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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Die Verwandlung + +Author: Franz Kafka + +Release Date: August 21, 2007 [EBook #22367] +Last Updated: February 7, 2011 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG *** + + + + +Produced by Jana Srna, Alexander Bauer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + + +<h1>DIE<br/> +VERWANDLUNG</h1> + +<p class="center" style="line-height: 2em; margin-bottom: 5em;">VON<br/> +<big style="font-size: large;">FRANZ KAFKA</big></p> + +<p class="center gesperrt" style="line-height: 1.5em;">KURT WOLFF VERLAG<br/> +LEIPZIG</p> + + +<p class="center gesperrt page-break">BÜCHEREI »DER JÜNGSTE TAG« BAND 22/23</p> + +<p class="center" style="margin-bottom: 40px;">GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER • WEIMAR</p> + + + + +<p class="center" style="margin-top: 6em;">COPYRIGHT KURT WOLFF VERLAG • LEIPZIG. 1917</p> + + + +<h2 class="page-break"><a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a>I.</h2> + + +<p class="dropcap"><span class="first-word">Als</span> Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen +Träumen erwachte, fand er sich in seinem +Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. +Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken +und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen +gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen +geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, +zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten +konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem +sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm +hilflos vor den Augen.</p> + +<p>»Was ist mit mir geschehen?« dachte er. Es war +kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu +kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier +wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine +auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren +ausgebreitet war – Samsa war Reisender –, hing +das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten +Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten +Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine +Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa +versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, +in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem +Beschauer entgegenhob.</p> + +<p>Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und +das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das +Fensterblech aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch. +»Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe +<a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a> +und alle Narrheiten vergäße,« dachte er, aber +das war gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, +auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in +seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage +bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte +Seite warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage +zurück. Er versuchte es wohl hundertmal, schloß +die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu +müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen +noch nie gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen +begann.</p> + +<p>»Ach Gott,« dachte er, »was für einen anstrengenden +Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der +Reise. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer, +als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem ist +mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen +um die Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte +Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie +herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel +soll das alles holen!« Er fühlte ein leichtes Jucken +oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam +näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben +zu können; fand die juckende Stelle, die mit lauter +kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er nicht zu +beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die +Stelle betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei +der Berührung umwehten ihn Kälteschauer.</p> + +<p>Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück. »Dies +frühzeitige Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz +blödsinnig. Der Mensch muß seinen Schlaf haben. +Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich +zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus +zurückgehe, um die erlangten Aufträge zu überschreiben, +sitzen diese Herren erst beim Frühstück. Das sollte +<a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a> +ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der Stelle +hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut +für mich wäre. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern +zurückhielte, ich hätte längst gekündigt, ich wäre vor +den Chef hingetreten und hätte ihm meine Meinung +von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte +er fallen müssen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich +auf das Pult zu setzen und von der Höhe herab mit +dem Angestellten zu reden, der überdies wegen der +Schwerhörigkeit des Chefs ganz nahe herantreten muß. +Nun, die Hoffnung ist noch nicht gänzlich aufgegeben, +habe ich einmal das Geld beisammen, um die Schuld +der Eltern an ihn abzuzahlen – es dürfte noch fünf +bis sechs Jahre dauern –, mache ich die Sache unbedingt. +Dann wird der große Schnitt gemacht. Vorläufig +allerdings muß ich aufstehen, denn mein Zug +fährt um fünf.«</p> + +<p>Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem +Kasten tickte. »Himmlischer Vater!« dachte er, Es war +halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorwärts, +es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel. +Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man +sah vom Bett aus, daß er auf vier Uhr richtig eingestellt +war; gewiß hatte er auch geläutet. Ja, aber war +es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu +verschlafen? Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, +aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er +jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben Uhr; um +den einzuholen, hätte er sich unsinnig beeilen müssen, +und die Kollektion war noch nicht eingepackt, und er +selbst fühlte sich durchaus nicht besonders frisch und +beweglich. Und selbst wenn er den Zug einholte, ein +Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn +der Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet +<a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a> +und die Meldung von seiner Versäumnis längst erstattet. +Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und +Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das +wäre aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor +war während seines fünfjährigen Dienstes noch nicht +einmal krank gewesen. Gewiß würde der Chef mit dem +Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen +des faulen Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände +durch den Hinweis auf den Krankenkassenarzt abschneiden, +für den es ja überhaupt nur ganz gesunde, +aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens +in diesem Falle so ganz unrecht? Gregor fühlte sich +tatsächlich, abgesehen von einer nach dem langen Schlaf +wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl und hatte +sogar einen besonders kräftigen Hunger.</p> + +<p>Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich +entschließen zu können, das Bett zu verlassen – gerade +schlug der Wecker dreiviertel sieben – klopfte +es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes. +»Gregor,« rief es – es war die Mutter –, »es ist +dreiviertel sieben. Wolltest du nicht wegfahren?« Die +sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er seine antwortende +Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine +frühere war, in die sich aber, wie von unten her, ein +nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte, +das die Worte förmlich nur im ersten Augenblick in +ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart +zu zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört +hatte. Gregor hatte ausführlich antworten und +alles erklären wollen, beschränkte sich aber bei diesen +Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke, Mutter, +ich stehe schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung +in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu +merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung +<a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a> +und schlürfte davon. Aber durch das kleine +Gespräch waren die anderen Familienmitglieder darauf +aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwarten +noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen +Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust. +»Gregor, Gregor,« rief er, »was ist denn?« Und nach +einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer +Stimme: »Gregor! Gregor!« An der anderen Seitentür +aber klagte leise die Schwester: »Gregor? Ist dir +nicht wohl? Brauchst du etwas?« Nach beiden Seiten +hin antwortete Gregor: »Bin schon fertig,« und bemühte +sich, durch die sorgfältigste Aussprache und +durch Einschaltung von langen Pausen zwischen den +einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu +nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück +zurück, die Schwester aber flüsterte: »Gregor, mach auf, +ich beschwöre dich.« Gregor aber dachte gar nicht daran +aufzumachen, sondern lobte die vom Reisen her übernommene +Vorsicht, auch zu Hause alle Türen während +der Nacht zu versperren.</p> + +<p>Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, +sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann +erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, +im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem +vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon +öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes +Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, +der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung +herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine +heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden. +Daß die Veränderung der Stimme nichts anderes war +als der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit +der Reisenden, daran zweifelte er nicht +im geringsten.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a> +Die Decke abzuwerfen war ganz einfach; er brauchte +sich nur ein wenig aufzublasen und sie fiel von selbst. +Aber weiterhin wurde es schwierig, besonders weil er +so ungemein breit war. Er hätte Arme und Hände +gebraucht, um sich aufzurichten; statt dessen aber hatte +er nur die vielen Beinchen, die ununterbrochen in der +verschiedensten Bewegung waren und die er überdies +nicht beherrschen konnte. Wollte er eines einmal einknicken, +so war es das erste, daß er sich streckte; und +gelang es ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen, +was er wollte, so arbeiteten inzwischen alle +anderen, wie freigelassen, in höchster, schmerzlicher +Aufregung. »Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten,« +sagte sich Gregor.</p> + +<p>Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers +aus dem Bett hinauskommen, aber dieser untere +Teil, den er übrigens noch nicht gesehen hatte und von +dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen konnte, +erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; +und als er schließlich, fast wild geworden, mit +gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich vorwärtsstieß, +hatte er die Richtung falsch gewählt, schlug an den +unteren Bettpfosten heftig an, und der brennende +Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, daß gerade +der untere Teil seines Körpers augenblicklich vielleicht +der empfindlichste war.</p> + +<p>Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus +dem Bett zu bekommen, und drehte vorsichtig den +Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht, und +trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die +Körpermasse langsam der Wendung des Kopfes. Aber +als er den Kopf endlich außerhalb des Bettes in der +freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese +Weise vorzurücken, denn wenn er sich schließlich so +<a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a> +fallen ließ, mußte geradezu ein Wunder geschehen +wenn der Kopf nicht verletzt werden sollte. Und die +Besinnung durfte er gerade jetzt um keinen Preis verlieren; +lieber wollte er im Bett bleiben.</p> + +<p>Aber als er wieder nach gleicher Mühe aufseufzend +so dalag wie früher, und wieder seine Beinchen womöglich +noch ärger gegeneinander kämpfen sah und +keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und +Ordnung zu bringen, sagte er sich wieder, daß er +unmöglich im Bett bleiben könne und daß es das +Vernünftigste sei, alles zu opfern, wenn auch nur die +kleinste Hoffnung bestünde, sich dadurch vom Bett zu +befreien. Gleichzeitig aber vergaß er nicht, sich zwischendurch +daran zu erinnern, daß viel besser als verzweifelte +Entschlüsse ruhige und ruhigste Überlegung sei. In +solchen Augenblicken richtete er die Augen möglichst +scharf auf das Fenster, aber leider war aus dem Anblick +des Morgennebels, der sogar die andere Seite der +engen Straße verhüllte, wenig Zuversicht und Munterkeit +zu holen. »Schon sieben Uhr,« sagte er sich beim +neuerlichen Schlagen des Weckers, »schon sieben Uhr +und noch immer ein solcher Nebel.« Und ein Weilchen +lang lag er ruhig mit schwachem Atem, als erwarte er +vielleicht von der völligen Stille die Wiederkehr der +wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.</p> + +<p>Dann aber sagte er sich: »Ehe es einviertel acht +schlägt, muß ich unbedingt das Bett vollständig verlassen +haben. Im übrigen wird auch bis dahin jemand aus dem +Geschäft kommen, um nach mir zu fragen, denn das +Geschäft wird vor sieben Uhr geöffnet.« Und er machte +sich nun daran, den Körper in seiner ganzen Länge +vollständig gleichmäßig aus dem Bett hinauszuschaukeln. +Wenn er sich auf diese Weise aus dem Bett fallen +ließ, blieb der Kopf, den er beim Fall scharf heben +<a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a> +wollte, voraussichtlich unverletzt. Der Rücken schien +hart zu sein; dem würde wohl bei dem Fall auf den +Teppich nichts geschehen. Das größte Bedenken machte +ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den es geben +müßte und der wahrscheinlich hinter allen Türen wenn +nicht Schrecken, so doch Besorgnisse erregen würde. +Das mußte aber gewagt werden.</p> + +<p>Als Gregor schon zur Hälfte aus dem Bette ragte +– die neue Methode war mehr ein Spiel als eine +Anstrengung, er brauchte immer nur ruckweise zu +schaukeln –, fiel ihm ein, wie einfach alles wäre, wenn +man ihm zu Hilfe käme. Zwei starke Leute – er +dachte an seinen Vater und das Dienstmädchen – +hätten vollständig genügt; sie hätten ihre Arme nur +unter seinen gewölbten Rücken schieben, ihn so aus +dem Bett schälen, sich mit der Last niederbeugen und +dann bloß vorsichtig dulden müssen, daß er den Überschwung +auf dem Fußboden vollzog, wo dann die +Beinchen hoffentlich einen Sinn bekommen würden. +Nun, ganz abgesehen davon, daß die Türen versperrt +waren, hätte er wirklich um Hilfe rufen sollen? Trotz +aller Not konnte er bei diesem Gedanken ein Lächeln +nicht unterdrücken.</p> + +<p>Schon war er so weit, daß er bei stärkerem Schaukeln +kaum das Gleichgewicht noch erhielt, und sehr +bald mußte er sich nun endgültig entscheiden, denn es +war in fünf Minuten einviertel acht, – als es an der +Wohnungstür läutete. »Das ist jemand aus dem Geschäft,« +sagte er sich und erstarrte fast, während seine +Beinchen nur desto eiliger tanzten. Einen Augenblick +blieb alles still. »Sie öffnen nicht,« sagte sich Gregor, +befangen in irgendeiner unsinnigen Hoffnung. Aber +dann ging natürlich wie immer das Dienstmädchen +festen Schrittes zur Tür und öffnete. Gregor brauchte +<a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a> +nur das erste Grußwort des Besuchers zu hören und +wußte schon, wer es war – der Prokurist selbst. Warum +war nur Gregor dazu verurteilt, bei einer Firma zu +dienen, wo man bei der kleinsten Versäumnis gleich +den größten Verdacht faßte? Waren denn alle Angestellten +samt und sonders Lumpen, gab es denn +unter ihnen keinen treuen ergebenen Menschen, den, +wenn er auch nur ein paar Morgenstunden für das +Geschäft nicht ausgenützt hatte, vor Gewissensbissen +närrisch wurde und geradezu nicht imstande war, das +Bett zu verlassen? Genügte es wirklich nicht, einen +Lehrjungen nachfragen zu lassen – wenn überhaupt +diese Fragerei nötig war –, mußte da der Prokurist +selbst kommen, und mußte dadurch der ganzen unschuldigen +Familie gezeigt werden, daß die Untersuchung +dieser verdächtigen Angelegenheit nur dem +Verstand des Prokuristen anvertraut werden konnte? +Und mehr infolge der Erregung, in welche Gregor +durch diese Überlegungen versetzt wurde, als infolge +eines richtigen Entschlusses, schwang er sich mit aller +Macht aus dem Bett. Es gab einen lauten Schlag, aber +ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein wenig wurde +der Fall durch den Teppich abgeschwächt, auch war +der Rücken elastischer, als Gregor gedacht hatte, daher +kam der nicht gar so auffallende dumpfe Klang. Nur +den Kopf hatte er nicht vorsichtig genug gehalten und +ihn angeschlagen; er drehte ihn und rieb ihn an dem +Teppich vor Ärger und Schmerz.</p> + +<p>»Da drin ist etwas gefallen,« sagte der Prokurist im +Nebenzimmer links. Gregor suchte sich vorzustellen, +ob nicht auch einmal dem Prokuristen etwas Ähnliches +passieren könnte, wie heute ihm; die Möglichkeit dessen +mußte man doch eigentlich zugeben. Aber wie zur rohen +Antwort auf diese Frage machte jetzt der Prokurist +<a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a> +im Nebenzimmer ein paar bestimmte Schritte und ließ +seine Lackstiefel knarren. Aus dem Nebenzimmer rechts +flüsterte die Schwester, um Gregor zu verständigen: +»Gregor, der Prokurist ist da.« »Ich weiß,« sagte +Gregor vor sich hin; aber so laut, daß es die Schwester +hätte hören können, wagte er die Stimme nicht zu erheben.</p> + +<p>»Gregor,« sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer +links, »der Herr Prokurist ist gekommen und +erkundigt sich, warum du nicht mit dem Frühzug weggefahren +bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen +sollen. Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen. +Also bitte mach die Tür auf. Er wird die Unordnung +im Zimmer zu entschuldigen schon die Güte haben.« +»Guten Morgen, Herr Samsa,« rief der Prokurist freundlich +dazwischen. »Ihm ist nicht wohl,« sagte die Mutter +zum Prokuristen, während der Vater noch an der Tür +redete, »ihm ist nicht wohl, glauben Sie mir, Herr Prokurist. +Wie würde denn Gregor sonst einen Zug versäumen! +Der Junge hat ja nichts im Kopf als das +Geschäft. Ich ärgere mich schon fast, daß er abends +niemals ausgeht; jetzt war er doch acht Tage in der +Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause. Da sitzt +er bei uns am Tisch und liest still die Zeitung oder +studiert Fahrpläne. Es ist schon eine Zerstreuung +für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten beschäftigt. +Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei +Abenden einen kleinen Rahmen geschnitzt; Sie werden +staunen, wie hübsch er ist; er hängt drin im Zimmer; +Sie werden ihn gleich sehen, wenn Gregor aufmacht. +Ich bin übrigens glücklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist; +wir allein hätten Gregor nicht dazu gebracht, +die Tür zu öffnen; er ist so hartnäckig; und bestimmt +ist ihm nicht wohl, trotzdem er es am Morgen geleugnet +<a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a> +hat.« »Ich komme gleich,« sagte Gregor langsam +und bedächtig und rührte sich nicht, um kein Wort +der Gespräche zu verlieren. »Anders, gnädige Frau, +kann ich es mir auch nicht erklären,« sagte der Prokurist, +»hoffentlich ist es nichts Ernstes. Wenn ich auch +andererseits sagen muß, daß wir Geschäftsleute – wie +man will, leider oder glücklicherweise – ein leichtes +Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten einfach +überwinden müssen.« »Also kann der Herr Prokurist +schon zu dir hinein?« fragte der ungeduldige +Vater und klopfte wiederum an die Tür. »Nein,« sagte +Gregor. Im Nebenzimmer links trat eine peinliche Stille +ein, im Nebenzimmer rechts begann die Schwester zu +schluchzen.</p> + +<p>Warum ging denn die Schwester nicht zu den anderen? +Sie war wohl erst jetzt aus dem Bett aufgestanden +und hatte noch gar nicht angefangen sich anzuziehen. +Und warum weinte sie denn? Weil er nicht aufstand +und den Prokuristen nicht hereinließ, weil er in Gefahr +war, den Posten zu verlieren und weil dann der Chef +die Eltern mit den alten Forderungen wieder verfolgen +würde? Das waren doch vorläufig wohl unnötige Sorgen. +Noch war Gregor hier und dachte nicht im geringsten +daran, seine Familie zu verlassen. Augenblicklich lag +er wohl da auf dem Teppich, und niemand, der seinen +Zustand gekannt hätte, hätte im Ernst von ihm verlangt, +daß er den Prokuristen hereinlasse. Aber wegen dieser +kleinen Unhöflichkeit, für die sich ja später leicht eine +passende Ausrede finden würde, konnte Gregor doch +nicht gut sofort weggeschickt werden. Und Gregor schien +es, daß es viel vernünftiger wäre, ihn jetzt in Ruhe zu +lassen, statt ihn mit Weinen und Zureden zu stören. +Aber es war eben die Ungewißheit, welche die anderen +bedrängte und ihr Benehmen entschuldigte.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a> +»Herr Samsa,« rief nun der Prokurist mit erhobener +Stimme, »was ist denn los? Sie verbarrikadieren sich +da in Ihrem Zimmer, antworten bloß mit ja und nein, +machen Ihren Eltern schwere, unnötige Sorgen und +versäumen – dies nur nebenbei erwähnt – Ihre geschäftlichen +Pflichten in einer eigentlich unerhörten Weise. +Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern und Ihres +Chefs und bitte Sie ganz ernsthaft um eine augenblickliche, +deutliche Erklärung. Ich staune, ich staune. Ich +glaubte Sie als einen ruhigen, vernünftigen Menschen +zu kennen, und nun scheinen Sie plötzlich anfangen +zu wollen, mit sonderbaren Launen zu paradieren. Der +Chef deutete mir zwar heute früh eine mögliche Erklärung +für Ihre Versäumnis an – sie betraf das Ihnen +seit kurzem anvertraute Inkasso –, aber ich legte wahrhaftig +fast mein Ehrenwort dafür ein, daß diese Erklärung +nicht zutreffen könne. Nun aber sehe ich hier +Ihren unbegreiflichen Starrsinn und verliere ganz und +gar jede Lust, mich auch nur im geringsten für Sie +einzusetzen. Und Ihre Stellung ist durchaus nicht die +festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das +alles unter vier Augen zu sagen, aber da Sie mich +hier nutzlos meine Zeit versäumen lassen, weiß ich +nicht, warum es nicht auch Ihre Herren Eltern erfahren +sollen. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also +sehr unbefriedigend; es ist zwar nicht die Jahreszeit, +um besondere Geschäfte zu machen, das erkennen wir +an; aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte zu machen, +gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa, darf es nicht +geben.«</p> + +<p>»Aber Herr Prokurist,« rief Gregor außer sich und +vergaß in der Aufregung alles andere, »ich mache ja +sofort, augenblicklich auf. Ein leichtes Unwohlsein, ein +Schwindelanfall, haben mich verhindert aufzustehen. Ich +<a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a> +liege noch jetzt im Bett. Jetzt bin ich aber schon wieder +ganz frisch. Eben steige ich aus dem Bett. Nur einen +kleinen Augenblick Geduld! Es geht noch nicht so gut, +wie ich dachte. Es ist mir aber schon wohl. Wie das +nur einen Menschen so überfallen kann! Noch gestern +abend war mir ganz gut, meine Eltern wissen es ja, +oder besser, schon gestern abend hatte ich eine kleine +Vorahnung. Man hätte es mir ansehen müssen. Warum +habe ich es nur im Geschäfte nicht gemeldet! Aber man +denkt eben immer, daß man die Krankheit ohne Zuhausebleiben +überstehen wird. Herr Prokurist! Schonen +Sie meine Eltern! Für alle die Vorwürfe, die Sie mir +jetzt machen, ist ja kein Grund; man hat mir ja davon +auch kein Wort gesagt. Sie haben vielleicht die letzten +Aufträge, die ich geschickt habe, nicht gelesen. Übrigens, +noch mit dem Achtuhrzug fahre ich auf die Reise, die +paar Stunden Ruhe haben mich gekräftigt. Halten Sie +sich nur nicht auf, Herr Prokurist; ich bin gleich selbst +im Geschäft, und haben Sie die Güte, das zu sagen +und mich dem Herrn Chef zu empfehlen!«</p> + +<p>Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und +kaum wußte, was er sprach, hatte er sich leicht, wohl +infolge der im Bett bereits erlangten Übung, dem Kasten +genähert und versuchte nun, an ihm sich aufzurichten. +Er wollte tatsächlich die Tür aufmachen, tatsächlich sich +sehen lassen und mit dem Prokuristen sprechen; er war +begierig zu erfahren, was die anderen, die jetzt so nach +ihm verlangten, bei seinem Anblick sagen würden. +Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung +mehr und konnte ruhig sein. Würden sie +aber alles ruhig hinnehmen, dann hatte auch er keinen +Grund sich aufzuregen, und konnte, wenn er sich beeilte, +um acht Uhr tatsächlich auf dem Bahnhof sein. +Zuerst glitt er nun einigemale von dem glatten Kasten +<a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a> +ab, aber endlich gab er sich einen letzten Schwung und +stand aufrecht da; auf die Schmerzen im Unterleib +achtete er gar nicht mehr, so sehr sie auch brannten. Nun +ließ er sich gegen die Rücklehne eines nahen Stuhles fallen, +an deren Rändern er sich mit seinen Beinchen festhielt. +Damit hatte er aber auch die Herrschaft über sich +erlangt und verstummte, denn nun konnte er den Prokuristen +anhören.</p> + +<p>»Haben Sie auch nur ein Wort verstanden?« fragte +der Prokurist die Eltern, »er macht sich doch wohl +nicht einen Narren aus uns?« »Um Gottes willen,« +rief die Mutter schon unter Weinen, »er ist vielleicht +schwer krank, und wir quälen ihn. Grete! Grete!« +schrie sie dann. »Mutter?« rief die Schwester von der +anderen Seite. Sie verständigten sich durch Gregors +Zimmer. »Du mußt augenblicklich zum Arzt. Gregor +ist krank. Rasch um den Arzt. Hast du Gregor jetzt +reden hören?« »Das war eine Tierstimme,« sagte der +Prokurist, auffallend leise gegenüber dem Schreien der +Mutter. »Anna! Anna!« rief der Vater durch das Vorzimmer +in die Küche und klatschte in die Hände, »sofort +einen Schlosser holen!« Und schon liefen die zwei +Mädchen mit rauschenden Röcken durch das Vorzimmer +– wie hatte sich die Schwester denn so schnell angezogen? +– und rissen die Wohnungstüre auf. Man +hörte gar nicht die Türe zuschlagen; sie hatten sie wohl +offen gelassen, wie es in Wohnungen zu sein pflegt, in +denen ein großes Unglück geschehen ist.</p> + +<p>Gregor war aber viel ruhiger geworden. Man verstand +zwar also seine Worte nicht mehr, trotzdem sie +ihm genug klar, klarer als früher, vorgekommen waren, +vielleicht infolge der Gewöhnung des Ohres. Aber +immerhin glaubte man nun schon daran, daß es mit +ihm nicht ganz in Ordnung war, und war bereit, ihm +<a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a> +zu helfen. Die Zuversicht und Sicherheit, womit die +ersten Anordnungen getroffen worden waren, taten +ihm wohl. Er fühlte sich wieder einbezogen in den +menschlichen Kreis und erhoffte von beiden, vom Arzt +und vom Schlosser, ohne sie eigentlich genau zu scheiden, +großartige und überraschende Leistungen. Um für +die sich nähernden entscheidenden Besprechungen eine +möglichst klare Stimme zu bekommen, hustete er ein +wenig ab, allerdings bemüht, dies ganz gedämpft zu +tun, da möglicherweise auch schon dieses Geräusch +anders als menschlicher Husten klang, was er selbst zu +entscheiden sich nicht mehr getraute. Im Nebenzimmer +war es inzwischen ganz still geworden. Vielleicht +saßen die Eltern mit dem Prokuristen beim Tisch und +tuschelten, vielleicht lehnten alle an der Türe und +horchten.</p> + +<p>Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür +hin, ließ ihn dort los, warf sich gegen die Tür, hielt +sich an ihr aufrecht – die Ballen seiner Beinchen hatten +ein wenig Klebstoff – und ruhte sich dort einen Augenblick +lang von der Anstrengung aus. Dann aber machte +er sich daran, mit dem Mund den Schlüssel im Schloß +umzudrehen. Es schien leider, daß er keine eigentlichen +Zähne hatte, – womit sollte er gleich den Schlüssel +fassen? – aber dafür waren die Kiefer freilich sehr +stark, mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den +Schlüssel in Bewegung und achtete nicht darauf, daß +er sich zweifellos irgendeinen Schaden zufügte, denn +eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem Mund, floß +über den Schlüssel und tropfte auf den Boden. »Hören +Sie nur,« sagte der Prokurist im Nebenzimmer, »er +dreht den Schlüssel um.« Das war für Gregor eine +große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen +sollen, auch der Vater und die Mutter: »Frisch, Gregor,« +<a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a> +hätten sie rufen sollen, »immer nur heran, fest an +das Schloß heran!« Und in der Vorstellung, daß alle +seine Bemühungen mit Spannung verfolgten, verbiß er +sich mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte, besinnungslos +in den Schlüssel. Je nach dem Fortschreiten +der Drehung des Schlüssels umtanzte er das Schloß, +hielt sich jetzt nur noch mit dem Munde aufrecht, und +je nach Bedarf hing er sich an den Schlüssel oder drückte +ihn dann wieder nieder mit der ganzen Last seines +Körpers. Der hellere Klang des endlich zurückschnappenden +Schlosses erweckte Gregor förmlich. Aufatmend +sagte er sich: »Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht,« +und legte den Kopf auf die Klinke, um die +Türe gänzlich zu öffnen.</p> + +<p>Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war +sie eigentlich schon recht weit geöffnet, und er selbst +noch nicht zu sehen. Er mußte sich erst langsam um +den einen Türflügel herumdrehen, und zwar sehr vorsichtig, +wenn er nicht gerade vor dem Eintritt ins +Zimmer plump auf den Rücken fallen wollte. Er war +noch mit jener schwierigen Bewegung beschäftigt und +hatte nicht Zeit, auf anderes zu achten, da hörte er +schon den Prokuristen ein lautes »Oh!« ausstoßen – +es klang, wie wenn der Wind saust – und nun sah +er ihn auch, wie er, der der Nächste an der Türe war, +die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam +zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare, +gleichmäßig fortwirkende Kraft. Die Mutter – sie stand +hier trotz der Anwesenheit des Prokuristen mit von +der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich sträubenden +Haaren – sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater +an, ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und fiel +inmitten ihrer rings um sie herum sich ausbreitenden +Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar zu ihrer +<a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a> +Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseligem +Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein +Zimmer zurückstoßen, sah sich dann unsicher im +Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen +die Augen und weinte, daß sich seine mächtige Brust +schüttelte.</p> + +<p>Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern +lehnte sich von innen an den festgeriegelten Türflügel, +so daß sein Leib nur zur Hälfte und darüber der seitlich +geneigte Kopf zu sehen war, mit dem er zu den +anderen hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller +geworden; klar stand auf der anderen Straßenseite +ein Ausschnitt des gegenüberliegenden, endlosen, grauschwarzen +Hauses – es war ein Krankenhaus – mit +seinen hart die Front durchbrechenden regelmäßigen +Fenstern; der Regen fiel noch nieder, aber nur mit +großen, einzeln sichtbaren und förmlich auch einzelnweise +auf die Erde hinuntergeworfenen Tropfen. Das +Frühstücksgeschirr stand in überreicher Zahl auf dem +Tisch, denn für den Vater war das Frühstück die +wichtigste Mahlzeit des Tages, die er bei der Lektüre +verschiedener Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade +an der gegenüberliegenden Wand hing eine Photographie +Gregors aus seiner Militärzeit, die ihn als +Leutnant darstellte, wie er, die Hand am Degen, sorglos +lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uniform +verlangte. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und +man sah, da auch die Wohnungstür offen war, auf +den Vorplatz der Wohnung hinaus und auf den Beginn +der abwärts führenden Treppe.</p> + +<p>»Nun,« sagte Gregor und war sich dessen wohl +bewußt, daß er der einzige war, der die Ruhe bewahrt +hatte, »ich werde mich gleich anziehen, die Kollektion +zusammenpacken und wegfahren. Wollt ihr, wollt ihr +<a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a> +mich wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen, +ich bin nicht starrköpfig und ich arbeite gern; das Reisen +ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das Reisen nicht +leben. Wohin gehen Sie denn, Herr Prokurist? Ins Geschäft? +Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten? +Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten, +aber dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die +früheren Leistungen zu erinnern und zu bedenken, daß +man später, nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß +desto fleißiger und gesammelter arbeiten wird. Ich bin +ja dem Herrn Chef so sehr verpflichtet, das wissen +Sie doch recht gut. Andererseits habe ich die Sorge +um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in der +Klemme, ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten. +Machen Sie es mir aber nicht schwieriger, als +es schon ist. Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man +liebt den Reisenden nicht, ich weiß. Man denkt, er +verdient ein Heidengeld und führt dabei ein schönes +Leben. Man hat eben keine besondere Veranlassung, +dieses Vorurteil besser zu durchdenken. Sie aber, Herr +Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über +die Verhältnisse, als das sonstige Personal, ja sogar, +ganz im Vertrauen gesagt, einen besseren Überblick, +als der Herr Chef selbst, der in seiner Eigenschaft als +Unternehmer sich in seinem Urteil leicht zuungunsten +eines Angestellten beirren läßt. Sie wissen auch sehr +wohl, daß der Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb +des Geschäftes ist, so leicht ein Opfer von Klatschereien, +Zufälligkeiten und grundlosen Beschwerden +werden kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich +ist, da er von ihnen meistens gar nichts erfährt +und nur dann, wenn er erschöpft eine Reise +beendet hat, zu Hause die schlimmen, auf ihre Ursachen +hin nicht mehr zu durchschauenden Folgen am eigenen +<a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a> +Leibe zu spüren bekommt. Herr Prokurist, gehen Sie +nicht weg, ohne mir ein Wort gesagt zu haben, das +mir zeigt, daß Sie mir wenigstens zu einem kleinen +Teil recht geben!«</p> + +<p>Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten +Worten Gregors abgewendet, und nur über die zuckende +Schulter hinweg sah er mit aufgeworfenen Lippen nach +Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand er +keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne +Gregor aus den Augen zu lassen, gegen die Tür, +aber ganz allmählich, als bestehe ein geheimes Verbot, +das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer, +und nach der plötzlichen Bewegung, mit der er zum +letztenmal den Fuß aus dem Wohnzimmer zog, hätte +man glauben können, er habe sich soeben die Sohle +verbrannt. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte +Hand weit von sich zur Treppe hin, als warte dort +auf ihn eine geradezu überirdische Erlösung.</p> + +<p>Gregor sah ein, daß er den Prokuristen in dieser +Stimmung auf keinen Fall weggehen lassen dürfe, wenn +dadurch seine Stellung im Geschäft nicht aufs äußerste +gefährdet werden sollte. Die Eltern verstanden das +alles nicht so gut; sie hatten sich in den langen Jahren +die Überzeugung gebildet, daß Gregor in diesem Geschäft +für sein Leben versorgt war, und hatten außerdem +jetzt mit den augenblicklichen Sorgen so viel zu +tun, daß ihnen jede Voraussicht abhanden gekommen +war. Aber Gregor hatte diese Voraussicht. Der Prokurist +mußte gehalten, beruhigt, überzeugt und schließlich +gewonnen werden; die Zukunft Gregors und seiner +Familie hing doch davon ab! Wäre doch die Schwester +hier gewesen! Sie war klug; sie hatte schon geweint, +als Gregor noch ruhig auf dem Rücken lag. Und gewiß +hätte der Prokurist, dieser Damenfreund, sich von ihr +<a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a> +lenken lassen; sie hätte die Wohnungstür zugemacht +und ihm im Vorzimmer den Schrecken ausgeredet. +Aber die Schwester war eben nicht da, Gregor selbst +mußte handeln. Und ohne daran zu denken, daß er +seine gegenwärtigen Fähigkeiten, sich zu bewegen, noch +gar nicht kannte, ohne auch daran zu denken, daß +seine Rede möglicher- ja wahrscheinlicherweise wieder +nicht verstanden worden war, verließ er den Türflügel; +schob sich durch die Öffnung; wollte zum Prokuristen +hingehen, der sich schon am Geländer des Vorplatzes +lächerlicherweise mit beiden Händen festhielt; fiel aber +sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei +auf seine vielen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen, +fühlte er zum erstenmal an diesem Morgen +ein körperliches Wohlbehagen; die Beinchen hatten +festen Boden unter sich; sie gehorchten vollkommen, +wie er zu seiner Freude merkte; strebten sogar darnach, +ihn fortzutragen, wohin er wollte; und schon glaubte +er, die endgültige Besserung alles Leidens stehe unmittelbar +bevor. Aber im gleichen Augenblick, als er +da schaukelnd vor verhaltener Bewegung, gar nicht +weit von seiner Mutter entfernt, ihr gerade gegenüber +auf dem Boden lag, sprang diese, die doch so ganz +in sich versunken schien, mit einemmale in die Höhe, +die Arme weit ausgestreckt, die Finger gespreizt, rief: +»Hilfe, um Gottes willen Hilfe!«, hielt den Kopf geneigt, +als wolle sie Gregor besser sehen, lief aber, im +Widerspruch dazu, sinnlos zurück; hatte vergessen, +daß hinter ihr der gedeckte Tisch stand; setzte sich, +als sie bei ihm angekommen war, wie in Zerstreutheit, +eilig auf ihn, und schien gar nicht zu merken, +daß neben ihr aus der umgeworfenen großen Kanne +der Kaffee in vollem Strome auf den Teppich sich ergoß.</p> + +<p>»Mutter, Mutter,« sagte Gregor leise und sah zu +<a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a> +ihr hinauf. Der Prokurist war ihm für einen Augenblick +ganz aus dem Sinn gekommen; dagegen konnte +er sich nicht versagen, im Anblick des fließenden Kaffees +mehrmals mit den Kiefern ins Leere zu schnappen. +Darüber schrie die Mutter neuerdings auf, flüchtete +vom Tisch und fiel dem ihr entgegeneilenden Vater +in die Arme. Aber Gregor hatte jetzt keine Zeit für +seine Eltern; der Prokurist war schon auf der Treppe; +das Kinn auf dem Geländer, sah er noch zum letzten +Male zurück. Gregor nahm einen Anlauf, um ihn möglichst +sicher einzuholen; der Prokurist mußte etwas +ahnen, denn er machte einen Sprung über mehrere +Stufen und verschwand; »Huh!« aber schrie er noch, +es klang durchs ganze Treppenhaus. Leider schien nun +auch diese Flucht des Prokuristen den Vater, der bisher +verhältnismäßig gefaßt gewesen war, völlig zu verwirren, +denn statt selbst dem Prokuristen nachzulaufen +oder wenigstens Gregor in der Verfolgung nicht zu +hindern, packte er mit der Rechten den Stock des Prokuristen, +den dieser mit Hut und Überzieher auf einem +Sessel zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine +große Zeitung vom Tisch und machte sich unter Füßestampfen +daran, Gregor durch Schwenken des Stockes +und der Zeitung in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein +Bitten Gregors half, kein Bitten wurde auch verstanden, +er mochte den Kopf noch so demütig drehen, der +Vater stampfte nur stärker mit den Füßen. Drüben +hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster +aufgerissen, und hinausgelehnt drückte sie ihr Gesicht +weit außerhalb des Fensters in ihre Hände. Zwischen +Gasse und Treppenhaus entstand eine starke Zugluft, +die Fenstervorhänge flogen auf, die Zeitungen auf dem +Tische rauschten, einzelne Blätter wehten über den +Boden hin. Unerbittlich drängte der Vater und stieß +<a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a> +Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber Gregor +noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen, es ging +wirklich sehr langsam. Wenn sich Gregor nur hätte +umdrehen dürfen, er wäre gleich in seinem Zimmer +gewesen, aber er fürchtete sich, den Vater durch die +zeitraubende Umdrehung ungeduldig zu machen, und +jeden Augenblick drohte ihm doch von dem Stock in +des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den Rücken +oder auf den Kopf. Endlich aber blieb Gregor doch +nichts anderes übrig, denn er merkte mit Entsetzen, +daß er im Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung +einzuhalten verstand; und so begann er, unter unaufhörlichen +ängstlichen Seitenblicken nach dem Vater, sich +nach Möglichkeit rasch, in Wirklichkeit aber doch nur +sehr langsam umzudrehen. Vielleicht merkte der Vater +seinen guten Willen, denn er störte ihn hierbei nicht, +sondern dirigierte sogar hie und da die Drehbewegung +von der Ferne mit der Spitze seines Stockes. Wenn +nur nicht dieses unerträgliche Zischen des Vaters gewesen +wäre! Gregor verlor darüber ganz den Kopf. +Er war schon fast ganz umgedreht, als er sich, immer +auf dieses Zischen horchend, sogar irrte und sich wieder +ein Stück zurückdrehte. Als er aber endlich glücklich +mit dem Kopf vor der Türöffnung war, zeigte es +sich, daß sein Körper zu breit war, um ohne weiteres +durchzukommen. Dem Vater fiel es natürlich in seiner +gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein, etwa +den anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen +genügenden Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee +war bloß, daß Gregor so rasch als möglich in sein +Zimmer müsse. Niemals hätte er auch die umständlichen +Vorbereitungen gestattet, die Gregor brauchte, +um sich aufzurichten und vielleicht auf diese Weise +durch die Tür zu kommen. Vielleicht trieb er, als gäbe +<a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a> +es kein Hindernis, Gregor jetzt unter besonderem Lärm +vorwärts; es klang schon hinter Gregor gar nicht mehr +wie die Stimme bloß eines einzigen Vaters; nun gab es +wirklich keinen Spaß mehr, und Gregor drängte sich – +geschehe was wolle – in die Tür. Die eine Seite seines +Körpers hob sich, er lag schief in der Türöffnung, seine +eine Flanke war ganz wundgerieben, an der weißen +Tür blieben häßliche Flecke, bald steckte er fest und +hätte sich allein nicht mehr rühren können, die Beinchen +auf der einen Seite hingen zitternd oben in der +Luft, die auf der anderen waren schmerzhaft zu Boden +gedrückt – da gab ihm der Vater von hinten einen +jetzt wahrhaftig erlösenden starken Stoß, und er flog, +heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein. Die Tür +wurde noch mit dem Stock zugeschlagen, dann war es +endlich still.</p> + + + +<h2>II.</h2> + + +<p>Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus +seinem schweren ohnmachtähnlichen Schlaf. Er wäre +gewiß nicht viel später auch ohne Störung erwacht, +denn er fühlte sich genügend ausgeruht und ausgeschlafen, +doch schien es ihm, als hätte ihn ein flüchtiger +Schritt und ein vorsichtiges Schließen der zum Vorzimmer +führenden Tür geweckt. Der Schein der elektrischen +Straßenbahn lag bleich hier und da auf der +Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel, +aber unten bei Gregor war es finster. Langsam schob +er sich, noch ungeschickt mit seinen Fühlern tastend, +die er jetzt erst schätzen lernte, zur Türe hin, um +nachzusehen, was dort geschehen war. Seine linke Seite +schien eine einzige lange, unangenehm spannende Narbe, +und er mußte auf seinen zwei Beinreihen regelrecht +hinken. Ein Beinchen war übrigens im Laufe der vormittägigen +<a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a> +Vorfälle schwer verletzt worden – es war +fast ein Wunder, daß nur eines verletzt worden war – +und schleppte leblos nach.</p> + +<p>Erst bei der Tür merkte er, was ihn dorthin eigentlich +gelockt hatte; es war der Geruch von etwas Eßbarem +gewesen. Denn dort stand ein Napf mit süßer +Milch gefüllt, in der kleine Schnitte von Weißbrot +schwammen. Fast hätte er vor Freude gelacht, denn +er hatte noch größeren Hunger als am Morgen, und +gleich tauchte er seinen Kopf fast bis über die Augen +in die Milch hinein. Aber bald zog er ihn enttäuscht +wieder zurück; nicht nur, daß ihm das Essen wegen +seiner heiklen linken Seite Schwierigkeiten machte – +und er konnte nur essen, wenn der ganze Körper +schnaufend mitarbeitete –, so schmeckte ihm überdies +die Milch, die sonst sein Lieblingsgetränk war und +die ihm gewiß die Schwester deshalb hereingestellt +hatte, gar nicht, ja er wandte sich fast mit Widerwillen +von dem Napf ab und kroch in die Zimmermitte zurück.</p> + +<p>Im Wohnzimmer war, wie Gregor durch die Türspalte +sah, das Gas angezündet, aber während sonst +zu dieser Tageszeit der Vater seine nachmittags erscheinende +Zeitung der Mutter und manchmal auch +der Schwester mit erhobener Stimme vorzulesen pflegte, +hörte man jetzt keinen Laut. Nun vielleicht war dieses +Vorlesen, von dem ihm die Schwester immer erzählte +und schrieb, in der letzten Zeit überhaupt aus der +Übung gekommen. Aber auch ringsherum war es so +still, trotzdem doch gewiß die Wohnung nicht leer war. +»Was für ein stilles Leben die Familie doch führte,« +sagte sich Gregor und fühlte, während er starr vor +sich ins Dunkle sah, einen großen Stolz darüber, daß +er seinen Eltern und seiner Schwester ein solches +Leben in einer so schönen Wohnung hatte verschaffen +<a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a> +können. Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand, +alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen +sollte? Um sich nicht in solche Gedanken zu verlieren, +setzte sich Gregor lieber in Bewegung und kroch im +Zimmer auf und ab.</p> + +<p>Einmal während des langen Abends wurde die eine +Seitentüre und einmal die andere bis zu einer kleinen +Spalte geöffnet und rasch wieder geschlossen; jemand +hatte wohl das Bedürfnis hereinzukommen, aber auch +wieder zu viele Bedenken. Gregor machte nun unmittelbar +bei der Wohnzimmertür Halt, entschlossen, den +zögernden Besucher doch irgendwie hereinzubringen +oder doch wenigstens zu erfahren, wer es sei; aber +nun wurde die Tür nicht mehr geöffnet und Gregor +wartete vergebens. Früh, als die Türen versperrt waren, +hatten alle zu ihm hereinkommen wollen, jetzt, da er +die eine Tür geöffnet hatte und die anderen offenbar +während des Tages geöffnet worden waren, kam keiner +mehr, und die Schlüssel steckten nun auch von außen.</p> + +<p>Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzimmer +ausgelöscht, und nun war leicht festzustellen, +daß die Eltern und die Schwester so lange wachgeblieben +waren, denn wie man genau hören konnte, +entfernten sich jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun +kam gewiß bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor +herein; er hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu +überlegen, wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. +Aber das hohe freie Zimmer, in dem er gezwungen +war, flach auf dem Boden zu liegen, ängstigte ihn, +ohne daß er die Ursache herausfinden konnte, denn +es war ja sein seit fünf Jahren von ihm bewohntes +Zimmer – und mit einer halb unbewußten Wendung +und nicht ohne eine leichte Scham eilte er unter das +Kanapee, wo er sich, trotzdem sein Rücken ein wenig +<a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a> +gedrückt wurde und trotzdem er den Kopf nicht mehr +erheben konnte, gleich sehr behaglich fühlte und nur +bedauerte, daß sein Körper zu breit war, um vollständig +unter dem Kanapee untergebracht zu werden.</p> + +<p>Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im +Halbschlaf, aus dem ihn der Hunger immer wieder +aufschreckte, verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und +undeutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlusse +führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch +Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die +Unannehmlichkeiten erträglich machen müsse, die er ihr +in seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu verursachen +gezwungen war.</p> + +<p>Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht, +hatte Gregor Gelegenheit, die Kraft seiner eben gefaßten +Entschlüsse zu prüfen, denn vom Vorzimmer +her öffnete die Schwester, fast völlig angezogen, die +Tür und sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht +gleich, aber als sie ihn unter dem Kanapee bemerkte +– Gott, er mußte doch irgendwo sein, er hatte doch +nicht wegfliegen können – erschrak sie so sehr, daß +sie, ohne sich beherrschen zu können, die Tür von +außen wieder zuschlug. Aber als bereue sie ihr Benehmen, +öffnete sie die Tür sofort wieder und trat, +als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem +Fremden, auf den Fußspitzen herein. Gregor hatte den +Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees vorgeschoben +und beobachtete sie. Ob sie wohl bemerken würde, +daß er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar +keineswegs aus Mangel an Hunger, und ob sie eine +andere Speise hereinbringen würde, die ihm besser +entsprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber +verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem +es ihn eigentlich ungeheuer drängte, unterm Kanapee +<a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a> +vorzuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen +und sie um irgend etwas Gutes zum Essen zu bitten. +Aber die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung +den noch vollen Napf, aus dem nur ein wenig +Milch ringsherum verschüttet war, sie hob ihn gleich +auf, zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit +einem Fetzen, und trug ihn hinaus. Gregor war äußerst +neugierig, was sie zum Ersatze bringen würde, und +er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber. +Niemals aber hätte er erraten können, was die Schwester +in ihrer Güte wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen +Geschmack zu prüfen, eine ganze Auswahl, alles auf +einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes +Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die +von festgewordener weißer Sauce umgeben waren; +ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den Gregor +vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein +trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes Brot und +ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot. Außerdem +stellte sie zu dem allen noch den wahrscheinlich +ein für allemal für Gregor bestimmten Napf, in den +sie Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, da +sie wußte, daß Gregor vor ihr nicht essen würde, entfernte +sie sich eiligst und drehte sogar den Schlüssel +um, damit nur Gregor merken könne, daß er es sich +so behaglich machen dürfe, wie er wolle. Gregors +Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine +Wunden mußten übrigens auch schon vollständig geheilt +sein, er fühlte keine Behinderung mehr, er staunte +darüber und dachte daran, wie er vor mehr als einem +Monat sich mit dem Messer ganz wenig in den Finger +geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern +genug wehgetan hatte. »Sollte ich jetzt weniger Feingefühl +haben?« dachte er und saugte schon gierig an +<a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a> +dem Käse, zu dem es ihn vor allen anderen Speisen +sofort und nachdrücklich gezogen hatte. Rasch hintereinander +und mit vor Befriedigung tränenden Augen +verzehrte er den Käse, das Gemüse und die Sauce; +die frischen Speisen dagegen schmeckten ihm nicht, er +konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte +sogar die Sachen, die er essen wollte, ein Stückchen +weiter weg. Er war schon längst mit allem fertig und +lag nur noch faul auf der gleichen Stelle, als die +Schwester zum Zeichen, daß er sich zurückziehen solle, +langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn +sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte, und +er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete +ihn große Selbstüberwindung, auch nur die kurze Zeit, +während welcher die Schwester im Zimmer war, unter +dem Kanapee zu bleiben, denn von dem reichlichen +Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet, und er +konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen +Erstickungsanfällen sah er mit etwas hervorgequollenen +Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester mit einem +Besen nicht nur die Überbleibsel zusammenkehrte, sondern +selbst die von Gregor gar nicht berührten Speisen, +als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, +und wie sie alles hastig in einen Kübel schüttete, den +sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie alles hinaustrug. +Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon +Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte und +blähte sich.</p> + +<p>Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein +Essen, einmal am Morgen, wenn die Eltern und das +Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach dem +allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern +gleichfalls noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen +wurde von der Schwester mit irgendeiner Besorgung +<a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a> +weggeschickt. Gewiß wollten auch sie nicht, daß Gregor +verhungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen +können, von seinem Essen mehr als durch Hörensagen +zu erfahren, vielleicht wollte die Schwester ihnen +auch eine möglicherweise nur kleine Trauer ersparen, +denn tatsächlich litten sie ja gerade genug.</p> + +<p>Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag +den Arzt und den Schlosser wieder aus der +Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren, +denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand +daran, auch die Schwester nicht, daß er die +anderen verstehen könne, und so mußte er sich, wenn +die Schwester in seinem Zimmer war, damit begnügen, +nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen +zu hören. Erst später, als sie sich ein wenig an alles +gewöhnt hatte – von vollständiger Gewöhnung konnte +natürlich niemals die Rede sein –, erhaschte Gregor +manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war +oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm +aber geschmeckt,« sagte sie, wenn Gregor unter dem +Essen tüchtig aufgeräumt hatte, während sie im gegenteiligen +Fall, der sich allmählich immer häufiger wiederholte, +fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder +alles stehengeblieben.«</p> + +<p>Während aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit +erfahren konnte, erhorchte er manches aus den Nebenzimmern, +und wo er nun einmal Stimmen hörte, lief er +gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit +ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab +es kein Gespräch, das nicht irgendwie wenn auch nur +im geheimen, von ihm handelte. Zwei Tage lang waren +bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie +man sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den +Mahlzeiten sprach man über das gleiche Thema, denn +<a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a> +immer waren zumindest zwei Familienmitglieder zu +Hause, da wohl niemand allein zu Hause bleiben wollte +und man die Wohnung doch auf keinen Fall gänzlich +verlassen konnte. Auch hatte das Dienstmädchen gleich +am ersten Tag – es war nicht ganz klar, was und +wieviel sie von dem Vorgefallenen wußte – kniefällig +die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen, und +als sie sich eine Viertelstunde danach verabschiedete, +dankte sie für die Entlassung unter Tränen, wie für +die größte Wohltat, die man ihr hier erwiesen hatte, +und gab, ohne daß man es von ihr verlangte, einen +fürchterlichen Schwur ab, niemandem auch nur das +geringste zu verraten.</p> + +<p>Nun mußte die Schwester im Verein mit der Mutter +auch kochen; allerdings machte das nicht viel Mühe, +denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte Gregor, +wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte +und keine andere Antwort bekam, als: »Danke +ich habe genug« oder etwas Ähnliches. Getrunken +wurde vielleicht auch nichts. Öfters fragte die Schwester +den Vater, ob er Bier haben wolle, und herzlich erbot +sie sich, es selbst zu holen, und als der Vater schwieg, +sagte sie, um ihm jedes Bedenken zu nehmen, sie +könne auch die Hausmeisterin darum schicken, aber +dann sagte der Vater schließlich ein großes »Nein«, +und es wurde nicht mehr davon gesprochen.</p> + +<p>Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater +die ganzen Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl +der Mutter als auch der Schwester dar. Hie +und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner +kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor fünf Jahren +erfolgten Zusammenbruch seines Geschäftes gerettet +hatte, irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch. +Man hörte, wie er das komplizierte Schloß aufsperrte +<a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a> +und nach Entnahme des Gesuchten wieder verschloß. +Diese Erklärungen des Vaters waren zum Teil das +erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft +zu hören bekam. Er war der Meinung gewesen, +daß dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste +übriggeblieben war, zumindest hatte ihm der +Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und Gregor allerdings +hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregors +Sorge war damals nur gewesen, alles daranzusetzen, +um die Familie das geschäftliche Unglück, das alle in +eine vollständige Hoffnungslosigkeit gebracht hatte, möglichst +rasch vergessen zu lassen. Und so hatte er damals +mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen +und war fast über Nacht aus einem kleinen Kommis +ein Reisender geworden, der natürlich ganz andere +Möglichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen +Arbeitserfolge sich sofort in Form der Provision zu +Bargeld verwandelten, das der erstaunten und beglückten +Familie zu Hause auf den Tisch gelegt werden konnte. +Es waren schöne Zeiten gewesen, und niemals nachher +hatten sie sich, wenigstens in diesem Glanze, wiederholt, +trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, daß +er den Aufwand der ganzen Familie zu tragen imstande +war und auch trug. Man hatte sich eben daran +gewöhnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man +nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab, +aber eine besondere Wärme wollte sich nicht mehr ergeben. +Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe +geblieben, und es war sein geheimer Plan, sie, die +zum Unterschied von Gregor Musik sehr liebte und +rührend Violine zu spielen verstand, nächstes Jahr, +ohne Rücksicht auf die großen Kosten, die das verursachen +mußte, und die man schon auf andere Weise +hereinbringen würde, auf das Konservatorium zu +<a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a> +schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte Gregors +in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der +Schwester das Konservatorium erwähnt, aber immer +nur als schöner Traum, an dessen Verwirklichung nicht +zu denken war, und die Eltern hörten nicht einmal +diese unschuldigen Erwähnungen gern; aber Gregor +dachte sehr bestimmt daran und beabsichtigte, es am +Weihnachtsabend feierlich zu erklären.</p> + +<p>Solche in seinem gegenwärtigen Zustand ganz nutzlose +Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während +er dort aufrecht an der Türe klebte und horchte. +Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar +nicht mehr zuhören und ließ den Kopf nachlässig gegen +die Tür schlagen, hielt ihn aber sofort wieder fest, +denn selbst das kleine Geräusch, das er damit verursacht +hatte, war nebenan gehört worden und hatte alle +verstummen lassen. »Was er nur wieder treibt,« sagte +der Vater nach einer Weile, offenbar zur Türe hingewendet, +und dann erst wurde das unterbrochene +Gespräch allmählich wieder aufgenommen.</p> + +<p>Gregor erfuhr nun zur Genüge – denn der Vater +pflegte sich in seinen Erklärungen öfters zu wiederholen, +teils, weil er selbst sich mit diesen Dingen schon lange +nicht beschäftigt hatte, teils auch, weil die Mutter nicht +alles gleich beim erstenmal verstand –, daß trotz +allen Unglücks ein allerdings ganz kleines Vermögen +aus der alten Zeit noch vorhanden war, das die nicht +angerührten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hatten +anwachsen lassen. Außerdem aber war das Geld, das +Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte – er +selbst hatte nur ein paar Gulden für sich behalten –, +nicht vollständig aufgebraucht worden und hatte sich +zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter +seiner Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete +<a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a> +Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich hätte er +ja mit diesen überschüssigen Geldern die Schuld des +Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen haben +können, und jener Tag, an dem er diesen Posten hätte +loswerden können, wäre weit näher gewesen, aber jetzt +war es zweifellos besser so, wie es der Vater eingerichtet +hatte.</p> + +<p>Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht, +um die Familie etwa von den Zinsen leben zu lassen; +es genügte vielleicht, um die Familie ein, höchstens +zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war +also bloß eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen +durfte, und die für den Notfall zurückgelegt +werden mußte; das Geld zum Leben aber mußte man +verdienen. Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, +aber alter Mann, der schon fünf Jahre nichts +gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen +durfte; er hatte in diesen fünf Jahren, welche die ersten +Ferien seines mühevollen und doch erfolglosen Lebens +waren, viel Fett angesetzt und war dadurch recht +schwerfällig geworden. Und die alte Mutter sollte nun +vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt, der eine +Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung +verursachte, und die jeden zweiten Tag in Atembeschwerden +auf dem Sofa beim offenen Fenster +verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen, +die noch ein Kind war mit ihren siebzehn Jahren, und +der ihre bisherige Lebensweise so sehr zu gönnen war, +die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden, lange +zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar +bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor +allem Violine zu spielen? Wenn die Rede auf diese +Notwendigkeit des Geldverdienens kam, ließ zuerst +immer Gregor die Türe los und warf sich auf das +<a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a> +neben der Tür befindliche kühle Ledersofa, denn ihm +war ganz heiß vor Beschämung und Trauer.</p> + +<p>Oft lag er dort die ganzen langen Nächte über, +schlief keinen Augenblick und scharrte nur stundenlang +auf dem Leder. Oder er scheute nicht die große Mühe, +einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die Fensterbrüstung +hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt, +sich ans Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner +Erinnerung an das Befreiende, das früher für ihn darin +gelegen war, aus dem Fenster zu schauen. Denn tatsächlich +sah er von Tag zu Tag die auch nur ein +wenig entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegenüberliegende +Krankenhaus, dessen nur allzu häufigen +Anblick er früher verflucht hatte, bekam er überhaupt +nicht mehr zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewußt +hätte, daß er in der stillen, aber völlig städtischen +Charlottenstraße wohnte, hätte er glauben können, +von seinem Fenster aus in eine Einöde zu schauen +in welcher der graue Himmel und die graue Erde +ununterscheidbar sich vereinigten. Nur zweimal hatte +die aufmerksame Schwester sehen müssen, daß der +Sessel beim Fenster stand, als sie schon jedesmal, +nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, den Sessel +wieder genau zum Fenster hinschob, ja sogar von nun +ab den inneren Fensterflügel offen ließ.</p> + +<p>Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und +ihr für alles danken können, was sie für ihn machen +mußte, er hätte ihre Dienste leichter ertragen; so aber +litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit +des Ganzen möglichst zu verwischen, und je +längere Zeit verging, desto besser gelang es ihr natürlich +auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit +alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war für ihn schrecklich. +Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit +<a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a> +zu nehmen, die Türe zu schließen, so sehr sie sonst +darauf achtete, jedem den Anblick von Gregors Zimmer +zu ersparen, geradewegs zum Fenster und riß +es, als ersticke sie fast, mit hastigen Händen auf, blieb +auch, selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen +beim Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und +Lärmen erschreckte sie Gregor täglich zweimal; die +ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee und +wußte doch sehr gut, daß sie ihn gewiß gerne damit +verschont hätte, wenn es ihr nur möglich gewesen wäre, +sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor befand, bei +geschlossenem Fenster aufzuhalten.</p> + +<p>Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors +Verwandlung vergangen, und es war doch schon für +die Schwester kein besonderer Grund mehr, über Gregors +Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein +wenig früher als sonst und traf Gregor noch an, wie +er, unbeweglich und so recht zum Erschrecken aufgestellt, +aus dem Fenster schaute. Es wäre für Gregor nicht +unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten wäre, +da er sie durch seine Stellung verhinderte, sofort das +Fenster zu öffnen, aber sie trat nicht nur nicht ein, +sie fuhr sogar zurück und schloß die Tür; ein Fremder +hätte geradezu denken können, Gregor habe ihr +aufgelauert und habe sie beißen wollen. Gregor versteckte +sich natürlich sofort unter dem Kanapee, aber +er mußte bis zum Mittag warten, ehe die Schwester +wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst. +Er erkannte daraus, daß ihr sein Anblick noch immer +unerträglich war und ihr auch weiterhin unerträglich +bleiben müsse, und daß sie sich wohl sehr überwinden +mußte, vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie +seines Körpers nicht davonzulaufen, mit der er unter +dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch diesen Anblick +<a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a> +zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem +Rücken – er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden +– das Leintuch auf das Kanapee und ordnete es in +einer solchen Weise an, daß er nun gänzlich verdeckt +war, und daß die Schwester, selbst wenn sie sich +bückte, ihn nicht sehen konnte. Wäre dieses Leintuch +ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen, dann hätte +sie es ja entfernen können, denn daß es nicht zum +Vergnügen Gregors gehören konnte, sich so ganz und +gar abzusperren, war doch klar genug, aber sie ließ +das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte sogar +einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er +einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig +lüftete, um nachzusehen, wie die Schwester die neue +Einrichtung aufnahm.</p> + +<p>In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern +nicht über sich bringen, zu ihm hereinzukommen, und +er hörte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester +völlig anerkannten, während sie sich bisher häufig über +die Schwester geärgert hatten, weil sie ihnen als ein +etwas nutzloses Mädchen erschienen war. Nun aber +warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor +Gregors Zimmer, während die Schwester dort aufräumte, +und kaum war sie herausgekommen, mußte +sie ganz genau erzählen, wie es in dem Zimmer aussah, +was Gregor gegessen hatte, wie er sich diesmal +benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung +zu bemerken war. Die Mutter übrigens wollte +verhältnismäßig bald Gregor besuchen, aber der Vater +und die Schwester hielten sie zuerst mit Vernunftgründen +zurück, denen Gregor sehr aufmerksam zuhörte, +und die er vollständig billigte. Später aber mußte +man sie mit Gewalt zurückhalten, und wenn sie dann +rief: »Laßt mich doch zu Gregor, er ist ja mein unglücklicher +<a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a> +Sohn! Begreift ihr es denn nicht, daß ich zu +ihm muß?«, dann dachte Gregor, daß es vielleicht doch +gut wäre, wenn die Mutter hereinkäme, nicht jeden Tag +natürlich, aber vielleicht einmal in der Woche; sie verstand +doch alles viel besser als die Schwester, die trotz +all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten +Grunde vielleicht nur aus kindlichem Leichtsinn eine so +schwere Aufgabe übernommen hatte.</p> + +<p>Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging +bald in Erfüllung. Während des Tages wollte Gregor +schon aus Rücksicht auf seine Eltern sich nicht beim +Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar +Quadratmetern des Fußbodens auch nicht viel, das +ruhige Liegen ertrug er schon während der Nacht +schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das +geringste Vergnügen, und so nahm er zur Zerstreuung +die Gewohnheit an, kreuz und quer über Wände und +Plafond zu kriechen. Besonders oben an der Decke +hing er gern; es war ganz anders, als das Liegen +auf dem Fußboden; man atmete freier; ein leichtes +Schwingen ging durch den Körper, und in der fast +glücklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben +befand, konnte es geschehen, daß er zu seiner eigenen +Überraschung sich losließ und auf den Boden klatschte. +Aber nun hatte er natürlich seinen Körper ganz anders +in der Gewalt als früher und beschädigte sich selbst +bei einem so großen Falle nicht. Die Schwester nun +bemerkte sofort die neue Unterhaltung, die Gregor für +sich gefunden hatte – er hinterließ ja auch beim Kriechen +hie und da Spuren seines Klebstoffes –, und da +setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in +größtem Ausmaße zu ermöglichen und die Möbel, die +es verhinderten, also vor allem den Kasten und den +Schreibtisch, wegzuschaffen. Nun war sie aber nicht +<a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a> +imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie +nicht um Hilfe zu bitten; das Dienstmädchen hätte ihr +ganz gewiß nicht geholfen, denn dieses etwa sechzehnjährige +Mädchen harrte zwar tapfer seit Entlassung +der früheren Köchin aus, hatte aber um die Vergünstigung +gebeten, die Küche unaufhörlich versperrt halten +zu dürfen und nur auf besonderen Anruf öffnen zu +müssen; so blieb der Schwester also nichts übrig, als +einmal in Abwesenheit des Vaters die Mutter zu holen. +Mit Ausrufen erregter Freude kam die Mutter auch +heran, verstummte aber an der Tür vor Gregors Zimmer. +Zuerst sah natürlich die Schwester nach, ob alles +im Zimmer in Ordnung war; dann erst ließ sie die +Mutter eintreten. Gregor hatte in größter Eile das +Leintuch noch tiefer und mehr in Falten gezogen, das +Ganze sah wirklich nur wie ein zufällig über das +Kanapee geworfenes Leintuch aus. Gregor unterließ +auch diesmal, unter dem Leintuch zu spionieren; er +verzichtete darauf, die Mutter schon diesmal zu sehen, +und war nur froh, daß sie nun doch gekommen war. +»Komm nur, man sieht ihn nicht,« sagte die Schwester, +und offenbar führte sie die Mutter an der Hand. Gregor +hörte nun, wie die zwei schwachen Frauen den +immerhin schweren alten Kasten von seinem Platze +rückten, und wie die Schwester immerfort den größten +Teil der Arbeit für sich beanspruchte, ohne auf die +Warnungen der Mutter zu hören, welche fürchtete, daß +sie sich überanstrengen werde. Es dauerte sehr lange. +Wohl nach schon viertelstündiger Arbeit sagte die +Mutter, man solle den Kasten doch lieber hier lassen, +denn erstens sei er zu schwer, sie würden vor Ankunft +des Vaters nicht fertig werden und mit dem +Kasten in der Mitte des Zimmers Gregor jeden Weg +verrammeln, zweitens aber sei es doch gar nicht sicher, +<a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a> +daß Gregor mit der Entfernung der Möbel ein Gefallen +geschehe. Ihr scheine das Gegenteil der Fall zu +sein; ihr bedrücke der Anblick der leeren Wand geradezu +das Herz; und warum solle nicht auch Gregor diese +Empfindung haben, da er doch an die Zimmermöbel +längst gewöhnt sei und sich deshalb im leeren Zimmer +verlassen fühlen werde. »Und ist es dann nicht so,« +schloß die Mutter ganz leise, wie sie überhaupt fast +flüsterte, als wolle sie vermeiden, daß Gregor, dessen +genauen Aufenthalt sie ja nicht kannte, auch nur den +Klang der Stimme höre, denn daß er die Worte nicht +verstand, davon war sie überzeugt, »und ist es nicht +so, als ob wir durch die Entfernung der Möbel zeigten, +daß wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und +ihn rücksichtslos sich selbst überlassen? Ich glaube, es +wäre das beste, wir suchen das Zimmer genau in dem +Zustand zu erhalten, in dem es früher war, damit +Gregor, wenn er wieder zu uns zurückkommt, alles +unverändert findet und um so leichter die Zwischenzeit +vergessen kann.«</p> + +<p>Beim Anhören dieser Worte der Mutter erkannte +Gregor, daß der Mangel jeder unmittelbaren menschlichen +Ansprache, verbunden mit dem einförmigen Leben +inmitten der Familie, im Laufe dieser zwei Monate +seinen Verstand hatte verwirren müssen, denn anders +konnte er es sich nicht erklären, daß er ernsthaft darnach +hatte verlangen können, daß sein Zimmer ausgeleert +würde. Hatte er wirklich Lust, das warme, mit +ererbten Möbeln gemütlich ausgestattete Zimmer in +eine Höhle verwandeln zu lassen, in der er dann freilich +nach allen Richtungen ungestört würde kriechen +können, jedoch auch unter gleichzeitigem, schnellen, +gänzlichen Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit? +War er doch jetzt schon nahe daran, zu vergessen, +<a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a> +und nur die seit langem nicht gehörte Stimme der +Mutter hatte ihn aufgerüttelt. Nichts sollte entfernt +werden, alles mußte bleiben, die guten Einwirkungen +der Möbel auf seinen Zustand konnte er nicht entbehren; +und wenn die Möbel ihn hinderten, das sinnlose +Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden, +sondern ein großer Vorteil.</p> + +<p>Aber die Schwester war leider anderer Meinung; +sie hatte sich, allerdings nicht ganz unberechtigt, angewöhnt, +bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors +als besonders Sachverständige gegenüber den Eltern +aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter +für die Schwester Grund genug, auf der Entfernung +nicht nur des Kastens und des Schreibtisches, an die +sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung +sämtlicher Möbel, mit Ausnahme des unentbehrlichen +Kanapees, zu bestehen. Es war natürlich +nicht nur kindlicher Trotz und das in der letzten Zeit +so unerwartet und schwer erworbene Selbstvertrauen, +das sie zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch +auch tatsächlich beobachtet, daß Gregor viel Raum zum +Kriechen brauchte, dagegen die Möbel, soweit man sehen +konnte, nicht im geringsten benützte. Vielleicht aber +spielte auch der schwärmerische Sinn der Mädchen ihres +Alters mit, der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung +sucht, und durch den Grete jetzt sich dazu verlocken +ließ, die Lage Gregors noch schreckenerregender +machen zu wollen, um dann noch mehr als bis jetzt +für ihn leisten zu können. Denn in einem Raum, in dem +Gregor ganz allein die leeren Wände beherrschte, würde +wohl kein Mensch außer Grete jemals einzutreten sich +getrauen.</p> + +<p>Und so ließ sie sich von ihrem Entschlusse durch +die Mutter nicht abbringen, die auch in diesem Zimmer +<a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a> +vor lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte +und der Schwester nach Kräften beim Hinausschaffen +des Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im +Notfall noch entbehren, aber schon der Schreibtisch +mußte bleiben. Und kaum hatten die Frauen mit dem +Kasten, an dem sie sich ächzend drückten, das Zimmer +verlassen, als Gregor den Kopf unter dem Kanapee +hervorstieß, um zu sehen, wie er vorsichtig und möglichst +rücksichtsvoll eingreifen könnte. Aber zum Unglück +war es gerade die Mutter, welche zuerst zurückkehrte, +während Grete im Nebenzimmer den Kasten +umfangen hielt und ihn allein hin und her schwang, +ohne ihn natürlich von der Stelle zu bringen. Die +Mutter aber war Gregors Anblick nicht gewöhnt, er +hätte sie krank machen können, und so eilte Gregor +erschrocken im Rückwärtslauf bis an das andere Ende +des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern, +daß das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das +genügte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie +stockte, stand einen Augenblick still und ging dann +zu Grete zurück.</p> + +<p>Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, daß ja +nichts Außergewöhnliches geschehe, sondern nur ein paar +Möbel umgestellt würden, wirkte doch, wie er sich bald +eingestehen mußte, dieses Hin- und Hergehen der +Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der Möbel +auf dem Boden, wie ein großer, von allen Seiten genährter +Trubel auf ihn, und er mußte sich, so fest er +Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den +Boden drückte, unweigerlich sagen, daß er das Ganze +nicht lange aushalten werde. Sie räumten ihm sein +Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb war; +den Kasten, in dem die Laubsäge und andere Werkzeuge +lagen, hatten sie schon hinausgetragen; lockerten +<a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a> +jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen Schreibtisch, +an dem er als Handelsakademiker, als Bürgerschüler, +ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben +geschrieben hatte, – da hatte er wirklich keine Zeit +mehr, die guten Absichten zu prüfen, welche die zwei +Frauen hatten, deren Existenz er übrigens fast vergessen +hatte, denn vor Erschöpfung arbeiteten sie schon stumm, +und man hörte nur das schwere Tappen ihrer Füße.</p> + +<p>Und so brach er denn hervor – die Frauen stützten +sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um +ein wenig zu verschnaufen –, wechselte viermal die +Richtung des Laufes, er wußte wirklich nicht, was er +zuerst retten sollte, da sah er an der im übrigen schon +leeren Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk +gekleideten Dame hängen, kroch eilends hinauf +und preßte sich an das Glas, das ihn festhielt und +seinem heißen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens, +das Gregor jetzt ganz verdeckte, würde nun gewiß +niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der +Tür des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr +zu beobachten.</p> + +<p>Sie hatten sich nicht viel Ruhe gegönnt und kamen +schon wieder; Grete hatte den Arm um die Mutter +gelegt und trug sie fast. »Also was nehmen wir jetzt?« +sagte Grete und sah sich um, Da kreuzten sich ihre +Blicke mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur +infolge der Gegenwart der Mutter behielt sie ihre +Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom +Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd +und unüberlegt: »Komm, wollen wir nicht lieber auf +einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zurückgehen?« +Die Absicht Gretes war für Gregor klar, sie wollte +die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von +der Wand hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja immerhin +<a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a> +versuchen! Er saß auf seinem Bild und gab es +nicht her. Lieber würde er Grete ins Gesicht springen.</p> + +<p>Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht +beunruhigt, sie trat zur Seite, erblickte den riesigen +braunen Fleck auf der geblümten Tapete, rief, ehe ihr +eigentlich zum Bewußtsein kam, daß das Gregor war, +was sie sah, mit schreiender, rauher Stimme: »Ach +Gott, ach Gott!« und fiel mit ausgebreiteten Armen, +als gebe sie alles auf, über das Kanapee hin und rührte +sich nicht. »Du, Gregor!« rief die Schwester mit erhobener +Faust und eindringlichen Blicken. Es waren seit der +Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an +ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um +irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter +aus ihrer Ohnmacht wecken könnte; Gregor wollte +auch helfen – zur Rettung des Bildes war noch Zeit –; +er klebte aber fest an dem Glas und mußte sich +mit Gewalt losreißen; er lief dann auch ins Nebenzimmer, +als könne er der Schwester irgendeinen Rat +geben, wie in früherer Zeit; mußte aber dann untätig +hinter ihr stehen; während sie in verschiedenen Fläschchen +kramte, erschreckte sie noch, als sie sich umdrehte; +eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach; ein +Splitter verletzte Gregor im Gesicht, irgendeine ätzende +Medizin umfloß ihn; Grete nahm nun, ohne sich länger +aufzuhalten, so viele Fläschchen, als sie nur halten +konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter hinein; die Tür +schlug sie mit dem Fuße zu. Gregor war nun von der +Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht +dem Tode nahe war; die Tür durfte er nicht öffnen, +wollte er die Schwester, die bei der Mutter bleiben +mußte, nicht verjagen; er hatte jetzt nichts zu tun, +als zu warten; und von Selbstvorwürfen und Besorgnis +bedrängt, begann er zu kriechen, überkroch alles, +<a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a> +Wände, Möbel und Zimmerdecke und fiel endlich in +seiner Verzweiflung, als sich das ganze Zimmer schon +um ihn zu drehen anfing, mitten auf den großen Tisch.</p> + +<p>Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da, +ringsherum war es still, vielleicht war das ein gutes +Zeichen. Da läutete es. Das Mädchen war natürlich +in ihrer Küche eingesperrt und Grete mußte daher +öffnen gehen. Der Vater war gekommen. »Was ist +geschehen?« waren seine ersten Worte; Gretes Aussehen +hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete +mit dumpfer Stimme, offenbar drückte sie ihr Gesicht +an des Vaters Brust: »Die Mutter war ohnmächtig, +aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen.« +»Ich habe es ja erwartet,« sagte der Vater, »ich habe +es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht +hören.« Gregor war es klar, daß der Vater Gretes +allzukurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte und annahm, +daß Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden +kommen lassen. Deshalb mußte Gregor den +Vater jetzt zu besänftigen suchen, denn ihn aufzuklären +hatte er weder Zeit noch Möglichkeit. Und so +flüchtete er sich zur Tür seines Zimmers und drückte +sich an sie, damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer +her gleich sehen könne, daß Gregor die beste +Absicht habe, sofort in sein Zimmer zurückzukehren, +und daß es nicht nötig sei, ihn zurückzutreiben, sondern +daß man nur die Tür zu öffnen brauchte, und gleich +werde er verschwinden.</p> + +<p>Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche +Feinheiten zu bemerken. »Ah!« rief er gleich beim +Eintritt in einem Tone, als sei er gleichzeitig wütend +und froh. Gregor zog den Kopf von der Tür zurück +und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den +Vater wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand; +<a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a> +allerdings hatte er in der letzten Zeit über dem neuartigen +Herumkriechen versäumt, sich so wie früher um +die Vorgänge in der übrigen Wohnung zu kümmern, +und hätte eigentlich darauf gefaßt sein müssen, veränderte +Verhältnisse anzutreffen. Trotzdem, trotzdem, +war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der +müde im Bett vergraben lag, wenn früher Gregor +zu einer Geschäftsreise ausgerückt war; der ihn an +Abenden der Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl +empfangen hatte; gar nicht recht imstande war, aufzustehen, +sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme +gehoben hatte, und der bei den seltenen gemeinsamen +Spaziergängen an ein paar Sonntagen im Jahr und an +den höchsten Feiertagen zwischen Gregor und der +Mutter, die schon an und für sich langsam gingen, immer +noch ein wenig langsamer, in seinen alten Mantel eingepackt, +mit stets vorsichtig aufgesetztem Krückstock +sich vorwärts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte, +fast immer stillstand und seine Begleitung um sich versammelte? +Nun aber war er doch gut aufgerichtet; in +eine straffe blaue Uniform mit Goldknöpfen gekleidet, +wie sie Diener der Bankinstitute tragen; über dem hohen +steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes +Doppelkinn; unter den buschigen Augenbrauen drang +der Blick der schwarzen Augen frisch und aufmerksam +hervor; das sonst zerzauste weiße Haar war zu einer +peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergekämmt. +Er warf seine Mütze, auf der ein Goldmonogramm, +wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war, +über das ganze Zimmer im Bogen auf das Kanapee +hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes +zurückgeschlagen, die Hände in den Hosentaschen, mit +verbissenem Gesicht auf Gregor zu. Er wußte wohl +selbst nicht, was er vorhatte; immerhin hob er die +<a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a> +Füße ungewöhnlich hoch, und Gregor staunte über die +Riesengröße seiner Stiefelsohlen. Doch hielt er sich +dabei nicht auf, er wußte ja noch vom ersten Tage +seines neuen Lebens her, daß der Vater ihm gegenüber +nur die größte Strenge für angebracht ansah. Und +so lief er vor dem Vater her, stockte, wenn der Vater +stehen blieb, und eilte schon wieder vorwärts, wenn +sich der Vater nur rührte. So machten sie mehrmals +die Runde um das Zimmer, ohne daß sich etwas Entscheidendes +ereignete, ja ohne daß das Ganze infolge +seines langsamen Tempos den Anschein einer Verfolgung +gehabt hätte. Deshalb blieb auch Gregor vorläufig +auf dem Fußboden, zumal er fürchtete, der +Vater könnte eine Flucht auf die Wände oder den +Plafond für besondere Bosheit halten. Allerdings mußte +sich Gregor sagen, daß er sogar dieses Laufen nicht +lange aushalten würde, denn während der Vater einen +Schritt machte, mußte er eine Unzahl von Bewegungen +ausführen. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu +machen, wie er ja auch in seiner früheren Zeit keine +ganz vertrauenswürdige Lunge besessen hatte. Als er +nun so dahintorkelte, um alle Kräfte für den Lauf +zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner +Stumpfheit an eine andere Rettung als durch Laufen +gar nicht dachte; und fast schon vergessen hatte, daß +ihm die Wände freistanden, die hier allerdings mit +sorgfältig geschnitzten Möbeln voll Zacken und Spitzen +verstellt waren – da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, +irgend etwas nieder und rollte vor ihm her. +Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach; +Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen +war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen, +ihn zu bombardieren. Aus der Obstschale auf der +Kredenz hatte er sich die Taschen gefüllt und warf +<a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a> +nun, ohne vorläufig scharf zu zielen, Apfel für Apfel. +Diese kleinen roten Äpfel rollten wie elektrisiert auf +dem Boden herum und stießen aneinander. Ein schwach +geworfener Apfel streifte Gregors Rücken, glitt aber +unschädlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang +dagegen förmlich in Gregors Rücken ein; Gregor wollte +sich weiterschleppen, als könne der überraschende unglaubliche +Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; +doch fühlte er sich wie festgenagelt und streckte sich +in vollständiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem +letzten Blick sah er noch, wie die Tür seines Zimmers +aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester +die Mutter hervoreilte, im Hemd, denn die Schwester +hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit +zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den +Vater zulief und ihr auf dem Weg die aufgebundenen +Röcke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und +wie sie stolpernd über die Röcke auf den Vater eindrang +und ihn umarmend, in gänzlicher Vereinigung +mit ihm – nun versagte aber Gregors Sehkraft schon +– die Hände an des Vaters Hinterkopf um Schonung +von Gregors Leben bat.</p> + + + +<h2>III.</h2> + + +<p>Die schwere Verwundung Gregors, an der er über +einen Monat litt – der Apfel blieb, da ihn niemand +zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische +sitzen –, schien selbst den Vater daran erinnert zu +haben, daß Gregor trotz seiner gegenwärtigen traurigen +und ekelhaften Gestalt ein Familienglied war, das +man nicht wie einen Feind behandeln durfte, sondern +dem gegenüber es das Gebot der Familienpflicht war, +den Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden, +nichts als dulden.</p> + +<p><a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a> +Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde +an Beweglichkeit wahrscheinlich für immer verloren hatte +und vorläufig zur Durchquerung seines Zimmers wie +ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte – an +das Kriechen in der Höhe war nicht zu denken –, so +bekam er für diese Verschlimmerung seines Zustandes +einen seiner Meinung nach vollständig genügenden Ersatz +dadurch, daß immer gegen Abend die Wohnzimmertür, +die er schon ein bis zwei Stunden vorher +scharf zu beobachten pflegte, geöffnet wurde, so daß +er, im Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer +aus unsichtbar, die ganze Familie beim beleuchteten +Tische sehen und ihre Reden, gewissermaßen +mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz anders als früher, +anhören durfte.</p> + +<p>Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen +der früheren Zeiten, an die Gregor in den +kleinen Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht +hatte, wenn er sich müde in das feuchte Bettzeug +hatte werfen müssen. Es ging jetzt meist nur sehr still +zu. Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in +seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester ermahnten +einander zur Stille; die Mutter nähte, weit über das +Licht vorgebeugt, feine Wäsche für ein Modengeschäft; +die Schwester, die eine Stellung als Verkäuferin angenommen +hatte, lernte am Abend Stenographie und +Französisch, um vielleicht später einmal einen besseren +Posten zu erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, +und als wisse er gar nicht, daß er geschlafen habe, +sagte er zur Mutter: »Wie lange du heute schon +wieder nähst!« und schlief sofort wieder ein, während +Mutter und Schwester einander müde zulächelten.</p> + +<p>Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater, +auch zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und +<a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a> +während der Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing, +schlummerte der Vater vollständig angezogen auf seinem +Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und +warte auch hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen +verlor die gleich anfangs nicht neue Uniform +trotz aller Sorgfalt von Mutter und Schwester +an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende +lang auf dieses über und über fleckige, mit seinen +stets geputzten Goldknöpfen leuchtende Kleid, in dem +der alte Mann höchst unbequem und doch ruhig schlief.</p> + +<p>Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter +durch leise Zusprache den Vater zu wecken und dann +zu überreden, ins Bett zu gehen, denn hier war es +doch kein richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater, +der um sechs Uhr seinen Dienst antreten mußte, äußerst +nötig. Aber in dem Eigensinn, der ihn, seitdem er +Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer darauf, +noch länger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelmäßig +einschlief, und war dann überdies nur mit der +größten Mühe zu bewegen, den Sessel mit dem Bett +zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester +mit kleinen Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen, +viertelstundenlang schüttelte er langsam den +Kopf, hielt die Augen geschlossen und stand nicht +auf. Die Mutter zupfte ihn am Ärmel, sagte ihm +Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verließ ihre +Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater +verfing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen +Sessel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln +faßten, schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die +Mutter und die Schwester an und pflegte zu sagen: +»Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe meiner alten +Tage.« Und auf die beiden Frauen gestützt, erhob +er sich, umständlich, als sei er für sich selbst die größte +<a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a> +Last, ließ sich von den Frauen bis zur Türe führen, +winkte ihnen dort ab und ging nun selbständig weiter, +während die Mutter ihr Nähzeug, die Schwester ihre +Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem Vater zu laufen +und ihm weiter behilflich zu sein.</p> + +<p>Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten +Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kümmern, als +unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde immer mehr +eingeschränkt; das Dienstmädchen wurde nun doch entlassen; +eine riesige knochige Bedienerin mit weißem, +den Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und +des Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten; alles +andere besorgte die Mutter neben ihrer vielen Näharbeit. +Es geschah sogar, daß verschiedene Familienschmuckstücke, +welche früher die Mutter und die +Schwester überglücklich bei Unterhaltungen und Feierlichkeiten +getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor +am Abend aus der allgemeinen Besprechung der +erzielten Preise erfuhr. Die größte Klage war aber +stets, daß man diese für die gegenwärtigen Verhältnisse +allzugroße Wohnung nicht verlassen konnte, da +es nicht auszudenken war, wie man Gregor übersiedeln +sollte. Aber Gregor sah wohl ein, daß es nicht +nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine Übersiedlung +verhinderte, denn ihn hätte man doch in einer +passenden Kiste mit ein paar Luftlöchern leicht transportieren +können; was die Familie hauptsächlich vom +Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die völlige +Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, daß sie +mit einem Unglück geschlagen war, wie niemand sonst +im ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis. Was die +Welt von armen Leuten verlangt, erfüllten sie bis +zum äußersten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten +das Frühstück, die Mutter opferte sich für die +<a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a> +Wäsche fremder Leute, die Schwester lief nach dem +Befehl der Kunden hinter dem Pulte hin und her, aber +weiter reichten die Kräfte der Familie schon nicht. Und +die Wunde im Rücken fing Gregor wie neu zu schmerzen +an, wenn Mutter und Schwester, nachdem sie +den Vater zu Bett gebracht hatten, nun zurückkehrten, +die Arbeit liegen ließen, nahe zusammenrückten, schon +Wange an Wange saßen; wenn jetzt die Mutter, auf +Gregors Zimmer zeigend, sagte: »Mach' dort die Tür +zu, Grete,« und wenn nun Gregor wieder im Dunkel +war, während nebenan die Frauen ihre Tränen vermischten +oder gar tränenlos den Tisch anstarrten.</p> + +<p>Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz +ohne Schlaf. Manchmal dachte er daran, beim nächsten +Öffnen der Tür die Angelegenheiten der Familie ganz +so wie früher wieder in die Hand zu nehmen; in +seinen Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit +der Chef und der Prokurist, die Kommis und die Lehrjungen, +der so begriffsstützige Hausknecht, zwei drei +Freunde aus anderen Geschäften, ein Stubenmädchen +aus einem Hotel in der Provinz, eine liebe, flüchtige +Erinnerung, eine Kassiererin aus einem Hutgeschäft, +um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben +hatte – sie alle erschienen untermischt mit Fremden +oder schon Vergessenen, aber statt ihm und seiner +Familie zu helfen, waren sie sämtlich unzugänglich, und +er war froh, wenn sie verschwanden. Dann aber war +er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie +zu sorgen, bloß Wut über die schlechte Wartung erfüllte +ihn, und trotzdem er sich nichts vorstellen konnte, +worauf er Appetit gehabt hätte, machte er doch Pläne, +wie er in die Speisekammer gelangen könnte, um dort +zu nehmen, was ihm, auch wenn er keinen Hunger +hatte, immerhin gebührte. Ohne jetzt mehr nachzudenken, +<a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a> +womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen +könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens +und mittags ins Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine +beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie +am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht +nur gekostet oder – der häufigste Fall – gänzlich +unberührt war, mit einem Schwenken des Besens +hinauszukehren. Das Aufräumen des Zimmers, das sie +nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr +schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die +Wände entlang, hie und da lagen Knäuel von Staub +und Unrat. In der ersten Zeit stellte sich Gregor bei +der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende +Winkel, um ihr durch diese Stellung gewissermaßen +einen Vorwurf zu machen. Aber er hätte +wohl wochenlang dort bleiben können, ohne daß sich +die Schwester gebessert hätte; sie sah ja den Schmutz +genau so wie er, aber sie hatte sich eben entschlossen, +ihn zu lassen. Dabei wachte sie mit einer an ihr ganz +neuen Empfindlichkeit, die überhaupt die ganze Familie +ergriffen hatte, darüber, daß das Aufräumen von Gregors +Zimmer ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die +Mutter Gregors Zimmer einer großen Reinigung unterzogen, +die ihr nur nach Verbrauch einiger Kübel +Wasser gelungen war – die viele Feuchtigkeit kränkte +allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert und +unbeweglich auf dem Kanapee –, aber die Strafe +blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am +Abend die Schwester die Veränderung in Gregors +Zimmer bemerkt, als sie, aufs höchste beleidigt, ins +Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen +Hände der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, +dem die Eltern – der Vater war natürlich aus seinem +Sessel aufgeschreckt worden – zuerst erstaunt und hilflos +<a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a> +zusahen; bis auch sie sich zu rühren anfingen; der +Vater rechts der Mutter Vorwürfe machte, daß sie +Gregors Zimmer nicht der Schwester zur Reinigung +überließ; links dagegen die Schwester anschrie, sie werde +niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen; während +die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht +mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte; +die Schwester, von Schluchzen geschüttelt, mit ihren +kleinen Fäusten den Tisch bearbeitete; und Gregor +laut vor Wut darüber zischte, daß es keinem einfiel, +die Tür zu schließen und ihm diesen Anblick und +Lärm zu ersparen.</p> + +<p>Aber selbst wenn die Schwester, erschöpft von ihrer +Berufsarbeit, dessen überdrüssig geworden war, für +Gregor, wie früher, zu sorgen, so hätte noch keineswegs +die Mutter für sie eintreten müssen und Gregor +hätte doch nicht vernachlässigt zu werden brauchen. Denn +nun war die Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in +ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues +das Ärgste überstanden haben mochte, hatte +keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie +neugierig zu sein, hatte sie zufällig einmal die +Tür von Gregors Zimmer aufgemacht und war im +Anblick Gregors, der, gänzlich überrascht, trotzdem +ihn niemand jagte, hin- und herzulaufen begann, die +Hände im Schoß gefaltet staunend stehen geblieben. +Seitdem versäumte sie nicht, stets flüchtig morgens und +abends die Tür ein wenig zu öffnen und zu Gregor +hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich +herbei, mit Worten, die sie wahrscheinlich für freundlich +hielt, wie »Komm mal herüber, alter Mistkäfer!« +oder »Seht mal den alten Mistkäfer!« Auf solche Ansprachen +antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb +unbeweglich auf seinem Platz, als sei die Tür gar nicht +<a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a> +geöffnet worden. Hätte man doch dieser Bedienerin, +statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos stören zu lassen, +lieber den Befehl gegeben, sein Zimmer täglich zu +reinigen! Einmal am frühen Morgen – ein heftiger +Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden +Frühjahrs, schlug an die Scheiben – war Gregor, als +die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder begann, +derartig erbittert, daß er, wie zum Angriff, allerdings +langsam und hinfällig, sich gegen sie wendete. Die Bedienerin +aber, statt sich zu fürchten, hob bloß einen +in der Nähe der Tür befindlichen Stuhl hoch empor, +und wie sie mit groß geöffnetem Munde dastand, war +ihre Absicht klar, den Mund erst zu schließen, wenn +der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rücken niederschlagen +würde. »Also weiter geht es nicht?« fragte +sie, als Gregor sich wieder umdrehte, und stellte den +Sessel ruhig in die Ecke zurück.</p> + +<p>Gregor aß nun fast gar nichts mehr. Nur wenn er +zufällig an der vorbereiteten Speise vorüberkam, nahm +er zum Spiel einen Bissen in den Mund, hielt ihn +dort stundenlang und spie ihn dann meist wieder aus. +Zuerst dachte er, es sei die Trauer über den Zustand +seines Zimmers, die ihn vom Essen abhalte, aber gerade +mit den Veränderungen des Zimmers söhnte er +sich sehr bald aus. Man hatte sich angewöhnt, Dinge, +die man anderswo nicht unterbringen konnte, in dieses +Zimmer hineinzustellen, und solcher Dinge gab es nun +viele, da man ein Zimmer der Wohnung an drei Zimmerherren +vermietet hatte. Diese ernsten Herren, – alle +drei hatten Vollbärte, wie Gregor einmal durch eine +Türspalte feststellte – waren peinlich auf Ordnung, +nicht nur in ihrem Zimmer, sondern, da sie sich nun +einmal hier eingemietet hatten, in der ganzen Wirtschaft, +also insbesondere in der Küche, bedacht. Unnützen +<a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a> +oder gar schmutzigen Kram ertrugen sie nicht. +Überdies hatten sie zum größten Teil ihre eigenen Einrichtungsstücke +mitgebracht. Aus diesem Grunde waren +viele Dinge überflüssig geworden, die zwar nicht verkäuflich +waren, die man aber auch nicht wegwerfen +wollte. Alle diese wanderten in Gregors Zimmer. +Ebenso auch die Aschenkiste und die Abfallkiste aus +der Küche. Was nur im Augenblick unbrauchbar war, +schleuderte die Bedienerin, die es immer sehr eilig hatte, +einfach in Gregors Zimmer; Gregor sah glücklicherweise +meist nur den betreffenden Gegenstand und die +Hand, die ihn hielt. Die Bedienerin hatte vielleicht die +Absicht, bei Zeit und Gelegenheit die Dinge wieder zu +holen oder alle insgesamt mit einemmal hinauszuwerfen, +tatsächlich aber blieben sie dort liegen, wohin sie durch +den ersten Wurf gekommen waren, wenn nicht Gregor +sich durch das Rumpelzeug wand und es in Bewegung +brachte, zuerst gezwungen, weil kein sonstiger Platz +zum Kriechen frei war, später aber mit wachsendem +Vergnügen, obwohl er nach solchen Wanderungen, +zum Sterben müde und traurig, wieder stundenlang +sich nicht rührte.</p> + +<p>Da die Zimmerherren manchmal auch ihr Abendessen +zu Hause im gemeinsamen Wohnzimmer einnahmen, +blieb die Wohnzimmertür an manchen Abenden geschlossen, +aber Gregor verzichtete ganz leicht auf das +Öffnen der Tür, hatte er doch schon manche Abende, +an denen sie geöffnet war, nicht ausgenützt, sondern +war, ohne daß es die Familie merkte, im dunkelsten +Winkel seines Zimmers gelegen. Einmal aber hatte +die Bedienerin die Tür zum Wohnzimmer ein wenig +offen gelassen, und sie blieb so offen, auch als die +Zimmerherren am Abend eintraten und Licht gemacht +wurde. Sie setzten sich oben an den Tisch, wo in +<a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a> +früheren Zeiten der Vater, die Mutter und Gregor gesessen +hatten, entfalteten die Servietten und nahmen +Messer und Gabel in die Hand. Sofort erschien in +der Tür die Mutter mit einer Schüssel Fleisch und +knapp hinter ihr die Schwester mit einer Schüssel hochgeschichteter +Kartoffeln. Das Essen dampfte mit starkem +Rauch. Die Zimmerherren beugten sich über die vor +sie hingestellten Schüsseln, als wollten sie sie vor dem +Essen prüfen, und tatsächlich zerschnitt der, welcher in +der Mitte saß und den anderen zwei als Autorität zu +gelten schien, ein Stück Fleisch noch auf der Schüssel, +offenbar um festzustellen, ob es mürbe genug sei und +ob es nicht etwa in die Küche zurückgeschickt werden +solle. Er war befriedigt, und Mutter und Schwester, die +gespannt zugesehen hatten, begannen aufatmend zu +lächeln.</p> + +<p>Die Familie selbst aß in der Küche. Trotzdem kam +der Vater, ehe er in die Küche ging, in dieses Zimmer +herein und machte mit einer einzigen Verbeugung, die +Kappe in der Hand, einen Rundgang um den Tisch. +Die Zimmerherren erhoben sich sämtlich und murmelten +etwas in ihre Bärte. Als sie dann allein waren, aßen +sie fast unter vollkommenem Stillschweigen. Sonderbar +schien es Gregor, daß man aus allen mannigfachen Geräuschen +des Essens immer wieder ihre kauenden Zähne +heraushörte, als ob damit Gregor gezeigt werden sollte, +daß man Zähne brauche, um zu essen, und daß man +auch mit den schönsten zahnlosen Kiefern nichts ausrichten +könne. »Ich habe ja Appetit,« sagte sich Gregor +sorgenvoll, »aber nicht auf diese Dinge. Wie sich diese +Zimmerherren nähren, und ich komme um!«</p> + +<p>Gerade an diesem Abend – Gregor erinnerte sich +nicht, während der ganzen Zeit die Violine gehört zu +haben – ertönte sie von der Küche her. Die Zimmerherren +<a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a> +hatten schon ihr Nachtmahl beendet, der mittlere +hatte eine Zeitung hervorgezogen, den zwei anderen +je ein Blatt gegeben, und nun lasen sie zurückgelehnt +und rauchten. Als die Violine zu spielen begann, wurden +sie aufmerksam, erhoben sich und gingen auf den +Fußspitzen zur Vorzimmertür, in der sie aneinandergedrängt +stehen blieben. Man mußte sie von der +Küche aus gehört haben, denn der Vater rief: »Ist +den Herren das Spiel vielleicht unangenehm? Es kann +sofort eingestellt werden.« »Im Gegenteil,« sagte der +mittlere der Herren, »möchte das Fräulein nicht zu uns +hereinkommen und hier im Zimmer spielen, wo es doch +viel bequemer und gemütlicher ist?« »O bitte,« rief +der Vater, als sei er der Violinspieler. Die Herren +traten ins Zimmer zurück und warteten. Bald kam +der Vater mit dem Notenpult, die Mutter mit den +Noten und die Schwester mit der Violine. Die Schwester +bereitete alles ruhig zum Spiele vor; die Eltern, die +niemals früher Zimmer vermietet hatten und deshalb +die Höflichkeit gegen die Zimmerherren übertrieben, +wagten gar nicht, sich auf ihre eigenen Sessel zu setzen; +der Vater lehnte an der Tür, die rechte Hand zwischen +zwei Knöpfe des geschlossenen Livreerockes gesteckt; +die Mutter aber erhielt von einem Herrn einen Sessel +angeboten und saß, da sie den Sessel dort ließ, wohin +ihn der Herr zufällig gestellt hatte, abseits in einem +Winkel.</p> + +<p>Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter +verfolgten, jeder von seiner Seite, aufmerksam die +Bewegungen ihrer Hände. Gregor hatte, von dem +Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und +war schon mit dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte +sich kaum darüber, daß er in letzter Zeit so +wenig Rücksicht auf die andern nahm; früher war +<a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a> +diese Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei +hätte er gerade jetzt mehr Grund gehabt, sich zu verstecken, +denn infolge des Staubes, der in seinem +Zimmer überall lag und bei der kleinsten Bewegung +umherflog, war auch er ganz staubbedeckt; Fäden, +Haare, Speiseüberreste schleppte er auf seinem Rücken +und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgültigkeit +gegen alles war viel zu groß, als daß er sich, wie +früher mehrmals während des Tages, auf den Rücken +gelegt und am Teppich gescheuert hätte. Und trotz +dieses Zustandes hatte er keine Scheu, ein Stück auf +dem makellosen Fußboden des Wohnzimmers vorzurücken.</p> + +<p>Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie +war gänzlich vom Violinspiel in Anspruch genommen; +die Zimmerherren dagegen, die zunächst, die Hände +in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem Notenpult +der Schwester sich aufgestellt hatten, so daß sie +alle in die Noten hätte sehen können, was sicher die +Schwester stören mußte, zogen sich bald unter halblauten +Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster +zurück, wo sie, vom Vater besorgt beobachtet, auch +blieben. Es hatte nun wirklich den überdeutlichen Anschein, +als wären sie in ihrer Annahme, ein schönes +oder unterhaltendes Violinspiel zu hören, enttäuscht, +hätten die ganze Vorführung satt und ließen sich nur +aus Höflichkeit noch in ihrer Ruhe stören. Besonders +die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch +ihrer Zigarren in die Höhe bliesen, ließ auf große +Nervosität schließen. Und doch spielte die Schwester +so schön. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prüfend +und traurig folgten ihre Blicke den Notenzeilen. Gregor +kroch noch ein Stück vorwärts und hielt den Kopf +eng an den Boden, um möglicherweise ihren Blicken +<a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a> +begegnen zu können. War er ein Tier, da ihn Musik +so ergriff? Ihm war, als zeige sich ihm der Weg zu +der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, +bis zur Schwester vorzudringen, sie am Rock +zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie möge doch +mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn niemand +lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen +wollte. Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zimmer +lassen, wenigstens nicht, solange er lebte; seine Schreckgestalt +sollte ihm zum erstenmal nützlich werden; an +allen Türen seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein +und den Angreifern entgegenfauchen; die Schwester +aber sollte nicht gezwungen, sondern freiwillig bei ihm +bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen, +das Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann +anvertrauen, daß er die feste Absicht gehabt habe, sie +auf das Konservatorium zu schicken, und daß er dies, +wenn nicht das Unglück dazwischen gekommen wäre, +vergangene Weihnachten – Weihnachten war doch wohl +schon vorüber? – allen gesagt hätte, ohne sich um +irgendwelche Widerreden zu kümmern. Nach dieser +Erklärung würde die Schwester in Tränen der Rührung +ausbrechen, und Gregor würde sich bis zu ihrer Achsel +erheben und ihren Hals küssen, den sie, seitdem sie +ins Geschäft ging, frei ohne Band oder Kragen trug.</p> + +<p>»Herr Samsa!« rief der mittlere Herr dem Vater zu +und zeigte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit +dem Zeigefinger auf den langsam sich vorwärtsbewegenden +Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere +Zimmerherr lächelte erst einmal kopfschüttelnd seinen +Freunden zu und sah dann wieder auf Gregor hin. +Der Vater schien es für nötiger zu halten, statt Gregor +zu vertreiben, vorerst die Zimmerherren zu beruhigen, +trotzdem diese gar nicht aufgeregt waren und +<a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a> +Gregor sie mehr als das Violinspiel zu unterhalten +schien. Er eilte zu ihnen und suchte sie mit ausgebreiteten +Armen in ihr Zimmer zu drängen und gleichzeitig +mit seinem Körper ihnen den Ausblick auf Gregor zu +nehmen. Sie wurden nun tatsächlich ein wenig böse, +man wußte nicht mehr, ob über das Benehmen des +Vaters oder über die ihnen jetzt aufgehende Erkenntnis, +ohne es zu wissen, einen solchen Zimmernachbar +wie Gregor besessen zu haben. Sie verlangten vom +Vater Erklärungen, hoben ihrerseits die Arme, zupften +unruhig an ihren Bärten und wichen nur langsam gegen +ihr Zimmer zurück. Inzwischen hatte die Schwester die +Verlorenheit, in die sie nach dem plötzlich abgebrochenen +Spiel verfallen war, überwunden, hatte sich, nachdem +sie eine Zeitlang in den lässig hängenden Händen +Violine und Bogen gehalten und weiter, als spiele sie +noch, in die Noten gesehen hatte, mit einem Male +aufgerafft, hatte das Instrument auf den Schoß der +Mutter gelegt, die in Atembeschwerden mit heftig +arbeitenden Lungen noch auf ihrem Sessel saß, und war +in das Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren +unter dem Drängen des Vaters schon schneller +näherten. Man sah, wie unter den geübten Händen +der Schwester die Decken und Polster in den Betten +in die Höhe flogen und sich ordneten. Noch ehe die +Herren das Zimmer erreicht hatten, war sie mit dem +Aufbetten fertig und schlüpfte heraus. Der Vater schien +wieder von seinem Eigensinn derartig ergriffen, daß er +jeden Respekt vergaß, den er seinen Mietern immerhin +schuldete. Er drängte nur und drängte, bis schon in +der Tür des Zimmers der mittlere der Herren donnernd +mit dem Fuß aufstampfte und dadurch den Vater zum +Stehen brachte. »Ich erkläre hiermit,« sagte er, hob die +Hand und suchte mit den Blicken auch die Mutter und +<a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a> +die Schwester, »daß ich mit Rücksicht auf die in dieser +Wohnung und Familie herrschenden widerlichen Verhältnisse« +– hierbei spie er kurz entschlossen auf den +Boden – »mein Zimmer augenblicklich kündige. Ich +werde natürlich auch für die Tage, die ich hier gewohnt +habe, nicht das Geringste bezahlen, dagegen werde +ich es mir noch überlegen, ob ich nicht mit irgendwelchen +– glauben Sie mir – sehr leicht zu begründenden +Forderungen gegen Sie auftreten werde.« Er schwieg +und sah gerade vor sich hin, als erwarte er etwas. +Tatsächlich fielen sofort seine zwei Freunde mit den +Worten ein: »Auch wir kündigen augenblicklich.« Darauf +faßte er die Türklinke und schloß mit einem Krach +die Tür.</p> + +<p>Der Vater wankte mit tastenden Händen zu seinem +Sessel und ließ sich hineinfallen; es sah aus, als +strecke er sich zu seinem gewöhnlichen Abendschläfchen, +aber das starke Nicken seines wie haltlosen Kopfes +zeigte, daß er ganz und gar nicht schlief. Gregor war +die ganze Zeit still auf dem Platz gelegen, auf dem ihn +die Zimmerherren ertappt hatten. Die Enttäuschung +über das Mißlingen seines Planes, vielleicht aber auch +die durch das viele Hungern verursachte Schwäche +machten es ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er fürchtete +mit einer gewissen Bestimmtheit schon für den nächsten +Augenblick einen allgemeinen über ihn sich entladenden +Zusammensturz und wartete. Nicht einmal die +Violine schreckte ihn auf, die, unter den zitternden +Fingern der Mutter hervor, ihr vom Schoße fiel und +einen hallenden Ton von sich gab.</p> + +<p>»Liebe Eltern,« sagte die Schwester und schlug zur +Einleitung mit der Hand auf den Tisch, »so geht es +nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht einsehet, +ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den +<a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a> +Namen meines Bruders aussprechen und sage daher +bloß: wir müssen versuchen es loszuwerden. Wir haben +das Menschenmögliche versucht, es zu pflegen und zu +dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten +Vorwurf machen.«</p> + +<p>»Sie hat tausendmal recht,« sagte der Vater für +sich. Die Mutter, die noch immer nicht genug Atem +finden konnte, fing mit einem irrsinnigen Ausdruck +der Augen dumpf in die vorgehaltene Hand zu +husten an.</p> + +<p>Die Schwester eilte zur Mutter und hielt ihr die +Stirn. Der Vater schien durch die Worte der Schwester +auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein, hatte sich +aufrecht gesetzt, spielte mit seiner Dienermütze zwischen +den Tellern, die noch vom Nachtmahl der Zimmerherren +her auf dem Tische standen, und sah bisweilen auf den +stillen Gregor hin.</p> + +<p>»Wir müssen es loszuwerden suchen,« sagte die +Schwester nun ausschließlich zum Vater, denn die +Mutter hörte in ihrem Husten nichts, »es bringt euch +noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon +so schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man nicht +noch zu Hause diese ewige Quälerei ertragen. Ich kann +es auch nicht mehr.« Und sie brach so heftig in Weinen +aus, daß ihre Tränen auf das Gesicht der Mutter niederflossen, +von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen +wischte.</p> + +<p>»Kind,« sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem +Verständnis, »was sollen wir aber tun?«</p> + +<p>Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen +der Ratlosigkeit, die sie nun während des Weinens im +Gegensatz zu ihrer früheren Sicherheit ergriffen hatte.</p> + +<p>»Wenn er uns verstünde,« sagte der Vater halb +fragend; die Schwester schüttelte aus dem Weinen +<a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a> +heraus heftig die Hand zum Zeichen, daß daran nicht +zu denken sei.</p> + +<p>»Wenn er uns verstünde,« wiederholte der Vater +und nahm durch Schließen der Augen die Überzeugung +der Schwester von der Unmöglichkeit dessen in sich +auf, »dann wäre vielleicht ein Übereinkommen mit ihm +möglich. Aber so –«</p> + +<p>»Weg muß es,« rief die Schwester, »das ist das +einzige Mittel, Vater. Du mußt bloß den Gedanken +loszuwerden suchen, daß es Gregor ist. Daß wir es +so lange geglaubt haben, das ist ja unser eigentliches +Unglück. Aber wie kann es denn Gregor sein? Wenn +es Gregor wäre, er hätte längst eingesehen, daß ein +Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier +nicht möglich ist, und wäre freiwillig fortgegangen. +Wir hätten dann keinen Bruder, aber könnten weiter +leben und sein Andenken in Ehren halten. So aber +verfolgt uns dieses Tier, vertreibt die Zimmerherren, +will offenbar die ganze Wohnung einnehmen und uns +auf der Gasse übernachten lassen. Sieh nur, Vater,« +schrie sie plötzlich auf, »er fängt schon wieder an!« +Und in einem für Gregor gänzlich unverständlichen +Schrecken verließ die Schwester sogar die Mutter, stieß +sich förmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber +die Mutter opfern, als in Gregors Nähe bleiben, +und eilte hinter den Vater, der, lediglich durch ihr +Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie +zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.</p> + +<p>Aber Gregor fiel es doch gar nicht ein, irgend jemandem +und gar seiner Schwester Angst machen zu +wollen. Er hatte bloß angefangen sich umzudrehen, um +in sein Zimmer zurückzuwandern, und das nahm sich +allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden +Zustandes bei den schwierigen Umdrehungen mit +<a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a> +seinem Kopfe nachhelfen mußte, den er hierbei viele +Male hob und gegen den Boden schlug. Er hielt inne +und sah sich um. Seine gute Absicht schien erkannt +worden zu sein; es war nur ein augenblicklicher +Schrecken gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend +und traurig an. Die Mutter lag, die Beine ausgestreckt +und aneinandergedrückt, in ihrem Sessel, die Augen +fielen ihr vor Ermattung fast zu; der Vater und die +Schwester saßen nebeneinander, die Schwester hatte +ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.</p> + +<p>»Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen,« dachte +Gregor und begann seine Arbeit wieder. Er konnte +das Schnaufen der Anstrengung nicht unterdrücken und +mußte auch hie und da ausruhen. Im übrigen drängte +ihn auch niemand, es war alles ihm selbst überlassen. +Als er die Umdrehung vollendet hatte, fing er sofort +an, geradeaus zurückzuwandern. Er staunte über die +große Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte, +und begriff gar nicht, wie er bei seiner Schwäche vor +kurzer Zeit den gleichen Weg, fast ohne es zu merken, +zurückgelegt hatte. Immerfort nur auf rasches Kriechen +bedacht, achtete er kaum darauf, daß kein Wort, kein +Ausruf seiner Familie ihn störte. Erst als er schon +in der Tür war, wendete er den Kopf, nicht, vollständig, +denn er fühlte den Hals steif werden, immerhin +sah er noch, daß sich hinter ihm nichts verändert +hatte, nur die Schwester war aufgestanden. Sein +letzter Blick streifte die Mutter, die nun völlig eingeschlafen +war.</p> + +<p>Kaum war er innerhalb seines Zimmers, wurde die +Tür eiligst zugedrückt, festgeriegelt und versperrt. Über +den plötzlichen Lärm hinter sich erschrak Gregor so, +daß ihm die Beinchen einknickten. Es war die Schwester, +die sich so beeilt hatte. Aufrecht war sie schon da gestanden +<a class="pagenum" name="Page_69" title="69"> </a> +und hatte gewartet, leichtfüßig war sie dann +vorwärtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen +hören, und ein »Endlich!« rief sie den Eltern zu, +während sie den Schlüssel im Schloß umdrehte.</p> + +<p>»Und jetzt?« fragte sich Gregor und sah sich im +Dunkeln um. Er machte bald die Entdeckung, daß +er sich nun überhaupt nicht mehr rühren konnte. Er +wunderte sich darüber nicht, eher kam es ihm unnatürlich +vor, daß er sich bis jetzt tatsächlich mit diesen +dünnen Beinchen hatte fortbewegen können. Im übrigen +fühlte er sich verhältnismäßig behaglich. Er hatte zwar +Schmerzen im ganzen Leib, aber ihm war, als würden +sie allmählich schwächer und schwächer und würden +schließlich ganz vergehen. Den verfaulten Apfel in seinem +Rücken und die entzündete Umgebung, die ganz von +weichem Staub bedeckt war, spürte er schon kaum. +An seine Familie dachte er mit Rührung und Liebe +zurück. Seine Meinung darüber, daß er verschwinden +müsse, war womöglich noch entschiedener, als die seiner +Schwester. In diesem Zustand leeren und friedlichen +Nachdenkens blieb er, bis die Turmuhr die dritte Morgenstunde +schlug. Den Anfang des allgemeinen Hellerwerdens +draußen vor dem Fenster erlebte er noch. +Dann sank sein Kopf ohne seinen Willen gänzlich nieder, +und aus seinen Nüstern strömte sein letzter Atem +schwach hervor.</p> + +<p>Als am frühen Morgen die Bedienerin kam – vor +lauter Kraft und Eile schlug sie, wie oft man sie auch +schon gebeten hatte, das zu vermeiden, alle Türen derartig +zu, daß in der ganzen Wohnung von ihrem +Kommen an kein ruhiger Schlaf mehr möglich war –, +fand sie bei ihrem gewöhnlichen kurzen Besuch bei +Gregor zuerst nichts Besonderes. Sie dachte, er liege +absichtlich so unbeweglich da und spiele den Beleidigten; +<a class="pagenum" name="Page_70" title="70"> </a> +sie traute ihm allen möglichen Verstand zu. Weil sie +zufällig den langen Besen in der Hand hielt, suchte +sie mit ihm Gregor von der Tür aus zu kitzeln. Als +sich auch da kein Erfolg zeigte, wurde sie ärgerlich +und stieß ein wenig in Gregor hinein, und erst als sie +ihn ohne jeden Widerstand von seinem Platze geschoben +hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald +den wahren Sachverhalt erkannte, machte sie große +Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange +auf, sondern riß die Tür des Schlafzimmers auf und +rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: »Sehen Sie +nur mal an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar +krepiert!«</p> + +<p>Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht da +und hatte zu tun, den Schrecken über die Bedienerin +zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre Meldung aufzufassen. +Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, +jeder auf seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr +Samsa warf die Decke über seine Schultern, Frau Samsa +kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in Gregors +Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tür des +Wohnzimmers geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug +der Zimmerherren schlief; sie war völlig angezogen, +als hätte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches Gesicht +schien das zu beweisen. »Tot?« sagte Frau Samsa +und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch +alles selbst prüfen und sogar ohne Prüfung erkennen +konnte. »Das will ich meinen,« sagte die Bedienerin +und stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen +noch ein großes Stück seitwärts. Frau Samsa machte +eine Bewegung, als wolle sie den Besen zurückhalten, +tat es aber nicht. »Nun,« sagte Herr Samsa, »jetzt +können wir Gott danken.« Er bekreuzte sich, und +die drei Frauen folgten seinem Beispiel. Grete, die +<a class="pagenum" name="Page_71" title="71"> </a> +kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht nur, +wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit +nichts gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind +sie wieder hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors +Körper vollständig flach und trocken, man erkannte +das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von den +Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick +ablenkte.</p> + +<p>»Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein,« +sagte Frau Samsa mit einem wehmütigen Lächeln, und +Grete ging, nicht ohne nach der Leiche zurückzusehen, +hinter den Eltern in das Schlafzimmer. Die Bedienerin +schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster. Trotz +des frühen Morgens war der frischen Luft schon etwas +Lauigkeit beigemischt. Es war eben schon Ende März.</p> + +<p>Aus ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren +und sahen sich erstaunt nach ihrem Frühstück um; man +hatte sie vergessen. »Wo ist das Frühstück?« fragte +der mittlere der Herren mürrisch die Bedienerin. Diese +aber legte den Finger an den Mund und winkte dann +hastig und schweigend den Herren zu, sie möchten in +Gregors Zimmer kommen. Sie kamen auch und standen +dann, die Hände in den Taschen ihrer etwas abgenützten +Röckchen, in dem nun schon ganz hellen +Zimmer um Gregors Leiche herum.</p> + +<p>Da öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und +Herr Samsa erschien in seiner Livree, an einem Arm +seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle waren ein +wenig verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht +an den Arm des Vaters.</p> + +<p>»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr +Samsa und zeigte auf die Tür, ohne die Frauen von +sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte der +mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich. +<a class="pagenum" name="Page_72" title="72"> </a> +Die zwei anderen hielten die Hände auf dem Rücken +und rieben sie ununterbrochen aneinander, wie in +freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber +für sie günstig ausfallen mußte. »Ich meine es genau +so, wie ich es sage,« antwortete Herr Samsa und ging +in einer Linie mit seinen zwei Begleiterinnen auf den +Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und sah +zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu +einer neuen Ordnung zusammenstellten. »Dann gehen +wir also,« sagte er dann und sah zu Herrn Samsa +auf, als verlange er in einer plötzlich ihn überkommenden +Demut sogar für diesen Entschluß eine neue Genehmigung. +Herr Samsa nickte ihm bloß mehrmals kurz +mit großen Augen zu. Daraufhin ging der Herr tatsächlich +sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer; +seine beiden Freunde hatten schon ein Weilchen lang +mit ganz ruhigen Händen aufgehorcht und hüpften ihm +jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr Samsa könnte +vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung +mit ihrem Führer stören. Im Vorzimmer nahmen +alle drei die Hüte vom Kleiderrechen, zogen ihre Stöcke +aus dem Stockbehälter, verbeugten sich stumm und +verließen die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, +gänzlich unbegründeten Mißtrauen trat Herr Samsa +mit den zwei Frauen auf den Vorplatz hinaus; an das +Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei Herren +zwar langsam, aber ständig die lange Treppe hinunterstiegen, +in jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung +des Treppenhauses verschwanden und nach ein +paar Augenblicken wieder hervorkamen; je tiefer sie +gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse der +Familie Samsa für sie, und als ihnen entgegen und +dann hoch über sie hinweg ein Fleischergeselle mit der +Trage auf dem Kopf in stolzer Haltung heraufstieg, +<a class="pagenum" name="Page_73" title="73"> </a> +verließ bald Herr Samsa mit den Frauen das Geländer, +und alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung +zurück.</p> + +<p>Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen +und Spazierengehen zu verwenden; sie hatten diese +Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie brauchten +sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch +und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa +an seine Direktion, Frau Samsa an ihren Auftraggeber, +und Grete an ihren Prinzipal. Während des Schreibens +kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe, +denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei +Schreibenden nickten zuerst bloß, ohne aufzuschauen, +erst als die Bedienerin sich immer noch nicht entfernen +wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr +Samsa. Die Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als +habe sie der Familie ein großes Glück zu melden, werde +es aber nur dann tun, wenn sie gründlich ausgefragt +werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem +Hut, über die sich Herr Samsa schon während ihrer +ganzen Dienstzeit ärgerte, schwankte leicht nach allen +Richtungen. »Also was wollen Sie eigentlich?« fragte +Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten +Respekt hatte. »Ja,« antwortete die Bedienerin und +konnte vor freundlichem Lachen nicht gleich weiter +reden, »also darüber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft +werden soll, müssen Sie sich keine Sorge +machen. Es ist schon in Ordnung.« Frau Samsa und +Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten +sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, daß +die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben +anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand +entschieden ab. Da sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte +sie sich an die große Eile, die sie hatte, rief +<a class="pagenum" name="Page_74" title="74"> </a> +offenbar beleidigt: »Adjes allseits,« drehte sich wild um +und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die +Wohnung.</p> + +<p>»Abends wird sie entlassen,« sagte Herr Samsa, bekam +aber weder von seiner Frau noch von seiner +Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien +ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben. +Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben +dort, sich umschlungen haltend. Herr Samsa drehte +sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete +sie still ein Weilchen. Dann rief er: »Also kommt doch +her. Laßt schon endlich die alten Sachen. Und nehmt +auch ein wenig Rücksicht auf mich.« Gleich folgten ihm +die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten +rasch ihre Briefe.</p> + +<p class="page-break-after">Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, +was sie schon seit Monaten nicht getan hatten, +und fuhren mit der Elektrischen ins Freie vor die Stadt. +Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von +warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem +auf ihren Sitzen zurückgelehnt, die Aussichten für die +Zukunft, und es fand sich, daß diese bei näherer Betrachtung +durchaus nicht schlecht waren, denn aller drei +Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich +noch gar nicht ausgefragt hatten, überaus günstig und +besonders für später vielversprechend. Die größte +augenblickliche Besserung der Lage mußte sich natürlich +leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie +wollten nun eine kleinere und billigere, aber besser +gelegene und überhaupt praktischere Wohnung nehmen, +als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war. +Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und +Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden +Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten +<a class="pagenum" name="Page_75" title="75"> </a> +Zeit trotz aller Pflege, die ihre Wangen bleich gemacht +hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht +war. Stiller werdend und fast unbewußt durch +Blicke sich verständigend, dachten sie daran, daß es +nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie +zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung +ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am +Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und +ihren jungen Körper dehnte.</p> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Verwandlung, by Franz Kafka + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE VERWANDLUNG *** + +***** This file should be named 22367-h.htm or 22367-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/2/2/3/6/22367/ + +Produced by Jana Srna, Alexander Bauer and the Online +Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + http://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/22367-h/images/title-page.jpg b/22367-h/images/title-page.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..e33297d --- /dev/null +++ b/22367-h/images/title-page.jpg |
