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+The Project Gutenberg EBook of Über Psychoanalyse, by Sigmund Freud
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Über Psychoanalyse
+ Fünf Vorlesungen
+
+Author: Sigmund Freud
+
+Release Date: February 17, 2007 [EBook #20613]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ÜBER PSYCHOANALYSE ***
+
+
+
+
+Produced by Markus Brenner, Chris Nash and the Online
+Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
+
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+
+
+ ÜBER PSYCHOANALYSE
+
+ von
+
+ SIGMUND FREUD
+
+
+
+
+ INHALTSVERZEICHNIS
+
+
+ Titelseite und Widmung. . . . . . . . . --
+
+ I. Vorlesung. . . . . . . . . . . 1
+
+ Über die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. . 2
+ Die Hysterie. . . . . . . . . . 4
+ Der Fall Dr. Breuers. . . . . . . . . 5
+ Die »Talking cure«. . . . . . . . . 7
+ Die Entstehung der Symptome aus psychischen Traumen. . . 8
+ Symptome als Erinnerungssymbole. . . . . . . 10
+ Fixierung an die Traumen. . . . . . . . 11
+ Das Abreagieren der Affekte. . . . . . . 12
+ Die hysterische Konversion. . . . . . . . 13
+ Die psychische Spaltung. . . . . . . . 14
+ Hypnoide Zustände. . . . . . . . . 15
+
+ II. Vorlesung. . . . . . . . . . . 16
+
+ Charcots und Janets Forschungen. . . . . . . 17
+ Änderung der Technik. . . . . . . . . 18
+ Verzicht auf die Hypnose. . . . . . . . 19
+ Verdrängung und Widerstand. . . . . . . . 20
+ Beispiel einer Verdrängung. . . . . . . . 21
+ Dynamische Auffassung der seelischen Spaltung. . . . 22
+ Symptombildung infolge mißglückter Verdrängung. . . . 24
+ Ziel der Psychoanalyse.. . . . . . . . 26
+
+ III. Vorlesung. . . . . . . . . . . 27
+
+ Die Technik des Erratens aus freien Einfällen des Kranken. 28
+ Die indirekte Darstellung. . . . . . . . 30
+ Die psychoanalytische Grundregel. . . . . . 31
+ Das Assoziationsexperiment. . . . . . . . 32
+ Die Traumdeutung. . . . . . . . . . 33
+ Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken. . . 34
+ Die Wunscherfüllung im Traume. . . . . . . 36
+ Die Traumarbeit. . . . . . . . . . 37
+ Die Fehl-, Symptom- und Zufallshandlungen. . . . . 38
+ Einwendungen gegen die Psychoanalyse. . . . . . 40
+
+ IV. Vorlesung. . . . . . . . . . . 42
+
+ Die Sexualität in der Ätiologie. . . . . . . 43
+ Die infantile Sexualität. . . . . . . . 44
+ Ein amerikanischer Beobachter über die Liebe im Kindesalter. 45
+ Psychoanalysen an Kindern. . . . . . . . 46
+ Die Phase des Autoerotismus. . . . . . . 47
+ Die Objektwahl. . . . . . . . . . 48
+ Endgestaltung des normalen Sexuallebens. . . . . 49
+ Zusammenhang von Neurose und Perversion. . . . . 50
+ Der Kernkomplex der Neurosen. . . . . . . 52
+ Die Ablösung des Kindes von den Eltern. . . . . 53
+
+ V. Vorlesung. . . . . . . . . . . 54
+
+ Regression und Phantasie. . . . . . . . 55
+ Neurose und Kunst. . . . . . . . . 56
+ Die Übertragung. . . . . . . . . . 57
+ Die Angst vor der Befreiung des Verdrängten. . . . 59
+ Ausgänge der psychoanalytischen Arbeit. . . . . 60
+ Das schädliche Übermaß der Sexualverdrängung. . . . 62
+
+ Anmerkungen zur Transkription. . . . . . . --
+
+
+
+
+ ÜBER
+
+ PSYCHOANALYSE
+
+
+ FÜNF VORLESUNGEN
+
+ GEHALTEN ZUR 20JÄHRIGEN GRÜNDUNGSFEIER
+
+ DER
+
+ CLARK UNIVERSITY IN WORCESTER MASS.
+
+ SEPTEMBER 1909.
+
+
+ VON
+
+ Prof. Dr. Sigm. Freud LL. D.
+
+
+
+
+ LEIPZIG UND WIEN
+
+ _FRANZ DEUTICKE_
+
+ 1910.
+
+
+
+
+ Verlags-Nr. 1701.
+
+ K. und K. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.
+
+
+
+
+ Herrn
+
+ G. Stanley Hall, Ph. D., LL. D.
+ Präsidenten der Clark University,
+ Professor der Psychologie und Pädagogik
+
+ in Dankbarkeit
+
+ zugeeignet.
+
+
+
+
+ I.
+
+
+Meine Damen und Herren! Es ist mir ein neuartiges und verwirrendes
+Gefühl, als Vortragender vor Wißbegierigen der Neuen Welt zu stehen. Ich
+nehme an, daß ich diese Ehre nur der Verknüpfung meines Namens mit dem
+Thema der Psychoanalyse verdanke, und beabsichtige daher, Ihnen von
+Psychoanalyse zu sprechen. Ich will es versuchen, Ihnen in gedrängtester
+Kürze einen Überblick über die Geschichte der Entstehung und weiteren
+Fortbildung dieser neuen Untersuchungs- und Heilmethode zu geben.
+
+Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben,
+so ist es nicht mein Verdienst. Ich bin an den ersten Anfängen derselben
+nicht beteiligt gewesen. Ich war Student und mit der Ablegung meiner
+letzten Prüfungen beschäftigt, als ein anderer Wiener Arzt, Dr. Josef
+_Breuer_,[1] dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch
+erkrankten Mädchen anwendete (1880-1882). Mit dieser Kranken- und
+Behandlungsgeschichte wollen wir uns nun zunächst beschäftigen. Sie
+finden dieselbe ausführlich dargestellt in den später von _Breuer_ und
+mir veröffentlichten »Studien über Hysterie«.[2]
+
+ [1] Dr. Josef _Breuer_, geb. 1842, korrespondierendes Mitglied der
+ k. Akademie der Wissenschaften, bekannt durch Arbeiten über die
+ Atmung und zur Physiologie des Gleichgewichtssinnes.
+
+ [2] Studien über Hysterie. 1895. Fr. Deuticke, Wien, 2. Aufl.,
+ 1909. Stücke meines Anteils an diesem Buch sind von
+ Dr. A. A. _Brill_ in New York ins Englische übertragen worden
+ (Selected papers on Hysteria and other Psychoneuroses by S. Freud,
+ Nr. 4 der »Nervous and Mental Disease Monograph Series«, New
+ York).
+
+Vorher nur noch eine Bemerkung. Ich habe nicht ohne Befriedigung
+erfahren, daß die Mehrzahl meiner Zuhörer nicht dem ärztlichen Stande
+angehört. Besorgen Sie nun nicht, daß es besonderer ärztlicher
+Vorbildung bedarf, um meinen Mitteilungen zu folgen. Wir werden
+allerdings ein Stück weit mit den Ärzten gehen, aber bald werden wir uns
+absondern und Dr. _Breuer_ auf einen ganz eigenartigen Weg begleiten.
+
+Dr. _Breuers_ Patientin, ein 21jähriges, geistig hochbegabtes Mädchen,
+entwickelte im Verlaufe ihrer über zwei Jahre ausgedehnten Krankheit
+eine Reihe von körperlichen und seelischen Störungen, die es wohl
+verdienten, ernst genommen zu werden. Sie hatte eine steife Lähmung der
+beiden rechtsseitigen Extremitäten mit Unempfindlichkeit derselben,
+zeitweise dieselbe Affektion an den Gliedern der linken Körperseite,
+Störungen der Augenbewegungen und mannigfache Beeinträchtigungen des
+Sehvermögens, Schwierigkeiten der Kopfhaltung, eine intensive Tussis
+nervosa, Ekel vor Nahrungsaufnahme und einmal durch mehrere Wochen eine
+Unfähigkeit zu trinken trotz quälenden Durstes, eine Herabsetzung des
+Sprachvermögens, die bis zum Verlust der Fähigkeit fortschritt, ihre
+Muttersprache zu sprechen oder zu verstehen, endlich Zustände von
+Abwesenheit, Verworrenheit, Delirien, Alteration ihrer ganzen
+Persönlichkeit, denen wir unsere Aufmerksamkeit später werden zuwenden
+müssen.
+
+Wenn Sie von einem solchen Krankheitsbilde hören, so werden Sie, auch
+ohne Ärzte zu sein, der Annahme zuneigen, daß es sich um ein schweres
+Leiden, wahrscheinlich des Gehirns, handle, welches wenig Aussicht auf
+Herstellung biete und zur baldigen Auflösung der Kranken führen dürfte.
+Lassen Sie sich indes von den Ärzten belehren, daß für eine Reihe von
+Fällen mit so schweren Erscheinungen eine andere und weitaus günstigere
+Auffassung berechtigter ist. Wenn ein solches Krankheitsbild bei einem
+jugendlichen weiblichen Individuum auftritt, dessen lebenswichtige
+innere Organe (Herz, Niere) sich der objektiven Untersuchung normal
+erweisen, das aber heftige _gemütliche_ Erschütterungen erfahren hat,
+und wenn die einzelnen Symptome in gewissen feineren Charakteren von der
+Erwartung abweichen, dann nehmen die Ärzte einen solchen Fall nicht zu
+schwer. Sie behaupten, daß dann nicht ein organisches Leiden des Gehirns
+vorliegt, sondern jener rätselhafte, seit den Zeiten der griechischen
+Medizin _Hysterie_ benannte Zustand, der eine ganze Anzahl von Bildern
+ernster Erkrankung vorzutäuschen vermöge. Sie halten dann das Leben für
+nicht bedroht und eine selbst vollkommene Herstellung der Gesundheit für
+wahrscheinlich. Die Unterscheidung einer solchen Hysterie von einem
+schweren organischen Leiden ist nicht immer sehr leicht. Wir brauchen
+aber nicht zu wissen, wie eine Differentialdiagnose dieser Art gemacht
+wird; uns mag die Versicherung genügen, daß gerade der Fall von
+_Breuers_ Patientin ein solcher ist, bei dem kein kundiger Arzt die
+Diagnose der Hysterie verfehlen wird. Wir können auch an dieser Stelle
+aus dem Krankheitsbericht nachtragen, daß ihre Erkrankung auftrat,
+während sie ihren zärtlich geliebten Vater in seiner schweren, zum Tode
+führenden Krankheit pflegte, und daß sie infolge ihrer eigenen
+Erkrankung von der Pflege zurücktreten mußte.
+
+Soweit hat es uns Vorteil gebracht, mit den Ärzten zu gehen, und nun
+werden wir uns bald von ihnen trennen. Sie dürfen nämlich nicht
+erwarten, daß die Aussicht eines Kranken auf ärztliche Hilfeleistung
+dadurch wesentlich gesteigert wird, daß die Diagnose der Hysterie an
+die Stelle des Urteils auf ernste organische Hirnaffektion tritt. Gegen
+die schweren Erkrankungen des Gehirns ist die ärztliche Kunst in den
+meisten Fällen ohnmächtig, aber auch gegen die hysterische Affektion
+weiß der Arzt nichts zu tun. Er muß es der gütigen Natur überlassen,
+wann und wie sie seine hoffnungsvolle Prognose verwirklichen will.[3]
+
+ [3] Ich weiß, daß diese Behauptung heute nicht mehr zutrifft, aber
+ im Vortrage versetze ich mich und meine Hörer zurück in die Zeit
+ vor 1880. Wenn es seither anders geworden ist, so haben gerade die
+ Bemühungen, deren Geschichte ich skizziere, daran einen großen
+ Anteil.
+
+Mit der Erkennung der Hysterie wird also für den Kranken wenig geändert;
+desto mehr ändert sich für den Arzt. Wir können beobachten, daß er sich
+gegen den hysterischen ganz anders einstellt als gegen den organisch
+Kranken. Er will dem ersteren nicht dieselbe Teilnahme entgegenbringen
+wie dem letzteren, da sein Leiden weit weniger ernsthaft ist und doch
+den Anspruch zu erheben scheint, für ebenso ernsthaft zu gelten. Aber es
+wirkt noch anderes mit. Der Arzt, der durch sein Studium so vieles
+kennen gelernt hat, was dem Laien verschlossen ist, hat sich von den
+Krankheitsursachen und Krankheitsveränderungen, z. B. im Gehirn eines an
+Apoplexie oder Neubildung Leidenden Vorstellungen bilden können, die bis
+zu einem gewissen Grade zutreffend sein müssen, da sie ihm das
+Verständnis der Einzelheiten des Krankheitsbildes gestatten. Vor den
+Details der hysterischen Phänomene läßt ihn aber all sein Wissen, seine
+anatomisch-physiologische und pathologische Vorbildung im Stiche. Er
+kann die Hysterie nicht verstehen, er steht ihr selbst wie ein Laie
+gegenüber. Und das ist nun niemandem recht, der sonst auf sein Wissen so
+große Stücke hält. Die Hysterischen gehen also seiner Sympathie
+verlustig; er betrachtet sie wie Personen, welche die Gesetze seiner
+Wissenschaft übertreten, wie die Rechtgläubigen die Ketzer ansehen; er
+traut ihnen alles mögliche Böse zu, beschuldigt sie der Übertreibung und
+der absichtlichen Täuschung, Simulation; und er bestraft sie durch die
+Entziehung seines Interesses.
+
+Diesen Vorwurf hat nun Dr. _Breuer_ bei seiner Patientin nicht verdient;
+er schenkte ihr Sympathie und Interesse, obwohl er ihr anfangs nicht zu
+helfen verstand. Wahrscheinlich erleichterte sie es ihm auch durch die
+vorzüglichen Geistes- und Charaktereigenschaften, für die er in der von
+ihm abgefaßten Krankengeschichte Zeugnis ablegt. Seine liebevolle
+Beobachtung fand auch bald den Weg, der die erste Hilfeleistung
+ermöglichte.
+
+Es war bemerkt worden, daß die Kranke in ihren Zuständen von Absenz,
+psychischer Alteration mit Verworrenheit, einige Worte vor sich hin zu
+murmeln pflegte, welche den Eindruck machten, als stammten sie aus einem
+Zusammenhange, der ihr Denken beschäftige. Der Arzt, der sich diese
+Worte berichten ließ, versetzte sie nun in eine Art von Hypnose und
+sagte ihr jedesmal diese Worte wieder vor, um sie zu veranlassen, daß
+sie an dieselben anknüpfe. Die Kranke ging darauf ein und reproduzierte
+so vor dem Arzt die psychischen Schöpfungen, die sie während der
+Absenzen beherrscht und sich in jenen vereinzelt geäußerten Worten
+verraten hatten. Es waren tieftraurige, oft poetisch schöne Phantasien,
+Tagträume würden wir sagen, die gewöhnlich die Situation eines Mädchens
+am Krankenbett seines Vaters zum Ausgangspunkt nahmen. Hatte sie eine
+Anzahl solcher Phantasien erzählt, so war sie wie befreit und ins
+normale seelische Leben zurückgeführt. Das Wohlbefinden, das durch
+mehrere Stunden anhielt, wich dann am nächsten Tage einer neuerlichen
+Absenz, welche auf dieselbe Weise durch Aussprechen der neu gebildeten
+Phantasien aufgehoben wurde. Man konnte sich dem Eindrucke nicht
+entziehen, daß die psychische Veränderung, die sich in den Absenzen
+äußerte, eine Folge des Reizes sei, der von diesen höchst affektvollen
+Phantasiebildungen ausging. Die Patientin selbst, die um diese Zeit
+ihres Krankseins merkwürdigerweise nur Englisch sprach und verstand, gab
+dieser neuartigen Behandlung den Namen »talking cure« oder bezeichnete
+sie scherzhaft als »chimney sweeping«.
+
+Es ergab sich bald wie zufällig, daß man durch solches Reinfegen der
+Seele noch mehr erreichen könne als vorübergehende Beseitigung der immer
+wiederkehrenden seelischen Trübungen. Es ließen sich auch
+Leidenssymptome zum Verschwinden bringen, wenn in der Hypnose unter
+Affektäußerung erinnert wurde, bei welchem Anlaß und kraft welches
+Zusammenhanges diese Symptome zuerst aufgetreten waren. »Es war im
+Sommer eine Zeit intensiver Hitze gewesen und Patientin hatte sehr arg
+durch Durst gelitten; denn, ohne einen Grund angeben zu können, war ihr
+plötzlich unmöglich geworden, zu trinken. Sie nahm das ersehnte Glas
+Wasser in die Hand, aber sowie es die Lippen berührte, stieß sie es weg
+wie ein Hydrophobischer. Dabei war sie offenbar für diese paar Sekunden
+in einer Absenz. Sie lebte nur von Obst, Melonen u. dgl., um den
+qualvollen Durst zu mildem. Als das etwa sechs Wochen gedauert hatte,
+räsonierte sie einmal in der Hypnose über ihre englische
+Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen
+Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da
+deren kleiner Hund, das ekelhafte Tier, aus einem Glas getrunken habe.
+Sie habe nichts gesagt, denn sie wollte höflich sein. Nachdem sie ihrem
+steckengebliebenen Ärger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie
+zu trinken, trank ohne Hemmung eine große Menge Wasser und erwachte aus
+der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer
+verschwunden.«[4]
+
+ [4] Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 26.
+
+Gestatten Sie, daß ich Sie bei dieser Erfahrung einen Moment aufhalte!
+Niemand hatte noch ein hysterisches Symptom durch solche Mittel
+beseitigt und war dabei so tief in das Verständnis seiner Verursachung
+eingedrungen. Es mußte eine folgenschwere Entdeckung werden, wenn sich
+die Erwartung bestätigen ließ, daß noch andere, daß vielleicht die
+Mehrzahl der Symptome bei der Kranken auf solche Weise entstanden und
+auf solche Weise aufzuheben war. _Breuer_ scheute die Mühe nicht, sich
+davon zu überzeugen, und forschte nun planmäßig der Pathogenese der
+anderen und ernsteren Leidenssymptome nach. Es war wirklich so; fast
+alle Symptome waren so entstanden als Reste, als Niederschläge, wenn Sie
+wollen, von affektvollen Erlebnissen, die wir darum später »psychische
+Traumen« genannt haben, und ihre Besonderheit klärte sich durch die
+Beziehung zu der sie verursachenden traumatischen Szene auf. Sie waren,
+wie das Kunstwort lautet, durch die Szenen, deren Gedächtnisreste sie
+darstellten, _determiniert_, brauchten nicht mehr als willkürliche oder
+rätselhafte Leistungen der Neurose beschrieben zu werden. Nur einer
+Abweichung von der Erwartung sei gedacht. Es war nicht immer ein
+einziges Erlebnis, welches das Symptom zurückließ, sondern meist waren
+zahlreiche, oft sehr viele ähnliche, wiederholte Traumen zu dieser
+Wirkung zusammengetreten. Diese ganze Kette von pathogenen Erinnerungen
+mußte dann in chronologischer Reihenfolge reproduziert werden, und zwar
+umgekehrt, die letzte zuerst und die erste zuletzt, und es war ganz
+unmöglich, zum ersten und oft wirksamsten Trauma mit Überspringung der
+später erfolgten vorzudringen.
+
+Sie werden nun gewiß noch andere Beispiele von Verursachung hysterischer
+Symptome als das der Wasserscheu durch den Ekel vor dem aus dem Glas
+trinkenden Hund von mir hören wollen. Ich muß mich aber, wenn ich mein
+Programm einhalten will, auf sehr wenige Proben beschränken. So erzählt
+_Breuer_, daß ihre Sehstörungen sich auf Anlässe zurückführten »in der
+Art, daß Patientin mit Tränen im Auge, am Krankenbett sitzend, plötzlich
+vom Vater gefragt wurde, wieviel Uhr es sei, undeutlich sah, sich
+anstrengte, die Uhr nahe ans Auge brachte und nun das Zifferblatt sehr
+groß erschien (Makropsie und Strabismus conv.); oder Anstrengungen
+machte, die Tränen zu unterdrücken, damit sie der Kranke nicht sehe«.[5]
+Alle pathogenen Eindrücke stammten übrigens aus der Zeit, da sie sich an
+der Pflege des erkrankten Vaters beteiligte. »Einmal wachte sie nachts
+in großer Angst um den hochfiebernden Kranken und in Spannung, weil von
+Wien ein Chirurg zur Operation erwartet wurde. Die Mutter hatte sich für
+einige Zeit entfernt, und Anna saß am Krankenbette, den rechten Arm über
+die Stuhllehne gelegt. Sie geriet in einen Zustand von Wachträumen und
+sah, wie von der Wand her eine schwarze Schlange sich dem Kranken
+näherte, um ihn zu beißen. (Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf der
+Wiese hinter dem Hause wirklich einige Schlangen vorkamen, über die das
+Mädchen schon früher erschrocken war, und die nun das Material der
+Halluzination abgaben.) Sie wollte das Tier abwehren, war aber wie
+gelähmt; der rechte Arm, über die Stuhllehne hängend, war
+'eingeschlafen', anästhetisch und paretisch geworden, und als sie ihn
+betrachtete, verwandelten sich die Finger in kleine Schlangen mit
+Totenköpfen (Nägel). Wahrscheinlich machte sie Versuche, die Schlange
+mit der gelähmten rechten Hand zu verjagen, und dadurch trat die
+Anästhesie und Lähmung derselben in Assoziation mit der
+Schlangenhalluzination. Als diese verschwunden war, wollte sie in ihrer
+Angst beten, aber jede Sprache versagte, sie konnte in keiner sprechen,
+bis sie endlich einen _englischen_ Kindervers fand und nun auch in
+dieser Sprache fortdenken und beten konnte.«[6] Mit der Erinnerung
+dieser Szene in der Hypnose war auch die seit Beginn der Krankheit
+bestehende steife Lähmung des rechten Armes beseitigt und die Behandlung
+beendigt.
+
+ [5] Studien über Hysterie, 2. Aufl., p. 31.
+
+ [6] l. c. p. 30.
+
+Als ich eine Anzahl von Jahren später die _Breuer_sche Untersuchungs- und
+Behandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu üben begann, machte ich
+Erfahrungen, die sich mit den seinigen vollkommen deckten. Bei einer
+etwa 40jährigen Dame bestand ein Tic, ein eigentümlich schnalzendes
+Geräusch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohne ersichtlichen Anlaß
+hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei Erlebnissen, denen
+gemeinsam war, daß sie sich vornahm, jetzt ja keinen Lärm zu machen, und
+bei denen wie durch eine Art von Gegenwillen gerade dieses Geräusch die
+Stille durchbrach; das eine Mal, als sie ihr krankes Kind endlich
+mühselig eingeschläfert hatte und sich sagte, sie müsse jetzt ganz still
+sein, um es nicht zu wecken, und das andere Mal, als während einer
+Wagenfahrt mit ihren beiden Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden,
+und sie sorgfältig jeden Lärm vermeiden wollte, um die Tiere nicht noch
+mehr zu schrecken.[7] Ich gebe dieses Beispiel anstatt vieler anderer,
+die in den »Studien über Hysterie« niedergelegt sind.[8]
+
+ [7] l. c. 2. Aufl., p. 43 u. 46.
+
+ [8] Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige spätere
+ Abhandlungen über Hysterie, liegt gegenwärtig in einer englischen,
+ von Dr. A. A. _Brill_ in New York besorgten Übersetzung vor.
+
+Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung gestatten,
+die ja bei so abgekürzter Darstellung unvermeidlich ist, so können wir
+unsere bisherige Erkenntnis in die Formel fassen: _Unsere hysterisch
+Kranken leiden an Reminiszenzen._ Ihre Symptome sind Reste und
+Erinnerungssymbole für gewisse (traumatische) Erlebnisse. Ein Vergleich
+mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten wird uns vielleicht
+tiefer in das Verständnis dieser Symbolik führen. Auch die Denkmäler und
+Monumente, mit denen wir unsere großen Städte zieren, sind solche
+Erinnerungssymbole. Wenn Sie einen Spaziergang durch _London_ machen, so
+finden Sie vor einem der größten Bahnhöfe der Stadt eine reichverzierte
+gotische Säule, das _Charing Cross_. Einer der alten Plantagenetkönige
+im XIII. Jahrhundert, der den Leichnam seiner geliebten Königin Eleanor
+nach Westminster überführen ließ, errichtete gotische Kreuze an jeder
+der Stationen, wo der Sarg niedergestellt wurde, und _Charing Cross_ ist
+das letzte der Denkmäler, welche die Erinnerung an diesen Trauerzug
+erhalten sollten.[9] An einer anderen Stelle der Stadt, nicht weit von
+London Bridge, erblicken Sie eine modernere hochragende Säule, die
+kurzweg »_The Monument_« genannt wird. Sie soll zur Erinnerung an das
+große Feuer mahnen, welches im Jahre 1666 dort in der Nähe ausbrach und
+einen großen Teil der Stadt zerstörte. Diese Monumente sind also
+Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome, soweit scheint die
+Vergleichung berechtigt. Aber was würden Sie zu einem Londoner sagen,
+der heute noch vor dem Denkmal des Leichenzuges der Königin Eleanor
+in Wehmut stehen bliebe, anstatt mit der von den modernen
+Arbeitsverhältnissen geforderten Eile seinen Geschäften nachzugehen oder
+sich der eigenen jugendfrischen Königin seines Herzens zu erfreuen? Oder
+zu einem anderen, der vor dem »Monument« die Einäscherung seiner
+geliebten Vaterstadt beweinte, die doch seither längst soviel glänzender
+wiedererstanden ist? So wie diese beiden unpraktischen Londoner benehmen
+sich aber die Hysterischen und Neurotiker alle; nicht nur, daß sie die
+längst vergangenen schmerzlichen Erlebnisse erinnern, sie hängen noch
+affektvoll an ihnen, sie kommen von der Vergangenheit nicht los und
+vernachlässigen für sie die Wirklichkeit und die Gegenwart. Diese
+Fixierung des Seelenlebens an die pathogenen Traumen ist einer der
+wichtigsten und praktisch bedeutsamsten Charaktere der Neurose.
+
+ [9] Vielmehr die spätere Nachbildung eines solchen Denkmals. Der
+ Name _Charing_ selbst soll, wie mir Dr. E. _Jones_ mitteilte, aus
+ den Worten _Chère reine_ hervorgegangen sein.
+
+Ich gebe Ihnen gern den Einwand zu, den Sie jetzt wahrscheinlich bilden,
+indem Sie an die Krankengeschichte der _Breuer_schen Patientin denken.
+Alle ihre Traumen entstammten ja der Zeit, da sie den kranken Vater
+pflegte, und ihre Symptome können nur als Erinnerungszeichen für seine
+Krankheit und seinen Tod aufgefaßt werden. Sie entsprechen also einer
+Trauer, und eine Fixierung an das Andenken des Verstorbenen ist so kurze
+Zeit nach dem Ableben desselben gewiß nichts Pathologisches, entspricht
+vielmehr einem normalen Gefühlsvorgang. Ich gestehe Ihnen dieses zu; die
+Fixierung an die Traumen ist bei der Patientin _Breuers_ nichts
+Auffälliges. Aber in anderen Fällen, wie in dem von mir behandelten
+Tic, dessen Veranlassungen um mehr als fünfzehn und zehn Jahre
+zurücklagen, ist der Charakter des abnormen Haftens am Vergangenen sehr
+deutlich, und die Patientin _Breuers_ hätte ihn wahrscheinlich
+gleichfalls entwickelt, wenn sie nicht so kurze Zeit nach dem Erleben
+der Traumen und der Entstehung der Symptome zur _kathartischen_
+Behandlung gekommen wäre.
+
+Wir haben bisher nur die Beziehung der hysterischen Symptome zur
+Lebensgeschichte der Kranken erörtert; aus zwei weiteren Momenten der
+_Breuer_schen Beobachtung können wir aber auch einen Hinweis darauf
+gewinnen, wie wir den Vorgang der Erkrankung und der Wiederherstellung
+aufzufassen haben. Fürs erste ist hervorzuheben, daß die Kranke
+_Breuers_ fast in allen pathogenen Situationen eine starke Erregung zu
+unterdrücken hatte, anstatt ihr durch die entsprechenden Affektzeichen,
+Worte und Handlungen, Ablauf zu ermöglichen. In dem kleinen Erlebnis mit
+dem Hund ihrer Gesellschafterin unterdrückte sie aus Rücksicht auf diese
+jede Äußerung ihres sehr intensiven Ekels; während sie am Bette des
+Vaters wachte, trug sie beständig Sorge, den Kranken nichts von ihrer
+Angst und ihrer schmerzlichen Verstimmung merken zu lassen. Als sie
+später diese selben Szenen vor ihrem Arzt reproduzierte, trat der damals
+gehemmte Affekt mit besonderer Heftigkeit, als ob er sich solange
+aufgespart hätte, auf. Ja, das Symptom, welches von dieser Szene
+erübrigt war, gewann seine höchste Intensität, während man sich seiner
+Verursachung näherte, um nach der völligen Erledigung derselben zu
+verschwinden. Anderseits konnte man die Erfahrung machen, daß das
+Erinnern der Szene beim Arzte wirkungslos blieb, wenn es aus irgend
+einem Grunde einmal ohne Affektentwicklung ablief. Die Schicksale dieser
+Affekte, die man sich als verschiebbare Größen vorstellen konnte, waren
+also das Maßgebende für die Erkrankung wie für die Wiederherstellung.
+Man sah sich zur Annahme gedrängt, daß die Erkrankung darum zu stande
+kam, weil den in den pathogenen Situationen entwickelten Affekten ein
+normaler Ausweg versperrt war, und daß das Wesen der Erkrankung darin
+bestand, daß nun diese »eingeklemmten« Affekte einer abnormen Verwendung
+unterlagen. Zum Teil blieben sie als dauernde Belastungen des
+Seelenlebens und Quellen beständiger Erregung für dasselbe bestehen; zum
+Teil erfuhren sie eine Umsetzung in ungewöhnliche körperliche
+_Innervationen_ und _Hemmungen_, die sich als die körperlichen Symptome
+des Falles darstellten. Wir haben für diesen letzteren Vorgang den Namen
+der »_hysterischen Konversion_« geprägt. Ein gewisser Anteil unserer
+seelischen Erregung wird ohnedies normalerweise auf die Wege der
+körperlichen Innervation geleitet und ergibt das, was wir als »Ausdruck
+der Gemütsbewegungen« kennen. Die hysterische Konversion übertreibt nun
+diesen Anteil des Ablaufs eines mit Affekt besetzten seelischen
+Vorganges; sie entspricht einem weit intensiveren, auf neue Bahnen
+geleiteten Ausdruck der Gemütsbewegung. Wenn ein Strombett in zwei
+Kanälen fließt, so wird eine Überfüllung des einen stattfinden, sobald
+die Strömung in dem anderen auf ein Hindernis stößt.
+
+Sie sehen, wir sind im Begriffe, zu einer rein psychologischen Theorie
+der Hysterie zu gelangen, in welcher wir den Affektvorgängen den ersten
+Rang anweisen. Eine zweite Beobachtung _Breuers_ nötigt uns nun, in der
+Charakteristik des krankhaften Geschehens den Bewußtseinszuständen eine
+große Bedeutung einzuräumen. Die Kranke _Breuers_ zeigte mannigfaltige
+seelische Verfassungen, Zustände von Abwesenheit, Verworrenheit und
+Charakterveränderung neben ihrem Normalzustand. Im Normalzustand wußte
+sie nun nichts von jenen pathogenen Szenen und von deren Zusammenhang
+mit ihren Symptomen; sie hatte diese Szenen vergessen oder jedenfalls
+den pathogenen Zusammenhang zerrissen. Wenn man sie in die Hypnose
+versetzte, gelang es nach Aufwendung beträchtlicher Arbeit, ihr diese
+Szenen ins Gedächtnis zurückzurufen, und durch diese Arbeit des
+Wiedererinnerns wurden die Symptome aufgehoben. Man wäre in großer
+Verlegenheit, wie man diese Tatsache deuten sollte, wenn nicht die
+Erfahrungen und Experimente des Hypnotismus den Weg dazu gewiesen
+hätten. Durch das Studium der hypnotischen Phänomene hat man sich an die
+anfangs befremdliche Auffassung gewöhnt, daß in einem und demselben
+Individuum mehrere seelische Gruppierungen möglich sind, die ziemlich
+unabhängig von einander bleiben können, von einander »nichts wissen«,
+und die das Bewußtsein alternierend an sich reißen. Fälle solcher Art,
+die man als »Double conscience« bezeichnet, kommen gelegentlich auch
+spontan zur Beobachtung. Wenn bei solcher Spaltung der Persönlichkeit
+das Bewußtsein konstant an den einen der beiden Zustände gebunden
+bleibt, so heißt man diesen den _bewußten_ Seelenzustand, den von ihm
+abgetrennten den _unbewußten_. In den bekannten Phänomenen der
+sogenannten posthypnotischen Suggestion, wobei ein in der Hypnose
+gegebener Auftrag sich später im Normalzustand gebieterisch durchsetzt,
+hat man ein vorzügliches Vorbild für die Beeinflussungen, die der
+bewußte Zustand durch den für ihn unbewußten erfahren kann, und nach
+diesem Muster gelingt es allerdings, sich die Erfahrungen bei der
+Hysterie zurechtzulegen. _Breuer_ entschloß sich zur Annahme, daß die
+hysterischen Symptome in solchen besonderen seelischen Zuständen, die er
+_hypnoide_ nannte, entstanden seien. Erregungen, die in solche hypnoide
+Zustände hineingeraten, werden leicht pathogen, weil diese Zustände
+nicht die Bedingungen für einen normalen Ablauf der Erregungsvorgänge
+bieten. Es entsteht also aus dem Erregungsvorgang ein ungewöhnliches
+Produkt, eben das Symptom, und dieses ragt wie ein Fremdkörper in den
+Normalzustand hinein, dem dafür die Kenntnis der hypnoiden pathogenen
+Situation abgeht. Wo ein Symptom besteht, da findet sich auch eine
+Amnesie, eine Erinnerungslücke, und die Ausfüllung dieser Lücke schließt
+die Aufhebung der Entstehungsbedingungen des Symptoms in sich ein.
+
+Ich fürchte, daß Ihnen dieses Stück meiner Darstellung nicht sehr
+durchsichtig erschienen ist. Aber haben Sie Nachsicht, es handelt sich
+um neue und schwierige Anschauungen, die vielleicht nicht viel klarer
+gemacht werden können; ein Beweis dafür, daß wir mit unserer Erkenntnis
+noch nicht sehr weit vorgedrungen sind. Die _Breuer_sche Aufstellung der
+_hypnoiden_ Zustände hat sich übrigens als hemmend und überflüssig
+erwiesen und ist von der heutigen Psychoanalyse fallen gelassen worden.
+Sie werden später wenigstens andeutungsweise hören, welche Einflüsse und
+Vorgänge hinter der von _Breuer_ aufgestellten Schranke der hypnoiden
+Zustände zu entdecken waren. Sie werden auch mit Recht den Eindruck
+empfangen haben, daß die _Breuer_sche Forschung Ihnen nur eine sehr
+unvollständige Theorie und unbefriedigende Aufklärung der beobachteten
+Erscheinungen geben konnte, aber vollkommene Theorien fallen nicht vom
+Himmel, und Sie werden mit noch größerem Recht mißtrauisch sein, wenn
+Ihnen jemand eine lückenlose und abgerundete Theorie bereits zu Anfang
+seiner Beobachtungen anbietet. Eine solche wird gewiß nur das Kind
+seiner Spekulation sein können und nicht die Frucht voraussetzungsloser
+Erforschung des Tatsächlichen.
+
+
+
+
+ II.
+
+
+Meine Damen und Herren! Etwa gleichzeitig, während _Breuer_ mit seiner
+Patientin die Talking cure übte, hatte Meister _Charcot_ in Paris jene
+Untersuchungen über die Hysterischen der Salpêtrière begonnen, von denen
+ein neues Verständnis der Krankheit ausgehen sollte. Diese Resultate
+konnten damals in Wien noch nicht bekannt sein. Als aber etwa ein
+Dezennium später _Breuer_ und ich die vorläufige Mitteilung über den
+psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene veröffentlichten, welche
+an die kathartische Behandlung bei _Breuers_ erster Patientin anknüpfte,
+da befanden wir uns ganz im Banne der _Charcot_schen Forschungen. Wir
+stellten die pathogenen Erlebnisse unserer Kranken als psychische
+Traumen jenen körperlichen Traumen gleich, deren Einfluß auf hysterische
+Lähmungen _Charcot_ festgestellt hatte, und _Breuers_ Aufstellung der
+hypnoiden Zustände ist selbst nichts anderes als ein Reflex der
+Tatsache, daß _Charcot_ jene traumatischen Lähmungen in der Hypnose
+künstlich reproduziert hatte.
+
+Der große französische Beobachter, dessen Schüler ich 1885/86 wurde, war
+selbst psychologischen Auffassungen nicht geneigt; erst sein Schüler
+P. _Janet_ versuchte ein tieferes Eindringen in die besonderen
+psychischen Vorgänge bei der Hysterie, und wir folgten seinem Beispiele,
+als wir die seelische Spaltung und den Zerfall der Persönlichkeit in das
+Zentrum unserer Auffassung rückten. Sie finden bei _Janet_ eine Theorie
+der Hysterie, welche den in Frankreich herrschenden Lehren über die
+Rolle der Erblichkeit und der Degeneration Rechnung trägt. Die Hysterie
+ist nach ihm eine Form der degenerativen Veränderung des Nervensystems,
+welche sich durch eine angeborene Schwäche der psychischen Synthese
+kundgibt. Die hysterisch Kranken seien von Anfang an unfähig, die
+Mannigfaltigkeit der seelischen Vorgänge zu einer Einheit
+zusammenzuhalten, und daher komme die Neigung zur seelischen
+Dissoziation. Wenn Sie mir ein banales aber deutliches Gleichnis
+gestatten, _Janets_ Hysterische erinnert an eine schwache Frau, die
+ausgegangen ist, um Einkäufe zu machen, und nun mit einer Menge von
+Schachteln und Paketen beladen zurückkommt. Sie kann den ganzen Haufen
+mit ihren zwei Armen und zehn Fingern nicht bewältigen, und so entfällt
+ihr zuerst ein Stück. Bückt sie sich, um dieses aufzuheben, so macht
+sich dafür ein anderes los u. s. w. Es stimmt nicht gut zu dieser
+angenommenen seelischen Schwäche der Hysterischen, daß man bei ihnen
+außer den Erscheinungen verminderter Leistung auch Beispiele von
+teilweiser Steigerung der Leistungsfähigkeit, wie zur Entschädigung,
+beobachten kann. Zur Zeit, als _Breuers_ Patientin ihre Muttersprache
+und alle anderen Sprachen bis auf Englisch vergessen hatte, erreichte
+ihre Beherrschung des Englischen eine solche Höhe, daß sie im stande
+war, wenn man ihr ein deutsches Buch vorlegte, eine tadellose und
+fließende Übersetzung desselben vom Blatt herunterzulesen.
+
+Als ich es später unternahm, die von _Breuer_ begonnenen Untersuchungen
+auf eigene Faust fortzusetzen, gelangte ich bald zu einer anderen
+Ansicht über die Entstehung der hysterischen Dissoziation (oder
+Bewußtseinsspaltung). Eine solche, für alles weitere entscheidende,
+Divergenz mußte sich notwendigerweise ergeben, da ich nicht wie _Janet_
+von Laboratoriumsversuchen, sondern von therapeutischen Bemühungen
+ausging.
+
+Mich trieb vor allem das praktische Bedürfnis. Die kathartische
+Behandlung, wie sie _Breuer_ geübt hatte, setzte voraus, daß man den
+Kranken in tiefe Hypnose bringe, denn nur im hypnotischen Zustand fand
+er die Kenntnis jener pathogenen Zusammenhänge, die ihm in seinem
+Normalzustand abging. Nun war mir die Hypnose als ein launenhaftes und
+sozusagen mystisches Hilfsmittel bald unliebsam geworden; als ich aber
+die Erfahrung machte, daß es mir trotz aller Bemühungen nicht gelingen
+wollte, mehr als einen Bruchteil meiner Kranken in den hypnotischen
+Zustand zu versetzen, beschloß ich, die Hypnose aufzugeben und die
+kathartische Behandlung von ihr unabhängig zu machen. Weil ich den
+psychischen Zustand meiner meisten Patienten nicht nach meinem Belieben
+verändern konnte, richtete ich mich darauf ein, mit ihrem Normalzustand
+zu arbeiten. Das schien allerdings vorerst ein sinn- und aussichtsloses
+Unternehmen zu sein. Es war die Aufgabe gestellt, etwas vom Kranken zu
+erfahren, was man nicht wußte und was er selbst nicht wußte; wie konnte
+man hoffen, dies doch in Erfahrung zu bringen? Da kam mir die Erinnerung
+an einen sehr merkwürdigen und lehrreichen Versuch zu Hilfe, den ich bei
+_Bernheim_ in _Nancy_ mitangesehen hatte. _Bernheim_ zeigte uns damals,
+daß die Personen, welche er in hypnotischen Somnambulismus versetzt und
+in diesem Zustand allerlei hatte erleben lassen, die Erinnerung an das
+somnambul Erlebte doch nur zum Schein verloren hatten, und daß es
+möglich war, bei ihnen diese Erinnerungen auch im Normalzustand zu
+erwecken. Wenn er sie nach den somnambulen Erlebnissen befragte, so
+behaupteten sie anfangs zwar, nichts zu wissen, aber wenn er nicht
+nachgab, drängte, ihnen versicherte, sie wüßten es doch, so kamen die
+vergessenen Erinnerungen jedesmal wieder.
+
+So machte ich es also auch mit meinen Patienten. Wenn ich mit ihnen bis
+zu einem Punkte gekommen war, an dem sie behaupteten, nichts weiter zu
+wissen, so versicherte ich ihnen, sie wüßten es doch, sie sollten es nur
+sagen, und ich getraute mich der Behauptung, daß die Erinnerung die
+richtige sein würde, die ihnen in dem Moment käme, wenn ich meine Hand
+auf ihre Stirn legte. Auf diese Weise gelang es mir, ohne Anwendung der
+Hypnose, von den Kranken alles zu erfahren, was zur Herstellung des
+Zusammenhangs zwischen den vergessenen pathogenen Szenen und den von
+ihnen erübrigten Symptomen erforderlich war. Aber es war ein mühseliges,
+ein auf die Dauer erschöpfendes Verfahren, das sich für eine endgültige
+Technik, nicht eignen konnte.
+
+Ich gab es jedoch nicht auf, ohne aus den dabei gemachten Wahrnehmungen
+die entscheidenden Schlüsse zu ziehen. Ich hatte es also bestätigt
+gefunden, daß die vergessenen Erinnerungen nicht verloren waren. Sie
+waren im Besitze des Kranken und bereit, in Assoziation an das von ihm
+noch Gewußte aufzutauchen, aber irgend eine Kraft hinderte sie daran,
+bewußt zu werden und nötigte sie, unbewußt zu bleiben. Die Existenz
+dieser Kraft konnte man mit Sicherheit annehmen, denn man verspürte eine
+ihr entsprechende Anstrengung, wenn man sich bemühte, im Gegensatz zu
+ihr die unbewußten Erinnerungen ins Bewußtsein des Kranken einzuführen.
+Man bekam die Kraft, welche den krankhaften Zustand aufrecht erhielt,
+als _Widerstand_ des Kranken zu spüren.
+
+Auf diese Idee des Widerstandes habe ich nun meine Auffassung der
+psychischen Vorgänge bei der Hysterie gegründet. Es hatte sich als
+notwendig zur Herstellung erwiesen, diese Widerstände aufzuheben; vom
+Mechanismus der Heilung aus konnte man sich jetzt ganz bestimmte
+Vorstellungen über den Hergang bei der Erkrankung bilden. Dieselben
+Kräfte, die heute als Widerstand sich dem Bewußtmachen des Vergessenen
+widersetzten, mußten seinerzeit dieses Vergessen bewirkt und die
+betreffenden pathogenen Erlebnisse aus dem Bewußtsein gedrängt haben.
+Ich nannte diesen von mir supponierten Vorgang _Verdrängung_ und
+betrachtete ihn als erwiesen durch die unleugbare Existenz des
+_Widerstandes_.
+
+Man konnte sich aber auch die Frage vorlegen, welches diese Kräfte und
+welche die Bedingungen der Verdrängung seien, in der wir nun den
+pathogenen Mechanismus der Hysterie erkennen. Eine vergleichende
+Untersuchung der pathogenen Situationen, die man durch die kathartische
+Behandlung kennen gelernt hatte, gestattete hierauf Antwort zu geben.
+Bei all diesen Erlebnissen hatte es sich darum gehandelt, daß eine
+Wunschregung aufgetaucht war, welche in scharfem Gegensatze zu den
+sonstigen Wünschen des Individuums stand, sich als unverträglich mit den
+ethischen und ästhetischen Ansprüchen der Persönlichkeit erwies. Es
+hatte einen kurzen Konflikt gegeben, und das Ende dieses inneren Kampfes
+war, daß die Vorstellung, welche als der Träger jenes unvereinbaren
+Wunsches vor dem Bewußtsein auftrat, der Verdrängung anheimfiel und mit
+den zu ihr gehörigen Erinnerungen aus dem Bewußtsein gedrängt und
+vergessen wurde. Die Unverträglichkeit der betreffenden Vorstellung mit
+dem Ich des Kranken war also das Motiv der Verdrängung; die ethischen
+und anderen Anforderungen des Individuums waren die verdrängenden
+Kräfte. Die Annahme der unverträglichen Wunschregung oder die Fortdauer
+des Konflikts hätten hohe Grade von Unlust hervorgerufen; diese Unlust
+wurde durch die Verdrängung erspart, die sich in solcher Art als eine
+der Schutzvorrichtungen der seelischen Persönlichkeit erwies.
+
+Ich will Ihnen anstatt vieler einen einzigen meiner Fälle erzählen, in
+welchem Bedingungen und Nutzen der Verdrängung deutlich genug zu
+erkennen sind. Freilich muß ich für meinen Zweck auch diese
+Krankengeschichte verkürzen und wichtige Voraussetzungen derselben bei
+Seite lassen. Ein junges Mädchen, welches kurz vorher den geliebten
+Vater verloren hatte, an dessen Pflege sie beteiligt gewesen war -- eine
+Situation analog der bei der Patientin _Breuers_ --, brachte, als ihre
+ältere Schwester sich verheiratete, dem neuen Schwager eine besondere
+Sympathie entgegen, die sich leicht als verwandtschaftliche Zärtlichkeit
+maskieren konnte. Diese Schwester erkrankte bald und starb, während die
+Patientin mit ihrer Mutter abwesend war. Die Abwesenden wurden eiligst
+zurückgerufen, ohne in sichere Kenntnis des schmerzlichen Ereignisses
+gesetzt zu werden. Als das Mädchen an das Bett der toten Schwester trat,
+tauchte für einen kurzen Moment eine Idee in ihr auf, die sich etwa in
+den Worten ausdrücken ließe: _Jetzt ist er frei und kann mich heiraten._
+Wir dürfen als sicher annehmen, daß diese Idee, welche die ihr selbst
+nicht bewußte intensive Liebe zum Schwager ihrem Bewußtsein verriet,
+durch den Aufruhr ihrer Gefühle im nächsten Moment der Verdrängung
+überliefert wurde. Das Mädchen erkrankte an schweren hysterischen
+Symptomen, und als ich sie in Behandlung genommen hatte, stellte es sich
+heraus, daß sie jene Szene am Bette der Schwester und die in ihr
+auftretende häßlich-egoistische Regung gründlich vergessen hatte. Sie
+erinnerte sich daran in der Behandlung, reproduzierte den pathogenen
+Moment unter den Anzeichen heftigster Gemütsbewegung und wurde durch
+diese Behandlung gesund.
+
+Vielleicht darf ich Ihnen den Vorgang der Verdrängung und deren
+notwendige Beziehung zum Widerstand durch ein grobes Gleichnis
+veranschaulichen, das ich gerade aus unserer gegenwärtigen Situation
+herausgreifen will. Nehmen Sie an, hier in diesem Saale und in diesem
+Auditorium, dessen musterhafte Ruhe und Aufmerksamkeit ich nicht genug
+zu preisen weiß, befände sich doch ein Individuum, welches sich störend
+benimmt und durch sein ungezogenes Lachen, Schwätzen, Scharren mit den
+Füßen meine Aufmerksamkeit von meiner Aufgabe abzieht. Ich erkläre, daß
+ich so nicht weiter vortragen kann, und daraufhin erheben sich einige
+kräftige Männer unter Ihnen und setzen den Störenfried nach kurzem
+Kampfe vor die Tür. Er ist also jetzt »verdrängt« und ich kann meinen
+Vortrag fortsetzen. Damit aber die Störung sich nicht wiederhole, wenn
+der Herausgeworfene versucht, wieder in den Saal einzudringen, rücken
+die Herren, welche meinen Willen zur Ausführung gebracht haben, ihre
+Stühle an die Türe an und etablieren sich so als »Widerstand« nach
+vollzogener Verdrängung. Wenn Sie nun noch die beiden Lokalitäten hier
+als das »Bewußte« und das »Unbewußte« aufs Psychische übertragen, so
+haben Sie eine ziemlich gute Nachbildung des Vorgangs der Verdrängung
+vor sich.
+
+Sie sehen nun, worin der Unterschied unserer Auffassung von der
+_Janet_schen gelegen ist. Wir leiten die psychische Spaltung nicht von
+einer angeborenen Unzulänglichkeit zur Synthese des seelischen Apparats
+ab, sondern erklären sie dynamisch durch den Konflikt widerstreitender
+Seelenkräfte, erkennen in ihr das Ergebnis eines aktiven Sträubens der
+beiden psychischen Gruppierungen gegeneinander. Aus unserer Auffassung
+erheben sich nun neue Fragestellungen in großer Anzahl. Die Situation
+des psychischen Konflikts ist ja eine überaus häufige, ein Bestreben
+des Ichs, sich peinlicher Erinnerung zu erwehren, wird ganz regelmäßig
+beobachtet, ohne daß es zum Ergebnis einer seelischen Spaltung führt.
+Man kann den Gedanken nicht abweisen, daß es noch anderer Bedingungen
+bedarf, wenn der Konflikt die Dissoziation zur Folge haben soll. Ich
+gebe Ihnen auch gern zu, daß wir mit der Annahme der Verdrängung nicht
+am Ende, sondern erst am Anfang einer psychologischen Theorie stehen,
+aber wir können nicht anders als schrittweise vorrücken und müssen die
+Vollendung der Erkenntnis weiterer und tiefer eindringender Arbeit
+überlassen.
+
+Unterlassen Sie auch den Versuch, den Fall der Patientin _Breuers_ unter
+die Gesichtspunkte der Verdrängung zu bringen. Diese Krankengeschichte
+eignet sich hiezu nicht, weil sie mit Hilfe der hypnotischen
+Beeinflussung gewonnen worden ist. Erst, wenn Sie die Hypnose
+ausschalten, können Sie die Widerstände und Verdrängungen bemerken und
+sich von dem wirklichen pathogenen Vorgang eine zutreffende Vorstellung
+bilden. Die Hypnose verdeckt den Widerstand und macht ein gewisses
+seelisches Gebiet frei zugänglich, dafür häuft sie den Widerstand an den
+Grenzen dieses Gebietes zu einem Walle auf, der alles Weitere
+unzugänglich macht.
+
+Das Wertvollste, was wir aus der _Breuer_schen Beobachtung gelernt
+haben, waren die Aufschlüsse über den Zusammenhang der Symptome mit den
+pathogenen Erlebnissen oder psychischen Traumen, und nun dürfen wir
+nicht versäumen, diese Einsichten vom Standpunkte der Verdrängungslehre
+zu würdigen. Man sieht zunächst wirklich nicht ein, wie man von der
+Verdrängung aus zur Symptombildung gelangen kann. Anstatt eine
+komplizierte theoretische Ableitung zu geben, will ich an dieser Stelle
+auf unser früher gebrauchtes Bild für die Verdrängung zurückgreifen.
+Denken Sie daran, mit der Entfernung des störenden Gesellen und der
+Niederlassung der Wächter vor der Türe braucht die Angelegenheit nicht
+beendigt zu sein. Es kann sehr wohl geschehen, daß der Herausgeworfene,
+der jetzt erbittert und ganz rücksichtslos geworden ist, uns weiter zu
+schaffen gibt. Er ist zwar nicht mehr unter uns, wir sind seine
+Gegenwart, sein höhnisches Lachen, seine halblauten Bemerkungen los
+geworden, aber in gewisser Hinsicht ist die Verdrängung doch erfolglos
+gewesen, denn er führt nun draußen einen unerträglichen Spektakel auf,
+und sein Schreien und mit den Fäusten an die Türe Pochen hemmt meinen
+Vortrag mehr als früher sein unartiges Benehmen. Unter diesen
+Verhältnissen würden wir es mit Freuden begrüßen müssen, wenn etwa unser
+verehrter Präsident Dr. _Stanley Hall_ die Rolle des Vermittlers und
+Friedensstifters übernehmen wollte. Er würde mit dem ungebärdigen
+Gesellen draußen sprechen und dann sich an uns mit der Aufforderung
+wenden, ihn doch wieder einzulassen, er übernehme die Garantie, daß sich
+jener jetzt besser betragen werde. Auf Dr. _Halls_ Autorität hin
+entschließen wir uns dazu, die Verdrängung wieder aufzuheben und nun
+tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Es ist dies wirklich keine unpassende
+Darstellung der Aufgabe, die dem Arzt bei der psychoanalytischen
+Therapie der Neurosen zufällt.
+
+Um es jetzt direkter zu sagen: Wir kommen durch die Untersuchung der
+hysterisch Kranken und anderer Neurotiker zur Überzeugung, daß ihnen die
+Verdrängung der Idee, an welcher der unverträgliche Wunsch hängt,
+_mißlungen_ ist. Sie haben sie zwar aus dem Bewußtsein und aus der
+Erinnerung getrieben und sich anscheinend eine große Summe Unlust
+erspart, _aber im Unbewußten besteht die verdrängte Wunschregung
+weiter_, lauert auf eine Gelegenheit, aktiviert zu werden, und versteht
+es dann, eine entstellte und unkenntlich gemachte _Ersatzbildung_ für
+das Verdrängte ins Bewußtsein zu schicken, an welche sich bald dieselben
+Unlustempfindungen knüpfen, die man durch die Verdrängung erspart
+glaubte. Diese Ersatzbildung für die verdrängte Idee -- das _Symptom_ --
+ist gegen weitere Angriffe von Seiten des abwehrenden Ichs gefeit, und
+an Stelle des kurzen Konflikts tritt jetzt ein in der Zeit nicht
+endendes Leiden. An dem Symptom ist neben den Anzeichen der Entstellung
+ein Rest von irgendwie vermittelter Ähnlichkeit mit der ursprünglich
+verdrängten Idee zu konstatieren; die Wege, auf denen sich die
+Ersatzbildung vollzog, lassen sich während der psychoanalytischen
+Behandlung des Kranken aufdecken, und zu seiner Heilung ist es
+notwendig, daß das Symptom auf diesen nämlichen Wegen wieder in die
+verdrängte Idee übergeführt werde. Ist das Verdrängte wieder der
+bewußten Seelentätigkeit zugeführt, was die Überwindung beträchtlicher
+Widerstände voraussetzt, so kann der so entstandene psychische
+_Konflikt_, den der Kranke vermeiden wollte, unter der Leitung des
+Arztes einen besseren Ausgang finden, als ihn die Verdrängung bot. Es
+gibt mehrere solcher zweckmäßiger Erledigungen, welche Konflikt und
+Neurose zum glücklichen Ende führen, im einzelnen Falle auch miteinander
+kombiniert erzielt werden können. Entweder wird die Persönlichkeit des
+Kranken überzeugt, daß sie den pathogenen Wunsch mit Unrecht abgewiesen
+hat, und veranlaßt, ihn ganz oder teilweise zu akzeptieren, oder dieser
+Wunsch wird selbst auf ein höheres und darum einwandfreies Ziel geleitet
+(was man seine _Sublimierung_ heißt), oder man erkennt seine Verwerfung
+als zu Recht bestehend an, ersetzt aber den automatischen und darum
+unzureichenden Mechanismus der Verdrängung durch eine Verurteilung mit
+Hilfe der höchsten geistigen Leistungen des Menschen; man erreicht seine
+bewußte Beherrschung.
+
+Verzeihen Sie mir, wenn es mir nicht gelungen ist, Ihnen diese
+Hauptgesichtspunkte der nun _Psychoanalyse_ genannten Behandlungsmethode
+klarer faßlich darzustellen. Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der
+Neuheit des Gegenstandes. Welcher Art die unverträglichen Wünsche sind,
+die sich trotz der Verdrängung aus dem Unbewußten vernehmbar zu machen
+verstehen, und welche subjektiven oder konstitutionellen Bedingungen bei
+einer Person zutreffen müssen, damit sich ein solches Mißlingen der
+Verdrängung und eine Ersatz- oder Symptombildung vollziehe, darüber
+werden noch einige spätere Bemerkungen Aufschluß geben.
+
+
+
+
+ III.
+
+
+Meine Damen und Herren! Es ist nicht immer leicht die Wahrheit zu sagen,
+besonders wenn man kurz sein muß, und so bin ich heute genötigt, eine
+Unrichtigkeit zu korrigieren, die ich in meinem letzten Vortrag
+vorgebracht habe. Ich sagte Ihnen, wenn ich unter Verzicht auf die
+Hypnose in meine Kranken drang, mir doch mitzuteilen, was ihnen zu dem
+eben behandelten Problem einfiele; sie wüßten ja doch alles angeblich
+Vergessene, und der auftauchende Einfall werde gewiß das Gesuchte
+enthalten, so machte ich tatsächlich die Erfahrung, daß der nächste
+Einfall meines Kranken das richtige brachte und sich als die vergessene
+Fortsetzung der Erinnerung erwies. Nun, das ist nicht allgemein richtig;
+ich habe es nur der Abkürzung halber so einfach dargestellt. In
+Wirklichkeit traf es nur die ersten Male zu, daß sich das richtige
+Vergessene durch einfaches Drängen von meiner Seite einstellte. Setzte
+man das Verfahren fort, so kamen jedesmal Einfälle, die nicht die
+richtigen sein konnten, weil sie nicht passend waren, und die die
+Kranken selbst als unrichtig verwarfen. Das Drängen brachte hier keine
+weitere Hilfe, und man konnte wieder bedauern, die Hypnose aufgegeben zu
+haben.
+
+In diesem Stadium der Ratlosigkeit klammerte ich mich an ein Vorurteil,
+dessen wissenschaftliche Berechtigung Jahre später durch meinen Freund
+C. G. _Jung_ in Zürich und seine Schüler erwiesen wurde. Ich muß
+behaupten, es ist manchmal recht nützlich, Vorurteile zu haben. Ich
+brachte eine hohe Meinung von der Strenge der Determinierung seelischer
+Vorgänge mit und konnte nicht daran glauben, daß ein Einfall des
+Kranken, den er bei gespannter Aufmerksamkeit produzierte, ganz
+willkürlich und außer Beziehung zu der von uns gesuchten vergessenen
+Vorstellung sei; daß er mit dieser nicht identisch war, ließ sich aus
+der vorausgesetzten psychologischen Situation befriedigend erklären. In
+dem behandelten Kranken wirkten zwei Kräfte gegen einander, einerseits
+sein bewußtes Bestreben, das in seinem Unbewußten vorhandene Vergessene
+ins Bewußtsein zu ziehen, anderseits der uns bekannte Widerstand, der
+sich gegen solches Bewußtwerden des Verdrängten oder seiner Abkömmlinge
+sträubte. War dieser Widerstand gleich Null oder sehr gering, so wurde
+das Vergessene ohne Entstellung bewußt; es lag also nahe, anzunehmen,
+daß die Entstellung des Gesuchten um so größer ausfallen werde, je
+größer der Widerstand gegen das Bewußtwerden des Gesuchten sei. Der
+Einfall des Kranken, der anstatt des Gesuchten kam, war also selbst
+entstanden wie ein Symptom; er war eine neue, künstliche und ephemere
+Ersatzbildung für das Verdrängte, und demselben um so unähnlicher, eine
+je größere Entstellung er unter dem Einfluß des Widerstandes erfahren
+hatte. Er mußte aber doch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gesuchten
+aufweisen, kraft seiner Natur als Symptom, und bei nicht zu intensivem
+Widerstand mußte es möglich sein, aus dem Einfall das verborgene
+Gesuchte zu erraten. Der Einfall mußte sich zum verdrängten Element
+verhalten wie eine Anspielung, wie eine Darstellung desselben in
+_indirekter_ Rede.
+
+Wir kennen auf dem Gebiete des normalen Seelenlebens Fälle, in denen
+analoge Situationen wie die von uns angenommene auch ähnliche Ergebnisse
+liefern. Ein solcher Fall ist der des _Witzes_. Durch die Probleme der
+psychoanalytischen Technik bin ich denn auch genötigt worden, mich mit
+der Technik der Witzbildung zu beschäftigen. Ich will Ihnen ein einziges
+solches Beispiel erläutern, übrigens einen Witz in englischer Sprache.
+
+Die Anekdote erzählt:[10] Zwei wenig skrupulösen Geschäftsleuten war es
+gelungen, sich durch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein großes
+Vermögen zu erwerben, und nun ging ihr Bemühen dahin, sich der guten
+Gesellschaft aufzudrängen. Unter anderem erschien es ihnen als ein
+zweckmäßiges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten Maler der
+Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen.
+Auf einer großen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und
+die beiden Hausherren führten selbst den einflußreichsten Kunstkenner
+und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Portraits
+nebeneinander aufgehängt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu
+entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, schüttelte dann den Kopf,
+als ob er etwas vermissen würde, und fragte bloß, auf den freien Raum
+zwischen beiden Bildern deutend: »And where is the Saviour?« Ich sehe,
+Sie lachen alle über diesen guten Witz, in dessen Verständnis wir nun
+eindringen wollen. Wir verstehen, daß der Kunstkenner sagen will: Ihr
+seid ein Paar Spitzbuben, wie die, zwischen denen man den Heiland ans
+Kreuz hängte. Aber er sagt es nicht, anstatt dessen äußert er etwas, was
+zunächst sonderbar unpassend und nicht dazu gehörig scheint, was wir
+aber im nächsten Moment als eine _Anspielung_ auf die von ihm
+beabsichtigte Beschimpfung und als einen vollgültigen Ersatz für
+dieselbe erkennen. Wir können nicht erwarten, daß sich beim Witz alle
+die Verhältnisse widerfinden lassen, die wir bei der Entstehung des
+Einfalles bei unseren Patienten vermuten, aber auf die Identität in der
+Motivierung von Witz und Einfall wollen wir Gewicht legen. Warum sagt
+unser Kritiker den beiden Spitzbuben nicht direkt, was er ihnen sagen
+möchte? Weil neben seinem Gelüste, es ihnen unverhüllt ins Gesicht zu
+sagen, sehr gute Gegenmotive in ihm wirksam sind. Es ist nicht
+ungefährlich, Leute zu beleidigen, bei denen man zu Gaste ist, und die
+über die kräftigen Fäuste einer zahlreichen Dienerschaft verfügen. Man
+kann leicht jenem Schicksal verfallen, das ich im vorigen Vortrag in
+eine Analogie mit der »Verdrängung« brachte. Aus diesem Grunde bringt
+der Kritiker die beabsichtigte Beschimpfung nicht direkt, sondern in
+entstellter Form als eine »Anspielung mit Auslassung« zum Ausdruck, und
+dieselbe Konstellation verschuldet es nach unserer Meinung, daß unser
+Patient, anstatt des gesuchten Vergessenen, einen mehr oder minder
+entstellten _Ersatzeinfall_ produziert.
+
+ [10] Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Fr. Deuticke,
+ Wien 1905 (p. 59).
+
+Meine Damen und Herren! Es ist recht zweckmäßig, eine Gruppe von
+zusammengehörigen, mit Affekt besetzten Vorstellungselementen nach dem
+Vorgang der _Züricher_ Schule (_Bleuler_, _Jung_ u. a.) als einen
+»_Komplex_« zu bezeichnen. Wir sehen also, wenn wir bei einem Kranken,
+von dem letzten, was er noch erinnert, ausgehen, um einen verdrängten
+Komplex zu suchen, so haben wir alle Aussicht, diesen zu erraten, wenn
+uns der Kranke eine genügende Anzahl seiner freien Einfälle zur
+Verfügung stellt. Wir lassen also den Kranken reden, was er will, und
+halten an der Voraussetzung fest, daß ihm nichts anderes einfallen kann,
+als was in indirekter Weise von dem gesuchten Komplex abhängt. Erscheint
+Ihnen dieser Weg, das Verdrängte aufzufinden, allzu umständlich, so kann
+ich Ihnen wenigstens die Versicherung geben, daß er der einzig gangbare
+ist.
+
+Wenn wir diese Technik ausüben, so werden wir noch durch die Tatsache
+gestört, daß der Kranke häufig inne hält, in Stockungen gerät und
+behauptet, er wisse nichts zu sagen, es falle ihm überhaupt nichts ein.
+Träfe dies zu und hätte der Kranke recht, so wäre unser Verfahren
+wiederum als unzulänglich erwiesen. Allein eine feinere Beobachtung
+zeigt, daß ein solches Versagen der Einfälle eigentlich nie eintritt.
+Dieser Anschein kommt nur dadurch zu stande, daß der Kranke den
+wahrgenommenen Einfall unter dem Einfluß der Widerstände, die sich in
+verschiedene kritische Urteile über den Wert des Einfalls kleiden,
+zurückhält oder wieder beseitigt. Man schützt sich dagegen, indem man
+ihm dieses Verhalten vorhersagt und von ihm fordert, daß er sich um
+diese Kritik nicht kümmere. Er soll unter völligem Verzicht auf solche
+kritische Auswahl alles sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn er
+es für unrichtig, für nicht dazu gehörig, für unsinnig hält, vor allem
+auch dann, wenn es ihm unangenehm ist, sein Denken mit dem Einfall zu
+beschäftigen. Durch die Befolgung dieser Vorschrift sichern wir uns das
+Material, welches uns auf die Spur der verdrängten Komplexe führt.
+
+Dies Material von Einfällen, welche der Kranke geringschätzend von sich
+weist, wenn er unter dem Einflüsse des Widerstandes anstatt unter dem
+des Arztes steht, stellt für den Psychoanalytiker gleichsam das Erz dar,
+dem er mit Hilfe von einfachen Deutungskünsten seinen Gehalt an
+wertvollem Metall entzieht. Wollen Sie sich bei einem Kranken eine
+rasche und vorläufige Kenntnis der verdrängten Komplexe schaffen, ohne
+noch auf deren Anordnung und Verknüpfung einzugehen, so bedienen Sie
+sich dazu der Prüfung mit dem _Assoziationsexperiment_, wie sie
+_Jung_[11] und seine Schüler ausgebildet haben. Dies Verfahren leistet
+dem Psychoanalytiker so viel wie die qualitative Analyse dem Chemiker;
+es ist in der Therapie der neurotisch Kranken entbehrlich, unentbehrlich
+aber zur objektiven Demonstration der Komplexe und bei der Untersuchung
+der Psychosen, die von der Züricher Schule so erfolgreich in Angriff
+genommen worden ist.
+
+ [11] C. G. _Jung_, Diagnostische Assoziationsstudien, I. Bd., 1906.
+
+Die Bearbeitung der Einfälle, welche sich dem Patienten ergeben, wenn er
+sich der psychoanalytischen Hauptregel unterwirft, ist nicht das einzige
+unserer technischen Mittel zur Erschließung des Unbewußten. Dem gleichen
+Zwecke dienen zwei andere Verfahren, die Deutung seiner Träume und die
+Verwertung seiner Fehl- und Zufallshandlungen.
+
+Ich gestehe Ihnen, meine geehrten Zuhörer, daß ich lange geschwankt
+habe, ob ich Ihnen anstatt dieser gedrängten Übersicht über das ganze
+Gebiet der Psychoanalyse nicht lieber eine ausführliche Darstellung der
+_Traumdeutung_ bieten soll. Ein rein subjektives und anscheinend
+sekundäres Motiv hat mich davon zurückgehalten. Es erschien mir fast
+anstößig, in diesem praktischen Zielen zugewendeten Lande als
+»Traumdeuter« aufzutreten, ehe Sie noch wissen konnten, auf welche
+Bedeutung diese veraltete und verspottete Kunst Anspruch erheben kann.
+Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via Regia zur Kenntnis des
+Unbewußten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse und jenes Gebiet,
+auf welchem jeder Arbeiter seine Überzeugung zu gewinnen und seine
+Ausbildung anzustreben hat. Wenn ich gefragt werde, wie man
+Psychoanalytiker werden kann, so antworte ich, durch das Studium seiner
+eigenen Träume. Mit richtigem Takt sind alle Gegner der Psychoanalyse
+bisher einer Würdigung der »Traumdeutung«[12] ausgewichen oder haben mit
+den seichtesten Einwendungen über sie hinwegzukommen getrachtet. Wenn
+Sie im Gegenteile die Lösungen der Probleme des Traumlebens anzunehmen
+vermögen, werden Ihnen die Neuheiten, welche die Psychoanalyse Ihrem
+Denken zumutet, keine Schwierigkeiten mehr bieten.
+
+ [12] Die Traumdeutung, 2. Aufl., Fr. Deuticke, Wien 1909.
+
+Vergessen Sie nicht daran, daß unsere nächtlichen Traumproduktionen
+einerseits die größte äußere Ähnlichkeit und innere Verwandtschaft mit
+den Schöpfungen der Geisteskrankheiten zeigen, anderseits aber mit der
+vollen Gesundheit des Wachlebens verträglich sind. Es ist keine absurd
+klingende Behauptung, daß, wer jenen »normalen« Sinnestäuschungen,
+Wahnideen und Charakteränderungen Verwunderung anstatt Verständnis
+entgegenbringt, auch nicht die leiseste Aussicht hat, die abnormen
+Bildungen krankhafter Seelenzustände anders als im laienhaften Sinne zu
+begreifen. Zu diesen Laien dürfen Sie heute getrost fast alle Psychiater
+zählen. Folgen Sie mir nun auf einem flüchtigen Streifzug durch das
+Gebiet der Traumprobleme.
+
+Wir pflegen, wenn wir erwacht sind, die Träume so verächtlich zu
+behandeln, wie der Patient die Einfälle, die der Psychoanalytiker von
+ihm fordert. Wir weisen sie aber auch von uns ab, indem wir sie in der
+Regel rasch und vollständig vergessen. Unsere Geringschätzung gründet
+sich auf den fremdartigen Charakter selbst jener Träume, die nicht
+verworren und unsinnig sind, und auf die evidente Absurdität und
+Sinnlosigkeit anderer Träume; unsere Abweisung beruft sich auf die
+ungehemmt schamlosen und unmoralischen Strebungen, die in manchen
+Träumen offen zu Tage treten. Das Altertum hat diese Geringschätzung der
+Träume bekanntlich nicht geteilt. Die niederen Schichten unseres Volkes
+lassen sich in der Wertschätzung der Träume auch heute nicht irre
+machen; sie erwarten von ihnen wie die Alten die Enthüllung der Zukunft.
+
+Ich bekenne, daß ich kein Bedürfnis nach mystischen Annahmen zur
+Ausfüllung der Lücken unserer gegenwärtigen Erkenntnis habe, und darum
+habe ich auch nie etwas finden können, was eine prophetische Natur der
+Träume bestätigte. Es läßt sich viel andersartiges, was auch wunderbar
+genug ist, über die Träume sagen.
+
+Zunächst, nicht alle Träume sind dem Träumer wesensfremd, unverständlich
+und verworren. Wenn Sie die Träume jüngster Kinder, von 1½ Jahren an,
+Ihrer Betrachtung unterziehen wollen, so finden sie dieselben ganz
+simpel und leicht aufzuklären. Das kleine Kind träumt immer die
+Erfüllung von Wünschen, die der Tag vorher in ihm erweckt und nicht
+befriedigt hat. Sie bedürfen keiner Deutungskunst, um diese einfache
+Lösung zu finden, sondern nur der Erkundigung nach den Erlebnissen des
+Kindes am Vortag (Traumtag). Es wäre nun gewiß die befriedigendste
+Lösung des Traumrätsels, wenn auch die Träume der Erwachsenen nichts
+anderes wären als die der Kinder, Erfüllungen von Wunschregungen, die
+ihnen der Traumtag gebracht hat. So ist es auch in Wirklichkeit; die
+Schwierigkeiten, welche dieser Lösung im Wege stehen, lassen sich durch
+eine eingehendere Analyse der Träume schrittweise beseitigen.
+
+Da ist vor allem die erste und gewichtigste Einwendung, daß die Träume
+Erwachsener gewöhnlich einen unverständlichen Inhalt haben, der am
+wenigsten etwas von Wunscherfüllung erkennen läßt. Die Antwort lautet
+hier: Diese Träume haben eine Entstellung erfahren; der psychische
+Vorgang, der ihnen zu Grunde liegt, hätte ursprünglich ganz anderen
+Ausdruck in Worten finden sollen. Sie müssen den _manifesten
+Trauminhalt_, wie Sie ihn am Morgen verschwommen erinnern und mühselig,
+anscheinend willkürlich, in Worte kleiden, unterscheiden von den
+_latenten Traumgedanken_, die Sie im Unbewußten vorhanden anzunehmen
+haben. Diese Traumentstellung ist derselbe Vorgang, den Sie bei der
+Untersuchung der Bildung hysterischer Symptome kennen gelernt haben; sie
+weist auch darauf hin, daß das gleiche Gegenspiel der seelischen Kräfte
+bei der Traumbildung wie bei der Symptombildung beteiligt ist. Der
+manifeste Trauminhalt ist der entstellte Ersatz für die unbewußten
+Traumgedanken, und diese Entstellung ist das Werk von abwehrenden
+Kräften des Ichs, Widerständen, welche den verdrängten Wünschen des
+Unbewußten den Zugang zum Bewußtsein im Wachleben überhaupt verwehren,
+in der Herabsetzung des Schlafzustandes aber wenigstens noch so stark
+sind, daß sie ihnen eine verhüllende Vermummung aufnötigen. Der Träumer
+erkennt dann den Sinn seiner Träume ebenso wenig wie der Hysterische die
+Beziehung und Bedeutung seiner Symptome.
+
+Daß es latente Traumgedanken gibt und daß zwischen ihnen und dem
+manifesten Trauminhalt wirklich die eben beschriebene Relation besteht,
+davon überzeugen Sie sich bei der Analyse der Träume, deren Technik mit
+der psychoanalytischen zusammenfällt. Sie sehen von dem scheinbaren
+Zusammenhang der Elemente im manifesten Traum ganz ab und suchen sich
+die Einfälle zusammen, die sich bei freier Assoziation nach der
+psychoanalytischen Arbeitsregel zu jedem einzelnen Traumelement ergeben.
+Aus diesem Material erraten Sie die latenten Traumgedanken ganz so, wie
+Sie aus den Einfällen des Kranken zu seinen Symptomen und Erinnerungen
+seine versteckten Komplexe erraten haben. An den so gefundenen latenten
+Traumgedanken ersehen Sie ohne weiteres, wie vollberechtigt die
+Rückführung der Träume Erwachsener auf die Kinderträume ist. Was sich
+jetzt als der eigentliche Sinn des Traumes dem manifesten Trauminhalt
+substituiert, das ist immer klar verständlich, knüpft an die
+Lebenseindrücke des Vortages an, erweist sich als eine Erfüllung
+unbefriedigter Wünsche. Den manifesten Traum, den Sie aus der Erinnerung
+beim Erwachen kennen, können Sie dann nur beschreiben als eine
+_verkappte_ Erfüllung _verdrängter_ Wünsche.
+
+Sie können durch eine Art von synthetischer Arbeit jetzt auch Einsicht
+nehmen in den Prozeß, der die Entstellung der unbewußten Traumgedanken
+zum manifesten Trauminhalt herbeigeführt hat. Wir heißen diesen Prozeß
+die »Traumarbeit«. Derselbe verdient unser vollstes theoretisches
+Interesse, weil wir an ihm wie sonst nirgends studieren können, welche
+ungeahnten psychischen Vorgänge im Unbewußten, oder genau ausgedrückt,
+_zwischen_ zwei gesonderten psychischen Systemen wie dem Bewußten und
+dem Unbewußten, möglich sind. Unter diesen neu erkannten psychischen
+Vorgängen heben sich die der _Verdichtung_ und der _Verschiebung_
+auffällig heraus. Die Traumarbeit ist ein Spezialfall der Einwirkungen
+verschiedener seelischer Gruppierungen aufeinander, also der Erfolge der
+seelischen Spaltung, und sie scheint in allem Wesentlichen identisch mit
+jener Entstellungsarbeit, welche die verdrängten Komplexe bei
+mißglückender Verdrängung in Symptome verwandelt.
+
+Sie werden ferner bei der Analyse der Träume, am überzeugendsten Ihrer
+eigenen, mit Verwunderung die ungeahnt große Rolle entdecken, welche
+Eindrücke und Erlebnisse früher Jahre der Kindheit auf die Entwicklung
+des Menschen nehmen. Im Traumleben setzt das Kind im Menschen gleichsam
+seine Existenz mit Erhaltung all seiner Eigentümlichkeiten und
+Wunschregungen, auch der im späteren Leben unbrauchbar gewordenen, fort.
+Mit unabweislicher Macht drängt sich Ihnen auf, durch welche
+Entwicklungen, Verdrängungen, Sublimierungen und Reaktionsbildungen aus
+dem ganz anders beanlagten Kind der sogenannt normale Mensch, der
+Träger und zum Teil das Opfer der mühsam errungenen Kultur, hervorgeht.
+
+Auch darauf will ich sie aufmerksam machen, daß wir bei der Analyse der
+Träume gefunden haben, das Unbewußte bediene sich, insbesondere für die
+Darstellung sexueller Komplexe, einer gewissen Symbolik, die zum Teil
+individuell variabel, zum anderen Teil aber typisch festgelegt ist, und
+die sich mit der Symbolik zu decken scheint, die wir hinter unseren
+Mythen und Märchen vermuten. Es wäre nicht unmöglich, daß die letzteren
+Schöpfungen der Völker ihre Aufklärung vom Traume her empfangen könnten.
+
+Endlich muß ich Sie mahnen, daß Sie sich nicht durch den Einwand irre
+machen lassen, das Vorkommen von Angstträumen widerspreche unserer
+Auffassung des Traumes als Wunscherfüllung. Abgesehen davon, daß auch
+diese Angstträume der Deutung bedürfen, ehe man über sie urteilen kann,
+muß man ganz allgemein sagen, daß die Angst nicht so einfach am
+Trauminhalt hängt, wie man's sich ohne weitere Kenntnis und Rücksicht
+auf die Bedingungen der neurotischen Angst vorstellt. Die Angst ist eine
+der Ablehnungsreaktionen des Ichs gegen stark gewordene verdrängte
+Wünsche, und daher auch im Traume sehr gut erklärlich, wenn die
+Traumbildung sich zu sehr in den Dienst der Erfüllung dieser verdrängten
+Wünsche gestellt hat.
+
+Sie sehen, die Traumerforschung wäre an sich durch die Aufschlüsse
+gerechtfertigt, die sie über sonst schwer wißbare Dinge liefert. Wir
+sind aber im Zusammenhange mit der psychoanalytischen Behandlung der
+Neurotiker zu ihr gelangt. Nach dem bisher Gesagten können Sie leicht
+verstehen, wie die Traumdeutung, wenn sie nicht durch die Widerstände
+des Kranken allzu sehr erschwert wird, zur Kenntnis der versteckten und
+verdrängten Wünsche des Kranken und der von ihnen genährten Komplexe
+führt, und ich kann zur dritten Gruppe von seelischen Phänomenen
+übergehen, deren Studium zum technischen Mittel für die Psychoanalyse
+geworden ist.
+
+Es sind dies die kleinen Fehlhandlungen normaler wie nervöser Menschen,
+denen man sonst keine Bedeutung beizulegen pflegt, das Vergessen von
+Dingen, die sie wissen könnten und andere Male auch wirklich wissen
+(z. B. das zeitweilige Entfallen von Eigennamen), das Versprechen in der
+Rede, das sich uns selbst so häufig ereignet, das analoge Verschreiben
+und Verlesen, das Vergreifen bei Verrichtungen und das Verlieren oder
+Zerbrechen von Gegenständen u. dgl., lauter Dinge, für die man eine
+psychologische Determinierung sonst nicht sucht, und die man als
+zufällige Ergebnisse, als Erfolge der Zerstreutheit, Unaufmerksamkeit
+und ähnlicher Bedingungen unbeanstandet passieren läßt. Dazu kommen noch
+die Handlungen und Gesten, welche die Menschen ausführen, ohne sie
+überhaupt zu bemerken, geschweige denn, daß sie ihnen seelisches Gewicht
+beilegten, wie das Spielen, Tändeln mit Gegenständen, das Summen von
+Melodien, das Hantieren am eigenen Körper und an dessen Bekleidung und
+ähnliches.[13] Diese kleinen Dinge, die _Fehlhandlungen_ wie die
+_Symptom-_ und _Zufallshandlungen_, sind nicht so bedeutungslos, wie man
+durch eine Art von stillschweigendem Übereinkommen anzunehmen bereit
+ist. Sie sind durchaus sinnvoll, aus der Situation, in der sie
+vorfallen, meist leicht und sicher zu deuten, und es stellt sich heraus,
+daß sie wiederum Impulsen und Absichten Ausdruck geben, die
+zurückgestellt, dem eigenen Bewußtsein verborgen werden sollen, oder daß
+sie geradezu den nämlichen verdrängten Wunschregungen und Komplexen
+entstammen, die wir bereits als die Schöpfer der Symptome und die
+Bildner der Träume kennen gelernt haben. Sie verdienen also die
+Würdigung von Symptomen, und ihre Beachtung kann wie die der Träume zur
+Aufdeckung des Verborgenen im Seelenleben führen. Mit ihrer Hilfe verrät
+der Mensch in der Regel die intimsten seiner Geheimnisse. Wenn sie
+besonders leicht und häufig zu stande kommen, selbst beim Gesunden, dem
+die Verdrängung seiner unbewußten Regungen im ganzen gut gelungen ist,
+so haben sie es ihrer Geringfügigkeit und Unscheinbarkeit zu danken.
+Aber sie dürfen hohen theoretischen Wert beanspruchen, da sie uns die
+Existenz der Verdrängung und Ersatzbildung auch unter den Bedingungen
+der Gesundheit erweisen.
+
+ [13] Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 3. Aufl., 1910,
+ S. _Karger_, Berlin.
+
+Sie merken es bereits, daß sich der Psychoanalytiker durch einen
+besonders strengen Glauben an die Determinierung des Seelenlebens
+auszeichnet. Für ihn gibt es in den psychischen Äußerungen nichts
+Kleines, nichts Willkürliches und Zufälliges, er erwartet überall dort
+eine ausreichende Motivierung, wo man gewöhnlich eine solche Forderung
+nicht erhebt; ja er ist auf eine _mehrfache Motivierung_ desselben
+seelischen Effekts vorbereitet, während unser angeblich eingeborenes
+Kausalbedürfnis sich mit einer einzigen psychischen Ursache für
+befriedigt erklärt.
+
+Halten Sie nun zusammen, was wir an Mitteln zur Aufdeckung des
+Verborgenen, Vergessenen, Verdrängten im Seelenleben besitzen, das
+Studium der hervorgerufenen Einfälle der Patienten bei freier
+Assoziation, ihrer Träume und ihrer Fehl- und Symptomhandlungen; fügen
+Sie noch hinzu die Verwertung anderer Phänomene, die sich während der
+psychoanalytischen Behandlung ergeben, über die ich später unter dem
+Schlagwort der »Übertragung« einige Bemerkungen machen werde, so werden
+Sie mit mir zu dem Schlusse kommen, daß unsere Technik bereits wirksam
+genug ist, um ihre Aufgabe lösen zu können, um das pathogene psychische
+Material dem Bewußtsein zuzuführen und so die durch die Bildung von
+Ersatzsymptomen hervorgerufenen Leiden zu beseitigen. Daß wir während
+der therapeutischen Bemühungen unsere Kenntnis vom Seelenleben der
+normalen und der kranken Menschen bereichern und vertiefen, kann gewiß
+nur als ein besonderer Reiz und Vorzug dieser Arbeit eingeschätzt
+werden.
+
+Ich weiß nicht, ob Sie den Eindruck empfangen haben, daß die Technik,
+durch deren Arsenal ich Sie eben geführt habe, eine besonders schwierige
+ist. Ich meine, sie ist dem Gegenstande, den sie bewältigen soll,
+durchaus angemessen. Aber so viel ist sicher, daß sie nicht
+selbstverständlich ist, daß sie erlernt werden muß wie die histologische
+oder die chirurgische. Es wird Sie vielleicht verwundern, zu hören, daß
+wir in Europa eine Menge von Urteilen über die Psychoanalyse von
+Personen gehört haben, die von dieser Technik nichts wissen und sie
+nicht anwenden, und dann von uns wie im Hohne verlangten, wir sollten
+ihnen die Richtigkeit unserer Resultate beweisen. Es sind unter diesen
+Widersachern gewiß auch Personen, denen wissenschaftliche Denkweise
+sonst nicht fremd ist, die z. B. ein Ergebnis mikroskopischer
+Untersuchung nicht darum verwerfen würden, weil es am anatomischen
+Präparat nicht mit freiem Auge zu bestätigen ist, und nicht eher, als
+bis sie den Sachverhalt selbst mit Hilfe des Mikroskops beurteilt haben.
+Aber in Sachen der Psychoanalyse liegen die Verhältnisse wirklich
+ungünstiger für die Anerkennung. Die Psychoanalyse will das im
+Seelenleben Verdrängte zur bewußten Anerkennung bringen, und jeder, der
+sie beurteilt, ist selbst ein Mensch, der solche Verdrängungen besitzt,
+vielleicht sie nur mühsam aufrecht erhält. Sie muß also bei ihm
+denselben Widerstand hervorrufen, den sie bei den Kranken weckt, und
+dieser Widerstand hat es leicht, sich in intellektuelle Ablehnung zu
+verkleiden und Argumente herbeizuziehen, ähnlich wie die, welche wir bei
+unseren Kranken mit der psychoanalytischen Grundregel abwehren. Wie bei
+unseren Kranken, so können wir auch bei unseren Gegnern häufig eine sehr
+auffällige affektive Beeinflussung des Urteilsvermögens im Sinne einer
+Herabsetzung konstatieren. Der Dünkel des Bewußtseins, der z. B. den
+Traum so geringschätzig verwirft, gehört zu den stärksten
+Schutzeinrichtungen, die in uns ganz allgemein gegen das Durchdringen
+der unbewußten Komplexe vorgesehen sind, und darum ist es so schwierig,
+die Menschen zur Überzeugung von der Realität des Unbewußten zu bringen
+und sie Neues kennen zu lehren, was ihrer bewußten Kenntnis
+widerspricht.
+
+
+
+
+ IV.
+
+
+Meine Damen und Herren! Sie werden nun zu wissen verlangen, was wir mit
+Hilfe der beschriebenen technischen Mittel über die pathogenen Komplexe
+und verdrängten Wunschregungen der Neurotiker in Erfahrung gebracht
+haben.
+
+Nun vor allem eines: Die psychoanalytische Forschung führt mit wirklich
+überraschender Regelmäßigkeit die Leidenssymptome der Kranken auf
+Eindrücke aus ihrem Liebesleben zurück, zeigt uns, daß die pathogenen
+Wunschregungen von der Natur erotischer Triebkomponenten sind, und
+nötigt uns anzunehmen, daß Störungen der Erotik die größte Bedeutung
+unter den zur Erkrankung führenden Einflüssen zugesprochen werden muß,
+und dies zwar bei beiden Geschlechtern.
+
+Ich weiß, diese Behauptung wird mir nicht gerne geglaubt. Selbst solche
+Forscher, die meinen psychologischen Arbeiten bereitwillig folgen, sind
+geneigt zu meinen, daß ich den ätiologischen Anteil der sexuellen
+Momente überschätze, und wenden sich an mich mit der Frage, warum denn
+nicht auch andere seelische Erregungen zu den beschriebenen Phänomenen
+der Verdrängung und Ersatzbildung Anlaß geben sollen. Nun ich kann
+antworten: Ich weiß nicht, warum sie es nicht sollten, habe auch nichts
+dagegen, aber die Erfahrung zeigt, daß sie solche Bedeutung nicht haben,
+daß sie höchstens die Wirkung der sexuellen Momente unterstützen, nie
+aber die letzteren ersetzen können. Dieser Sachverhalt wurde von mir
+nicht etwa theoretisch postuliert; noch in den 1895 mit Dr. J. _Breuer_
+publizierten Studien über Hysterie stand ich nicht auf diesem
+Standpunkte; ich mußte mich zu ihm bekehren, als meine Erfahrungen
+zahlreicher wurden und tiefer in den Gegenstand eindrangen. Meine
+Herren! Es befinden sich hier unter Ihnen einige meiner nächsten Freunde
+und Anhänger, die die Reise nach Worcester mit mir gemacht haben. Fragen
+Sie bei ihnen an und Sie werden hören, daß sie alle der Behauptung von
+der maßgebenden Bedeutung der sexuellen Ätiologie zuerst vollen
+Unglauben entgegenbrachten, bis sie durch ihre eigenen analytischen
+Bemühungen genötigt wurden, sie zu der ihrigen zu machen.
+
+Die Überzeugung von der Richtigkeit des in Rede stehenden Satzes wird
+durch das Benehmen der Patienten nicht gerade erleichtert. Anstatt uns
+die Auskünfte über ihr Sexualleben bereitwillig entgegenzubringen,
+suchen sie dieses mit allen Mitteln zu verbergen. Die Menschen sind
+überhaupt nicht aufrichtig in sexuellen Dingen. Sie zeigen ihre
+Sexualität nicht frei, sondern tragen eine dicke Oberkleidung aus --
+Lügengewebe zu ihrer Verhüllung, als ob es schlechtes Wetter gäbe in
+der Welt der Sexualität. Und sie haben nicht unrecht, Sonne und Wind
+sind in unserer Kulturwelt der sexuellen Betätigung wirklich nicht
+günstig; eigentlich kann niemand von uns seine Erotik frei den anderen
+enthüllen. Wenn Ihre Patienten aber erst gemerkt haben, daß sie sich's
+in Ihrer Behandlung behaglich machen dürfen, dann legen sie jene
+Lügenhülle ab, und dann erst sind Sie in der Lage, sich ein Urteil über
+unsere Streitfrage zu bilden. Leider sind auch die Ärzte in ihrem
+persönlichen Verhältnis zu den Fragen des Sexuallebens vor anderen
+Menschenkindern nicht bevorzugt, und viele von ihnen stehen unter dem
+Banne jener Vereinigung von Prüderie und Lüsternheit, welche das
+Verhalten der meisten »Kulturmenschen« in Sachen der Sexualität
+beherrscht.
+
+Lassen Sie uns nun in der Mitteilung unserer Ergebnisse fortfahren. In
+einer anderen Reihe von Fällen führt die psychoanalytische Erforschung
+die Symptome allerdings nicht auf sexuelle, sondern auf banale
+traumatische Erlebnisse zurück. Aber diese Unterscheidung wird durch
+einen anderen Umstand bedeutungslos. Die zur gründlichen Aufklärung und
+endgültigen Herstellung eines Krankheitsfalles erforderliche
+Analysenarbeit macht nämlich in keinem Falle bei den Erlebnissen der
+Erkrankungszeit Halt, sondern sie geht in allen Fällen bis in die
+Pubertät und in die frühe Kindheit des Erkrankten zurück, um erst dort
+auf die für die spätere Erkrankung bestimmenden Eindrücke und Vorfälle
+zu stoßen. Erst die Erlebnisse der Kindheit geben die Erklärung für die
+Empfindlichkeit gegen spätere Traumen, und nur durch die Aufdeckung und
+Bewußtmachung dieser fast regelmäßig vergessenen Erinnerungsspuren
+erwerben wir die Macht zur Beseitigung der Symptome. Wir gelangen hier
+zu dem gleichen Ergebnis wie bei der Erforschung der Träume, daß es die
+unvergänglichen, verdrängten Wunschregungen der Kindheit sind, die ihre
+Macht zur Symptombildung geliehen haben, ohne welche die Reaktion auf
+spätere Traumen normal verlaufen wäre. Diese mächtigen Wunschregungen
+der Kindheit dürfen wir aber ganz allgemein als sexuelle bezeichnen.
+
+Jetzt bin ich aber erst recht Ihrer Verwunderung sicher. Gibt es denn
+eine infantile Sexualität? werden Sie fragen. Ist das Kindesalter nicht
+vielmehr die Lebensperiode, die durch das Fehlen des Sexualtriebes
+ausgezeichnet ist? Nein, meine Herren, es ist gewiß nicht so, daß der
+Sexualtrieb zur Pubertätszeit in die Kinder fährt, wie im Evangelium der
+Teufel in die Säue. Das Kind hat seine sexuellen Triebe und
+Betätigungen von Anfang an, es bringt sie mit auf die Welt, und aus
+ihnen geht durch eine bedeutungsvolle, an Etappen reiche Entwicklung die
+sogenannte normale Sexualität des Erwachsenen hervor. Es ist nicht
+einmal schwer, die Äußerungen dieser kindlichen Sexualbetätigung zu
+beobachten; es gehört vielmehr eine gewisse Kunst dazu, sie zu übersehen
+oder wegzudeuten.
+
+Durch die Gunst des Schicksals bin ich in die Lage versetzt, einen
+Zeugen für meine Behauptungen aus Ihrer Mitte selbst anzurufen. Ich
+zeige Ihnen hier die Arbeit eines Dr. _Sanford Bell_, die 1902 im
+»American Journal of Psychology« abgedruckt worden ist. Der Autor ist
+ein Fellow der Clark University, desselben Instituts, in dessen Räumen
+wir jetzt stehen. In dieser Arbeit, betitelt: A preliminary study of the
+emotion of love between the sexes, die drei Jahre vor meinen »Drei
+Abhandlungen zur Sexualtheorie« erschienen ist, sagt der Autor ganz so,
+wie ich Ihnen eben sagte: The emotion of sex-love.... does not make its
+appearance for the first time at the period of adolescence, as has been
+thought. Er hat, wie wir in Europa sagen würden, im amerikanischen Stil
+gearbeitet; nicht weniger als 2500 positive Beobachtungen im Laufe von
+15 Jahren gesammelt, darunter 800 eigene. Von den Zeichen, durch die
+sich diese Verliebtheiten kundgeben, äußert er: The unprejudiced mind in
+observing these manifestations in hundreds of couples of children cannot
+escape referring them to sex origin. The most exacting mind is satisfied
+when to these observations are added the confessions of those who have
+as children, experienced the emotion to a marked degree of intensity,
+and whose memories of childhood are relatively distinct. Am meisten aber
+werden diejenigen von Ihnen, die an die infantile Sexualität nicht
+glauben wollten, überrascht sein zu hören, daß unter diesen früh
+verliebten Kindern nicht wenige sich im zarten Alter von drei, vier und
+fünf Jahren befinden.
+
+Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie diesen Beobachtungen eines
+engsten Landsmannes eher Glauben schenken würden als den meinigen. Mir
+selbst ist es vor kurzem geglückt, aus der Analyse eines fünfjährigen,
+an Angst leidenden Knaben, die dessen eigener Vater kunstgerecht mit ihm
+vorgenommen,[14] ein ziemlich vollständiges Bild der somatischen
+Triebäußerungen und der seelischen Produktionen auf einer frühen Stufe
+des kindlichen Liebeslebens zu gewinnen. Und ich darf Sie daran
+erinnern, daß mein Freund Dr. C. G. _Jung_ Ihnen in diesem Saale vor
+wenigen Stunden die Beobachtung eines noch jüngeren Mädchens vorlas,
+welches aus dem gleichen Anlaß wie mein Patient -- bei der Geburt eines
+Geschwisterchens -- fast die nämlichen sinnlichen Regungen, Wunsch- und
+Komplexbildungen, mit Sicherheit erraten ließ. Ich verzweifle also nicht
+daran, daß Sie sich mit der anfänglich befremdlichen Idee der infantilen
+Sexualität befreunden werden, und möchte Ihnen noch das rühmliche
+Beispiel des Züricher Psychiaters E. _Bleuler_ vorhalten, der noch vor
+wenigen Jahren öffentlich äußerte, »er stehe meinen sexuellen Theorien
+ohne Verständnis gegenüber«, und seither die infantile Sexualität in
+ihrem vollen Umfang durch eigene Beobachtungen bestätigt hat.[15]
+
+ [14] Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben. Jahrbuch für
+ psychoanalyt. und psychopathologische Forschungen. Bd. I,
+ 1. Hälfte, 1909.
+
+ [15] _Bleuler_, Sexuelle Abnormitäten der Kinder. Jahrbuch der
+ schweiz. Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, IX, 1908.
+
+Wenn die meisten Menschen, ärztliche Beobachter oder andere, vom
+Sexualleben des Kindes nichts wissen wollen, so ist dies nur zu leicht
+erklärlich. Sie haben ihre eigene infantile Sexualbetätigung unter dem
+Drucke der Erziehung zur Kultur vergessen und wollen nun an das
+Verdrängte nicht erinnert werden. Sie würden zu anderen Überzeugungen
+gelangen, wenn sie die Untersuchung mit einer Selbstanalyse, einer
+Revision und Deutung ihrer Kindheitserinnerungen beginnen würden.
+
+Lassen Sie die Zweifel fallen und gehen Sie mit mir an eine Würdigung
+der infantilen Sexualität von den frühesten Jahren an.[16] Der
+Sexualtrieb des Kindes erweist sich als hoch zusammengesetzt, er läßt
+eine Zerlegung in viele Komponenten zu, die aus verschiedenen Quellen
+stammen. Er ist vor allem noch unabhängig von der Funktion der
+Fortpflanzung, in deren Dienst er sich später stellen wird. Er dient der
+Gewinnung verschiedener Arten von Lustempfindung, die wir nach Analogien
+und Zusammenhängen als Sexuallust zusammenfassen. Die Hauptquelle der
+infantilen Sexuallust ist die geeignete Erregung bestimmter, besonders
+reizbarer Körperstellen, außer den Genitalien, der Mund-, After- und
+Harnröhrenöffnung, aber auch der Haut und anderer Sinnesoberflächen. Da
+in dieser ersten Phase des kindlichen Sexuallebens die Befriedigung am
+eigenen Körper gefunden und von einem fremden Objekt abgesehen wird,
+heißen wir die Phase nach einem von _Havelock Ellis_ geprägten Wort die
+des _Autoerotismus_. Jene für die Gewinnung von sexueller Lust
+bedeutsamen Stellen nennen wir _erogene Zonen_. Das Ludeln oder
+Wonnesaugen der kleinsten Kinder ist ein gutes Beispiel einer solchen
+autoerotischen Befriedigung von einer erogenen Zone aus; der erste
+wissenschaftliche Beobachter dieses Phänomens, ein Kinderarzt namens
+_Lindner_ in Budapest, hat es bereits richtig als Sexualbefriedigung
+gedeutet und dessen Übergang in andere und höhere Formen der
+Sexualbetätigung erschöpfend beschrieben.[17] Eine andere
+Sexualbefriedigung dieser Lebenszeit ist die masturbatorische Erregung
+der Genitalien, die eine so große Bedeutung für das spätere Leben behält
+und von vielen Individuen überhaupt nie völlig überwunden wird. Neben
+diesen und anderen autoerotischen Betätigungen äußern sich sehr
+frühzeitig beim Kinde jene Triebkomponenten der Sexuallust oder, wie wir
+gern sagen, der Libido, die eine fremde Person als Objekt zur
+Voraussetzung nehmen. Diese Triebe treten in Gegensatzpaaren auf, als
+aktive und passive; ich nenne Ihnen als die wichtigsten Vertreter dieser
+Gruppe die Lust, Schmerzen zu bereiten (Sadismus), mit ihrem passiven
+Gegenspiel (Masochismus), und die aktive und passive Schaulust, von
+welch ersterer später die Wißbegierde abzweigt, wie von letzterer der
+Drang zur künstlerischen und schauspielerischen Schaustellung. Andere
+Sexualbetätigungen des Kindes fallen bereits unter den Gesichtspunkt der
+_Objektwahl_, bei welcher eine fremde Person zur Hauptsache wird, die
+ihre Bedeutung ursprünglich Rücksichten des Selbsterhaltungstriebes
+verdankt. Der Geschlechtsunterschied spielt aber in dieser kindlichen
+Periode noch keine ausschlaggebende Rolle; Sie können so jedem Kinde,
+ohne ihm Unrecht zu tun, ein Stück homosexueller Begabung zusprechen.
+
+ [16] Drei Vorlesungen zur Sexualtheorie, Wien, Fr. Deuticke, 1906,
+ 2. Auflage, 1910.
+
+ [17] Jahrbuch für Kinderheilkunde, 1879.
+
+Dies zerfahrene, reichhaltige, aber dissoziierte Sexualleben des Kindes,
+in welchem der einzelne Trieb unabhängig von jedem anderen dem
+Lusterwerbe nachgeht, erfährt nun eine Zusammenfassung und Organisation
+nach zwei Hauptrichtungen, so daß mit Abschluß der Pubertätszeit der
+definitive Sexualcharakter des Individuums meist fertig ausgebildet ist.
+Einerseits unterordnen sich die einzelnen Triebe der Oberherrschaft der
+Genitalzone, wodurch das ganze Sexualleben in den Dienst der
+Fortpflanzung tritt, und ihre Befriedigung nur noch als Vorbereitung und
+Begünstigung des eigentlichen Sexualaktes von Bedeutung bleibt.
+Anderseits drängt die Objektwahl den Autoerotismus zurück, so daß nun im
+Liebesleben alle Komponenten des Sexualtriebes an der geliebten Person
+befriedigt werden wollen. Aber nicht alle ursprünglichen
+Triebkomponenten werden zu einem Anteil an dieser endgültigen
+Feststellung des Sexuallebens zugelassen. Noch vor der Pubertätszeit
+sind unter dem Einfluß der Erziehung äußerst energische Verdrängungen
+gewisser Triebe durchgesetzt und seelische Mächte wie Scham, Ekel, Moral
+hergestellt worden, welche diese Verdrängungen wie Wächter unterhalten.
+Kommt dann im Pubertätsalter die Hochflut der sexuellen Bedürftigkeit,
+so findet sie an den genannten seelischen Reaktions- oder
+Widerstandsbildungen Dämme, welche ihr den Ablauf in die sogenannten
+normalen Wege vorschreiben und es ihr unmöglich machen, die der
+Verdrängung unterlegenen Triebe neu zu beleben. Es sind besonders die
+_koprophilen_, d. h. die mit den Exkrementen zusammenhängenden
+Lustregungen der Kindheit, welche von der Verdrängung am gründlichsten
+betroffen werden, und ferner die Fixierung an die Personen der
+primitiven Objektwahl.
+
+Meine Herren! Ein Satz der allgemeinen Pathologie sagt aus, daß jeder
+Entwicklungsvorgang die Keime der pathologischen Disposition mit sich
+bringt, insofern er gehemmt, verzögert werden oder unvollkommen ablaufen
+kann. Dasselbe gilt für die so komplizierte Entwicklung der
+Sexualfunktion. Sie wird nicht bei allen Individuen glatt durchgemacht
+und hinterläßt dann entweder Abnormitäten oder Dispositionen zu späterer
+Erkrankung auf dem Wege der Rückbildung (Regression). Es kann geschehen,
+daß nicht alle Partialtriebe sich der Herrschaft der Genitalzone
+unterwerfen; ein solcher unabhängig gebliebener Trieb stellt dann das
+her, was wir eine _Perversion_ nennen, und was das normale Sexualziel
+durch sein eigenes ersetzen kann. Es kommt, wie bereits erwähnt, sehr
+häufig vor, daß der Autoerotismus nicht völlig überwunden wird, wovon
+die mannigfaltigsten Störungen in der Folge Zeugnis ablegen. Die
+ursprüngliche Gleichwertigkeit beider Geschlechter als Sexualobjekte
+kann sich erhalten, und daraus wird sich eine Neigung zur homosexuellen
+Betätigung im reifen Leben ergeben, die sich unter Umständen zur
+ausschließlichen Homosexualität steigern kann. Diese Reihe von Störungen
+entspricht den direkten Entwicklungshemmungen der Sexualfunktion; sie
+umfaßt die _Perversionen_ und den gar nicht seltenen allgemeinen
+_Infantilismus_ des Sexuallebens.
+
+Die Disposition zu den Neurosen ist auf andere Weise von einer
+Schädigung der Sexualentwicklung abzuleiten. Die Neurosen verhalten sich
+zu den Perversionen wie das Negativ zum Positiv; in ihnen sind dieselben
+Triebkomponenten als Träger der Komplexe und Symptombildner nachweisbar
+wie bei den Perversionen, aber sie wirken hier vom Unbewußten her; sie
+haben also eine Verdrängung erfahren, konnten sich aber derselben zum
+Trotze im Unbewußten behaupten. Die Psychoanalyse läßt uns erkennen, daß
+überstarke Äußerung dieser Triebe in sehr frühen Zeiten zu einer Art von
+partieller _Fixierung_ führt, die nun einen schwachen Punkt im Gefüge
+der Sexualfunktion darstellt. Stößt die Ausübung der normalen
+Sexualfunktion im reifen Leben auf Hindernisse, so wird die Verdrängung
+der Entwicklungszeit gerade an jenen Stellen durchbrochen, wo die
+infantilen Fixierungen stattgefunden haben.
+
+Sie werden jetzt vielleicht den Einwand machen: Aber das ist ja alles
+nicht Sexualität. Ich gebrauchte das Wort in einem viel weiteren Sinne,
+als Sie gewohnt sind, es zu verstehen. Das gebe ich Ihnen gern zu. Aber
+es fragt sich, ob nicht vielmehr Sie das Wort in viel zu engem Sinne
+gebrauchen, wenn Sie es auf das Gebiet der Fortpflanzung einschränken.
+Sie opfern dabei das Verständnis der Perversionen, den Zusammenhang
+zwischen Perversion, Neurose und normalem Sexualleben, und setzen sich
+außer stande, die leicht zu beobachtenden Anfänge des somatischen und
+seelischen Liebeslebens der Kinder nach ihrer wahren Bedeutung zu
+erkennen. Wie immer Sie aber über den Wortgebrauch entscheiden wollen,
+halten Sie daran fest, daß der Psychoanalytiker die Sexualität in jenem
+vollen Sinne erfaßt, zu dem man durch die Würdigung der infantilen
+Sexualität geleitet wird.
+
+Kehren wir nun nochmals zur Sexualentwicklung des Kindes zurück. Wir
+haben hier manches nachzuholen, weil wir unsere Aufmerksamkeit mehr den
+somatischen als den seelischen Äußerungen des Sexuallebens geschenkt
+haben. Die primitive Objektwahl des Kindes, die sich von seiner
+Hilfsbedürftigkeit ableitet, fordert unser weiteres Interesse heraus.
+Sie wendet sich zunächst allen Pflegepersonen zu, die aber bald hinter
+den Eltern zurücktreten. Die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern ist,
+wie direkte Beobachtung des Kindes und spätere analytische Erforschung
+des Erwachsenen übereinstimmend dartun, keineswegs frei von Elementen
+sexueller Miterregung. Das Kind nimmt beide Elternteile und einen Teil
+besonders zum Objekt seiner erotischen Wünsche. Gewöhnlich folgt es
+dabei selbst einer Anregung der Eltern, deren Zärtlichkeit die
+deutlichsten Charaktere einer, wenn auch in ihren Zielen gehemmten,
+Sexualbetätigung hat. Der Vater bevorzugt in der Regel die Tochter, die
+Mutter den Sohn; das Kind reagiert hierauf, indem es sich als Sohn an
+die Stelle des Vaters, als Tochter an die Stelle der Mutter wünscht.
+Die Gefühle, die in diesen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und
+in den daran angelehnten zwischen den Geschwistern untereinander geweckt
+werden, sind nicht nur positiver, zärtlicher, sondern auch negativer,
+feindseliger Art. Der so gebildete Komplex ist zur baldigen Verdrängung
+bestimmt, aber er übt noch vom Unbewußten her eine großartige und
+nachhaltige Wirkung aus. Wir dürfen die Vermutung aussprechen, daß er
+mit seinen Ausläufern den _Kernkomplex_ einer jeden Neurose darstellt,
+und wir sind darauf gefaßt, ihn auf anderen Gebieten des Seelenlebens
+nicht minder wirksam anzutreffen. Der Mythus vom König _Ödipus_, der
+seinen Vater tötet und seine Mutter zum Weib gewinnt, ist eine noch
+wenig abgeänderte Offenbarung des infantilen Wunsches, dem sich
+späterhin die _Inzest_schranke abweisend entgegenstellt. Die
+_Hamlet_-Dichtung _Shakespeares_ ruht auf demselben Boden des besser
+verhüllten Inzestkomplexes.
+
+Um die Zeit, da das Kind von dem noch unverdrängten Kernkomplex
+beherrscht wird, setzt ein bedeutungsvolles Stück seiner intellektuellen
+Betätigung im Dienste der Sexualinteressen ein. Es beginnt zu forschen,
+woher die Kinder kommen, und errät in Verwertung der ihm gebotenen
+Anzeichen mehr von den wirklichen Verhältnissen, als die Erwachsenen
+ahnen können. Gewöhnlich hat die materielle Bedrohung durch ein neu
+angekommenes Kind, in dem es zunächst nur den Konkurrenten erblickt,
+sein Forscherinteresse geweckt. Unter dem Einfluß der in ihm selbst
+tätigen Partialtriebe gelangt es zu einer Anzahl von »_infantilen
+Sexualtheorien_«, wie daß es beiden Geschlechtern das gleiche männliche
+Genitale zuspricht, daß es die Kinder durch Essen empfangen und durch
+das Ende des Darmes gebären läßt, und daß es den Verkehr der
+Geschlechter als einen feindseligen Akt, eine Art von Überwältigung
+erfaßt. Aber gerade die Unfertigkeit seiner sexuellen Konstitution und
+die Lücke in seinen Kenntnissen, die durch die Latenz des weiblichen
+Geschlechtskanals gegeben ist, nötigt den infantilen Forscher, seine
+Arbeit als erfolglos einzustellen. Die Tatsache dieser Kinderforschung
+selbst, sowie die einzelnen durch sie zu Tage geförderten infantilen
+Sexualtheorien bleiben von bestimmender Bedeutung für die
+Charakterbildung des Kindes und den Inhalt seiner späteren neurotischen
+Erkrankung.
+
+Es ist unvermeidlich und durchaus normal, daß das Kind die Eltern zu
+Objekten seiner ersten Liebeswahl mache. Aber seine Libido soll nicht an
+diese ersten Objekte fixiert bleiben, sondern sie späterhin bloß zum
+Vorbild nehmen und von ihnen zur Zeit der definitiven Objektwahl auf
+fremde Personen hinübergleiten. Die _Ablösung_ des Kindes von den Eltern
+wird so zu einer unentrinnbaren Aufgabe, wenn die soziale Tüchtigkeit
+des jungen Individuums nicht gefährdet werden soll. Während der Zeit, da
+die Verdrängung die Auslese unter den Partialtrieben der Sexualität
+trifft, und später, wenn der Einfluß der Eltern gelockert werden soll,
+der den Aufwand für diese Verdrängungen im wesentlichen bestritten hat,
+fallen der Erziehungsarbeit große Aufgaben zu, die gegenwärtig gewiß
+nicht immer in verständnisvoller und einwandfreier Weise erledigt
+werden.
+
+Meine Herren! Urteilen Sie nicht etwa, daß wir uns mit diesen
+Erörterungen über das Sexualleben und die psychosexuelle Entwicklung des
+Kindes allzu weit von der Psychoanalyse und von der Aufgabe der
+Beseitigung nervöser Störungen entfernt haben. Wenn Sie wollen, können
+Sie die psychoanalytische Behandlung nur als eine fortgesetzte Erziehung
+zur Überwindung von Kindheitsresten beschreiben.
+
+
+
+
+ V.
+
+
+Meine Damen und Herren! Mit der Aufdeckung der infantilen Sexualität und
+der Zurückführung der neurotischen Symptome auf erotische
+Triebkomponenten sind wir zu einigen unerwarteten Formeln über das Wesen
+und die Tendenzen der neurotischen Erkrankungen gelangt. Wir sehen, daß
+die Menschen erkranken, wenn ihnen infolge äußerer Hindernisse oder
+inneren Mangels an Anpassung die Befriedigung ihrer erotischen
+Bedürfnisse in der _Realität_ versagt ist. Wir sehen, daß sie sich dann
+in die _Krankheit flüchten_, um mit ihrer Hilfe eine Ersatzbefriedigung
+für das Versagte zu finden. Wir erkennen, daß die krankhaften Symptome
+ein Stück der Sexualbetätigung der Person oder deren ganzes Sexualleben
+enthalten, und finden in der Fernhaltung von der Realität die
+Haupttendenz, aber auch den Hauptschaden des Krankseins. Wir ahnen, daß
+der Widerstand unserer Kranken gegen die Herstellung kein einfacher,
+sondern aus mehreren Motiven zusammengesetzt ist. Es sträubt sich nicht
+nur das Ich des Kranken dagegen, die Verdrängungen aufzugeben, durch
+welche es sich aus den ursprünglichen Anlagen herausgehoben hat, sondern
+auch die Sexualtriebe mögen nicht auf ihre Ersatzbefriedigung
+verzichten, solange es unsicher ist, ob ihnen die Realität etwas
+Besseres bieten wird.
+
+Die Flucht aus der unbefriedigenden Wirklichkeit in das, was wir wegen
+seiner biologischen Schädlichkeit Krankheit nennen, was aber niemals
+ohne einen unmittelbaren Lustgewinn für den Kranken ist, vollzieht sich
+auf dem Wege der Rückbildung (_Regression_), der Rückkehr zu früheren
+Phasen des Sexuallebens, denen seinerzeit die Befriedigung nicht
+abgegangen ist. Diese Regression ist anscheinend eine zweifache, eine
+_zeitliche_, insofern die Libido, das erotische Bedürfnis, auf zeitlich
+frühere Entwicklungsstufen zurückgreift, und eine _formale_, indem zur
+Äußerung dieses Bedürfnisses die ursprünglichen und primitiven
+psychischen Ausdrucksmittel verwendet werden. Beide Arten der Regression
+zielen aber auf die Kindheit und treffen zusammen in der Herstellung
+eines infantilen Zustands des Sexuallebens.
+
+Je tiefer Sie in die Pathogenese der nervösen Erkrankung eindringen,
+desto mehr wird sich Ihnen der Zusammenhang der Neurosen mit anderen
+Produktionen des menschlichen Seelenlebens, auch mit den wertvollsten
+derselben, enthüllen. Sie werden daran gemahnt, daß wir Menschen mit den
+hohen Ansprüchen unserer Kultur und unter dem Drucke unserer inneren
+Verdrängungen, die Wirklichkeit ganz allgemein unbefriedigend finden und
+darum ein Phantasieleben unterhalten, in welchem wir durch Produktionen
+von Wunscherfüllungen die Mängel der Realität auszugleichen lieben. In
+diesen Phantasien ist sehr vieles von dem eigentlichen konstitutionellen
+Wesen der Persönlichkeit und auch von ihren für die Wirklichkeit
+verdrängten Regungen enthalten. Der energische und erfolgreiche Mensch
+ist der, dem es gelingt, durch Arbeit seine Wunschphantasien in Realität
+umzusetzen. Wo dies nicht gelingt infolge der Widerstände der Außenwelt
+und der Schwäche des Individuums, da tritt die Abwendung von der
+Realität ein, das Individuum zieht sich in seine befriedigendere
+Phantasiewelt zurück, deren Inhalt es im Falle der Erkrankung in
+Symptome umsetzt. Unter gewissen günstigen Bedingungen bleibt es ihm
+noch möglich, von diesen Phantasien aus einen anderen Weg in die
+Realität zu finden, anstatt sich ihr durch Regression ins Infantile
+dauernd zu entfremden. Wenn die mit der Realität verfeindete Person im
+Besitze der uns psychologisch noch rätselhaften _künstlerischen
+Begabung_ ist, kann sie ihre Phantasien anstatt in Symptome in
+künstlerische Schöpfungen umsetzen, so dem Schicksal der Neurose
+entgehen und die Beziehung zur Realität auf diesem Umwege
+wiedergewinnen.[18] Wo bei bestehender Auflehnung gegen die reale Welt
+diese kostbare Begabung fehlt oder unzulänglich ist, da wird es wohl
+unvermeidlich, daß die Libido, der Herkunft der Phantasie folgend, auf
+dem Wege der Regression zur Wiederbelebung der infantilen Wünsche und
+somit zur Neurose gelangt. Die Neurose vertritt in unserer Zeit das
+Kloster, in welches sich alle die Personen zurückzuziehen pflegten, die
+das Leben enttäuscht hatte, oder die sich für das Leben zu schwach
+fühlten.
+
+ [18] Vgl. O. _Rank_, Der Künstler, H. Heller, Wien 1907.
+
+Lassen Sie mich an dieser Stelle das Hauptergebnis einfügen, zu welchem
+wir durch die psychoanalytische Untersuchung der Nervösen gelangt sind,
+daß die Neurosen keinen ihnen eigentümlichen psychischen Inhalt haben,
+der nicht auch beim Gesunden zu finden wäre, oder wie _C. G. Jung_ es
+ausgedrückt hat, daß sie an denselben Komplexen erkranken, mit denen
+auch wir Gesunde kämpfen. Es hängt von quantitativen Verhältnissen, von
+den Relationen der miteinander ringenden Kräfte ab, ob der Kampf zur
+Gesundheit, zur Neurose oder zur kompensierenden Überleistung führt.
+
+Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen die wichtigste Erfahrung noch
+vorenthalten, welche unsere Annahme von den sexuellen Triebkräften der
+Neurose bestätigt. Jedesmal wenn wir einen Nervösen psychoanalytisch
+behandeln, tritt bei ihm das befremdende Phänomens der sogenannten
+_Übertragung_ auf, d. h. er wendet dem Arzt ein Ausmaß von zärtlichen,
+oft genug mit Feindseligkeit vermengten Regungen zu, welches in keiner
+realen Beziehung begründet ist und nach allen Einzelheiten seines
+Auftretens von den alten und unbewußt gewordenen Phantasiewünschen des
+Kranken abgeleitet werden muß. Jenes Stück seines Gefühlslebens, das er
+sich nicht mehr in die Erinnerung zurückrufen kann, erlebt der Kranke
+also in seinem Verhältnisse zum Arzte wieder, und erst durch solches
+Wiedererleben in der »Übertragung« wird er von der Existenz wie von der
+Macht dieser unbewußten sexuellen Regungen überzeugt. Die Symptome,
+welche, um ein Gleichnis aus der Chemie zu gebrauchen, die Niederschläge
+von früheren Liebeserlebnissen (im weitesten Sinne) sind, können auch
+nur in der erhöhten Temperatur des Übertragungserlebnisses gelöst und in
+andere psychische Produkte übergeführt werden. Der Arzt spielt bei
+dieser Reaktion nach einem vortrefflichen Worte von S. _Ferenczi_[19]
+die Rolle eines _katalytischen Ferments_, das die bei dem Prozesse frei
+werdenden Affekte zeitweilig an sich reißt. Das Studium der Übertragung
+kann Ihnen auch den Schlüssel zum Verständnis der hypnotischen
+Suggestion geben, deren wir uns anfänglich als technisches Mittel zur
+Erforschung des Unbewußten bei unseren Kranken bedient hatten. Die
+Hypnose erwies sich damals als eine therapeutische Hilfe, aber als ein
+Hindernis der wissenschaftlichen Erkenntnis des Sachverhaltes, indem sie
+die psychischen Widerstände aus einem gewissen Gebiet wegräumte, um sie
+an den Grenzen desselben zu einem unübersteigbaren Wall aufzutürmen.
+Glauben Sie übrigens nicht, daß das Phänomen der Übertragung, über das
+ich Ihnen leider hier nur zu wenig sagen kann, durch die
+psychoanalytische Beeinflussung geschaffen wird. Die Übertragung stellt
+sich in allen menschlichen Beziehungen ebenso wie im Verhältnis des
+Kranken zum Arzte spontan her, sie ist überall der eigentliche Träger
+der therapeutischen Beeinflussung, und sie wirkt um so stärker, je
+weniger man ihr Vorhandensein ahnt. Die Psychoanalyse schafft sie also
+nicht, sie deckt sie bloß dem Bewußtsein auf, und bemächtigt sich ihrer,
+um die psychischen Vorgänge nach dem erwünschten Ziele zu lenken. Ich
+kann aber das Thema der Übertragung nicht verlassen, ohne hervorzuheben,
+daß dieses Phänomen nicht nur für die Überzeugung des Kranken, sondern
+auch für die des Arztes entscheidend in Betracht kommt. Ich weiß, daß
+alle meine Anhänger erst durch ihre Erfahrungen mit der Übertragung von
+der Richtigkeit meiner Behauptungen über die Pathogenese der Neurosen
+überzeugt worden sind, und kann sehr wohl begreifen, daß man eine solche
+Sicherheit des Urteils nicht gewinnt, solange man selbst keine
+Psychoanalysen gemacht, also nicht selbst die Wirkungen der Übertragung
+beobachtet hat.
+
+ [19] S. _Ferenczi_, Introjektion und Übertragung. Jahrb. f.
+ psychoanal. u. psychopath. Forschungen, I. 2. 1909.
+
+Meine Damen und Herren! Ich meine, es sind von der Seite des Intellekts
+besonders zwei Hindernisse gegen die Anerkennung der psychoanalytischen
+Gedankengänge zu würdigen: Erstens die Ungewohnheit, mit der strengen
+und ausnahmslos geltenden Determinierung des seelischen Lebens zu
+rechnen, und zweitens die Unkenntnis der Eigentümlichkeiten, durch
+welche sich unbewußte seelische Vorgänge von den uns vertrauten bewußten
+unterscheiden. Einer der verbreitetsten Widerstände gegen die
+psychoanalytische Arbeit -- bei Kranken wie bei Gesunden -- führt sich
+auf das letztere der beiden Momente zurück. Man fürchtet durch die
+Psychoanalyse zu schaden, man hat Angst davor, die verdrängten sexuellen
+Triebe ins Bewußtsein des Kranken zu rufen, als ob damit die Gefahr
+verbunden wäre, daß sie dann die höheren ethischen Strebungen bei ihm
+überwältigen und ihn seiner kulturellen Errungenschaften berauben
+könnten. Man merkt, daß der Kranke wunde Stellen in seinem Seelenleben
+hat, aber man scheut sich dieselben zu berühren, damit sein Leiden nicht
+noch gesteigert werde. Wir können diese Analogie annehmen. Es ist
+freilich schonender, kranke Stellen nicht zu berühren, wenn man dadurch
+nichts anderes als Schmerz zu bereiten weiß. Aber der Chirurg läßt sich
+bekanntlich von der Untersuchung und Hantierung am Krankheitsherd nicht
+abhalten, wenn er einen Eingriff beabsichtigt, welcher dauernde Heilung
+bringen soll. Niemand denkt mehr daran, ihm die unvermeidlichen
+Beschwerden der Untersuchung oder die Reaktionserscheinungen der
+Operation zur Last zu legen, wenn diese nur ihre Absicht erreicht, und
+der Kranke durch die zeitweilige Verschlimmerung seines Zustands eine
+endgültige Hebung desselben erwirbt. Ähnlich liegen die Verhältnisse für
+die Psychoanalyse; sie darf dieselben Ansprüche erheben wie die
+Chirurgie; der Zuwachs an Beschwerden, den sie dem Kranken während der
+Behandlung zumutet, ist bei guter Technik ungleich geringer, als was der
+Chirurg ihm auferlegt, und überhaupt gegen die Schwere des Grundleidens
+zu vernachlässigen. Der gefürchtete Endausgang aber einer Zerstörung des
+kulturellen Charakters durch die von der Verdrängung befreiten Triebe
+ist ganz unmöglich, denn diese Ängstlichkeit zieht nicht in Betracht,
+was uns unsere Erfahrungen mit Sicherheit gelehrt haben, daß die
+seelische und somatische Macht einer Wunschregung, wenn deren
+Verdrängung einmal mißlungen ist, ungleich stärker ausfällt, wenn sie
+unbewußt, als wenn sie bewußt ist, so daß sie durch das Bewußtmachen nur
+geschwächt werden kann. Der unbewußte Wunsch ist nicht zu beeinflussen,
+von allen Gegenstrebungen unabhängig, während der bewußte durch alles
+gleichfalls Bewußte und ihm Widerstrebende gehemmt wird. Die
+psychoanalytische Arbeit stellt sich also als ein besserer Ersatz für
+die erfolglose Verdrängung geradezu in den Dienst der höchsten und
+wertvollsten kulturellen Strebungen.
+
+Welche sind überhaupt die Schicksale der durch die Psychoanalyse
+freigelegten unbewußten Wünsche, auf welchen Wegen verstehen wir es, sie
+für das Leben des Individuums unschädlich zu machen? Dieser Wege sind
+mehrere. Am häufigsten ist der Erfolg, daß dieselben schon während der
+Arbeit durch die korrekte seelische Tätigkeit der ihnen
+entgegenstehenden besseren Regungen aufgezehrt werden. Die _Verdrängung_
+wird durch eine mit den besten Mitteln durchgeführte _Verurteilung_
+ersetzt. Dies ist möglich, weil wir zum großen Teil nur Folgen aus
+früheren Entwicklungsstadien des Ichs zu beseitigen haben. Das
+Individuum brachte seinerzeit nur eine Verdrängung des unbrauchbaren
+Triebes zu stande, weil es damals selbst noch unvollkommen organisiert
+und schwächlich war; in seiner heutigen Reife und Stärke kann es
+vielleicht das ihm Feindliche tadellos beherrschen. Ein zweiter Ausgang
+der psychoanalytischen Arbeit ist der, daß die aufgedeckten unbewußten
+Triebe nun jener zweckmäßigen Verwendung zugeführt werden können, die
+sie bei ungestörter Entwicklung schon früher hätten finden sollen. Die
+Ausrottung der infantilen Wunschregungen ist nämlich keineswegs das
+ideale Ziel der Entwicklung. Der Neurotiker hat durch seine
+Verdrängungen viele Quellen seelischer Energie eingebüßt, deren Zuflüsse
+für seine Charakterbildung und Betätigung im Leben sehr wertvoll gewesen
+wären. Wir kennen einen weit zweckmäßigeren Vorgang der Entwicklung, die
+sogenannte _Sublimierung_, durch welchen die Energie infantiler
+Wunschregungen nicht abgesperrt wird, sondern verwertet bleibt, indem
+den einzelnen Regungen statt des unbrauchbaren ein höheres, eventuell
+nicht mehr sexuelles Ziel gesetzt wird. Gerade die Komponenten des
+Sexualtriebes sind durch solche Fähigkeit zur Sublimierung, zur
+Vertauschung ihres Sexualzieles mit einem entlegeneren und sozial
+wertvolleren besonders ausgezeichnet. Den auf solche Weise gewonnenen
+Energiebeiträgen zu unseren seelischen Leistungen verdanken wir
+wahrscheinlich die höchsten kulturellen Erfolge. Eine frühzeitig
+vorgefallene Verdrängung schließt die Sublimierung des verdrängten
+Triebes aus; nach Aufhebung der Verdrängung ist der Weg zur Sublimierung
+wieder frei.
+
+Wir dürfen es nicht versäumen, auch den dritten der möglichen Ausgänge
+der psychoanalytischen Arbeit ins Auge zu fassen. Ein gewisser Anteil
+der verdrängten libidinösen Regungen hat ein Anrecht auf direkte
+Befriedigung und soll sie im Leben finden. Unsere Kulturansprüche machen
+für die meisten der menschlichen Organisationen das Leben zu schwer,
+fördern dadurch die Abwendung von der Realität und die Entstehung der
+Neurosen, ohne einen Überschuß von kulturellem Gewinn durch dies Übermaß
+von Sexualverdrängung zu erzielen. Wir sollten uns nicht so weit
+überheben, daß wir das ursprünglich Animalische unserer Natur völlig
+vernachlässigen, dürfen auch nicht daran vergessen, daß die
+Glücksbefriedigung des einzelnen nicht aus den Zielen unserer Kultur
+gestrichen werden kann. Die Plastizität der Sexualkomponenten, die sich
+in ihrer Fähigkeit zur Sublimierung kundgibt, mag ja eine große
+Versuchung herstellen, durch deren immer weiter gehende Sublimierung
+größere Kultureffekte zu erzielen. Aber so wenig wir darauf rechnen, bei
+unseren Maschinen mehr als einen gewissen Bruchteil der aufgewendeten
+Wärme in nutzbare mechanische Arbeit zu verwandeln, so wenig sollten
+wir es anstreben, den Sexualtrieb in seinem ganzen Energieausmaß seinen
+eigentlichen Zwecken zu entfremden. Es kann nicht gelingen, und wenn die
+Einschränkung der Sexualität zu weit getrieben werden soll, muß es alle
+Schädigungen eines Raubbaues mit sich bringen.
+
+Ich weiß nicht, ob Sie nicht Ihrerseits die Mahnung, mit welcher ich
+schließe, als eine Überhebung auffassen werden. Ich getraue mich nur der
+indirekten Darstellung meiner Überzeugung, indem ich Ihnen einen alten
+Schwank erzähle, von dem Sie die Nutzanwendung machen sollen. Die
+deutsche Literatur kennt ein Städtchen _Schilda_, dessen Einwohnern alle
+möglichen klugen Streiche nachgesagt werden. Die Schildbürger, so wird
+erzählt, besaßen auch ein Pferd, mit dessen Kraftleistungen sie sehr
+zufrieden waren, an dem sie nur eines auszusetzen hatten, daß es soviel
+teuern Hafer verzehrte. Sie beschlossen, ihm diese Unart schonend
+abzugewöhnen, indem sie seine Ration täglich um mehrere Halme
+verringerten, bis sie es an die völlige Enthaltsamkeit gewöhnt hatten.
+Es ging eine Weile vortrefflich, das Pferd war bis auf einen Halm im Tag
+entwöhnt, am nächsten Tage sollte es endlich haferfrei arbeiten. Am
+Morgen dieses Tages wurde das tückische Tier tot aufgefunden; die Bürger
+von Schilda konnten sich nicht erklären, woran es gestorben war.
+
+Wir werden geneigt sein zu glauben, das Pferd sei verhungert, und ohne
+eine gewisse Ration Hafer sei von einem Tier überhaupt keine
+Arbeitsleistung zu erwarten.
+
+Ich danke Ihnen für die Berufung und für die Aufmerksamkeit, die Sie mir
+geschenkt haben.
+
+
+
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+ ANMERKUNGEN ZUR TRANSKRIPTION
+
+
+Das Inhaltsverzeichnis in diesem elektronischem Buch entstand aus den
+Überschriften im ursprünglichen Buch.
+
+Nach dem Korrekturlesen auf PGDP, wurden die folgende Korrekturen
+vorgenommen.
+
+Seite 32: fehlende Fußnote Markierung
+Seite 42: unbeanständet -> unbeanstandet
+Seite 57: Unbebewußten -> Unbewußten
+Seite 61: urursprünglich -> ursprünglich
+
+
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+ TRANSCRIBER'S NOTES
+
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+The table of contents in this eBook was created from the page headers in
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+After proofreading on PGDP, the following corrections were made.
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+Page 32: missing footnote marker
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+Page 57: Unbebewußten -> Unbewußten
+Page 61: urursprünglich -> ursprünglich
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
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+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
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+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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Binary files differ
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+<tr><td colspan="2"><b><a href="#TITELSEITE">Titelseite</a> und <a href="#WIDMUNG">Widmung.</a></b></td><td></td></tr>
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+<tr><td colspan="2"><a href="#Page_1"><b>I. Vorlesung.</b></a></td><td><b><a href="#Page_1">1</a></b></td></tr>
+
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_2">&Uuml;ber die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse.</a></td><td><a href="#Page_2">2</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_4">Die Hysterie.</a></td><td><a href="#Page_4">4</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_5">Der Fall Dr. Breuers.</a></td><td><a href="#Page_5">5</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_7">Die &raquo;Talking cure&laquo;.</a></td><td><a href="#Page_7">7</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_8">Die Entstehung der Symptome aus psychischen Traumen.</a></td><td><a href="#Page_8">8</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_10">Symptome als Erinnerungssymbole.</a></td><td><a href="#Page_10">10</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_11">Fixierung an die Traumen.</a></td><td><a href="#Page_11">11</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_12">Das Abreagieren der Affekte.</a></td><td><a href="#Page_12">12</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_13">Die hysterische Konversion.</a></td><td><a href="#Page_13">13</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_14">Die psychische Spaltung.</a></td><td><a href="#Page_14">14</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_15">Hypnoide Zust&auml;nde.</a></td><td><a href="#Page_15">15</a></td></tr>
+
+<tr><td colspan="2"><a href="#Page_16"><b>II. Vorlesung.</b></a></td><td><a href="#Page_16"><b>16</b></a></td></tr>
+
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_17">Charcots und Janets Forschungen.</a></td><td><a href="#Page_17">17</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_18">&Auml;nderung der Technik.</a></td><td><a href="#Page_18">18</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_19">Verzicht auf die Hypnose.</a></td><td><a href="#Page_19">19</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_20">Verdr&auml;ngung und Widerstand.</a></td><td><a href="#Page_20">20</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_21">Beispiel einer Verdr&auml;ngung.</a></td><td><a href="#Page_21">21</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_22">Dynamische Auffassung der seelischen Spaltung.</a></td><td><a href="#Page_22">22</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_24">Symptombildung infolge mi&szlig;gl&uuml;ckter Verdr&auml;ngung.</a></td><td><a href="#Page_24">24</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_26">Ziel der Psychoanalyse.</a></td><td><a href="#Page_26">26</a></td></tr>
+
+<tr><td colspan="2"><a href="#Page_27"><b>III. Vorlesung.</b></a></td><td><b><a href="#Page_27">27</a></b></td></tr>
+
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_28">Die Technik des Erratens aus freien Einf&auml;llen des Kranken.</a></td><td><a href="#Page_28">28</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_30">Die indirekte Darstellung.</a></td><td><a href="#Page_30">30</a></td></tr>
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+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_32">Das Assoziationsexperiment.</a></td><td><a href="#Page_32">32</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_33">Die Traumdeutung.</a></td><td><a href="#Page_33">33</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_34">Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken.</a></td><td><a href="#Page_34">34</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_36">Die Wunscherf&uuml;llung im Traume.</a></td><td><a href="#Page_36">36</a></td></tr>
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+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_38">Die Fehl-, Symptom- und Zufallshandlungen.</a></td><td><a href="#Page_38">38</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_40">Einwendungen gegen die Psychoanalyse.</a></td><td><a href="#Page_40">40</a></td></tr>
+
+<tr><td colspan="2"><a href="#Page_42"><b>IV. Vorlesung.</b></a></td><td><b><a href="#Page_42">42</a></b></td></tr>
+
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_43">Die Sexualit&auml;t in der &Auml;tiologie.</a></td><td><a href="#Page_43">43</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_44">Die infantile Sexualit&auml;t.</a></td><td><a href="#Page_44">44</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_45">Ein amerikanischer Beobachter &uuml;ber die Liebe im Kindesalter.</a></td><td><a href="#Page_45">45</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_46">Psychoanalysen an Kindern.</a></td><td><a href="#Page_46">46</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_47">Die Phase des Autoerotismus.</a></td><td><a href="#Page_47">47</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_48">Die Objektwahl.</a></td><td><a href="#Page_48">48</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_49">Endgestaltung des normalen Sexuallebens.</a></td><td><a href="#Page_49">49</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_50">Zusammenhang von Neurose und Perversion.</a></td><td><a href="#Page_50">50</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_52">Der Kernkomplex der Neurosen.</a></td><td><a href="#Page_52">52</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_53">Die Abl&ouml;sung des Kindes von den Eltern.</a></td><td><a href="#Page_53">53</a></td></tr>
+
+<tr><td colspan="2"><a href="#Page_54"><b>V. Vorlesung.</b></a></td><td><b><a href="#Page_54">54</a></b></td></tr>
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+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_55">Regression und Phantasie.</a></td><td><a href="#Page_55">55</a></td></tr>
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+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_57">Die &Uuml;bertragung.</a></td><td><a href="#Page_57">57</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_59">Die Angst vor der Befreiung des Verdr&auml;ngten.</a></td><td><a href="#Page_59">59</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_60">Ausg&auml;nge der psychoanalytischen Arbeit.</a></td><td><a href="#Page_60">60</a></td></tr>
+<tr><td>&nbsp;</td><td><a href="#Page_62">Das sch&auml;dliche &Uuml;berma&szlig; der Sexualverdr&auml;ngung.</a></td><td><a href="#Page_62">62</a></td></tr>
+
+<tr><td colspan="2"><b><a href="#ANMERKUNGEN">Anmerkungen zur Transkription.</a></b></td><td></td></tr>
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+<p><a name="TITELSEITE" id="TITELSEITE"></a></p><hr style="width: 65%;" />
+<h2>&Uuml;BER</h2>
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+<h2>F&Uuml;NF VORLESUNGEN</h2>
+<h2>GEHALTEN ZUR 20J&Auml;HRIGEN GR&Uuml;NDUNGSFEIER</h2>
+<h3>DER</h3>
+<h2 class="smcap">CLARK UNIVERSITY in WORCESTER MASS.</h2>
+<h2>SEPTEMBER 1909.</h2>
+<h3>VON</h3>
+<h2 class="smcap">Prof.&nbsp;Dr.&nbsp;Sigm.&nbsp;Freud LL.&nbsp;D.</h2>
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+<h3>LEIPZIG UND WIEN</h3>
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+<h4>1910.</h4>
+
+<hr style="width: 65%;" />
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+<hr style="width: 15%; margin-bottom: 0em;" />
+<h5>Verlags-Nr.&nbsp;1701.</h5>
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+<h6>K. und K. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.</h6>
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+<p><a name="WIDMUNG" id="WIDMUNG"></a></p><hr style="width: 65%;" />
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+<tr><td style="font-size: large;">Herrn</td></tr>
+<tr><td></td></tr>
+<tr><td style="font-size: x-large;" align="center"><b>G.&nbsp;Stanley Hall,</b> Ph.&nbsp;D., LL.&nbsp;D.</td></tr>
+<tr><td></td></tr>
+<tr><td align="center">Pr&auml;sidenten der Clark University,</td></tr>
+<tr><td align="center">Professor der Psychologie und P&auml;dagogik</td></tr>
+<tr><td></td></tr>
+<tr><td style="font-size: large;" align="center">in Dankbarkeit</td></tr>
+<tr><td></td></tr>
+<tr><td style="font-size: large;" align="right">zugeeignet.</td></tr>
+</table>
+<p><span class="pagenum"><a name="Page_1" id="Page_1">[p. 1]</a></span></p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="I" id="I"></a>I.</h2>
+
+
+<p>Meine Damen und Herren! Es ist mir ein neuartiges und verwirrendes
+Gef&uuml;hl, als Vortragender vor Wi&szlig;begierigen der Neuen Welt zu stehen. Ich
+nehme an, da&szlig; ich diese Ehre nur der Verkn&uuml;pfung meines Namens mit dem
+Thema der Psychoanalyse verdanke, und beabsichtige daher, Ihnen von
+Psychoanalyse zu sprechen. Ich will es versuchen, Ihnen in gedr&auml;ngtester
+K&uuml;rze einen &Uuml;berblick &uuml;ber die Geschichte der Entstehung und weiteren
+Fortbildung dieser neuen Untersuchungs- und Heilmethode zu geben.</p>
+
+<p>Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben,
+so ist es nicht mein Verdienst. Ich bin an den ersten Anf&auml;ngen derselben
+nicht beteiligt gewesen. Ich war Student und mit der Ablegung meiner
+letzten Pr&uuml;fungen besch&auml;ftigt, als ein anderer Wiener Arzt, Dr.&nbsp;Josef
+<span class="g">Breuer</span>,<a name="FNanchor_1_1" id="FNanchor_1_1"></a><a href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a> dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch erkrankten
+M&auml;dchen anwendete (1880-1882). Mit dieser Kranken- und
+Behandlungsgeschichte wollen wir uns nun zun&auml;chst besch&auml;ftigen. Sie
+finden dieselbe ausf&uuml;hrlich dargestellt in den sp&auml;ter von <span class="g">Breuer</span> und mir
+ver&ouml;ffentlichten &raquo;Studien &uuml;ber Hysterie&laquo;.<a name="FNanchor_2_2" id="FNanchor_2_2"></a><a href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a></p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_1_1" id="Footnote_1_1"></a><a href="#FNanchor_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Dr.&nbsp;Josef <span class="g">Breuer</span>, geb. 1842, korrespondierendes Mitglied
+der k. Akademie der Wissenschaften, bekannt durch Arbeiten &uuml;ber die
+Atmung und zur Physiologie des Gleichgewichtssinnes.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_2_2" id="Footnote_2_2"></a><a href="#FNanchor_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Studien &uuml;ber Hysterie. 1895. Fr.&nbsp;Deuticke, Wien, 2.&nbsp;Aufl.,
+1909. St&uuml;cke meines Anteils an diesem Buch sind von Dr.&nbsp;A.&nbsp;A.&nbsp;<span class="g">Brill</span> in
+New York ins Englische &uuml;bertragen worden (Selected papers on Hysteria
+and other Psychoneuroses by S.&nbsp;Freud, Nr.&nbsp;4 der &raquo;Nervous and Mental
+Disease Monograph Series&laquo;, New York).<span class="pagenum"><a name="Page_2" id="Page_2">[p. 2]</a></span></p></div>
+
+<p>Vorher nur noch eine Bemerkung. Ich habe nicht ohne Befriedigung
+erfahren, da&szlig; die Mehrzahl meiner Zuh&ouml;rer nicht dem &auml;rztlichen Stande
+angeh&ouml;rt. Besorgen Sie nun nicht, da&szlig; es besonderer &auml;rztlicher
+Vorbildung bedarf, um meinen Mitteilungen zu folgen. Wir werden
+allerdings ein St&uuml;ck weit mit den &Auml;rzten gehen, aber bald werden wir uns
+absondern und Dr.&nbsp;<span class="g">Breuer</span> auf einen ganz eigenartigen Weg begleiten.</p>
+
+<p>Dr.&nbsp;<span class="g">Breuers</span> Patientin, ein 21j&auml;hriges, geistig hochbegabtes M&auml;dchen,
+entwickelte im Verlaufe ihrer &uuml;ber zwei Jahre ausgedehnten Krankheit
+eine Reihe von k&ouml;rperlichen und seelischen St&ouml;rungen, die es wohl
+verdienten, ernst genommen zu werden. Sie hatte eine steife L&auml;hmung der
+beiden rechtsseitigen Extremit&auml;ten mit Unempfindlichkeit derselben,
+zeitweise dieselbe Affektion an den Gliedern der linken K&ouml;rperseite,
+St&ouml;rungen der Augenbewegungen und mannigfache Beeintr&auml;chtigungen des
+Sehverm&ouml;gens, Schwierigkeiten der Kopfhaltung, eine intensive Tussis
+nervosa, Ekel vor Nahrungsaufnahme und einmal durch mehrere Wochen eine
+Unf&auml;higkeit zu trinken trotz qu&auml;lenden Durstes, eine Herabsetzung des
+Sprachverm&ouml;gens, die bis zum Verlust der F&auml;higkeit fortschritt, ihre
+Muttersprache zu sprechen oder zu verstehen, endlich Zust&auml;nde von
+Abwesenheit, Verworrenheit, Delirien, Alteration ihrer ganzen
+Pers&ouml;nlichkeit, denen wir unsere Aufmerksamkeit sp&auml;ter werden zuwenden
+m&uuml;ssen.</p>
+
+<p>Wenn Sie von einem solchen Krankheitsbilde h&ouml;ren, so werden Sie, auch
+ohne &Auml;rzte zu sein, der Annahme zuneigen, da&szlig; es sich um ein schweres
+Leiden, wahrscheinlich des Gehirns, handle, welches wenig Aussicht auf
+Herstellung biete und zur baldigen Aufl&ouml;sung der Kranken f&uuml;hren d&uuml;rfte.
+Lassen Sie<span class="pagenum"><a name="Page_3" id="Page_3">[p. 3]</a></span> sich indes von den &Auml;rzten belehren, da&szlig; f&uuml;r eine Reihe von
+F&auml;llen mit so schweren Erscheinungen eine andere und weitaus g&uuml;nstigere
+Auffassung berechtigter ist. Wenn ein solches Krankheitsbild bei einem
+jugendlichen weiblichen Individuum auftritt, dessen lebenswichtige
+innere Organe (Herz, Niere) sich der objektiven Untersuchung normal
+erweisen, das aber heftige <span class="g">gem&uuml;tliche</span> Ersch&uuml;tterungen erfahren hat, und
+wenn die einzelnen Symptome in gewissen feineren Charakteren von der
+Erwartung abweichen, dann nehmen die &Auml;rzte einen solchen Fall nicht zu
+schwer. Sie behaupten, da&szlig; dann nicht ein organisches Leiden des Gehirns
+vorliegt, sondern jener r&auml;tselhafte, seit den Zeiten der griechischen
+Medizin <span class="g">Hysterie</span> benannte Zustand, der eine ganze Anzahl von Bildern
+ernster Erkrankung vorzut&auml;uschen verm&ouml;ge. Sie halten dann das Leben f&uuml;r
+nicht bedroht und eine selbst vollkommene Herstellung der Gesundheit f&uuml;r
+wahrscheinlich. Die Unterscheidung einer solchen Hysterie von einem
+schweren organischen Leiden ist nicht immer sehr leicht. Wir brauchen
+aber nicht zu wissen, wie eine Differentialdiagnose dieser Art gemacht
+wird; uns mag die Versicherung gen&uuml;gen, da&szlig; gerade der Fall von <span class="g">Breuers</span>
+Patientin ein solcher ist, bei dem kein kundiger Arzt die Diagnose der
+Hysterie verfehlen wird. Wir k&ouml;nnen auch an dieser Stelle aus dem
+Krankheitsbericht nachtragen, da&szlig; ihre Erkrankung auftrat, w&auml;hrend sie
+ihren z&auml;rtlich geliebten Vater in seiner schweren, zum Tode f&uuml;hrenden
+Krankheit pflegte, und da&szlig; sie infolge ihrer eigenen Erkrankung von der
+Pflege zur&uuml;cktreten mu&szlig;te.</p>
+
+<p>Soweit hat es uns Vorteil gebracht, mit den &Auml;rzten zu gehen, und nun
+werden wir uns bald von ihnen trennen. Sie d&uuml;rfen n&auml;mlich nicht
+erwarten, da&szlig; die Aussicht eines Kranken auf &auml;rztliche Hilfeleistung
+dadurch wesentlich gesteigert wird,<span class="pagenum"><a name="Page_4" id="Page_4">[p. 4]</a></span> da&szlig; die Diagnose der Hysterie an
+die Stelle des Urteils auf ernste organische Hirnaffektion tritt. Gegen
+die schweren Erkrankungen des Gehirns ist die &auml;rztliche Kunst in den
+meisten F&auml;llen ohnm&auml;chtig, aber auch gegen die hysterische Affektion
+wei&szlig; der Arzt nichts zu tun. Er mu&szlig; es der g&uuml;tigen Natur &uuml;berlassen,
+wann und wie sie seine hoffnungsvolle Prognose verwirklichen will.<a name="FNanchor_3_3" id="FNanchor_3_3"></a><a href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a></p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_3_3" id="Footnote_3_3"></a><a href="#FNanchor_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Ich wei&szlig;, da&szlig; diese Behauptung heute nicht mehr zutrifft,
+aber im Vortrage versetze ich mich und meine H&ouml;rer zur&uuml;ck in die Zeit
+vor 1880. Wenn es seither anders geworden ist, so haben gerade die
+Bem&uuml;hungen, deren Geschichte ich skizziere, daran einen gro&szlig;en Anteil.</p></div>
+
+<p>Mit der Erkennung der Hysterie wird also f&uuml;r den Kranken wenig ge&auml;ndert;
+desto mehr &auml;ndert sich f&uuml;r den Arzt. Wir k&ouml;nnen beobachten, da&szlig; er sich
+gegen den hysterischen ganz anders einstellt als gegen den organisch
+Kranken. Er will dem ersteren nicht dieselbe Teilnahme entgegenbringen
+wie dem letzteren, da sein Leiden weit weniger ernsthaft ist und doch
+den Anspruch zu erheben scheint, f&uuml;r ebenso ernsthaft zu gelten. Aber es
+wirkt noch anderes mit. Der Arzt, der durch sein Studium so vieles
+kennen gelernt hat, was dem Laien verschlossen ist, hat sich von den
+Krankheitsursachen und Krankheitsver&auml;nderungen, z.&nbsp;B. im Gehirn eines an
+Apoplexie oder Neubildung Leidenden Vorstellungen bilden k&ouml;nnen, die bis
+zu einem gewissen Grade zutreffend sein m&uuml;ssen, da sie ihm das
+Verst&auml;ndnis der Einzelheiten des Krankheitsbildes gestatten. Vor den
+Details der hysterischen Ph&auml;nomene l&auml;&szlig;t ihn aber all sein Wissen, seine
+anatomisch-physiologische und pathologische Vorbildung im Stiche. Er
+kann die Hysterie nicht verstehen, er steht ihr selbst wie ein Laie
+gegen&uuml;ber. Und das ist nun niemandem recht, der sonst auf sein Wissen so
+gro&szlig;e St&uuml;cke h&auml;lt. Die Hysterischen<span class="pagenum"><a name="Page_5" id="Page_5">[p. 5]</a></span> gehen also seiner Sympathie
+verlustig; er betrachtet sie wie Personen, welche die Gesetze seiner
+Wissenschaft &uuml;bertreten, wie die Rechtgl&auml;ubigen die Ketzer ansehen; er
+traut ihnen alles m&ouml;gliche B&ouml;se zu, beschuldigt sie der &Uuml;bertreibung und
+der absichtlichen T&auml;uschung, Simulation; und er bestraft sie durch die
+Entziehung seines Interesses.</p>
+
+<p>Diesen Vorwurf hat nun Dr.&nbsp;<span class="g">Breuer</span> bei seiner Patientin nicht verdient;
+er schenkte ihr Sympathie und Interesse, obwohl er ihr anfangs nicht zu
+helfen verstand. Wahrscheinlich erleichterte sie es ihm auch durch die
+vorz&uuml;glichen Geistes- und Charaktereigenschaften, f&uuml;r die er in der von
+ihm abgefa&szlig;ten Krankengeschichte Zeugnis ablegt. Seine liebevolle
+Beobachtung fand auch bald den Weg, der die erste Hilfeleistung
+erm&ouml;glichte.</p>
+
+<p>Es war bemerkt worden, da&szlig; die Kranke in ihren Zust&auml;nden von Absenz,
+psychischer Alteration mit Verworrenheit, einige Worte vor sich hin zu
+murmeln pflegte, welche den Eindruck machten, als stammten sie aus einem
+Zusammenhange, der ihr Denken besch&auml;ftige. Der Arzt, der sich diese
+Worte berichten lie&szlig;, versetzte sie nun in eine Art von Hypnose und
+sagte ihr jedesmal diese Worte wieder vor, um sie zu veranlassen, da&szlig;
+sie an dieselben ankn&uuml;pfe. Die Kranke ging darauf ein und reproduzierte
+so vor dem Arzt die psychischen Sch&ouml;pfungen, die sie w&auml;hrend der
+Absenzen beherrscht und sich in jenen vereinzelt ge&auml;u&szlig;erten Worten
+verraten hatten. Es waren tieftraurige, oft poetisch sch&ouml;ne Phantasien,
+Tagtr&auml;ume w&uuml;rden wir sagen, die gew&ouml;hnlich die Situation eines M&auml;dchens
+am Krankenbett seines Vaters zum Ausgangspunkt nahmen. Hatte sie eine
+Anzahl solcher Phantasien erz&auml;hlt, so war sie wie befreit und ins
+normale seelische Leben zur&uuml;ckgef&uuml;hrt. Das Wohlbefinden, das durch
+mehrere Stunden anhielt, wich dann<span class="pagenum"><a name="Page_6" id="Page_6">[p. 6]</a></span> am n&auml;chsten Tage einer neuerlichen
+Absenz, welche auf dieselbe Weise durch Aussprechen der neu gebildeten
+Phantasien aufgehoben wurde. Man konnte sich dem Eindrucke nicht
+entziehen, da&szlig; die psychische Ver&auml;nderung, die sich in den Absenzen
+&auml;u&szlig;erte, eine Folge des Reizes sei, der von diesen h&ouml;chst affektvollen
+Phantasiebildungen ausging. Die Patientin selbst, die um diese Zeit
+ihres Krankseins merkw&uuml;rdigerweise nur Englisch sprach und verstand, gab
+dieser neuartigen Behandlung den Namen &raquo;talking cure&laquo; oder bezeichnete
+sie scherzhaft als &raquo;chimney sweeping&laquo;.</p>
+
+<p>Es ergab sich bald wie zuf&auml;llig, da&szlig; man durch solches Reinfegen der
+Seele noch mehr erreichen k&ouml;nne als vor&uuml;bergehende Beseitigung der immer
+wiederkehrenden seelischen Tr&uuml;bungen. Es lie&szlig;en sich auch
+Leidenssymptome zum Verschwinden bringen, wenn in der Hypnose unter
+Affekt&auml;u&szlig;erung erinnert wurde, bei welchem Anla&szlig; und kraft welches
+Zusammenhanges diese Symptome zuerst aufgetreten waren. &raquo;Es war im
+Sommer eine Zeit intensiver Hitze gewesen und Patientin hatte sehr arg
+durch Durst gelitten; denn, ohne einen Grund angeben zu k&ouml;nnen, war ihr
+pl&ouml;tzlich unm&ouml;glich geworden, zu trinken. Sie nahm das ersehnte Glas
+Wasser in die Hand, aber sowie es die Lippen ber&uuml;hrte, stie&szlig; sie es weg
+wie ein Hydrophobischer. Dabei war sie offenbar f&uuml;r diese paar Sekunden
+in einer Absenz. Sie lebte nur von Obst, Melonen u.&nbsp;dgl., um den
+qualvollen Durst zu mildem. Als das etwa sechs Wochen gedauert hatte,
+r&auml;sonierte sie einmal in der Hypnose &uuml;ber ihre englische
+Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erz&auml;hlte dann mit allen
+Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da
+deren kleiner Hund, das ekelhafte Tier, aus einem Glas getrunken habe.
+Sie habe nichts gesagt, denn sie wollte h&ouml;flich sein. Nachdem sie ihrem<span class="pagenum"><a name="Page_7" id="Page_7">[p. 7]</a></span>
+steckengebliebenen &Auml;rger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie
+zu trinken, trank ohne Hemmung eine gro&szlig;e Menge Wasser und erwachte aus
+der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die St&ouml;rung war damit f&uuml;r immer
+verschwunden.&laquo;<a name="FNanchor_4_4" id="FNanchor_4_4"></a><a href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a></p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_4_4" id="Footnote_4_4"></a><a href="#FNanchor_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Studien &uuml;ber Hysterie, 2.&nbsp;Aufl., p.&nbsp;26.</p></div>
+
+<p>Gestatten Sie, da&szlig; ich Sie bei dieser Erfahrung einen Moment aufhalte!
+Niemand hatte noch ein hysterisches Symptom durch solche Mittel
+beseitigt und war dabei so tief in das Verst&auml;ndnis seiner Verursachung
+eingedrungen. Es mu&szlig;te eine folgenschwere Entdeckung werden, wenn sich
+die Erwartung best&auml;tigen lie&szlig;, da&szlig; noch andere, da&szlig; vielleicht die
+Mehrzahl der Symptome bei der Kranken auf solche Weise entstanden und
+auf solche Weise aufzuheben war. <span class="g">Breuer</span> scheute die M&uuml;he nicht, sich
+davon zu &uuml;berzeugen, und forschte nun planm&auml;&szlig;ig der Pathogenese der
+anderen und ernsteren Leidenssymptome nach. Es war wirklich so; fast
+alle Symptome waren so entstanden als Reste, als Niederschl&auml;ge, wenn Sie
+wollen, von affektvollen Erlebnissen, die wir darum sp&auml;ter &raquo;psychische
+Traumen&laquo; genannt haben, und ihre Besonderheit kl&auml;rte sich durch die
+Beziehung zu der sie verursachenden traumatischen Szene auf. Sie waren,
+wie das Kunstwort lautet, durch die Szenen, deren Ged&auml;chtnisreste sie
+darstellten, <span class="g">determiniert</span>, brauchten nicht mehr als willk&uuml;rliche oder
+r&auml;tselhafte Leistungen der Neurose beschrieben zu werden. Nur einer
+Abweichung von der Erwartung sei gedacht. Es war nicht immer ein
+einziges Erlebnis, welches das Symptom zur&uuml;cklie&szlig;, sondern meist waren
+zahlreiche, oft sehr viele &auml;hnliche, wiederholte Traumen zu dieser
+Wirkung zusammengetreten. Diese ganze Kette von pathogenen Erinnerungen
+mu&szlig;te dann in chronologischer Reihenfolge reproduziert werden, und zwar<span class="pagenum"><a name="Page_8" id="Page_8">[p. 8]</a></span>
+umgekehrt, die letzte zuerst und die erste zuletzt, und es war ganz
+unm&ouml;glich, zum ersten und oft wirksamsten Trauma mit &Uuml;berspringung der
+sp&auml;ter erfolgten vorzudringen.</p>
+
+<p>Sie werden nun gewi&szlig; noch andere Beispiele von Verursachung hysterischer
+Symptome als das der Wasserscheu durch den Ekel vor dem aus dem Glas
+trinkenden Hund von mir h&ouml;ren wollen. Ich mu&szlig; mich aber, wenn ich mein
+Programm einhalten will, auf sehr wenige Proben beschr&auml;nken. So erz&auml;hlt
+<span class="g">Breuer</span>, da&szlig; ihre Sehst&ouml;rungen sich auf Anl&auml;sse zur&uuml;ckf&uuml;hrten &raquo;in der
+Art, da&szlig; Patientin mit Tr&auml;nen im Auge, am Krankenbett sitzend, pl&ouml;tzlich
+vom Vater gefragt wurde, wieviel Uhr es sei, undeutlich sah, sich
+anstrengte, die Uhr nahe ans Auge brachte und nun das Zifferblatt sehr
+gro&szlig; erschien (Makropsie und Strabismus conv.); oder Anstrengungen
+machte, die Tr&auml;nen zu unterdr&uuml;cken, damit sie der Kranke nicht sehe&laquo;.<a name="FNanchor_5_5" id="FNanchor_5_5"></a><a href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>
+Alle pathogenen Eindr&uuml;cke stammten &uuml;brigens aus der Zeit, da sie sich an
+der Pflege des erkrankten Vaters beteiligte. &raquo;Einmal wachte sie nachts
+in gro&szlig;er Angst um den hochfiebernden Kranken und in Spannung, weil von
+Wien ein Chirurg zur Operation erwartet wurde. Die Mutter hatte sich f&uuml;r
+einige Zeit entfernt, und Anna sa&szlig; am Krankenbette, den rechten Arm &uuml;ber
+die Stuhllehne gelegt. Sie geriet in einen Zustand von Wachtr&auml;umen und
+sah, wie von der Wand her eine schwarze Schlange sich dem Kranken
+n&auml;herte, um ihn zu bei&szlig;en. (Es ist sehr wahrscheinlich, da&szlig; auf der
+Wiese hinter dem Hause wirklich einige Schlangen vorkamen, &uuml;ber die das
+M&auml;dchen schon fr&uuml;her erschrocken war, und die nun das Material der
+Halluzination abgaben.) Sie wollte das Tier abwehren, war aber wie
+gel&auml;hmt; der rechte Arm, &uuml;ber die Stuhllehne h&auml;ngend, war
+&#8250;eingeschlafen&#8249;, an&auml;sthetisch und paretisch<span class="pagenum"><a name="Page_9" id="Page_9">[p. 9]</a></span> geworden, und als sie ihn
+betrachtete, verwandelten sich die Finger in kleine Schlangen mit
+Totenk&ouml;pfen (N&auml;gel). Wahrscheinlich machte sie Versuche, die Schlange
+mit der gel&auml;hmten rechten Hand zu verjagen, und dadurch trat die
+An&auml;sthesie und L&auml;hmung derselben in Assoziation mit der
+Schlangenhalluzination. Als diese verschwunden war, wollte sie in ihrer
+Angst beten, aber jede Sprache versagte, sie konnte in keiner sprechen,
+bis sie endlich einen <span class="g">englischen</span> Kindervers fand und nun auch in dieser
+Sprache fortdenken und beten konnte.&laquo;<a name="FNanchor_6_6" id="FNanchor_6_6"></a><a href="#Footnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a> Mit der Erinnerung dieser Szene
+in der Hypnose war auch die seit Beginn der Krankheit bestehende steife
+L&auml;hmung des rechten Armes beseitigt und die Behandlung beendigt.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_5_5" id="Footnote_5_5"></a><a href="#FNanchor_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Studien &uuml;ber Hysterie, 2.&nbsp;Aufl., p.&nbsp;31.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_6_6" id="Footnote_6_6"></a><a href="#FNanchor_6_6"><span class="label">[6]</span></a> l.&nbsp;c. p.&nbsp;30.</p></div>
+
+<p>Als ich eine Anzahl von Jahren sp&auml;ter die <span class="g">Breuer</span>sche Untersuchungs- und
+Behandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu &uuml;ben begann, machte ich
+Erfahrungen, die sich mit den seinigen vollkommen deckten. Bei einer
+etwa 40j&auml;hrigen Dame bestand ein Tic, ein eigent&uuml;mlich schnalzendes
+Ger&auml;usch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohne ersichtlichen Anla&szlig;
+hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei Erlebnissen, denen
+gemeinsam war, da&szlig; sie sich vornahm, jetzt ja keinen L&auml;rm zu machen, und
+bei denen wie durch eine Art von Gegenwillen gerade dieses Ger&auml;usch die
+Stille durchbrach; das eine Mal, als sie ihr krankes Kind endlich
+m&uuml;hselig eingeschl&auml;fert hatte und sich sagte, sie m&uuml;sse jetzt ganz still
+sein, um es nicht zu wecken, und das andere Mal, als w&auml;hrend einer
+Wagenfahrt mit ihren beiden Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden,
+und sie sorgf&auml;ltig jeden L&auml;rm vermeiden wollte, um die Tiere nicht noch
+mehr zu schrecken.<a name="FNanchor_7_7" id="FNanchor_7_7"></a><a href="#Footnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a> Ich gebe dieses<span class="pagenum"><a name="Page_10" id="Page_10">[p. 10]</a></span> Beispiel anstatt vieler anderer,
+die in den &raquo;Studien &uuml;ber Hysterie&laquo; niedergelegt sind.<a name="FNanchor_8_8" id="FNanchor_8_8"></a><a href="#Footnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a></p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_7_7" id="Footnote_7_7"></a><a href="#FNanchor_7_7"><span class="label">[7]</span></a> l.&nbsp;c. 2.&nbsp;Aufl., p.&nbsp;43 u. 46.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_8_8" id="Footnote_8_8"></a><a href="#FNanchor_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige
+sp&auml;tere Abhandlungen &uuml;ber Hysterie, liegt gegenw&auml;rtig in einer
+englischen, von Dr.&nbsp;A.&nbsp;A.&nbsp;<span class="g">Brill</span> in New York besorgten &Uuml;bersetzung vor.</p></div>
+
+<p>Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung gestatten,
+die ja bei so abgek&uuml;rzter Darstellung unvermeidlich ist, so k&ouml;nnen wir
+unsere bisherige Erkenntnis in die Formel fassen: <span class="g">Unsere hysterisch
+Kranken leiden an Reminiszenzen.</span> Ihre Symptome sind Reste und
+Erinnerungssymbole f&uuml;r gewisse (traumatische) Erlebnisse. Ein Vergleich
+mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten wird uns vielleicht
+tiefer in das Verst&auml;ndnis dieser Symbolik f&uuml;hren. Auch die Denkm&auml;ler und
+Monumente, mit denen wir unsere gro&szlig;en St&auml;dte zieren, sind solche
+Erinnerungssymbole. Wenn Sie einen Spaziergang durch <span class="g">London</span> machen, so
+finden Sie vor einem der gr&ouml;&szlig;ten Bahnh&ouml;fe der Stadt eine reichverzierte
+gotische S&auml;ule, das <span class="g">Charing Cross</span>. Einer der alten Plantagenetk&ouml;nige im
+XIII.&nbsp;Jahrhundert, der den Leichnam seiner geliebten K&ouml;nigin Eleanor
+nach Westminster &uuml;berf&uuml;hren lie&szlig;, errichtete gotische Kreuze an jeder
+der Stationen, wo der Sarg niedergestellt wurde, und <span class="g">Charing Cross</span> ist
+das letzte der Denkm&auml;ler, welche die Erinnerung an diesen Trauerzug
+erhalten sollten.<a name="FNanchor_9_9" id="FNanchor_9_9"></a><a href="#Footnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> An einer anderen Stelle der Stadt, nicht weit von
+London Bridge, erblicken Sie eine modernere hochragende S&auml;ule, die
+kurzweg &raquo;<span class="g">The Monument</span>&laquo; genannt wird. Sie soll zur Erinnerung an das
+gro&szlig;e Feuer mahnen, welches<span class="pagenum"><a name="Page_11" id="Page_11">[p. 11]</a></span> im Jahre 1666 dort in der N&auml;he ausbrach und
+einen gro&szlig;en Teil der Stadt zerst&ouml;rte. Diese Monumente sind also
+Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome, soweit scheint die
+Vergleichung berechtigt. Aber was w&uuml;rden Sie zu einem Londoner sagen,
+der heute noch vor dem Denkmal des Leichenzuges der K&ouml;nigin Eleanor in
+Wehmut stehen bliebe, anstatt mit der von den modernen
+Arbeitsverh&auml;ltnissen geforderten Eile seinen Gesch&auml;ften nachzugehen oder
+sich der eigenen jugendfrischen K&ouml;nigin seines Herzens zu erfreuen? Oder
+zu einem anderen, der vor dem &raquo;Monument&laquo; die Ein&auml;scherung seiner
+geliebten Vaterstadt beweinte, die doch seither l&auml;ngst soviel gl&auml;nzender
+wiedererstanden ist? So wie diese beiden unpraktischen Londoner benehmen
+sich aber die Hysterischen und Neurotiker alle; nicht nur, da&szlig; sie die
+l&auml;ngst vergangenen schmerzlichen Erlebnisse erinnern, sie h&auml;ngen noch
+affektvoll an ihnen, sie kommen von der Vergangenheit nicht los und
+vernachl&auml;ssigen f&uuml;r sie die Wirklichkeit und die Gegenwart. Diese
+Fixierung des Seelenlebens an die pathogenen Traumen ist einer der
+wichtigsten und praktisch bedeutsamsten Charaktere der Neurose.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_9_9" id="Footnote_9_9"></a><a href="#FNanchor_9_9"><span class="label">[9]</span></a> Vielmehr die sp&auml;tere Nachbildung eines solchen Denkmals.
+Der Name <span class="g">Charing</span> selbst soll, wie mir Dr.&nbsp;E.&nbsp;<span class="g">Jones</span> mitteilte, aus den
+Worten <span class="g">Ch&egrave;re reine</span> hervorgegangen sein.</p></div>
+
+<p>Ich gebe Ihnen gern den Einwand zu, den Sie jetzt wahrscheinlich bilden,
+indem Sie an die Krankengeschichte der <span class="g">Breuer</span>schen Patientin denken.
+Alle ihre Traumen entstammten ja der Zeit, da sie den kranken Vater
+pflegte, und ihre Symptome k&ouml;nnen nur als Erinnerungszeichen f&uuml;r seine
+Krankheit und seinen Tod aufgefa&szlig;t werden. Sie entsprechen also einer
+Trauer, und eine Fixierung an das Andenken des Verstorbenen ist so kurze
+Zeit nach dem Ableben desselben gewi&szlig; nichts Pathologisches, entspricht
+vielmehr einem normalen Gef&uuml;hlsvorgang. Ich gestehe Ihnen dieses zu; die
+Fixierung an die Traumen ist bei der Patientin <span class="g">Breuers</span> nichts
+Auff&auml;lliges. Aber in anderen F&auml;llen, wie in dem von mir behandelten
+Tic,<span class="pagenum"><a name="Page_12" id="Page_12">[p. 12]</a></span> dessen Veranlassungen um mehr als f&uuml;nfzehn und zehn Jahre
+zur&uuml;cklagen, ist der Charakter des abnormen Haftens am Vergangenen sehr
+deutlich, und die Patientin <span class="g">Breuers</span> h&auml;tte ihn wahrscheinlich gleichfalls
+entwickelt, wenn sie nicht so kurze Zeit nach dem Erleben der Traumen
+und der Entstehung der Symptome zur <span class="g">kathartischen</span> Behandlung gekommen
+w&auml;re.</p>
+
+<p>Wir haben bisher nur die Beziehung der hysterischen Symptome zur
+Lebensgeschichte der Kranken er&ouml;rtert; aus zwei weiteren Momenten der
+<span class="g">Breuer</span>schen Beobachtung k&ouml;nnen wir aber auch einen Hinweis darauf
+gewinnen, wie wir den Vorgang der Erkrankung und der Wiederherstellung
+aufzufassen haben. F&uuml;rs erste ist hervorzuheben, da&szlig; die Kranke <span class="g">Breuers</span>
+fast in allen pathogenen Situationen eine starke Erregung zu
+unterdr&uuml;cken hatte, anstatt ihr durch die entsprechenden Affektzeichen,
+Worte und Handlungen, Ablauf zu erm&ouml;glichen. In dem kleinen Erlebnis mit
+dem Hund ihrer Gesellschafterin unterdr&uuml;ckte sie aus R&uuml;cksicht auf diese
+jede &Auml;u&szlig;erung ihres sehr intensiven Ekels; w&auml;hrend sie am Bette des
+Vaters wachte, trug sie best&auml;ndig Sorge, den Kranken nichts von ihrer
+Angst und ihrer schmerzlichen Verstimmung merken zu lassen. Als sie
+sp&auml;ter diese selben Szenen vor ihrem Arzt reproduzierte, trat der damals
+gehemmte Affekt mit besonderer Heftigkeit, als ob er sich solange
+aufgespart h&auml;tte, auf. Ja, das Symptom, welches von dieser Szene
+er&uuml;brigt war, gewann seine h&ouml;chste Intensit&auml;t, w&auml;hrend man sich seiner
+Verursachung n&auml;herte, um nach der v&ouml;lligen Erledigung derselben zu
+verschwinden. Anderseits konnte man die Erfahrung machen, da&szlig; das
+Erinnern der Szene beim Arzte wirkungslos blieb, wenn es aus irgend
+einem Grunde einmal ohne Affektentwicklung ablief. Die Schicksale dieser
+Affekte, die man sich als verschiebbare Gr&ouml;&szlig;en vorstellen konnte, waren
+also das Ma&szlig;gebende<span class="pagenum"><a name="Page_13" id="Page_13">[p. 13]</a></span> f&uuml;r die Erkrankung wie f&uuml;r die Wiederherstellung.
+Man sah sich zur Annahme gedr&auml;ngt, da&szlig; die Erkrankung darum zu stande
+kam, weil den in den pathogenen Situationen entwickelten Affekten ein
+normaler Ausweg versperrt war, und da&szlig; das Wesen der Erkrankung darin
+bestand, da&szlig; nun diese &raquo;eingeklemmten&laquo; Affekte einer abnormen Verwendung
+unterlagen. Zum Teil blieben sie als dauernde Belastungen des
+Seelenlebens und Quellen best&auml;ndiger Erregung f&uuml;r dasselbe bestehen; zum
+Teil erfuhren sie eine Umsetzung in ungew&ouml;hnliche k&ouml;rperliche
+<span class="g">Innervationen</span> und <span class="g">Hemmungen</span>, die sich als die k&ouml;rperlichen Symptome des
+Falles darstellten. Wir haben f&uuml;r diesen letzteren Vorgang den Namen der
+&raquo;<span class="g">hysterischen Konversion</span>&laquo; gepr&auml;gt. Ein gewisser Anteil unserer
+seelischen Erregung wird ohnedies normalerweise auf die Wege der
+k&ouml;rperlichen Innervation geleitet und ergibt das, was wir als &raquo;Ausdruck
+der Gem&uuml;tsbewegungen&laquo; kennen. Die hysterische Konversion &uuml;bertreibt nun
+diesen Anteil des Ablaufs eines mit Affekt besetzten seelischen
+Vorganges; sie entspricht einem weit intensiveren, auf neue Bahnen
+geleiteten Ausdruck der Gem&uuml;tsbewegung. Wenn ein Strombett in zwei
+Kan&auml;len flie&szlig;t, so wird eine &Uuml;berf&uuml;llung des einen stattfinden, sobald
+die Str&ouml;mung in dem anderen auf ein Hindernis st&ouml;&szlig;t.</p>
+
+<p>Sie sehen, wir sind im Begriffe, zu einer rein psychologischen Theorie
+der Hysterie zu gelangen, in welcher wir den Affektvorg&auml;ngen den ersten
+Rang anweisen. Eine zweite Beobachtung <span class="g">Breuers</span> n&ouml;tigt uns nun, in der
+Charakteristik des krankhaften Geschehens den Bewu&szlig;tseinszust&auml;nden eine
+gro&szlig;e Bedeutung einzur&auml;umen. Die Kranke <span class="g">Breuers</span> zeigte mannigfaltige
+seelische Verfassungen, Zust&auml;nde von Abwesenheit, Verworrenheit und
+Charakterver&auml;nderung neben ihrem Normalzustand. Im Normalzustand wu&szlig;te
+sie nun nichts von jenen<span class="pagenum"><a name="Page_14" id="Page_14">[p. 14]</a></span> pathogenen Szenen und von deren Zusammenhang
+mit ihren Symptomen; sie hatte diese Szenen vergessen oder jedenfalls
+den pathogenen Zusammenhang zerrissen. Wenn man sie in die Hypnose
+versetzte, gelang es nach Aufwendung betr&auml;chtlicher Arbeit, ihr diese
+Szenen ins Ged&auml;chtnis zur&uuml;ckzurufen, und durch diese Arbeit des
+Wiedererinnerns wurden die Symptome aufgehoben. Man w&auml;re in gro&szlig;er
+Verlegenheit, wie man diese Tatsache deuten sollte, wenn nicht die
+Erfahrungen und Experimente des Hypnotismus den Weg dazu gewiesen
+h&auml;tten. Durch das Studium der hypnotischen Ph&auml;nomene hat man sich an die
+anfangs befremdliche Auffassung gew&ouml;hnt, da&szlig; in einem und demselben
+Individuum mehrere seelische Gruppierungen m&ouml;glich sind, die ziemlich
+unabh&auml;ngig von einander bleiben k&ouml;nnen, von einander &raquo;nichts wissen&laquo;,
+und die das Bewu&szlig;tsein alternierend an sich rei&szlig;en. F&auml;lle solcher Art,
+die man als &raquo;Double conscience&laquo; bezeichnet, kommen gelegentlich auch
+spontan zur Beobachtung. Wenn bei solcher Spaltung der Pers&ouml;nlichkeit
+das Bewu&szlig;tsein konstant an den einen der beiden Zust&auml;nde gebunden
+bleibt, so hei&szlig;t man diesen den <span class="g">bewu&szlig;ten</span> Seelenzustand, den von ihm
+abgetrennten den <span class="g">unbewu&szlig;ten</span>. In den bekannten Ph&auml;nomenen der sogenannten
+posthypnotischen Suggestion, wobei ein in der Hypnose gegebener Auftrag
+sich sp&auml;ter im Normalzustand gebieterisch durchsetzt, hat man ein
+vorz&uuml;gliches Vorbild f&uuml;r die Beeinflussungen, die der bewu&szlig;te Zustand
+durch den f&uuml;r ihn unbewu&szlig;ten erfahren kann, und nach diesem Muster
+gelingt es allerdings, sich die Erfahrungen bei der Hysterie
+zurechtzulegen. <span class="g">Breuer</span> entschlo&szlig; sich zur Annahme, da&szlig; die hysterischen
+Symptome in solchen besonderen seelischen Zust&auml;nden, die er <span class="g">hypnoide</span>
+nannte, entstanden seien. Erregungen, die in solche hypnoide Zust&auml;nde
+hineingeraten, werden leicht pathogen, weil diese Zust&auml;nde nicht die
+Bedingungen<span class="pagenum"><a name="Page_15" id="Page_15">[p. 15]</a></span> f&uuml;r einen normalen Ablauf der Erregungsvorg&auml;nge bieten. Es
+entsteht also aus dem Erregungsvorgang ein ungew&ouml;hnliches Produkt, eben
+das Symptom, und dieses ragt wie ein Fremdk&ouml;rper in den Normalzustand
+hinein, dem daf&uuml;r die Kenntnis der hypnoiden pathogenen Situation
+abgeht. Wo ein Symptom besteht, da findet sich auch eine Amnesie, eine
+Erinnerungsl&uuml;cke, und die Ausf&uuml;llung dieser L&uuml;cke schlie&szlig;t die Aufhebung
+der Entstehungsbedingungen des Symptoms in sich ein.</p>
+
+<p>Ich f&uuml;rchte, da&szlig; Ihnen dieses St&uuml;ck meiner Darstellung nicht sehr
+durchsichtig erschienen ist. Aber haben Sie Nachsicht, es handelt sich
+um neue und schwierige Anschauungen, die vielleicht nicht viel klarer
+gemacht werden k&ouml;nnen; ein Beweis daf&uuml;r, da&szlig; wir mit unserer Erkenntnis
+noch nicht sehr weit vorgedrungen sind. Die <span class="g">Breuer</span>sche Aufstellung der
+<span class="g">hypnoiden</span> Zust&auml;nde hat sich &uuml;brigens als hemmend und &uuml;berfl&uuml;ssig
+erwiesen und ist von der heutigen Psychoanalyse fallen gelassen worden.
+Sie werden sp&auml;ter wenigstens andeutungsweise h&ouml;ren, welche Einfl&uuml;sse und
+Vorg&auml;nge hinter der von <span class="g">Breuer</span> aufgestellten Schranke der hypnoiden
+Zust&auml;nde zu entdecken waren. Sie werden auch mit Recht den Eindruck
+empfangen haben, da&szlig; die <span class="g">Breuer</span>sche Forschung Ihnen nur eine sehr
+unvollst&auml;ndige Theorie und unbefriedigende Aufkl&auml;rung der beobachteten
+Erscheinungen geben konnte, aber vollkommene Theorien fallen nicht vom
+Himmel, und Sie werden mit noch gr&ouml;&szlig;erem Recht mi&szlig;trauisch sein, wenn
+Ihnen jemand eine l&uuml;ckenlose und abgerundete Theorie bereits zu Anfang
+seiner Beobachtungen anbietet. Eine solche wird gewi&szlig; nur das Kind
+seiner Spekulation sein k&ouml;nnen und nicht die Frucht voraussetzungsloser
+Erforschung des Tats&auml;chlichen.<span class="pagenum"><a name="Page_16" id="Page_16">[p. 16]</a></span></p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="II" id="II"></a>II.</h2>
+
+
+<p>Meine Damen und Herren! Etwa gleichzeitig, w&auml;hrend <span class="g">Breuer</span> mit seiner
+Patientin die Talking cure &uuml;bte, hatte Meister <span class="g">Charcot</span> in Paris jene
+Untersuchungen &uuml;ber die Hysterischen der Salp&ecirc;tri&egrave;re begonnen, von denen
+ein neues Verst&auml;ndnis der Krankheit ausgehen sollte. Diese Resultate
+konnten damals in Wien noch nicht bekannt sein. Als aber etwa ein
+Dezennium sp&auml;ter <span class="g">Breuer</span> und ich die vorl&auml;ufige Mitteilung &uuml;ber den
+psychischen Mechanismus hysterischer Ph&auml;nomene ver&ouml;ffentlichten, welche
+an die kathartische Behandlung bei <span class="g">Breuers</span> erster Patientin ankn&uuml;pfte,
+da befanden wir uns ganz im Banne der <span class="g">Charcot</span>schen Forschungen. Wir
+stellten die pathogenen Erlebnisse unserer Kranken als psychische
+Traumen jenen k&ouml;rperlichen Traumen gleich, deren Einflu&szlig; auf hysterische
+L&auml;hmungen <span class="g">Charcot</span> festgestellt hatte, und <span class="g">Breuers</span> Aufstellung der
+hypnoiden Zust&auml;nde ist selbst nichts anderes als ein Reflex der
+Tatsache, da&szlig; <span class="g">Charcot</span> jene traumatischen L&auml;hmungen in der Hypnose
+k&uuml;nstlich reproduziert hatte.</p>
+
+<p>Der gro&szlig;e franz&ouml;sische Beobachter, dessen Sch&uuml;ler ich 1885/86 wurde, war
+selbst psychologischen Auffassungen nicht geneigt; erst sein Sch&uuml;ler
+P.&nbsp;<span class="g">Janet</span> versuchte ein tieferes Eindringen in die besonderen psychischen
+Vorg&auml;nge bei der Hysterie, und wir folgten seinem Beispiele, als wir die
+seelische Spaltung und den Zerfall der Pers&ouml;nlichkeit in das Zentrum<span class="pagenum"><a name="Page_17" id="Page_17">[p. 17]</a></span>
+unserer Auffassung r&uuml;ckten. Sie finden bei <span class="g">Janet</span> eine Theorie der
+Hysterie, welche den in Frankreich herrschenden Lehren &uuml;ber die Rolle
+der Erblichkeit und der Degeneration Rechnung tr&auml;gt. Die Hysterie ist
+nach ihm eine Form der degenerativen Ver&auml;nderung des Nervensystems,
+welche sich durch eine angeborene Schw&auml;che der psychischen Synthese
+kundgibt. Die hysterisch Kranken seien von Anfang an unf&auml;hig, die
+Mannigfaltigkeit der seelischen Vorg&auml;nge zu einer Einheit
+zusammenzuhalten, und daher komme die Neigung zur seelischen
+Dissoziation. Wenn Sie mir ein banales aber deutliches Gleichnis
+gestatten, <span class="g">Janets</span> Hysterische erinnert an eine schwache Frau, die
+ausgegangen ist, um Eink&auml;ufe zu machen, und nun mit einer Menge von
+Schachteln und Paketen beladen zur&uuml;ckkommt. Sie kann den ganzen Haufen
+mit ihren zwei Armen und zehn Fingern nicht bew&auml;ltigen, und so entf&auml;llt
+ihr zuerst ein St&uuml;ck. B&uuml;ckt sie sich, um dieses aufzuheben, so macht
+sich daf&uuml;r ein anderes los u.&nbsp;s.&nbsp;w. Es stimmt nicht gut zu dieser
+angenommenen seelischen Schw&auml;che der Hysterischen, da&szlig; man bei ihnen
+au&szlig;er den Erscheinungen verminderter Leistung auch Beispiele von
+teilweiser Steigerung der Leistungsf&auml;higkeit, wie zur Entsch&auml;digung,
+beobachten kann. Zur Zeit, als <span class="g">Breuers</span> Patientin ihre Muttersprache und
+alle anderen Sprachen bis auf Englisch vergessen hatte, erreichte ihre
+Beherrschung des Englischen eine solche H&ouml;he, da&szlig; sie im stande war,
+wenn man ihr ein deutsches Buch vorlegte, eine tadellose und flie&szlig;ende
+&Uuml;bersetzung desselben vom Blatt herunterzulesen.</p>
+
+<p>Als ich es sp&auml;ter unternahm, die von <span class="g">Breuer</span> begonnenen Untersuchungen
+auf eigene Faust fortzusetzen, gelangte ich bald zu einer anderen
+Ansicht &uuml;ber die Entstehung der hysterischen Dissoziation (oder
+Bewu&szlig;tseinsspaltung). Eine solche, f&uuml;r alles weitere entscheidende,
+Divergenz mu&szlig;te sich notwendigerweise<span class="pagenum"><a name="Page_18" id="Page_18">[p. 18]</a></span> ergeben, da ich nicht wie <span class="g">Janet</span>
+von Laboratoriumsversuchen, sondern von therapeutischen Bem&uuml;hungen
+ausging.</p>
+
+<p>Mich trieb vor allem das praktische Bed&uuml;rfnis. Die kathartische
+Behandlung, wie sie <span class="g">Breuer</span> ge&uuml;bt hatte, setzte voraus, da&szlig; man den
+Kranken in tiefe Hypnose bringe, denn nur im hypnotischen Zustand fand
+er die Kenntnis jener pathogenen Zusammenh&auml;nge, die ihm in seinem
+Normalzustand abging. Nun war mir die Hypnose als ein launenhaftes und
+sozusagen mystisches Hilfsmittel bald unliebsam geworden; als ich aber
+die Erfahrung machte, da&szlig; es mir trotz aller Bem&uuml;hungen nicht gelingen
+wollte, mehr als einen Bruchteil meiner Kranken in den hypnotischen
+Zustand zu versetzen, beschlo&szlig; ich, die Hypnose aufzugeben und die
+kathartische Behandlung von ihr unabh&auml;ngig zu machen. Weil ich den
+psychischen Zustand meiner meisten Patienten nicht nach meinem Belieben
+ver&auml;ndern konnte, richtete ich mich darauf ein, mit ihrem Normalzustand
+zu arbeiten. Das schien allerdings vorerst ein sinn- und aussichtsloses
+Unternehmen zu sein. Es war die Aufgabe gestellt, etwas vom Kranken zu
+erfahren, was man nicht wu&szlig;te und was er selbst nicht wu&szlig;te; wie konnte
+man hoffen, dies doch in Erfahrung zu bringen? Da kam mir die Erinnerung
+an einen sehr merkw&uuml;rdigen und lehrreichen Versuch zu Hilfe, den ich bei
+<span class="g">Bernheim</span> in <span class="g">Nancy</span> mitangesehen hatte. <span class="g">Bernheim</span> zeigte uns damals, da&szlig;
+die Personen, welche er in hypnotischen Somnambulismus versetzt und in
+diesem Zustand allerlei hatte erleben lassen, die Erinnerung an das
+somnambul Erlebte doch nur zum Schein verloren hatten, und da&szlig; es
+m&ouml;glich war, bei ihnen diese Erinnerungen auch im Normalzustand zu
+erwecken. Wenn er sie nach den somnambulen Erlebnissen befragte, so
+behaupteten sie anfangs zwar, nichts zu wissen, aber wenn er nicht
+nachgab, dr&auml;ngte, ihnen versicherte,<span class="pagenum"><a name="Page_19" id="Page_19">[p. 19]</a></span> sie w&uuml;&szlig;ten es doch, so kamen die
+vergessenen Erinnerungen jedesmal wieder.</p>
+
+<p>So machte ich es also auch mit meinen Patienten. Wenn ich mit ihnen bis
+zu einem Punkte gekommen war, an dem sie behaupteten, nichts weiter zu
+wissen, so versicherte ich ihnen, sie w&uuml;&szlig;ten es doch, sie sollten es nur
+sagen, und ich getraute mich der Behauptung, da&szlig; die Erinnerung die
+richtige sein w&uuml;rde, die ihnen in dem Moment k&auml;me, wenn ich meine Hand
+auf ihre Stirn legte. Auf diese Weise gelang es mir, ohne Anwendung der
+Hypnose, von den Kranken alles zu erfahren, was zur Herstellung des
+Zusammenhangs zwischen den vergessenen pathogenen Szenen und den von
+ihnen er&uuml;brigten Symptomen erforderlich war. Aber es war ein m&uuml;hseliges,
+ein auf die Dauer ersch&ouml;pfendes Verfahren, das sich f&uuml;r eine endg&uuml;ltige
+Technik, nicht eignen konnte.</p>
+
+<p>Ich gab es jedoch nicht auf, ohne aus den dabei gemachten Wahrnehmungen
+die entscheidenden Schl&uuml;sse zu ziehen. Ich hatte es also best&auml;tigt
+gefunden, da&szlig; die vergessenen Erinnerungen nicht verloren waren. Sie
+waren im Besitze des Kranken und bereit, in Assoziation an das von ihm
+noch Gewu&szlig;te aufzutauchen, aber irgend eine Kraft hinderte sie daran,
+bewu&szlig;t zu werden und n&ouml;tigte sie, unbewu&szlig;t zu bleiben. Die Existenz
+dieser Kraft konnte man mit Sicherheit annehmen, denn man versp&uuml;rte eine
+ihr entsprechende Anstrengung, wenn man sich bem&uuml;hte, im Gegensatz zu
+ihr die unbewu&szlig;ten Erinnerungen ins Bewu&szlig;tsein des Kranken einzuf&uuml;hren.
+Man bekam die Kraft, welche den krankhaften Zustand aufrecht erhielt,
+als <span class="g">Widerstand</span> des Kranken zu sp&uuml;ren.</p>
+
+<p>Auf diese Idee des Widerstandes habe ich nun meine Auffassung der
+psychischen Vorg&auml;nge bei der Hysterie gegr&uuml;ndet. Es hatte sich als
+notwendig zur Herstellung erwiesen, diese<span class="pagenum"><a name="Page_20" id="Page_20">[p. 20]</a></span> Widerst&auml;nde aufzuheben; vom
+Mechanismus der Heilung aus konnte man sich jetzt ganz bestimmte
+Vorstellungen &uuml;ber den Hergang bei der Erkrankung bilden. Dieselben
+Kr&auml;fte, die heute als Widerstand sich dem Bewu&szlig;tmachen des Vergessenen
+widersetzten, mu&szlig;ten seinerzeit dieses Vergessen bewirkt und die
+betreffenden pathogenen Erlebnisse aus dem Bewu&szlig;tsein gedr&auml;ngt haben.
+Ich nannte diesen von mir supponierten Vorgang <span class="g">Verdr&auml;ngung</span> und
+betrachtete ihn als erwiesen durch die unleugbare Existenz des
+<span class="g">Widerstandes</span>.</p>
+
+<p>Man konnte sich aber auch die Frage vorlegen, welches diese Kr&auml;fte und
+welche die Bedingungen der Verdr&auml;ngung seien, in der wir nun den
+pathogenen Mechanismus der Hysterie erkennen. Eine vergleichende
+Untersuchung der pathogenen Situationen, die man durch die kathartische
+Behandlung kennen gelernt hatte, gestattete hierauf Antwort zu geben.
+Bei all diesen Erlebnissen hatte es sich darum gehandelt, da&szlig; eine
+Wunschregung aufgetaucht war, welche in scharfem Gegensatze zu den
+sonstigen W&uuml;nschen des Individuums stand, sich als unvertr&auml;glich mit den
+ethischen und &auml;sthetischen Anspr&uuml;chen der Pers&ouml;nlichkeit erwies. Es
+hatte einen kurzen Konflikt gegeben, und das Ende dieses inneren Kampfes
+war, da&szlig; die Vorstellung, welche als der Tr&auml;ger jenes unvereinbaren
+Wunsches vor dem Bewu&szlig;tsein auftrat, der Verdr&auml;ngung anheimfiel und mit
+den zu ihr geh&ouml;rigen Erinnerungen aus dem Bewu&szlig;tsein gedr&auml;ngt und
+vergessen wurde. Die Unvertr&auml;glichkeit der betreffenden Vorstellung mit
+dem Ich des Kranken war also das Motiv der Verdr&auml;ngung; die ethischen
+und anderen Anforderungen des Individuums waren die verdr&auml;ngenden
+Kr&auml;fte. Die Annahme der unvertr&auml;glichen Wunschregung oder die Fortdauer
+des Konflikts h&auml;tten hohe Grade von Unlust hervorgerufen; diese Unlust
+wurde durch die Verdr&auml;ngung erspart,<span class="pagenum"><a name="Page_21" id="Page_21">[p. 21]</a></span> die sich in solcher Art als eine
+der Schutzvorrichtungen der seelischen Pers&ouml;nlichkeit erwies.</p>
+
+<p>Ich will Ihnen anstatt vieler einen einzigen meiner F&auml;lle erz&auml;hlen, in
+welchem Bedingungen und Nutzen der Verdr&auml;ngung deutlich genug zu
+erkennen sind. Freilich mu&szlig; ich f&uuml;r meinen Zweck auch diese
+Krankengeschichte verk&uuml;rzen und wichtige Voraussetzungen derselben bei
+Seite lassen. Ein junges M&auml;dchen, welches kurz vorher den geliebten
+Vater verloren hatte, an dessen Pflege sie beteiligt gewesen war &mdash; eine
+Situation analog der bei der Patientin <span class="g">Breuers</span> &mdash;, brachte, als ihre
+&auml;ltere Schwester sich verheiratete, dem neuen Schwager eine besondere
+Sympathie entgegen, die sich leicht als verwandtschaftliche Z&auml;rtlichkeit
+maskieren konnte. Diese Schwester erkrankte bald und starb, w&auml;hrend die
+Patientin mit ihrer Mutter abwesend war. Die Abwesenden wurden eiligst
+zur&uuml;ckgerufen, ohne in sichere Kenntnis des schmerzlichen Ereignisses
+gesetzt zu werden. Als das M&auml;dchen an das Bett der toten Schwester trat,
+tauchte f&uuml;r einen kurzen Moment eine Idee in ihr auf, die sich etwa in
+den Worten ausdr&uuml;cken lie&szlig;e: <span class="g">Jetzt ist er frei und kann mich heiraten.</span>
+Wir d&uuml;rfen als sicher annehmen, da&szlig; diese Idee, welche die ihr selbst
+nicht bewu&szlig;te intensive Liebe zum Schwager ihrem Bewu&szlig;tsein verriet,
+durch den Aufruhr ihrer Gef&uuml;hle im n&auml;chsten Moment der Verdr&auml;ngung
+&uuml;berliefert wurde. Das M&auml;dchen erkrankte an schweren hysterischen
+Symptomen, und als ich sie in Behandlung genommen hatte, stellte es sich
+heraus, da&szlig; sie jene Szene am Bette der Schwester und die in ihr
+auftretende h&auml;&szlig;lich-egoistische Regung gr&uuml;ndlich vergessen hatte. Sie
+erinnerte sich daran in der Behandlung, reproduzierte den pathogenen
+Moment unter den Anzeichen heftigster Gem&uuml;tsbewegung und wurde durch
+diese Behandlung gesund.<span class="pagenum"><a name="Page_22" id="Page_22">[p. 22]</a></span></p>
+
+<p>Vielleicht darf ich Ihnen den Vorgang der Verdr&auml;ngung und deren
+notwendige Beziehung zum Widerstand durch ein grobes Gleichnis
+veranschaulichen, das ich gerade aus unserer gegenw&auml;rtigen Situation
+herausgreifen will. Nehmen Sie an, hier in diesem Saale und in diesem
+Auditorium, dessen musterhafte Ruhe und Aufmerksamkeit ich nicht genug
+zu preisen wei&szlig;, bef&auml;nde sich doch ein Individuum, welches sich st&ouml;rend
+benimmt und durch sein ungezogenes Lachen, Schw&auml;tzen, Scharren mit den
+F&uuml;&szlig;en meine Aufmerksamkeit von meiner Aufgabe abzieht. Ich erkl&auml;re, da&szlig;
+ich so nicht weiter vortragen kann, und daraufhin erheben sich einige
+kr&auml;ftige M&auml;nner unter Ihnen und setzen den St&ouml;renfried nach kurzem
+Kampfe vor die T&uuml;r. Er ist also jetzt &raquo;verdr&auml;ngt&laquo; und ich kann meinen
+Vortrag fortsetzen. Damit aber die St&ouml;rung sich nicht wiederhole, wenn
+der Herausgeworfene versucht, wieder in den Saal einzudringen, r&uuml;cken
+die Herren, welche meinen Willen zur Ausf&uuml;hrung gebracht haben, ihre
+St&uuml;hle an die T&uuml;re an und etablieren sich so als &raquo;Widerstand&laquo; nach
+vollzogener Verdr&auml;ngung. Wenn Sie nun noch die beiden Lokalit&auml;ten hier
+als das &raquo;Bewu&szlig;te&laquo; und das &raquo;Unbewu&szlig;te&laquo; aufs Psychische &uuml;bertragen, so
+haben Sie eine ziemlich gute Nachbildung des Vorgangs der Verdr&auml;ngung
+vor sich.</p>
+
+<p>Sie sehen nun, worin der Unterschied unserer Auffassung von der
+<span class="g">Janet</span>schen gelegen ist. Wir leiten die psychische Spaltung nicht von
+einer angeborenen Unzul&auml;nglichkeit zur Synthese des seelischen Apparats
+ab, sondern erkl&auml;ren sie dynamisch durch den Konflikt widerstreitender
+Seelenkr&auml;fte, erkennen in ihr das Ergebnis eines aktiven Str&auml;ubens der
+beiden psychischen Gruppierungen gegeneinander. Aus unserer Auffassung
+erheben sich nun neue Fragestellungen in gro&szlig;er Anzahl. Die Situation
+des psychischen Konflikts ist ja eine &uuml;beraus<span class="pagenum"><a name="Page_23" id="Page_23">[p. 23]</a></span> h&auml;ufige, ein Bestreben
+des Ichs, sich peinlicher Erinnerung zu erwehren, wird ganz regelm&auml;&szlig;ig
+beobachtet, ohne da&szlig; es zum Ergebnis einer seelischen Spaltung f&uuml;hrt.
+Man kann den Gedanken nicht abweisen, da&szlig; es noch anderer Bedingungen
+bedarf, wenn der Konflikt die Dissoziation zur Folge haben soll. Ich
+gebe Ihnen auch gern zu, da&szlig; wir mit der Annahme der Verdr&auml;ngung nicht
+am Ende, sondern erst am Anfang einer psychologischen Theorie stehen,
+aber wir k&ouml;nnen nicht anders als schrittweise vorr&uuml;cken und m&uuml;ssen die
+Vollendung der Erkenntnis weiterer und tiefer eindringender Arbeit
+&uuml;berlassen.</p>
+
+<p>Unterlassen Sie auch den Versuch, den Fall der Patientin <span class="g">Breuers</span> unter
+die Gesichtspunkte der Verdr&auml;ngung zu bringen. Diese Krankengeschichte
+eignet sich hiezu nicht, weil sie mit Hilfe der hypnotischen
+Beeinflussung gewonnen worden ist. Erst, wenn Sie die Hypnose
+ausschalten, k&ouml;nnen Sie die Widerst&auml;nde und Verdr&auml;ngungen bemerken und
+sich von dem wirklichen pathogenen Vorgang eine zutreffende Vorstellung
+bilden. Die Hypnose verdeckt den Widerstand und macht ein gewisses
+seelisches Gebiet frei zug&auml;nglich, daf&uuml;r h&auml;uft sie den Widerstand an den
+Grenzen dieses Gebietes zu einem Walle auf, der alles Weitere
+unzug&auml;nglich macht.</p>
+
+<p>Das Wertvollste, was wir aus der <span class="g">Breuer</span>schen Beobachtung gelernt haben,
+waren die Aufschl&uuml;sse &uuml;ber den Zusammenhang der Symptome mit den
+pathogenen Erlebnissen oder psychischen Traumen, und nun d&uuml;rfen wir
+nicht vers&auml;umen, diese Einsichten vom Standpunkte der Verdr&auml;ngungslehre
+zu w&uuml;rdigen. Man sieht zun&auml;chst wirklich nicht ein, wie man von der
+Verdr&auml;ngung aus zur Symptombildung gelangen kann. Anstatt eine
+komplizierte theoretische Ableitung zu geben, will ich an dieser Stelle
+auf unser fr&uuml;her gebrauchtes Bild f&uuml;r die Verdr&auml;ngung zur&uuml;ckgreifen.
+Denken Sie daran, mit der Entfernung<span class="pagenum"><a name="Page_24" id="Page_24">[p. 24]</a></span> des st&ouml;renden Gesellen und der
+Niederlassung der W&auml;chter vor der T&uuml;re braucht die Angelegenheit nicht
+beendigt zu sein. Es kann sehr wohl geschehen, da&szlig; der Herausgeworfene,
+der jetzt erbittert und ganz r&uuml;cksichtslos geworden ist, uns weiter zu
+schaffen gibt. Er ist zwar nicht mehr unter uns, wir sind seine
+Gegenwart, sein h&ouml;hnisches Lachen, seine halblauten Bemerkungen los
+geworden, aber in gewisser Hinsicht ist die Verdr&auml;ngung doch erfolglos
+gewesen, denn er f&uuml;hrt nun drau&szlig;en einen unertr&auml;glichen Spektakel auf,
+und sein Schreien und mit den F&auml;usten an die T&uuml;re Pochen hemmt meinen
+Vortrag mehr als fr&uuml;her sein unartiges Benehmen. Unter diesen
+Verh&auml;ltnissen w&uuml;rden wir es mit Freuden begr&uuml;&szlig;en m&uuml;ssen, wenn etwa unser
+verehrter Pr&auml;sident Dr.&nbsp;<span class="g">Stanley Hall</span> die Rolle des Vermittlers und
+Friedensstifters &uuml;bernehmen wollte. Er w&uuml;rde mit dem ungeb&auml;rdigen
+Gesellen drau&szlig;en sprechen und dann sich an uns mit der Aufforderung
+wenden, ihn doch wieder einzulassen, er &uuml;bernehme die Garantie, da&szlig; sich
+jener jetzt besser betragen werde. Auf Dr.&nbsp;<span class="g">Halls</span> Autorit&auml;t hin
+entschlie&szlig;en wir uns dazu, die Verdr&auml;ngung wieder aufzuheben und nun
+tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Es ist dies wirklich keine unpassende
+Darstellung der Aufgabe, die dem Arzt bei der psychoanalytischen
+Therapie der Neurosen zuf&auml;llt.</p>
+
+<p>Um es jetzt direkter zu sagen: Wir kommen durch die Untersuchung der
+hysterisch Kranken und anderer Neurotiker zur &Uuml;berzeugung, da&szlig; ihnen die
+Verdr&auml;ngung der Idee, an welcher der unvertr&auml;gliche Wunsch h&auml;ngt,
+<span class="g">mi&szlig;lungen</span> ist. Sie haben sie zwar aus dem Bewu&szlig;tsein und aus der
+Erinnerung getrieben und sich anscheinend eine gro&szlig;e Summe Unlust
+erspart, <span class="g">aber im Unbewu&szlig;ten besteht die verdr&auml;ngte Wunschregung weiter</span>,
+lauert auf eine Gelegenheit, aktiviert zu werden, und versteht es dann,
+eine entstellte und unkenntlich<span class="pagenum"><a name="Page_25" id="Page_25">[p. 25]</a></span> gemachte <span class="g">Ersatzbildung</span> f&uuml;r das
+Verdr&auml;ngte ins Bewu&szlig;tsein zu schicken, an welche sich bald dieselben
+Unlustempfindungen kn&uuml;pfen, die man durch die Verdr&auml;ngung erspart
+glaubte. Diese Ersatzbildung f&uuml;r die verdr&auml;ngte Idee &mdash; das <span class="g">Symptom</span> &mdash;
+ist gegen weitere Angriffe von Seiten des abwehrenden Ichs gefeit, und
+an Stelle des kurzen Konflikts tritt jetzt ein in der Zeit nicht
+endendes Leiden. An dem Symptom ist neben den Anzeichen der Entstellung
+ein Rest von irgendwie vermittelter &Auml;hnlichkeit mit der urspr&uuml;nglich
+verdr&auml;ngten Idee zu konstatieren; die Wege, auf denen sich die
+Ersatzbildung vollzog, lassen sich w&auml;hrend der psychoanalytischen
+Behandlung des Kranken aufdecken, und zu seiner Heilung ist es
+notwendig, da&szlig; das Symptom auf diesen n&auml;mlichen Wegen wieder in die
+verdr&auml;ngte Idee &uuml;bergef&uuml;hrt werde. Ist das Verdr&auml;ngte wieder der
+bewu&szlig;ten Seelent&auml;tigkeit zugef&uuml;hrt, was die &Uuml;berwindung betr&auml;chtlicher
+Widerst&auml;nde voraussetzt, so kann der so entstandene psychische <span class="g">Konflikt</span>,
+den der Kranke vermeiden wollte, unter der Leitung des Arztes einen
+besseren Ausgang finden, als ihn die Verdr&auml;ngung bot. Es gibt mehrere
+solcher zweckm&auml;&szlig;iger Erledigungen, welche Konflikt und Neurose zum
+gl&uuml;cklichen Ende f&uuml;hren, im einzelnen Falle auch miteinander kombiniert
+erzielt werden k&ouml;nnen. Entweder wird die Pers&ouml;nlichkeit des Kranken
+&uuml;berzeugt, da&szlig; sie den pathogenen Wunsch mit Unrecht abgewiesen hat, und
+veranla&szlig;t, ihn ganz oder teilweise zu akzeptieren, oder dieser Wunsch
+wird selbst auf ein h&ouml;heres und darum einwandfreies Ziel geleitet (was
+man seine <span class="g">Sublimierung</span> hei&szlig;t), oder man erkennt seine Verwerfung als zu
+Recht bestehend an, ersetzt aber den automatischen und darum
+unzureichenden Mechanismus der Verdr&auml;ngung durch eine Verurteilung mit
+Hilfe der h&ouml;chsten geistigen Leistungen des Menschen; man erreicht seine
+bewu&szlig;te Beherrschung.<span class="pagenum"><a name="Page_26" id="Page_26">[p. 26]</a></span></p>
+
+<p>Verzeihen Sie mir, wenn es mir nicht gelungen ist, Ihnen diese
+Hauptgesichtspunkte der nun <span class="g">Psychoanalyse</span> genannten Behandlungsmethode
+klarer fa&szlig;lich darzustellen. Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der
+Neuheit des Gegenstandes. Welcher Art die unvertr&auml;glichen W&uuml;nsche sind,
+die sich trotz der Verdr&auml;ngung aus dem Unbewu&szlig;ten vernehmbar zu machen
+verstehen, und welche subjektiven oder konstitutionellen Bedingungen bei
+einer Person zutreffen m&uuml;ssen, damit sich ein solches Mi&szlig;lingen der
+Verdr&auml;ngung und eine Ersatz- oder Symptombildung vollziehe, dar&uuml;ber
+werden noch einige sp&auml;tere Bemerkungen Aufschlu&szlig; geben.<span class="pagenum"><a name="Page_27" id="Page_27">[p. 27]</a></span></p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="III" id="III"></a>III.</h2>
+
+
+<p>Meine Damen und Herren! Es ist nicht immer leicht die Wahrheit zu sagen,
+besonders wenn man kurz sein mu&szlig;, und so bin ich heute gen&ouml;tigt, eine
+Unrichtigkeit zu korrigieren, die ich in meinem letzten Vortrag
+vorgebracht habe. Ich sagte Ihnen, wenn ich unter Verzicht auf die
+Hypnose in meine Kranken drang, mir doch mitzuteilen, was ihnen zu dem
+eben behandelten Problem einfiele; sie w&uuml;&szlig;ten ja doch alles angeblich
+Vergessene, und der auftauchende Einfall werde gewi&szlig; das Gesuchte
+enthalten, so machte ich tats&auml;chlich die Erfahrung, da&szlig; der n&auml;chste
+Einfall meines Kranken das richtige brachte und sich als die vergessene
+Fortsetzung der Erinnerung erwies. Nun, das ist nicht allgemein richtig;
+ich habe es nur der Abk&uuml;rzung halber so einfach dargestellt. In
+Wirklichkeit traf es nur die ersten Male zu, da&szlig; sich das richtige
+Vergessene durch einfaches Dr&auml;ngen von meiner Seite einstellte. Setzte
+man das Verfahren fort, so kamen jedesmal Einf&auml;lle, die nicht die
+richtigen sein konnten, weil sie nicht passend waren, und die die
+Kranken selbst als unrichtig verwarfen. Das Dr&auml;ngen brachte hier keine
+weitere Hilfe, und man konnte wieder bedauern, die Hypnose aufgegeben zu
+haben.</p>
+
+<p>In diesem Stadium der Ratlosigkeit klammerte ich mich an ein Vorurteil,
+dessen wissenschaftliche Berechtigung Jahre sp&auml;ter durch meinen Freund
+C.&nbsp;G.&nbsp;<span class="g">Jung</span> in Z&uuml;rich und seine Sch&uuml;ler erwiesen wurde. Ich mu&szlig;
+behaupten, es ist manchmal recht<span class="pagenum"><a name="Page_28" id="Page_28">[p. 28]</a></span> n&uuml;tzlich, Vorurteile zu haben. Ich
+brachte eine hohe Meinung von der Strenge der Determinierung seelischer
+Vorg&auml;nge mit und konnte nicht daran glauben, da&szlig; ein Einfall des
+Kranken, den er bei gespannter Aufmerksamkeit produzierte, ganz
+willk&uuml;rlich und au&szlig;er Beziehung zu der von uns gesuchten vergessenen
+Vorstellung sei; da&szlig; er mit dieser nicht identisch war, lie&szlig; sich aus
+der vorausgesetzten psychologischen Situation befriedigend erkl&auml;ren. In
+dem behandelten Kranken wirkten zwei Kr&auml;fte gegen einander, einerseits
+sein bewu&szlig;tes Bestreben, das in seinem Unbewu&szlig;ten vorhandene Vergessene
+ins Bewu&szlig;tsein zu ziehen, anderseits der uns bekannte Widerstand, der
+sich gegen solches Bewu&szlig;twerden des Verdr&auml;ngten oder seiner Abk&ouml;mmlinge
+str&auml;ubte. War dieser Widerstand gleich Null oder sehr gering, so wurde
+das Vergessene ohne Entstellung bewu&szlig;t; es lag also nahe, anzunehmen,
+da&szlig; die Entstellung des Gesuchten um so gr&ouml;&szlig;er ausfallen werde, je
+gr&ouml;&szlig;er der Widerstand gegen das Bewu&szlig;twerden des Gesuchten sei. Der
+Einfall des Kranken, der anstatt des Gesuchten kam, war also selbst
+entstanden wie ein Symptom; er war eine neue, k&uuml;nstliche und ephemere
+Ersatzbildung f&uuml;r das Verdr&auml;ngte, und demselben um so un&auml;hnlicher, eine
+je gr&ouml;&szlig;ere Entstellung er unter dem Einflu&szlig; des Widerstandes erfahren
+hatte. Er mu&szlig;te aber doch eine gewisse &Auml;hnlichkeit mit dem Gesuchten
+aufweisen, kraft seiner Natur als Symptom, und bei nicht zu intensivem
+Widerstand mu&szlig;te es m&ouml;glich sein, aus dem Einfall das verborgene
+Gesuchte zu erraten. Der Einfall mu&szlig;te sich zum verdr&auml;ngten Element
+verhalten wie eine Anspielung, wie eine Darstellung desselben in
+<span class="g">indirekter</span> Rede.</p>
+
+<p>Wir kennen auf dem Gebiete des normalen Seelenlebens F&auml;lle, in denen
+analoge Situationen wie die von uns angenommene auch &auml;hnliche Ergebnisse
+liefern. Ein solcher Fall ist der des<span class="pagenum"><a name="Page_29" id="Page_29">[p. 29]</a></span> <span class="g">Witzes</span>. Durch die Probleme der
+psychoanalytischen Technik bin ich denn auch gen&ouml;tigt worden, mich mit
+der Technik der Witzbildung zu besch&auml;ftigen. Ich will Ihnen ein einziges
+solches Beispiel erl&auml;utern, &uuml;brigens einen Witz in englischer Sprache.</p>
+
+<p>Die Anekdote erz&auml;hlt:<a name="FNanchor_10_10" id="FNanchor_10_10"></a><a href="#Footnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a> Zwei wenig skrupul&ouml;sen Gesch&auml;ftsleuten war es
+gelungen, sich durch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein gro&szlig;es
+Verm&ouml;gen zu erwerben, und nun ging ihr Bem&uuml;hen dahin, sich der guten
+Gesellschaft aufzudr&auml;ngen. Unter anderem erschien es ihnen als ein
+zweckm&auml;&szlig;iges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten Maler der
+Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen.
+Auf einer gro&szlig;en Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und
+die beiden Hausherren f&uuml;hrten selbst den einflu&szlig;reichsten Kunstkenner
+und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Portraits
+nebeneinander aufgeh&auml;ngt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu
+entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, sch&uuml;ttelte dann den Kopf,
+als ob er etwas vermissen w&uuml;rde, und fragte blo&szlig;, auf den freien Raum
+zwischen beiden Bildern deutend: &raquo;And where is the Saviour?&laquo; Ich sehe,
+Sie lachen alle &uuml;ber diesen guten Witz, in dessen Verst&auml;ndnis wir nun
+eindringen wollen. Wir verstehen, da&szlig; der Kunstkenner sagen will: Ihr
+seid ein Paar Spitzbuben, wie die, zwischen denen man den Heiland ans
+Kreuz h&auml;ngte. Aber er sagt es nicht, anstatt dessen &auml;u&szlig;ert er etwas, was
+zun&auml;chst sonderbar unpassend und nicht dazu geh&ouml;rig scheint, was wir
+aber im n&auml;chsten Moment als eine <span class="g">Anspielung</span> auf die von ihm
+beabsichtigte Beschimpfung und als einen vollg&uuml;ltigen Ersatz f&uuml;r
+dieselbe erkennen. Wir k&ouml;nnen nicht erwarten, da&szlig; sich beim Witz alle
+die Verh&auml;ltnisse widerfinden<span class="pagenum"><a name="Page_30" id="Page_30">[p. 30]</a></span> lassen, die wir bei der Entstehung des
+Einfalles bei unseren Patienten vermuten, aber auf die Identit&auml;t in der
+Motivierung von Witz und Einfall wollen wir Gewicht legen. Warum sagt
+unser Kritiker den beiden Spitzbuben nicht direkt, was er ihnen sagen
+m&ouml;chte? Weil neben seinem Gel&uuml;ste, es ihnen unverh&uuml;llt ins Gesicht zu
+sagen, sehr gute Gegenmotive in ihm wirksam sind. Es ist nicht
+ungef&auml;hrlich, Leute zu beleidigen, bei denen man zu Gaste ist, und die
+&uuml;ber die kr&auml;ftigen F&auml;uste einer zahlreichen Dienerschaft verf&uuml;gen. Man
+kann leicht jenem Schicksal verfallen, das ich im vorigen Vortrag in
+eine Analogie mit der &raquo;Verdr&auml;ngung&laquo; brachte. Aus diesem Grunde bringt
+der Kritiker die beabsichtigte Beschimpfung nicht direkt, sondern in
+entstellter Form als eine &raquo;Anspielung mit Auslassung&laquo; zum Ausdruck, und
+dieselbe Konstellation verschuldet es nach unserer Meinung, da&szlig; unser
+Patient, anstatt des gesuchten Vergessenen, einen mehr oder minder
+entstellten <span class="g">Ersatzeinfall</span> produziert.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_10_10" id="Footnote_10_10"></a><a href="#FNanchor_10_10"><span class="label">[10]</span></a> Der Witz und seine Beziehung zum Unbewu&szlig;ten. Fr.&nbsp;Deuticke,
+Wien 1905 (p.&nbsp;59).</p></div>
+
+<p>Meine Damen und Herren! Es ist recht zweckm&auml;&szlig;ig, eine Gruppe von
+zusammengeh&ouml;rigen, mit Affekt besetzten Vorstellungselementen nach dem
+Vorgang der <span class="g">Z&uuml;richer</span> Schule (<span class="g">Bleuler</span>, <span class="g">Jung</span> u.&nbsp;a.) als einen &raquo;<span class="g">Komplex</span>&laquo; zu
+bezeichnen. Wir sehen also, wenn wir bei einem Kranken, von dem letzten,
+was er noch erinnert, ausgehen, um einen verdr&auml;ngten Komplex zu suchen,
+so haben wir alle Aussicht, diesen zu erraten, wenn uns der Kranke eine
+gen&uuml;gende Anzahl seiner freien Einf&auml;lle zur Verf&uuml;gung stellt. Wir lassen
+also den Kranken reden, was er will, und halten an der Voraussetzung
+fest, da&szlig; ihm nichts anderes einfallen kann, als was in indirekter Weise
+von dem gesuchten Komplex abh&auml;ngt. Erscheint Ihnen dieser Weg, das
+Verdr&auml;ngte aufzufinden, allzu umst&auml;ndlich, so kann ich Ihnen wenigstens
+die Versicherung geben, da&szlig; er der einzig gangbare ist.<span class="pagenum"><a name="Page_31" id="Page_31">[p. 31]</a></span></p>
+
+<p>Wenn wir diese Technik aus&uuml;ben, so werden wir noch durch die Tatsache
+gest&ouml;rt, da&szlig; der Kranke h&auml;ufig inne h&auml;lt, in Stockungen ger&auml;t und
+behauptet, er wisse nichts zu sagen, es falle ihm &uuml;berhaupt nichts ein.
+Tr&auml;fe dies zu und h&auml;tte der Kranke recht, so w&auml;re unser Verfahren
+wiederum als unzul&auml;nglich erwiesen. Allein eine feinere Beobachtung
+zeigt, da&szlig; ein solches Versagen der Einf&auml;lle eigentlich nie eintritt.
+Dieser Anschein kommt nur dadurch zu stande, da&szlig; der Kranke den
+wahrgenommenen Einfall unter dem Einflu&szlig; der Widerst&auml;nde, die sich in
+verschiedene kritische Urteile &uuml;ber den Wert des Einfalls kleiden,
+zur&uuml;ckh&auml;lt oder wieder beseitigt. Man sch&uuml;tzt sich dagegen, indem man
+ihm dieses Verhalten vorhersagt und von ihm fordert, da&szlig; er sich um
+diese Kritik nicht k&uuml;mmere. Er soll unter v&ouml;lligem Verzicht auf solche
+kritische Auswahl alles sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn er
+es f&uuml;r unrichtig, f&uuml;r nicht dazu geh&ouml;rig, f&uuml;r unsinnig h&auml;lt, vor allem
+auch dann, wenn es ihm unangenehm ist, sein Denken mit dem Einfall zu
+besch&auml;ftigen. Durch die Befolgung dieser Vorschrift sichern wir uns das
+Material, welches uns auf die Spur der verdr&auml;ngten Komplexe f&uuml;hrt.</p>
+
+<p>Dies Material von Einf&auml;llen, welche der Kranke geringsch&auml;tzend von sich
+weist, wenn er unter dem Einfl&uuml;sse des Widerstandes anstatt unter dem
+des Arztes steht, stellt f&uuml;r den Psychoanalytiker gleichsam das Erz dar,
+dem er mit Hilfe von einfachen Deutungsk&uuml;nsten seinen Gehalt an
+wertvollem Metall entzieht. Wollen Sie sich bei einem Kranken eine
+rasche und vorl&auml;ufige Kenntnis der verdr&auml;ngten Komplexe schaffen, ohne
+noch auf deren Anordnung und Verkn&uuml;pfung einzugehen, so bedienen Sie
+sich dazu der Pr&uuml;fung mit dem <span class="g">Assoziationsexperiment</span>, wie sie <span class="g">Jung</span><a name="FNanchor_11_11" id="FNanchor_11_11"></a><a href="#Footnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a>
+und seine Sch&uuml;ler ausgebildet<span class="pagenum"><a name="Page_32" id="Page_32">[p. 32]</a></span> haben. Dies Verfahren leistet dem
+Psychoanalytiker so viel wie die qualitative Analyse dem Chemiker; es
+ist in der Therapie der neurotisch Kranken entbehrlich, unentbehrlich
+aber zur objektiven Demonstration der Komplexe und bei der Untersuchung
+der Psychosen, die von der Z&uuml;richer Schule so erfolgreich in Angriff
+genommen worden ist.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_11_11" id="Footnote_11_11"></a><a href="#FNanchor_11_11"><span class="label">[11]</span></a> C.&nbsp;G.&nbsp;<span class="g">Jung</span>, Diagnostische Assoziationsstudien, I.&nbsp;Bd.,
+1906.</p></div>
+
+<p>Die Bearbeitung der Einf&auml;lle, welche sich dem Patienten ergeben, wenn er
+sich der psychoanalytischen Hauptregel unterwirft, ist nicht das einzige
+unserer technischen Mittel zur Erschlie&szlig;ung des Unbewu&szlig;ten. Dem gleichen
+Zwecke dienen zwei andere Verfahren, die Deutung seiner Tr&auml;ume und die
+Verwertung seiner Fehl- und Zufallshandlungen.</p>
+
+<p>Ich gestehe Ihnen, meine geehrten Zuh&ouml;rer, da&szlig; ich lange geschwankt
+habe, ob ich Ihnen anstatt dieser gedr&auml;ngten &Uuml;bersicht &uuml;ber das ganze
+Gebiet der Psychoanalyse nicht lieber eine ausf&uuml;hrliche Darstellung der
+<span class="g">Traumdeutung</span> bieten soll. Ein rein subjektives und anscheinend
+sekund&auml;res Motiv hat mich davon zur&uuml;ckgehalten. Es erschien mir fast
+anst&ouml;&szlig;ig, in diesem praktischen Zielen zugewendeten Lande als
+&raquo;Traumdeuter&laquo; aufzutreten, ehe Sie noch wissen konnten, auf welche
+Bedeutung diese veraltete und verspottete Kunst Anspruch erheben kann.
+Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via Regia zur Kenntnis des
+Unbewu&szlig;ten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse und jenes Gebiet,
+auf welchem jeder Arbeiter seine &Uuml;berzeugung zu gewinnen und seine
+Ausbildung anzustreben hat. Wenn ich gefragt werde, wie man
+Psychoanalytiker werden kann, so antworte ich, durch das Studium seiner
+eigenen Tr&auml;ume. Mit richtigem Takt sind alle Gegner der Psychoanalyse
+bisher einer W&uuml;rdigung der &raquo;Traumdeutung&laquo;<a name="FNanchor_12_12" id="FNanchor_12_12"></a><a href="#Footnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a> ausgewichen oder haben mit
+den seichtesten Einwendungen &uuml;ber sie hinwegzukommen getrachtet.<span class="pagenum"><a name="Page_33" id="Page_33">[p. 33]</a></span> Wenn
+Sie im Gegenteile die L&ouml;sungen der Probleme des Traumlebens anzunehmen
+verm&ouml;gen, werden Ihnen die Neuheiten, welche die Psychoanalyse Ihrem
+Denken zumutet, keine Schwierigkeiten mehr bieten.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_12_12" id="Footnote_12_12"></a><a href="#FNanchor_12_12"><span class="label">[12]</span></a> Die Traumdeutung, 2.&nbsp;Aufl., Fr.&nbsp;Deuticke, Wien 1909.</p></div>
+
+<p>Vergessen Sie nicht daran, da&szlig; unsere n&auml;chtlichen Traumproduktionen
+einerseits die gr&ouml;&szlig;te &auml;u&szlig;ere &Auml;hnlichkeit und innere Verwandtschaft mit
+den Sch&ouml;pfungen der Geisteskrankheiten zeigen, anderseits aber mit der
+vollen Gesundheit des Wachlebens vertr&auml;glich sind. Es ist keine absurd
+klingende Behauptung, da&szlig;, wer jenen &raquo;normalen&laquo; Sinnest&auml;uschungen,
+Wahnideen und Charakter&auml;nderungen Verwunderung anstatt Verst&auml;ndnis
+entgegenbringt, auch nicht die leiseste Aussicht hat, die abnormen
+Bildungen krankhafter Seelenzust&auml;nde anders als im laienhaften Sinne zu
+begreifen. Zu diesen Laien d&uuml;rfen Sie heute getrost fast alle Psychiater
+z&auml;hlen. Folgen Sie mir nun auf einem fl&uuml;chtigen Streifzug durch das
+Gebiet der Traumprobleme.</p>
+
+<p>Wir pflegen, wenn wir erwacht sind, die Tr&auml;ume so ver&auml;chtlich zu
+behandeln, wie der Patient die Einf&auml;lle, die der Psychoanalytiker von
+ihm fordert. Wir weisen sie aber auch von uns ab, indem wir sie in der
+Regel rasch und vollst&auml;ndig vergessen. Unsere Geringsch&auml;tzung gr&uuml;ndet
+sich auf den fremdartigen Charakter selbst jener Tr&auml;ume, die nicht
+verworren und unsinnig sind, und auf die evidente Absurdit&auml;t und
+Sinnlosigkeit anderer Tr&auml;ume; unsere Abweisung beruft sich auf die
+ungehemmt schamlosen und unmoralischen Strebungen, die in manchen
+Tr&auml;umen offen zu Tage treten. Das Altertum hat diese Geringsch&auml;tzung der
+Tr&auml;ume bekanntlich nicht geteilt. Die niederen Schichten unseres Volkes
+lassen sich in der Wertsch&auml;tzung der Tr&auml;ume auch heute nicht irre
+machen; sie erwarten von ihnen wie die Alten die Enth&uuml;llung der Zukunft.</p>
+
+<p>Ich bekenne, da&szlig; ich kein Bed&uuml;rfnis nach mystischen Annahmen<span class="pagenum"><a name="Page_34" id="Page_34">[p. 34]</a></span> zur
+Ausf&uuml;llung der L&uuml;cken unserer gegenw&auml;rtigen Erkenntnis habe, und darum
+habe ich auch nie etwas finden k&ouml;nnen, was eine prophetische Natur der
+Tr&auml;ume best&auml;tigte. Es l&auml;&szlig;t sich viel andersartiges, was auch wunderbar
+genug ist, &uuml;ber die Tr&auml;ume sagen.</p>
+
+<p>Zun&auml;chst, nicht alle Tr&auml;ume sind dem Tr&auml;umer wesensfremd, unverst&auml;ndlich
+und verworren. Wenn Sie die Tr&auml;ume j&uuml;ngster Kinder, von 1&frac12; Jahren an,
+Ihrer Betrachtung unterziehen wollen, so finden sie dieselben ganz
+simpel und leicht aufzukl&auml;ren. Das kleine Kind tr&auml;umt immer die
+Erf&uuml;llung von W&uuml;nschen, die der Tag vorher in ihm erweckt und nicht
+befriedigt hat. Sie bed&uuml;rfen keiner Deutungskunst, um diese einfache
+L&ouml;sung zu finden, sondern nur der Erkundigung nach den Erlebnissen des
+Kindes am Vortag (Traumtag). Es w&auml;re nun gewi&szlig; die befriedigendste
+L&ouml;sung des Traumr&auml;tsels, wenn auch die Tr&auml;ume der Erwachsenen nichts
+anderes w&auml;ren als die der Kinder, Erf&uuml;llungen von Wunschregungen, die
+ihnen der Traumtag gebracht hat. So ist es auch in Wirklichkeit; die
+Schwierigkeiten, welche dieser L&ouml;sung im Wege stehen, lassen sich durch
+eine eingehendere Analyse der Tr&auml;ume schrittweise beseitigen.</p>
+
+<p>Da ist vor allem die erste und gewichtigste Einwendung, da&szlig; die Tr&auml;ume
+Erwachsener gew&ouml;hnlich einen unverst&auml;ndlichen Inhalt haben, der am
+wenigsten etwas von Wunscherf&uuml;llung erkennen l&auml;&szlig;t. Die Antwort lautet
+hier: Diese Tr&auml;ume haben eine Entstellung erfahren; der psychische
+Vorgang, der ihnen zu Grunde liegt, h&auml;tte urspr&uuml;nglich ganz anderen
+Ausdruck in Worten finden sollen. Sie m&uuml;ssen den <span class="g">manifesten Trauminhalt</span>,
+wie Sie ihn am Morgen verschwommen erinnern und m&uuml;hselig, anscheinend
+willk&uuml;rlich, in Worte kleiden, unterscheiden von den <span class="g">latenten
+Traumgedanken</span>, die Sie im Unbewu&szlig;ten vorhanden anzunehmen haben. Diese
+Traumentstellung<span class="pagenum"><a name="Page_35" id="Page_35">[p. 35]</a></span> ist derselbe Vorgang, den Sie bei der Untersuchung der
+Bildung hysterischer Symptome kennen gelernt haben; sie weist auch
+darauf hin, da&szlig; das gleiche Gegenspiel der seelischen Kr&auml;fte bei der
+Traumbildung wie bei der Symptombildung beteiligt ist. Der manifeste
+Trauminhalt ist der entstellte Ersatz f&uuml;r die unbewu&szlig;ten Traumgedanken,
+und diese Entstellung ist das Werk von abwehrenden Kr&auml;ften des Ichs,
+Widerst&auml;nden, welche den verdr&auml;ngten W&uuml;nschen des Unbewu&szlig;ten den Zugang
+zum Bewu&szlig;tsein im Wachleben &uuml;berhaupt verwehren, in der Herabsetzung des
+Schlafzustandes aber wenigstens noch so stark sind, da&szlig; sie ihnen eine
+verh&uuml;llende Vermummung aufn&ouml;tigen. Der Tr&auml;umer erkennt dann den Sinn
+seiner Tr&auml;ume ebenso wenig wie der Hysterische die Beziehung und
+Bedeutung seiner Symptome.</p>
+
+<p>Da&szlig; es latente Traumgedanken gibt und da&szlig; zwischen ihnen und dem
+manifesten Trauminhalt wirklich die eben beschriebene Relation besteht,
+davon &uuml;berzeugen Sie sich bei der Analyse der Tr&auml;ume, deren Technik mit
+der psychoanalytischen zusammenf&auml;llt. Sie sehen von dem scheinbaren
+Zusammenhang der Elemente im manifesten Traum ganz ab und suchen sich
+die Einf&auml;lle zusammen, die sich bei freier Assoziation nach der
+psychoanalytischen Arbeitsregel zu jedem einzelnen Traumelement ergeben.
+Aus diesem Material erraten Sie die latenten Traumgedanken ganz so, wie
+Sie aus den Einf&auml;llen des Kranken zu seinen Symptomen und Erinnerungen
+seine versteckten Komplexe erraten haben. An den so gefundenen latenten
+Traumgedanken ersehen Sie ohne weiteres, wie vollberechtigt die
+R&uuml;ckf&uuml;hrung der Tr&auml;ume Erwachsener auf die Kindertr&auml;ume ist. Was sich
+jetzt als der eigentliche Sinn des Traumes dem manifesten Trauminhalt
+substituiert, das ist immer klar verst&auml;ndlich, kn&uuml;pft an die
+Lebenseindr&uuml;cke des Vortages an, erweist sich<span class="pagenum"><a name="Page_36" id="Page_36">[p. 36]</a></span> als eine Erf&uuml;llung
+unbefriedigter W&uuml;nsche. Den manifesten Traum, den Sie aus der Erinnerung
+beim Erwachen kennen, k&ouml;nnen Sie dann nur beschreiben als eine <span class="g">verkappte</span>
+Erf&uuml;llung <span class="g">verdr&auml;ngter</span> W&uuml;nsche.</p>
+
+<p>Sie k&ouml;nnen durch eine Art von synthetischer Arbeit jetzt auch Einsicht
+nehmen in den Proze&szlig;, der die Entstellung der unbewu&szlig;ten Traumgedanken
+zum manifesten Trauminhalt herbeigef&uuml;hrt hat. Wir hei&szlig;en diesen Proze&szlig;
+die &raquo;Traumarbeit&laquo;. Derselbe verdient unser vollstes theoretisches
+Interesse, weil wir an ihm wie sonst nirgends studieren k&ouml;nnen, welche
+ungeahnten psychischen Vorg&auml;nge im Unbewu&szlig;ten, oder genau ausgedr&uuml;ckt,
+<span class="g">zwischen</span> zwei gesonderten psychischen Systemen wie dem Bewu&szlig;ten und dem
+Unbewu&szlig;ten, m&ouml;glich sind. Unter diesen neu erkannten psychischen
+Vorg&auml;ngen heben sich die der <span class="g">Verdichtung</span> und der <span class="g">Verschiebung</span> auff&auml;llig
+heraus. Die Traumarbeit ist ein Spezialfall der Einwirkungen
+verschiedener seelischer Gruppierungen aufeinander, also der Erfolge der
+seelischen Spaltung, und sie scheint in allem Wesentlichen identisch mit
+jener Entstellungsarbeit, welche die verdr&auml;ngten Komplexe bei
+mi&szlig;gl&uuml;ckender Verdr&auml;ngung in Symptome verwandelt.</p>
+
+<p>Sie werden ferner bei der Analyse der Tr&auml;ume, am &uuml;berzeugendsten Ihrer
+eigenen, mit Verwunderung die ungeahnt gro&szlig;e Rolle entdecken, welche
+Eindr&uuml;cke und Erlebnisse fr&uuml;her Jahre der Kindheit auf die Entwicklung
+des Menschen nehmen. Im Traumleben setzt das Kind im Menschen gleichsam
+seine Existenz mit Erhaltung all seiner Eigent&uuml;mlichkeiten und
+Wunschregungen, auch der im sp&auml;teren Leben unbrauchbar gewordenen, fort.
+Mit unabweislicher Macht dr&auml;ngt sich Ihnen auf, durch welche
+Entwicklungen, Verdr&auml;ngungen, Sublimierungen und Reaktionsbildungen aus
+dem ganz anders beanlagten<span class="pagenum"><a name="Page_37" id="Page_37">[p. 37]</a></span> Kind der sogenannt normale Mensch, der
+Tr&auml;ger und zum Teil das Opfer der m&uuml;hsam errungenen Kultur, hervorgeht.</p>
+
+<p>Auch darauf will ich sie aufmerksam machen, da&szlig; wir bei der Analyse der
+Tr&auml;ume gefunden haben, das Unbewu&szlig;te bediene sich, insbesondere f&uuml;r die
+Darstellung sexueller Komplexe, einer gewissen Symbolik, die zum Teil
+individuell variabel, zum anderen Teil aber typisch festgelegt ist, und
+die sich mit der Symbolik zu decken scheint, die wir hinter unseren
+Mythen und M&auml;rchen vermuten. Es w&auml;re nicht unm&ouml;glich, da&szlig; die letzteren
+Sch&ouml;pfungen der V&ouml;lker ihre Aufkl&auml;rung vom Traume her empfangen k&ouml;nnten.</p>
+
+<p>Endlich mu&szlig; ich Sie mahnen, da&szlig; Sie sich nicht durch den Einwand irre
+machen lassen, das Vorkommen von Angsttr&auml;umen widerspreche unserer
+Auffassung des Traumes als Wunscherf&uuml;llung. Abgesehen davon, da&szlig; auch
+diese Angsttr&auml;ume der Deutung bed&uuml;rfen, ehe man &uuml;ber sie urteilen kann,
+mu&szlig; man ganz allgemein sagen, da&szlig; die Angst nicht so einfach am
+Trauminhalt h&auml;ngt, wie man&#8217;s sich ohne weitere Kenntnis und R&uuml;cksicht
+auf die Bedingungen der neurotischen Angst vorstellt. Die Angst ist eine
+der Ablehnungsreaktionen des Ichs gegen stark gewordene verdr&auml;ngte
+W&uuml;nsche, und daher auch im Traume sehr gut erkl&auml;rlich, wenn die
+Traumbildung sich zu sehr in den Dienst der Erf&uuml;llung dieser verdr&auml;ngten
+W&uuml;nsche gestellt hat.</p>
+
+<p>Sie sehen, die Traumerforschung w&auml;re an sich durch die Aufschl&uuml;sse
+gerechtfertigt, die sie &uuml;ber sonst schwer wi&szlig;bare Dinge liefert. Wir
+sind aber im Zusammenhange mit der psychoanalytischen Behandlung der
+Neurotiker zu ihr gelangt. Nach dem bisher Gesagten k&ouml;nnen Sie leicht
+verstehen, wie die Traumdeutung, wenn sie nicht durch die Widerst&auml;nde
+des Kranken allzu sehr erschwert wird, zur Kenntnis der versteckten und
+verdr&auml;ngten W&uuml;nsche des Kranken und der von ihnen gen&auml;hrten<span class="pagenum"><a name="Page_38" id="Page_38">[p. 38]</a></span> Komplexe
+f&uuml;hrt, und ich kann zur dritten Gruppe von seelischen Ph&auml;nomenen
+&uuml;bergehen, deren Studium zum technischen Mittel f&uuml;r die Psychoanalyse
+geworden ist.</p>
+
+<p>Es sind dies die kleinen Fehlhandlungen normaler wie nerv&ouml;ser Menschen,
+denen man sonst keine Bedeutung beizulegen pflegt, das Vergessen von
+Dingen, die sie wissen k&ouml;nnten und andere Male auch wirklich wissen
+(z.&nbsp;B. das zeitweilige Entfallen von Eigennamen), das Versprechen in der
+Rede, das sich uns selbst so h&auml;ufig ereignet, das analoge Verschreiben
+und Verlesen, das Vergreifen bei Verrichtungen und das Verlieren oder
+Zerbrechen von Gegenst&auml;nden u.&nbsp;dgl., lauter Dinge, f&uuml;r die man eine
+psychologische Determinierung sonst nicht sucht, und die man als
+zuf&auml;llige Ergebnisse, als Erfolge der Zerstreutheit, Unaufmerksamkeit
+und &auml;hnlicher Bedingungen unbeanstandet passieren l&auml;&szlig;t. Dazu kommen noch
+die Handlungen und Gesten, welche die Menschen ausf&uuml;hren, ohne sie
+&uuml;berhaupt zu bemerken, geschweige denn, da&szlig; sie ihnen seelisches Gewicht
+beilegten, wie das Spielen, T&auml;ndeln mit Gegenst&auml;nden, das Summen von
+Melodien, das Hantieren am eigenen K&ouml;rper und an dessen Bekleidung und
+&auml;hnliches.<a name="FNanchor_13_13" id="FNanchor_13_13"></a><a href="#Footnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a> Diese kleinen Dinge, die <span class="g">Fehlhandlungen</span> wie die <span class="g">Symptom-</span>
+und <span class="g">Zufallshandlungen</span>, sind nicht so bedeutungslos, wie man durch eine
+Art von stillschweigendem &Uuml;bereinkommen anzunehmen bereit ist. Sie sind
+durchaus sinnvoll, aus der Situation, in der sie vorfallen, meist leicht
+und sicher zu deuten, und es stellt sich heraus, da&szlig; sie wiederum
+Impulsen und Absichten Ausdruck geben, die zur&uuml;ckgestellt, dem eigenen
+Bewu&szlig;tsein verborgen werden sollen, oder da&szlig; sie geradezu den n&auml;mlichen
+verdr&auml;ngten Wunschregungen und Komplexen entstammen, die wir<span class="pagenum"><a name="Page_39" id="Page_39">[p. 39]</a></span> bereits
+als die Sch&ouml;pfer der Symptome und die Bildner der Tr&auml;ume kennen gelernt
+haben. Sie verdienen also die W&uuml;rdigung von Symptomen, und ihre
+Beachtung kann wie die der Tr&auml;ume zur Aufdeckung des Verborgenen im
+Seelenleben f&uuml;hren. Mit ihrer Hilfe verr&auml;t der Mensch in der Regel die
+intimsten seiner Geheimnisse. Wenn sie besonders leicht und h&auml;ufig zu
+stande kommen, selbst beim Gesunden, dem die Verdr&auml;ngung seiner
+unbewu&szlig;ten Regungen im ganzen gut gelungen ist, so haben sie es ihrer
+Geringf&uuml;gigkeit und Unscheinbarkeit zu danken. Aber sie d&uuml;rfen hohen
+theoretischen Wert beanspruchen, da sie uns die Existenz der Verdr&auml;ngung
+und Ersatzbildung auch unter den Bedingungen der Gesundheit erweisen.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_13_13" id="Footnote_13_13"></a><a href="#FNanchor_13_13"><span class="label">[13]</span></a> Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 3.&nbsp;Aufl., 1910,
+S.&nbsp;<span class="g">Karger</span>, Berlin.</p></div>
+
+<p>Sie merken es bereits, da&szlig; sich der Psychoanalytiker durch einen
+besonders strengen Glauben an die Determinierung des Seelenlebens
+auszeichnet. F&uuml;r ihn gibt es in den psychischen &Auml;u&szlig;erungen nichts
+Kleines, nichts Willk&uuml;rliches und Zuf&auml;lliges, er erwartet &uuml;berall dort
+eine ausreichende Motivierung, wo man gew&ouml;hnlich eine solche Forderung
+nicht erhebt; ja er ist auf eine <span class="g">mehrfache Motivierung</span> desselben
+seelischen Effekts vorbereitet, w&auml;hrend unser angeblich eingeborenes
+Kausalbed&uuml;rfnis sich mit einer einzigen psychischen Ursache f&uuml;r
+befriedigt erkl&auml;rt.</p>
+
+<p>Halten Sie nun zusammen, was wir an Mitteln zur Aufdeckung des
+Verborgenen, Vergessenen, Verdr&auml;ngten im Seelenleben besitzen, das
+Studium der hervorgerufenen Einf&auml;lle der Patienten bei freier
+Assoziation, ihrer Tr&auml;ume und ihrer Fehl- und Symptomhandlungen; f&uuml;gen
+Sie noch hinzu die Verwertung anderer Ph&auml;nomene, die sich w&auml;hrend der
+psychoanalytischen Behandlung ergeben, &uuml;ber die ich sp&auml;ter unter dem
+Schlagwort der &raquo;&Uuml;bertragung&laquo; einige Bemerkungen machen werde, so werden
+Sie mit mir zu dem Schlusse kommen, da&szlig; unsere Technik bereits<span class="pagenum"><a name="Page_40" id="Page_40">[p. 40]</a></span> wirksam
+genug ist, um ihre Aufgabe l&ouml;sen zu k&ouml;nnen, um das pathogene psychische
+Material dem Bewu&szlig;tsein zuzuf&uuml;hren und so die durch die Bildung von
+Ersatzsymptomen hervorgerufenen Leiden zu beseitigen. Da&szlig; wir w&auml;hrend
+der therapeutischen Bem&uuml;hungen unsere Kenntnis vom Seelenleben der
+normalen und der kranken Menschen bereichern und vertiefen, kann gewi&szlig;
+nur als ein besonderer Reiz und Vorzug dieser Arbeit eingesch&auml;tzt
+werden.</p>
+
+<p>Ich wei&szlig; nicht, ob Sie den Eindruck empfangen haben, da&szlig; die Technik,
+durch deren Arsenal ich Sie eben gef&uuml;hrt habe, eine besonders schwierige
+ist. Ich meine, sie ist dem Gegenstande, den sie bew&auml;ltigen soll,
+durchaus angemessen. Aber so viel ist sicher, da&szlig; sie nicht
+selbstverst&auml;ndlich ist, da&szlig; sie erlernt werden mu&szlig; wie die histologische
+oder die chirurgische. Es wird Sie vielleicht verwundern, zu h&ouml;ren, da&szlig;
+wir in Europa eine Menge von Urteilen &uuml;ber die Psychoanalyse von
+Personen geh&ouml;rt haben, die von dieser Technik nichts wissen und sie
+nicht anwenden, und dann von uns wie im Hohne verlangten, wir sollten
+ihnen die Richtigkeit unserer Resultate beweisen. Es sind unter diesen
+Widersachern gewi&szlig; auch Personen, denen wissenschaftliche Denkweise
+sonst nicht fremd ist, die z.&nbsp;B. ein Ergebnis mikroskopischer
+Untersuchung nicht darum verwerfen w&uuml;rden, weil es am anatomischen
+Pr&auml;parat nicht mit freiem Auge zu best&auml;tigen ist, und nicht eher, als
+bis sie den Sachverhalt selbst mit Hilfe des Mikroskops beurteilt haben.
+Aber in Sachen der Psychoanalyse liegen die Verh&auml;ltnisse wirklich
+ung&uuml;nstiger f&uuml;r die Anerkennung. Die Psychoanalyse will das im
+Seelenleben Verdr&auml;ngte zur bewu&szlig;ten Anerkennung bringen, und jeder, der
+sie beurteilt, ist selbst ein Mensch, der solche Verdr&auml;ngungen besitzt,
+vielleicht sie nur m&uuml;hsam aufrecht erh&auml;lt. Sie mu&szlig; also bei ihm
+denselben Widerstand hervorrufen, den sie bei<span class="pagenum"><a name="Page_41" id="Page_41">[p. 41]</a></span> den Kranken weckt, und
+dieser Widerstand hat es leicht, sich in intellektuelle Ablehnung zu
+verkleiden und Argumente herbeizuziehen, &auml;hnlich wie die, welche wir bei
+unseren Kranken mit der psychoanalytischen Grundregel abwehren. Wie bei
+unseren Kranken, so k&ouml;nnen wir auch bei unseren Gegnern h&auml;ufig eine sehr
+auff&auml;llige affektive Beeinflussung des Urteilsverm&ouml;gens im Sinne einer
+Herabsetzung konstatieren. Der D&uuml;nkel des Bewu&szlig;tseins, der z.&nbsp;B. den
+Traum so geringsch&auml;tzig verwirft, geh&ouml;rt zu den st&auml;rksten
+Schutzeinrichtungen, die in uns ganz allgemein gegen das Durchdringen
+der unbewu&szlig;ten Komplexe vorgesehen sind, und darum ist es so schwierig,
+die Menschen zur &Uuml;berzeugung von der Realit&auml;t des Unbewu&szlig;ten zu bringen
+und sie Neues kennen zu lehren, was ihrer bewu&szlig;ten Kenntnis
+widerspricht.<span class="pagenum"><a name="Page_42" id="Page_42">[p. 42]</a></span></p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="IV" id="IV"></a>IV.</h2>
+
+
+<p>Meine Damen und Herren! Sie werden nun zu wissen verlangen, was wir mit
+Hilfe der beschriebenen technischen Mittel &uuml;ber die pathogenen Komplexe
+und verdr&auml;ngten Wunschregungen der Neurotiker in Erfahrung gebracht
+haben.</p>
+
+<p>Nun vor allem eines: Die psychoanalytische Forschung f&uuml;hrt mit wirklich
+&uuml;berraschender Regelm&auml;&szlig;igkeit die Leidenssymptome der Kranken auf
+Eindr&uuml;cke aus ihrem Liebesleben zur&uuml;ck, zeigt uns, da&szlig; die pathogenen
+Wunschregungen von der Natur erotischer Triebkomponenten sind, und
+n&ouml;tigt uns anzunehmen, da&szlig; St&ouml;rungen der Erotik die gr&ouml;&szlig;te Bedeutung
+unter den zur Erkrankung f&uuml;hrenden Einfl&uuml;ssen zugesprochen werden mu&szlig;,
+und dies zwar bei beiden Geschlechtern.</p>
+
+<p>Ich wei&szlig;, diese Behauptung wird mir nicht gerne geglaubt. Selbst solche
+Forscher, die meinen psychologischen Arbeiten bereitwillig folgen, sind
+geneigt zu meinen, da&szlig; ich den &auml;tiologischen Anteil der sexuellen
+Momente &uuml;bersch&auml;tze, und wenden sich an mich mit der Frage, warum denn
+nicht auch andere seelische Erregungen zu den beschriebenen Ph&auml;nomenen
+der Verdr&auml;ngung und Ersatzbildung Anla&szlig; geben sollen. Nun ich kann
+antworten: Ich wei&szlig; nicht, warum sie es nicht sollten, habe auch nichts
+dagegen, aber die Erfahrung zeigt, da&szlig; sie solche Bedeutung nicht haben,
+da&szlig; sie h&ouml;chstens die Wirkung der sexuellen Momente unterst&uuml;tzen, nie
+aber die letzteren ersetzen k&ouml;nnen. Dieser<span class="pagenum"><a name="Page_43" id="Page_43">[p. 43]</a></span> Sachverhalt wurde von mir
+nicht etwa theoretisch postuliert; noch in den 1895 mit Dr.&nbsp;J.&nbsp;<span class="g">Breuer</span>
+publizierten Studien &uuml;ber Hysterie stand ich nicht auf diesem
+Standpunkte; ich mu&szlig;te mich zu ihm bekehren, als meine Erfahrungen
+zahlreicher wurden und tiefer in den Gegenstand eindrangen. Meine
+Herren! Es befinden sich hier unter Ihnen einige meiner n&auml;chsten Freunde
+und Anh&auml;nger, die die Reise nach Worcester mit mir gemacht haben. Fragen
+Sie bei ihnen an und Sie werden h&ouml;ren, da&szlig; sie alle der Behauptung von
+der ma&szlig;gebenden Bedeutung der sexuellen &Auml;tiologie zuerst vollen
+Unglauben entgegenbrachten, bis sie durch ihre eigenen analytischen
+Bem&uuml;hungen gen&ouml;tigt wurden, sie zu der ihrigen zu machen.</p>
+
+<p>Die &Uuml;berzeugung von der Richtigkeit des in Rede stehenden Satzes wird
+durch das Benehmen der Patienten nicht gerade erleichtert. Anstatt uns
+die Ausk&uuml;nfte &uuml;ber ihr Sexualleben bereitwillig entgegenzubringen,
+suchen sie dieses mit allen Mitteln zu verbergen. Die Menschen sind
+&uuml;berhaupt nicht aufrichtig in sexuellen Dingen. Sie zeigen ihre
+Sexualit&auml;t nicht frei, sondern tragen eine dicke Oberkleidung aus &mdash;
+L&uuml;gengewebe zu ihrer Verh&uuml;llung, als ob es schlechtes Wetter g&auml;be in der
+Welt der Sexualit&auml;t. Und sie haben nicht unrecht, Sonne und Wind sind in
+unserer Kulturwelt der sexuellen Bet&auml;tigung wirklich nicht g&uuml;nstig;
+eigentlich kann niemand von uns seine Erotik frei den anderen enth&uuml;llen.
+Wenn Ihre Patienten aber erst gemerkt haben, da&szlig; sie sich&#8217;s in Ihrer
+Behandlung behaglich machen d&uuml;rfen, dann legen sie jene L&uuml;genh&uuml;lle ab,
+und dann erst sind Sie in der Lage, sich ein Urteil &uuml;ber unsere
+Streitfrage zu bilden. Leider sind auch die &Auml;rzte in ihrem pers&ouml;nlichen
+Verh&auml;ltnis zu den Fragen des Sexuallebens vor anderen Menschenkindern
+nicht bevorzugt, und viele von ihnen stehen unter dem Banne jener
+Vereinigung von Pr&uuml;derie und L&uuml;sternheit,<span class="pagenum"><a name="Page_44" id="Page_44">[p. 44]</a></span> welche das Verhalten der
+meisten &raquo;Kulturmenschen&laquo; in Sachen der Sexualit&auml;t beherrscht.</p>
+
+<p>Lassen Sie uns nun in der Mitteilung unserer Ergebnisse fortfahren. In
+einer anderen Reihe von F&auml;llen f&uuml;hrt die psychoanalytische Erforschung
+die Symptome allerdings nicht auf sexuelle, sondern auf banale
+traumatische Erlebnisse zur&uuml;ck. Aber diese Unterscheidung wird durch
+einen anderen Umstand bedeutungslos. Die zur gr&uuml;ndlichen Aufkl&auml;rung und
+endg&uuml;ltigen Herstellung eines Krankheitsfalles erforderliche
+Analysenarbeit macht n&auml;mlich in keinem Falle bei den Erlebnissen der
+Erkrankungszeit Halt, sondern sie geht in allen F&auml;llen bis in die
+Pubert&auml;t und in die fr&uuml;he Kindheit des Erkrankten zur&uuml;ck, um erst dort
+auf die f&uuml;r die sp&auml;tere Erkrankung bestimmenden Eindr&uuml;cke und Vorf&auml;lle
+zu sto&szlig;en. Erst die Erlebnisse der Kindheit geben die Erkl&auml;rung f&uuml;r die
+Empfindlichkeit gegen sp&auml;tere Traumen, und nur durch die Aufdeckung und
+Bewu&szlig;tmachung dieser fast regelm&auml;&szlig;ig vergessenen Erinnerungsspuren
+erwerben wir die Macht zur Beseitigung der Symptome. Wir gelangen hier
+zu dem gleichen Ergebnis wie bei der Erforschung der Tr&auml;ume, da&szlig; es die
+unverg&auml;nglichen, verdr&auml;ngten Wunschregungen der Kindheit sind, die ihre
+Macht zur Symptombildung geliehen haben, ohne welche die Reaktion auf
+sp&auml;tere Traumen normal verlaufen w&auml;re. Diese m&auml;chtigen Wunschregungen
+der Kindheit d&uuml;rfen wir aber ganz allgemein als sexuelle bezeichnen.</p>
+
+<p>Jetzt bin ich aber erst recht Ihrer Verwunderung sicher. Gibt es denn
+eine infantile Sexualit&auml;t? werden Sie fragen. Ist das Kindesalter nicht
+vielmehr die Lebensperiode, die durch das Fehlen des Sexualtriebes
+ausgezeichnet ist? Nein, meine Herren, es ist gewi&szlig; nicht so, da&szlig; der
+Sexualtrieb zur Pubert&auml;tszeit in die Kinder f&auml;hrt, wie im Evangelium der
+Teufel<span class="pagenum"><a name="Page_45" id="Page_45">[p. 45]</a></span> in die S&auml;ue. Das Kind hat seine sexuellen Triebe und
+Bet&auml;tigungen von Anfang an, es bringt sie mit auf die Welt, und aus
+ihnen geht durch eine bedeutungsvolle, an Etappen reiche Entwicklung die
+sogenannte normale Sexualit&auml;t des Erwachsenen hervor. Es ist nicht
+einmal schwer, die &Auml;u&szlig;erungen dieser kindlichen Sexualbet&auml;tigung zu
+beobachten; es geh&ouml;rt vielmehr eine gewisse Kunst dazu, sie zu &uuml;bersehen
+oder wegzudeuten.</p>
+
+<p>Durch die Gunst des Schicksals bin ich in die Lage versetzt, einen
+Zeugen f&uuml;r meine Behauptungen aus Ihrer Mitte selbst anzurufen. Ich
+zeige Ihnen hier die Arbeit eines Dr.&nbsp;<span class="g">Sanford Bell</span>, die 1902 im
+&raquo;American Journal of Psychology&laquo; abgedruckt worden ist. Der Autor ist
+ein Fellow der Clark University, desselben Instituts, in dessen R&auml;umen
+wir jetzt stehen. In dieser Arbeit, betitelt: A preliminary study of the
+emotion of love between the sexes, die drei Jahre vor meinen &raquo;Drei
+Abhandlungen zur Sexualtheorie&laquo; erschienen ist, sagt der Autor ganz so,
+wie ich Ihnen eben sagte: The emotion of sex-love.... does not make its
+appearance for the first time at the period of adolescence, as has been
+thought. Er hat, wie wir in Europa sagen w&uuml;rden, im amerikanischen Stil
+gearbeitet; nicht weniger als 2500 positive Beobachtungen im Laufe von
+15 Jahren gesammelt, darunter 800 eigene. Von den Zeichen, durch die
+sich diese Verliebtheiten kundgeben, &auml;u&szlig;ert er: The unprejudiced mind in
+observing these manifestations in hundreds of couples of children cannot
+escape referring them to sex origin. The most exacting mind is satisfied
+when to these observations are added the confessions of those who have
+as children, experienced the emotion to a marked degree of intensity,
+and whose memories of childhood are relatively distinct. Am meisten aber
+werden diejenigen von Ihnen, die an die infantile Sexualit&auml;t nicht
+glauben wollten, &uuml;berrascht sein zu h&ouml;ren, da&szlig; unter<span class="pagenum"><a name="Page_46" id="Page_46">[p. 46]</a></span> diesen fr&uuml;h
+verliebten Kindern nicht wenige sich im zarten Alter von drei, vier und
+f&uuml;nf Jahren befinden.</p>
+
+<p>Ich w&uuml;rde mich nicht wundern, wenn Sie diesen Beobachtungen eines
+engsten Landsmannes eher Glauben schenken w&uuml;rden als den meinigen. Mir
+selbst ist es vor kurzem gegl&uuml;ckt, aus der Analyse eines f&uuml;nfj&auml;hrigen,
+an Angst leidenden Knaben, die dessen eigener Vater kunstgerecht mit ihm
+vorgenommen,<a name="FNanchor_14_14" id="FNanchor_14_14"></a><a href="#Footnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a> ein ziemlich vollst&auml;ndiges Bild der somatischen
+Trieb&auml;u&szlig;erungen und der seelischen Produktionen auf einer fr&uuml;hen Stufe
+des kindlichen Liebeslebens zu gewinnen. Und ich darf Sie daran
+erinnern, da&szlig; mein Freund Dr.&nbsp;C.&nbsp;G.&nbsp;<span class="g">Jung</span> Ihnen in diesem Saale vor
+wenigen Stunden die Beobachtung eines noch j&uuml;ngeren M&auml;dchens vorlas,
+welches aus dem gleichen Anla&szlig; wie mein Patient &mdash; bei der Geburt eines
+Geschwisterchens &mdash; fast die n&auml;mlichen sinnlichen Regungen, Wunsch- und
+Komplexbildungen, mit Sicherheit erraten lie&szlig;. Ich verzweifle also nicht
+daran, da&szlig; Sie sich mit der anf&auml;nglich befremdlichen Idee der infantilen
+Sexualit&auml;t befreunden werden, und m&ouml;chte Ihnen noch das r&uuml;hmliche
+Beispiel des Z&uuml;richer Psychiaters E.&nbsp;<span class="g">Bleuler</span> vorhalten, der noch vor
+wenigen Jahren &ouml;ffentlich &auml;u&szlig;erte, &raquo;er stehe meinen sexuellen Theorien
+ohne Verst&auml;ndnis gegen&uuml;ber&laquo;, und seither die infantile Sexualit&auml;t in
+ihrem vollen Umfang durch eigene Beobachtungen best&auml;tigt hat.<a name="FNanchor_15_15" id="FNanchor_15_15"></a><a href="#Footnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a></p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_14_14" id="Footnote_14_14"></a><a href="#FNanchor_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Analyse der Phobie eines f&uuml;nfj&auml;hrigen Knaben. Jahrbuch f&uuml;r
+psychoanalyt. und psychopathologische Forschungen. Bd.&nbsp;I, 1.&nbsp;H&auml;lfte,
+1909.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_15_15" id="Footnote_15_15"></a><a href="#FNanchor_15_15"><span class="label">[15]</span></a> <span class="g">Bleuler</span>, Sexuelle Abnormit&auml;ten der Kinder. Jahrbuch der
+schweiz. Gesellschaft f&uuml;r Schulgesundheitspflege, IX, 1908.</p></div>
+
+<p>Wenn die meisten Menschen, &auml;rztliche Beobachter oder andere, vom
+Sexualleben des Kindes nichts wissen wollen, so ist dies nur zu leicht
+erkl&auml;rlich. Sie haben ihre eigene infan<span class="pagenum"><a name="Page_47" id="Page_47">[p. 47]</a></span>tile Sexualbet&auml;tigung unter dem
+Drucke der Erziehung zur Kultur vergessen und wollen nun an das
+Verdr&auml;ngte nicht erinnert werden. Sie w&uuml;rden zu anderen &Uuml;berzeugungen
+gelangen, wenn sie die Untersuchung mit einer Selbstanalyse, einer
+Revision und Deutung ihrer Kindheitserinnerungen beginnen w&uuml;rden.</p>
+
+<p>Lassen Sie die Zweifel fallen und gehen Sie mit mir an eine W&uuml;rdigung
+der infantilen Sexualit&auml;t von den fr&uuml;hesten Jahren an.<a name="FNanchor_16_16" id="FNanchor_16_16"></a><a href="#Footnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a> Der
+Sexualtrieb des Kindes erweist sich als hoch zusammengesetzt, er l&auml;&szlig;t
+eine Zerlegung in viele Komponenten zu, die aus verschiedenen Quellen
+stammen. Er ist vor allem noch unabh&auml;ngig von der Funktion der
+Fortpflanzung, in deren Dienst er sich sp&auml;ter stellen wird. Er dient der
+Gewinnung verschiedener Arten von Lustempfindung, die wir nach Analogien
+und Zusammenh&auml;ngen als Sexuallust zusammenfassen. Die Hauptquelle der
+infantilen Sexuallust ist die geeignete Erregung bestimmter, besonders
+reizbarer K&ouml;rperstellen, au&szlig;er den Genitalien, der Mund-, After- und
+Harnr&ouml;hren&ouml;ffnung, aber auch der Haut und anderer Sinnesoberfl&auml;chen. Da
+in dieser ersten Phase des kindlichen Sexuallebens die Befriedigung am
+eigenen K&ouml;rper gefunden und von einem fremden Objekt abgesehen wird,
+hei&szlig;en wir die Phase nach einem von <span class="g">Havelock Ellis</span> gepr&auml;gten Wort die
+des <span class="g">Autoerotismus</span>. Jene f&uuml;r die Gewinnung von sexueller Lust bedeutsamen
+Stellen nennen wir <span class="g">erogene Zonen</span>. Das Ludeln oder Wonnesaugen der
+kleinsten Kinder ist ein gutes Beispiel einer solchen autoerotischen
+Befriedigung von einer erogenen Zone aus; der erste wissenschaftliche
+Beobachter dieses Ph&auml;nomens, ein Kinderarzt namens <span class="g">Lindner</span> in Budapest,
+hat es bereits richtig als Sexualbefriedigung<span class="pagenum"><a name="Page_48" id="Page_48">[p. 48]</a></span> gedeutet und dessen
+&Uuml;bergang in andere und h&ouml;here Formen der Sexualbet&auml;tigung ersch&ouml;pfend
+beschrieben.<a name="FNanchor_17_17" id="FNanchor_17_17"></a><a href="#Footnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> Eine andere Sexualbefriedigung dieser Lebenszeit ist
+die masturbatorische Erregung der Genitalien, die eine so gro&szlig;e
+Bedeutung f&uuml;r das sp&auml;tere Leben beh&auml;lt und von vielen Individuen
+&uuml;berhaupt nie v&ouml;llig &uuml;berwunden wird. Neben diesen und anderen
+autoerotischen Bet&auml;tigungen &auml;u&szlig;ern sich sehr fr&uuml;hzeitig beim Kinde jene
+Triebkomponenten der Sexuallust oder, wie wir gern sagen, der Libido,
+die eine fremde Person als Objekt zur Voraussetzung nehmen. Diese Triebe
+treten in Gegensatzpaaren auf, als aktive und passive; ich nenne Ihnen
+als die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe die Lust, Schmerzen zu
+bereiten (Sadismus), mit ihrem passiven Gegenspiel (Masochismus), und
+die aktive und passive Schaulust, von welch ersterer sp&auml;ter die
+Wi&szlig;begierde abzweigt, wie von letzterer der Drang zur k&uuml;nstlerischen und
+schauspielerischen Schaustellung. Andere Sexualbet&auml;tigungen des Kindes
+fallen bereits unter den Gesichtspunkt der <span class="g">Objektwahl</span>, bei welcher eine
+fremde Person zur Hauptsache wird, die ihre Bedeutung urspr&uuml;nglich
+R&uuml;cksichten des Selbsterhaltungstriebes verdankt. Der
+Geschlechtsunterschied spielt aber in dieser kindlichen Periode noch
+keine ausschlaggebende Rolle; Sie k&ouml;nnen so jedem Kinde, ohne ihm
+Unrecht zu tun, ein St&uuml;ck homosexueller Begabung zusprechen.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_16_16" id="Footnote_16_16"></a><a href="#FNanchor_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Drei Vorlesungen zur Sexualtheorie, Wien, Fr.&nbsp;Deuticke,
+1906, 2.&nbsp;Auflage, 1910.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_17_17" id="Footnote_17_17"></a><a href="#FNanchor_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Jahrbuch f&uuml;r Kinderheilkunde, 1879.</p></div>
+
+<p>Dies zerfahrene, reichhaltige, aber dissoziierte Sexualleben des Kindes,
+in welchem der einzelne Trieb unabh&auml;ngig von jedem anderen dem
+Lusterwerbe nachgeht, erf&auml;hrt nun eine Zusammenfassung und Organisation
+nach zwei Hauptrichtungen, so da&szlig; mit Abschlu&szlig; der Pubert&auml;tszeit der
+definitive Sexualcharakter des Individuums meist fertig ausgebildet ist.
+Einerseits unterordnen sich die einzelnen Triebe der Oberherrschaft der
+Genitalzone,<span class="pagenum"><a name="Page_49" id="Page_49">[p. 49]</a></span> wodurch das ganze Sexualleben in den Dienst der
+Fortpflanzung tritt, und ihre Befriedigung nur noch als Vorbereitung und
+Beg&uuml;nstigung des eigentlichen Sexualaktes von Bedeutung bleibt.
+Anderseits dr&auml;ngt die Objektwahl den Autoerotismus zur&uuml;ck, so da&szlig; nun im
+Liebesleben alle Komponenten des Sexualtriebes an der geliebten Person
+befriedigt werden wollen. Aber nicht alle urspr&uuml;nglichen
+Triebkomponenten werden zu einem Anteil an dieser endg&uuml;ltigen
+Feststellung des Sexuallebens zugelassen. Noch vor der Pubert&auml;tszeit
+sind unter dem Einflu&szlig; der Erziehung &auml;u&szlig;erst energische Verdr&auml;ngungen
+gewisser Triebe durchgesetzt und seelische M&auml;chte wie Scham, Ekel, Moral
+hergestellt worden, welche diese Verdr&auml;ngungen wie W&auml;chter unterhalten.
+Kommt dann im Pubert&auml;tsalter die Hochflut der sexuellen Bed&uuml;rftigkeit,
+so findet sie an den genannten seelischen Reaktions- oder
+Widerstandsbildungen D&auml;mme, welche ihr den Ablauf in die sogenannten
+normalen Wege vorschreiben und es ihr unm&ouml;glich machen, die der
+Verdr&auml;ngung unterlegenen Triebe neu zu beleben. Es sind besonders die
+<span class="g">koprophilen</span>, d.&nbsp;h. die mit den Exkrementen zusammenh&auml;ngenden
+Lustregungen der Kindheit, welche von der Verdr&auml;ngung am gr&uuml;ndlichsten
+betroffen werden, und ferner die Fixierung an die Personen der
+primitiven Objektwahl.</p>
+
+<p>Meine Herren! Ein Satz der allgemeinen Pathologie sagt aus, da&szlig; jeder
+Entwicklungsvorgang die Keime der pathologischen Disposition mit sich
+bringt, insofern er gehemmt, verz&ouml;gert werden oder unvollkommen ablaufen
+kann. Dasselbe gilt f&uuml;r die so komplizierte Entwicklung der
+Sexualfunktion. Sie wird nicht bei allen Individuen glatt durchgemacht
+und hinterl&auml;&szlig;t dann entweder Abnormit&auml;ten oder Dispositionen zu sp&auml;terer
+Erkrankung auf dem Wege der R&uuml;ckbildung (Regression). Es kann geschehen,
+da&szlig; nicht alle Partialtriebe sich der<span class="pagenum"><a name="Page_50" id="Page_50">[p. 50]</a></span> Herrschaft der Genitalzone
+unterwerfen; ein solcher unabh&auml;ngig gebliebener Trieb stellt dann das
+her, was wir eine <span class="g">Perversion</span> nennen, und was das normale Sexualziel
+durch sein eigenes ersetzen kann. Es kommt, wie bereits erw&auml;hnt, sehr
+h&auml;ufig vor, da&szlig; der Autoerotismus nicht v&ouml;llig &uuml;berwunden wird, wovon
+die mannigfaltigsten St&ouml;rungen in der Folge Zeugnis ablegen. Die
+urspr&uuml;ngliche Gleichwertigkeit beider Geschlechter als Sexualobjekte
+kann sich erhalten, und daraus wird sich eine Neigung zur homosexuellen
+Bet&auml;tigung im reifen Leben ergeben, die sich unter Umst&auml;nden zur
+ausschlie&szlig;lichen Homosexualit&auml;t steigern kann. Diese Reihe von St&ouml;rungen
+entspricht den direkten Entwicklungshemmungen der Sexualfunktion; sie
+umfa&szlig;t die <span class="g">Perversionen</span> und den gar nicht seltenen allgemeinen
+<span class="g">Infantilismus</span> des Sexuallebens.</p>
+
+<p>Die Disposition zu den Neurosen ist auf andere Weise von einer
+Sch&auml;digung der Sexualentwicklung abzuleiten. Die Neurosen verhalten sich
+zu den Perversionen wie das Negativ zum Positiv; in ihnen sind dieselben
+Triebkomponenten als Tr&auml;ger der Komplexe und Symptombildner nachweisbar
+wie bei den Perversionen, aber sie wirken hier vom Unbewu&szlig;ten her; sie
+haben also eine Verdr&auml;ngung erfahren, konnten sich aber derselben zum
+Trotze im Unbewu&szlig;ten behaupten. Die Psychoanalyse l&auml;&szlig;t uns erkennen, da&szlig;
+&uuml;berstarke &Auml;u&szlig;erung dieser Triebe in sehr fr&uuml;hen Zeiten zu einer Art von
+partieller <span class="g">Fixierung</span> f&uuml;hrt, die nun einen schwachen Punkt im Gef&uuml;ge der
+Sexualfunktion darstellt. St&ouml;&szlig;t die Aus&uuml;bung der normalen Sexualfunktion
+im reifen Leben auf Hindernisse, so wird die Verdr&auml;ngung der
+Entwicklungszeit gerade an jenen Stellen durchbrochen, wo die infantilen
+Fixierungen stattgefunden haben.</p>
+
+<p>Sie werden jetzt vielleicht den Einwand machen: Aber das ist ja alles
+nicht Sexualit&auml;t. Ich gebrauchte das Wort in<span class="pagenum"><a name="Page_51" id="Page_51">[p. 51]</a></span> einem viel weiteren Sinne,
+als Sie gewohnt sind, es zu verstehen. Das gebe ich Ihnen gern zu. Aber
+es fragt sich, ob nicht vielmehr Sie das Wort in viel zu engem Sinne
+gebrauchen, wenn Sie es auf das Gebiet der Fortpflanzung einschr&auml;nken.
+Sie opfern dabei das Verst&auml;ndnis der Perversionen, den Zusammenhang
+zwischen Perversion, Neurose und normalem Sexualleben, und setzen sich
+au&szlig;er stande, die leicht zu beobachtenden Anf&auml;nge des somatischen und
+seelischen Liebeslebens der Kinder nach ihrer wahren Bedeutung zu
+erkennen. Wie immer Sie aber &uuml;ber den Wortgebrauch entscheiden wollen,
+halten Sie daran fest, da&szlig; der Psychoanalytiker die Sexualit&auml;t in jenem
+vollen Sinne erfa&szlig;t, zu dem man durch die W&uuml;rdigung der infantilen
+Sexualit&auml;t geleitet wird.</p>
+
+<p>Kehren wir nun nochmals zur Sexualentwicklung des Kindes zur&uuml;ck. Wir
+haben hier manches nachzuholen, weil wir unsere Aufmerksamkeit mehr den
+somatischen als den seelischen &Auml;u&szlig;erungen des Sexuallebens geschenkt
+haben. Die primitive Objektwahl des Kindes, die sich von seiner
+Hilfsbed&uuml;rftigkeit ableitet, fordert unser weiteres Interesse heraus.
+Sie wendet sich zun&auml;chst allen Pflegepersonen zu, die aber bald hinter
+den Eltern zur&uuml;cktreten. Die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern ist,
+wie direkte Beobachtung des Kindes und sp&auml;tere analytische Erforschung
+des Erwachsenen &uuml;bereinstimmend dartun, keineswegs frei von Elementen
+sexueller Miterregung. Das Kind nimmt beide Elternteile und einen Teil
+besonders zum Objekt seiner erotischen W&uuml;nsche. Gew&ouml;hnlich folgt es
+dabei selbst einer Anregung der Eltern, deren Z&auml;rtlichkeit die
+deutlichsten Charaktere einer, wenn auch in ihren Zielen gehemmten,
+Sexualbet&auml;tigung hat. Der Vater bevorzugt in der Regel die Tochter, die
+Mutter den Sohn; das Kind reagiert hierauf, indem es sich als Sohn an
+die Stelle des Vaters, als Tochter an die Stelle der<span class="pagenum"><a name="Page_52" id="Page_52">[p. 52]</a></span> Mutter w&uuml;nscht.
+Die Gef&uuml;hle, die in diesen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und
+in den daran angelehnten zwischen den Geschwistern untereinander geweckt
+werden, sind nicht nur positiver, z&auml;rtlicher, sondern auch negativer,
+feindseliger Art. Der so gebildete Komplex ist zur baldigen Verdr&auml;ngung
+bestimmt, aber er &uuml;bt noch vom Unbewu&szlig;ten her eine gro&szlig;artige und
+nachhaltige Wirkung aus. Wir d&uuml;rfen die Vermutung aussprechen, da&szlig; er
+mit seinen Ausl&auml;ufern den <span class="g">Kernkomplex</span> einer jeden Neurose darstellt, und
+wir sind darauf gefa&szlig;t, ihn auf anderen Gebieten des Seelenlebens nicht
+minder wirksam anzutreffen. Der Mythus vom K&ouml;nig <span class="g">&Ouml;dipus</span>, der seinen
+Vater t&ouml;tet und seine Mutter zum Weib gewinnt, ist eine noch wenig
+abge&auml;nderte Offenbarung des infantilen Wunsches, dem sich sp&auml;terhin die
+<span class="g">Inzest</span>schranke abweisend entgegenstellt. Die <span class="g">Hamlet</span>-Dichtung
+<span class="g">Shakespeares</span> ruht auf demselben Boden des besser verh&uuml;llten
+Inzestkomplexes.</p>
+
+<p>Um die Zeit, da das Kind von dem noch unverdr&auml;ngten Kernkomplex
+beherrscht wird, setzt ein bedeutungsvolles St&uuml;ck seiner intellektuellen
+Bet&auml;tigung im Dienste der Sexualinteressen ein. Es beginnt zu forschen,
+woher die Kinder kommen, und err&auml;t in Verwertung der ihm gebotenen
+Anzeichen mehr von den wirklichen Verh&auml;ltnissen, als die Erwachsenen
+ahnen k&ouml;nnen. Gew&ouml;hnlich hat die materielle Bedrohung durch ein neu
+angekommenes Kind, in dem es zun&auml;chst nur den Konkurrenten erblickt,
+sein Forscherinteresse geweckt. Unter dem Einflu&szlig; der in ihm selbst
+t&auml;tigen Partialtriebe gelangt es zu einer Anzahl von &raquo;<span class="g">infantilen
+Sexualtheorien</span>&laquo;, wie da&szlig; es beiden Geschlechtern das gleiche m&auml;nnliche
+Genitale zuspricht, da&szlig; es die Kinder durch Essen empfangen und durch
+das Ende des Darmes geb&auml;ren l&auml;&szlig;t, und da&szlig; es den Verkehr der
+Geschlechter als einen feindseligen Akt, eine Art von &Uuml;berw&auml;ltigung
+erfa&szlig;t.<span class="pagenum"><a name="Page_53" id="Page_53">[p. 53]</a></span> Aber gerade die Unfertigkeit seiner sexuellen Konstitution und
+die L&uuml;cke in seinen Kenntnissen, die durch die Latenz des weiblichen
+Geschlechtskanals gegeben ist, n&ouml;tigt den infantilen Forscher, seine
+Arbeit als erfolglos einzustellen. Die Tatsache dieser Kinderforschung
+selbst, sowie die einzelnen durch sie zu Tage gef&ouml;rderten infantilen
+Sexualtheorien bleiben von bestimmender Bedeutung f&uuml;r die
+Charakterbildung des Kindes und den Inhalt seiner sp&auml;teren neurotischen
+Erkrankung.</p>
+
+<p>Es ist unvermeidlich und durchaus normal, da&szlig; das Kind die Eltern zu
+Objekten seiner ersten Liebeswahl mache. Aber seine Libido soll nicht an
+diese ersten Objekte fixiert bleiben, sondern sie sp&auml;terhin blo&szlig; zum
+Vorbild nehmen und von ihnen zur Zeit der definitiven Objektwahl auf
+fremde Personen hin&uuml;bergleiten. Die <span class="g">Abl&ouml;sung</span> des Kindes von den Eltern
+wird so zu einer unentrinnbaren Aufgabe, wenn die soziale T&uuml;chtigkeit
+des jungen Individuums nicht gef&auml;hrdet werden soll. W&auml;hrend der Zeit, da
+die Verdr&auml;ngung die Auslese unter den Partialtrieben der Sexualit&auml;t
+trifft, und sp&auml;ter, wenn der Einflu&szlig; der Eltern gelockert werden soll,
+der den Aufwand f&uuml;r diese Verdr&auml;ngungen im wesentlichen bestritten hat,
+fallen der Erziehungsarbeit gro&szlig;e Aufgaben zu, die gegenw&auml;rtig gewi&szlig;
+nicht immer in verst&auml;ndnisvoller und einwandfreier Weise erledigt
+werden.</p>
+
+<p>Meine Herren! Urteilen Sie nicht etwa, da&szlig; wir uns mit diesen
+Er&ouml;rterungen &uuml;ber das Sexualleben und die psychosexuelle Entwicklung des
+Kindes allzu weit von der Psychoanalyse und von der Aufgabe der
+Beseitigung nerv&ouml;ser St&ouml;rungen entfernt haben. Wenn Sie wollen, k&ouml;nnen
+Sie die psychoanalytische Behandlung nur als eine fortgesetzte Erziehung
+zur &Uuml;berwindung von Kindheitsresten beschreiben.<span class="pagenum"><a name="Page_54" id="Page_54">[p. 54]</a></span></p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="V" id="V"></a>V.</h2>
+
+
+<p>Meine Damen und Herren! Mit der Aufdeckung der infantilen Sexualit&auml;t und
+der Zur&uuml;ckf&uuml;hrung der neurotischen Symptome auf erotische
+Triebkomponenten sind wir zu einigen unerwarteten Formeln &uuml;ber das Wesen
+und die Tendenzen der neurotischen Erkrankungen gelangt. Wir sehen, da&szlig;
+die Menschen erkranken, wenn ihnen infolge &auml;u&szlig;erer Hindernisse oder
+inneren Mangels an Anpassung die Befriedigung ihrer erotischen
+Bed&uuml;rfnisse in der <span class="g">Realit&auml;t</span> versagt ist. Wir sehen, da&szlig; sie sich dann in
+die <span class="g">Krankheit fl&uuml;chten</span>, um mit ihrer Hilfe eine Ersatzbefriedigung f&uuml;r
+das Versagte zu finden. Wir erkennen, da&szlig; die krankhaften Symptome ein
+St&uuml;ck der Sexualbet&auml;tigung der Person oder deren ganzes Sexualleben
+enthalten, und finden in der Fernhaltung von der Realit&auml;t die
+Haupttendenz, aber auch den Hauptschaden des Krankseins. Wir ahnen, da&szlig;
+der Widerstand unserer Kranken gegen die Herstellung kein einfacher,
+sondern aus mehreren Motiven zusammengesetzt ist. Es str&auml;ubt sich nicht
+nur das Ich des Kranken dagegen, die Verdr&auml;ngungen aufzugeben, durch
+welche es sich aus den urspr&uuml;nglichen Anlagen herausgehoben hat, sondern
+auch die Sexualtriebe m&ouml;gen nicht auf ihre Ersatzbefriedigung
+verzichten, solange es unsicher ist, ob ihnen die Realit&auml;t etwas
+Besseres bieten wird.</p>
+
+<p>Die Flucht aus der unbefriedigenden Wirklichkeit in das, was wir wegen
+seiner biologischen Sch&auml;dlichkeit Krankheit<span class="pagenum"><a name="Page_55" id="Page_55">[p. 55]</a></span> nennen, was aber niemals
+ohne einen unmittelbaren Lustgewinn f&uuml;r den Kranken ist, vollzieht sich
+auf dem Wege der R&uuml;ckbildung (<span class="g">Regression</span>), der R&uuml;ckkehr zu fr&uuml;heren
+Phasen des Sexuallebens, denen seinerzeit die Befriedigung nicht
+abgegangen ist. Diese Regression ist anscheinend eine zweifache, eine
+<span class="g">zeitliche</span>, insofern die Libido, das erotische Bed&uuml;rfnis, auf zeitlich
+fr&uuml;here Entwicklungsstufen zur&uuml;ckgreift, und eine <span class="g">formale</span>, indem zur
+&Auml;u&szlig;erung dieses Bed&uuml;rfnisses die urspr&uuml;nglichen und primitiven
+psychischen Ausdrucksmittel verwendet werden. Beide Arten der Regression
+zielen aber auf die Kindheit und treffen zusammen in der Herstellung
+eines infantilen Zustands des Sexuallebens.</p>
+
+<p>Je tiefer Sie in die Pathogenese der nerv&ouml;sen Erkrankung eindringen,
+desto mehr wird sich Ihnen der Zusammenhang der Neurosen mit anderen
+Produktionen des menschlichen Seelenlebens, auch mit den wertvollsten
+derselben, enth&uuml;llen. Sie werden daran gemahnt, da&szlig; wir Menschen mit den
+hohen Anspr&uuml;chen unserer Kultur und unter dem Drucke unserer inneren
+Verdr&auml;ngungen, die Wirklichkeit ganz allgemein unbefriedigend finden und
+darum ein Phantasieleben unterhalten, in welchem wir durch Produktionen
+von Wunscherf&uuml;llungen die M&auml;ngel der Realit&auml;t auszugleichen lieben. In
+diesen Phantasien ist sehr vieles von dem eigentlichen konstitutionellen
+Wesen der Pers&ouml;nlichkeit und auch von ihren f&uuml;r die Wirklichkeit
+verdr&auml;ngten Regungen enthalten. Der energische und erfolgreiche Mensch
+ist der, dem es gelingt, durch Arbeit seine Wunschphantasien in Realit&auml;t
+umzusetzen. Wo dies nicht gelingt infolge der Widerst&auml;nde der Au&szlig;enwelt
+und der Schw&auml;che des Individuums, da tritt die Abwendung von der
+Realit&auml;t ein, das Individuum zieht sich in seine befriedigendere
+Phantasiewelt zur&uuml;ck, deren Inhalt es im Falle der Erkrankung in
+Symptome umsetzt. Unter gewissen<span class="pagenum"><a name="Page_56" id="Page_56">[p. 56]</a></span> g&uuml;nstigen Bedingungen bleibt es ihm
+noch m&ouml;glich, von diesen Phantasien aus einen anderen Weg in die
+Realit&auml;t zu finden, anstatt sich ihr durch Regression ins Infantile
+dauernd zu entfremden. Wenn die mit der Realit&auml;t verfeindete Person im
+Besitze der uns psychologisch noch r&auml;tselhaften <span class="g">k&uuml;nstlerischen Begabung</span>
+ist, kann sie ihre Phantasien anstatt in Symptome in k&uuml;nstlerische
+Sch&ouml;pfungen umsetzen, so dem Schicksal der Neurose entgehen und die
+Beziehung zur Realit&auml;t auf diesem Umwege wiedergewinnen.<a name="FNanchor_18_18" id="FNanchor_18_18"></a><a href="#Footnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a> Wo bei
+bestehender Auflehnung gegen die reale Welt diese kostbare Begabung
+fehlt oder unzul&auml;nglich ist, da wird es wohl unvermeidlich, da&szlig; die
+Libido, der Herkunft der Phantasie folgend, auf dem Wege der Regression
+zur Wiederbelebung der infantilen W&uuml;nsche und somit zur Neurose gelangt.
+Die Neurose vertritt in unserer Zeit das Kloster, in welches sich alle
+die Personen zur&uuml;ckzuziehen pflegten, die das Leben entt&auml;uscht hatte,
+oder die sich f&uuml;r das Leben zu schwach f&uuml;hlten.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_18_18" id="Footnote_18_18"></a><a href="#FNanchor_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Vgl.&nbsp;O.&nbsp;<span class="g">Rank</span>, Der K&uuml;nstler, H.&nbsp;Heller, Wien 1907.</p></div>
+
+<p>Lassen Sie mich an dieser Stelle das Hauptergebnis einf&uuml;gen, zu welchem
+wir durch die psychoanalytische Untersuchung der Nerv&ouml;sen gelangt sind,
+da&szlig; die Neurosen keinen ihnen eigent&uuml;mlichen psychischen Inhalt haben,
+der nicht auch beim Gesunden zu finden w&auml;re, oder wie <span class="g">C.&nbsp;G.&nbsp;Jung</span> es
+ausgedr&uuml;ckt hat, da&szlig; sie an denselben Komplexen erkranken, mit denen
+auch wir Gesunde k&auml;mpfen. Es h&auml;ngt von quantitativen Verh&auml;ltnissen, von
+den Relationen der miteinander ringenden Kr&auml;fte ab, ob der Kampf zur
+Gesundheit, zur Neurose oder zur kompensierenden &Uuml;berleistung f&uuml;hrt.</p>
+
+<p>Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen die wichtigste Erfahrung noch
+vorenthalten, welche unsere Annahme von den sexuellen Triebkr&auml;ften der
+Neurose best&auml;tigt. Jedesmal wenn<span class="pagenum"><a name="Page_57" id="Page_57">[p. 57]</a></span> wir einen Nerv&ouml;sen psychoanalytisch
+behandeln, tritt bei ihm das befremdende Ph&auml;nomens der sogenannten
+<span class="g">&Uuml;bertragung</span> auf, d.&nbsp;h. er wendet dem Arzt ein Ausma&szlig; von z&auml;rtlichen, oft
+genug mit Feindseligkeit vermengten Regungen zu, welches in keiner
+realen Beziehung begr&uuml;ndet ist und nach allen Einzelheiten seines
+Auftretens von den alten und unbewu&szlig;t gewordenen Phantasiew&uuml;nschen des
+Kranken abgeleitet werden mu&szlig;. Jenes St&uuml;ck seines Gef&uuml;hlslebens, das er
+sich nicht mehr in die Erinnerung zur&uuml;ckrufen kann, erlebt der Kranke
+also in seinem Verh&auml;ltnisse zum Arzte wieder, und erst durch solches
+Wiedererleben in der &raquo;&Uuml;bertragung&laquo; wird er von der Existenz wie von der
+Macht dieser unbewu&szlig;ten sexuellen Regungen &uuml;berzeugt. Die Symptome,
+welche, um ein Gleichnis aus der Chemie zu gebrauchen, die Niederschl&auml;ge
+von fr&uuml;heren Liebeserlebnissen (im weitesten Sinne) sind, k&ouml;nnen auch
+nur in der erh&ouml;hten Temperatur des &Uuml;bertragungserlebnisses gel&ouml;st und in
+andere psychische Produkte &uuml;bergef&uuml;hrt werden. Der Arzt spielt bei
+dieser Reaktion nach einem vortrefflichen Worte von S.&nbsp;<span class="g">Ferenczi</span><a name="FNanchor_19_19" id="FNanchor_19_19"></a><a href="#Footnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a> die
+Rolle eines <span class="g">katalytischen Ferments</span>, das die bei dem Prozesse frei
+werdenden Affekte zeitweilig an sich rei&szlig;t. Das Studium der &Uuml;bertragung
+kann Ihnen auch den Schl&uuml;ssel zum Verst&auml;ndnis der hypnotischen
+Suggestion geben, deren wir uns anf&auml;nglich als technisches Mittel zur
+Erforschung des Unbewu&szlig;ten bei unseren Kranken bedient hatten. Die
+Hypnose erwies sich damals als eine therapeutische Hilfe, aber als ein
+Hindernis der wissenschaftlichen Erkenntnis des Sachverhaltes, indem sie
+die psychischen Widerst&auml;nde aus einem gewissen Gebiet wegr&auml;umte, um sie
+an den Grenzen desselben zu einem un&uuml;bersteigbaren Wall aufzut&uuml;rmen.
+Glauben Sie &uuml;brigens nicht,<span class="pagenum"><a name="Page_58" id="Page_58">[p. 58]</a></span> da&szlig; das Ph&auml;nomen der &Uuml;bertragung, &uuml;ber das
+ich Ihnen leider hier nur zu wenig sagen kann, durch die
+psychoanalytische Beeinflussung geschaffen wird. Die &Uuml;bertragung stellt
+sich in allen menschlichen Beziehungen ebenso wie im Verh&auml;ltnis des
+Kranken zum Arzte spontan her, sie ist &uuml;berall der eigentliche Tr&auml;ger
+der therapeutischen Beeinflussung, und sie wirkt um so st&auml;rker, je
+weniger man ihr Vorhandensein ahnt. Die Psychoanalyse schafft sie also
+nicht, sie deckt sie blo&szlig; dem Bewu&szlig;tsein auf, und bem&auml;chtigt sich ihrer,
+um die psychischen Vorg&auml;nge nach dem erw&uuml;nschten Ziele zu lenken. Ich
+kann aber das Thema der &Uuml;bertragung nicht verlassen, ohne hervorzuheben,
+da&szlig; dieses Ph&auml;nomen nicht nur f&uuml;r die &Uuml;berzeugung des Kranken, sondern
+auch f&uuml;r die des Arztes entscheidend in Betracht kommt. Ich wei&szlig;, da&szlig;
+alle meine Anh&auml;nger erst durch ihre Erfahrungen mit der &Uuml;bertragung von
+der Richtigkeit meiner Behauptungen &uuml;ber die Pathogenese der Neurosen
+&uuml;berzeugt worden sind, und kann sehr wohl begreifen, da&szlig; man eine solche
+Sicherheit des Urteils nicht gewinnt, solange man selbst keine
+Psychoanalysen gemacht, also nicht selbst die Wirkungen der &Uuml;bertragung
+beobachtet hat.</p>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_19_19" id="Footnote_19_19"></a><a href="#FNanchor_19_19"><span class="label">[19]</span></a> S.&nbsp;<span class="g">Ferenczi</span>, Introjektion und &Uuml;bertragung. Jahrb. f.
+psychoanal. u. psychopath. Forschungen, I.&nbsp;2. 1909.</p></div>
+
+<p>Meine Damen und Herren! Ich meine, es sind von der Seite des Intellekts
+besonders zwei Hindernisse gegen die Anerkennung der psychoanalytischen
+Gedankeng&auml;nge zu w&uuml;rdigen: Erstens die Ungewohnheit, mit der strengen
+und ausnahmslos geltenden Determinierung des seelischen Lebens zu
+rechnen, und zweitens die Unkenntnis der Eigent&uuml;mlichkeiten, durch
+welche sich unbewu&szlig;te seelische Vorg&auml;nge von den uns vertrauten bewu&szlig;ten
+unterscheiden. Einer der verbreitetsten Widerst&auml;nde gegen die
+psychoanalytische Arbeit &mdash; bei Kranken wie bei Gesunden &mdash; f&uuml;hrt sich
+auf das letztere der beiden Momente zur&uuml;ck. Man f&uuml;rchtet durch die
+Psychoanalyse zu schaden, man hat Angst davor, die verdr&auml;ngten sexuellen
+Triebe ins<span class="pagenum"><a name="Page_59" id="Page_59">[p. 59]</a></span> Bewu&szlig;tsein des Kranken zu rufen, als ob damit die Gefahr
+verbunden w&auml;re, da&szlig; sie dann die h&ouml;heren ethischen Strebungen bei ihm
+&uuml;berw&auml;ltigen und ihn seiner kulturellen Errungenschaften berauben
+k&ouml;nnten. Man merkt, da&szlig; der Kranke wunde Stellen in seinem Seelenleben
+hat, aber man scheut sich dieselben zu ber&uuml;hren, damit sein Leiden nicht
+noch gesteigert werde. Wir k&ouml;nnen diese Analogie annehmen. Es ist
+freilich schonender, kranke Stellen nicht zu ber&uuml;hren, wenn man dadurch
+nichts anderes als Schmerz zu bereiten wei&szlig;. Aber der Chirurg l&auml;&szlig;t sich
+bekanntlich von der Untersuchung und Hantierung am Krankheitsherd nicht
+abhalten, wenn er einen Eingriff beabsichtigt, welcher dauernde Heilung
+bringen soll. Niemand denkt mehr daran, ihm die unvermeidlichen
+Beschwerden der Untersuchung oder die Reaktionserscheinungen der
+Operation zur Last zu legen, wenn diese nur ihre Absicht erreicht, und
+der Kranke durch die zeitweilige Verschlimmerung seines Zustands eine
+endg&uuml;ltige Hebung desselben erwirbt. &Auml;hnlich liegen die Verh&auml;ltnisse f&uuml;r
+die Psychoanalyse; sie darf dieselben Anspr&uuml;che erheben wie die
+Chirurgie; der Zuwachs an Beschwerden, den sie dem Kranken w&auml;hrend der
+Behandlung zumutet, ist bei guter Technik ungleich geringer, als was der
+Chirurg ihm auferlegt, und &uuml;berhaupt gegen die Schwere des Grundleidens
+zu vernachl&auml;ssigen. Der gef&uuml;rchtete Endausgang aber einer Zerst&ouml;rung des
+kulturellen Charakters durch die von der Verdr&auml;ngung befreiten Triebe
+ist ganz unm&ouml;glich, denn diese &Auml;ngstlichkeit zieht nicht in Betracht,
+was uns unsere Erfahrungen mit Sicherheit gelehrt haben, da&szlig; die
+seelische und somatische Macht einer Wunschregung, wenn deren
+Verdr&auml;ngung einmal mi&szlig;lungen ist, ungleich st&auml;rker ausf&auml;llt, wenn sie
+unbewu&szlig;t, als wenn sie bewu&szlig;t ist, so da&szlig; sie durch das Bewu&szlig;tmachen nur
+geschw&auml;cht werden kann. Der unbewu&szlig;te Wunsch ist nicht zu beeinflussen,<span class="pagenum"><a name="Page_60" id="Page_60">[p. 60]</a></span>
+von allen Gegenstrebungen unabh&auml;ngig, w&auml;hrend der bewu&szlig;te durch alles
+gleichfalls Bewu&szlig;te und ihm Widerstrebende gehemmt wird. Die
+psychoanalytische Arbeit stellt sich also als ein besserer Ersatz f&uuml;r
+die erfolglose Verdr&auml;ngung geradezu in den Dienst der h&ouml;chsten und
+wertvollsten kulturellen Strebungen.</p>
+
+<p>Welche sind &uuml;berhaupt die Schicksale der durch die Psychoanalyse
+freigelegten unbewu&szlig;ten W&uuml;nsche, auf welchen Wegen verstehen wir es, sie
+f&uuml;r das Leben des Individuums unsch&auml;dlich zu machen? Dieser Wege sind
+mehrere. Am h&auml;ufigsten ist der Erfolg, da&szlig; dieselben schon w&auml;hrend der
+Arbeit durch die korrekte seelische T&auml;tigkeit der ihnen
+entgegenstehenden besseren Regungen aufgezehrt werden. Die <span class="g">Verdr&auml;ngung</span>
+wird durch eine mit den besten Mitteln durchgef&uuml;hrte <span class="g">Verurteilung</span>
+ersetzt. Dies ist m&ouml;glich, weil wir zum gro&szlig;en Teil nur Folgen aus
+fr&uuml;heren Entwicklungsstadien des Ichs zu beseitigen haben. Das
+Individuum brachte seinerzeit nur eine Verdr&auml;ngung des unbrauchbaren
+Triebes zu stande, weil es damals selbst noch unvollkommen organisiert
+und schw&auml;chlich war; in seiner heutigen Reife und St&auml;rke kann es
+vielleicht das ihm Feindliche tadellos beherrschen. Ein zweiter Ausgang
+der psychoanalytischen Arbeit ist der, da&szlig; die aufgedeckten unbewu&szlig;ten
+Triebe nun jener zweckm&auml;&szlig;igen Verwendung zugef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen, die
+sie bei ungest&ouml;rter Entwicklung schon fr&uuml;her h&auml;tten finden sollen. Die
+Ausrottung der infantilen Wunschregungen ist n&auml;mlich keineswegs das
+ideale Ziel der Entwicklung. Der Neurotiker hat durch seine
+Verdr&auml;ngungen viele Quellen seelischer Energie eingeb&uuml;&szlig;t, deren Zufl&uuml;sse
+f&uuml;r seine Charakterbildung und Bet&auml;tigung im Leben sehr wertvoll gewesen
+w&auml;ren. Wir kennen einen weit zweckm&auml;&szlig;igeren Vorgang der Entwicklung, die
+sogenannte <span class="g">Sublimierung</span>, durch welchen die Energie<span class="pagenum"><a name="Page_61" id="Page_61">[p. 61]</a></span> infantiler
+Wunschregungen nicht abgesperrt wird, sondern verwertet bleibt, indem
+den einzelnen Regungen statt des unbrauchbaren ein h&ouml;heres, eventuell
+nicht mehr sexuelles Ziel gesetzt wird. Gerade die Komponenten des
+Sexualtriebes sind durch solche F&auml;higkeit zur Sublimierung, zur
+Vertauschung ihres Sexualzieles mit einem entlegeneren und sozial
+wertvolleren besonders ausgezeichnet. Den auf solche Weise gewonnenen
+Energiebeitr&auml;gen zu unseren seelischen Leistungen verdanken wir
+wahrscheinlich die h&ouml;chsten kulturellen Erfolge. Eine fr&uuml;hzeitig
+vorgefallene Verdr&auml;ngung schlie&szlig;t die Sublimierung des verdr&auml;ngten
+Triebes aus; nach Aufhebung der Verdr&auml;ngung ist der Weg zur Sublimierung
+wieder frei.</p>
+
+<p>Wir d&uuml;rfen es nicht vers&auml;umen, auch den dritten der m&ouml;glichen Ausg&auml;nge
+der psychoanalytischen Arbeit ins Auge zu fassen. Ein gewisser Anteil
+der verdr&auml;ngten libidin&ouml;sen Regungen hat ein Anrecht auf direkte
+Befriedigung und soll sie im Leben finden. Unsere Kulturanspr&uuml;che machen
+f&uuml;r die meisten der menschlichen Organisationen das Leben zu schwer,
+f&ouml;rdern dadurch die Abwendung von der Realit&auml;t und die Entstehung der
+Neurosen, ohne einen &Uuml;berschu&szlig; von kulturellem Gewinn durch dies &Uuml;berma&szlig;
+von Sexualverdr&auml;ngung zu erzielen. Wir sollten uns nicht so weit
+&uuml;berheben, da&szlig; wir das urspr&uuml;nglich Animalische unserer Natur v&ouml;llig
+vernachl&auml;ssigen, d&uuml;rfen auch nicht daran vergessen, da&szlig; die
+Gl&uuml;cksbefriedigung des einzelnen nicht aus den Zielen unserer Kultur
+gestrichen werden kann. Die Plastizit&auml;t der Sexualkomponenten, die sich
+in ihrer F&auml;higkeit zur Sublimierung kundgibt, mag ja eine gro&szlig;e
+Versuchung herstellen, durch deren immer weiter gehende Sublimierung
+gr&ouml;&szlig;ere Kultureffekte zu erzielen. Aber so wenig wir darauf rechnen, bei
+unseren Maschinen mehr als einen gewissen Bruchteil der aufgewendeten
+W&auml;rme in nutzbare mechanische<span class="pagenum"><a name="Page_62" id="Page_62">[p. 62]</a></span> Arbeit zu verwandeln, so wenig sollten
+wir es anstreben, den Sexualtrieb in seinem ganzen Energieausma&szlig; seinen
+eigentlichen Zwecken zu entfremden. Es kann nicht gelingen, und wenn die
+Einschr&auml;nkung der Sexualit&auml;t zu weit getrieben werden soll, mu&szlig; es alle
+Sch&auml;digungen eines Raubbaues mit sich bringen.</p>
+
+<p>Ich wei&szlig; nicht, ob Sie nicht Ihrerseits die Mahnung, mit welcher ich
+schlie&szlig;e, als eine &Uuml;berhebung auffassen werden. Ich getraue mich nur der
+indirekten Darstellung meiner &Uuml;berzeugung, indem ich Ihnen einen alten
+Schwank erz&auml;hle, von dem Sie die Nutzanwendung machen sollen. Die
+deutsche Literatur kennt ein St&auml;dtchen <span class="g">Schilda</span>, dessen Einwohnern alle
+m&ouml;glichen klugen Streiche nachgesagt werden. Die Schildb&uuml;rger, so wird
+erz&auml;hlt, besa&szlig;en auch ein Pferd, mit dessen Kraftleistungen sie sehr
+zufrieden waren, an dem sie nur eines auszusetzen hatten, da&szlig; es soviel
+teuern Hafer verzehrte. Sie beschlossen, ihm diese Unart schonend
+abzugew&ouml;hnen, indem sie seine Ration t&auml;glich um mehrere Halme
+verringerten, bis sie es an die v&ouml;llige Enthaltsamkeit gew&ouml;hnt hatten.
+Es ging eine Weile vortrefflich, das Pferd war bis auf einen Halm im Tag
+entw&ouml;hnt, am n&auml;chsten Tage sollte es endlich haferfrei arbeiten. Am
+Morgen dieses Tages wurde das t&uuml;ckische Tier tot aufgefunden; die B&uuml;rger
+von Schilda konnten sich nicht erkl&auml;ren, woran es gestorben war.</p>
+
+<p>Wir werden geneigt sein zu glauben, das Pferd sei verhungert, und ohne
+eine gewisse Ration Hafer sei von einem Tier &uuml;berhaupt keine
+Arbeitsleistung zu erwarten.</p>
+
+<p>Ich danke Ihnen f&uuml;r die Berufung und f&uuml;r die Aufmerksamkeit, die Sie mir
+geschenkt haben.</p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h3><a name="ANMERKUNGEN" id="ANMERKUNGEN"></a>ANMERKUNGEN ZUR TRANSKRIPTION</h3>
+
+
+<p>Das <a href="#INHALTSVERZEICHNIS">Inhaltsverzeichnis</a> in diesem elektronischem Buch entstand aus den
+&Uuml;berschriften im urspr&uuml;nglichen Buch.</p>
+
+<p>Nach dem Korrekturlesen auf PGDP, wurden die folgende Korrekturen
+vorgenommen.</p>
+
+<p>
+<a href="#Page_32">Seite 32</a>: fehlende Fußnote Markierung<br />
+<a href="#Page_42">Seite 42</a>: unbeanst&auml;ndet -> unbeanstandet<br />
+<a href="#Page_57">Seite 57</a>: Unbebewu&szlig;ten -> Unbewu&szlig;ten<br />
+<a href="#Page_61">Seite 61</a>: ururspr&uuml;nglich -> urspr&uuml;nglich<br />
+</p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h3><a name="TRANSCRIBERS_NOTES" id="TRANSCRIBERS_NOTES"></a>TRANSCRIBER&#8217;S NOTES</h3>
+
+
+<p>The <a href="#INHALTSVERZEICHNIS">table of contents</a> in this eBook was created from the page headers in
+the original.</p>
+
+<p>After proofreading on PGDP, the following corrections were made.</p>
+
+<p>
+<a href="#Page_32">Page 32</a>: missing footnote marker<br />
+<a href="#Page_42">Page 42</a>: unbeanst&auml;ndet -> unbeanstandet<br />
+<a href="#Page_57">Page 57</a>: Unbebewu&szlig;ten -> Unbewu&szlig;ten<br />
+<a href="#Page_61">Page 61</a>: ururspr&uuml;nglich -> urspr&uuml;nglich<br />
+</p>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Über Psychoanalyse, by Sigmund Freud
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ÜBER PSYCHOANALYSE ***
+
+***** This file should be named 20613-h.htm or 20613-h.zip *****
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+
+Produced by Markus Brenner, Chris Nash and the Online
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+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions
+will be renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+*** START: FULL LICENSE ***
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
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+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
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+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at http://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit http://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations.
+To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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new file mode 100644
index 0000000..64da03e
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #20613 (https://www.gutenberg.org/ebooks/20613)