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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 02:48:31 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und
+Wahrheit«, by Sigmund Freud
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit«
+
+Author: Sigmund Freud
+
+Release Date: September 9, 2009 [EBook #29946]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DICHTUNG UND WAHRHEIT ***
+
+
+
+
+Produced by Jana Srna and the Online Distributed
+Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
+ [ Anmerkungen zur Transkription:
+
+ Der Text stammt aus: Imago. Zeitschrift für Anwendung der
+ Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften V (1917). S. 49-57.
+
+ Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
+ lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste
+ der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
+
+ Im Original gesperrt gedruckter Text wurde mit _ markiert.
+ ]
+
+
+
+
+Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit«.
+
+Von SIGM. FREUD (Wien).
+
+
+»Wenn man sich erinnern will, was uns in der frühesten Zeit der Kindheit
+begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von
+anderen gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigener
+anschauender Erfahrung besitzen.« Diese Bemerkung macht _Goethe_ auf
+einem der ersten Blätter der Lebensbeschreibung, die er im Alter von
+sechzig Jahren aufzuzeichnen begann. Vor ihr stehen nur einige
+Mitteilungen über seine »am 28. August 1749, mittags mit dem
+Glockenschlag zwölf« erfolgte Geburt. Die Konstellation der Gestirne war
+ihm günstig und mag wohl Ursache seiner Erhaltung gewesen sein, denn er
+kam »für todt« auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte
+man es dahin, daß er das Licht erblickte. Nach dieser Bemerkung folgt
+eine kurze Schilderung des Hauses und der Räumlichkeit, in welcher sich
+die Kinder -- er und seine jüngere Schwester -- am liebsten aufhielten.
+Dann aber erzählt _Goethe_ eigentlich nur eine _einzige_ Begebenheit,
+die man in die »früheste Zeit der Kindheit« (in die Jahre bis vier?)
+versetzen kann, und an welche er eine eigene Erinnerung bewahrt zu haben
+scheint.
+
+Der Bericht hierüber lautet: »und mich gewannen drei gegenüber wohnende
+Brüder von Ochsenstein, hinterlassene Söhne des verstorbenen
+Schultheißen, gar lieb, und beschäftigten und neckten sich mit mir auf
+mancherlei Weise.«
+
+»Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen mich
+jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ich führe nur einen
+von diesen Streichen an. Es war eben Topfmarkt gewesen und man hatte
+nicht allein die Küche für die nächste Zeit mit solchen Waren versorgt,
+sondern auch uns Kindern dergleichen Geschirr im kleinen zu spielender
+Beschäftigung eingekauft. An einem schönen Nachmittag, da alles ruhig
+im Hause war, trieb ich im Geräms (der erwähnten gegen die Straße
+gerichteten Örtlichkeit) mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen und
+da weiter nichts dabei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf
+die Straße und freute mich, daß es so lustig zerbrach. Die von
+Ochsenstein, welche sahen, wie ich mich daran ergötzte, daß ich so gar
+fröhlich in die Händchen patschte, riefen: Noch mehr! Ich säumte nicht,
+sogleich einen Topf und auf immer fortwährendes Rufen: Noch mehr! nach
+und nach sämtliche Schüsselchen, Tiegelchen, Kännchen gegen das Pflaster
+zu schleudern. Meine Nachbarn fuhren fort, ihren Beifall zu bezeigen und
+ich war höchlich froh ihnen Vergnügen zu machen. Mein Vorrat aber war
+aufgezehrt, und sie riefen immer: Noch mehr! Ich eilte daher stracks in
+die Küche und holte die irdenen Teller, welche nun freilich im
+Zerbrechen ein noch lustigeres Schauspiel gaben; und so lief ich hin und
+wieder, brachte einen Teller nach dem anderen, wie ich sie auf dem
+Topfbrett der Reihe nach erreichen konnte, und weil sich jene gar nicht
+zufrieden gaben, so stürzte ich alles, was ich von Geschirr erschleppen
+konnte, in gleiches Verderben. Nur später erschien jemand zu hindern und
+zu wehren. Das Unglück war geschehen, und man hatte für so viel
+zerbrochene Töpferware wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich
+besonders die schalkischen Urheber bis an ihr Lebensende ergötzten.«
+
+Dies konnte man in voranalytischen Zeiten ohne Anlaß zum Verweilen und
+ohne Anstoß lesen; aber später wurde das analytische Gewissen rege. Man
+hatte sich ja über Erinnerungen aus der frühesten Kindheit bestimmte
+Meinungen und Erwartungen gebildet, für die man gerne allgemeine
+Gültigkeit in Anspruch nahm. Es sollte nicht gleichgültig oder
+bedeutungslos sein, welche Einzelheit des Kindheitslebens sich dem
+allgemeinen Vergessen der Kindheit entzogen hatte. Vielmehr durfte man
+vermuten, daß dies im Gedächtnis Erhaltene auch das Bedeutsamste des
+ganzen Lebensabschnittes sei, und zwar entweder so, daß es solche
+Wichtigkeit schon zu seiner Zeit besessen oder anders, daß es sie durch
+den Einfluß späterer Erlebnisse nachträglich erworben habe.
+
+Allerdings war die hohe Wertigkeit solcher Kindheitserinnerungen nur in
+seltenen Fällen offensichtlich. Meist erschienen sie gleichgültig, ja
+nichtig, und es blieb zunächst unverstanden, daß es gerade ihnen
+gelungen war, der Amnesie zu trotzen; auch wußte derjenige, der sie als
+sein eigenes Erinnerungsgut seit langen Jahren bewahrt hatte, sie so
+wenig zu würdigen wie der Fremde, dem er sie erzählte. Um sie in ihrer
+Bedeutsamkeit zu erkennen, bedurfte es einer gewissen Deutungsarbeit,
+die entweder nachwies, wie ihr Inhalt durch einen anderen zu ersetzen
+sei, oder ihre Beziehung zu anderen, unverkennbar wichtigen Erlebnissen
+aufzeigte, für welche sie als sogenannte _Deckerinnerungen_ eingetreten
+waren.
+
+In jeder psychoanalytischen Bearbeitung einer Lebensgeschichte gelingt
+es, die Bedeutung der frühesten Kindheitserinnerungen in solcher Weise
+aufzuklären. Ja, es ergibt sich in der Regel, daß gerade diejenige
+Erinnerung, die der Analysierte voranstellt, die er zuerst erzählt, mit
+der er seine Lebensbeichte einleitet, sich als die wichtigste erweist,
+als diejenige, welche die Schlüssel zu den Geheimfächern seines
+Seelenlebens in sich birgt. Aber im Falle jener kleinen
+Kinderbegebenheit, die in »Dichtung und Wahrheit« erzählt wird, kommt
+unseren Erwartungen zu wenig entgegen. Die Mittel und Wege, die bei
+unseren Patienten zur Deutung führen, sind uns hier natürlich
+unzugänglich; der Vorfall an sich scheint einer aufspürbaren Beziehung
+zu wichtigen Lebenseindrücken späterer Zeit nicht fähig zu sein. Ein
+Schabernack zum Schaden der häuslichen Wirtschaft, unter fremdem Einfluß
+verübt, ist sicherlich keine passende Vignette für all das, was _Goethe_
+aus seinem reichen Leben mitzuteilen hat. Der Eindruck der vollen
+Harmlosigkeit und Beziehungslosigkeit will sich für diese
+Kindererinnerung behaupten, und wir mögen die Mahnung mitnehmen, die
+Anforderungen der Psychoanalyse nicht zu überspannen oder am
+ungeeigneten Orte vorzubringen.
+
+So hatte ich denn das kleine Problem längst aus meinen Gedanken fallen
+lassen, als mir der Zufall einen Patienten zuführte, bei dem sich eine
+ähnliche Kindheitserinnerung in durchsichtigerem Zusammenhange ergab. Es
+war ein siebenundzwanzigjähriger, hochgebildeter und begabter Mann,
+dessen Gegenwart durch einen Konflikt mit seiner Mutter ausgefüllt war,
+der sich so ziemlich auf alle Interessen des Lebens erstreckte, unter
+dessen Wirkung die Entwicklung seiner Liebesfähigkeit und seiner
+selbständigen Lebensführung schwer gelitten hatte. Dieser Konflikt ging
+weit in die Kindheit zurück; man kann wohl sagen, bis in sein viertes
+Lebensjahr. Vorher war er ein sehr schwächliches, immer kränkelndes Kind
+gewesen, und doch hatten seine Erinnerungen diese üble Zeit zum Paradies
+verklärt, denn damals besaß er die uneingeschränkte, mit niemandem
+geteilte Zärtlichkeit der Mutter. Als er noch nicht vier Jahre war,
+wurde ein -- heute noch lebender -- Bruder geboren, und in der Reaktion
+auf diese Störung wandelte er sich zu einem eigensinnigen, unbotmäßigen
+Jungen, der unausgesetzt die Strenge der Mutter herausforderte. Er kam
+auch nie mehr in das richtige Geleise.
+
+Als er in meine Behandlung trat -- nicht zum mindesten darum, weil die
+bigotte Mutter die Psychoanalyse verabscheute --, war die Eifersucht auf
+den nachgeborenen Bruder, die sich seinerzeit selbst in einem Attentat
+auf den Säugling in der Wiege geäußert hatte, längst vergessen. Er
+behandelte jetzt seinen jüngeren Bruder sehr rücksichtsvoll, aber
+sonderbare Zufallshandlungen, durch die er sonst geliebte Tiere wie
+seinen Jagdhund oder sorgsam von ihm gepflegte Vögel plötzlich zu
+schwerem Schaden brachte, waren wohl als Nachklänge jener feindseligen
+Impulse gegen den kleinen Bruder zu verstehen.
+
+Dieser Patient berichtete nun, daß er um die Zeit des Attentats gegen
+das ihm verhaßte Kind einmal alles ihm erreichbare Geschirr aus dem
+Fenster des Landhauses auf die Straße geworfen hatte. Also dasselbe, was
+_Goethe_ in Dichtung und Wahrheit aus seiner Kindheit erzählt! Ich
+bemerke, daß mein Patient von fremder Nationalität und nicht in
+deutscher Bildung erzogen war; er hatte _Goethes_ Lebensbeschreibung
+niemals gelesen.
+
+Diese Mitteilung mußte mir den Versuch nahe legen, die
+Kindheitserinnerung _Goethes_ in dem Sinne zu deuten, der durch die
+Geschichte meines Patienten unabweisbar geworden war. Aber waren in der
+Kindheit des Dichters die für solche Auffassung erforderlichen
+Bedingungen nachzuweisen? _Goethe_ selbst macht zwar die Aneiferung der
+Herren von Ochsenstein für seinen Kinderstreich verantwortlich. Aber
+seine Erzählung selbst läßt erkennen, daß die erwachsenen Nachbarn ihn
+nur zur Fortsetzung seines Treibens aufgemuntert hatten. Den Anfang dazu
+hatte er spontan gemacht, und die Motivierung, die er für dies Beginnen
+gibt: »Da weiter nichts dabei (beim Spiele) herauskommen wollte«, läßt
+sich wohl ohne Zwang als Geständnis deuten, daß ihm ein wirksames Motiv
+seines Handelns zur Zeit der Niederschrift und wahrscheinlich auch lange
+Jahre vorher nicht bekannt war.
+
+Es ist bekannt, daß Joh. Wolfgang und seine Schwester Cornelia die
+ältesten Überlebenden einer größeren, recht hinfälligen Kinderreihe
+waren. Herr Dr. Hanns _Sachs_ war so freundlich, mir die Daten zu
+verschaffen, die sich auf diese früh verstorbenen Geschwister _Goethes_
+beziehen.
+
+Geschwister _Goethes_:
+
+ a) _Hermann Jakob_, getauft Montag, den 27. November 1752, erreichte
+ ein Alter von sechs Jahren und sechs Wochen, beerdigt 13. Januar
+ 1759.
+
+ b) _Katharina Elisabetha_, getauft Montag, den 9. September 1754,
+ beerdigt Donnerstag, den 22. Dezember 1755 (ein Jahr vier Monate
+ alt).
+
+ c) _Johanna Maria_, getauft Dienstag, den 29. März 1757 und beerdigt
+ Samstag, den 11. August 1759 (zwei Jahre vier Monate alt). (Dies war
+ jedenfalls das von ihrem Bruder gerühmte sehr schöne und angenehme
+ Mädchen.)
+
+ d) _Georg Adolph_, getauft Sonntag, den 15. Juni 1760; beerdigt,
+ acht Monate alt, Mittwoch, den 18. Februar 1761.
+
+_Goethes_ nächste Schwester, _Cornelia Friederica Christiana_, war am 7.
+Dezember 1750 geboren, als er fünfviertel Jahre alt war. Durch diese
+geringe Altersdifferenz ist sie als Objekt der Eifersucht so gut wie
+ausgeschlossen. Man weiß, daß Kinder, wenn ihre Leidenschaften erwachen,
+niemals so heftige Reaktionen gegen die Geschwister entwickeln, welche
+sie vorfinden, sondern ihre Abneigung gegen die neu Ankommenden richten.
+Auch ist die Szene, um deren Deutung wir uns bemühen, mit dem zarten
+Alter _Goethes_ bei oder bald nach der Geburt Corneliens unvereinbar.
+
+Bei der Geburt des ersten Brüderchens Hermann Jakob war Joh. Wolfgang
+dreieinviertel Jahre alt. Ungefähr zwei Jahre später, als er etwa fünf
+Jahre alt war, wurde die zweite Schwester geboren. Beide Altersstufen
+kommen für die Datierung des Geschirrhinauswerfens in Betracht; die
+erstere verdient vielleicht den Vorzug, sie würde auch die bessere
+Übereinstimmung mit dem Falle meines Patienten ergeben, der bei der
+Geburt seines Bruders etwa dreidreiviertel Jahre zählte.
+
+Der Bruder Hermann Jakob, auf den unser Deutungsversuch in solcher Art
+hingelenkt wird, war übrigens kein so flüchtiger Gast in der
+_Goethe_schen Kinderstube wie die späteren Geschwister. Man könnte sich
+verwundern, daß die Lebensgeschichte seines großen Bruders nicht ein
+Wörtchen des Gedenkens an ihn bringt. Er wurde über sechs Jahre alt und
+Joh. Wolfgang war nahe an zehn Jahre, als er starb. Dr. _Ed.
+Hitschmann_, der so freundlich war, mir seine Notizen über diesen Stoff
+zur Verfügung zu stellen, meint:
+
+»_Auch der kleine Goethe hat ein Brüderchen nicht ungern sterben
+gesehen._ Wenigstens berichtete seine Mutter nach _Bettina Brentanos_
+Wiedererzählung folgendes: 'Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei
+dem Tode seines jüngeren Bruders Jakob, der sein Spielkamerad war, keine
+Träne vergoß, er schien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der
+Eltern und Geschwister zu haben; da die Mutter nun später den Trotzigen
+fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in seine
+Kammer, brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit
+Lektionen und Geschichtchen beschrieben waren, er sagte ihr, daß er dies
+alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.' Der ältere Bruder hätte
+also immerhin gern Vater mit dem Jüngeren gespielt und ihm seine
+Überlegenheit gezeigt.«
+
+Wir könnten uns also die Meinung bilden, das Geschirrhinauswerfen sei
+eine symbolische, oder sagen wir es richtiger: eine _magische_ Handlung,
+durch welche das Kind (_Goethe_ sowie mein Patient) seinen Wunsch nach
+Beseitigung des störenden Eindringlings zu kräftigem Ausdruck bringt.
+Wir brauchen das Vergnügen des Kindes beim Zerschellen der Gegenstände
+nicht zu bestreiten; wenn eine Handlung bereits an sich lustbringend
+ist, so ist dies keine Abhaltung, sondern eher eine Verlockung, sie auch
+im Dienste anderer Absichten zu wiederholen. Aber wir glauben nicht, daß
+es die Lust am Klirren und Brechen war, welche solchen Kinderstreichen
+einen dauernden Platz in der Erinnerung des Erwachsenen sichern konnte.
+Wir sträuben uns auch nicht, die Motivierung der Handlung um einen
+weiteren Beitrag zu komplizieren. Das Kind, welches das Geschirr
+zerschlägt, weiß wohl, daß es etwas Schlechtes tut, worüber die
+Erwachsenen schelten werden, und wenn es sich durch dieses Wissen nicht
+zurückhalten läßt, so hat es wahrscheinlich einen Groll gegen die Eltern
+zu befriedigen; es will sich schlimm zeigen.
+
+Der Lust am Zerbrechen und am Zerbrochenen wäre auch Genüge getan, wenn
+das Kind die gebrechlichen Gegenstände einfach auf den Boden würfe. Die
+Hinausbeförderung durch das Fenster auf die Straße bliebe dabei ohne
+Erklärung. Dies »_Hinaus_« scheint aber ein wesentliches Stück der
+magischen Handlung zu sein und dem verborgenen Sinn derselben zu
+entstammen. Das neue Kind soll _fortgeschafft_ werden, durchs Fenster
+möglicherweise darum, weil es durchs Fenster gekommen ist. Die ganze
+Handlung wäre dann gleichwertig jener uns bekannt gewordenen wörtlichen
+Reaktion eines Kindes, als man ihm mitteilte, daß der Storch ein
+Geschwisterchen gebracht. »Er soll es wieder mitnehmen«, lautete sein
+Bescheid.
+
+Indes, wir verhehlen uns nicht, wie mißlich es -- von allen inneren
+Unsicherheiten abgesehen -- bleibt, die Deutung einer Kinderhandlung auf
+eine einzige Analogie zu begründen. Ich hatte darum auch meine
+Auffassung der kleinen Szene aus »Dichtung und Wahrheit« durch Jahre
+zurückgehalten. Da bekam ich eines Tages einen Patienten, der seine
+Analyse mit folgenden, wortgetreu fixierten Sätzen einleitete:
+
+»Ich bin das älteste von acht oder neun Geschwistern[1]. Eine meiner
+ersten Erinnerungen ist, daß der Vater, in Nachtkleidung auf seinem
+Bette sitzend, mir lachend erzählt, daß ich einen Bruder bekommen habe.
+Ich war damals dreidreiviertel Jahre alt; so groß ist der
+Altersunterschied zwischen mir und meinem nächsten Bruder. Dann weiß
+ich, daß ich kurze Zeit nachher (oder war es ein Jahr vorher?)[2] einmal
+verschiedene Gegenstände, Bürsten, -- oder war es nur eine Bürste? --
+Schuhe und anderes aus dem Fenster auf die Straße geworfen habe. Ich
+habe auch noch eine frühere Erinnerung. Als ich zwei Jahre alt war,
+übernachtete ich mit den Eltern in einem Hotelzimmer in Linz auf der
+Reise ins Salzkammergut. Ich war damals so unruhig in der Nacht und
+machte ein solches Geschrei, daß mich der Vater schlagen mußte.«
+
+ [1] Ein flüchtiger Irrtum auffälliger Natur. Es ist nicht abzuweisen,
+ daß er bereits durch die Beseitigungstendenz gegen den Bruder
+ induziert ist. (Vgl. _Ferenczi_: Über passagere Symptombildungen
+ während der Analyse, Zentralbl. f. Psychoanalyse. II., 1912.)
+
+ [2] Dieser den wesentlichen Punkt der Mitteilung als Widerstand
+ annagende Zweifel wurde vom Patienten bald nachher selbständig
+ zurückgezogen.
+
+Vor dieser Aussage ließ ich jeden Zweifel fallen. Wenn bei analytischer
+Einstellung zwei Dinge unmittelbar nacheinander, wie in einem Atem
+vorgebracht werden, so sollen wir diese Annäherung auf Zusammenhang
+umdeuten. Es war also so, als ob der Patient gesagt hätte: _Weil_ ich
+erfahren, daß ich einen Bruder bekommen habe, habe ich einige Zeit
+nachher jene Gegenstände auf die Straße geworfen. Das Hinauswerfen der
+Bürsten, Schuhe usw. gibt sich als Reaktion auf die Geburt des Bruders
+zu erkennen. Es ist auch nicht unerwünscht, daß die fortgeschafften
+Gegenstände in diesem Falle nicht Geschirr, sondern andere Dinge waren,
+wahrscheinlich solche, wie sie das Kind eben erreichen konnte ... Das
+Hinausbefördern (durchs Fenster auf die Straße) erweist sich so als das
+Wesentliche der Handlung, die Lust am Zerbrechen, am Klirren und die Art
+der Dinge, an denen »die Exekution vollzogen wird«, als inkonstant und
+unwesentlich.
+
+Natürlich gilt die Forderung des Zusammenhanges auch für die dritte
+Kindheitserinnerung des Patienten, die, obwohl die früheste, an das Ende
+der kleinen Reihe gerückt ist. Es ist leicht, sie zu erfüllen. Wir
+verstehen, daß das zweijährige Kind darum so unruhig war, weil es das
+Beisammensein von Vater und Mutter im Bette nicht leiden wollte. Auf der
+Reise war es wohl nicht anders möglich, als das Kind zum Zeugen dieser
+Gemeinschaft werden zu lassen. Von den Gefühlen, die sich damals in dem
+kleinen Eifersüchtigen regten, ist ihm die Erbitterung gegen das Weib
+verblieben, und diese hat eine dauernde Störung seiner Liebesentwicklung
+zur Folge gehabt.
+
+Als ich nach diesen beiden Erfahrungen im Kreise der psychoanalytischen
+Gesellschaft die Erwartung äußerte, Vorkommnisse solcher Art dürften bei
+kleinen Kindern nicht zu den Seltenheiten gehören, stellte mir Frau Dr.
+_v. Hug-Hellmuth_ zwei weitere Beobachtungen zur Verfügung, die ich hier
+folgen lasse:
+
+ Zum Hinauswerfen von Gegenständen aus dem Fenster durch kleine
+ Kinder.
+
+ I.
+
+ Mit zirka dreieinhalb Jahren hatte der kleine Erich »urplötzlich«
+ die Gewohnheit angenommen, alles, was ihm nicht paßte, zum Fenster
+ hinauszuwerfen. Aber er tat es auch mit Gegenständen, die ihm nicht
+ im Wege waren und ihn nichts angingen. Gerade am Geburtstag des
+ Vaters -- da zählte er drei Jahre viereinhalb Monate -- warf er eine
+ schwere Teigwalze, die er flugs aus der Küche ins Zimmer geschleppt
+ hatte, aus einem Fenster der im dritten Stockwerk gelegenen Wohnung
+ auf die Straße. Einige Tage später ließ er den Mörserstößel, dann
+ ein Paar schwerer Bergschuhe des Vaters, die er erst aus dem Kasten
+ nehmen mußte, folgen[3].
+
+ [3] Immer wählte er schwere Gegenstände.
+
+ Damals machte die Mutter im siebenten oder achten Monate ihrer
+ Schwangerschaft eine fausse couche, nach der das Kind »wie
+ ausgewechselt brav und zärtlich still« war. Im fünften oder sechsten
+ Monate sagte er wiederholt zur Mutter: »Mutti, ich spring' dir auf
+ den Bauch« oder »Mutti, ich drück' dir den Bauch ein«. Und kurz vor
+ der fausse couche, im Oktober: »Wenn ich schon einen Bruder bekommen
+ soll, so wenigstens erst nach dem Christkindl.«
+
+ II.
+
+ Eine junge Dame von neunzehn Jahren gibt spontan als früheste
+ Kindheitserinnerung folgende:
+
+ »Ich sehe mich furchtbar ungezogen, zum Hervorkriechen bereit, unter
+ dem Tische im Speisezimmer sitzen. Auf dem Tische steht meine
+ Kaffeeschale, -- ich sehe noch jetzt deutlich das Muster des
+ Porzellans vor mir -- die ich in dem Augenblick, als Großmama ins
+ Zimmer trat, zum Fenster hinauswerfen wollte.
+
+ Es hatte sich nämlich niemand um mich gekümmert, und indessen hatte
+ sich auf dem Kaffee eine »Haut« gebildet, was mir immer fürchterlich
+ war und heute noch ist.
+
+ An diesem Tage wurde mein um zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder
+ geboren, deshalb hatte niemand Zeit für mich.
+
+ Man erzählt mir noch immer, daß ich an diesem Tage unausstehlich
+ war; zu Mittag hatte ich das Lieblingsglas des Papas vom Tische
+ geworfen, tagsüber mehrmals mein Kleidchen beschmutzt und war von
+ früh bis abends übelster Laune. Auch ein Badepüppchen hatte ich in
+ meinem Zorne zertrümmert.«
+
+Diese beiden Fälle bedürfen kaum eines Kommentars. Sie bestätigen ohne
+weitere analytische Bemühung, daß die Erbitterung des Kindes über das
+erwartete oder erfolgte Auftreten eines Konkurrenten sich in dem
+Hinausbefördern von Gegenständen durch das Fenster wie auch durch andere
+Akte von Schlimmheit und Zerstörungssucht zum Ausdruck bringt. In der
+ersten Beobachtung symbolisieren wohl die »schweren Gegenstände« die
+Mutter selbst, gegen welche sich der Zorn des Kindes richtet, so lange
+das neue Kind noch nicht da ist. Der dreieinhalbjährige Knabe weiß um
+die Schwangerschaft der Mutter und ist nicht im Zweifel darüber, daß sie
+das Kind in ihrem Leibe beherbergt. Man muß sich hiebei an den »kleinen
+Hans« (Jahrb. f. Psychoanalyse, Bd. I., 1909) erinnern und an seine
+besondere Angst vor schwer beladenen Wagen[4]. An der zweiten
+Beobachtung ist das frühe Alter des Kindes, zweieinhalb Jahre,
+bemerkenswert.
+
+ [4] Für diese Symbolik der Schwangerschaft hat mir vor einiger Zeit
+ eine mehr als fünfzigjährige Dame eine weitere Bestätigung erbracht.
+ Es war ihr wiederholt erzählt worden, daß sie als kleines Kind, das
+ kaum sprechen konnte, den Vater aufgeregt zum Fenster zu ziehen
+ pflegte, wenn ein schwerer Möbelwagen auf der Straße vorbeifuhr. Mit
+ Rücksicht auf ihre Wohnungserinnerungen läßt sich feststellen, daß sie
+ damals jünger war als zweidreiviertel Jahre. Um diese Zeit wurde ihr
+ nächster Bruder geboren und infolge dieses Zuwachses die Wohnung
+ gewechselt. Ungefähr gleichzeitig hatte sie oft vor dem Einschlafen
+ die ängstliche Empfindung von etwas unheimlich Großem, das auf sie
+ zukam, und dabei »wurden ihr die Hände so dick«.
+
+Wenn wir nun zur Kindheitserinnerung _Goethes_ zurückkehren und an ihrer
+Stelle in »Dichtung und Wahrheit« einsetzen, was wir aus der Beobachtung
+anderer Kinder erraten zu haben glauben, so stellt sich ein tadelloser
+Zusammenhang her, den wir sonst nicht entdeckt hätten. Es heißt dann:
+Ich bin ein Glückskind gewesen; das Schicksal hat mich am Leben
+erhalten, obwohl ich für tot zur Welt gekommen bin. Meinen Bruder aber
+hat es beseitigt, so daß ich die Liebe der Mutter nicht mit ihm zu
+teilen brauchte. Und dann geht der Gedankenweg weiter, zu einer anderen
+in jener Frühzeit Verstorbenen, der Großmutter, die wie ein
+freundlicher, stiller Geist in einem anderen Wohnraum hauste.
+
+Ich habe es aber schon an anderer Stelle ausgesprochen: Wenn man der
+unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so behält man fürs Leben
+jenes Eroberergefühl, jene Zuversicht des Erfolges, welche nicht selten
+wirklich den Erfolg nach sich zieht. Und eine Bemerkung solcher Art wie:
+Meine Stärke wurzelt in meinem Verhältnis zur Mutter, hätte _Goethe_
+seiner Lebensgeschichte mit Recht voranstellen dürfen.
+
+
+
+
+ [ Im folgenden werden alle geänderten Textzeilen angeführt, wobei
+ jeweils zuerst die Zeile wie im Original, danach die geänderte Zeile
+ steht.
+
+ Wesentliche, der Handlung, die Lust am Zerbrechen, am Klirren und die Art
+ Wesentliche der Handlung, die Lust am Zerbrechen, am Klirren und die Art
+
+ ]
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung
+und Wahrheit«, by Sigmund Freud
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DICHTUNG UND WAHRHEIT ***
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+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
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+License terms from this work, or any files containing a part of this
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+- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
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+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
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+ License. You must require such a user to return or
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+of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
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+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
+DAMAGE.
+
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+ <title>The Project Gutenberg eBook of Eine Kindheitserinnerung aus &raquo;Dichtung und Wahrheit&laquo;, by Sigmund Freud</title>
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+The Project Gutenberg EBook of Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und
+Wahrheit«, by Sigmund Freud
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+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit«
+
+Author: Sigmund Freud
+
+Release Date: September 9, 2009 [EBook #29946]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DICHTUNG UND WAHRHEIT ***
+
+
+
+
+Produced by Jana Srna and the Online Distributed
+Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
+
+
+
+
+
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+
+<div id="tnote">
+<p class="center"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p>
+<p>Der Text stammt aus: <cite>Imago. Zeitschrift für Anwendung der
+Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften V</cite> (1917). S.&nbsp;49&ndash;57.</p>
+<p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden
+übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden
+korrigiert. Änderungen sind im Text <ins title="so wie hier">gekennzeichnet</ins>,
+der Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus.</p>
+</div>
+
+<div><span class="pagenum"><a name="Page_49">49</a></span></div>
+<h1>Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und
+Wahrheit«.</h1>
+
+<p class="center" style="margin: 2em auto;">Von SIGM. FREUD (Wien).</p>
+
+
+<p>»Wenn man sich erinnern will, was uns in der frühesten
+Zeit der Kindheit begegnet ist, so kommt man oft in den Fall,
+dasjenige, was wir von anderen gehört, mit dem zu verwechseln,
+was wir wirklich aus eigener anschauender Erfahrung besitzen.«
+Diese Bemerkung macht <span class="gesperrt">Goethe</span> auf einem der ersten Blätter
+der Lebensbeschreibung, die er im Alter von sechzig Jahren aufzuzeichnen
+begann. Vor ihr stehen nur einige Mitteilungen über
+seine »am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlag zwölf«
+erfolgte Geburt. Die Konstellation der Gestirne war ihm günstig
+und mag wohl Ursache seiner Erhaltung gewesen sein, denn er
+kam »für todt« auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen
+brachte man es dahin, daß er das Licht erblickte. Nach dieser Bemerkung
+folgt eine kurze Schilderung des Hauses und der Räumlichkeit,
+in welcher sich die Kinder &ndash; er und seine jüngere Schwester
+&ndash; am liebsten aufhielten. Dann aber erzählt <span class="gesperrt">Goethe</span> eigentlich nur
+eine <em class="gesperrt">einzige</em> Begebenheit, die man in die »früheste Zeit der Kindheit«
+(in die Jahre bis vier?) versetzen kann, und an welche er eine
+eigene Erinnerung bewahrt zu haben scheint.</p>
+
+<p>Der Bericht hierüber lautet: »und mich gewannen drei gegenüber
+wohnende Brüder von Ochsenstein, hinterlassene Söhne des
+verstorbenen Schultheißen, gar lieb, und beschäftigten und neckten
+sich mit mir auf mancherlei Weise.«</p>
+
+<p>»Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen
+mich jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ich führe
+nur einen von diesen Streichen an. Es war eben Topfmarkt gewesen
+und man hatte nicht allein die Küche für die nächste Zeit mit
+solchen Waren versorgt, sondern auch uns Kindern dergleichen
+Geschirr im kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft. An
+<span class="pagenum"><a name="Page_50">50</a></span>einem schönen Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich
+im Geräms (der erwähnten gegen die Straße gerichteten Örtlichkeit)
+mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen und da weiter nichts
+dabei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf die Straße
+und freute mich, daß es so lustig zerbrach. Die von Ochsenstein,
+welche sahen, wie ich mich daran ergötzte, daß ich so gar fröhlich
+in die Händchen patschte, riefen: Noch mehr! Ich säumte nicht, sogleich
+einen Topf und auf immer fortwährendes Rufen: Noch mehr!
+nach und nach sämtliche Schüsselchen, Tiegelchen, Kännchen gegen
+das Pflaster zu schleudern. Meine Nachbarn fuhren fort, ihren Beifall
+zu bezeigen und ich war höchlich froh ihnen Vergnügen zu
+machen. Mein Vorrat aber war aufgezehrt, und sie riefen immer:
+Noch mehr! Ich eilte daher stracks in die Küche und holte die
+irdenen Teller, welche nun freilich im Zerbrechen ein noch lustigeres
+Schauspiel gaben; und so lief ich hin und wieder, brachte einen
+Teller nach dem anderen, wie ich sie auf dem Topfbrett der Reihe
+nach erreichen konnte, und weil sich jene gar nicht zufrieden gaben,
+so stürzte ich alles, was ich von Geschirr erschleppen konnte, in
+gleiches Verderben. Nur später erschien jemand zu hindern und zu
+wehren. Das Unglück war geschehen, und man hatte für so viel zerbrochene
+Töpferware wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich
+besonders die schalkischen Urheber bis an ihr Lebensende ergötzten.«</p>
+
+<p>Dies konnte man in voranalytischen Zeiten ohne Anlaß zum
+Verweilen und ohne Anstoß lesen; aber später wurde das analytische
+Gewissen rege. Man hatte sich ja über Erinnerungen aus
+der frühesten Kindheit bestimmte Meinungen und Erwartungen
+gebildet, für die man gerne allgemeine Gültigkeit in Anspruch nahm.
+Es sollte nicht gleichgültig oder bedeutungslos sein, welche Einzelheit
+des Kindheitslebens sich dem allgemeinen Vergessen der Kindheit
+entzogen hatte. Vielmehr durfte man vermuten, daß dies im
+Gedächtnis Erhaltene auch das Bedeutsamste des ganzen Lebensabschnittes
+sei, und zwar entweder so, daß es solche Wichtigkeit
+schon zu seiner Zeit besessen oder anders, daß es sie durch den
+Einfluß späterer Erlebnisse nachträglich erworben habe.</p>
+
+<p>Allerdings war die hohe Wertigkeit solcher Kindheitserinnerungen
+nur in seltenen Fällen offensichtlich. Meist erschienen sie
+gleichgültig, ja nichtig, und es blieb zunächst unverstanden, daß es
+gerade ihnen gelungen war, der Amnesie zu trotzen; auch wußte
+derjenige, der sie als sein eigenes Erinnerungsgut seit langen Jahren
+bewahrt hatte, sie so wenig zu würdigen wie der Fremde, dem er
+sie erzählte. Um sie in ihrer Bedeutsamkeit zu erkennen, bedurfte
+es einer gewissen Deutungsarbeit, die entweder nachwies, wie ihr
+Inhalt durch einen anderen zu ersetzen sei, oder ihre Beziehung zu
+anderen, unverkennbar wichtigen Erlebnissen aufzeigte, für welche
+sie als sogenannte <em class="gesperrt">Deckerinnerungen</em> eingetreten waren.</p>
+
+<p>In jeder psychoanalytischen Bearbeitung einer Lebensgeschichte
+gelingt es, die Bedeutung der frühesten Kindheitserinnerungen in
+<span class="pagenum"><a name="Page_51">51</a></span>solcher Weise aufzuklären. Ja, es ergibt sich in der Regel, daß
+gerade diejenige Erinnerung, die der Analysierte voranstellt, die er
+zuerst erzählt, mit der er seine Lebensbeichte einleitet, sich als die
+wichtigste erweist, als diejenige, welche die Schlüssel zu den Geheimfächern
+seines Seelenlebens in sich birgt. Aber im Falle jener
+kleinen Kinderbegebenheit, die in »Dichtung und Wahrheit« erzählt
+wird, kommt unseren Erwartungen zu wenig entgegen. Die Mittel
+und Wege, die bei unseren Patienten zur Deutung führen, sind uns
+hier natürlich unzugänglich; der Vorfall an sich scheint einer aufspürbaren
+Beziehung zu wichtigen Lebenseindrücken späterer Zeit
+nicht fähig zu sein. Ein Schabernack zum Schaden der häuslichen
+Wirtschaft, unter fremdem Einfluß verübt, ist sicherlich keine passende
+Vignette für all das, was <span class="gesperrt">Goethe</span> aus seinem reichen Leben mitzuteilen
+hat. Der Eindruck der vollen Harmlosigkeit und Beziehungslosigkeit
+will sich für diese Kindererinnerung behaupten, und wir
+mögen die Mahnung mitnehmen, die Anforderungen der Psychoanalyse
+nicht zu überspannen oder am ungeeigneten Orte vorzubringen.</p>
+
+<p>So hatte ich denn das kleine Problem längst aus meinen Gedanken
+fallen lassen, als mir der Zufall einen Patienten zuführte,
+bei dem sich eine ähnliche Kindheitserinnerung in durchsichtigerem
+Zusammenhange ergab. Es war ein siebenundzwanzigjähriger, hochgebildeter
+und begabter Mann, dessen Gegenwart durch einen
+Konflikt mit seiner Mutter ausgefüllt war, der sich so ziemlich auf
+alle Interessen des Lebens erstreckte, unter dessen Wirkung die
+Entwicklung seiner Liebesfähigkeit und seiner selbständigen Lebensführung
+schwer gelitten hatte. Dieser Konflikt ging weit in die
+Kindheit zurück; man kann wohl sagen, bis in sein viertes Lebensjahr.
+Vorher war er ein sehr schwächliches, immer kränkelndes Kind
+gewesen, und doch hatten seine Erinnerungen diese üble Zeit zum
+Paradies verklärt, denn damals besaß er die uneingeschränkte, mit
+niemandem geteilte Zärtlichkeit der Mutter. Als er noch nicht
+vier Jahre war, wurde ein &ndash; heute noch lebender &ndash; Bruder geboren,
+und in der Reaktion auf diese Störung wandelte er sich zu
+einem eigensinnigen, unbotmäßigen Jungen, der unausgesetzt die
+Strenge der Mutter herausforderte. Er kam auch nie mehr in das
+richtige Geleise.</p>
+
+<p>Als er in meine Behandlung trat &ndash; nicht zum mindesten
+darum, weil die bigotte Mutter die Psychoanalyse verabscheute &ndash;,
+war die Eifersucht auf den nachgeborenen Bruder, die sich seinerzeit
+selbst in einem Attentat auf den Säugling in der Wiege geäußert
+hatte, längst vergessen. Er behandelte jetzt seinen jüngeren Bruder
+sehr rücksichtsvoll, aber sonderbare Zufallshandlungen, durch die er
+sonst geliebte Tiere wie seinen Jagdhund oder sorgsam von ihm
+gepflegte Vögel plötzlich zu schwerem Schaden brachte, waren wohl
+als Nachklänge jener feindseligen Impulse gegen den kleinen Bruder
+zu verstehen.</p>
+
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_52">52</a></span>
+Dieser Patient berichtete nun, daß er um die Zeit des Attentats
+gegen das ihm verhaßte Kind einmal alles ihm erreichbare Geschirr
+aus dem Fenster des Landhauses auf die Straße geworfen
+hatte. Also dasselbe, was <span class="gesperrt">Goethe</span> in Dichtung und Wahrheit aus
+seiner Kindheit erzählt! Ich bemerke, daß mein Patient von fremder
+Nationalität und nicht in deutscher Bildung erzogen war; er hatte
+<span class="gesperrt">Goethes</span> Lebensbeschreibung niemals gelesen.</p>
+
+<p>Diese Mitteilung mußte mir den Versuch nahe legen, die
+Kindheitserinnerung <span class="gesperrt">Goethes</span> in dem Sinne zu deuten, der durch
+die Geschichte meines Patienten unabweisbar geworden war. Aber
+waren in der Kindheit des Dichters die für solche Auffassung erforderlichen
+Bedingungen nachzuweisen? <span class="gesperrt">Goethe</span> selbst macht zwar
+die Aneiferung der Herren von Ochsenstein für seinen Kinderstreich
+verantwortlich. Aber seine Erzählung selbst läßt erkennen,
+daß die erwachsenen Nachbarn ihn nur zur Fortsetzung seines
+Treibens aufgemuntert hatten. Den Anfang dazu hatte er spontan
+gemacht, und die Motivierung, die er für dies Beginnen gibt: »Da
+weiter nichts dabei (beim Spiele) herauskommen wollte«, läßt sich
+wohl ohne Zwang als Geständnis deuten, daß ihm ein wirksames
+Motiv seines Handelns zur Zeit der Niederschrift und wahrscheinlich
+auch lange Jahre vorher nicht bekannt war.</p>
+
+<p>Es ist bekannt, daß Joh. Wolfgang und seine Schwester
+Cornelia die ältesten Überlebenden einer größeren, recht hinfälligen
+Kinderreihe waren. Herr Dr. Hanns <span class="gesperrt">Sachs</span> war so freundlich, mir
+die Daten zu verschaffen, die sich auf diese früh verstorbenen Geschwister
+<span class="gesperrt">Goethes</span> beziehen.</p>
+
+<p>Geschwister <span class="gesperrt">Goethes</span>:</p>
+
+<div id="siblings">
+<p><i>a)</i> <span class="gesperrt">Hermann Jakob</span>, getauft Montag, den 27. November 1752,
+erreichte ein Alter von sechs Jahren und sechs Wochen, beerdigt
+13. Januar 1759.</p>
+
+<p><i>b)</i> <span class="gesperrt">Katharina Elisabetha</span>, getauft Montag, den 9. September
+1754, beerdigt Donnerstag, den 22. Dezember 1755
+(ein Jahr vier Monate alt).</p>
+
+<p><i>c)</i> <span class="gesperrt">Johanna Maria</span>, getauft Dienstag, den 29. März 1757 und
+beerdigt Samstag, den 11. August 1759 (zwei Jahre vier Monate
+alt). (Dies war jedenfalls das von ihrem Bruder gerühmte
+sehr schöne und angenehme Mädchen.)</p>
+
+<p><i>d)</i> <span class="gesperrt">Georg Adolph</span>, getauft Sonntag, den 15. Juni 1760; beerdigt,
+acht Monate alt, Mittwoch, den 18. Februar 1761.</p>
+</div>
+
+<p><span class="gesperrt">Goethes</span> nächste Schwester, <span class="gesperrt">Cornelia Friederica
+Christiana</span>, war am 7. Dezember 1750 geboren, als er fünfviertel
+Jahre alt war. Durch diese geringe Altersdifferenz ist sie als
+Objekt der Eifersucht so gut wie ausgeschlossen. Man weiß, daß
+Kinder, wenn ihre Leidenschaften erwachen, niemals so heftige
+Reaktionen gegen die Geschwister entwickeln, welche sie vorfinden,
+sondern ihre Abneigung gegen die neu Ankommenden richten. Auch
+<span class="pagenum"><a name="Page_53">53</a></span>ist die Szene, um deren Deutung wir uns bemühen, mit dem zarten
+Alter <span class="gesperrt">Goethes</span> bei oder bald nach der Geburt Corneliens unvereinbar.</p>
+
+<p>Bei der Geburt des ersten Brüderchens Hermann Jakob war
+Joh. Wolfgang dreieinviertel Jahre alt. Ungefähr zwei Jahre später,
+als er etwa fünf Jahre alt war, wurde die zweite Schwester geboren.
+Beide Altersstufen kommen für die Datierung des Geschirrhinauswerfens
+in Betracht; die erstere verdient vielleicht den Vorzug,
+sie würde auch die bessere Übereinstimmung mit dem Falle meines
+Patienten ergeben, der bei der Geburt seines Bruders etwa dreidreiviertel
+Jahre zählte.</p>
+
+<p>Der Bruder Hermann Jakob, auf den unser Deutungsversuch
+in solcher Art hingelenkt wird, war übrigens kein so flüchtiger Gast
+in der <span class="gesperrt">Goethe</span>schen Kinderstube wie die späteren Geschwister. Man
+könnte sich verwundern, daß die Lebensgeschichte seines großen
+Bruders nicht ein Wörtchen des Gedenkens an ihn bringt. Er wurde
+über sechs Jahre alt und Joh. Wolfgang war nahe an zehn Jahre,
+als er starb. Dr. <span class="gesperrt">Ed. Hitschmann</span>, der so freundlich war, mir
+seine Notizen über diesen Stoff zur Verfügung zu stellen, meint:</p>
+
+<p>»<em class="gesperrt">Auch der kleine Goethe hat ein Brüderchen nicht
+ungern sterben gesehen.</em> Wenigstens berichtete seine Mutter
+nach <span class="gesperrt">Bettina Brentanos</span> Wiedererzählung folgendes: &#8250;Sonderbar fiel
+es der Mutter auf, daß er bei dem Tode seines jüngeren Bruders
+Jakob, der sein Spielkamerad war, keine Träne vergoß, er schien
+vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Geschwister
+zu haben; da die Mutter nun später den Trotzigen fragte,
+ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in seine Kammer,
+brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit Lektionen
+und Geschichtchen beschrieben waren, er sagte ihr, daß er dies alles
+gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.&#8249; Der ältere Bruder
+hätte also immerhin gern Vater mit dem Jüngeren gespielt und ihm
+seine Überlegenheit gezeigt.«</p>
+
+<p>Wir könnten uns also die Meinung bilden, das Geschirrhinauswerfen
+sei eine symbolische, oder sagen wir es richtiger: eine
+<em class="gesperrt">magische</em> Handlung, durch welche das Kind (<span class="gesperrt">Goethe</span> sowie mein
+Patient) seinen Wunsch nach Beseitigung des störenden Eindringlings
+zu kräftigem Ausdruck bringt. Wir brauchen das Vergnügen
+des Kindes beim Zerschellen der Gegenstände nicht zu bestreiten;
+wenn eine Handlung bereits an sich lustbringend ist, so ist dies
+keine Abhaltung, sondern eher eine Verlockung, sie auch im Dienste
+anderer Absichten zu wiederholen. Aber wir glauben nicht, daß es
+die Lust am Klirren und Brechen war, welche solchen Kinderstreichen
+einen dauernden Platz in der Erinnerung des Erwachsenen sichern
+konnte. Wir sträuben uns auch nicht, die Motivierung der Handlung
+um einen weiteren Beitrag zu komplizieren. Das Kind, welches das
+Geschirr zerschlägt, weiß wohl, daß es etwas Schlechtes tut, worüber
+die Erwachsenen schelten werden, und wenn es sich durch dieses
+<span class="pagenum"><a name="Page_54">54</a></span>Wissen nicht zurückhalten läßt, so hat es wahrscheinlich einen Groll
+gegen die Eltern zu befriedigen; es will sich schlimm zeigen.</p>
+
+<p>Der Lust am Zerbrechen und am Zerbrochenen wäre auch
+Genüge getan, wenn das Kind die gebrechlichen Gegenstände einfach
+auf den Boden würfe. Die Hinausbeförderung durch das Fenster
+auf die Straße bliebe dabei ohne Erklärung. Dies »<em class="gesperrt">Hinaus</em>« scheint
+aber ein wesentliches Stück der magischen Handlung zu sein und
+dem verborgenen Sinn derselben zu entstammen. Das neue Kind
+soll <em class="gesperrt">fortgeschafft</em> werden, durchs Fenster möglicherweise darum,
+weil es durchs Fenster gekommen ist. Die ganze Handlung wäre
+dann gleichwertig jener uns bekannt gewordenen wörtlichen Reaktion
+eines Kindes, als man ihm mitteilte, daß der Storch ein Geschwisterchen
+gebracht. »Er soll es wieder mitnehmen«, lautete sein Bescheid.</p>
+
+<p>Indes, wir verhehlen uns nicht, wie mißlich es &ndash; von allen
+inneren Unsicherheiten abgesehen &ndash; bleibt, die Deutung einer
+Kinderhandlung auf eine einzige Analogie zu begründen. Ich hatte
+darum auch meine Auffassung der kleinen Szene aus »Dichtung
+und Wahrheit« durch Jahre zurückgehalten. Da bekam ich eines
+Tages einen Patienten, der seine Analyse mit folgenden, wortgetreu
+fixierten Sätzen einleitete:</p>
+
+<p>»Ich bin das älteste von acht oder neun Geschwistern<a name="FNanchor_1_1" href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>. Eine
+meiner ersten Erinnerungen ist, daß der Vater, in Nachtkleidung
+auf seinem Bette sitzend, mir lachend erzählt, daß ich einen Bruder
+bekommen habe. Ich war damals dreidreiviertel Jahre alt; so groß
+ist der Altersunterschied zwischen mir und meinem nächsten Bruder.
+Dann weiß ich, daß ich kurze Zeit nachher (oder war es ein Jahr
+vorher?)<a name="FNanchor_2_2" href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> einmal verschiedene Gegenstände, Bürsten, &ndash; oder war
+es nur eine Bürste? &ndash; Schuhe und anderes aus dem Fenster auf
+die Straße geworfen habe. Ich habe auch noch eine frühere Erinnerung.
+Als ich zwei Jahre alt war, übernachtete ich mit den Eltern
+in einem Hotelzimmer in Linz auf der Reise ins Salzkammergut.
+Ich war damals so unruhig in der Nacht und machte ein solches
+Geschrei, daß mich der Vater schlagen mußte.«</p>
+
+<p>Vor dieser Aussage ließ ich jeden Zweifel fallen. Wenn bei
+analytischer Einstellung zwei Dinge unmittelbar nacheinander, wie
+in einem Atem vorgebracht werden, so sollen wir diese Annäherung
+auf Zusammenhang umdeuten. Es war also so, als ob der
+Patient gesagt hätte: <em class="gesperrt">Weil</em> ich erfahren, daß ich einen Bruder bekommen
+habe, habe ich einige Zeit nachher jene Gegenstände auf
+die Straße geworfen. Das Hinauswerfen der Bürsten, Schuhe usw.
+gibt sich als Reaktion auf die Geburt des Bruders zu erkennen.
+<span class="pagenum"><a name="Page_55">55</a></span>Es ist auch nicht unerwünscht, daß die fortgeschafften Gegenstände
+in diesem Falle nicht Geschirr, sondern andere Dinge waren, wahrscheinlich
+solche, wie sie das Kind eben erreichen konnte &hellip; Das
+Hinausbefördern (durchs Fenster auf die Straße) erweist sich so als
+das <ins title="Wesentliche,">Wesentliche</ins> der Handlung, die Lust am Zerbrechen, am Klirren
+und die Art der Dinge, an denen »die Exekution vollzogen
+wird«, als inkonstant und unwesentlich.</p>
+
+<p>Natürlich gilt die Forderung des Zusammenhanges auch für
+die dritte Kindheitserinnerung des Patienten, die, obwohl die früheste,
+an das Ende der kleinen Reihe gerückt ist. Es ist leicht, sie zu erfüllen.
+Wir verstehen, daß das zweijährige Kind darum so unruhig
+war, weil es das Beisammensein von Vater und Mutter im Bette
+nicht leiden wollte. Auf der Reise war es wohl nicht anders möglich,
+als das Kind zum Zeugen dieser Gemeinschaft werden zu
+lassen. Von den Gefühlen, die sich damals in dem kleinen Eifersüchtigen
+regten, ist ihm die Erbitterung gegen das Weib verblieben,
+und diese hat eine dauernde Störung seiner Liebesentwicklung zur
+Folge gehabt.</p>
+
+<p>Als ich nach diesen beiden Erfahrungen im Kreise der psychoanalytischen
+Gesellschaft die Erwartung äußerte, Vorkommnisse
+solcher Art dürften bei kleinen Kindern nicht zu den Seltenheiten
+gehören, stellte mir Frau Dr. <span class="gesperrt">v. Hug-Hellmuth</span> zwei weitere
+Beobachtungen zur Verfügung, die ich hier folgen lasse:</p>
+
+<blockquote>
+<h2>Zum Hinauswerfen von Gegenständen aus dem Fenster
+durch kleine Kinder.</h2>
+
+
+<h3 class="new-h3">I.</h3>
+
+<p>Mit zirka dreieinhalb Jahren hatte der kleine Erich »urplötzlich« die
+Gewohnheit angenommen, alles, was ihm nicht paßte, zum Fenster hinauszuwerfen.
+Aber er tat es auch mit Gegenständen, die ihm nicht im Wege
+waren und ihn nichts angingen. Gerade am Geburtstag des Vaters &ndash; da
+zählte er drei Jahre viereinhalb Monate &ndash; warf er eine schwere Teigwalze,
+die er flugs aus der Küche ins Zimmer geschleppt hatte, aus einem Fenster
+der im dritten Stockwerk gelegenen Wohnung auf die Straße. Einige Tage
+später ließ er den Mörserstößel, dann ein Paar schwerer Bergschuhe des
+Vaters, die er erst aus dem Kasten nehmen mußte, folgen<a name="FNanchor_3_3" href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a>.</p>
+
+<p>Damals machte die Mutter im siebenten oder achten Monate ihrer
+Schwangerschaft eine fausse couche, nach der das Kind »wie ausgewechselt
+brav und zärtlich still« war. Im fünften oder sechsten Monate sagte er
+wiederholt zur Mutter: »Mutti, ich spring' dir auf den Bauch« oder »Mutti,
+ich drück' dir den Bauch ein«. Und kurz vor der fausse couche, im Oktober:
+»Wenn ich schon einen Bruder bekommen soll, so wenigstens erst
+nach dem Christkindl.«</p>
+
+
+<div class="new-h3"><span class="pagenum"><a name="Page_56">56</a></span></div>
+<h3>II.</h3>
+
+<p>Eine junge Dame von neunzehn Jahren gibt spontan als früheste
+Kindheitserinnerung folgende:</p>
+
+<p>»Ich sehe mich furchtbar ungezogen, zum Hervorkriechen bereit, unter
+dem Tische im Speisezimmer sitzen. Auf dem Tische steht meine Kaffeeschale,
+&ndash; ich sehe noch jetzt deutlich das Muster des Porzellans vor mir
+&ndash; die ich in dem Augenblick, als Großmama ins Zimmer trat, zum
+Fenster hinauswerfen wollte.</p>
+
+<p>Es hatte sich nämlich niemand um mich gekümmert, und indessen
+hatte sich auf dem Kaffee eine »Haut« gebildet, was mir immer fürchterlich
+war und heute noch ist.</p>
+
+<p>An diesem Tage wurde mein um zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder
+geboren, deshalb hatte niemand Zeit für mich.</p>
+
+<p>Man erzählt mir noch immer, daß ich an diesem Tage unausstehlich
+war; zu Mittag hatte ich das Lieblingsglas des Papas vom Tische geworfen,
+tagsüber mehrmals mein Kleidchen beschmutzt und war von früh bis
+abends übelster Laune. Auch ein Badepüppchen hatte ich in meinem Zorne
+zertrümmert.«</p></blockquote>
+
+<p>Diese beiden Fälle bedürfen kaum eines Kommentars. Sie bestätigen
+ohne weitere analytische Bemühung, daß die Erbitterung
+des Kindes über das erwartete oder erfolgte Auftreten eines Konkurrenten
+sich in dem Hinausbefördern von Gegenständen durch
+das Fenster wie auch durch andere Akte von Schlimmheit und
+Zerstörungssucht zum Ausdruck bringt. In der ersten Beobachtung
+symbolisieren wohl die »schweren Gegenstände« die Mutter selbst,
+gegen welche sich der Zorn des Kindes richtet, so lange das neue
+Kind noch nicht da ist. Der dreieinhalbjährige Knabe weiß um die
+Schwangerschaft der Mutter und ist nicht im Zweifel darüber, daß
+sie das Kind in ihrem Leibe beherbergt. Man muß sich hiebei an
+den »kleinen Hans« (Jahrb. f. Psychoanalyse, Bd. I., 1909) erinnern
+und an seine besondere Angst vor schwer beladenen Wagen<a name="FNanchor_4_4" href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a>. An
+der zweiten Beobachtung ist das frühe Alter des Kindes, zweieinhalb
+Jahre, bemerkenswert.</p>
+
+<p>Wenn wir nun zur Kindheitserinnerung <span class="gesperrt">Goethes</span> zurückkehren
+und an ihrer Stelle in »Dichtung und Wahrheit« einsetzen, was
+wir aus der Beobachtung anderer Kinder erraten zu haben glauben,
+so stellt sich ein tadelloser Zusammenhang her, den wir sonst nicht
+entdeckt hätten. Es heißt dann: Ich bin ein Glückskind gewesen;
+das Schicksal hat mich am Leben erhalten, obwohl ich für tot zur
+<span class="pagenum"><a name="Page_57">57</a></span>Welt gekommen bin. Meinen Bruder aber hat es beseitigt, so daß
+ich die Liebe der Mutter nicht mit ihm zu teilen brauchte. Und
+dann geht der Gedankenweg weiter, zu einer anderen in jener
+Frühzeit Verstorbenen, der Großmutter, die wie ein freundlicher,
+stiller Geist in einem anderen Wohnraum hauste.</p>
+
+<p>Ich habe es aber schon an anderer Stelle ausgesprochen:
+Wenn man der unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so
+behält man fürs Leben jenes Eroberergefühl, jene Zuversicht
+des Erfolges, welche nicht selten wirklich den Erfolg nach sich zieht.
+Und eine Bemerkung solcher Art wie: Meine Stärke wurzelt in
+meinem Verhältnis zur Mutter, hätte <span class="gesperrt">Goethe</span> seiner Lebensgeschichte
+mit Recht voranstellen dürfen.</p>
+
+<div class="figcenter" style="width: 49px;">
+<img src="images/p0057-image.png" width="49" height="120" alt="" title="" />
+</div>
+
+<div class="footnotes">
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_1_1" href="#FNanchor_1_1" class="label">[1]</a> Ein flüchtiger Irrtum auffälliger Natur. Es ist nicht abzuweisen, daß er
+bereits durch die Beseitigungstendenz gegen den Bruder induziert ist. (Vgl.
+<span class="gesperrt">Ferenczi</span>: Über passagere Symptombildungen während der Analyse, Zentralbl.
+f. Psychoanalyse. II., 1912.)</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_2_2" href="#FNanchor_2_2" class="label">[2]</a> Dieser den wesentlichen Punkt der Mitteilung als Widerstand annagende
+Zweifel wurde vom Patienten bald nachher selbständig zurückgezogen.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_3_3" href="#FNanchor_3_3" class="label">[3]</a> Immer wählte er schwere Gegenstände.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_4_4" href="#FNanchor_4_4" class="label">[4]</a> Für diese Symbolik der Schwangerschaft hat mir vor einiger Zeit eine
+mehr als fünfzigjährige Dame eine weitere Bestätigung erbracht. Es war ihr wiederholt
+erzählt worden, daß sie als kleines Kind, das kaum sprechen konnte, den
+Vater aufgeregt zum Fenster zu ziehen pflegte, wenn ein schwerer Möbelwagen auf
+der Straße vorbeifuhr. Mit Rücksicht auf ihre Wohnungserinnerungen läßt sich
+feststellen, daß sie damals jünger war als zweidreiviertel Jahre. Um diese Zeit
+wurde ihr nächster Bruder geboren und infolge dieses Zuwachses die Wohnung
+gewechselt. Ungefähr gleichzeitig hatte sie oft vor dem Einschlafen die ängstliche
+Empfindung von etwas unheimlich Großem, das auf sie zukam, und dabei »wurden
+ihr die Hände so dick«.</p></div>
+</div>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung
+und Wahrheit«, by Sigmund Freud
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DICHTUNG UND WAHRHEIT ***
+
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+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
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+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
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+
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+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
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+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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+
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+
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+
+
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+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
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