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+The Project Gutenberg EBook of Über Psychoanalyse, by Sigmund Freud
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Über Psychoanalyse
+ Fünf Vorlesungen
+
+Author: Sigmund Freud
+
+Release Date: February 17, 2007 [EBook #20613]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ÜBER PSYCHOANALYSE ***
+
+
+
+
+Produced by Markus Brenner, Chris Nash and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
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+
+
+
+
+ ÜBER PSYCHOANALYSE
+
+ von
+
+ SIGMUND FREUD
+
+
+
+
+ INHALTSVERZEICHNIS
+
+
+ Titelseite und Widmung. . . . . . . . . --
+
+ I. Vorlesung. . . . . . . . . . . 1
+
+ Über die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. . 2
+ Die Hysterie. . . . . . . . . . 4
+ Der Fall Dr. Breuers. . . . . . . . . 5
+ Die »Talking cure«. . . . . . . . . 7
+ Die Entstehung der Symptome aus psychischen Traumen. . . 8
+ Symptome als Erinnerungssymbole. . . . . . . 10
+ Fixierung an die Traumen. . . . . . . . 11
+ Das Abreagieren der Affekte. . . . . . . 12
+ Die hysterische Konversion. . . . . . . . 13
+ Die psychische Spaltung. . . . . . . . 14
+ Hypnoide Zustände. . . . . . . . . 15
+
+ II. Vorlesung. . . . . . . . . . . 16
+
+ Charcots und Janets Forschungen. . . . . . . 17
+ Änderung der Technik. . . . . . . . . 18
+ Verzicht auf die Hypnose. . . . . . . . 19
+ Verdrängung und Widerstand. . . . . . . . 20
+ Beispiel einer Verdrängung. . . . . . . . 21
+ Dynamische Auffassung der seelischen Spaltung. . . . 22
+ Symptombildung infolge mißglückter Verdrängung. . . . 24
+ Ziel der Psychoanalyse.. . . . . . . . 26
+
+ III. Vorlesung. . . . . . . . . . . 27
+
+ Die Technik des Erratens aus freien Einfällen des Kranken. 28
+ Die indirekte Darstellung. . . . . . . . 30
+ Die psychoanalytische Grundregel. . . . . . 31
+ Das Assoziationsexperiment. . . . . . . . 32
+ Die Traumdeutung. . . . . . . . . . 33
+ Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken. . . 34
+ Die Wunscherfüllung im Traume. . . . . . . 36
+ Die Traumarbeit. . . . . . . . . . 37
+ Die Fehl-, Symptom- und Zufallshandlungen. . . . . 38
+ Einwendungen gegen die Psychoanalyse. . . . . . 40
+
+ IV. Vorlesung. . . . . . . . . . . 42
+
+ Die Sexualität in der Ätiologie. . . . . . . 43
+ Die infantile Sexualität. . . . . . . . 44
+ Ein amerikanischer Beobachter über die Liebe im Kindesalter. 45
+ Psychoanalysen an Kindern. . . . . . . . 46
+ Die Phase des Autoerotismus. . . . . . . 47
+ Die Objektwahl. . . . . . . . . . 48
+ Endgestaltung des normalen Sexuallebens. . . . . 49
+ Zusammenhang von Neurose und Perversion. . . . . 50
+ Der Kernkomplex der Neurosen. . . . . . . 52
+ Die Ablösung des Kindes von den Eltern. . . . . 53
+
+ V. Vorlesung. . . . . . . . . . . 54
+
+ Regression und Phantasie. . . . . . . . 55
+ Neurose und Kunst. . . . . . . . . 56
+ Die Übertragung. . . . . . . . . . 57
+ Die Angst vor der Befreiung des Verdrängten. . . . 59
+ Ausgänge der psychoanalytischen Arbeit. . . . . 60
+ Das schädliche Übermaß der Sexualverdrängung. . . . 62
+
+ Anmerkungen zur Transkription. . . . . . . --
+
+
+
+
+ ÜBER
+
+ PSYCHOANALYSE
+
+
+ FÜNF VORLESUNGEN
+
+ GEHALTEN ZUR 20JÄHRIGEN GRÜNDUNGSFEIER
+
+ DER
+
+ CLARK UNIVERSITY IN WORCESTER MASS.
+
+ SEPTEMBER 1909.
+
+
+ VON
+
+ Prof. Dr. Sigm. Freud LL. D.
+
+
+
+
+ LEIPZIG UND WIEN
+
+ _FRANZ DEUTICKE_
+
+ 1910.
+
+
+
+
+ Verlags-Nr. 1701.
+
+ K. und K. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.
+
+
+
+
+ Herrn
+
+ G. Stanley Hall, Ph. D., LL. D.
+ Präsidenten der Clark University,
+ Professor der Psychologie und Pädagogik
+
+ in Dankbarkeit
+
+ zugeeignet.
+
+
+
+
+ I.
+
+
+Meine Damen und Herren! Es ist mir ein neuartiges und verwirrendes
+Gefühl, als Vortragender vor Wißbegierigen der Neuen Welt zu stehen. Ich
+nehme an, daß ich diese Ehre nur der Verknüpfung meines Namens mit dem
+Thema der Psychoanalyse verdanke, und beabsichtige daher, Ihnen von
+Psychoanalyse zu sprechen. Ich will es versuchen, Ihnen in gedrängtester
+Kürze einen Überblick über die Geschichte der Entstehung und weiteren
+Fortbildung dieser neuen Untersuchungs- und Heilmethode zu geben.
+
+Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben,
+so ist es nicht mein Verdienst. Ich bin an den ersten Anfängen derselben
+nicht beteiligt gewesen. Ich war Student und mit der Ablegung meiner
+letzten Prüfungen beschäftigt, als ein anderer Wiener Arzt, Dr. Josef
+_Breuer_,[1] dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch
+erkrankten Mädchen anwendete (1880-1882). Mit dieser Kranken- und
+Behandlungsgeschichte wollen wir uns nun zunächst beschäftigen. Sie
+finden dieselbe ausführlich dargestellt in den später von _Breuer_ und
+mir veröffentlichten »Studien über Hysterie«.[2]
+
+ [1] Dr. Josef _Breuer_, geb. 1842, korrespondierendes Mitglied der
+ k. Akademie der Wissenschaften, bekannt durch Arbeiten über die
+ Atmung und zur Physiologie des Gleichgewichtssinnes.
+
+ [2] Studien über Hysterie. 1895. Fr. Deuticke, Wien, 2. Aufl.,
+ 1909. Stücke meines Anteils an diesem Buch sind von
+ Dr. A. A. _Brill_ in New York ins Englische übertragen worden
+ (Selected papers on Hysteria and other Psychoneuroses by S. Freud,
+ Nr. 4 der »Nervous and Mental Disease Monograph Series«, New
+ York).
+
+Vorher nur noch eine Bemerkung. Ich habe nicht ohne Befriedigung
+erfahren, daß die Mehrzahl meiner Zuhörer nicht dem ärztlichen Stande
+angehört. Besorgen Sie nun nicht, daß es besonderer ärztlicher
+Vorbildung bedarf, um meinen Mitteilungen zu folgen. Wir werden
+allerdings ein Stück weit mit den Ärzten gehen, aber bald werden wir uns
+absondern und Dr. _Breuer_ auf einen ganz eigenartigen Weg begleiten.
+
+Dr. _Breuers_ Patientin, ein 21jähriges, geistig hochbegabtes Mädchen,
+entwickelte im Verlaufe ihrer über zwei Jahre ausgedehnten Krankheit
+eine Reihe von körperlichen und seelischen Störungen, die es wohl
+verdienten, ernst genommen zu werden. Sie hatte eine steife Lähmung der
+beiden rechtsseitigen Extremitäten mit Unempfindlichkeit derselben,
+zeitweise dieselbe Affektion an den Gliedern der linken Körperseite,
+Störungen der Augenbewegungen und mannigfache Beeinträchtigungen des
+Sehvermögens, Schwierigkeiten der Kopfhaltung, eine intensive Tussis
+nervosa, Ekel vor Nahrungsaufnahme und einmal durch mehrere Wochen eine
+Unfähigkeit zu trinken trotz quälenden Durstes, eine Herabsetzung des
+Sprachvermögens, die bis zum Verlust der Fähigkeit fortschritt, ihre
+Muttersprache zu sprechen oder zu verstehen, endlich Zustände von
+Abwesenheit, Verworrenheit, Delirien, Alteration ihrer ganzen
+Persönlichkeit, denen wir unsere Aufmerksamkeit später werden zuwenden
+müssen.
+
+Wenn Sie von einem solchen Krankheitsbilde hören, so werden Sie, auch
+ohne Ärzte zu sein, der Annahme zuneigen, daß es sich um ein schweres
+Leiden, wahrscheinlich des Gehirns, handle, welches wenig Aussicht auf
+Herstellung biete und zur baldigen Auflösung der Kranken führen dürfte.
+Lassen Sie sich indes von den Ärzten belehren, daß für eine Reihe von
+Fällen mit so schweren Erscheinungen eine andere und weitaus günstigere
+Auffassung berechtigter ist. Wenn ein solches Krankheitsbild bei einem
+jugendlichen weiblichen Individuum auftritt, dessen lebenswichtige
+innere Organe (Herz, Niere) sich der objektiven Untersuchung normal
+erweisen, das aber heftige _gemütliche_ Erschütterungen erfahren hat,
+und wenn die einzelnen Symptome in gewissen feineren Charakteren von der
+Erwartung abweichen, dann nehmen die Ärzte einen solchen Fall nicht zu
+schwer. Sie behaupten, daß dann nicht ein organisches Leiden des Gehirns
+vorliegt, sondern jener rätselhafte, seit den Zeiten der griechischen
+Medizin _Hysterie_ benannte Zustand, der eine ganze Anzahl von Bildern
+ernster Erkrankung vorzutäuschen vermöge. Sie halten dann das Leben für
+nicht bedroht und eine selbst vollkommene Herstellung der Gesundheit für
+wahrscheinlich. Die Unterscheidung einer solchen Hysterie von einem
+schweren organischen Leiden ist nicht immer sehr leicht. Wir brauchen
+aber nicht zu wissen, wie eine Differentialdiagnose dieser Art gemacht
+wird; uns mag die Versicherung genügen, daß gerade der Fall von
+_Breuers_ Patientin ein solcher ist, bei dem kein kundiger Arzt die
+Diagnose der Hysterie verfehlen wird. Wir können auch an dieser Stelle
+aus dem Krankheitsbericht nachtragen, daß ihre Erkrankung auftrat,
+während sie ihren zärtlich geliebten Vater in seiner schweren, zum Tode
+führenden Krankheit pflegte, und daß sie infolge ihrer eigenen
+Erkrankung von der Pflege zurücktreten mußte.
+
+Soweit hat es uns Vorteil gebracht, mit den Ärzten zu gehen, und nun
+werden wir uns bald von ihnen trennen. Sie dürfen nämlich nicht
+erwarten, daß die Aussicht eines Kranken auf ärztliche Hilfeleistung
+dadurch wesentlich gesteigert wird, daß die Diagnose der Hysterie an
+die Stelle des Urteils auf ernste organische Hirnaffektion tritt. Gegen
+die schweren Erkrankungen des Gehirns ist die ärztliche Kunst in den
+meisten Fällen ohnmächtig, aber auch gegen die hysterische Affektion
+weiß der Arzt nichts zu tun. Er muß es der gütigen Natur überlassen,
+wann und wie sie seine hoffnungsvolle Prognose verwirklichen will.[3]
+
+ [3] Ich weiß, daß diese Behauptung heute nicht mehr zutrifft, aber
+ im Vortrage versetze ich mich und meine Hörer zurück in die Zeit
+ vor 1880. Wenn es seither anders geworden ist, so haben gerade die
+ Bemühungen, deren Geschichte ich skizziere, daran einen großen
+ Anteil.
+
+Mit der Erkennung der Hysterie wird also für den Kranken wenig geändert;
+desto mehr ändert sich für den Arzt. Wir können beobachten, daß er sich
+gegen den hysterischen ganz anders einstellt als gegen den organisch
+Kranken. Er will dem ersteren nicht dieselbe Teilnahme entgegenbringen
+wie dem letzteren, da sein Leiden weit weniger ernsthaft ist und doch
+den Anspruch zu erheben scheint, für ebenso ernsthaft zu gelten. Aber es
+wirkt noch anderes mit. Der Arzt, der durch sein Studium so vieles
+kennen gelernt hat, was dem Laien verschlossen ist, hat sich von den
+Krankheitsursachen und Krankheitsveränderungen, z. B. im Gehirn eines an
+Apoplexie oder Neubildung Leidenden Vorstellungen bilden können, die bis
+zu einem gewissen Grade zutreffend sein müssen, da sie ihm das
+Verständnis der Einzelheiten des Krankheitsbildes gestatten. Vor den
+Details der hysterischen Phänomene läßt ihn aber all sein Wissen, seine
+anatomisch-physiologische und pathologische Vorbildung im Stiche. Er
+kann die Hysterie nicht verstehen, er steht ihr selbst wie ein Laie
+gegenüber. Und das ist nun niemandem recht, der sonst auf sein Wissen so
+große Stücke hält. Die Hysterischen gehen also seiner Sympathie
+verlustig; er betrachtet sie wie Personen, welche die Gesetze seiner
+Wissenschaft übertreten, wie die Rechtgläubigen die Ketzer ansehen; er
+traut ihnen alles mögliche Böse zu, beschuldigt sie der Übertreibung und
+der absichtlichen Täuschung, Simulation; und er bestraft sie durch die
+Entziehung seines Interesses.
+
+Diesen Vorwurf hat nun Dr. _Breuer_ bei seiner Patientin nicht verdient;
+er schenkte ihr Sympathie und Interesse, obwohl er ihr anfangs nicht zu
+helfen verstand. Wahrscheinlich erleichterte sie es ihm auch durch die
+vorzüglichen Geistes- und Charaktereigenschaften, für die er in der von
+ihm abgefaßten Krankengeschichte Zeugnis ablegt. Seine liebevolle
+Beobachtung fand auch bald den Weg, der die erste Hilfeleistung
+ermöglichte.
+
+Es war bemerkt worden, daß die Kranke in ihren Zuständen von Absenz,
+psychischer Alteration mit Verworrenheit, einige Worte vor sich hin zu
+murmeln pflegte, welche den Eindruck machten, als stammten sie aus einem
+Zusammenhange, der ihr Denken beschäftige. Der Arzt, der sich diese
+Worte berichten ließ, versetzte sie nun in eine Art von Hypnose und
+sagte ihr jedesmal diese Worte wieder vor, um sie zu veranlassen, daß
+sie an dieselben anknüpfe. Die Kranke ging darauf ein und reproduzierte
+so vor dem Arzt die psychischen Schöpfungen, die sie während der
+Absenzen beherrscht und sich in jenen vereinzelt geäußerten Worten
+verraten hatten. Es waren tieftraurige, oft poetisch schöne Phantasien,
+Tagträume würden wir sagen, die gewöhnlich die Situation eines Mädchens
+am Krankenbett seines Vaters zum Ausgangspunkt nahmen. Hatte sie eine
+Anzahl solcher Phantasien erzählt, so war sie wie befreit und ins
+normale seelische Leben zurückgeführt. Das Wohlbefinden, das durch
+mehrere Stunden anhielt, wich dann am nächsten Tage einer neuerlichen
+Absenz, welche auf dieselbe Weise durch Aussprechen der neu gebildeten
+Phantasien aufgehoben wurde. Man konnte sich dem Eindrucke nicht
+entziehen, daß die psychische Veränderung, die sich in den Absenzen
+äußerte, eine Folge des Reizes sei, der von diesen höchst affektvollen
+Phantasiebildungen ausging. Die Patientin selbst, die um diese Zeit
+ihres Krankseins merkwürdigerweise nur Englisch sprach und verstand, gab
+dieser neuartigen Behandlung den Namen »talking cure« oder bezeichnete
+sie scherzhaft als »chimney sweeping«.
+
+Es ergab sich bald wie zufällig, daß man durch solches Reinfegen der
+Seele noch mehr erreichen könne als vorübergehende Beseitigung der immer
+wiederkehrenden seelischen Trübungen. Es ließen sich auch
+Leidenssymptome zum Verschwinden bringen, wenn in der Hypnose unter
+Affektäußerung erinnert wurde, bei welchem Anlaß und kraft welches
+Zusammenhanges diese Symptome zuerst aufgetreten waren. »Es war im
+Sommer eine Zeit intensiver Hitze gewesen und Patientin hatte sehr arg
+durch Durst gelitten; denn, ohne einen Grund angeben zu können, war ihr
+plötzlich unmöglich geworden, zu trinken. Sie nahm das ersehnte Glas
+Wasser in die Hand, aber sowie es die Lippen berührte, stieß sie es weg
+wie ein Hydrophobischer. Dabei war sie offenbar für diese paar Sekunden
+in einer Absenz. Sie lebte nur von Obst, Melonen u. dgl., um den
+qualvollen Durst zu mildem. Als das etwa sechs Wochen gedauert hatte,
+räsonierte sie einmal in der Hypnose über ihre englische
+Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen
+Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da
+deren kleiner Hund, das ekelhafte Tier, aus einem Glas getrunken habe.
+Sie habe nichts gesagt, denn sie wollte höflich sein. Nachdem sie ihrem
+steckengebliebenen Ärger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie
+zu trinken, trank ohne Hemmung eine große Menge Wasser und erwachte aus
+der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer
+verschwunden.«[4]
+
+ [4] Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 26.
+
+Gestatten Sie, daß ich Sie bei dieser Erfahrung einen Moment aufhalte!
+Niemand hatte noch ein hysterisches Symptom durch solche Mittel
+beseitigt und war dabei so tief in das Verständnis seiner Verursachung
+eingedrungen. Es mußte eine folgenschwere Entdeckung werden, wenn sich
+die Erwartung bestätigen ließ, daß noch andere, daß vielleicht die
+Mehrzahl der Symptome bei der Kranken auf solche Weise entstanden und
+auf solche Weise aufzuheben war. _Breuer_ scheute die Mühe nicht, sich
+davon zu überzeugen, und forschte nun planmäßig der Pathogenese der
+anderen und ernsteren Leidenssymptome nach. Es war wirklich so; fast
+alle Symptome waren so entstanden als Reste, als Niederschläge, wenn Sie
+wollen, von affektvollen Erlebnissen, die wir darum später »psychische
+Traumen« genannt haben, und ihre Besonderheit klärte sich durch die
+Beziehung zu der sie verursachenden traumatischen Szene auf. Sie waren,
+wie das Kunstwort lautet, durch die Szenen, deren Gedächtnisreste sie
+darstellten, _determiniert_, brauchten nicht mehr als willkürliche oder
+rätselhafte Leistungen der Neurose beschrieben zu werden. Nur einer
+Abweichung von der Erwartung sei gedacht. Es war nicht immer ein
+einziges Erlebnis, welches das Symptom zurückließ, sondern meist waren
+zahlreiche, oft sehr viele ähnliche, wiederholte Traumen zu dieser
+Wirkung zusammengetreten. Diese ganze Kette von pathogenen Erinnerungen
+mußte dann in chronologischer Reihenfolge reproduziert werden, und zwar
+umgekehrt, die letzte zuerst und die erste zuletzt, und es war ganz
+unmöglich, zum ersten und oft wirksamsten Trauma mit Überspringung der
+später erfolgten vorzudringen.
+
+Sie werden nun gewiß noch andere Beispiele von Verursachung hysterischer
+Symptome als das der Wasserscheu durch den Ekel vor dem aus dem Glas
+trinkenden Hund von mir hören wollen. Ich muß mich aber, wenn ich mein
+Programm einhalten will, auf sehr wenige Proben beschränken. So erzählt
+_Breuer_, daß ihre Sehstörungen sich auf Anlässe zurückführten »in der
+Art, daß Patientin mit Tränen im Auge, am Krankenbett sitzend, plötzlich
+vom Vater gefragt wurde, wieviel Uhr es sei, undeutlich sah, sich
+anstrengte, die Uhr nahe ans Auge brachte und nun das Zifferblatt sehr
+groß erschien (Makropsie und Strabismus conv.); oder Anstrengungen
+machte, die Tränen zu unterdrücken, damit sie der Kranke nicht sehe«.[5]
+Alle pathogenen Eindrücke stammten übrigens aus der Zeit, da sie sich an
+der Pflege des erkrankten Vaters beteiligte. »Einmal wachte sie nachts
+in großer Angst um den hochfiebernden Kranken und in Spannung, weil von
+Wien ein Chirurg zur Operation erwartet wurde. Die Mutter hatte sich für
+einige Zeit entfernt, und Anna saß am Krankenbette, den rechten Arm über
+die Stuhllehne gelegt. Sie geriet in einen Zustand von Wachträumen und
+sah, wie von der Wand her eine schwarze Schlange sich dem Kranken
+näherte, um ihn zu beißen. (Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf der
+Wiese hinter dem Hause wirklich einige Schlangen vorkamen, über die das
+Mädchen schon früher erschrocken war, und die nun das Material der
+Halluzination abgaben.) Sie wollte das Tier abwehren, war aber wie
+gelähmt; der rechte Arm, über die Stuhllehne hängend, war
+'eingeschlafen', anästhetisch und paretisch geworden, und als sie ihn
+betrachtete, verwandelten sich die Finger in kleine Schlangen mit
+Totenköpfen (Nägel). Wahrscheinlich machte sie Versuche, die Schlange
+mit der gelähmten rechten Hand zu verjagen, und dadurch trat die
+Anästhesie und Lähmung derselben in Assoziation mit der
+Schlangenhalluzination. Als diese verschwunden war, wollte sie in ihrer
+Angst beten, aber jede Sprache versagte, sie konnte in keiner sprechen,
+bis sie endlich einen _englischen_ Kindervers fand und nun auch in
+dieser Sprache fortdenken und beten konnte.«[6] Mit der Erinnerung
+dieser Szene in der Hypnose war auch die seit Beginn der Krankheit
+bestehende steife Lähmung des rechten Armes beseitigt und die Behandlung
+beendigt.
+
+ [5] Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 31.
+
+ [6] l. c. p. 30.
+
+Als ich eine Anzahl von Jahren später die _Breuer_sche Untersuchungs- und
+Behandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu üben begann, machte ich
+Erfahrungen, die sich mit den seinigen vollkommen deckten. Bei einer
+etwa 40jährigen Dame bestand ein Tic, ein eigentümlich schnalzendes
+Geräusch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohne ersichtlichen Anlaß
+hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei Erlebnissen, denen
+gemeinsam war, daß sie sich vornahm, jetzt ja keinen Lärm zu machen, und
+bei denen wie durch eine Art von Gegenwillen gerade dieses Geräusch die
+Stille durchbrach; das eine Mal, als sie ihr krankes Kind endlich
+mühselig eingeschläfert hatte und sich sagte, sie müsse jetzt ganz still
+sein, um es nicht zu wecken, und das andere Mal, als während einer
+Wagenfahrt mit ihren beiden Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden,
+und sie sorgfältig jeden Lärm vermeiden wollte, um die Tiere nicht noch
+mehr zu schrecken.[7] Ich gebe dieses Beispiel anstatt vieler anderer,
+die in den »Studien über Hysterie« niedergelegt sind.[8]
+
+ [7] l. c. 2. Aufl., p. 43 u. 46.
+
+ [8] Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige spätere
+ Abhandlungen über Hysterie, liegt gegenwärtig in einer englischen,
+ von Dr. A. A. _Brill_ in New York besorgten Übersetzung vor.
+
+Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung gestatten,
+die ja bei so abgekürzter Darstellung unvermeidlich ist, so können wir
+unsere bisherige Erkenntnis in die Formel fassen: _Unsere hysterisch
+Kranken leiden an Reminiszenzen._ Ihre Symptome sind Reste und
+Erinnerungssymbole für gewisse (traumatische) Erlebnisse. Ein Vergleich
+mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten wird uns vielleicht
+tiefer in das Verständnis dieser Symbolik führen. Auch die Denkmäler und
+Monumente, mit denen wir unsere großen Städte zieren, sind solche
+Erinnerungssymbole. Wenn Sie einen Spaziergang durch _London_ machen, so
+finden Sie vor einem der größten Bahnhöfe der Stadt eine reichverzierte
+gotische Säule, das _Charing Cross_. Einer der alten Plantagenetkönige
+im XIII. Jahrhundert, der den Leichnam seiner geliebten Königin Eleanor
+nach Westminster überführen ließ, errichtete gotische Kreuze an jeder
+der Stationen, wo der Sarg niedergestellt wurde, und _Charing Cross_ ist
+das letzte der Denkmäler, welche die Erinnerung an diesen Trauerzug
+erhalten sollten.[9] An einer anderen Stelle der Stadt, nicht weit von
+London Bridge, erblicken Sie eine modernere hochragende Säule, die
+kurzweg »_The Monument_« genannt wird. Sie soll zur Erinnerung an das
+große Feuer mahnen, welches im Jahre 1666 dort in der Nähe ausbrach und
+einen großen Teil der Stadt zerstörte. Diese Monumente sind also
+Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome, soweit scheint die
+Vergleichung berechtigt. Aber was würden Sie zu einem Londoner sagen,
+der heute noch vor dem Denkmal des Leichenzuges der Königin Eleanor
+in Wehmut stehen bliebe, anstatt mit der von den modernen
+Arbeitsverhältnissen geforderten Eile seinen Geschäften nachzugehen oder
+sich der eigenen jugendfrischen Königin seines Herzens zu erfreuen? Oder
+zu einem anderen, der vor dem »Monument« die Einäscherung seiner
+geliebten Vaterstadt beweinte, die doch seither längst soviel glänzender
+wiedererstanden ist? So wie diese beiden unpraktischen Londoner benehmen
+sich aber die Hysterischen und Neurotiker alle; nicht nur, daß sie die
+längst vergangenen schmerzlichen Erlebnisse erinnern, sie hängen noch
+affektvoll an ihnen, sie kommen von der Vergangenheit nicht los und
+vernachlässigen für sie die Wirklichkeit und die Gegenwart. Diese
+Fixierung des Seelenlebens an die pathogenen Traumen ist einer der
+wichtigsten und praktisch bedeutsamsten Charaktere der Neurose.
+
+ [9] Vielmehr die spätere Nachbildung eines solchen Denkmals. Der
+ Name _Charing_ selbst soll, wie mir Dr. E. _Jones_ mitteilte, aus
+ den Worten _Chère reine_ hervorgegangen sein.
+
+Ich gebe Ihnen gern den Einwand zu, den Sie jetzt wahrscheinlich bilden,
+indem Sie an die Krankengeschichte der _Breuer_schen Patientin denken.
+Alle ihre Traumen entstammten ja der Zeit, da sie den kranken Vater
+pflegte, und ihre Symptome können nur als Erinnerungszeichen für seine
+Krankheit und seinen Tod aufgefaßt werden. Sie entsprechen also einer
+Trauer, und eine Fixierung an das Andenken des Verstorbenen ist so kurze
+Zeit nach dem Ableben desselben gewiß nichts Pathologisches, entspricht
+vielmehr einem normalen Gefühlsvorgang. Ich gestehe Ihnen dieses zu; die
+Fixierung an die Traumen ist bei der Patientin _Breuers_ nichts
+Auffälliges. Aber in anderen Fällen, wie in dem von mir behandelten
+Tic, dessen Veranlassungen um mehr als fünfzehn und zehn Jahre
+zurücklagen, ist der Charakter des abnormen Haftens am Vergangenen sehr
+deutlich, und die Patientin _Breuers_ hätte ihn wahrscheinlich
+gleichfalls entwickelt, wenn sie nicht so kurze Zeit nach dem Erleben
+der Traumen und der Entstehung der Symptome zur _kathartischen_
+Behandlung gekommen wäre.
+
+Wir haben bisher nur die Beziehung der hysterischen Symptome zur
+Lebensgeschichte der Kranken erörtert; aus zwei weiteren Momenten der
+_Breuer_schen Beobachtung können wir aber auch einen Hinweis darauf
+gewinnen, wie wir den Vorgang der Erkrankung und der Wiederherstellung
+aufzufassen haben. Fürs erste ist hervorzuheben, daß die Kranke
+_Breuers_ fast in allen pathogenen Situationen eine starke Erregung zu
+unterdrücken hatte, anstatt ihr durch die entsprechenden Affektzeichen,
+Worte und Handlungen, Ablauf zu ermöglichen. In dem kleinen Erlebnis mit
+dem Hund ihrer Gesellschafterin unterdrückte sie aus Rücksicht auf diese
+jede Äußerung ihres sehr intensiven Ekels; während sie am Bette des
+Vaters wachte, trug sie beständig Sorge, den Kranken nichts von ihrer
+Angst und ihrer schmerzlichen Verstimmung merken zu lassen. Als sie
+später diese selben Szenen vor ihrem Arzt reproduzierte, trat der damals
+gehemmte Affekt mit besonderer Heftigkeit, als ob er sich solange
+aufgespart hätte, auf. Ja, das Symptom, welches von dieser Szene
+erübrigt war, gewann seine höchste Intensität, während man sich seiner
+Verursachung näherte, um nach der völligen Erledigung derselben zu
+verschwinden. Anderseits konnte man die Erfahrung machen, daß das
+Erinnern der Szene beim Arzte wirkungslos blieb, wenn es aus irgend
+einem Grunde einmal ohne Affektentwicklung ablief. Die Schicksale dieser
+Affekte, die man sich als verschiebbare Größen vorstellen konnte, waren
+also das Maßgebende für die Erkrankung wie für die Wiederherstellung.
+Man sah sich zur Annahme gedrängt, daß die Erkrankung darum zu stande
+kam, weil den in den pathogenen Situationen entwickelten Affekten ein
+normaler Ausweg versperrt war, und daß das Wesen der Erkrankung darin
+bestand, daß nun diese »eingeklemmten« Affekte einer abnormen Verwendung
+unterlagen. Zum Teil blieben sie als dauernde Belastungen des
+Seelenlebens und Quellen beständiger Erregung für dasselbe bestehen; zum
+Teil erfuhren sie eine Umsetzung in ungewöhnliche körperliche
+_Innervationen_ und _Hemmungen_, die sich als die körperlichen Symptome
+des Falles darstellten. Wir haben für diesen letzteren Vorgang den Namen
+der »_hysterischen Konversion_« geprägt. Ein gewisser Anteil unserer
+seelischen Erregung wird ohnedies normalerweise auf die Wege der
+körperlichen Innervation geleitet und ergibt das, was wir als »Ausdruck
+der Gemütsbewegungen« kennen. Die hysterische Konversion übertreibt nun
+diesen Anteil des Ablaufs eines mit Affekt besetzten seelischen
+Vorganges; sie entspricht einem weit intensiveren, auf neue Bahnen
+geleiteten Ausdruck der Gemütsbewegung. Wenn ein Strombett in zwei
+Kanälen fließt, so wird eine Überfüllung des einen stattfinden, sobald
+die Strömung in dem anderen auf ein Hindernis stößt.
+
+Sie sehen, wir sind im Begriffe, zu einer rein psychologischen Theorie
+der Hysterie zu gelangen, in welcher wir den Affektvorgängen den ersten
+Rang anweisen. Eine zweite Beobachtung _Breuers_ nötigt uns nun, in der
+Charakteristik des krankhaften Geschehens den Bewußtseinszuständen eine
+große Bedeutung einzuräumen. Die Kranke _Breuers_ zeigte mannigfaltige
+seelische Verfassungen, Zustände von Abwesenheit, Verworrenheit und
+Charakterveränderung neben ihrem Normalzustand. Im Normalzustand wußte
+sie nun nichts von jenen pathogenen Szenen und von deren Zusammenhang
+mit ihren Symptomen; sie hatte diese Szenen vergessen oder jedenfalls
+den pathogenen Zusammenhang zerrissen. Wenn man sie in die Hypnose
+versetzte, gelang es nach Aufwendung beträchtlicher Arbeit, ihr diese
+Szenen ins Gedächtnis zurückzurufen, und durch diese Arbeit des
+Wiedererinnerns wurden die Symptome aufgehoben. Man wäre in großer
+Verlegenheit, wie man diese Tatsache deuten sollte, wenn nicht die
+Erfahrungen und Experimente des Hypnotismus den Weg dazu gewiesen
+hätten. Durch das Studium der hypnotischen Phänomene hat man sich an die
+anfangs befremdliche Auffassung gewöhnt, daß in einem und demselben
+Individuum mehrere seelische Gruppierungen möglich sind, die ziemlich
+unabhängig von einander bleiben können, von einander »nichts wissen«,
+und die das Bewußtsein alternierend an sich reißen. Fälle solcher Art,
+die man als »Double conscience« bezeichnet, kommen gelegentlich auch
+spontan zur Beobachtung. Wenn bei solcher Spaltung der Persönlichkeit
+das Bewußtsein konstant an den einen der beiden Zustände gebunden
+bleibt, so heißt man diesen den _bewußten_ Seelenzustand, den von ihm
+abgetrennten den _unbewußten_. In den bekannten Phänomenen der
+sogenannten posthypnotischen Suggestion, wobei ein in der Hypnose
+gegebener Auftrag sich später im Normalzustand gebieterisch durchsetzt,
+hat man ein vorzügliches Vorbild für die Beeinflussungen, die der
+bewußte Zustand durch den für ihn unbewußten erfahren kann, und nach
+diesem Muster gelingt es allerdings, sich die Erfahrungen bei der
+Hysterie zurechtzulegen. _Breuer_ entschloß sich zur Annahme, daß die
+hysterischen Symptome in solchen besonderen seelischen Zuständen, die er
+_hypnoide_ nannte, entstanden seien. Erregungen, die in solche hypnoide
+Zustände hineingeraten, werden leicht pathogen, weil diese Zustände
+nicht die Bedingungen für einen normalen Ablauf der Erregungsvorgänge
+bieten. Es entsteht also aus dem Erregungsvorgang ein ungewöhnliches
+Produkt, eben das Symptom, und dieses ragt wie ein Fremdkörper in den
+Normalzustand hinein, dem dafür die Kenntnis der hypnoiden pathogenen
+Situation abgeht. Wo ein Symptom besteht, da findet sich auch eine
+Amnesie, eine Erinnerungslücke, und die Ausfüllung dieser Lücke schließt
+die Aufhebung der Entstehungsbedingungen des Symptoms in sich ein.
+
+Ich fürchte, daß Ihnen dieses Stück meiner Darstellung nicht sehr
+durchsichtig erschienen ist. Aber haben Sie Nachsicht, es handelt sich
+um neue und schwierige Anschauungen, die vielleicht nicht viel klarer
+gemacht werden können; ein Beweis dafür, daß wir mit unserer Erkenntnis
+noch nicht sehr weit vorgedrungen sind. Die _Breuer_sche Aufstellung der
+_hypnoiden_ Zustände hat sich übrigens als hemmend und überflüssig
+erwiesen und ist von der heutigen Psychoanalyse fallen gelassen worden.
+Sie werden später wenigstens andeutungsweise hören, welche Einflüsse und
+Vorgänge hinter der von _Breuer_ aufgestellten Schranke der hypnoiden
+Zustände zu entdecken waren. Sie werden auch mit Recht den Eindruck
+empfangen haben, daß die _Breuer_sche Forschung Ihnen nur eine sehr
+unvollständige Theorie und unbefriedigende Aufklärung der beobachteten
+Erscheinungen geben konnte, aber vollkommene Theorien fallen nicht vom
+Himmel, und Sie werden mit noch größerem Recht mißtrauisch sein, wenn
+Ihnen jemand eine lückenlose und abgerundete Theorie bereits zu Anfang
+seiner Beobachtungen anbietet. Eine solche wird gewiß nur das Kind
+seiner Spekulation sein können und nicht die Frucht voraussetzungsloser
+Erforschung des Tatsächlichen.
+
+
+
+
+ II.
+
+
+Meine Damen und Herren! Etwa gleichzeitig, während _Breuer_ mit seiner
+Patientin die Talking cure übte, hatte Meister _Charcot_ in Paris jene
+Untersuchungen über die Hysterischen der Salpêtrière begonnen, von denen
+ein neues Verständnis der Krankheit ausgehen sollte. Diese Resultate
+konnten damals in Wien noch nicht bekannt sein. Als aber etwa ein
+Dezennium später _Breuer_ und ich die vorläufige Mitteilung über den
+psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene veröffentlichten, welche
+an die kathartische Behandlung bei _Breuers_ erster Patientin anknüpfte,
+da befanden wir uns ganz im Banne der _Charcot_schen Forschungen. Wir
+stellten die pathogenen Erlebnisse unserer Kranken als psychische
+Traumen jenen körperlichen Traumen gleich, deren Einfluß auf hysterische
+Lähmungen _Charcot_ festgestellt hatte, und _Breuers_ Aufstellung der
+hypnoiden Zustände ist selbst nichts anderes als ein Reflex der
+Tatsache, daß _Charcot_ jene traumatischen Lähmungen in der Hypnose
+künstlich reproduziert hatte.
+
+Der große französische Beobachter, dessen Schüler ich 1885/86 wurde, war
+selbst psychologischen Auffassungen nicht geneigt; erst sein Schüler
+P. _Janet_ versuchte ein tieferes Eindringen in die besonderen
+psychischen Vorgänge bei der Hysterie, und wir folgten seinem Beispiele,
+als wir die seelische Spaltung und den Zerfall der Persönlichkeit in das
+Zentrum unserer Auffassung rückten. Sie finden bei _Janet_ eine Theorie
+der Hysterie, welche den in Frankreich herrschenden Lehren über die
+Rolle der Erblichkeit und der Degeneration Rechnung trägt. Die Hysterie
+ist nach ihm eine Form der degenerativen Veränderung des Nervensystems,
+welche sich durch eine angeborene Schwäche der psychischen Synthese
+kundgibt. Die hysterisch Kranken seien von Anfang an unfähig, die
+Mannigfaltigkeit der seelischen Vorgänge zu einer Einheit
+zusammenzuhalten, und daher komme die Neigung zur seelischen
+Dissoziation. Wenn Sie mir ein banales aber deutliches Gleichnis
+gestatten, _Janets_ Hysterische erinnert an eine schwache Frau, die
+ausgegangen ist, um Einkäufe zu machen, und nun mit einer Menge von
+Schachteln und Paketen beladen zurückkommt. Sie kann den ganzen Haufen
+mit ihren zwei Armen und zehn Fingern nicht bewältigen, und so entfällt
+ihr zuerst ein Stück. Bückt sie sich, um dieses aufzuheben, so macht
+sich dafür ein anderes los u. s. w. Es stimmt nicht gut zu dieser
+angenommenen seelischen Schwäche der Hysterischen, daß man bei ihnen
+außer den Erscheinungen verminderter Leistung auch Beispiele von
+teilweiser Steigerung der Leistungsfähigkeit, wie zur Entschädigung,
+beobachten kann. Zur Zeit, als _Breuers_ Patientin ihre Muttersprache
+und alle anderen Sprachen bis auf Englisch vergessen hatte, erreichte
+ihre Beherrschung des Englischen eine solche Höhe, daß sie im stande
+war, wenn man ihr ein deutsches Buch vorlegte, eine tadellose und
+fließende Übersetzung desselben vom Blatt herunterzulesen.
+
+Als ich es später unternahm, die von _Breuer_ begonnenen Untersuchungen
+auf eigene Faust fortzusetzen, gelangte ich bald zu einer anderen
+Ansicht über die Entstehung der hysterischen Dissoziation (oder
+Bewußtseinsspaltung). Eine solche, für alles weitere entscheidende,
+Divergenz mußte sich notwendigerweise ergeben, da ich nicht wie _Janet_
+von Laboratoriumsversuchen, sondern von therapeutischen Bemühungen
+ausging.
+
+Mich trieb vor allem das praktische Bedürfnis. Die kathartische
+Behandlung, wie sie _Breuer_ geübt hatte, setzte voraus, daß man den
+Kranken in tiefe Hypnose bringe, denn nur im hypnotischen Zustand fand
+er die Kenntnis jener pathogenen Zusammenhänge, die ihm in seinem
+Normalzustand abging. Nun war mir die Hypnose als ein launenhaftes und
+sozusagen mystisches Hilfsmittel bald unliebsam geworden; als ich aber
+die Erfahrung machte, daß es mir trotz aller Bemühungen nicht gelingen
+wollte, mehr als einen Bruchteil meiner Kranken in den hypnotischen
+Zustand zu versetzen, beschloß ich, die Hypnose aufzugeben und die
+kathartische Behandlung von ihr unabhängig zu machen. Weil ich den
+psychischen Zustand meiner meisten Patienten nicht nach meinem Belieben
+verändern konnte, richtete ich mich darauf ein, mit ihrem Normalzustand
+zu arbeiten. Das schien allerdings vorerst ein sinn- und aussichtsloses
+Unternehmen zu sein. Es war die Aufgabe gestellt, etwas vom Kranken zu
+erfahren, was man nicht wußte und was er selbst nicht wußte; wie konnte
+man hoffen, dies doch in Erfahrung zu bringen? Da kam mir die Erinnerung
+an einen sehr merkwürdigen und lehrreichen Versuch zu Hilfe, den ich bei
+_Bernheim_ in _Nancy_ mitangesehen hatte. _Bernheim_ zeigte uns damals,
+daß die Personen, welche er in hypnotischen Somnambulismus versetzt und
+in diesem Zustand allerlei hatte erleben lassen, die Erinnerung an das
+somnambul Erlebte doch nur zum Schein verloren hatten, und daß es
+möglich war, bei ihnen diese Erinnerungen auch im Normalzustand zu
+erwecken. Wenn er sie nach den somnambulen Erlebnissen befragte, so
+behaupteten sie anfangs zwar, nichts zu wissen, aber wenn er nicht
+nachgab, drängte, ihnen versicherte, sie wüßten es doch, so kamen die
+vergessenen Erinnerungen jedesmal wieder.
+
+So machte ich es also auch mit meinen Patienten. Wenn ich mit ihnen bis
+zu einem Punkte gekommen war, an dem sie behaupteten, nichts weiter zu
+wissen, so versicherte ich ihnen, sie wüßten es doch, sie sollten es nur
+sagen, und ich getraute mich der Behauptung, daß die Erinnerung die
+richtige sein würde, die ihnen in dem Moment käme, wenn ich meine Hand
+auf ihre Stirn legte. Auf diese Weise gelang es mir, ohne Anwendung der
+Hypnose, von den Kranken alles zu erfahren, was zur Herstellung des
+Zusammenhangs zwischen den vergessenen pathogenen Szenen und den von
+ihnen erübrigten Symptomen erforderlich war. Aber es war ein mühseliges,
+ein auf die Dauer erschöpfendes Verfahren, das sich für eine endgültige
+Technik, nicht eignen konnte.
+
+Ich gab es jedoch nicht auf, ohne aus den dabei gemachten Wahrnehmungen
+die entscheidenden Schlüsse zu ziehen. Ich hatte es also bestätigt
+gefunden, daß die vergessenen Erinnerungen nicht verloren waren. Sie
+waren im Besitze des Kranken und bereit, in Assoziation an das von ihm
+noch Gewußte aufzutauchen, aber irgend eine Kraft hinderte sie daran,
+bewußt zu werden und nötigte sie, unbewußt zu bleiben. Die Existenz
+dieser Kraft konnte man mit Sicherheit annehmen, denn man verspürte eine
+ihr entsprechende Anstrengung, wenn man sich bemühte, im Gegensatz zu
+ihr die unbewußten Erinnerungen ins Bewußtsein des Kranken einzuführen.
+Man bekam die Kraft, welche den krankhaften Zustand aufrecht erhielt,
+als _Widerstand_ des Kranken zu spüren.
+
+Auf diese Idee des Widerstandes habe ich nun meine Auffassung der
+psychischen Vorgänge bei der Hysterie gegründet. Es hatte sich als
+notwendig zur Herstellung erwiesen, diese Widerstände aufzuheben; vom
+Mechanismus der Heilung aus konnte man sich jetzt ganz bestimmte
+Vorstellungen über den Hergang bei der Erkrankung bilden. Dieselben
+Kräfte, die heute als Widerstand sich dem Bewußtmachen des Vergessenen
+widersetzten, mußten seinerzeit dieses Vergessen bewirkt und die
+betreffenden pathogenen Erlebnisse aus dem Bewußtsein gedrängt haben.
+Ich nannte diesen von mir supponierten Vorgang _Verdrängung_ und
+betrachtete ihn als erwiesen durch die unleugbare Existenz des
+_Widerstandes_.
+
+Man konnte sich aber auch die Frage vorlegen, welches diese Kräfte und
+welche die Bedingungen der Verdrängung seien, in der wir nun den
+pathogenen Mechanismus der Hysterie erkennen. Eine vergleichende
+Untersuchung der pathogenen Situationen, die man durch die kathartische
+Behandlung kennen gelernt hatte, gestattete hierauf Antwort zu geben.
+Bei all diesen Erlebnissen hatte es sich darum gehandelt, daß eine
+Wunschregung aufgetaucht war, welche in scharfem Gegensatze zu den
+sonstigen Wünschen des Individuums stand, sich als unverträglich mit den
+ethischen und ästhetischen Ansprüchen der Persönlichkeit erwies. Es
+hatte einen kurzen Konflikt gegeben, und das Ende dieses inneren Kampfes
+war, daß die Vorstellung, welche als der Träger jenes unvereinbaren
+Wunsches vor dem Bewußtsein auftrat, der Verdrängung anheimfiel und mit
+den zu ihr gehörigen Erinnerungen aus dem Bewußtsein gedrängt und
+vergessen wurde. Die Unverträglichkeit der betreffenden Vorstellung mit
+dem Ich des Kranken war also das Motiv der Verdrängung; die ethischen
+und anderen Anforderungen des Individuums waren die verdrängenden
+Kräfte. Die Annahme der unverträglichen Wunschregung oder die Fortdauer
+des Konflikts hätten hohe Grade von Unlust hervorgerufen; diese Unlust
+wurde durch die Verdrängung erspart, die sich in solcher Art als eine
+der Schutzvorrichtungen der seelischen Persönlichkeit erwies.
+
+Ich will Ihnen anstatt vieler einen einzigen meiner Fälle erzählen, in
+welchem Bedingungen und Nutzen der Verdrängung deutlich genug zu
+erkennen sind. Freilich muß ich für meinen Zweck auch diese
+Krankengeschichte verkürzen und wichtige Voraussetzungen derselben bei
+Seite lassen. Ein junges Mädchen, welches kurz vorher den geliebten
+Vater verloren hatte, an dessen Pflege sie beteiligt gewesen war -- eine
+Situation analog der bei der Patientin _Breuers_ --, brachte, als ihre
+ältere Schwester sich verheiratete, dem neuen Schwager eine besondere
+Sympathie entgegen, die sich leicht als verwandtschaftliche Zärtlichkeit
+maskieren konnte. Diese Schwester erkrankte bald und starb, während die
+Patientin mit ihrer Mutter abwesend war. Die Abwesenden wurden eiligst
+zurückgerufen, ohne in sichere Kenntnis des schmerzlichen Ereignisses
+gesetzt zu werden. Als das Mädchen an das Bett der toten Schwester trat,
+tauchte für einen kurzen Moment eine Idee in ihr auf, die sich etwa in
+den Worten ausdrücken ließe: _Jetzt ist er frei und kann mich heiraten._
+Wir dürfen als sicher annehmen, daß diese Idee, welche die ihr selbst
+nicht bewußte intensive Liebe zum Schwager ihrem Bewußtsein verriet,
+durch den Aufruhr ihrer Gefühle im nächsten Moment der Verdrängung
+überliefert wurde. Das Mädchen erkrankte an schweren hysterischen
+Symptomen, und als ich sie in Behandlung genommen hatte, stellte es sich
+heraus, daß sie jene Szene am Bette der Schwester und die in ihr
+auftretende häßlich-egoistische Regung gründlich vergessen hatte. Sie
+erinnerte sich daran in der Behandlung, reproduzierte den pathogenen
+Moment unter den Anzeichen heftigster Gemütsbewegung und wurde durch
+diese Behandlung gesund.
+
+Vielleicht darf ich Ihnen den Vorgang der Verdrängung und deren
+notwendige Beziehung zum Widerstand durch ein grobes Gleichnis
+veranschaulichen, das ich gerade aus unserer gegenwärtigen Situation
+herausgreifen will. Nehmen Sie an, hier in diesem Saale und in diesem
+Auditorium, dessen musterhafte Ruhe und Aufmerksamkeit ich nicht genug
+zu preisen weiß, befände sich doch ein Individuum, welches sich störend
+benimmt und durch sein ungezogenes Lachen, Schwätzen, Scharren mit den
+Füßen meine Aufmerksamkeit von meiner Aufgabe abzieht. Ich erkläre, daß
+ich so nicht weiter vortragen kann, und daraufhin erheben sich einige
+kräftige Männer unter Ihnen und setzen den Störenfried nach kurzem
+Kampfe vor die Tür. Er ist also jetzt »verdrängt« und ich kann meinen
+Vortrag fortsetzen. Damit aber die Störung sich nicht wiederhole, wenn
+der Herausgeworfene versucht, wieder in den Saal einzudringen, rücken
+die Herren, welche meinen Willen zur Ausführung gebracht haben, ihre
+Stühle an die Türe an und etablieren sich so als »Widerstand« nach
+vollzogener Verdrängung. Wenn Sie nun noch die beiden Lokalitäten hier
+als das »Bewußte« und das »Unbewußte« aufs Psychische übertragen, so
+haben Sie eine ziemlich gute Nachbildung des Vorgangs der Verdrängung
+vor sich.
+
+Sie sehen nun, worin der Unterschied unserer Auffassung von der
+_Janet_schen gelegen ist. Wir leiten die psychische Spaltung nicht von
+einer angeborenen Unzulänglichkeit zur Synthese des seelischen Apparats
+ab, sondern erklären sie dynamisch durch den Konflikt widerstreitender
+Seelenkräfte, erkennen in ihr das Ergebnis eines aktiven Sträubens der
+beiden psychischen Gruppierungen gegeneinander. Aus unserer Auffassung
+erheben sich nun neue Fragestellungen in großer Anzahl. Die Situation
+des psychischen Konflikts ist ja eine überaus häufige, ein Bestreben
+des Ichs, sich peinlicher Erinnerung zu erwehren, wird ganz regelmäßig
+beobachtet, ohne daß es zum Ergebnis einer seelischen Spaltung führt.
+Man kann den Gedanken nicht abweisen, daß es noch anderer Bedingungen
+bedarf, wenn der Konflikt die Dissoziation zur Folge haben soll. Ich
+gebe Ihnen auch gern zu, daß wir mit der Annahme der Verdrängung nicht
+am Ende, sondern erst am Anfang einer psychologischen Theorie stehen,
+aber wir können nicht anders als schrittweise vorrücken und müssen die
+Vollendung der Erkenntnis weiterer und tiefer eindringender Arbeit
+überlassen.
+
+Unterlassen Sie auch den Versuch, den Fall der Patientin _Breuers_ unter
+die Gesichtspunkte der Verdrängung zu bringen. Diese Krankengeschichte
+eignet sich hiezu nicht, weil sie mit Hilfe der hypnotischen
+Beeinflussung gewonnen worden ist. Erst, wenn Sie die Hypnose
+ausschalten, können Sie die Widerstände und Verdrängungen bemerken und
+sich von dem wirklichen pathogenen Vorgang eine zutreffende Vorstellung
+bilden. Die Hypnose verdeckt den Widerstand und macht ein gewisses
+seelisches Gebiet frei zugänglich, dafür häuft sie den Widerstand an den
+Grenzen dieses Gebietes zu einem Walle auf, der alles Weitere
+unzugänglich macht.
+
+Das Wertvollste, was wir aus der _Breuer_schen Beobachtung gelernt
+haben, waren die Aufschlüsse über den Zusammenhang der Symptome mit den
+pathogenen Erlebnissen oder psychischen Traumen, und nun dürfen wir
+nicht versäumen, diese Einsichten vom Standpunkte der Verdrängungslehre
+zu würdigen. Man sieht zunächst wirklich nicht ein, wie man von der
+Verdrängung aus zur Symptombildung gelangen kann. Anstatt eine
+komplizierte theoretische Ableitung zu geben, will ich an dieser Stelle
+auf unser früher gebrauchtes Bild für die Verdrängung zurückgreifen.
+Denken Sie daran, mit der Entfernung des störenden Gesellen und der
+Niederlassung der Wächter vor der Türe braucht die Angelegenheit nicht
+beendigt zu sein. Es kann sehr wohl geschehen, daß der Herausgeworfene,
+der jetzt erbittert und ganz rücksichtslos geworden ist, uns weiter zu
+schaffen gibt. Er ist zwar nicht mehr unter uns, wir sind seine
+Gegenwart, sein höhnisches Lachen, seine halblauten Bemerkungen los
+geworden, aber in gewisser Hinsicht ist die Verdrängung doch erfolglos
+gewesen, denn er führt nun draußen einen unerträglichen Spektakel auf,
+und sein Schreien und mit den Fäusten an die Türe Pochen hemmt meinen
+Vortrag mehr als früher sein unartiges Benehmen. Unter diesen
+Verhältnissen würden wir es mit Freuden begrüßen müssen, wenn etwa unser
+verehrter Präsident Dr. _Stanley Hall_ die Rolle des Vermittlers und
+Friedensstifters übernehmen wollte. Er würde mit dem ungebärdigen
+Gesellen draußen sprechen und dann sich an uns mit der Aufforderung
+wenden, ihn doch wieder einzulassen, er übernehme die Garantie, daß sich
+jener jetzt besser betragen werde. Auf Dr. _Halls_ Autorität hin
+entschließen wir uns dazu, die Verdrängung wieder aufzuheben und nun
+tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Es ist dies wirklich keine unpassende
+Darstellung der Aufgabe, die dem Arzt bei der psychoanalytischen
+Therapie der Neurosen zufällt.
+
+Um es jetzt direkter zu sagen: Wir kommen durch die Untersuchung der
+hysterisch Kranken und anderer Neurotiker zur Überzeugung, daß ihnen die
+Verdrängung der Idee, an welcher der unverträgliche Wunsch hängt,
+_mißlungen_ ist. Sie haben sie zwar aus dem Bewußtsein und aus der
+Erinnerung getrieben und sich anscheinend eine große Summe Unlust
+erspart, _aber im Unbewußten besteht die verdrängte Wunschregung
+weiter_, lauert auf eine Gelegenheit, aktiviert zu werden, und versteht
+es dann, eine entstellte und unkenntlich gemachte _Ersatzbildung_ für
+das Verdrängte ins Bewußtsein zu schicken, an welche sich bald dieselben
+Unlustempfindungen knüpfen, die man durch die Verdrängung erspart
+glaubte. Diese Ersatzbildung für die verdrängte Idee -- das _Symptom_ --
+ist gegen weitere Angriffe von Seiten des abwehrenden Ichs gefeit, und
+an Stelle des kurzen Konflikts tritt jetzt ein in der Zeit nicht
+endendes Leiden. An dem Symptom ist neben den Anzeichen der Entstellung
+ein Rest von irgendwie vermittelter Ähnlichkeit mit der ursprünglich
+verdrängten Idee zu konstatieren; die Wege, auf denen sich die
+Ersatzbildung vollzog, lassen sich während der psychoanalytischen
+Behandlung des Kranken aufdecken, und zu seiner Heilung ist es
+notwendig, daß das Symptom auf diesen nämlichen Wegen wieder in die
+verdrängte Idee übergeführt werde. Ist das Verdrängte wieder der
+bewußten Seelentätigkeit zugeführt, was die Überwindung beträchtlicher
+Widerstände voraussetzt, so kann der so entstandene psychische
+_Konflikt_, den der Kranke vermeiden wollte, unter der Leitung des
+Arztes einen besseren Ausgang finden, als ihn die Verdrängung bot. Es
+gibt mehrere solcher zweckmäßiger Erledigungen, welche Konflikt und
+Neurose zum glücklichen Ende führen, im einzelnen Falle auch miteinander
+kombiniert erzielt werden können. Entweder wird die Persönlichkeit des
+Kranken überzeugt, daß sie den pathogenen Wunsch mit Unrecht abgewiesen
+hat, und veranlaßt, ihn ganz oder teilweise zu akzeptieren, oder dieser
+Wunsch wird selbst auf ein höheres und darum einwandfreies Ziel geleitet
+(was man seine _Sublimierung_ heißt), oder man erkennt seine Verwerfung
+als zu Recht bestehend an, ersetzt aber den automatischen und darum
+unzureichenden Mechanismus der Verdrängung durch eine Verurteilung mit
+Hilfe der höchsten geistigen Leistungen des Menschen; man erreicht seine
+bewußte Beherrschung.
+
+Verzeihen Sie mir, wenn es mir nicht gelungen ist, Ihnen diese
+Hauptgesichtspunkte der nun _Psychoanalyse_ genannten Behandlungsmethode
+klarer faßlich darzustellen. Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der
+Neuheit des Gegenstandes. Welcher Art die unverträglichen Wünsche sind,
+die sich trotz der Verdrängung aus dem Unbewußten vernehmbar zu machen
+verstehen, und welche subjektiven oder konstitutionellen Bedingungen bei
+einer Person zutreffen müssen, damit sich ein solches Mißlingen der
+Verdrängung und eine Ersatz- oder Symptombildung vollziehe, darüber
+werden noch einige spätere Bemerkungen Aufschluß geben.
+
+
+
+
+ III.
+
+
+Meine Damen und Herren! Es ist nicht immer leicht die Wahrheit zu sagen,
+besonders wenn man kurz sein muß, und so bin ich heute genötigt, eine
+Unrichtigkeit zu korrigieren, die ich in meinem letzten Vortrag
+vorgebracht habe. Ich sagte Ihnen, wenn ich unter Verzicht auf die
+Hypnose in meine Kranken drang, mir doch mitzuteilen, was ihnen zu dem
+eben behandelten Problem einfiele; sie wüßten ja doch alles angeblich
+Vergessene, und der auftauchende Einfall werde gewiß das Gesuchte
+enthalten, so machte ich tatsächlich die Erfahrung, daß der nächste
+Einfall meines Kranken das richtige brachte und sich als die vergessene
+Fortsetzung der Erinnerung erwies. Nun, das ist nicht allgemein richtig;
+ich habe es nur der Abkürzung halber so einfach dargestellt. In
+Wirklichkeit traf es nur die ersten Male zu, daß sich das richtige
+Vergessene durch einfaches Drängen von meiner Seite einstellte. Setzte
+man das Verfahren fort, so kamen jedesmal Einfälle, die nicht die
+richtigen sein konnten, weil sie nicht passend waren, und die die
+Kranken selbst als unrichtig verwarfen. Das Drängen brachte hier keine
+weitere Hilfe, und man konnte wieder bedauern, die Hypnose aufgegeben zu
+haben.
+
+In diesem Stadium der Ratlosigkeit klammerte ich mich an ein Vorurteil,
+dessen wissenschaftliche Berechtigung Jahre später durch meinen Freund
+C. G. _Jung_ in Zürich und seine Schüler erwiesen wurde. Ich muß
+behaupten, es ist manchmal recht nützlich, Vorurteile zu haben. Ich
+brachte eine hohe Meinung von der Strenge der Determinierung seelischer
+Vorgänge mit und konnte nicht daran glauben, daß ein Einfall des
+Kranken, den er bei gespannter Aufmerksamkeit produzierte, ganz
+willkürlich und außer Beziehung zu der von uns gesuchten vergessenen
+Vorstellung sei; daß er mit dieser nicht identisch war, ließ sich aus
+der vorausgesetzten psychologischen Situation befriedigend erklären. In
+dem behandelten Kranken wirkten zwei Kräfte gegen einander, einerseits
+sein bewußtes Bestreben, das in seinem Unbewußten vorhandene Vergessene
+ins Bewußtsein zu ziehen, anderseits der uns bekannte Widerstand, der
+sich gegen solches Bewußtwerden des Verdrängten oder seiner Abkömmlinge
+sträubte. War dieser Widerstand gleich Null oder sehr gering, so wurde
+das Vergessene ohne Entstellung bewußt; es lag also nahe, anzunehmen,
+daß die Entstellung des Gesuchten um so größer ausfallen werde, je
+größer der Widerstand gegen das Bewußtwerden des Gesuchten sei. Der
+Einfall des Kranken, der anstatt des Gesuchten kam, war also selbst
+entstanden wie ein Symptom; er war eine neue, künstliche und ephemere
+Ersatzbildung für das Verdrängte, und demselben um so unähnlicher, eine
+je größere Entstellung er unter dem Einfluß des Widerstandes erfahren
+hatte. Er mußte aber doch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gesuchten
+aufweisen, kraft seiner Natur als Symptom, und bei nicht zu intensivem
+Widerstand mußte es möglich sein, aus dem Einfall das verborgene
+Gesuchte zu erraten. Der Einfall mußte sich zum verdrängten Element
+verhalten wie eine Anspielung, wie eine Darstellung desselben in
+_indirekter_ Rede.
+
+Wir kennen auf dem Gebiete des normalen Seelenlebens Fälle, in denen
+analoge Situationen wie die von uns angenommene auch ähnliche Ergebnisse
+liefern. Ein solcher Fall ist der des _Witzes_. Durch die Probleme der
+psychoanalytischen Technik bin ich denn auch genötigt worden, mich mit
+der Technik der Witzbildung zu beschäftigen. Ich will Ihnen ein einziges
+solches Beispiel erläutern, übrigens einen Witz in englischer Sprache.
+
+Die Anekdote erzählt:[10] Zwei wenig skrupulösen Geschäftsleuten war es
+gelungen, sich durch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein großes
+Vermögen zu erwerben, und nun ging ihr Bemühen dahin, sich der guten
+Gesellschaft aufzudrängen. Unter anderem erschien es ihnen als ein
+zweckmäßiges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten Maler der
+Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen.
+Auf einer großen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und
+die beiden Hausherren führten selbst den einflußreichsten Kunstkenner
+und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Portraits
+nebeneinander aufgehängt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu
+entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, schüttelte dann den Kopf,
+als ob er etwas vermissen würde, und fragte bloß, auf den freien Raum
+zwischen beiden Bildern deutend: »And where is the Saviour?« Ich sehe,
+Sie lachen alle über diesen guten Witz, in dessen Verständnis wir nun
+eindringen wollen. Wir verstehen, daß der Kunstkenner sagen will: Ihr
+seid ein Paar Spitzbuben, wie die, zwischen denen man den Heiland ans
+Kreuz hängte. Aber er sagt es nicht, anstatt dessen äußert er etwas, was
+zunächst sonderbar unpassend und nicht dazu gehörig scheint, was wir
+aber im nächsten Moment als eine _Anspielung_ auf die von ihm
+beabsichtigte Beschimpfung und als einen vollgültigen Ersatz für
+dieselbe erkennen. Wir können nicht erwarten, daß sich beim Witz alle
+die Verhältnisse widerfinden lassen, die wir bei der Entstehung des
+Einfalles bei unseren Patienten vermuten, aber auf die Identität in der
+Motivierung von Witz und Einfall wollen wir Gewicht legen. Warum sagt
+unser Kritiker den beiden Spitzbuben nicht direkt, was er ihnen sagen
+möchte? Weil neben seinem Gelüste, es ihnen unverhüllt ins Gesicht zu
+sagen, sehr gute Gegenmotive in ihm wirksam sind. Es ist nicht
+ungefährlich, Leute zu beleidigen, bei denen man zu Gaste ist, und die
+über die kräftigen Fäuste einer zahlreichen Dienerschaft verfügen. Man
+kann leicht jenem Schicksal verfallen, das ich im vorigen Vortrag in
+eine Analogie mit der »Verdrängung« brachte. Aus diesem Grunde bringt
+der Kritiker die beabsichtigte Beschimpfung nicht direkt, sondern in
+entstellter Form als eine »Anspielung mit Auslassung« zum Ausdruck, und
+dieselbe Konstellation verschuldet es nach unserer Meinung, daß unser
+Patient, anstatt des gesuchten Vergessenen, einen mehr oder minder
+entstellten _Ersatzeinfall_ produziert.
+
+ [10] Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Fr. Deuticke,
+ Wien 1905 (p. 59).
+
+Meine Damen und Herren! Es ist recht zweckmäßig, eine Gruppe von
+zusammengehörigen, mit Affekt besetzten Vorstellungselementen nach dem
+Vorgang der _Züricher_ Schule (_Bleuler_, _Jung_ u. a.) als einen
+»_Komplex_« zu bezeichnen. Wir sehen also, wenn wir bei einem Kranken,
+von dem letzten, was er noch erinnert, ausgehen, um einen verdrängten
+Komplex zu suchen, so haben wir alle Aussicht, diesen zu erraten, wenn
+uns der Kranke eine genügende Anzahl seiner freien Einfälle zur
+Verfügung stellt. Wir lassen also den Kranken reden, was er will, und
+halten an der Voraussetzung fest, daß ihm nichts anderes einfallen kann,
+als was in indirekter Weise von dem gesuchten Komplex abhängt. Erscheint
+Ihnen dieser Weg, das Verdrängte aufzufinden, allzu umständlich, so kann
+ich Ihnen wenigstens die Versicherung geben, daß er der einzig gangbare
+ist.
+
+Wenn wir diese Technik ausüben, so werden wir noch durch die Tatsache
+gestört, daß der Kranke häufig inne hält, in Stockungen gerät und
+behauptet, er wisse nichts zu sagen, es falle ihm überhaupt nichts ein.
+Träfe dies zu und hätte der Kranke recht, so wäre unser Verfahren
+wiederum als unzulänglich erwiesen. Allein eine feinere Beobachtung
+zeigt, daß ein solches Versagen der Einfälle eigentlich nie eintritt.
+Dieser Anschein kommt nur dadurch zu stande, daß der Kranke den
+wahrgenommenen Einfall unter dem Einfluß der Widerstände, die sich in
+verschiedene kritische Urteile über den Wert des Einfalls kleiden,
+zurückhält oder wieder beseitigt. Man schützt sich dagegen, indem man
+ihm dieses Verhalten vorhersagt und von ihm fordert, daß er sich um
+diese Kritik nicht kümmere. Er soll unter völligem Verzicht auf solche
+kritische Auswahl alles sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn er
+es für unrichtig, für nicht dazu gehörig, für unsinnig hält, vor allem
+auch dann, wenn es ihm unangenehm ist, sein Denken mit dem Einfall zu
+beschäftigen. Durch die Befolgung dieser Vorschrift sichern wir uns das
+Material, welches uns auf die Spur der verdrängten Komplexe führt.
+
+Dies Material von Einfällen, welche der Kranke geringschätzend von sich
+weist, wenn er unter dem Einflüsse des Widerstandes anstatt unter dem
+des Arztes steht, stellt für den Psychoanalytiker gleichsam das Erz dar,
+dem er mit Hilfe von einfachen Deutungskünsten seinen Gehalt an
+wertvollem Metall entzieht. Wollen Sie sich bei einem Kranken eine
+rasche und vorläufige Kenntnis der verdrängten Komplexe schaffen, ohne
+noch auf deren Anordnung und Verknüpfung einzugehen, so bedienen Sie
+sich dazu der Prüfung mit dem _Assoziationsexperiment_, wie sie
+_Jung_[11] und seine Schüler ausgebildet haben. Dies Verfahren leistet
+dem Psychoanalytiker so viel wie die qualitative Analyse dem Chemiker;
+es ist in der Therapie der neurotisch Kranken entbehrlich, unentbehrlich
+aber zur objektiven Demonstration der Komplexe und bei der Untersuchung
+der Psychosen, die von der Züricher Schule so erfolgreich in Angriff
+genommen worden ist.
+
+ [11] C. G. _Jung_, Diagnostische Assoziationsstudien, I. Bd., 1906.
+
+Die Bearbeitung der Einfälle, welche sich dem Patienten ergeben, wenn er
+sich der psychoanalytischen Hauptregel unterwirft, ist nicht das einzige
+unserer technischen Mittel zur Erschließung des Unbewußten. Dem gleichen
+Zwecke dienen zwei andere Verfahren, die Deutung seiner Träume und die
+Verwertung seiner Fehl- und Zufallshandlungen.
+
+Ich gestehe Ihnen, meine geehrten Zuhörer, daß ich lange geschwankt
+habe, ob ich Ihnen anstatt dieser gedrängten Übersicht über das ganze
+Gebiet der Psychoanalyse nicht lieber eine ausführliche Darstellung der
+_Traumdeutung_ bieten soll. Ein rein subjektives und anscheinend
+sekundäres Motiv hat mich davon zurückgehalten. Es erschien mir fast
+anstößig, in diesem praktischen Zielen zugewendeten Lande als
+»Traumdeuter« aufzutreten, ehe Sie noch wissen konnten, auf welche
+Bedeutung diese veraltete und verspottete Kunst Anspruch erheben kann.
+Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via Regia zur Kenntnis des
+Unbewußten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse und jenes Gebiet,
+auf welchem jeder Arbeiter seine Überzeugung zu gewinnen und seine
+Ausbildung anzustreben hat. Wenn ich gefragt werde, wie man
+Psychoanalytiker werden kann, so antworte ich, durch das Studium seiner
+eigenen Träume. Mit richtigem Takt sind alle Gegner der Psychoanalyse
+bisher einer Würdigung der »Traumdeutung«[12] ausgewichen oder haben mit
+den seichtesten Einwendungen über sie hinwegzukommen getrachtet. Wenn
+Sie im Gegenteile die Lösungen der Probleme des Traumlebens anzunehmen
+vermögen, werden Ihnen die Neuheiten, welche die Psychoanalyse Ihrem
+Denken zumutet, keine Schwierigkeiten mehr bieten.
+
+ [12] Die Traumdeutung, 2. Aufl., Fr. Deuticke, Wien 1909.
+
+Vergessen Sie nicht daran, daß unsere nächtlichen Traumproduktionen
+einerseits die größte äußere Ähnlichkeit und innere Verwandtschaft mit
+den Schöpfungen der Geisteskrankheiten zeigen, anderseits aber mit der
+vollen Gesundheit des Wachlebens verträglich sind. Es ist keine absurd
+klingende Behauptung, daß, wer jenen »normalen« Sinnestäuschungen,
+Wahnideen und Charakteränderungen Verwunderung anstatt Verständnis
+entgegenbringt, auch nicht die leiseste Aussicht hat, die abnormen
+Bildungen krankhafter Seelenzustände anders als im laienhaften Sinne zu
+begreifen. Zu diesen Laien dürfen Sie heute getrost fast alle Psychiater
+zählen. Folgen Sie mir nun auf einem flüchtigen Streifzug durch das
+Gebiet der Traumprobleme.
+
+Wir pflegen, wenn wir erwacht sind, die Träume so verächtlich zu
+behandeln, wie der Patient die Einfälle, die der Psychoanalytiker von
+ihm fordert. Wir weisen sie aber auch von uns ab, indem wir sie in der
+Regel rasch und vollständig vergessen. Unsere Geringschätzung gründet
+sich auf den fremdartigen Charakter selbst jener Träume, die nicht
+verworren und unsinnig sind, und auf die evidente Absurdität und
+Sinnlosigkeit anderer Träume; unsere Abweisung beruft sich auf die
+ungehemmt schamlosen und unmoralischen Strebungen, die in manchen
+Träumen offen zu Tage treten. Das Altertum hat diese Geringschätzung der
+Träume bekanntlich nicht geteilt. Die niederen Schichten unseres Volkes
+lassen sich in der Wertschätzung der Träume auch heute nicht irre
+machen; sie erwarten von ihnen wie die Alten die Enthüllung der Zukunft.
+
+Ich bekenne, daß ich kein Bedürfnis nach mystischen Annahmen zur
+Ausfüllung der Lücken unserer gegenwärtigen Erkenntnis habe, und darum
+habe ich auch nie etwas finden können, was eine prophetische Natur der
+Träume bestätigte. Es läßt sich viel andersartiges, was auch wunderbar
+genug ist, über die Träume sagen.
+
+Zunächst, nicht alle Träume sind dem Träumer wesensfremd, unverständlich
+und verworren. Wenn Sie die Träume jüngster Kinder, von 1½ Jahren an,
+Ihrer Betrachtung unterziehen wollen, so finden sie dieselben ganz
+simpel und leicht aufzuklären. Das kleine Kind träumt immer die
+Erfüllung von Wünschen, die der Tag vorher in ihm erweckt und nicht
+befriedigt hat. Sie bedürfen keiner Deutungskunst, um diese einfache
+Lösung zu finden, sondern nur der Erkundigung nach den Erlebnissen des
+Kindes am Vortag (Traumtag). Es wäre nun gewiß die befriedigendste
+Lösung des Traumrätsels, wenn auch die Träume der Erwachsenen nichts
+anderes wären als die der Kinder, Erfüllungen von Wunschregungen, die
+ihnen der Traumtag gebracht hat. So ist es auch in Wirklichkeit; die
+Schwierigkeiten, welche dieser Lösung im Wege stehen, lassen sich durch
+eine eingehendere Analyse der Träume schrittweise beseitigen.
+
+Da ist vor allem die erste und gewichtigste Einwendung, daß die Träume
+Erwachsener gewöhnlich einen unverständlichen Inhalt haben, der am
+wenigsten etwas von Wunscherfüllung erkennen läßt. Die Antwort lautet
+hier: Diese Träume haben eine Entstellung erfahren; der psychische
+Vorgang, der ihnen zu Grunde liegt, hätte ursprünglich ganz anderen
+Ausdruck in Worten finden sollen. Sie müssen den _manifesten
+Trauminhalt_, wie Sie ihn am Morgen verschwommen erinnern und mühselig,
+anscheinend willkürlich, in Worte kleiden, unterscheiden von den
+_latenten Traumgedanken_, die Sie im Unbewußten vorhanden anzunehmen
+haben. Diese Traumentstellung ist derselbe Vorgang, den Sie bei der
+Untersuchung der Bildung hysterischer Symptome kennen gelernt haben; sie
+weist auch darauf hin, daß das gleiche Gegenspiel der seelischen Kräfte
+bei der Traumbildung wie bei der Symptombildung beteiligt ist. Der
+manifeste Trauminhalt ist der entstellte Ersatz für die unbewußten
+Traumgedanken, und diese Entstellung ist das Werk von abwehrenden
+Kräften des Ichs, Widerständen, welche den verdrängten Wünschen des
+Unbewußten den Zugang zum Bewußtsein im Wachleben überhaupt verwehren,
+in der Herabsetzung des Schlafzustandes aber wenigstens noch so stark
+sind, daß sie ihnen eine verhüllende Vermummung aufnötigen. Der Träumer
+erkennt dann den Sinn seiner Träume ebenso wenig wie der Hysterische die
+Beziehung und Bedeutung seiner Symptome.
+
+Daß es latente Traumgedanken gibt und daß zwischen ihnen und dem
+manifesten Trauminhalt wirklich die eben beschriebene Relation besteht,
+davon überzeugen Sie sich bei der Analyse der Träume, deren Technik mit
+der psychoanalytischen zusammenfällt. Sie sehen von dem scheinbaren
+Zusammenhang der Elemente im manifesten Traum ganz ab und suchen sich
+die Einfälle zusammen, die sich bei freier Assoziation nach der
+psychoanalytischen Arbeitsregel zu jedem einzelnen Traumelement ergeben.
+Aus diesem Material erraten Sie die latenten Traumgedanken ganz so, wie
+Sie aus den Einfällen des Kranken zu seinen Symptomen und Erinnerungen
+seine versteckten Komplexe erraten haben. An den so gefundenen latenten
+Traumgedanken ersehen Sie ohne weiteres, wie vollberechtigt die
+Rückführung der Träume Erwachsener auf die Kinderträume ist. Was sich
+jetzt als der eigentliche Sinn des Traumes dem manifesten Trauminhalt
+substituiert, das ist immer klar verständlich, knüpft an die
+Lebenseindrücke des Vortages an, erweist sich als eine Erfüllung
+unbefriedigter Wünsche. Den manifesten Traum, den Sie aus der Erinnerung
+beim Erwachen kennen, können Sie dann nur beschreiben als eine
+_verkappte_ Erfüllung _verdrängter_ Wünsche.
+
+Sie können durch eine Art von synthetischer Arbeit jetzt auch Einsicht
+nehmen in den Prozeß, der die Entstellung der unbewußten Traumgedanken
+zum manifesten Trauminhalt herbeigeführt hat. Wir heißen diesen Prozeß
+die »Traumarbeit«. Derselbe verdient unser vollstes theoretisches
+Interesse, weil wir an ihm wie sonst nirgends studieren können, welche
+ungeahnten psychischen Vorgänge im Unbewußten, oder genau ausgedrückt,
+_zwischen_ zwei gesonderten psychischen Systemen wie dem Bewußten und
+dem Unbewußten, möglich sind. Unter diesen neu erkannten psychischen
+Vorgängen heben sich die der _Verdichtung_ und der _Verschiebung_
+auffällig heraus. Die Traumarbeit ist ein Spezialfall der Einwirkungen
+verschiedener seelischer Gruppierungen aufeinander, also der Erfolge der
+seelischen Spaltung, und sie scheint in allem Wesentlichen identisch mit
+jener Entstellungsarbeit, welche die verdrängten Komplexe bei
+mißglückender Verdrängung in Symptome verwandelt.
+
+Sie werden ferner bei der Analyse der Träume, am überzeugendsten Ihrer
+eigenen, mit Verwunderung die ungeahnt große Rolle entdecken, welche
+Eindrücke und Erlebnisse früher Jahre der Kindheit auf die Entwicklung
+des Menschen nehmen. Im Traumleben setzt das Kind im Menschen gleichsam
+seine Existenz mit Erhaltung all seiner Eigentümlichkeiten und
+Wunschregungen, auch der im späteren Leben unbrauchbar gewordenen, fort.
+Mit unabweislicher Macht drängt sich Ihnen auf, durch welche
+Entwicklungen, Verdrängungen, Sublimierungen und Reaktionsbildungen aus
+dem ganz anders beanlagten Kind der sogenannt normale Mensch, der
+Träger und zum Teil das Opfer der mühsam errungenen Kultur, hervorgeht.
+
+Auch darauf will ich sie aufmerksam machen, daß wir bei der Analyse der
+Träume gefunden haben, das Unbewußte bediene sich, insbesondere für die
+Darstellung sexueller Komplexe, einer gewissen Symbolik, die zum Teil
+individuell variabel, zum anderen Teil aber typisch festgelegt ist, und
+die sich mit der Symbolik zu decken scheint, die wir hinter unseren
+Mythen und Märchen vermuten. Es wäre nicht unmöglich, daß die letzteren
+Schöpfungen der Völker ihre Aufklärung vom Traume her empfangen könnten.
+
+Endlich muß ich Sie mahnen, daß Sie sich nicht durch den Einwand irre
+machen lassen, das Vorkommen von Angstträumen widerspreche unserer
+Auffassung des Traumes als Wunscherfüllung. Abgesehen davon, daß auch
+diese Angstträume der Deutung bedürfen, ehe man über sie urteilen kann,
+muß man ganz allgemein sagen, daß die Angst nicht so einfach am
+Trauminhalt hängt, wie man's sich ohne weitere Kenntnis und Rücksicht
+auf die Bedingungen der neurotischen Angst vorstellt. Die Angst ist eine
+der Ablehnungsreaktionen des Ichs gegen stark gewordene verdrängte
+Wünsche, und daher auch im Traume sehr gut erklärlich, wenn die
+Traumbildung sich zu sehr in den Dienst der Erfüllung dieser verdrängten
+Wünsche gestellt hat.
+
+Sie sehen, die Traumerforschung wäre an sich durch die Aufschlüsse
+gerechtfertigt, die sie über sonst schwer wißbare Dinge liefert. Wir
+sind aber im Zusammenhange mit der psychoanalytischen Behandlung der
+Neurotiker zu ihr gelangt. Nach dem bisher Gesagten können Sie leicht
+verstehen, wie die Traumdeutung, wenn sie nicht durch die Widerstände
+des Kranken allzu sehr erschwert wird, zur Kenntnis der versteckten und
+verdrängten Wünsche des Kranken und der von ihnen genährten Komplexe
+führt, und ich kann zur dritten Gruppe von seelischen Phänomenen
+übergehen, deren Studium zum technischen Mittel für die Psychoanalyse
+geworden ist.
+
+Es sind dies die kleinen Fehlhandlungen normaler wie nervöser Menschen,
+denen man sonst keine Bedeutung beizulegen pflegt, das Vergessen von
+Dingen, die sie wissen könnten und andere Male auch wirklich wissen
+(z. B. das zeitweilige Entfallen von Eigennamen), das Versprechen in der
+Rede, das sich uns selbst so häufig ereignet, das analoge Verschreiben
+und Verlesen, das Vergreifen bei Verrichtungen und das Verlieren oder
+Zerbrechen von Gegenständen u. dgl., lauter Dinge, für die man eine
+psychologische Determinierung sonst nicht sucht, und die man als
+zufällige Ergebnisse, als Erfolge der Zerstreutheit, Unaufmerksamkeit
+und ähnlicher Bedingungen unbeanstandet passieren läßt. Dazu kommen noch
+die Handlungen und Gesten, welche die Menschen ausführen, ohne sie
+überhaupt zu bemerken, geschweige denn, daß sie ihnen seelisches Gewicht
+beilegten, wie das Spielen, Tändeln mit Gegenständen, das Summen von
+Melodien, das Hantieren am eigenen Körper und an dessen Bekleidung und
+ähnliches.[13] Diese kleinen Dinge, die _Fehlhandlungen_ wie die
+_Symptom-_ und _Zufallshandlungen_, sind nicht so bedeutungslos, wie man
+durch eine Art von stillschweigendem Übereinkommen anzunehmen bereit
+ist. Sie sind durchaus sinnvoll, aus der Situation, in der sie
+vorfallen, meist leicht und sicher zu deuten, und es stellt sich heraus,
+daß sie wiederum Impulsen und Absichten Ausdruck geben, die
+zurückgestellt, dem eigenen Bewußtsein verborgen werden sollen, oder daß
+sie geradezu den nämlichen verdrängten Wunschregungen und Komplexen
+entstammen, die wir bereits als die Schöpfer der Symptome und die
+Bildner der Träume kennen gelernt haben. Sie verdienen also die
+Würdigung von Symptomen, und ihre Beachtung kann wie die der Träume zur
+Aufdeckung des Verborgenen im Seelenleben führen. Mit ihrer Hilfe verrät
+der Mensch in der Regel die intimsten seiner Geheimnisse. Wenn sie
+besonders leicht und häufig zu stande kommen, selbst beim Gesunden, dem
+die Verdrängung seiner unbewußten Regungen im ganzen gut gelungen ist,
+so haben sie es ihrer Geringfügigkeit und Unscheinbarkeit zu danken.
+Aber sie dürfen hohen theoretischen Wert beanspruchen, da sie uns die
+Existenz der Verdrängung und Ersatzbildung auch unter den Bedingungen
+der Gesundheit erweisen.
+
+ [13] Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 3. Aufl., 1910,
+ S. _Karger_, Berlin.
+
+Sie merken es bereits, daß sich der Psychoanalytiker durch einen
+besonders strengen Glauben an die Determinierung des Seelenlebens
+auszeichnet. Für ihn gibt es in den psychischen Äußerungen nichts
+Kleines, nichts Willkürliches und Zufälliges, er erwartet überall dort
+eine ausreichende Motivierung, wo man gewöhnlich eine solche Forderung
+nicht erhebt; ja er ist auf eine _mehrfache Motivierung_ desselben
+seelischen Effekts vorbereitet, während unser angeblich eingeborenes
+Kausalbedürfnis sich mit einer einzigen psychischen Ursache für
+befriedigt erklärt.
+
+Halten Sie nun zusammen, was wir an Mitteln zur Aufdeckung des
+Verborgenen, Vergessenen, Verdrängten im Seelenleben besitzen, das
+Studium der hervorgerufenen Einfälle der Patienten bei freier
+Assoziation, ihrer Träume und ihrer Fehl- und Symptomhandlungen; fügen
+Sie noch hinzu die Verwertung anderer Phänomene, die sich während der
+psychoanalytischen Behandlung ergeben, über die ich später unter dem
+Schlagwort der »Übertragung« einige Bemerkungen machen werde, so werden
+Sie mit mir zu dem Schlusse kommen, daß unsere Technik bereits wirksam
+genug ist, um ihre Aufgabe lösen zu können, um das pathogene psychische
+Material dem Bewußtsein zuzuführen und so die durch die Bildung von
+Ersatzsymptomen hervorgerufenen Leiden zu beseitigen. Daß wir während
+der therapeutischen Bemühungen unsere Kenntnis vom Seelenleben der
+normalen und der kranken Menschen bereichern und vertiefen, kann gewiß
+nur als ein besonderer Reiz und Vorzug dieser Arbeit eingeschätzt
+werden.
+
+Ich weiß nicht, ob Sie den Eindruck empfangen haben, daß die Technik,
+durch deren Arsenal ich Sie eben geführt habe, eine besonders schwierige
+ist. Ich meine, sie ist dem Gegenstande, den sie bewältigen soll,
+durchaus angemessen. Aber so viel ist sicher, daß sie nicht
+selbstverständlich ist, daß sie erlernt werden muß wie die histologische
+oder die chirurgische. Es wird Sie vielleicht verwundern, zu hören, daß
+wir in Europa eine Menge von Urteilen über die Psychoanalyse von
+Personen gehört haben, die von dieser Technik nichts wissen und sie
+nicht anwenden, und dann von uns wie im Hohne verlangten, wir sollten
+ihnen die Richtigkeit unserer Resultate beweisen. Es sind unter diesen
+Widersachern gewiß auch Personen, denen wissenschaftliche Denkweise
+sonst nicht fremd ist, die z. B. ein Ergebnis mikroskopischer
+Untersuchung nicht darum verwerfen würden, weil es am anatomischen
+Präparat nicht mit freiem Auge zu bestätigen ist, und nicht eher, als
+bis sie den Sachverhalt selbst mit Hilfe des Mikroskops beurteilt haben.
+Aber in Sachen der Psychoanalyse liegen die Verhältnisse wirklich
+ungünstiger für die Anerkennung. Die Psychoanalyse will das im
+Seelenleben Verdrängte zur bewußten Anerkennung bringen, und jeder, der
+sie beurteilt, ist selbst ein Mensch, der solche Verdrängungen besitzt,
+vielleicht sie nur mühsam aufrecht erhält. Sie muß also bei ihm
+denselben Widerstand hervorrufen, den sie bei den Kranken weckt, und
+dieser Widerstand hat es leicht, sich in intellektuelle Ablehnung zu
+verkleiden und Argumente herbeizuziehen, ähnlich wie die, welche wir bei
+unseren Kranken mit der psychoanalytischen Grundregel abwehren. Wie bei
+unseren Kranken, so können wir auch bei unseren Gegnern häufig eine sehr
+auffällige affektive Beeinflussung des Urteilsvermögens im Sinne einer
+Herabsetzung konstatieren. Der Dünkel des Bewußtseins, der z. B. den
+Traum so geringschätzig verwirft, gehört zu den stärksten
+Schutzeinrichtungen, die in uns ganz allgemein gegen das Durchdringen
+der unbewußten Komplexe vorgesehen sind, und darum ist es so schwierig,
+die Menschen zur Überzeugung von der Realität des Unbewußten zu bringen
+und sie Neues kennen zu lehren, was ihrer bewußten Kenntnis
+widerspricht.
+
+
+
+
+ IV.
+
+
+Meine Damen und Herren! Sie werden nun zu wissen verlangen, was wir mit
+Hilfe der beschriebenen technischen Mittel über die pathogenen Komplexe
+und verdrängten Wunschregungen der Neurotiker in Erfahrung gebracht
+haben.
+
+Nun vor allem eines: Die psychoanalytische Forschung führt mit wirklich
+überraschender Regelmäßigkeit die Leidenssymptome der Kranken auf
+Eindrücke aus ihrem Liebesleben zurück, zeigt uns, daß die pathogenen
+Wunschregungen von der Natur erotischer Triebkomponenten sind, und
+nötigt uns anzunehmen, daß Störungen der Erotik die größte Bedeutung
+unter den zur Erkrankung führenden Einflüssen zugesprochen werden muß,
+und dies zwar bei beiden Geschlechtern.
+
+Ich weiß, diese Behauptung wird mir nicht gerne geglaubt. Selbst solche
+Forscher, die meinen psychologischen Arbeiten bereitwillig folgen, sind
+geneigt zu meinen, daß ich den ätiologischen Anteil der sexuellen
+Momente überschätze, und wenden sich an mich mit der Frage, warum denn
+nicht auch andere seelische Erregungen zu den beschriebenen Phänomenen
+der Verdrängung und Ersatzbildung Anlaß geben sollen. Nun ich kann
+antworten: Ich weiß nicht, warum sie es nicht sollten, habe auch nichts
+dagegen, aber die Erfahrung zeigt, daß sie solche Bedeutung nicht haben,
+daß sie höchstens die Wirkung der sexuellen Momente unterstützen, nie
+aber die letzteren ersetzen können. Dieser Sachverhalt wurde von mir
+nicht etwa theoretisch postuliert; noch in den 1895 mit Dr. J. _Breuer_
+publizierten Studien über Hysterie stand ich nicht auf diesem
+Standpunkte; ich mußte mich zu ihm bekehren, als meine Erfahrungen
+zahlreicher wurden und tiefer in den Gegenstand eindrangen. Meine
+Herren! Es befinden sich hier unter Ihnen einige meiner nächsten Freunde
+und Anhänger, die die Reise nach Worcester mit mir gemacht haben. Fragen
+Sie bei ihnen an und Sie werden hören, daß sie alle der Behauptung von
+der maßgebenden Bedeutung der sexuellen Ätiologie zuerst vollen
+Unglauben entgegenbrachten, bis sie durch ihre eigenen analytischen
+Bemühungen genötigt wurden, sie zu der ihrigen zu machen.
+
+Die Überzeugung von der Richtigkeit des in Rede stehenden Satzes wird
+durch das Benehmen der Patienten nicht gerade erleichtert. Anstatt uns
+die Auskünfte über ihr Sexualleben bereitwillig entgegenzubringen,
+suchen sie dieses mit allen Mitteln zu verbergen. Die Menschen sind
+überhaupt nicht aufrichtig in sexuellen Dingen. Sie zeigen ihre
+Sexualität nicht frei, sondern tragen eine dicke Oberkleidung aus --
+Lügengewebe zu ihrer Verhüllung, als ob es schlechtes Wetter gäbe in
+der Welt der Sexualität. Und sie haben nicht unrecht, Sonne und Wind
+sind in unserer Kulturwelt der sexuellen Betätigung wirklich nicht
+günstig; eigentlich kann niemand von uns seine Erotik frei den anderen
+enthüllen. Wenn Ihre Patienten aber erst gemerkt haben, daß sie sich's
+in Ihrer Behandlung behaglich machen dürfen, dann legen sie jene
+Lügenhülle ab, und dann erst sind Sie in der Lage, sich ein Urteil über
+unsere Streitfrage zu bilden. Leider sind auch die Ärzte in ihrem
+persönlichen Verhältnis zu den Fragen des Sexuallebens vor anderen
+Menschenkindern nicht bevorzugt, und viele von ihnen stehen unter dem
+Banne jener Vereinigung von Prüderie und Lüsternheit, welche das
+Verhalten der meisten »Kulturmenschen« in Sachen der Sexualität
+beherrscht.
+
+Lassen Sie uns nun in der Mitteilung unserer Ergebnisse fortfahren. In
+einer anderen Reihe von Fällen führt die psychoanalytische Erforschung
+die Symptome allerdings nicht auf sexuelle, sondern auf banale
+traumatische Erlebnisse zurück. Aber diese Unterscheidung wird durch
+einen anderen Umstand bedeutungslos. Die zur gründlichen Aufklärung und
+endgültigen Herstellung eines Krankheitsfalles erforderliche
+Analysenarbeit macht nämlich in keinem Falle bei den Erlebnissen der
+Erkrankungszeit Halt, sondern sie geht in allen Fällen bis in die
+Pubertät und in die frühe Kindheit des Erkrankten zurück, um erst dort
+auf die für die spätere Erkrankung bestimmenden Eindrücke und Vorfälle
+zu stoßen. Erst die Erlebnisse der Kindheit geben die Erklärung für die
+Empfindlichkeit gegen spätere Traumen, und nur durch die Aufdeckung und
+Bewußtmachung dieser fast regelmäßig vergessenen Erinnerungsspuren
+erwerben wir die Macht zur Beseitigung der Symptome. Wir gelangen hier
+zu dem gleichen Ergebnis wie bei der Erforschung der Träume, daß es die
+unvergänglichen, verdrängten Wunschregungen der Kindheit sind, die ihre
+Macht zur Symptombildung geliehen haben, ohne welche die Reaktion auf
+spätere Traumen normal verlaufen wäre. Diese mächtigen Wunschregungen
+der Kindheit dürfen wir aber ganz allgemein als sexuelle bezeichnen.
+
+Jetzt bin ich aber erst recht Ihrer Verwunderung sicher. Gibt es denn
+eine infantile Sexualität? werden Sie fragen. Ist das Kindesalter nicht
+vielmehr die Lebensperiode, die durch das Fehlen des Sexualtriebes
+ausgezeichnet ist? Nein, meine Herren, es ist gewiß nicht so, daß der
+Sexualtrieb zur Pubertätszeit in die Kinder fährt, wie im Evangelium der
+Teufel in die Säue. Das Kind hat seine sexuellen Triebe und
+Betätigungen von Anfang an, es bringt sie mit auf die Welt, und aus
+ihnen geht durch eine bedeutungsvolle, an Etappen reiche Entwicklung die
+sogenannte normale Sexualität des Erwachsenen hervor. Es ist nicht
+einmal schwer, die Äußerungen dieser kindlichen Sexualbetätigung zu
+beobachten; es gehört vielmehr eine gewisse Kunst dazu, sie zu übersehen
+oder wegzudeuten.
+
+Durch die Gunst des Schicksals bin ich in die Lage versetzt, einen
+Zeugen für meine Behauptungen aus Ihrer Mitte selbst anzurufen. Ich
+zeige Ihnen hier die Arbeit eines Dr. _Sanford Bell_, die 1902 im
+»American Journal of Psychology« abgedruckt worden ist. Der Autor ist
+ein Fellow der Clark University, desselben Instituts, in dessen Räumen
+wir jetzt stehen. In dieser Arbeit, betitelt: A preliminary study of the
+emotion of love between the sexes, die drei Jahre vor meinen »Drei
+Abhandlungen zur Sexualtheorie« erschienen ist, sagt der Autor ganz so,
+wie ich Ihnen eben sagte: The emotion of sex-love.... does not make its
+appearance for the first time at the period of adolescence, as has been
+thought. Er hat, wie wir in Europa sagen würden, im amerikanischen Stil
+gearbeitet; nicht weniger als 2500 positive Beobachtungen im Laufe von
+15 Jahren gesammelt, darunter 800 eigene. Von den Zeichen, durch die
+sich diese Verliebtheiten kundgeben, äußert er: The unprejudiced mind in
+observing these manifestations in hundreds of couples of children cannot
+escape referring them to sex origin. The most exacting mind is satisfied
+when to these observations are added the confessions of those who have
+as children, experienced the emotion to a marked degree of intensity,
+and whose memories of childhood are relatively distinct. Am meisten aber
+werden diejenigen von Ihnen, die an die infantile Sexualität nicht
+glauben wollten, überrascht sein zu hören, daß unter diesen früh
+verliebten Kindern nicht wenige sich im zarten Alter von drei, vier und
+fünf Jahren befinden.
+
+Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie diesen Beobachtungen eines
+engsten Landsmannes eher Glauben schenken würden als den meinigen. Mir
+selbst ist es vor kurzem geglückt, aus der Analyse eines fünfjährigen,
+an Angst leidenden Knaben, die dessen eigener Vater kunstgerecht mit ihm
+vorgenommen,[14] ein ziemlich vollständiges Bild der somatischen
+Triebäußerungen und der seelischen Produktionen auf einer frühen Stufe
+des kindlichen Liebeslebens zu gewinnen. Und ich darf Sie daran
+erinnern, daß mein Freund Dr. C. G. _Jung_ Ihnen in diesem Saale vor
+wenigen Stunden die Beobachtung eines noch jüngeren Mädchens vorlas,
+welches aus dem gleichen Anlaß wie mein Patient -- bei der Geburt eines
+Geschwisterchens -- fast die nämlichen sinnlichen Regungen, Wunsch- und
+Komplexbildungen, mit Sicherheit erraten ließ. Ich verzweifle also nicht
+daran, daß Sie sich mit der anfänglich befremdlichen Idee der infantilen
+Sexualität befreunden werden, und möchte Ihnen noch das rühmliche
+Beispiel des Züricher Psychiaters E. _Bleuler_ vorhalten, der noch vor
+wenigen Jahren öffentlich äußerte, »er stehe meinen sexuellen Theorien
+ohne Verständnis gegenüber«, und seither die infantile Sexualität in
+ihrem vollen Umfang durch eigene Beobachtungen bestätigt hat.[15]
+
+ [14] Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben. Jahrbuch für
+ psychoanalyt. und psychopathologische Forschungen. Bd. I,
+ 1. Hälfte, 1909.
+
+ [15] _Bleuler_, Sexuelle Abnormitäten der Kinder. Jahrbuch der
+ schweiz. Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, IX, 1908.
+
+Wenn die meisten Menschen, ärztliche Beobachter oder andere, vom
+Sexualleben des Kindes nichts wissen wollen, so ist dies nur zu leicht
+erklärlich. Sie haben ihre eigene infantile Sexualbetätigung unter dem
+Drucke der Erziehung zur Kultur vergessen und wollen nun an das
+Verdrängte nicht erinnert werden. Sie würden zu anderen Überzeugungen
+gelangen, wenn sie die Untersuchung mit einer Selbstanalyse, einer
+Revision und Deutung ihrer Kindheitserinnerungen beginnen würden.
+
+Lassen Sie die Zweifel fallen und gehen Sie mit mir an eine Würdigung
+der infantilen Sexualität von den frühesten Jahren an.[16] Der
+Sexualtrieb des Kindes erweist sich als hoch zusammengesetzt, er läßt
+eine Zerlegung in viele Komponenten zu, die aus verschiedenen Quellen
+stammen. Er ist vor allem noch unabhängig von der Funktion der
+Fortpflanzung, in deren Dienst er sich später stellen wird. Er dient der
+Gewinnung verschiedener Arten von Lustempfindung, die wir nach Analogien
+und Zusammenhängen als Sexuallust zusammenfassen. Die Hauptquelle der
+infantilen Sexuallust ist die geeignete Erregung bestimmter, besonders
+reizbarer Körperstellen, außer den Genitalien, der Mund-, After- und
+Harnröhrenöffnung, aber auch der Haut und anderer Sinnesoberflächen. Da
+in dieser ersten Phase des kindlichen Sexuallebens die Befriedigung am
+eigenen Körper gefunden und von einem fremden Objekt abgesehen wird,
+heißen wir die Phase nach einem von _Havelock Ellis_ geprägten Wort die
+des _Autoerotismus_. Jene für die Gewinnung von sexueller Lust
+bedeutsamen Stellen nennen wir _erogene Zonen_. Das Ludeln oder
+Wonnesaugen der kleinsten Kinder ist ein gutes Beispiel einer solchen
+autoerotischen Befriedigung von einer erogenen Zone aus; der erste
+wissenschaftliche Beobachter dieses Phänomens, ein Kinderarzt namens
+_Lindner_ in Budapest, hat es bereits richtig als Sexualbefriedigung
+gedeutet und dessen Übergang in andere und höhere Formen der
+Sexualbetätigung erschöpfend beschrieben.[17] Eine andere
+Sexualbefriedigung dieser Lebenszeit ist die masturbatorische Erregung
+der Genitalien, die eine so große Bedeutung für das spätere Leben behält
+und von vielen Individuen überhaupt nie völlig überwunden wird. Neben
+diesen und anderen autoerotischen Betätigungen äußern sich sehr
+frühzeitig beim Kinde jene Triebkomponenten der Sexuallust oder, wie wir
+gern sagen, der Libido, die eine fremde Person als Objekt zur
+Voraussetzung nehmen. Diese Triebe treten in Gegensatzpaaren auf, als
+aktive und passive; ich nenne Ihnen als die wichtigsten Vertreter dieser
+Gruppe die Lust, Schmerzen zu bereiten (Sadismus), mit ihrem passiven
+Gegenspiel (Masochismus), und die aktive und passive Schaulust, von
+welch ersterer später die Wißbegierde abzweigt, wie von letzterer der
+Drang zur künstlerischen und schauspielerischen Schaustellung. Andere
+Sexualbetätigungen des Kindes fallen bereits unter den Gesichtspunkt der
+_Objektwahl_, bei welcher eine fremde Person zur Hauptsache wird, die
+ihre Bedeutung ursprünglich Rücksichten des Selbsterhaltungstriebes
+verdankt. Der Geschlechtsunterschied spielt aber in dieser kindlichen
+Periode noch keine ausschlaggebende Rolle; Sie können so jedem Kinde,
+ohne ihm Unrecht zu tun, ein Stück homosexueller Begabung zusprechen.
+
+ [16] Drei Vorlesungen zur Sexualtheorie, Wien, Fr. Deuticke, 1906,
+ 2. Auflage, 1910.
+
+ [17] Jahrbuch für Kinderheilkunde, 1879.
+
+Dies zerfahrene, reichhaltige, aber dissoziierte Sexualleben des Kindes,
+in welchem der einzelne Trieb unabhängig von jedem anderen dem
+Lusterwerbe nachgeht, erfährt nun eine Zusammenfassung und Organisation
+nach zwei Hauptrichtungen, so daß mit Abschluß der Pubertätszeit der
+definitive Sexualcharakter des Individuums meist fertig ausgebildet ist.
+Einerseits unterordnen sich die einzelnen Triebe der Oberherrschaft der
+Genitalzone, wodurch das ganze Sexualleben in den Dienst der
+Fortpflanzung tritt, und ihre Befriedigung nur noch als Vorbereitung und
+Begünstigung des eigentlichen Sexualaktes von Bedeutung bleibt.
+Anderseits drängt die Objektwahl den Autoerotismus zurück, so daß nun im
+Liebesleben alle Komponenten des Sexualtriebes an der geliebten Person
+befriedigt werden wollen. Aber nicht alle ursprünglichen
+Triebkomponenten werden zu einem Anteil an dieser endgültigen
+Feststellung des Sexuallebens zugelassen. Noch vor der Pubertätszeit
+sind unter dem Einfluß der Erziehung äußerst energische Verdrängungen
+gewisser Triebe durchgesetzt und seelische Mächte wie Scham, Ekel, Moral
+hergestellt worden, welche diese Verdrängungen wie Wächter unterhalten.
+Kommt dann im Pubertätsalter die Hochflut der sexuellen Bedürftigkeit,
+so findet sie an den genannten seelischen Reaktions- oder
+Widerstandsbildungen Dämme, welche ihr den Ablauf in die sogenannten
+normalen Wege vorschreiben und es ihr unmöglich machen, die der
+Verdrängung unterlegenen Triebe neu zu beleben. Es sind besonders die
+_koprophilen_, d. h. die mit den Exkrementen zusammenhängenden
+Lustregungen der Kindheit, welche von der Verdrängung am gründlichsten
+betroffen werden, und ferner die Fixierung an die Personen der
+primitiven Objektwahl.
+
+Meine Herren! Ein Satz der allgemeinen Pathologie sagt aus, daß jeder
+Entwicklungsvorgang die Keime der pathologischen Disposition mit sich
+bringt, insofern er gehemmt, verzögert werden oder unvollkommen ablaufen
+kann. Dasselbe gilt für die so komplizierte Entwicklung der
+Sexualfunktion. Sie wird nicht bei allen Individuen glatt durchgemacht
+und hinterläßt dann entweder Abnormitäten oder Dispositionen zu späterer
+Erkrankung auf dem Wege der Rückbildung (Regression). Es kann geschehen,
+daß nicht alle Partialtriebe sich der Herrschaft der Genitalzone
+unterwerfen; ein solcher unabhängig gebliebener Trieb stellt dann das
+her, was wir eine _Perversion_ nennen, und was das normale Sexualziel
+durch sein eigenes ersetzen kann. Es kommt, wie bereits erwähnt, sehr
+häufig vor, daß der Autoerotismus nicht völlig überwunden wird, wovon
+die mannigfaltigsten Störungen in der Folge Zeugnis ablegen. Die
+ursprüngliche Gleichwertigkeit beider Geschlechter als Sexualobjekte
+kann sich erhalten, und daraus wird sich eine Neigung zur homosexuellen
+Betätigung im reifen Leben ergeben, die sich unter Umständen zur
+ausschließlichen Homosexualität steigern kann. Diese Reihe von Störungen
+entspricht den direkten Entwicklungshemmungen der Sexualfunktion; sie
+umfaßt die _Perversionen_ und den gar nicht seltenen allgemeinen
+_Infantilismus_ des Sexuallebens.
+
+Die Disposition zu den Neurosen ist auf andere Weise von einer
+Schädigung der Sexualentwicklung abzuleiten. Die Neurosen verhalten sich
+zu den Perversionen wie das Negativ zum Positiv; in ihnen sind dieselben
+Triebkomponenten als Träger der Komplexe und Symptombildner nachweisbar
+wie bei den Perversionen, aber sie wirken hier vom Unbewußten her; sie
+haben also eine Verdrängung erfahren, konnten sich aber derselben zum
+Trotze im Unbewußten behaupten. Die Psychoanalyse läßt uns erkennen, daß
+überstarke Äußerung dieser Triebe in sehr frühen Zeiten zu einer Art von
+partieller _Fixierung_ führt, die nun einen schwachen Punkt im Gefüge
+der Sexualfunktion darstellt. Stößt die Ausübung der normalen
+Sexualfunktion im reifen Leben auf Hindernisse, so wird die Verdrängung
+der Entwicklungszeit gerade an jenen Stellen durchbrochen, wo die
+infantilen Fixierungen stattgefunden haben.
+
+Sie werden jetzt vielleicht den Einwand machen: Aber das ist ja alles
+nicht Sexualität. Ich gebrauchte das Wort in einem viel weiteren Sinne,
+als Sie gewohnt sind, es zu verstehen. Das gebe ich Ihnen gern zu. Aber
+es fragt sich, ob nicht vielmehr Sie das Wort in viel zu engem Sinne
+gebrauchen, wenn Sie es auf das Gebiet der Fortpflanzung einschränken.
+Sie opfern dabei das Verständnis der Perversionen, den Zusammenhang
+zwischen Perversion, Neurose und normalem Sexualleben, und setzen sich
+außer stande, die leicht zu beobachtenden Anfänge des somatischen und
+seelischen Liebeslebens der Kinder nach ihrer wahren Bedeutung zu
+erkennen. Wie immer Sie aber über den Wortgebrauch entscheiden wollen,
+halten Sie daran fest, daß der Psychoanalytiker die Sexualität in jenem
+vollen Sinne erfaßt, zu dem man durch die Würdigung der infantilen
+Sexualität geleitet wird.
+
+Kehren wir nun nochmals zur Sexualentwicklung des Kindes zurück. Wir
+haben hier manches nachzuholen, weil wir unsere Aufmerksamkeit mehr den
+somatischen als den seelischen Äußerungen des Sexuallebens geschenkt
+haben. Die primitive Objektwahl des Kindes, die sich von seiner
+Hilfsbedürftigkeit ableitet, fordert unser weiteres Interesse heraus.
+Sie wendet sich zunächst allen Pflegepersonen zu, die aber bald hinter
+den Eltern zurücktreten. Die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern ist,
+wie direkte Beobachtung des Kindes und spätere analytische Erforschung
+des Erwachsenen übereinstimmend dartun, keineswegs frei von Elementen
+sexueller Miterregung. Das Kind nimmt beide Elternteile und einen Teil
+besonders zum Objekt seiner erotischen Wünsche. Gewöhnlich folgt es
+dabei selbst einer Anregung der Eltern, deren Zärtlichkeit die
+deutlichsten Charaktere einer, wenn auch in ihren Zielen gehemmten,
+Sexualbetätigung hat. Der Vater bevorzugt in der Regel die Tochter, die
+Mutter den Sohn; das Kind reagiert hierauf, indem es sich als Sohn an
+die Stelle des Vaters, als Tochter an die Stelle der Mutter wünscht.
+Die Gefühle, die in diesen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und
+in den daran angelehnten zwischen den Geschwistern untereinander geweckt
+werden, sind nicht nur positiver, zärtlicher, sondern auch negativer,
+feindseliger Art. Der so gebildete Komplex ist zur baldigen Verdrängung
+bestimmt, aber er übt noch vom Unbewußten her eine großartige und
+nachhaltige Wirkung aus. Wir dürfen die Vermutung aussprechen, daß er
+mit seinen Ausläufern den _Kernkomplex_ einer jeden Neurose darstellt,
+und wir sind darauf gefaßt, ihn auf anderen Gebieten des Seelenlebens
+nicht minder wirksam anzutreffen. Der Mythus vom König _Ödipus_, der
+seinen Vater tötet und seine Mutter zum Weib gewinnt, ist eine noch
+wenig abgeänderte Offenbarung des infantilen Wunsches, dem sich
+späterhin die _Inzest_schranke abweisend entgegenstellt. Die
+_Hamlet_-Dichtung _Shakespeares_ ruht auf demselben Boden des besser
+verhüllten Inzestkomplexes.
+
+Um die Zeit, da das Kind von dem noch unverdrängten Kernkomplex
+beherrscht wird, setzt ein bedeutungsvolles Stück seiner intellektuellen
+Betätigung im Dienste der Sexualinteressen ein. Es beginnt zu forschen,
+woher die Kinder kommen, und errät in Verwertung der ihm gebotenen
+Anzeichen mehr von den wirklichen Verhältnissen, als die Erwachsenen
+ahnen können. Gewöhnlich hat die materielle Bedrohung durch ein neu
+angekommenes Kind, in dem es zunächst nur den Konkurrenten erblickt,
+sein Forscherinteresse geweckt. Unter dem Einfluß der in ihm selbst
+tätigen Partialtriebe gelangt es zu einer Anzahl von »_infantilen
+Sexualtheorien_«, wie daß es beiden Geschlechtern das gleiche männliche
+Genitale zuspricht, daß es die Kinder durch Essen empfangen und durch
+das Ende des Darmes gebären läßt, und daß es den Verkehr der
+Geschlechter als einen feindseligen Akt, eine Art von Überwältigung
+erfaßt. Aber gerade die Unfertigkeit seiner sexuellen Konstitution und
+die Lücke in seinen Kenntnissen, die durch die Latenz des weiblichen
+Geschlechtskanals gegeben ist, nötigt den infantilen Forscher, seine
+Arbeit als erfolglos einzustellen. Die Tatsache dieser Kinderforschung
+selbst, sowie die einzelnen durch sie zu Tage geförderten infantilen
+Sexualtheorien bleiben von bestimmender Bedeutung für die
+Charakterbildung des Kindes und den Inhalt seiner späteren neurotischen
+Erkrankung.
+
+Es ist unvermeidlich und durchaus normal, daß das Kind die Eltern zu
+Objekten seiner ersten Liebeswahl mache. Aber seine Libido soll nicht an
+diese ersten Objekte fixiert bleiben, sondern sie späterhin bloß zum
+Vorbild nehmen und von ihnen zur Zeit der definitiven Objektwahl auf
+fremde Personen hinübergleiten. Die _Ablösung_ des Kindes von den Eltern
+wird so zu einer unentrinnbaren Aufgabe, wenn die soziale Tüchtigkeit
+des jungen Individuums nicht gefährdet werden soll. Während der Zeit, da
+die Verdrängung die Auslese unter den Partialtrieben der Sexualität
+trifft, und später, wenn der Einfluß der Eltern gelockert werden soll,
+der den Aufwand für diese Verdrängungen im wesentlichen bestritten hat,
+fallen der Erziehungsarbeit große Aufgaben zu, die gegenwärtig gewiß
+nicht immer in verständnisvoller und einwandfreier Weise erledigt
+werden.
+
+Meine Herren! Urteilen Sie nicht etwa, daß wir uns mit diesen
+Erörterungen über das Sexualleben und die psychosexuelle Entwicklung des
+Kindes allzu weit von der Psychoanalyse und von der Aufgabe der
+Beseitigung nervöser Störungen entfernt haben. Wenn Sie wollen, können
+Sie die psychoanalytische Behandlung nur als eine fortgesetzte Erziehung
+zur Überwindung von Kindheitsresten beschreiben.
+
+
+
+
+ V.
+
+
+Meine Damen und Herren! Mit der Aufdeckung der infantilen Sexualität und
+der Zurückführung der neurotischen Symptome auf erotische
+Triebkomponenten sind wir zu einigen unerwarteten Formeln über das Wesen
+und die Tendenzen der neurotischen Erkrankungen gelangt. Wir sehen, daß
+die Menschen erkranken, wenn ihnen infolge äußerer Hindernisse oder
+inneren Mangels an Anpassung die Befriedigung ihrer erotischen
+Bedürfnisse in der _Realität_ versagt ist. Wir sehen, daß sie sich dann
+in die _Krankheit flüchten_, um mit ihrer Hilfe eine Ersatzbefriedigung
+für das Versagte zu finden. Wir erkennen, daß die krankhaften Symptome
+ein Stück der Sexualbetätigung der Person oder deren ganzes Sexualleben
+enthalten, und finden in der Fernhaltung von der Realität die
+Haupttendenz, aber auch den Hauptschaden des Krankseins. Wir ahnen, daß
+der Widerstand unserer Kranken gegen die Herstellung kein einfacher,
+sondern aus mehreren Motiven zusammengesetzt ist. Es sträubt sich nicht
+nur das Ich des Kranken dagegen, die Verdrängungen aufzugeben, durch
+welche es sich aus den ursprünglichen Anlagen herausgehoben hat, sondern
+auch die Sexualtriebe mögen nicht auf ihre Ersatzbefriedigung
+verzichten, solange es unsicher ist, ob ihnen die Realität etwas
+Besseres bieten wird.
+
+Die Flucht aus der unbefriedigenden Wirklichkeit in das, was wir wegen
+seiner biologischen Schädlichkeit Krankheit nennen, was aber niemals
+ohne einen unmittelbaren Lustgewinn für den Kranken ist, vollzieht sich
+auf dem Wege der Rückbildung (_Regression_), der Rückkehr zu früheren
+Phasen des Sexuallebens, denen seinerzeit die Befriedigung nicht
+abgegangen ist. Diese Regression ist anscheinend eine zweifache, eine
+_zeitliche_, insofern die Libido, das erotische Bedürfnis, auf zeitlich
+frühere Entwicklungsstufen zurückgreift, und eine _formale_, indem zur
+Äußerung dieses Bedürfnisses die ursprünglichen und primitiven
+psychischen Ausdrucksmittel verwendet werden. Beide Arten der Regression
+zielen aber auf die Kindheit und treffen zusammen in der Herstellung
+eines infantilen Zustands des Sexuallebens.
+
+Je tiefer Sie in die Pathogenese der nervösen Erkrankung eindringen,
+desto mehr wird sich Ihnen der Zusammenhang der Neurosen mit anderen
+Produktionen des menschlichen Seelenlebens, auch mit den wertvollsten
+derselben, enthüllen. Sie werden daran gemahnt, daß wir Menschen mit den
+hohen Ansprüchen unserer Kultur und unter dem Drucke unserer inneren
+Verdrängungen, die Wirklichkeit ganz allgemein unbefriedigend finden und
+darum ein Phantasieleben unterhalten, in welchem wir durch Produktionen
+von Wunscherfüllungen die Mängel der Realität auszugleichen lieben. In
+diesen Phantasien ist sehr vieles von dem eigentlichen konstitutionellen
+Wesen der Persönlichkeit und auch von ihren für die Wirklichkeit
+verdrängten Regungen enthalten. Der energische und erfolgreiche Mensch
+ist der, dem es gelingt, durch Arbeit seine Wunschphantasien in Realität
+umzusetzen. Wo dies nicht gelingt infolge der Widerstände der Außenwelt
+und der Schwäche des Individuums, da tritt die Abwendung von der
+Realität ein, das Individuum zieht sich in seine befriedigendere
+Phantasiewelt zurück, deren Inhalt es im Falle der Erkrankung in
+Symptome umsetzt. Unter gewissen günstigen Bedingungen bleibt es ihm
+noch möglich, von diesen Phantasien aus einen anderen Weg in die
+Realität zu finden, anstatt sich ihr durch Regression ins Infantile
+dauernd zu entfremden. Wenn die mit der Realität verfeindete Person im
+Besitze der uns psychologisch noch rätselhaften _künstlerischen
+Begabung_ ist, kann sie ihre Phantasien anstatt in Symptome in
+künstlerische Schöpfungen umsetzen, so dem Schicksal der Neurose
+entgehen und die Beziehung zur Realität auf diesem Umwege
+wiedergewinnen.[18] Wo bei bestehender Auflehnung gegen die reale Welt
+diese kostbare Begabung fehlt oder unzulänglich ist, da wird es wohl
+unvermeidlich, daß die Libido, der Herkunft der Phantasie folgend, auf
+dem Wege der Regression zur Wiederbelebung der infantilen Wünsche und
+somit zur Neurose gelangt. Die Neurose vertritt in unserer Zeit das
+Kloster, in welches sich alle die Personen zurückzuziehen pflegten, die
+das Leben enttäuscht hatte, oder die sich für das Leben zu schwach
+fühlten.
+
+ [18] Vgl. O. _Rank_, Der Künstler, H. Heller, Wien 1907.
+
+Lassen Sie mich an dieser Stelle das Hauptergebnis einfügen, zu welchem
+wir durch die psychoanalytische Untersuchung der Nervösen gelangt sind,
+daß die Neurosen keinen ihnen eigentümlichen psychischen Inhalt haben,
+der nicht auch beim Gesunden zu finden wäre, oder wie _C. G. Jung_ es
+ausgedrückt hat, daß sie an denselben Komplexen erkranken, mit denen
+auch wir Gesunde kämpfen. Es hängt von quantitativen Verhältnissen, von
+den Relationen der miteinander ringenden Kräfte ab, ob der Kampf zur
+Gesundheit, zur Neurose oder zur kompensierenden Überleistung führt.
+
+Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen die wichtigste Erfahrung noch
+vorenthalten, welche unsere Annahme von den sexuellen Triebkräften der
+Neurose bestätigt. Jedesmal wenn wir einen Nervösen psychoanalytisch
+behandeln, tritt bei ihm das befremdende Phänomens der sogenannten
+_Übertragung_ auf, d. h. er wendet dem Arzt ein Ausmaß von zärtlichen,
+oft genug mit Feindseligkeit vermengten Regungen zu, welches in keiner
+realen Beziehung begründet ist und nach allen Einzelheiten seines
+Auftretens von den alten und unbewußt gewordenen Phantasiewünschen des
+Kranken abgeleitet werden muß. Jenes Stück seines Gefühlslebens, das er
+sich nicht mehr in die Erinnerung zurückrufen kann, erlebt der Kranke
+also in seinem Verhältnisse zum Arzte wieder, und erst durch solches
+Wiedererleben in der »Übertragung« wird er von der Existenz wie von der
+Macht dieser unbewußten sexuellen Regungen überzeugt. Die Symptome,
+welche, um ein Gleichnis aus der Chemie zu gebrauchen, die Niederschläge
+von früheren Liebeserlebnissen (im weitesten Sinne) sind, können auch
+nur in der erhöhten Temperatur des Übertragungserlebnisses gelöst und in
+andere psychische Produkte übergeführt werden. Der Arzt spielt bei
+dieser Reaktion nach einem vortrefflichen Worte von S. _Ferenczi_[19]
+die Rolle eines _katalytischen Ferments_, das die bei dem Prozesse frei
+werdenden Affekte zeitweilig an sich reißt. Das Studium der Übertragung
+kann Ihnen auch den Schlüssel zum Verständnis der hypnotischen
+Suggestion geben, deren wir uns anfänglich als technisches Mittel zur
+Erforschung des Unbewußten bei unseren Kranken bedient hatten. Die
+Hypnose erwies sich damals als eine therapeutische Hilfe, aber als ein
+Hindernis der wissenschaftlichen Erkenntnis des Sachverhaltes, indem sie
+die psychischen Widerstände aus einem gewissen Gebiet wegräumte, um sie
+an den Grenzen desselben zu einem unübersteigbaren Wall aufzutürmen.
+Glauben Sie übrigens nicht, daß das Phänomen der Übertragung, über das
+ich Ihnen leider hier nur zu wenig sagen kann, durch die
+psychoanalytische Beeinflussung geschaffen wird. Die Übertragung stellt
+sich in allen menschlichen Beziehungen ebenso wie im Verhältnis des
+Kranken zum Arzte spontan her, sie ist überall der eigentliche Träger
+der therapeutischen Beeinflussung, und sie wirkt um so stärker, je
+weniger man ihr Vorhandensein ahnt. Die Psychoanalyse schafft sie also
+nicht, sie deckt sie bloß dem Bewußtsein auf, und bemächtigt sich ihrer,
+um die psychischen Vorgänge nach dem erwünschten Ziele zu lenken. Ich
+kann aber das Thema der Übertragung nicht verlassen, ohne hervorzuheben,
+daß dieses Phänomen nicht nur für die Überzeugung des Kranken, sondern
+auch für die des Arztes entscheidend in Betracht kommt. Ich weiß, daß
+alle meine Anhänger erst durch ihre Erfahrungen mit der Übertragung von
+der Richtigkeit meiner Behauptungen über die Pathogenese der Neurosen
+überzeugt worden sind, und kann sehr wohl begreifen, daß man eine solche
+Sicherheit des Urteils nicht gewinnt, solange man selbst keine
+Psychoanalysen gemacht, also nicht selbst die Wirkungen der Übertragung
+beobachtet hat.
+
+ [19] S. _Ferenczi_, Introjektion und Übertragung. Jahrb. f.
+ psychoanal. u. psychopath. Forschungen, I. 2. 1909.
+
+Meine Damen und Herren! Ich meine, es sind von der Seite des Intellekts
+besonders zwei Hindernisse gegen die Anerkennung der psychoanalytischen
+Gedankengänge zu würdigen: Erstens die Ungewohnheit, mit der strengen
+und ausnahmslos geltenden Determinierung des seelischen Lebens zu
+rechnen, und zweitens die Unkenntnis der Eigentümlichkeiten, durch
+welche sich unbewußte seelische Vorgänge von den uns vertrauten bewußten
+unterscheiden. Einer der verbreitetsten Widerstände gegen die
+psychoanalytische Arbeit -- bei Kranken wie bei Gesunden -- führt sich
+auf das letztere der beiden Momente zurück. Man fürchtet durch die
+Psychoanalyse zu schaden, man hat Angst davor, die verdrängten sexuellen
+Triebe ins Bewußtsein des Kranken zu rufen, als ob damit die Gefahr
+verbunden wäre, daß sie dann die höheren ethischen Strebungen bei ihm
+überwältigen und ihn seiner kulturellen Errungenschaften berauben
+könnten. Man merkt, daß der Kranke wunde Stellen in seinem Seelenleben
+hat, aber man scheut sich dieselben zu berühren, damit sein Leiden nicht
+noch gesteigert werde. Wir können diese Analogie annehmen. Es ist
+freilich schonender, kranke Stellen nicht zu berühren, wenn man dadurch
+nichts anderes als Schmerz zu bereiten weiß. Aber der Chirurg läßt sich
+bekanntlich von der Untersuchung und Hantierung am Krankheitsherd nicht
+abhalten, wenn er einen Eingriff beabsichtigt, welcher dauernde Heilung
+bringen soll. Niemand denkt mehr daran, ihm die unvermeidlichen
+Beschwerden der Untersuchung oder die Reaktionserscheinungen der
+Operation zur Last zu legen, wenn diese nur ihre Absicht erreicht, und
+der Kranke durch die zeitweilige Verschlimmerung seines Zustands eine
+endgültige Hebung desselben erwirbt. Ähnlich liegen die Verhältnisse für
+die Psychoanalyse; sie darf dieselben Ansprüche erheben wie die
+Chirurgie; der Zuwachs an Beschwerden, den sie dem Kranken während der
+Behandlung zumutet, ist bei guter Technik ungleich geringer, als was der
+Chirurg ihm auferlegt, und überhaupt gegen die Schwere des Grundleidens
+zu vernachlässigen. Der gefürchtete Endausgang aber einer Zerstörung des
+kulturellen Charakters durch die von der Verdrängung befreiten Triebe
+ist ganz unmöglich, denn diese Ängstlichkeit zieht nicht in Betracht,
+was uns unsere Erfahrungen mit Sicherheit gelehrt haben, daß die
+seelische und somatische Macht einer Wunschregung, wenn deren
+Verdrängung einmal mißlungen ist, ungleich stärker ausfällt, wenn sie
+unbewußt, als wenn sie bewußt ist, so daß sie durch das Bewußtmachen nur
+geschwächt werden kann. Der unbewußte Wunsch ist nicht zu beeinflussen,
+von allen Gegenstrebungen unabhängig, während der bewußte durch alles
+gleichfalls Bewußte und ihm Widerstrebende gehemmt wird. Die
+psychoanalytische Arbeit stellt sich also als ein besserer Ersatz für
+die erfolglose Verdrängung geradezu in den Dienst der höchsten und
+wertvollsten kulturellen Strebungen.
+
+Welche sind überhaupt die Schicksale der durch die Psychoanalyse
+freigelegten unbewußten Wünsche, auf welchen Wegen verstehen wir es, sie
+für das Leben des Individuums unschädlich zu machen? Dieser Wege sind
+mehrere. Am häufigsten ist der Erfolg, daß dieselben schon während der
+Arbeit durch die korrekte seelische Tätigkeit der ihnen
+entgegenstehenden besseren Regungen aufgezehrt werden. Die _Verdrängung_
+wird durch eine mit den besten Mitteln durchgeführte _Verurteilung_
+ersetzt. Dies ist möglich, weil wir zum großen Teil nur Folgen aus
+früheren Entwicklungsstadien des Ichs zu beseitigen haben. Das
+Individuum brachte seinerzeit nur eine Verdrängung des unbrauchbaren
+Triebes zu stande, weil es damals selbst noch unvollkommen organisiert
+und schwächlich war; in seiner heutigen Reife und Stärke kann es
+vielleicht das ihm Feindliche tadellos beherrschen. Ein zweiter Ausgang
+der psychoanalytischen Arbeit ist der, daß die aufgedeckten unbewußten
+Triebe nun jener zweckmäßigen Verwendung zugeführt werden können, die
+sie bei ungestörter Entwicklung schon früher hätten finden sollen. Die
+Ausrottung der infantilen Wunschregungen ist nämlich keineswegs das
+ideale Ziel der Entwicklung. Der Neurotiker hat durch seine
+Verdrängungen viele Quellen seelischer Energie eingebüßt, deren Zuflüsse
+für seine Charakterbildung und Betätigung im Leben sehr wertvoll gewesen
+wären. Wir kennen einen weit zweckmäßigeren Vorgang der Entwicklung, die
+sogenannte _Sublimierung_, durch welchen die Energie infantiler
+Wunschregungen nicht abgesperrt wird, sondern verwertet bleibt, indem
+den einzelnen Regungen statt des unbrauchbaren ein höheres, eventuell
+nicht mehr sexuelles Ziel gesetzt wird. Gerade die Komponenten des
+Sexualtriebes sind durch solche Fähigkeit zur Sublimierung, zur
+Vertauschung ihres Sexualzieles mit einem entlegeneren und sozial
+wertvolleren besonders ausgezeichnet. Den auf solche Weise gewonnenen
+Energiebeiträgen zu unseren seelischen Leistungen verdanken wir
+wahrscheinlich die höchsten kulturellen Erfolge. Eine frühzeitig
+vorgefallene Verdrängung schließt die Sublimierung des verdrängten
+Triebes aus; nach Aufhebung der Verdrängung ist der Weg zur Sublimierung
+wieder frei.
+
+Wir dürfen es nicht versäumen, auch den dritten der möglichen Ausgänge
+der psychoanalytischen Arbeit ins Auge zu fassen. Ein gewisser Anteil
+der verdrängten libidinösen Regungen hat ein Anrecht auf direkte
+Befriedigung und soll sie im Leben finden. Unsere Kulturansprüche machen
+für die meisten der menschlichen Organisationen das Leben zu schwer,
+fördern dadurch die Abwendung von der Realität und die Entstehung der
+Neurosen, ohne einen Überschuß von kulturellem Gewinn durch dies Übermaß
+von Sexualverdrängung zu erzielen. Wir sollten uns nicht so weit
+überheben, daß wir das ursprünglich Animalische unserer Natur völlig
+vernachlässigen, dürfen auch nicht daran vergessen, daß die
+Glücksbefriedigung des einzelnen nicht aus den Zielen unserer Kultur
+gestrichen werden kann. Die Plastizität der Sexualkomponenten, die sich
+in ihrer Fähigkeit zur Sublimierung kundgibt, mag ja eine große
+Versuchung herstellen, durch deren immer weiter gehende Sublimierung
+größere Kultureffekte zu erzielen. Aber so wenig wir darauf rechnen, bei
+unseren Maschinen mehr als einen gewissen Bruchteil der aufgewendeten
+Wärme in nutzbare mechanische Arbeit zu verwandeln, so wenig sollten
+wir es anstreben, den Sexualtrieb in seinem ganzen Energieausmaß seinen
+eigentlichen Zwecken zu entfremden. Es kann nicht gelingen, und wenn die
+Einschränkung der Sexualität zu weit getrieben werden soll, muß es alle
+Schädigungen eines Raubbaues mit sich bringen.
+
+Ich weiß nicht, ob Sie nicht Ihrerseits die Mahnung, mit welcher ich
+schließe, als eine Überhebung auffassen werden. Ich getraue mich nur der
+indirekten Darstellung meiner Überzeugung, indem ich Ihnen einen alten
+Schwank erzähle, von dem Sie die Nutzanwendung machen sollen. Die
+deutsche Literatur kennt ein Städtchen _Schilda_, dessen Einwohnern alle
+möglichen klugen Streiche nachgesagt werden. Die Schildbürger, so wird
+erzählt, besaßen auch ein Pferd, mit dessen Kraftleistungen sie sehr
+zufrieden waren, an dem sie nur eines auszusetzen hatten, daß es soviel
+teuern Hafer verzehrte. Sie beschlossen, ihm diese Unart schonend
+abzugewöhnen, indem sie seine Ration täglich um mehrere Halme
+verringerten, bis sie es an die völlige Enthaltsamkeit gewöhnt hatten.
+Es ging eine Weile vortrefflich, das Pferd war bis auf einen Halm im Tag
+entwöhnt, am nächsten Tage sollte es endlich haferfrei arbeiten. Am
+Morgen dieses Tages wurde das tückische Tier tot aufgefunden; die Bürger
+von Schilda konnten sich nicht erklären, woran es gestorben war.
+
+Wir werden geneigt sein zu glauben, das Pferd sei verhungert, und ohne
+eine gewisse Ration Hafer sei von einem Tier überhaupt keine
+Arbeitsleistung zu erwarten.
+
+Ich danke Ihnen für die Berufung und für die Aufmerksamkeit, die Sie mir
+geschenkt haben.
+
+
+
+
+ ANMERKUNGEN ZUR TRANSKRIPTION
+
+
+Das Inhaltsverzeichnis in diesem elektronischem Buch entstand aus den
+Überschriften im ursprünglichen Buch.
+
+Nach dem Korrekturlesen auf PGDP, wurden die folgende Korrekturen
+vorgenommen.
+
+Seite 32: fehlende Fußnote Markierung
+Seite 42: unbeanständet -> unbeanstandet
+Seite 57: Unbebewußten -> Unbewußten
+Seite 61: urursprünglich -> ursprünglich
+
+
+
+
+ TRANSCRIBER'S NOTES
+
+
+The table of contents in this eBook was created from the page headers in
+the original.
+
+After proofreading on PGDP, the following corrections were made.
+
+Page 32: missing footnote marker
+Page 42: unbeanständet -> unbeanstandet
+Page 57: Unbebewußten -> Unbewußten
+Page 61: urursprünglich -> ursprünglich
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+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
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+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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