+Umrisse verschwimmen.
+</p>
+
+<p>
+So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen
+und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst
+aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer
+regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden
+Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die
+darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der
+Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser
+innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich
+musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen,
+mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern.
+Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss
+bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform
+stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen
+Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren,
+die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten,
+zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel
+und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von
+Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man
+schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende
+Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an
+dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den
+Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste
+dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der
+Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen
+Tuffbloecken unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer
+gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen
+und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken
+werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des
+Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder
+in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken
+aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen
+maechtigen, gegen die Stadt zu abgeboeschten und noch heute imponierenden
+Erddamm auslaufend, den Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte,
+lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil
+des Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an
+den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten
+nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe ein befestigtes
+Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser
+Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach
+allen Seiten hin freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu
+verteidigenden tarpeischen Huegel die neue &ldquo;Burg&rdquo; (arx, capitolium)
+^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten
+&ldquo;Quellhaus&rdquo; (tullianum), der Schatzkammer (aerarium), dem
+Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft (area
+Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen Abkuendigungen
+der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen
+in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum
+zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes
+(Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl
+war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das
+Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges,
+auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor
+wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise,
+wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung
+entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich
+staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers,
+die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner
+(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch
+nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses,
+Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen
+Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen
+und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des
+Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste
+Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war,
+wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen.
+Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem
+auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war,
+welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass
+hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und
+der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch
+stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen
+Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom
+anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei
+verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit
+erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die
+Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des
+Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften
+oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue
+Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der
+kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von
+der Burg gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen
+dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der
+der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines
+Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und
+die Gaeste der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz;
+und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter
+den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl
+(tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die
+spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre
+Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende
+desselben, unter dem Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung
+des Koenigs (regia) und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des
+Vestatempels, einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward
+ein dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde
+oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi
+Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als
+die Ansiedelung der &ldquo;sieben Berge&rdquo; es gewesen war, geeinigte Stadt,
+dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem
+Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser
+allgemeine und einheitliche Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten
+des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal
+zwischen Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der &ldquo;Ring&rdquo;
+abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt
+angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere.
+Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem
+Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der weithin
+sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit
+gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die umliegenden Nationen, so mit
+ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten triumphierte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von der
+nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des
+Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen άκρα und
+κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr capitolium
+ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius.
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret,
+untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die
+Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker,
+Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.
+</p>
+
+<p>
+^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die &ldquo;Heilige Strasse&rdquo;, auf
+die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links
+macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst
+wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen
+sein. Das sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges,
+das unter dem Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen
+vorkommt und in Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich
+nur religioese Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen.
+</p>
+
+<p>
+^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5,
+2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5,
+50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller,
+Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri
+(Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3.
+die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani
+pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht
+zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom
+vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der
+Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem
+Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und
+damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten
+staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser
+der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die
+staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive
+si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen
+drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche
+Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher
+die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum
+und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.
+</p>
+
+<p>
+^10 Die &ldquo;Siebenhuegelstadt&rdquo; im eigentlichen und religioesen Sinn
+ist und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das
+Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B.
+Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet,
+wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des
+Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist
+man je darueber zu fester Einigung gelangt, welche von den durch den
+Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu den sieben zaehlen. Die uns
+gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis,
+Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind
+zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen
+Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2.
+Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil
+sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge
+(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins des
+Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, Tarpeius,
+Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar als
+colles, fehlen und dafuer zwei &ldquo;montes&rdquo; vom rechten Tiberufer,
+darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit
+hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783),
+die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118
+Bekker).
+</p>
+
+<p>
+^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des
+Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag,
+bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der
+zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den
+Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist
+die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich
+erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den
+aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die
+verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus
+Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse
+Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den
+Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen
+richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings
+mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der
+Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach
+zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus
+dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese
+zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der
+Umschaffung des Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar
+aus einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder
+eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese
+Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig
+eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und
+den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die
+Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die
+Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt
+werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein
+griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal
+von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stueck nach italischem,
+sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus
+nicht unglaublich, was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen
+Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente
+und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen
+Artemision nachgebildet ward.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Die umbrisch-sabellischen Stämme.<br/>
+Anfänge der Samniten</h2>
+
+<p>
+Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme
+begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch
+mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt.
+Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der
+Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt
+noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass
+sie in aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die
+illyrischen Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den
+Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden
+zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den
+ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der
+umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten
+Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die
+zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name
+von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders
+begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen
+italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem
+Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt
+Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine
+andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst
+derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar
+auch mit dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem
+Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in
+denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere
+und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend
+spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern
+entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische
+Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen Eroberung im
+Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im
+noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der
+suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass
+von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt
+wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie
+spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich,
+wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen
+Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den
+Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den
+Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst
+anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R),
+nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem
+primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen.
+Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa,
+das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo
+sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis)
+f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum.
+Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften
+gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die
+Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie
+die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne
+Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und
+mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und
+Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir
+spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss
+von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit
+den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste
+wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der
+von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem
+Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch
+minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser
+Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner
+Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren
+zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und
+drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in
+zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so
+frueh und so schnell sich latinisieren konnten.
+</p>
+
+<p>
+Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina oestlich in
+die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich anschliessende
+Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die bergigen Striche,
+deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend
+dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung
+der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria
+und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden,
+laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in
+Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt von
+den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre
+geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und
+ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen
+verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm
+fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst
+sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus
+die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus
+besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone,
+hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten.
+Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das
+Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf
+(hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher
+Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen
+Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die
+Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am
+Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und
+den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der
+Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in
+jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf
+erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen
+oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme
+in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss
+der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei
+ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre
+geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung
+genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen
+blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem
+jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei
+den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation
+der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere
+Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe
+Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone
+hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es
+kommt, dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in
+voelliger Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der
+Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen
+Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben.
+Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso
+entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen
+das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an,
+umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation
+und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in
+ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir
+ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in
+Samnium keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer
+Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen,
+sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt
+in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die
+erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen,
+dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv
+ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im
+Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass
+die Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die
+ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral
+auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der
+Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf
+Landraub ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben
+waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des
+Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode
+an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze
+sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes
+Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten
+Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer,
+Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich,
+wenn man den allerdings sehr romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf,
+hier, wie das bei solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die
+Gedraengten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen
+Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten
+Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der
+ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen
+Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt abzuschlagen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Die Etrusker</h2>
+
+<p>
+Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern wie
+zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten,
+der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des
+schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der
+Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir
+wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf
+eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen
+Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen
+trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und
+wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit
+entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren
+hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das
+wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene
+Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung
+darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht
+einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der
+Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten.
+Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die
+Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier
+Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen
+konsonantischen Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward
+dies weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und
+rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf,
+Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus
+Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt
+am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in
+sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den
+rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe
+zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend
+die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die
+Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten,
+liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in
+Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in ungemeiner
+Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum Beispiel Thetis ihnen
+Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen
+Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten
+sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle;
+so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie
+zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt
+wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des
+Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel die Gattin
+eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem Kasus clensi Sohn;
+seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos
+Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden
+sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen
+Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen
+Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt
+wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen
+haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna
+den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von
+Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als
+etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so
+durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus
+etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil
+(Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva
+(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst
+aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern
+und Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen
+herruehren koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die
+uebrigen Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den
+saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die
+Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern;
+&ldquo;tuskisch und gallisch&rdquo; sind Barbarensprachen, &ldquo;oskisch und
+volskisch&rdquo; Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem
+griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig
+gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die
+Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten
+Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle ohne
+Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an das den
+geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben
+entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die
+geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf
+uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die
+verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, namentlich auf
+Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden
+aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht
+werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude
+vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige
+Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen
+beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften
+sicher εμί, ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf,
+rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten
+sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina
+oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν mit dem
+gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische
+Volk darum kaum weniger isoliert. &ldquo;Die Etrusker&rdquo;, sagt schon
+Dionysios, &ldquo;stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte&rdquo;; und
+weiter haben auch wir nichts zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung.
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice
+θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu oder: mi ramuθas
+kaiufinaia.
+</p>
+
+<p>
+^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum
+Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevaχr
+lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru.
+</p>
+
+<p>
+^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der
+vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung
+des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So
+finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben Caecina Ceicne.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien
+eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf
+jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche
+Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger
+verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen,
+vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist,
+&ldquo;nach der Mutter der Hekabe&rdquo;, wie Kaiser Tiberius meinte. Da die
+aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja
+unmittelbar am Meer keine einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser
+Populonia, von dem wir aber eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf
+Staedten nicht gehoert hat; da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von
+Norden nach Sueden sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der
+Halbinsel gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie
+zuerst finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen
+wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die Voelker
+gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen Westkueste setzt ganz
+andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere Heimat der Etrusker west-
+oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich,
+dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die
+aeltesten in Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in
+die historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen
+anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po,
+aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener
+Teil des Volks sein.
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen
+Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder
+seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in
+zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich
+einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich
+dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und
+Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich
+zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm
+nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen;
+wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo.
+Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die
+urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί, Τυρρηνοί, der umbrischen
+Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten
+sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl
+Τυρρ-ηνοί, so genannt von der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige
+Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr
+hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen
+Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und
+endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen
+Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren
+pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der
+heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener
+bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in
+den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener
+die pelasgische Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die
+letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt
+oder gar die Abstammung mit ihnen gemein haetten.
+</p>
+
+<p>
+Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die nachweislich
+aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich weiter
+bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft
+noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern
+illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach
+beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische
+Dialekt, den noch in Livius&rsquo; Zeit die Bewohner der raetischen Alpen
+redeten, sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom
+Padus und an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer,
+jener als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten
+Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und
+Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den
+Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer
+desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen
+hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die
+Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere
+gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten
+koennen.
+</p>
+
+<p>
+Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in
+dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer
+hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische
+Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In
+diesem Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom
+Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende
+Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich
+behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus;
+das Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war
+streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere
+Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs
+wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo,
+spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet
+zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete,
+Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte,
+moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen
+zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier,
+namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben
+muss.
+</p>
+
+<p>
+Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium
+bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und
+eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten
+gegen die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der
+Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom
+rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum
+Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort
+schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der
+fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass
+keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am
+latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren
+es auch, mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten,
+namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken
+Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art
+Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der
+Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das
+Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst unter
+Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in
+die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere,
+wie denn der caeritische Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege
+erfochten und denselben einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel
+bestimmter als der einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein
+vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des
+Handels- und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem
+Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln
+ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre
+230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in
+erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins
+einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker an einem
+grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass suedwaerts vom
+Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische Ansiedlung nachweisbar ist
+und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation
+durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und
+der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen,
+unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom
+anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener
+Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und
+nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe,
+von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig sein,
+wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von diesem Caelius
+offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz, dass dieser
+Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss
+nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die mit
+dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet
+weiter das &ldquo;Tuskerquartier&rdquo; unter dem Palatin.
+</p>
+
+<p>
+Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte Koenigsgeschlecht,
+das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus Etrurien
+entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es aus Caere,
+wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in
+die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch,
+dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach
+Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen
+war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die
+geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, sondern
+voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr
+entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache,
+dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom
+gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes
+tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer
+tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber
+Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer
+die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der
+Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat
+waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in
+Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige
+Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen.
+</p>
+
+<p>
+Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische
+Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit
+den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige
+in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf
+Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen
+Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter
+die Rede sein wird.
+</p>
+
+<p>
+Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf der
+zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber auf
+Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien der
+Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu
+haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten
+Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig
+und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit
+Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung der
+Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der roemischen
+gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche Insignien, also
+wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen; Vornehme und
+Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der
+Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den
+Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als
+im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein.
+Sie umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und
+die kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie
+die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf
+Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein
+Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im
+wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens
+so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur
+Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole
+Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere
+Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes
+ebenso selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das
+Umgekehrte selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt
+regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins
+Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so
+schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den
+etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen
+Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt
+zu haben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/>
+Die Hellenen in Italien.<br/>
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager</h2>
+
+<p>
+Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und auch
+hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes
+Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des
+Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans
+Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der
+Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu
+finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden.
+Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine
+solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des
+schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet
+sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von
+Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die
+aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der
+Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des
+Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer
+durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der
+Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die
+seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was
+ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht
+ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber
+kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von
+ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen
+bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch-
+und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst
+den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer bis
+zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden
+desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in
+Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch
+im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten,
+ehe die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer
+Anzahl sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre
+Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu
+gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von
+phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit
+einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren
+Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der
+caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst,
+Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern
+phoenikisch ist und die &ldquo;Rundstadt&rdquo; bezeichnet, wie eben vom Ufer
+aus gesehen Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen
+Gruendungen es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden
+Fall weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast
+spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie
+fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an
+denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens
+Latium die kanaanitischen Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen
+kennengelernt hat, ist ihre latinische, der griechischen entlehnte Benennung
+der Poener. Vielmehr fuehren alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der
+Zivilisation des Ostens entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das
+Entstehen der phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische
+Periode zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen
+des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man
+sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und
+blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der
+italische Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen
+Westkueste oder von Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die
+hellenische Seefahrt frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung
+der Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen
+unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb
+kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der phoenikischen
+Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen Anwohnern der
+Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.
+</p>
+
+<p>
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die zuerst
+unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen
+Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu
+welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die
+erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war
+das aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische
+Seeverkehr sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das
+Innere des Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen.
+Der Namen des Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und
+Sizilien geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die
+Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die
+einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische
+Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist
+dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der gleichnamigen Stadt an der
+anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es
+die kleinasiatischen Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere
+Westsee befuhren. Bald folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen
+andere Griechen nach: Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer,
+Lokrer, Rhodier, Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der
+Entdeckung Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu
+fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen
+Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum
+Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem
+Westen und die Ansiedelung im Westland kein Sondergut einer einzelnen
+Landschaft oder eines einzelnen Stammes der Griechen, sondern Gemeingut der
+hellenischen Nation; und wie sich zu Nordamerikas Schoepfung englische und
+franzoesische, hollaendische und deutsche Ansiedlungen gemischt und
+durchdrungen haben, so ist auch das griechische Sizilien und
+&ldquo;Grossgriechenland&rdquo; aus den verschiedenartigsten hellenischen
+Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich,
+ausser einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit
+ihren Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser
+Periode gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im
+ganzen drei Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen
+Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den
+uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle
+(spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische,
+wozu Sybaris und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und
+die dorische, welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der
+sizilischen Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen
+Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die
+aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung
+im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur
+die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein
+dorischen Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt;
+natuerlich, denn die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die
+dorischen Staemme aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren
+binnenlaendischen Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen
+Zeiten dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen
+Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen
+Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die
+chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst
+dem urspruenglich im ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar
+zunaechst derjenigen Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea
+wiederfinden. Die achaeischen Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen
+endlich auf diejenige Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika
+eingefuehrt hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken
+vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der
+sizilischen Dorer.
+</p>
+
+<p>
+Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer immer
+in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch
+fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen,
+welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern
+eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das
+oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See
+verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch
+von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach
+Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung
+mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit
+dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und
+Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie
+seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren
+Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten
+schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor;
+sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und
+Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade
+Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die
+Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich
+bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon
+dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem
+griechischen Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie
+vor den Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die
+Stadt urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser
+Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem
+Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute
+den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien
+sind denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher
+Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo
+die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst
+das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln
+meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee
+zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker
+wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen
+italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker,
+von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht
+ward. Es ist ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische
+Einwanderung in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch
+einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung
+wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien
+die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien
+gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen
+Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.
+</p>
+
+<p>
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch nur
+annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen
+Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46
+Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren
+wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um
+wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser
+Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der
+Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter
+Homers richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor
+der Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle
+anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die
+Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt,
+dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische
+Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von
+dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1,
+wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein
+bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und
+der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das
+Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in
+ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des
+eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation
+uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer
+Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben
+und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl
+aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704)
+auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L.
+Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also
+bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt,
+dass jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der
+griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei
+nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der
+hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als
+diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als
+dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten
+naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will,
+dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen
+Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird
+unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen
+Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin
+die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es
+etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der
+italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten
+Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten
+der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen
+Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens
+gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der
+griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist.
+</p>
+
+<p>
+Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten
+geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging,
+welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit
+seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und
+Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen genommen,
+einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen
+naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in
+Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen
+hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den
+Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen
+Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich anwenden,
+was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: &ldquo;nicht
+allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie,
+sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und
+Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte
+waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne
+Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken
+seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker.
+Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern
+herrschten von Meer zu Meer in dem &ldquo;Wein-&rdquo; und
+&ldquo;Rinderland&rdquo; (Οινοτρία, Ιταλία) oder der &ldquo;grossen
+Hellas&rdquo;; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel
+oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner
+Zeit die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und
+fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia
+gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos
+warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist
+hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu
+welcher diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am
+lebendigsten die einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen
+Achaeer: ihre Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt
+die fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung
+erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen
+zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um
+diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in
+der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur
+einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um
+diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern
+ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger
+Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft
+geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene
+Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit -
+Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich schuetzende
+Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder durch
+kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf die
+Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft des
+Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst
+und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren
+unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische
+Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der
+Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess
+die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh
+ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren
+Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in
+eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in
+den verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig
+sich aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des
+Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der &ldquo;Freunde&rdquo;, sie
+gebot, die herrschende Klasse &ldquo;gleich den Goettern zu verehren&rdquo;,
+die dienende &ldquo;gleich den Tieren zu unterwerfen&rdquo;, und rief durch
+solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der
+Vernichtung der pythagoreischen &ldquo;Freunde&rdquo; und mit der Erneuerung
+der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden,
+Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische
+Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis
+ihre politische Macht darueber zusammenbrach.
+</p>
+
+<p>
+Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die
+daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die
+uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus
+ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den
+Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und
+zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch
+vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und
+Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen
+politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste,
+schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet,
+und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der
+eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern
+sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig
+gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende
+Periode.
+</p>
+
+<p>
+Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der
+uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn
+keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer
+Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer
+befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte
+zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz
+abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und
+Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser
+Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine
+gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch
+gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der
+Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel
+Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die
+Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade
+wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend
+in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent
+und des ionischen Kyme.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als
+leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen
+vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich
+oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen
+Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder
+doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben.
+</p>
+
+<p>
+^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες εμί
+λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die
+glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der
+ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepôt fuer den
+sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem
+Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und
+Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft
+der tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte -
+beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -,
+beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den
+Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen
+Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch
+heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs.
+Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den
+unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten
+Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche
+Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die
+Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch und
+glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu
+bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus
+die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart
+am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia
+(spaeter Puteoli), und weiter die &ldquo;Neustadt&rdquo; Neapolis gegruendet
+wurden. Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und
+Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650)
+festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus
+gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten
+erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und
+im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir
+wissen wenig von den aeusseren Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie
+blieben, sei es aus Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner
+beschraenkt auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und
+unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen
+handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz
+und nahmen zugleich den ersten Platz unter den Missionaren der griechischen
+Zivilisation in Italien ein.
+</p>
+
+<p>
+Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die
+ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche
+Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf
+der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die
+Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten
+italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die
+verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der
+griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den
+zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar
+wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche
+Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia
+(bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft
+gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden
+Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische
+Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die
+griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat,
+wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat
+seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um
+44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand,
+dessen Entrepôts auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina
+und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit
+wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen
+offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien
+ist es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden
+Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften
+einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den
+Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt
+Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus
+(Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite
+beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste
+nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt
+in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es
+wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in
+Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit
+Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im
+Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten
+Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren
+Epoche.
+</p>
+
+<p>
+Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester Zeit
+von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen
+hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das
+aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den
+Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des
+Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am
+Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das
+ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des
+Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im
+&ldquo;innersten Winkel der heiligen Inseln&rdquo; die Tyrrhener beherrschen
+oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke,
+Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte
+Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf der
+Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit der
+Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des Odysseus
+waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung derselben Sage bei
+Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische
+Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische &lsquo;Theogonie&rsquo; in einem
+ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor
+Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der
+sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien
+den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es
+kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die
+roemische Koenigszeit gesetzt werden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel
+Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen
+besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes
+Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen Kueste
+Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die Namen
+unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche,
+von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich
+wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia,
+&ldquo;die Feuerinsel&rdquo;, mit ihren reichen Kupfer- und besonders
+Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die
+Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt
+gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht
+waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch
+die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze
+waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und
+Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit sich
+bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren, so
+uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass die
+Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan
+haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an,
+sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich
+der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und
+Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren
+ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen
+Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens,
+freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur
+Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den
+Nachen mit der phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben.
+Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien
+und Rom am Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger
+Entfernung vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen
+Handelsstaedte an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich
+Ariminum, sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den
+geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet
+gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande;
+wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung
+Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im
+suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen
+tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften.
+</p>
+
+<p>
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem &ldquo;wilden Tyrrhener&rdquo;
+den Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche
+Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass
+man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens
+geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat
+ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische
+Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch
+schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das
+heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in
+Latium und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden
+Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem
+merkwuerdig ist die Stellung von Caere. &ldquo;Die Caeriten&rdquo;, sagt
+Strabon, &ldquo;galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und
+Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich
+enthielten.&rdquo; Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische Kaufmann
+wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art von
+Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen
+Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits
+gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten,
+und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede
+besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist
+und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen
+hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an den
+Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in
+uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen
+Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig
+Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel
+des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr
+stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten
+caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl
+wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich
+schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen
+reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime
+der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze.
+</p>
+
+<p>
+Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den &ldquo;wilden
+Tyrrhenern&rdquo;. Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den
+vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich
+etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur
+Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten,
+entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen, sei es
+infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung hinneigenden
+Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich
+hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der
+einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald
+durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen
+der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der
+Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das
+italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden
+Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am
+deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar
+behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die
+Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in
+Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren
+Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der
+Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es
+wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren,
+aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel
+und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh
+von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen
+eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden
+haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden;
+wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der
+Seeherrschaft der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit
+den Kymaeern am Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich
+keineswegs auf Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit
+griechischen Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die
+wenigstens vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders
+Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen haben;
+dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja
+kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein
+Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der Etrusker zu den italischen
+Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer den Handel in der guenstigsten
+Stellung und in einer weit vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von
+Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen
+Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit,
+ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen
+nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die reichen
+Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten italischen
+Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische und kampanische
+Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee ihnen zugefuehrten
+Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, gleichsam einer rohen
+Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen; und es kann ebensowenig
+befremden, dass in Sybaris der etruskische und milesische Kaufmann
+konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und Grosshandel der
+mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich
+selber verzehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die Latiner
+den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so griff
+dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein,
+die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem
+beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht
+dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit
+diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in
+Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen,
+spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen;
+unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die
+Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die
+frische Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war
+anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der
+phoenikischen Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern
+verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten
+und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen
+Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen
+Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im
+westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon
+von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an
+dem keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste
+erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der
+Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die
+Ursache dieses Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge
+der von den Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die
+maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den
+Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren
+Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem
+Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen
+Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient
+und Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von
+Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren
+Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche
+zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand
+der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren
+phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert,
+waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte
+Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher
+die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden,
+so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die
+ganze Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische
+Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das
+wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge
+Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu
+erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und
+Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf
+Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die
+Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben.
+Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere
+gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die
+vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel
+stark; und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die
+Geschichte kennt - die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg
+zuschrieb, so erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den
+Angriff bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an
+der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein
+Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber
+Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis
+(συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia
+zeugt. Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die
+phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den
+Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten.
+</p>
+
+<p>
+Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr
+finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den
+Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar
+gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere
+Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf
+die Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen
+zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern
+und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung
+der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem
+griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt
+Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben,
+dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische
+Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7,
+beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren
+Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago.
+</p>
+
+<p>
+^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio
+Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit
+dem der Hebraeer.
+</p>
+
+<p>
+^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und die
+tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem
+Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende
+Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen
+Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern
+nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die
+Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die
+westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der
+nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos
+an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im
+unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und
+Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus
+Kleinasien auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen
+dort der karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil
+der wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint
+das ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen
+Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern
+zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel,
+dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern
+westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und
+Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon
+vertriebenen Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und
+Italien sich fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia
+gedieh trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis
+nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt
+Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich
+angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten
+geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen
+vorbei; nach Akragas&rsquo; Gruendung sind ihnen bedeutende
+Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr
+gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen
+verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen
+&ldquo;Seeraeubern&rdquo;, die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern,
+vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein
+dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe
+war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo.
+</p>
+
+<p>
+So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, dass
+wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert wurden,
+sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben trat.
+Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe wert
+fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die
+seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln,
+die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/>
+Recht und Gericht</h2>
+
+<p>
+Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen,
+vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung der
+Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des
+einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden,
+sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustaende,
+wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese
+aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil
+die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker
+trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen
+laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten
+Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, dass sie
+einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu
+lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer
+und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie
+denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der
+Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die
+Schrift den Voelkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig
+auch hier unser Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das
+der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und
+lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine
+Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich
+hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den
+Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen Zustaenden
+verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen
+indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der
+Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der
+Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus -
+alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als
+Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns
+zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und
+nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr einstmaliges
+Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit
+spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche
+und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.
+</p>
+
+<p>
+Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur von
+dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde auf
+uns gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem
+Koenig, welcher Gericht oder &ldquo;Gebot&rdquo; (ius) haelt an den Spruchtagen
+(dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem
+Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor
+ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber
+die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste
+maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als
+Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte
+die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine
+eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des
+dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen
+Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der
+koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur.
+Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich
+vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die
+Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die
+Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon
+bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die
+Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt
+unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den
+Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht
+zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in
+diesem, was in jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen
+Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder
+doch zulaessig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder
+Privatprozess, je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des
+Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede
+gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der
+Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung
+gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder (parricida), der
+Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder Frauenehre, der
+Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch boesen Zauber
+bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und des Volkes
+ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen
+Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess
+eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den
+zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem
+er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung
+an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen werden;
+die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner fuer
+Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren staendigen
+Stellvertreter, die &ldquo;Mordspuerer&rdquo; (quaestores parricidii), denen
+zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse
+polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber
+wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist
+Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden.
+Folterung zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer
+ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem
+Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom
+Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt.
+Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber
+kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder
+verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten
+Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall
+tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus
+betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher
+geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der
+Vesta zufaellig begegnet.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Dieser &ldquo;Wagenstuhl&rdquo; - eine andere Erklaerung ist sprachlich
+nicht wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in
+der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war,
+woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten
+blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab,
+auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24)
+sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten;
+dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe;
+dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder des
+Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass aber infolge
+goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die
+ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur
+gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine
+Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der
+Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden
+Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch
+verwirrt oder zurechtgemacht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der
+Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name
+multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner
+Hand.
+</p>
+
+<p>
+In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede
+verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher
+den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm
+persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der
+Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in
+gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen
+oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die
+regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich
+zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein,
+wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne
+(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine
+gerechte Forderung nicht erfuellt ward.
+</p>
+
+<p>
+Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und
+wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht
+bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat
+ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die
+Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen
+diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht
+imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte
+Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann
+zugesprochen.
+</p>
+
+<p>
+Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den leichteren
+Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe
+ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn
+um Zahn.
+</p>
+
+<p>
+Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft
+benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden ist, sich
+nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem &ldquo;Sklaven- und
+Viehstand&rdquo; (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben
+gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles
+Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben
+und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in
+dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben.
+Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen
+wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit
+ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und
+kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das
+vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die
+Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche
+Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch
+versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein
+Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den
+Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen
+Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen
+jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die
+Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine
+Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter
+Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das
+Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine
+groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die
+beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und
+Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht
+miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit
+Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen
+Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente
+sind rechtlich unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig
+kennt, dient die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den
+Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort
+(fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern
+und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner
+zurueckzustellen.
+</p>
+
+<p>
+Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die
+Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten
+(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die
+Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf
+Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach
+kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig
+hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern.
+Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die
+versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner
+der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich
+abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die
+Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den
+bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer
+anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war,
+geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem
+Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss
+der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der
+Verkaeufer wie der Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen;
+widrigenfalls buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm
+entwendet haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug
+um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum
+und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen,
+indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer
+unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem
+Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen
+wohl fuer das Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte
+seinerzeit auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem
+Staat gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres
+mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur
+Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung
+seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die
+Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das
+Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmaessig
+der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den
+geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte.
+Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede
+Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei
+wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, bei
+geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht
+gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum
+Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und,
+ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte verstreichen lassen;
+ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmaessig der
+Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte,
+unterlag dem Exekutionsverfahren &ldquo;durch Handanlegung&rdquo; (manus
+iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht
+stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte
+der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten
+und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das
+Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter
+persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der
+Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung
+ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn
+abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage
+verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt
+ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und
+dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu
+toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und
+seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an
+Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der
+roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave
+werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den
+Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den
+zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die
+Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums
+gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die
+Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht.
+Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt
+zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben
+werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das
+Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die
+Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird
+demnach eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch
+der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die
+Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen
+Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete
+die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass
+nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten.
+</p>
+
+<p>
+^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals
+(uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche
+zehn vom Hundert.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung
+des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen
+und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut
+desselben berief.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle
+Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit
+den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der
+gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen
+der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester
+einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig
+geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien
+Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand,
+diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein
+Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen
+des Verstorbenen gemaess verteilte.
+</p>
+
+<p>
+Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte
+freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen
+dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger
+Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren
+der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die
+Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem
+Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach
+Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo
+sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber
+anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine
+eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der
+beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -,
+sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst
+darbot: das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei
+Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven
+freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber
+vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste
+einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber
+wohl als frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und
+demnach anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere
+Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes;
+denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich
+loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste
+spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft
+eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwaertigen
+Periode aber kann es eine Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.
+</p>
+
+<p>
+Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen
+denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche
+Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen
+Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er
+wie seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht
+erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das
+Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische
+Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer
+gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger
+nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem
+Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern
+dem Staat, und hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben
+oder zurueckzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere
+Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen
+gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und
+Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und
+verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor
+geschworenen &ldquo;Wiederschaffern&rdquo; (reciperatores), welche, da sie,
+gegen den sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu
+uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein
+aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und
+Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages
+und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen,
+in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren
+natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander
+verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine
+Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren
+Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach.
+</p>
+
+<p>
+In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen
+Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und
+anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge
+abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium)
+geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat.
+Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der
+&ldquo;Wandel&rdquo; (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die
+nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden
+Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus
+einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden
+entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum
+charakteristisch, dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch
+wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen
+carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide
+Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen
+Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der latinischen
+Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld zu borgen und der
+Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten die Folge des nicht
+bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des
+syrakusanischen Gefaengnisses, &ldquo;Steinbrueche&rdquo; oder λατομίαι, in
+alter Zeit auf das erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae
+uebertragen.
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen,
+die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes Jahrhundert
+nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des roemischen
+Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer
+einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin
+das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker-
+und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die
+deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig verschollen. Es
+unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den Italikern einmal
+vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum Beispiel die Form
+der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach deutscher Sitte
+ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem die uralte
+latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den
+Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das &ldquo;reine
+Kraut&rdquo; (herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen
+Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit
+wenigen Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen
+Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das
+Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische
+Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen
+Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des
+Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung
+der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher
+Weise erklaert haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in
+die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das
+Haupt zu verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes
+einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem
+roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus
+der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward,
+wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist
+hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen
+Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der
+Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder
+Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb
+des Staates zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen
+Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung
+des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl
+einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des
+Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger
+den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine
+Spur sich finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in
+Gedanken erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar
+vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht;
+aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet
+ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem
+Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der
+Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im
+weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder
+stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag
+gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament
+nur, insofern die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des
+oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen
+den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer
+Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast,
+welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des
+Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern
+hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste
+Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren;
+ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der
+strenge Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse
+stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende
+Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den
+Maennern voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt
+sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste
+Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist
+in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst
+charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern
+anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das
+Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf
+den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um
+nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den
+Glaeubiger befugt, den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu
+behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum
+Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den
+Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der
+Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich
+unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit
+herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit
+unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh
+anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh
+ausgesprochene Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser
+Staat, der das Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der
+Untertaenigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor
+oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des
+Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie
+beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie
+der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger
+gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des
+Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends
+eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Beruecksichtigung sich
+zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten
+Spitzen hervorzukehren, die aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische
+des Rechtsbegriffs gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die
+poetische Form, die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen
+Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist
+alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist
+nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die
+Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des
+roemischen Rechts, den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen
+muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge,
+die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis,
+denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die
+Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den
+Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Groesse
+Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht gesetzt
+und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit und der
+Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und ungemildert
+walteten und heute noch walten.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/>
+Religion</h2>
+
+<p>
+Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward,
+hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und
+idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine
+wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne
+Naturereignis wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und
+Gegenstand, ja jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in
+der roemischen Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge
+flutet im ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis.
+Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger
+als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und
+stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige
+Dauer zu, als aehnliche Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch
+gleichartige Geister immer aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber
+der roemischen, walten ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene
+Gottheiten; wie schroff auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem
+fremden Gott entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde
+Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und
+wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden auch
+wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu bereiten.
+</p>
+
+<p>
+Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit den
+Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der
+oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde,
+das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus
+dem roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in
+demselben nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des
+letzteren, dem Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus)
+heilig, ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter
+noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem &ldquo;boesen Jovis&rdquo;
+(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das
+Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem
+Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen
+(equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des Schildschmiedens
+(equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des Waffentanzes auf der Dingstaette
+(quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine
+Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste
+begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine
+Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten
+Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den
+uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen die erste
+Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle spielen. Hierher
+gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der
+Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh),
+und am 19. der Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia),
+dann am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter
+als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden
+Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der
+Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird
+nach vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und
+der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops
+ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21.
+August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen
+der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember,
+Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die sinnige Anschauung
+der alten Festordner das Fest der Aussaat (Saturnalia von Saëturnus oder
+Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder
+Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most
+heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese
+dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes
+(Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am
+Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des
+guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) der
+Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21.
+Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier
+(Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne
+herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).
+</p>
+
+<p>
+Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums
+sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See
+(Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des
+Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in
+diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der
+Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag
+(Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium,
+23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis
+(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der
+Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten
+verehrt ward.
+</p>
+
+<p>
+Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin des
+Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia,
+9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des
+Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das
+Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige
+Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen
+Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der
+Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5.
+Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das
+Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch
+dem Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar)
+gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter
+und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23.
+Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der
+&ldquo;Morgenmutter&rdquo; oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu
+erinnern hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die
+Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin
+ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus
+geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward,
+spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und
+wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel-
+und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in dem,
+was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine sonst
+fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der
+altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese
+Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch
+stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen
+Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet;
+noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss
+des roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen
+Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war
+allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend
+gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind
+niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art,
+dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten
+und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer
+Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen
+Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen
+Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und
+sabellischen der erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die
+sonst ebenfalls keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius
+seit uralter Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen
+Specht knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige
+Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was
+von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht
+ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den
+Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine
+reinere und mehr buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der
+roemischen Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der
+Priester des Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht;
+aber eine sehr hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben,
+und es ist sogar ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt
+wurde, Jovis neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der
+wahrhafte Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen
+Gemeinde auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war,
+wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte
+&ldquo;Sorgenbrecher&rdquo;, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt
+des herzerfreuenden Weines.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch
+verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in ŏ (aehnlich
+wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform Mar-Mor
+(vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im
+einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren
+eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben.
+Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der
+hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer
+Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen
+jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen
+als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit:
+&ldquo;bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib&rdquo;; dafuer der
+tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde
+unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott
+bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest
+dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und
+nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die
+Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer
+weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der
+Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder
+auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn
+dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen-
+und Ideenkreis erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner
+urspruenglichen nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch
+sittlicher Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen
+und geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion
+nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich
+waere. Sie weiss wohl auch von einem &ldquo;schlimmen Gott&rdquo; (Ve-diovis),
+von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der
+boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls
+(laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch
+auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit
+dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen,
+welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen
+soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen
+der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war
+jedem offenbar.
+</p>
+
+<p>
+Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen
+Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch
+auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu
+Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um
+darnach die Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre
+richtige Anrufung der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich
+abgezogenen Begriffen von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb
+laecherlichen Schlichtheit ging die roemische Theologie wesentlich auf;
+Vorstellungen wie Saat (saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und
+Grenzstein (terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen
+Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen
+Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich italisches
+Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und doch liegt in ihm
+eben nichts als die fuer die aengstliche roemische Religiositaet bezeichnende
+Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst der &ldquo;Geist der
+Eroeffnung&rdquo; anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon, dass es
+ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen
+zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder
+fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der
+Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im
+oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der
+der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit
+ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des
+aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in
+der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten
+als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung
+verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und
+allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das
+fromme Herz die meiste Nahrung fand.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und
+er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor
+dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn
+unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach
+zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich
+oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger
+aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht
+der erste ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren,
+dass in dieser Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der
+Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der
+Januarius an der Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den
+Bereich des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die
+praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der
+oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und
+Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das
+ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl,
+dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin
+(fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr
+hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon
+sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge
+Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen
+Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten
+Kern zu durchdringen.
+</p>
+
+<p>
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die &ldquo;Guten&rdquo; (manes) lebten schattenhaft
+weiter, gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von
+den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe
+und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde
+waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der griechische
+Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und schlecht die
+Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz unroemische
+Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, der aelteste und
+ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie als Gott verehrt
+worden wie Theseus in Athen.
+</p>
+
+<p>
+Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf
+Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der &ldquo;Zuender des
+Mars&rdquo; (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt
+ward, und die zwoelf &ldquo;Springer&rdquo; (salii), eine Schar junger Leute,
+die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass
+die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des
+roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des
+flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde - der salii collini -
+herbeifuehrte, ist bereits frueher auseinandergesetzt worden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit ueber
+Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder
+Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des
+Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen
+Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine
+derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf
+&ldquo;Ackerbrueder&rdquo; (fratres arvales), welche die &ldquo;schaffende
+Goettin&rdquo; (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der Saaten; obwohl
+es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser Epoche dasjenige
+besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden.
+Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der
+roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde
+der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales).
+Das schon erwaehnte &ldquo;Wolfsfest&rdquo; (lupercalia) wurde fuer die
+Beschirmung der Herden dem &ldquo;guenstigen Gotte&rdquo; (faunus) von dem
+Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen
+Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die
+&ldquo;Woelfe&rdquo; (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen
+und wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern
+gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich
+neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die
+neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal
+gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom
+Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der
+gesamten roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der
+Flamen Dialis, bildet mit den beiden Marspriestern die heilige
+oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen
+Stadtherdes - der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs
+keusche Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen
+Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes
+den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es
+war dieser haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen,
+wie er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen
+Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der
+Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine
+besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen
+anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter
+Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte
+stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei sie einzelnen - zum
+Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen
+eigenen Zuender bestellte, sodass deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber
+sorgfaeltig unterschied man unter ihnen jene drei &ldquo;grossen Zuender&rdquo;
+(flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern
+genommen werden konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der
+palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen
+Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden
+Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften oder
+staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung der
+vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln
+gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen.
+</p>
+
+<p>
+Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der
+sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu
+bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen
+nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen
+und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten
+Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster gebildet zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der
+einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen
+treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten
+und Diener ihnen weihen.
+</p>
+
+<p>
+Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an
+den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder
+Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich
+durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft
+durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das
+urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es
+ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine
+eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es
+aber recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln,
+sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen.
+Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige
+Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische
+Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat
+als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft
+verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die
+Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die
+Bewahrung der Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen
+Verrichtungen, deren richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und
+fuer deren treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese
+geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden
+Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und
+Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der latinischen
+Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich nur zwei: das der
+Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs &ldquo;Voegelfuehrer&rdquo;
+(augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug der Voegel zu deuten,
+welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein gleichsam
+wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs &ldquo;Brueckenbauer&rdquo;
+(pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch
+wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es
+waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen
+verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu
+fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu
+sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage
+vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen
+Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und
+Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das
+goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und
+Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter
+dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine
+Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und
+was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres
+Wissens &ldquo;die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge&rdquo;. In der Tat
+sind die Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der
+Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen.
+Denn wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch
+anknuepft, musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach
+der Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung
+nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden,
+das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben
+allein kompetent war.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen
+Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B.
+Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus
+der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht.
+Jene also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines,
+Saliern, Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn
+sacris faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die
+Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom
+beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der
+Pontifices, ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein
+latinische Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen
+eingedrungen, oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich
+hat, pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.
+</p>
+
+<p>
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. Dass
+die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35,
+96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl
+der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade
+Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum
+Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14),
+indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl
+der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten
+Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig
+Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als
+lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden
+durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen
+Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die
+Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die
+Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis,
+Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige und
+umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am
+wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern
+sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu
+erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der
+vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf
+ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob
+und wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und
+verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso
+kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht
+anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit
+unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem
+Grundsatz, dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu
+verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger
+dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung
+beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in
+untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt
+sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und
+Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall
+bei den ackerbauenden, regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden
+Voelkerschaften war auch in Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und
+Gottesdienst; das Schwein ist den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur
+darum, weil es der gewoehnliche Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie
+alle Ueberschwenglichkeit des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen
+zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten
+Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie
+wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit
+eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von
+solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. Wohl
+liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und irdische Strafe
+auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen gegen die Gottheit,
+diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen auch der latinischen
+Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein
+der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene
+Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am
+Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten
+Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet
+hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen bestimmten
+Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer sich freiwillig
+hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich schliessen,
+halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein braver Buerger sich
+als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher
+Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was
+der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man
+dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des latinischen
+Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne
+irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich
+beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht ueberwiesen
+ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer
+Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens
+bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer
+Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden;
+kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung
+ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von Gespensterglauben,
+Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern verhaeltnismaessig
+sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in Italien niemals die
+Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das private und
+oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist
+dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und
+Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen
+Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor allen
+Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer Zwecke; wie
+denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung auf das
+Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht minder
+scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter
+stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder
+von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und
+Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente
+des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines
+jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame
+und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich
+bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und
+dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen.
+Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit
+derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen
+Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es
+seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein:
+das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen
+dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine
+gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein
+Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte
+Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle
+Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner
+konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben
+nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen
+lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und
+genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe
+dar, um auf deren statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem
+Vater Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer
+jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die
+Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt
+mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch
+scheinhafte Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische
+Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber
+keineswegs jenes Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen
+Gottheit, das den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde
+liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von
+demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr
+genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass
+eine solche Religion die kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel
+mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven
+Gedanken der Urzeit mit menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese
+Goetterideen nicht bloss die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst,
+sondern sie erlangten auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die
+tiefste Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller
+Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu
+kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen
+Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die griechische
+Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale
+Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe
+und Weite sich auszudehnen, bevor die Phantasie und die Spekulation das
+Gefaess, das sie gehegt hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die
+Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der
+Kuenstler noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die
+latinische Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der
+Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer irdischen
+Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild seine Staette
+(templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von Menschenhand gemacht, schienen
+die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu befangen. Darum war der
+urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und
+wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in
+frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut
+ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas
+zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit Ausnahme etwa
+des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr eigentuemliches
+Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach Puppen und
+Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der
+roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische
+Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und
+blieben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer
+finden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der
+praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs,
+war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, formuliertes
+Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen Bevormundung des
+Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle der
+Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht
+der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der
+ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des
+Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten
+kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen
+Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den
+Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte
+Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens
+voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist.
+Man wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion
+diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch
+war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den
+verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den
+Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten
+Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein
+verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden
+anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf
+dem Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur
+ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des
+staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem
+voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches
+zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim
+gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube,
+auf dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige
+Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht;
+vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und,
+nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner
+gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der
+verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also
+die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen
+geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung
+durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze
+Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung.
+</p>
+
+<p>
+Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und
+Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel
+hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht
+bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung,
+soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um
+Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich alles,
+was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales Gemeingut ist.
+Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die
+latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen
+Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich;
+und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit,
+waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand,
+von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie
+gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich
+hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der oberflaechlichen
+Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht, weil er klar ist,
+kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser innige Glaube
+verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor
+der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist also
+spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die
+naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie
+die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind
+Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer
+des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die
+Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der
+naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich
+bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen,
+welche jene immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf,
+machte es ihnen unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie
+buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die
+Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es
+waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften
+Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die
+Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die
+Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen Organismen,
+die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es
+zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit
+bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen
+liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner
+Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich
+allein war gross genug, weder das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das
+Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die
+Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen
+Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein
+humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der
+nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von
+beiden zu lernen.
+</p>
+
+<p>
+Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten
+durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen
+Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem
+Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts
+an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von
+alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und
+Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits
+gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind,
+ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von
+lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare),
+welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach
+sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden
+Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr
+wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der
+griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die
+griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im
+ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch
+das - wie es scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend
+seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten
+empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche
+erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh
+bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der
+kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen
+Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in
+fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range
+nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis)
+bestellt, auch fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von
+Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften
+Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines
+gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und
+wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten
+schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber
+diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen
+Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische
+Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon Aperta, der
+Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren
+Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als
+Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentuemlicher
+Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns
+und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn
+der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des
+errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt
+dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der
+kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar
+geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem
+alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung
+des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit
+einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den
+Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die
+Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der
+Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios
+oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren
+oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der
+&ldquo;guten Goettin&rdquo; (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen
+δάμιον oder δήμιον, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen.
+Auf alter Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer
+spaeter als &ldquo;Vater Befreier&rdquo; gefasst ward und mit dem Weingott der
+Griechen, dem &ldquo;Loeser&rdquo; (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der
+roemische Gott der Tiefe der &ldquo;Reichtumspender&rdquo; (Pluton - Dis pater)
+hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch
+Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst
+Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die
+aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der
+ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem
+roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege,
+durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen,
+dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser
+Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf
+Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen
+Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst
+Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte
+Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die
+Runen erinnert.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer
+Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage
+von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im
+grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung des
+Volkes, bei dem wir sie finden.
+</p>
+
+<p>
+Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu
+schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die
+latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
+der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen
+Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie
+gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau
+war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die
+Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo
+wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der
+Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden
+Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus
+diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den
+charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.
+</p>
+
+<p>
+Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind,
+redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch
+langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche
+Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet.
+Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher
+Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere
+Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die
+duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich
+entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat
+nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik
+und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des
+etruskischen Volkes begruendet.
+</p>
+
+<p>
+Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen
+Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt
+treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den
+Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der
+Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer,
+in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe
+friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen &ldquo;guten Geister&rdquo;, wie
+die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die
+armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von
+dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und
+einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den
+Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der
+Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der
+Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach
+gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen
+Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die
+Etrusker frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie
+denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der
+etruskischen Weisheit spielen.
+</p>
+
+<p>
+Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und
+Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter;
+allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im
+allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im
+Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie
+zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man
+suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt
+schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit
+nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der
+Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je
+seltsamer die Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto
+sicherer gab er an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden
+koenne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle
+ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden
+Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit
+grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden,
+Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und
+altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, also Tages
+hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine
+Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten;
+wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes
+erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes
+Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder
+durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den
+eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und
+dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die
+Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen
+widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie
+ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den
+Roemern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel.
+</p>
+
+<p>
+Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie von
+dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten
+Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren
+Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber
+befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch
+wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die
+Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und
+Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch
+ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen
+gewesen zu sein.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/>
+Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</h2>
+
+<p>
+Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der
+aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf
+dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden,
+anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die
+roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung
+der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der
+Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen
+nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien
+in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall,
+je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem
+Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass jedes
+Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die Anlage neuer
+Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige Mauerring sich
+erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom,
+ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit
+sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der
+Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der
+Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die
+Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des roemischen
+Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und also die Rechte
+und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit ruhten,
+beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die daraus
+drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem
+sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer
+allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht
+auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der
+Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik
+der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansaessigkeit; wie im
+Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl
+der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward
+entweder genoetigt, ganz in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn
+es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution
+oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich
+eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische Bauernhoefe
+entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die Roemer; aber keines
+hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also im Schweisse seines
+Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der
+Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg
+wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn
+die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen
+Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern
+an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des
+Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und
+unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die geschlossene
+Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft.
+</p>
+
+<p>
+Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den
+einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die
+einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits
+angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich
+zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und
+Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische
+Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in
+Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu
+Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die
+aelteste Bezeichnung des Vermoegens als &ldquo;Viehstand&rdquo; (pecunia) oder
+&ldquo;Sklaven- und Viehstand&rdquo; (familia pecuniaque) und des Sonderguts
+der Hauskinder und Sklaven als &ldquo;Schaefchen&rdquo; (peculium); ferner die
+aelteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur
+fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des
+&ldquo;Eigenlandes&rdquo; (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder
+preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann ^3. Wann
+und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, laesst sich nicht
+mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die aelteste
+Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die
+Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten
+Acker voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse
+des Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu
+tun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des
+Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe
+ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward,
+schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten
+Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die
+Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den
+Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem
+wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde
+doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen.
+Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der
+roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste
+roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war.
+</p>
+
+<p>
+^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des
+Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et
+locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat,
+divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig
+Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest
+einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16).
+</p>
+
+<p>
+^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die
+Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der
+Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf
+roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines
+Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es
+lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt,
+50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer
+arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen.
+Die Frage, ob eine roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht,
+mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt
+sich darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie
+Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die
+Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig,
+aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen,
+welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch,
+Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen
+abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die
+aeltere roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von
+untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das
+Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer
+sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne
+Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag
+abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit
+ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um
+Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit grossem
+Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt
+des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie genuegt doch weitaus
+nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches auch nach diesen
+Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens
+bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der
+Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines
+Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung
+einer Familie ausreichend herausstellt.
+</p>
+
+<p>
+Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen
+mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art
+(Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten,
+gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen,
+sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung
+gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das
+allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die
+gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben
+worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den
+Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den
+bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I,
+p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine
+Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums
+ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger
+bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von
+sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn
+war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese
+fleissig gezogen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis
+zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben
+koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. 1, 44,
+1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel
+Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert
+wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen betraechtlich
+hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte
+richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus
+dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den
+Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das
+Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch
+heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert nach
+Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber geringeren.
+Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort
+als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer
+Aussaat von ¼-½ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (=
+825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens sieben
+Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die
+Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt,
+verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem
+Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der
+Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern&rdquo;) weniger
+als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es
+zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und
+gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf
+Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht
+wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist
+genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als
+der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht
+unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren
+Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von
+Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der
+Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden
+ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender
+Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige
+Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein
+Fortschritt gewesen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach
+Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende
+Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem
+Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott,
+dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig
+Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert,
+wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu
+ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten
+italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und
+vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz
+der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und
+allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht
+hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der
+Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte;
+in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen
+Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso
+gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das
+Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte
+Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen
+Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das
+nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten
+Getreides untersagten.
+</p>
+
+<p>
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommen
+^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am
+westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der Oelzweig
+und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als
+der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt,
+beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit
+des Curtischen Teiches gepflanzt wurden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη entstanden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in
+Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren
+ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die
+roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen
+ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in
+allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21,
+interpoliert.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt
+die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen
+Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit verwandt
+worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh;
+zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige
+Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens
+auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr
+beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die
+gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders
+Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu
+pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so
+dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb
+war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene
+Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige
+Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die
+geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener
+war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle
+ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der
+Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das
+Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern
+uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; begann doch die roemische
+Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen
+und verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die
+Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch
+Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden
+achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in
+die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu
+besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und
+vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae);
+waehrend dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es
+ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der
+Stier.
+</p>
+
+<p>
+In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in aeltester
+Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen
+anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten
+Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu
+lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich
+entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen
+Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten.
+Der Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch,
+dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an
+der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete,
+teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende
+Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge
+zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie
+Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es
+auch sein mochte, dass die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben,
+so sorgte doch schon das aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen
+Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn
+Brueder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen
+Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn
+auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern
+nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die
+Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit
+und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin
+nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind,
+beweist schon die allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden
+Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch
+die Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl
+neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als
+Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte.
+Bei weitem schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes
+zu erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist
+nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert
+sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der
+notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran
+Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins Leben
+rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden
+kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt
+auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann
+fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition,
+wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an
+geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird
+urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er nicht
+selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen
+Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch
+jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder
+Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein
+Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des
+&ldquo;Bittbesitzes&rdquo; (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt
+diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel,
+um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser ihn
+jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den
+Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand
+sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom
+Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich
+naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines
+festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und
+den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten
+Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes
+geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das
+durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im
+letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch
+keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie
+nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner
+Mark abhaengigen Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen,
+dass die roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der
+Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz
+und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft
+erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein
+Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den
+Roemern fremd blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den
+Grundbesitz gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu
+und griff selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob,
+ein guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte
+er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der
+heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese
+Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den
+Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert.
+Die freien Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien,
+zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des
+Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es
+der kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist.
+Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem
+weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation
+nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven
+anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und
+infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu
+haben, als in der wir spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in
+der aelteren Epoche die &ldquo;Tageloehner&rdquo; (θήτες) vielfach an der
+Stelle der spaeteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei
+den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der
+Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische,
+sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders
+gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er
+als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und
+Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die
+Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem grossen
+Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine
+offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen.
+Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn
+auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es
+erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren
+die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und
+eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische
+Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn
+der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein
+Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren.
+</p>
+
+<p>
+Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat,
+nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide
+betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu
+anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem
+Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf
+dieselbe gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am
+Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen
+Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon
+deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen
+erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur
+ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes
+scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine
+untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl
+nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich
+unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt
+ward.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben
+aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der
+fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und
+in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter
+den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht
+Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der
+Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der
+Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die
+gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die
+Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde
+Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird.
+Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es
+bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit
+der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum
+Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die
+spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das
+staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen
+diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen
+sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der
+fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die
+steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen
+Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen
+Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach
+dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche
+Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse
+Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in
+dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das
+Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich
+nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst
+begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich
+auf die Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber
+doch wohl infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom
+Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den
+Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch
+organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der
+Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und politischen
+Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel
+denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden
+Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich zusammen, um die
+Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgendeiner
+Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren
+weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation -
+freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten
+so voellig versiegt wie ueber die Gewerke.
+</p>
+
+<p>
+Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der
+Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen
+(mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten
+(nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die
+internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit
+der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden
+haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten
+diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu
+erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch
+groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am
+Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii,
+welche zugleich als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten
+regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen
+war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage,
+wie sie nicht guenstiger zu finden war fuer den Warentausch unter den drei
+grossen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene
+wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an
+der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher
+letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und
+Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die
+roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den
+Sabinern herbei.
+</p>
+
+<p>
+Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste
+griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier
+halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus;
+hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen
+aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste
+Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen;
+sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein
+stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross-
+und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den
+Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern noch darueber
+hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in
+Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung und die Ruestung allgemein
+des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst
+die noetigen Metalle erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer
+(aes) auf, wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die
+&ldquo;Kupferung&rdquo; (aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers
+als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den
+spaeter noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer
+Erfindung und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses
+aeltesten sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen
+Voelker vorliegen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich
+daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu
+zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237,
+vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn
+nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier,
+wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem
+substituiert hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen
+(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen
+Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz
+unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und
+unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen
+zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische
+Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung
+ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser
+Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien
+Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch
+in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die
+aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken
+schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus
+Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils
+und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn
+natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie
+nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung
+der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen
+Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag
+dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und
+Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder
+selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der
+Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen
+sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter
+den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn
+auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste
+in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen
+Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck
+gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung
+ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in
+aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo
+von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur
+wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch
+griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass
+die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen
+sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit
+eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach
+Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen,
+aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter
+mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten
+Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem
+Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen
+die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher
+kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe
+Gebrauch der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen
+(λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch wohl ελέφας ebur;
+θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und
+Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1,
+200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens
+(κωμάζω comissari), des Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα
+massa) und verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς
+turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina
+πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische Griechisch Eingang
+gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und
+kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese
+sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach
+Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur
+Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος)
+bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich
+gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten
+Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt:
+Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9;
+ferner die griechische Benennung des Briefes (επιστολή epistula), der Marke
+(tessera, von τέσσαρα ^10), der Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes
+(αρραβών arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer
+Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende
+Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der
+barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor
+allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta
+= πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), ist der klarste Beweis ihres
+hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von
+Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum
+auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten
+als den Sohn der schoenen Maia.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen
+und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. 32),
+welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum Vorschein
+kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht
+bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von
+ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind
+griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora Anker άγκυρα, prora Vorderteil
+πρώρα, aplustre Schiffshinterteil άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende
+Strick άγκοινα, nausea Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo
+der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung,
+vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind,
+der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende
+Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche Namen; alle
+uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder
+aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ).
+</p>
+
+<p>
+^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά φυλακήν
+βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des
+Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung
+der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die
+Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf
+die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben.
+Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete
+Uebernahme des Wortes.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine
+Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst
+zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als
+seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann
+Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im
+Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide.
+</p>
+
+<p>
+Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente
+ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium
+und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle
+hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel
+fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig
+bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der
+uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward;
+dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua
+wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte
+Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium
+vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in
+allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit
+ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in
+Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu
+haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung
+gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck
+auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer
+Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher
+Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit
+nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat
+in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst
+die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben
+dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In
+Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und
+auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt
+ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber
+in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck
+hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach
+griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium,
+namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend
+Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und
+Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der
+Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die
+Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist.
+Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und
+nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland
+verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss
+die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so
+zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt,
+wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die
+tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel
+wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia
+sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten,
+anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das
+sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen
+gefunden hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons
+Geheiss geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der
+karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit
+den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist
+beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem
+Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben,
+welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen,
+wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt
+wurden. Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung
+beigelegt und namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle
+sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den
+Griechen, nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind.
+</p>
+
+<p>
+Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch
+Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme
+hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind,
+eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am
+deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen
+Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische
+weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und
+beide Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu
+anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern
+wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische
+Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes;
+der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes
+gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der
+tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax
+einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der
+samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische
+Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf
+den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin
+fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in
+Latium gefundene Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom
+bei den Volskern, Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie
+begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des
+latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische
+Bezeichnung der Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und
+hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die
+italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die
+zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium
+aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς,
+εζάς, ουγκία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen
+Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und
+Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in
+ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der
+zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht
+gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines
+sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen
+Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist &ldquo;Kupferpfund in
+Silber&rdquo;) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward.
+Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch
+in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit
+zusammen, dass der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und
+also das latinische Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten
+Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen
+Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den
+sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch
+von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten in
+Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und Massalia
+begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem
+weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte
+Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter
+- es genuegt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische
+Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie
+Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern
+auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben
+erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der
+Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat.
+Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den
+Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen,
+hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr
+stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen
+und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand
+Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer
+beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr
+der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen
+Zeugnis gebricht ^11.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen
+Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem
+Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben
+vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra
+und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst
+Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern
+eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den
+Aramaeern aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen
+Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig
+gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr
+ha ist, auch so nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort
+bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte
+thesaurus; mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus
+dem Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie
+schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches
+Lehnwort.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von
+italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so
+hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit
+fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des
+Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der
+Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass
+sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.
+</p>
+
+<p>
+Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in
+Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand
+selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund
+dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang
+an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme,
+die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren
+schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der
+von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von
+Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel
+musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und
+in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz
+zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht
+bekannt; die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die
+Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese
+Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung
+zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der
+latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom
+keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der
+Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/>
+Mass und Schrift</h2>
+
+<p>
+Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des
+Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst
+ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und
+Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen
+Bahnen zu folgen.
+</p>
+
+<p>
+Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen,
+raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen,
+das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die
+Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des
+Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der
+leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann
+mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder
+das &ldquo;Gewicht&rdquo; (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus
+gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren
+fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das
+Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens
+und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen und lateinischen
+Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich
+die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise,
+die zwischen den einzelnen Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt
+eingetretenen vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts
+zu zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner.
+Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche
+Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt die
+bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern
+bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten
+Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so
+gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an die
+gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des
+Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die
+Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus
+zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses
+aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern.
+Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und
+Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und
+unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X,
+offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der
+Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen den
+Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze
+zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der
+Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen
+Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen
+erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen.
+Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es
+gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins
+Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in
+denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen
+und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt
+worden sind, die Teilung des &ldquo;Ganzen&rdquo; (as) in zwoelf
+&ldquo;Einheiten&rdquo; (unciae) vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben
+die aeltesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und
+Arvalen sowie auch die etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl
+herrscht im roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass,
+wo der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des
+roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem
+zusammengesetzte &ldquo;Trieb&rdquo; (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im
+Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Urspruenglich sind sowohl &ldquo;actus&rdquo; Trieb, wie auch das noch
+haeufiger vorkommende Doppelte davon, &ldquo;iugerum&rdquo;, Joch, wie unser
+&ldquo;Morgen&rdquo; nicht Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen
+dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich
+in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein
+mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der
+Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden
+werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an
+der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf
+Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus
+gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff
+eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und
+vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen.
+</p>
+
+<p>
+Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das
+Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen
+Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des
+neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen;
+der, den wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war,
+ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen
+Einteilung in Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und
+sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in
+ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien
+herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der
+latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund
+wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich
+anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und
+buntscheckigste Bild aber bieten die roemischen Koerpermasse teils in den
+Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach
+μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung
+(acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption
+von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die
+gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius oder Chus,
+der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer trockene Waren, die
+roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und
+steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2,
+zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen
+versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung
+jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.
+</p>
+
+<p>
+Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer
+das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen
+der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer
+100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das
+Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das
+Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische
+im wesentlichen in Etrurien angenommen ward.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische
+Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter
+unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die
+Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am
+unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach
+zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt,
+lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden
+auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit
+hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier
+Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch
+die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich
+nicht bloss bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen,
+welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts,
+sondern von dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen,
+die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger
+Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer
+des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-,
+bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag
+die kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin
+begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der
+Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der
+Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme
+auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und
+die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die
+Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet
+gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und
+den Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker
+schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen
+Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit
+fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der
+Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung
+einer Frist von zehn Monaten als eines &ldquo;Ringes&rdquo; (annus) oder eines
+Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber
+auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der
+griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das
+Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des
+Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher
+zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es
+zusammenhaengen, dass in den Individualnamen der Monate - welche erst
+entstanden sein koennen, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst
+wurde -, namentlich in den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und
+Griechen, aber wohl die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das
+Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen
+Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels
+vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen es
+vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, wo die
+Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt haben; indes
+diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. Was wir von dem
+aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Staedte wissen - ueber
+die sabellische und etruskische Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -,
+beruht entschieden auf der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der
+Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und
+aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines
+Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der
+vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate
+sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch
+willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen
+Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass diese griechische
+Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist;
+die aelteste roemische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen laesst,
+weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der
+zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der
+Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies
+roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der
+einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius),
+die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen
+(iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis,
+sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen
+(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der
+Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der
+zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu
+dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein
+namenloser &ldquo;Arbeitsmonat&rdquo; (mercedonius) am Jahresschluss, also
+hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem
+altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in
+der Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und
+sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden,
+abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten
+Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm
+gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und
+achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner
+einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und
+einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 +
+383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der
+urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige
+Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen
+Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und
+setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein
+fuer allemal das erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den
+siebenten, in den neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen
+auf den fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest
+geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der
+zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu
+werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae).
+Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde
+- der roemischen Sitte gemaess, den Zieltag der Frist mit in dieselbe
+einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt
+den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen
+Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsaechlich der
+Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und
+wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so
+tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in
+Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren
+des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, so
+deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem
+Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs
+so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den
+Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht anders als
+mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den
+Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat,
+hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes
+Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten
+roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische
+Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der
+allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere
+Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer
+gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem
+Kalenderschema, das tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht
+zu ihren willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen,
+wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen
+schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien
+aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen
+Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere
+untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem
+Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder
+15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45
+Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die
+geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das
+Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen
+wird.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der
+Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige
+Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist.
+Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene
+Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung
+der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes
+infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden
+Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat.
+</p>
+
+<p>
+Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben
+sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den
+italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus
+hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit
+Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden
+koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen
+Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die
+Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und
+heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu
+Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht;
+und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame
+Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in
+dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann,
+erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn
+auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden
+ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in
+hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten
+aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch
+Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die
+Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a
+e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der
+Silbe in die Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei
+Euripides sagt:
+</p>
+
+<p>
+Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
+</p>
+
+<p>
+Fuegt ich lautlos&rsquo; und lautende in Silben ein
+</p>
+
+<p>
+Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.
+</p>
+
+<p>
+Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht
+worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die
+Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme
+oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des
+internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt
+sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das
+aelteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren,
+namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen
+fuer υ γ λ ^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das
+latinische Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus
+dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien
+und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische
+Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4
+und vom r nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur
+ein einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast
+nur die juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile
+nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in
+abgesetzten Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt,
+soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts
+oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener,
+bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte
+Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine
+sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da
+die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene
+Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet,
+das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige
+Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der
+griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im
+Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im
+ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in
+Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden
+hat, sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen
+Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht
+hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel,
+dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die
+juengeren AA, R und &gt;, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich
+nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen
+Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich des griechischen
+Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem
+verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das
+wir in Rom finden, und dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu
+ziehen, dass in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin,
+dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem vokalisierten
+und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten Vorschlaege
+zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und dass jeder
+dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser
+Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu
+behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.
+</p>
+
+<p>
+I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so
+alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta
+alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten
+Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl
+dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in
+dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und
+Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme
+gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des
+Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag
+zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des
+phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten
+deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι, aber das Χ nicht
+fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich fuer χι erfundene Zeichen
+liess man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man
+es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte
+auch Athen, nur dass hier nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht
+angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
+</p>
+
+<p>
+II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die
+naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche
+uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide
+Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit
+muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen
+Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten,
+wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und
+das achtzehnte (Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren
+vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln,
+in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das
+Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewoehnlichere war
+und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das
+gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der
+Form M auch neben dem І festhielten.
+</p>
+
+<p>
+III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch
+V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth
+abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem γ statt
+der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben.
+</p>
+
+<p>
+IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p p und r
+P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere
+Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achaeern
+und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem
+eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist
+die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie
+die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter.
+</p>
+
+<p>
+Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in
+aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln
+des Aegaeischen Meeres.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten
+Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen
+Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die
+vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des
+griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle
+Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer
+die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten
+ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets
+unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen
+Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege
+verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme
+geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X
+als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23
+und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das
+kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen
+ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es
+haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den
+verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch
+verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben
+insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie
+zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften
+die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis
+standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen
+Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und dorischen mehr
+kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgaengig
+die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen
+angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich
+gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen
+Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der
+italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die
+Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide
+unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die
+verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben
+bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen
+ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei
+ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner
+ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als
+dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es
+empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei
+den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen
+Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet.
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht
+zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur
+desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen
+Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf
+jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein
+gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu
+diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss
+stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als
+den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die
+Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden
+Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem
+nach Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in
+dem chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich
+eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet
+zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes
+Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer
+und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische
+Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im
+Alphabet festgehalten.
+</p>
+
+<p>
+^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887),
+unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer
+Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das raetselhafte
+Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI 52, 1880) die
+aeltere Form des r.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die
+Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen
+schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor
+Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische
+Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes
+etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist -
+offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der
+Buchstabenschrift in Etrurien.
+</p>
+
+<p>
+Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte
+dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger;
+denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der
+noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden.
+In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im
+wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der
+Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana
+beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina
+aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den
+Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits
+derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und
+Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des
+Alphabets, welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter
+Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht
+mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens
+f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese
+Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend
+sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen
+sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im
+weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den
+Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen
+Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo
+wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des
+Alphabets aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen
+Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in
+einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer
+wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das
+reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so
+versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet
+nach Italien gelangte.
+</p>
+
+<p>
+Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden,
+Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf
+Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich
+behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmaehlich lautlich zusammen, wovon die
+Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift
+verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten
+Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und
+literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer
+nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und κ k
+noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute
+in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem
+die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege
+liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung
+eines konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist
+verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der
+Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der
+aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi
+Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die
+Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom
+sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden
+aus der Koenigszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen
+Gabii und Rom, den ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses
+Namens, abschloss, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten
+Stiers, in dem an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande
+entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des
+Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch
+Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah -
+freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars
+hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall grub, ist
+nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch
+die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische
+Urkunde und das gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte
+man (exarare, scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher
+littera) auf Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni),
+spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen
+Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso
+die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem
+Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch
+noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die
+Anrede im Senat &ldquo;Vaeter und Eingeschriebene&rdquo; (patres conscripti),
+an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen
+und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten
+Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und
+Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muss
+nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht
+einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der aeltesten roemischen
+Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit,
+die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu
+verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von
+Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu
+begehren und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene
+schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht
+verweigert haben wuerde.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen sein,
+welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir Truemmer
+besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung
+niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf
+das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande
+vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals
+erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus,
+dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie
+aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum
+Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue
+Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann.
+</p>
+
+<p>
+^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen
+hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von κ.
+</p>
+
+<p>
+^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen
+gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c, sondern durch G (GAL
+Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a
+durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man
+den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C
+ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q.
+</p>
+
+<p>
+^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn
+auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die
+Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850);
+denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der
+Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen
+Zeit an.
+</p>
+
+<p>
+^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache
+und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz
+zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht
+von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, dass sie das
+Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten,
+die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem
+Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese
+Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die
+spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische
+Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig
+wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus
+Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur
+sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen
+Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal
+das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja
+wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker,
+die von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v
+entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat
+die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit
+zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen
+Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet
+angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav
+Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein
+aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die
+Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben
+besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten
+untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die Roemer γ
+einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den
+Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich
+Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den
+Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der
+Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt,
+beschraenkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen,
+der spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren
+Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und
+zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen
+Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen
+allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und
+Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr
+Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung
+der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in
+Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere
+als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo
+ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von
+dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren
+bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste
+als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen
+ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den
+Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die
+suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird
+der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit
+zu dieser Erscheinung beigetragen haben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap15"></a>KAPITEL XV.<br/>
+Die Kunst</h2>
+
+<p>
+Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern
+ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise
+begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es fehlt dem
+Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu
+idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste
+der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen
+vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei
+Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die
+guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie
+und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische
+Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und
+Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation
+gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber
+Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und
+ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen
+literarischen Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und
+Geschichtbuecher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind
+doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in
+der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent
+weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich
+steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und
+herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet,
+insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches
+unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen
+ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal
+vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist
+er denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause
+und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der
+neuen der Meister aller Nationen geworden.
+</p>
+
+<p>
+Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die
+Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens
+zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie
+reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie
+jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen
+Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich
+durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten
+Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener
+hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische
+Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den
+Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene
+geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in
+roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die
+Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei
+Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke
+nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren
+vielleicht die aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die
+&ldquo;Springer&rdquo; und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei
+keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen,
+weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo
+aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in
+aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei
+keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der
+uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im
+Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205),
+deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen
+roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert
+und suessen Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der
+Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige
+Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt
+sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und gewissermassen
+Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder dem Taenzer zur
+Begleitung seiner Spruenge dienen.
+</p>
+
+<p>
+Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen
+Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der &ldquo;guenstige
+Geist&rdquo; (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das
+verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in
+rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen
+weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates)
+verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen
+Krankheiten und anderes Ungemach und die boesen Lieder, durch welche man dem
+Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das
+andere lockt; nur dass in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine
+Klangformeln erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die
+religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen
+und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich
+als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder zum Preise des Mars,
+wohl auch hier eine Stelle verdient:
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den
+Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich
+seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich
+daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern
+eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend,
+die Worte spricht: &ldquo;Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde
+empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil&rdquo; (terra pestem teneto,
+salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Enos, Lases, iuvate!
+</p>
+
+<p>
+Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+</p>
+
+<p>
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
+</p>
+
+<p>
+Semunis alternei advocapit conctos!
+</p>
+
+<p>
+Enos, Marmar, invato!
+</p>
+
+<p>
+Triumpe! ^2
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas
+incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera
+(limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die
+ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die
+Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.
+</p>
+
+<p>
+Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi
+med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai pakariuois
+- duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich =
+die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter;
+bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und
+oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et,
+hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+an die Goetter Uns, Laren, helfet!
+</p>
+
+<p>
+                          Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,
+</p>
+
+<p>
+                          lass einstuermen auf mehrere.
+</p>
+
+<p>
+                          Satt sei, grauser Mars!
+</p>
+
+<p>
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!
+
+</p> <p>
+Brueder
+</p>
+
+<p>
+an alle
+</p>
+
+<p>
+Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen
+</p>
+
+<p>
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+</p>
+
+<p>
+an die einzelnen Springe!
+</p>
+
+<p>
+Brueder
+</p>
+
+<p>
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen
+Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten
+Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf
+Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl
+duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den
+indischen Veden vergleichen.
+</p>
+
+<p>
+Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass es in
+Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde sich aus
+dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr
+alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. Wichtiger
+aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward,
+so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm
+unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen
+wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter
+auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der
+Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne Begleitung
+bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem Gastmahl der
+Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen entlehnte
+Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht
+sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus dem
+lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.
+</p>
+
+<p>
+Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber die
+Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder
+der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den
+Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den
+Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht
+mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der
+Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend
+einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden
+hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der
+fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer
+volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das
+Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und
+Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.
+</p>
+
+<p>
+Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. Dass
+die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum
+Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen
+wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig
+verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in
+dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte
+von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das
+Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.
+</p>
+
+<p>
+Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; die
+Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten
+metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen
+begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3
+oder faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig
+mit der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich
+einer weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine
+Vorstellung geben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das &ldquo;Liedermass&rdquo;, insofern
+die sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben
+Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Sāturnus benannt;
+sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist
+moeglich, dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt
+wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und
+vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem
+Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der
+spaeteren Zeit an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta
+</p>
+
+<p>
+Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto
+</p>
+
+<p>
+Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes
+</p>
+
+<p>
+Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto
+</p>
+
+<p>
+Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes
+</p>
+
+<p>
+Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand,
+</p>
+
+<p>
+Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf,
+</p>
+
+<p>
+Zu Weih&rsquo; und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder
+</p>
+
+<p>
+Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten;
+</p>
+
+<p>
+Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest.
+</p>
+
+<p>
+In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig
+gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass
+namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei
+Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die
+saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum
+vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl
+das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen
+sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das
+der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten
+iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere
+poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln.
+</p>
+
+<p>
+Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die
+ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns
+verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als
+einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie
+der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten
+musikalischen Instrument.
+</p>
+
+<p>
+Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen
+Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der
+Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig
+wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der
+italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der
+aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht
+eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die
+Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in
+Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da
+jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da
+endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne
+feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken
+nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des
+roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst
+betrachten duerfen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium
+spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber
+die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil wurden.
+In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der
+griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern
+natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich
+der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade
+selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der
+Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens.
+Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen
+noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen
+wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in
+fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und
+weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine
+Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine
+musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl
+ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch
+nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische
+Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die
+&ldquo;Saiten&rdquo; (fides, von σφίδη Darm; auch barbitus βάρβυτος) ist nicht,
+wie die Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches
+Instrument gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist
+teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre
+Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in
+dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der
+griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation
+ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der
+Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes,
+des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der
+Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen
+von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem
+kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine
+Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter
+griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier,
+regelmaessig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen
+Geluebdes und darum gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem
+kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern
+ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin
+abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz:
+voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der
+Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher
+beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die
+Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet;
+endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das
+Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu
+Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer
+Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen
+Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit einem
+Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die Kaempfer zu
+Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf,
+im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal
+und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der
+Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche
+Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest
+dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an
+diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei denn die
+Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben moegen und
+wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei,
+ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei
+diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die
+Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im
+Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem
+urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es
+nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass
+das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie
+etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten
+heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen
+Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O.
+Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe
+von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik
+herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche
+zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als
+Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion.
+Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber
+Italien eine gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern
+erforderte.
+</p>
+
+<p>
+^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic.
+Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448,
+vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter
+nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger
+unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik
+im Jahre 639 wurden nur der &ldquo;latinische Floetenspieler samt dem Saengern,
+nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur
+zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa
+voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10,
+20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt,
+ungenau auf Privatgastmaehler uebertragen.
+</p>
+
+<p>
+^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es noch im
+sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer
+Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845.
+Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen
+sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward,
+folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig
+Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das
+Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei
+Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den
+roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte
+Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote.
+Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die
+sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne
+Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen
+Dionys (7, 72) gedenkt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen
+oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den
+Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier
+traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch
+Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer
+vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward.
+</p>
+
+<p>
+Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene Stadtfest
+trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in
+dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines
+kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem
+Fest von Olympia nach Pindaros&rsquo; Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen,
+Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der
+Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen
+Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem
+Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein
+patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann
+diese Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter
+Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer
+die letztere Annahme spricht die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das
+Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der aeltesten
+Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der spaeteren
+Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter
+griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine
+aeltere Belustigungsweise - der &ldquo;Sprung&rdquo; (triumpus, 1, 44) und etwa
+das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in
+Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu
+einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von
+dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium
+eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als
+spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit in die lateinische
+Sprache uebergegangen und liegt sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor,
+dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten,
+wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach
+scheinen die Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den
+fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.
+</p>
+
+<p>
+Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen
+die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in
+fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik
+besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie jeder
+Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und als
+in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die
+Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen
+Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische
+Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse
+die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.
+</p>
+
+<p>
+Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen oder
+verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und
+tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des
+Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen
+Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen,
+aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne
+Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und
+Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste
+Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die
+roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von
+unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein
+Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das
+Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die
+Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der
+goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige
+Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen
+Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter
+persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt.
+Ebenso sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker
+ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der
+Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es
+in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und
+herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie
+die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein
+Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und
+durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen
+aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und
+egoistische Stammgefuehl zum hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum
+Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte
+Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht
+einmal, was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der
+Art wie die Hesiodischen &lsquo;Werke und Tage&rsquo;. Es konnte wohl das
+latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und
+Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen,
+wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle
+Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder hineinlegen.
+Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale
+Poesie und Kunst.
+</p>
+
+<p>
+Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste
+in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch
+fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen
+wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied
+gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die
+Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas
+weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die
+Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen
+nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine
+Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig
+schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat
+sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und
+unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die
+Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die
+religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die
+Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae)
+unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was
+sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Buerger wie
+seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium
+der bessere Teil der Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten
+zurueck, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte
+und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war.
+Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet;
+und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das auslaendische
+Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die
+musischen Kuenste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen
+und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung
+sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen
+Volksbewusstsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken
+herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden,
+allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen
+in den Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von
+der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das
+Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der
+Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl
+geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der
+dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen
+Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der
+Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen
+Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst
+(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl
+war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer
+selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber
+der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur
+durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung
+der eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so
+reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier
+zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem
+griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort und
+hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des
+gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern
+mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass
+auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler
+(subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst
+ein Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um
+geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist
+es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen
+Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des
+roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage,
+inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber den
+einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu
+beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in
+frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten,
+namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker
+spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete
+kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell
+goettlicher Weisheit angestaunt zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natuerlich
+noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden hat.
+Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme
+vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am
+naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine
+gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die
+bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius,
+Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen
+Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den
+Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und
+worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal
+eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.
+</p>
+
+<p>
+Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes
+Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist
+dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen
+Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher
+durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum
+aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser
+&ldquo;schwarzen Decke&rdquo; (atrium) werden die Speisen bereitet und
+verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre
+aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im
+Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den
+unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will,
+welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass
+man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die
+Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum
+herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und
+aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen,
+sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik
+hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der
+fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen
+volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste
+italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem
+Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten
+Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den
+kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von
+Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende
+und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In
+derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von
+Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus
+(tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die
+Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich
+voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die
+groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen
+Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der
+Sabina haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten
+Bauwerken Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen
+wahrscheinlich erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert
+der Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald
+ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen
+kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus
+vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die
+Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das
+Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute,
+deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten
+einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks
+zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass
+auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links
+einbiegenden und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern
+blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen
+eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens,
+der von den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem
+Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in
+Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa
+und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem
+bedeutsamen Namen (&ldquo;Tuerme&rdquo;), wohl ebenso sicher den Griechen
+zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst
+wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die
+Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der
+tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen Tempelbauten
+koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der
+griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem
+Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im
+einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail,
+voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem
+wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der
+Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und
+Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in
+Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum
+zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens
+kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von
+χάλιξ), die Maschine (machina μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus
+γνώμων γνώμα) und den kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen.
+Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen
+werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch
+griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche
+festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den
+Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische
+Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner
+und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der
+guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern
+nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das
+Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen
+Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu
+errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem
+Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des
+aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser
+Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen
+Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern
+gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten
+Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit
+und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe
+griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der
+steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen
+Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die
+groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die
+gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber
+die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des
+Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus
+einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern
+starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und
+Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche
+Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine
+aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die
+Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und
+100 Fuss breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem
+Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den
+Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein
+gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen,
+durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend die
+Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von
+Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach aussen, in
+mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+</p>
+
+<p>
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls
+am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von drei
+bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von demselben
+Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die
+Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der
+oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem.
+Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine
+Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke
+aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei
+spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.
+</p>
+
+<p>
+Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am
+Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin
+aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum.
+Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der
+Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+</p>
+
+<p>
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das
+Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu
+schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon
+waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in
+Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird
+die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss
+gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand,
+wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl
+die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in
+Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von
+ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die
+Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser
+Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen
+von den etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch
+stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die
+etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die
+aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde,
+die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem
+Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf
+den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als &ldquo;tuscanische
+Werke&rdquo; gingen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen,
+sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit
+noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande
+gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde
+schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften
+versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der
+Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das
+aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der
+ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es
+sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer,
+Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und
+Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr
+moeglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.
+</p>
+
+<p>
+Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und Kunstuebung
+geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die
+italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht unter
+phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich
+entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen,
+die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und
+insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf
+die drei griechischen Kuenstler: den &ldquo;Bildner&rdquo;,
+&ldquo;Ordner&rdquo; und &ldquo;Zeichner&rdquo;, Eucheir, Diopos und Eugrammos,
+obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und
+zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer
+Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig
+entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der
+urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind
+doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten
+worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift
+sich in Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch
+die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte
+nur von dem Griechen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer
+mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er
+offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen
+Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne
+Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden
+Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die
+Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort
+nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen
+und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien
+wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter
+Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die
+Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und
+Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem
+dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten,
+in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil
+dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene
+ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen
+griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie
+ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies
+ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und
+Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so
+kann mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen
+Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen
+sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis
+widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere
+etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie
+das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn
+ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme
+nahegetreten.
+</p>
+
+<p>
+Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen
+ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in
+den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher
+hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und
+massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den
+latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder
+wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer
+jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene
+polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig,
+in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken
+geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen
+Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die
+Anfaenge der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu
+erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt,
+aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze
+nicht durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief
+hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit
+einem alten Baumeister zu reden, &ldquo;ein breites, niedriges, sperriges und
+schwerfaelliges Ansehen&rdquo; gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen
+Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen
+Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich
+sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre
+Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis
+handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener Fertigkeiten,
+aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet.
+Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die
+griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch
+entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus
+der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
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+
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+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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+
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