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diff --git a/15890-h/15890-h.htm b/15890-h/15890-h.htm new file mode 100644 index 0000000..d5ccdcd --- /dev/null +++ b/15890-h/15890-h.htm @@ -0,0 +1,11754 @@ +<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 4.01 Transitional//EN"> +<html> +<head> +<meta name="generator" content= +"HTML Tidy for Windows (vers 1st December 2004), see www.w3.org"> +<meta http-equiv="Content-Type" content= +"text/html; charset=us-ascii"> +<title>The Project Gutenberg eBook of Mein erster Aufenthalt in +Marokko, by Gerhard Rohlfs</title> +<style type="text/css"> +/* leave room for page numbers; */ +body { margin-left: 9%; margin-right: 9%; } +sup { font-size: 60% } + +</style> +</head> +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise +südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet. + +Author: Gerhard Rohlfs + +Release Date: May 24, 2005 [EBook #15890] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO *** + + + + +Produced by Magnus Pfeffer, Robert Kropf and the Online +Distributed Proofreading Team. This file was produced from +images generously made available by the Bibliothèque +nationale de France (BnF/Gallica) at http://gallica.bnf.fr. + + + + + + +</pre> + +<p> +Transcriber's notes:<br> + [ ] Korrektur von Satzfehlern (einschließlich der im Vorwort erwähnten)<br> + [ ] correction of typos (including those wich are mentioned in the preface) +</p> +<center> +<h2>Mein erster Aufenthalt in Marokko<br> +und<br> +Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.</h2> +</center> +<center> +<h3>Von Gerhard Rohlfs.</h3> +</center> +<center> +<h4>BREMEN, 1873. +<br> +Verlag von J. Kühtmann's Buchhandlung, +<br> +U. L. Fr. Kirchhof 4. +</h4> +</center> + +<h3>Vorwort.</h3> +<p>Indem ich dem geneigten Leser die Beschreibung meines ersten +Aufenthaltes in Marokko übergebe, verweise ich dabei auf die +ausgezeichneten Karten, die seiner Zeit in den Petermann'schen +Mittheilungen über meine Routen erschienen sind. Ich habe mir +die grösste Mühe gegeben, durch Vergleichung mit anderen +Angaben ein annähernd genaues Resultat über die +Einwohnerzahl des Landes und der Städte zu erlangen, und hoffe +das Richtige getroffen zu haben, so weit das überhaupt durch +Schätzung zu ermöglichen ist. Sehr bedauerlich ist +für mich, dass durch einen Schreibfehler in meinem Manuscripte +die Zahl 25,000 statt 250,000 für die Draabevölkerung +auch in Dr. Behm's geogr. Jahrbücher übergegangen ist. Im +vorliegenden Buche bitte ich ausserdem bei Dar beida statt 300 +Einwohner 3000, und bei Asamor statt 30,000 Einwohner 3000 lesen zu +wollen.</p> +<p>Weimar, September 1872.</p> +<p><b>Gerhard Rohlfs.</b></p> +<h3>Inhalt:</h3> +<p><b><a href="#K01">1. Ankunft in Marokko</a></b><br> +<b><a href="#K02">2. Bodengestalt und Klima</a></b><br> +<b><a href="#K03">3. Bevölkerung</a></b><br> +<b><a href="#K04">4. Religion</a></b><br> +<b><a href="#K05">5. Krankheiten und deren Behandlung</a></b><br> +<b><a href="#K06">6. Uesan el Dar Demana</a></b><br> +<b><a href="#K07">7. Eintritt in marokkanische Dienste</a></b><br> +<b><a href="#K08">8. Die Hauptstadt Fes</a></b><br> +<b><a href="#K09">9. Mikenes und Heimreise nach Uesan</a></b><br> +<b><a href="#K10">10. Politische Zustände</a></b><br> +<b><a href="#K11">11. Consulatswesen</a></b><br> +<b><a href="#K12">12. Aufenthalt beim Grossscherif von +Uesan</a></b><br> +<b><a href="#K13">13. Reise längs des atlantischen +Oceans</a></b><br> +<b><a href="#K14">14. Reise südlich vom Atlas nach der Oase +Draa</a></b><br> +<b><a href="#K15">15. Die Oase Draa. Mordversuch auf den Reisenden. +Ankunft in Algerien</a></b></p> +<h2><a name="K01" id="K01"></a>1. Ankunft in Marokko.</h2> +<p>Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines +französischen Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war +Nachmittag, als wir beim herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht +hinausdampften. Die meisten an Bord befindlichen Passagiere +wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren auch einige, die +Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten. Der +grösseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen, +da mein Geldvorrath äusserst gering war; das Wetter war eben +so sommerlich, die das Dampfboot führenden Leute so freundlich +und zuvorkommend, dass man kaum an die grösseren +Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.</p> +<p>Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest +vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste +der Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der +Zeit sprach man in Spanien und Algerien viel von einer +Reorganisation der marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe +nach dem Friedensschlusse mit Spanien die Absicht ausgesprochen, +Reformen einzuführen; man las in den Zeitungen Aufforderungen, +nach Marokko zu gehen, jeder Europäer könne dort sein +Wissen und sein Können verwerthen. Dies Alles +beschäftigte mich, ich machte die schönsten Pläne, +ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu können, als ich +durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war; ich +glaubte um so eher mich den Verhältnissen des Landes +anschmiegen zu können, als ich in Algerien gesucht hatte, mich +der arabischen Bevölkerung zu nähern und mit der Sitte +und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt zu machen.</p> +<p>Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma +Rassaua) gemacht, um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und +wieder ging es weiter nach dem Westen, und als es am folgenden +Morgen tagte, befanden wir uns gerade in gleicher Höhe von +Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der Küstenfahrt +zu geben, von der sich überdies äusserst wenig sagen +lässt. Nackt, steil und abschreckend fallen die Felswände +ins Meer hinein. Freilich ist die Küste gar nicht so +einförmig, wie sie sich in einer Entfernung von circa dreissig +Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir gewöhnlich hielten, +auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk unterscheiden; +aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein Städtchen +ist zu erblicken, höchstens die einsame Kuppel des Grabmals +irgend eines Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an +der Küste Menschen hausen.</p> +<p>Hätte nicht Spanien einige befestigte Punkte, +Strafanstalten, an dieser Küste, sie würde vollkommen +unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de Velez bekamen wir nach +einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von +Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige Dörfer +an der Küste haben, so sind diese doch so versteckt angelegt, +dass sie sich dem Auge des Vorbeifahrenden entziehen. Der +Seeräuber scheut das Licht, er muss Schlupfwinkel haben, und +die in unmittelbarer Nähe des Mittelmeers wohnenden Rifi sind +nichts Anderes als Seeräuber, und zwar der schlimmsten Art. +Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben +dazu auch weder passende Fahrzeuge noch genügende Waffen, aber +wehe dem Schiffe, das an ihrer Küste scheitert, wehe dem +Boote, welches der Sturm in eine ihrer Buchten treiben sollte.</p> +<p>Wie ganz anders ist die gegenüberliegende spanische +Küste, grüne, wein- und olivenumrankte Berge, +überall Städte, freundliche Villen und Dörfer, +kleine Schiffe, die den Küstenverkehr vermittelm [vermitteln]; +man kann keinen grösseren Gegensatz denken.</p> +<p>Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die Küste, ohne +sie jedoch ganz aus den Augen zu verlieren, und hielten auf +Gibraltar, welches noch Nachts erreicht wurde. Bis zum folgenden +Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde die Meerenge durchschnitten +und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche Jollen waren gleich +vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser mir fast +nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle war +bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen +nicht unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines +Menschen, der einen heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist +nämlich die Brandung so stark, dass die Böte dort nicht +anlegen können. Ich miethete einen kräftigen Neger, der +mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans Land +trug.</p> +<p>Für einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht +lästig, zumal für mich, da mein Pass bekundete, dass ich +unter englischem Schutze stände. Die Dragomanen der +verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden nach ihrer +Nationalität, und als ich meinen Bremer Pass in die Hände +eines vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen +Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten +beseitigt. Die Hansestädte standen dazumal unter +grossbritanischem Schutze, während Preussen sich durch +Schweden vertreten liess.</p> +<p>Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das Hôtel de +France, welches von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein +reizendes Haus, in ächt maurischem Style. Von einem +früheren Gouverneur der Stadt erbaut, gehörte dasselbe +jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenthümer der +Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.</p> +<p>Ausser mir war noch ein Blumenhändler dort, der mit dem +Bruder des Sultans, Mulei el Abbes, Geschäfte machen wollte, +und auch hoffte bei den europäischen Consuln seine Waare +absetzen zu können, dann ein Spanier, vormals Offizier der +spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte, wie ich, in +Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren Monaten in +Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gründen er die spanische +Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei +Tetuan noch so ausgezeichnet hatte, hätte er in Spanien sicher +eine Zukunft gehabt. Beschäftigt mit der Uebersetzung des +spanischen Artillerie- Reglements ins Arabische, wollte er dies dem +Sultan präsentiren und dann in die marokkanische Armee +eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el Abbes noch glänzende +Versprechungen gemacht.</p> +<p>Mein nächster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir +Drummond Hay. Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von +allen Mitteln entblösst, obwohl ich kein einziges +Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon ich ihm ein +vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engländer war, empfing +mich Sir Drummond mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit. Aber +wie zerstieben meine Träume. Ich erfuhr, dass an eine +Reorganisation der Zustände des Landes nicht gedacht +würde, dass der religiöse Fanatismus eher zu- als +abnähme, dass, wenn der Sultan für seine Person auch +vielleicht Reformen in einigen Dingen wünsche, der +Religionshass der Eingeborenen gegen alles Christliche so gross +sei, dass an Ausführung nicht gedacht werden könnte. +Allerdings habe der Sultan eine <i>regelmässige</i> Armee +gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelmässig, und +falls ich auf dem Beschluss bestände, ins Innere des Landes +gehen zu wollen, sei vor Allem <i>erforderlich</i>, äusserlich +den Islam anzunehmen.</p> +<p>Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zurück. Aber eine Berathung +mit Gatell, der Reiz des Neuen, das Lockende, völlig +unbekannte Gegenden durchziehen zu können, fremde Völker +und Sitten, ihre Sprache und Gebräuche kennen zu lernen, ein +Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies +bewog mich, das Wagniss auszuführen, und nach einer zweiten +Unterredung mit Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle—(es +war dies das <i>einzige</i> Mittel, um ins Innere des Landes Zugang +zu bekommen)—<i>äusserlich</i> den Islam annehmen und +eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans nachsuchen. Unter +dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte Sir +Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und +könne mich so lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei +el Abbes, den ich versuchte zu besuchen, war indess nicht sichtbar +für mich, jedesmal kam ich zu ungelegener Zeit.</p> +<p>Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen +Vorsatz auszuführen, obschon alle anderen Europäer +abriethen. Ich vermied aber so viel wie möglich mit ihnen in +weitere Berührungen zu kommen, namentlich mied ich das +spanische Consulat (obschon mir dasselbe später in Marokko +viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion +verdächtigt zu werden. Denn hätten die Mohammedaner mich +nach wie vor mit Christen verkehren sehen, so würden sie es +gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein übergetreten. So +war ich nur fünf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die Stadt +nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den +Rücken gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es +übernommen hatte, mich nach Fes bringen zu wollen.</p> +<p>Ich hatte meine Sachen auf das Nothdürftigste reducirt, ein +Bündelchen mit Wäsche war Alles, was ich bei mir hatte, +nach Landessitte trug ich es an einem Stocke hängend auf der +Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses langes wollenes, mit +Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe Pantoffeln, dann +eine spanische Mütze, worein ich mein letztes Geld—eine +englische Fünf-Pfundnote—genäht hatte, endlich ein +schwarzer weiter europäischer Ueberzug, der als Burnus dienen +konnte: das war mein Anzug. Ich hatte keine Waffen, ein kleines +Buch mit Bleistift, um Notizen machen zu können, war in der +Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausrüstung.</p> +<p>Gewiss ein Wagestück, unter solchen Umständen, mit +solchen mehr als bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes +Land eindringen zu wollen! Um so mehr, als ich von der arabischen +Sprache nur die gewöhnlichsten Redensarten auswendig wusste +und weit davon entfernt war, auch nur mangelhaft sprechen zu +können. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut auswendig +gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es +sagen, alleiniger Schlüssel zum Oeffnen dieser von so +fanatischer Bevölkerung bewohnten Gegenden ist. Diese +Glaubensformel—wer hätte sie nicht schon gehört +oder gelesen—lautet: <i>"Lah ilah il allah, Mohammed ressul +ul Lah,"</i><a href="#F001"><sup>1</sup></a> ausser Gott kein Gott, Mohammed +ist der Gesandte Gottes.</p> +<blockquote><a name="F001" id="F001"></a>[Fußnote 1: Ganz +genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus, obschon es nach der +Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein +müsste.]</blockquote> +<p>Mein Gefährte schien vollkommen überzeugt, ich sei zum +Islam übergetreten, nur glaube ich, vermuthete er, ich sei +heimlich entflohen aus irgend einem verborgenen unlauteren Grund, +vielleicht dachte er auch, dass bei den Christen der Uebertritt von +einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit dem Tode bestraft +würde; aber das schien ihm gewiss, dass mein Päckchen mit +Wäsche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte +und ich mich damit aus dem Staube machen wolle. +Natürlicherweise mussten ihm solche Gedanken kommen: ein +Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich nie mit +Wäsche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan +wäre.</p> +<p>Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan +führte, weil mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen +Freund aufsuchen wollte, und bald genug hatten wir die nächste +Umgegend Tangers verlassen. Der Weg war nicht belebt, denn es war +nicht der nach Tetuan führende Karavanenweg. Aber wie +entzückend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt +nicht neu für mich war, wenn auch das Thierreich nördlich +vom Atlas überhaupt wenig bietet, was nicht in den +übrigen Ländern am Mittelmeerbecken zu finden ist, das +schon Gesehene unter anderen Verhältnissen übt immer +einen mächtigen Zauber aus.</p> +<p>Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der +Marokkaner sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der +langblättrigen Aloës, Lentisken- und Myrtengebüsch, +Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April ist für Marokko +die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem Anfang +Juni entsprechen würde. Die Pracht und Fülle der Natur +hat nun keine Grenzen. Der heisse und austrocknende Südostwind +hat seine tödtenden Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht +ausgeübt. Wie alle Gärten der Städte Marokko's +zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus. Und da in +den unteren Theilen die Bewässerung gut ist, wird Alles +gezogen, was man nur in Europa an Gemüse kennt.</p> +<p>Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von +Tetuan kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere +Europäer waren, die mich alle baten und beschworen, nicht in +alleiniger Begleitung eines Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins +Innere des Gebirges zu gehen. Aber ich liess mich nicht mehr +bereden, es waren die letzten Christen, die ich für lange Zeit +zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle nie +aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge +nach Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach +noch ausführlicher von dieser merkwürdigen +Persönlichkeit die Rede sein soll, beschränke ich mich +darauf, hier anzuführen, dass er der grösste Heilige von +Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den +Mohammedanern ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst +bei den ultramontanen Katholiken.</p> +<p>Durch viele kleine Duar (Zeltdörfer) und Tschar +(Häuserdörfer) kommend, die alle von hübschen +Gärten umgeben waren, zog ich trotz meiner halbmarokkanischen +Kleidung überall die Blicke der Eingeborenen auf mich, und +Si-Embark (so nannte sich mein Gefährte) hatte genug zu thun, +die Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt: +"er geht zu Sidi, ist ein zum Islam übergetretener Inglese" +(Engländer), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird +schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet +Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess es ruhig +geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engländer, die +Mühe, ihnen auseinanderzusetzen, welcher Nationalität ich +angehöre, würde überdies bei ihren kindlichen +geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.</p> +<p>Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am +Berge gelegenes Dörfchen. Alle Häuser und Gehöfte +waren von hohen Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen +Gärten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht, und Si-Embark +wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist Dein ich? +Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die +Fragen, die Beide sich unzählige Male, nachdem der erste +<i>"ssalamu alikum"</i> ausgetauscht worden war, wiederholten. +Dabei küssten sie sich recht herzlich, und allmählich, +als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es schien, +stereotypen Fragen kam, wurden diese häufig untermischt mit +anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten +Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die +Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich +wurde die Neugier in Betreff meiner auch gestillt.</p> +<p>Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie +alle übrigen nur aus Einem Zimmer. Die Wände waren +auswendig und innen überkalkt, der Fussboden war aus +gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf Stämmen +aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige +Thür so niedrig, dass ein fünfjähriges Kind +allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das äussere Dach, +à cheval darüber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein +Teppich, auf einer Erderhöhung eine Art Matratze war das ganze +Ameublement.</p> +<p>Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je +eine Frau, denn das Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man +findet es in Marokko überhaupt sehr oft, dass zwei +verheirathete Brüder Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater +der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das Haus.—Der +ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen +ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in den Augen +der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner gestempelt; sie +riethen mir nämlich, oder vielmehr befahlen, mein Kopfhaar +glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen, mir +eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese +chinesiche [chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, +und Morgens nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das +Ansehen, welches Mirza-Schaffy für den schönsten Schmuck +des Mannes hält. Der alte Papa hatte selbst das Rasiren +besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente +sich dazu seines ganz gewöhnlichen Messers. Ein Fötha +(d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, +und nun war ich ihrer Meinung nach vollkommener Muselmann.</p> +<p>Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das +später näher erörtern werde, nicht als zum Islam +unumgänglich nothwendig gehalten<a href="#F002"><sup>2</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F002" id="F002"></a>[Fußnote 2: Siehe +darüber auch Höst, S. 208.]</blockquote> +<p>Natürlich musste ich von nun an alle Gebräuche, die +der Islam erfordert, mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der +Hand aus einer irdenen Schüssel mit dem männlichen +Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der Bissen zu +fassen und zum Munde zu führen sei, und Nachts musste ich mich +bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh für diesmal +eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer +kleinen thönernen Lampe, ganz ähnlich in Form und Gestalt +den antiken griechischen und römischen. Ein Klumpen Butter +wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem +Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der +brillanten Gaslampe.</p> +<p>Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich +natürlich immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, +erreichten wir um "Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger +nach L'xor (Alcassar) führende Karavanenstrasse. Eine Uhr +besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner +meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den Magenbedürfnissen +und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als +Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenhöhe oder +Mittag, und Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen +Sonnenaufgang und Mittag, endlich zwischen Mittag und +Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für alle diese +Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen<a href="#F003"><sup>3</sup></a>. +Wenn ich sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so +denke man dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte +Chaussee, dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche +nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt +ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder +weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener +eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft +zwanzig, ja bis zu fünfzig, die sich in einander +schlängeln, so dass das Ganze von der Vogel-Perspective aus +gesehen, wie ein langgezogenes Netz erscheinen würde.</p> +<blockquote><a name="F003" id="F003"></a>[Fußnote 3: +Sonnenaufgang Seroct el schems, gegen 9 Uhr Morgens Dhaha, Mittag +nus el nhar, Nachmittags 3 Uhr L'asser, Untergang der Sonne Hebut +el schems. Diesen Zeiten entsprechen auch die Gebete, doch ist das +Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]</blockquote> +<p>Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die +weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz +derselben zu erhöhen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing +schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verhältnisse +sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der +Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar +bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben +Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob +die Berber den Pflug <i>vor</i> der arabischen Invasion gekannt +haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen +Völkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach +Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien +herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen der +Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke +bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer +Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, +dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich +für die nächste Bestellung des Ackers als +Düngungsmittel dienen. In Haufen lässt man alsdann das +Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das +Korn durch Rinder, <i>denen das Maul verbunden ist</i><a href= +"#F004"><sup>4</sup></a> und die im Kreise herumgetrieben werden, +ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel +einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den +nächsten Gebrauch nicht im Hause behält, wird in grosse +Löcher geschüttet. Diese Gruben von birnförmiger +Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als +mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf +Erhöhungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll +sich jahrelang darin halten.</p> +<blockquote><a name="F004" id="F004"></a>[Fußnote 4: +Höst (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es aber +nur so ausdreschen sehen.]</blockquote> +<p>Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gewöhnt, +war mir der Marsch mit blossen Füssen in den dünnen +gelben Pantoffeln äusserst beschwerlich; nach der Sitte der +Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den +Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die +empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und +schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine +kleine Rkuá<a href="#F005"><sup>5</sup></a> bei sich, woraus wir +unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d. +i. ein Zeltdorf, in dem genächtigt wurde. Es war ein Kreis von +17 Zelten; eins, das sich durch grössere Feinheit des Stoffes +auszeichnete, auch geräumiger als die übrigen war, +gehörte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit +Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den +übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der +Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht +überdies die Sitte, die Zelte kreisförmig aufzuschlagen; +viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch +die Behausungen den örtlichen Verhältnissen der Gegend +anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag über gute +Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten hätte, und ich ersah +daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortwährend Gott im +Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, +die uns lächerlich erscheinen werden. Als er mich das Wort +"rsass", Blei, für Kugel anwenden hörte, unterbrach er +mich rasch und meinte, es sei unanständig, dies Wort, womit +man Menschen tödte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie ich zu +sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber später fand ich, +dass man in Marokko allgemein für Bleikugel das Wort "chfif", +d.h. "leicht" sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende +Eigenschaft. Er sagte mir, ich solle nie die Frauen und jungen +Mädchen ansehen und als Fremder nicht mit ihnen sprechen, +kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch am +folgenden Tag dafür bezahlt.</p> +<blockquote><a name="F005" id="F005"></a>[Fußnote 5: +Rkuá, kleiner Schlauch, den man selbst trägt; Girba, +Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]</blockquote> +<p>Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, +sondern Si- Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei +dem er Unterkommen fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher +zum ersten Male eine einheimische feste Behausung kennen gelernt, +so war jetzt das Leben und Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. +Ich sah jetzt ein, welch ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des +Islam ziehen würde. Hätte man einen Christen oder auch +einen unter Gepränge reisenden Mohammedaner so ohne Weiteres +ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie. Auf +diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige +Bevölkerung selbst lebt—auf diese Art reisend, durfte +ich hoffen, genau die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen +kennen zu lernen. Vor mir war keine Scheu, keine +Zurückhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann sagen, +auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und +unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt +dafür vom Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der +zudringlichen Fragen, warum ich gekommen, weshalb ich +übergetreten, warum ich nicht heirathe und mich sesshaft mache +etc. etc., erwehren zu können, ausgesagt, ich sei Arzt; aber +von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen +Krankheiten Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles +wollte Mittel und Rathschläge vom ehemaligen christlichen Arzt +haben. Freilich schöpfte ich auch hieraus manchen Nutzen, denn +ebenso gut wie in Europa der Arzt manchmal mehr erfährt als +der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die Marokkaner Vertrauen +zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten Beweis seiner +Heilkraft erprobt haben.</p> +<p>Das Zelt, welches wir für die Nacht bewohnten, war +dasselbe, worin die ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im +Allgemeinen sind die Zelte der Marokkaner etwas kleiner als die der +Algeriner, aber grösser als die der Bewohner von Tripolitanien +und Cyrenaika. Dies gilt indess nur für die Theile in Marokko, +die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger stehen, in +den Gebieten, welche eine unabhängige Herrschaft haben, +besitzen die Stämme ebenso grosse, wenn nicht noch +grössere Zelte als die der Triben in Algerien. Man kann mit +Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte auf den Wohlstand +Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie bei uns +ursprünglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause", +"er macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in +Wirklichkeit zu nehmen ist, so auch in Marokko; "<i>min dar +kebira</i>", oder "<i>cheima kebira</i>" heisst vom grossen Hause, +vom grossen Zelte und bedeutet, dass der, auf den es Bezug hat, +wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt, mithin Reichthum und +Macht besitzt.</p> +<p>Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten, +nicht zu den grossen gehörte; in der einen Hälfte +schliefen Mann und Frau, in der anderen wir und noch zwei +männliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand war durch die +im Zelte üblichen Möbel gebildet: hohe Säcke mit +Korn, darauf ein Sattel, Ackergeräth, zwei Flinten, ein +grosser Schlauch mit Wasser, ein anderer, worin gebuttert wird und +der nur halb voll zu sein schien<a href="#F006"><sup>6</sup></a>, Töpfe +und leere hölzerne Schüsseln vervollständigten die +trennende Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine +Scheidewand gezogen zu sein. Ein kleines Füllen, welches an +unserer Seite angebunden war, bekam mehrere Male Nachts +Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des +Eigenthümers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen +kurzen Besuch zu machen, wobei sie ungenirt über uns +wegkletterten. Glücklicherweise sind die Hunde <i>des +Zeltes</i>, in das man einmal aufgenommen ist, nicht mehr zu +fürchten, es ist, als ob sie den Gastfreund ihres Herrn +respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts einen +Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er +würde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien +angefallen werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man +lockt durch faules oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere +fort, und mit Leichtigkeit kann dann gestohlen werden, da die +Eingeborenen sich Nachts nur auf die Wachsamkeit ihrer Hunde +verlassen.</p> +<blockquote><a name="F006" id="F006"></a>[Fußnote 6: Man +giesst mehrere Morgen nach einander die frisch gemolkene Milch in +einen Ziegenschlauch, und später wird durch Schütteln die +Butter erzeugt.]</blockquote> +<p>Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets +für die Nacht in den inneren Kreis getrieben und Morgens und +Abends gemolken. Besitzt ein Einzelner viele Schafe, so werden sie +in zwei Reihen mit den Köpfen nach vorn gerichtet, +durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald ein Schaf +gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit führen die +Widder der verschiedenen Heerden furchtbare Kämpfe auf und +meistens lassen die Besitzer sie gewähren. Ein jeder der +Kämpfer geht ungefähr zehn Schritt zurück, und +sodann stürzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass +die Köpfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse +mit dem Kopfe nach vorwärts, sie fallen auf die Knie, endlich +räumt der eine das Feld, während der andere laut +schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das marokkanische Schaf ist +nicht das fettschwänzige. Die Hörner des Schafes sind +spiralförmig gebogen, der Kopf ist vorn gewölbt, die +Wolle lang und fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das +spanische Merino entstanden. Für Veredlung der Race der Schafe +wird natürlich in Marokko gar nichts gethan, im Gegentheil +wundert man sich, dass sie bei so ungünstiger Behandlungsweise +noch so ausgezeichnet gedeihen. Hemsö schätzt die Zahl +der Schafe auf vierzig bis fünfundvierzig Millionen. Wo Schafe +sind, ist gleichzeitig auch Ziegenzucht und +verhältnissmässig gedeihen diese besser, weil sie weniger +Wartung bedürfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen +Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie +wegen ihrer Felle geschätzt. Die Schläuche zum +Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann gut, wenn sie aus Ziegen- oder +Bockfellen bereitet sind. Aber auch das gegerbte Leder, Safian, +Maroquin, oder das, was heute am bewährtesten ist, Fessian und +das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch zieht +der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.</p> +<p>Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der +üblichen Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in +Wasser gekocht und mit Butter gegessen wurden. Wir hatten die +Absicht, Abends noch die Stadt L'xor zu erreichen. Wie am Tage +vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich fing bald an, mich +meiner überflüssigen Kleidungsstücke zu entledigen, +auch mein spanisches Mützchen wurde dem Bündel +beigefügt und dafür aus meinem Tuch zum besseren Schutz +gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war freundlich genug, +das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu nehmen, +welches in zwei an beiden Seiten angebundenen Körben, +"Schuari" genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde +Tleta-Risane erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt +abgehalten wird; ungefähr halbwegs zwischen Tanger und L'xor +gelegen, zeichnet sich dieser Platz sonst durch nichts aus. +Manchmal soll auch in der Nähe ein Duar zu finden sein, zu der +Zeit sahen wir nur eine leere Stätte, die aber auf den ersten +Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein +müsste. Hier standen leere Hütten aus Zweigen, dort waren +Metzgerplätze, und viele Aasgeier und Raben durchwühlten +noch den blutdurchtränkten Boden, hier sah man Asche der +Schmiedewerkstätte, dort todte Kohlenreste einer +Garküche, aber nirgends war ein Mensch zu sehen.</p> +<p>Da Wasser in der Nähe war und die Sonne ihren höchsten +Stand erreicht hatte, würde gelagert, und nachdem wir etwas +trockenes Brod gegessen hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen +Freund aus einem in der Nähe lagernden Duar abholen, ich solle +ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten wir dann nach L'xor gehen. +Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu scheinen, ihn um mein +Bündelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe ich ihn +wiedergesehen.</p> +<p>Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem +Untergange zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein +ängstliches Gefühl beschlich mich, so allein auf jetzt +völlig einsamer Strasse weiter zu ziehen, sämmtlicher +Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger zurückzukehren, +aber ich schämte mich, nach einer dreitägigen Reise dort +und noch dazu unter solchen Verhältnissen wieder zu +erscheinen. Ich nahm noch einen tüchtigen Trunk Wasser und +vorwärts zog ich nach Süden. Da Si- Embark mir gesagt +hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu wollen, hoffte ich +noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung erwies sich als +falsch.</p> +<p>Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenthümlicher +Aufzug, halb europäisch halb marokkanisch gekleidet, erregte +natürlich das grösste Aufsehen. Hunderte von Menschen +umdrängten mich bald, Kinder lärmten, schimpften und +schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war ein +Glück für mich. Der Pöbelhaufe wollte nämlich +nicht glauben, ich sei Moslim, und wenn ich auch nicht Alles +verstand, was sie mir Böses sagten, merkte ich doch so viel, +dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen in ihre Stadt +erbaut gewesen wären; als aber die Juden, welche spanisch +verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden +(adjmia wendet der Marokkaner auf jede fremde Sprache an), +erklärten, ich sei allerdings Christ gewesen, habe aber die +Religion der Gläubigen angenommen, werwandelte [verwandelte] +sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die Juden nun noch +hinzufügten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"<a href= +"#F007"><sup>7</sup></a> zu pilgern, um später in die Dienste des +Sultans zu treten, war Jedermann zufrieden.</p> +<blockquote><a name="F007" id="F007"></a>[Fußnote 7: Dar +demana, Haus der Zuflucht, wird Uesan von den frommen +Gläubigen genannt.]</blockquote> +<p>Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der +Regierung, die zum Theil in den Städten Polizeidienst +versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres ergriff der eine meine Hand +und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte nicht, der Maghaseni +rief immerwährend: "tkellem el Kaid" (der Kaid lässt Dich +rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen +Aufforderung überhaupt Widerstand entgegensetzen könne. +Die Juden redeten zu, mitzugehen, sie selbst würden für +mich dolmetschen, ich solle nur keine Furcht haben, der Kaid sei +ein guter Mann.—Angekommen im Dar el Maghasen, wie jedes +Regierungsgebäude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man +das Palais des Sultans oder die Wohnung eines gewöhnlichen +Kaid damit meint, wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg +über hatte mich immer der eine Maghaseni bei der Hand gehalten, +während der andere hinten drein ging; erst als wir vor dem +Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch später habe ich diese +Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er +immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.</p> +<p>Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee +erquickte mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann +er zu fragen, woher ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin +ich wolle, ob ich verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude +explicirte Alles. Darauf hielt der Kaid, ich muss ihm diese +Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine eindringliche Rede, nicht +ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ wäre ich Alles +besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich +sogar, mir ein Pferd zur Rückreise nach Tanger zu stellen und +mich durch einen Maghaseni begleiten zu lassen.</p> +<p>Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, +glaubte ich zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss +gemordet oder sonst etwas verbrochen, und <i>darf</i> zu den +Christen nicht zurückkehren." Nach Beendigung des Verhörs +war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes, nach dem +"Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es +natürlich als selbstverständlich betrachtet, dass ich bei +ihm wohne. Aber auch so noch erstreckte sich seine Freundlichkeit +weiter, er befahl einem Maghaseni und dem Juden, mich nach dem +genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort auf seine Kosten +wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Natürlich wird er +dem Miethsmann des Funduks als Entschädigung nichts gegeben +haben, was er überdies auch kaum nöthig hatte, da der +Name "Funduk el Sultan", d.h. "Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in +unserem Sinne zu verstehen ist, sondern so viel bedeutet, als +Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der Regel gehören +die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend einer +Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.</p> +<p>Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen +Aussprache am nächsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt +ungefähr 10 Minuten vom rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, +nach Ali Bey auf 35° 1' 10" N. B. und 8° 9' 45" W. L. v. P. in +einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach Leo von +Almansor<a href="#F008"><sup>8</sup></a> gegründet sein; da aber Edris +derselben unter dem Namen Kasr-Abd-el-Kerim erwähnt, so hat +wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig bemerkt, nur zur +Vergrösserung der Stadt beigetragen. Die Bevölkerung ist +sehr schwankend, Hemsö nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington +8000, bei meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf +30,000 Seelen, mich stützend auf die Anzahl der bewohnten +Häuser, die mir zu 2600 angegeben wurden. Früher muss die +Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie man aus den vielen Ruinen +und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenthümlich für +Marokko ist, dass die meisten Häuser nicht flach sind, sondern +spitze, mit Ziegeln gedeckte Dächer haben. Wie wenig +Abänderungen in den Gebräuchen beim Volke in Marokko vor +sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo als am Montage +ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am Montage +abgehalten wird. Sehr auffallend für alle Besucher der Stadt +ist die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, +wenn die Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die Häuser sind +voll davon, sogar auf den Bäumen erblickt man sie. Aeusserst +günstig als Zwischenstapelplatz der Häfen L'Araisch, +Arseila und Tanger einerseits, der Binnenstädte Fes und Uesan +andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine +Zukunft vor sich.</p> +<blockquote><a name="F008" id="F008"></a>[Fußnote 8: Maltzan +meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten gelegen sei, welche +Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben wird, sonst stimmen +die Entfernungen.]</blockquote> +<p>Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man +an Gemüsen nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt +der Gemüsebau in Marokko noch arg danieder. Obschon der +Marokkaner Gelegenheit hat, in den von Christen cultivirten +Gärten der Hafenstädte alle Gemüse kennen zu lernen, +kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst +kaum die Rede sein. Wie gut würde aber Alles hier gedeihen; +versorgt doch das nahe Algerien unter nicht ganz so günstigen +klimatischen Verhältnissen, wegen geringerer Feuchtigkeit des +Bodens und der Luft, im Winter fast ganz Europa mit frischen +Gemüsen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche Kartoffel hat +den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden können. Mit +Ausnahme der Gärten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. +kennt man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere +feine Gemüse. Und selbst dort werden sie keineswegs des +Nutzens halber gezogen; irgend ein Consul brachte sie vielleicht +zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen und wundert sich, dass +die Christen solches Zeug essen.</p> +<p>Das Gemüse, was in Marokko gebaut wird, ist bald +aufgezählt. Rothe und gelbe Rüben, Steckrüben, +grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Knoblauch, +Kohl findet man fast überall, Sellerie und Petersilie +ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind +die Melonen, sowohl die gewöhnlichen wie die Wassermelonen. +Man sagt, dass die um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen +des zu feuchten Bodens.</p> +<p>Gegenstand der grössten Neugier, blieb ich durch starken +Regen gezwungen vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich +an die eigenthümlichen Sitten gewöhnen, "Christ, laufe +doch nicht immer auf und ab," rief mir ein alter Kaffeetrinker +eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in Gedanken auf und ab +ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein Verbrechen sei. +"Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck auf- und +abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht +anständig<a href="#F009"><sup>9</sup></a>." "Gott verfluche Deinen +Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch gute Lehren +giebt, hat er doch kein Recht, Dich <i>Christ</i> zu nennen; Gott +sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen +Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig +brennen!"—"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den +ungläubigen Hund, wie er die Hände gefaltet hat (ich +hatte mich auf türkisch niedergesetzt und in Gedanken die +Hände gefaltet), gewiss betet er seine sündhaften +Gebete!" Ich entfaltete rasch meine Hände, und ein Anderer +ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von +Gläubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.</p> +<blockquote><a name="F009" id="F009"></a>[Fußnote 9: Ich +übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so, +eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]</blockquote> +<p>So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt +wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch +dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am +peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am +Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit +halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen fährt, haben +alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und +gleich nach dem Essen <i>laut aufzustossen</i>. "Veizeih's +[Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit +seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei +gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu +erkennen.</p> +<p>Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in +Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise +nach Uesan fort. Durch die strotzenden Gärten hatten wir bald +den Ued Kus erreicht, setzten über und gingen auf die Berge +los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann, +nächtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege +in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns +als gefährlich geschildert, doch schützte uns der +Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen +Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm +pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.</p> +<p>Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, +jeder Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder +Städtchen, machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser +Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt, +bewirthet, angestaunt von der ganzen Bevölkerung, welche wohl +noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif +gehörenden Dorfe aus Zelten wurde übernachtet, und am +anderen Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, +das Mekka der Marokkaner.</p> +<p>Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf +Bodengestalt, Klima und Bevölkerung des ganzen Reiches einen +Blick.</p> +<h2><a name="K02" id="K02"></a>2. Bodengestalt und Klima</h2> +<p>Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich +Marokko, Rharb el djoani<a href="#F010"><sup>10</sup></a> im Lande selbst +genannt, ist von allen an das Mittelmeer grenzenden Ländern +Nordafrika's eins der am günstigsten gelegenen. Es würde +zu nichts führen, wollten wir versuchen, die Grösse des +Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, +dass Marokko zwischen den so und so vielten Längen- und +Breitengraden liege, giebt nur annähernd einen Begriff und +wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat und +Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und +bis zum 22° O. L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. +Halten wir diese letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen +Strecken wüsten Terrains, welche zwischen den Oasen und dem +atlantischen Ocean liegen, hinzu, so können wir uns den besten +Begriff von der Grösse Marokko's machen, wenn wir dann aus der +Karte ersehen, dass es um ein Drittel grösser ist, als +Frankreich,<a href="#F011"><sup>11</sup></a> ohne diese Gebiete aber +ungefähr mit Deutschland eine gleiche Grösse hat.</p> +<blockquote><a name="F010" id="F010"></a>[Fußnote 10: Der +Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht bekannt und +gebräuchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder +Bled-es-Sidi- Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort +djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also +der innere und eigentliche Westen.]</blockquote> +<blockquote><a name="F011" id="F011"></a>[Fußnote 11: +Klöden und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775 Myriam.-Q.- +M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey und Xavier +Durrieu 24,379 Lieues car. Gråberg de Hemsö 219,400 +Q.-M. italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 +Q.-M. J. Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von +1778 giebt Tempelmann 6287 Q.-M. für Fes, Tafilet und Marokko +an.]</blockquote> +<p>Wenige Länder von Afrika haben im Verhältniss zum +Binnenlande eine so grosse Küstenentwickelung. Die +Gestadelänge Marokko's am atlantischen Ocean beträgt +1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425 +Kilometer, während die Landgrenze nur eine Länge von 250 +Kilometer hat.<a href="#F012"><sup>12</sup></a></p> +<blockquote><a name="F012" id="F012"></a>[Fußnote 12: Nach +Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine Berechnungen gezogen +hat.]</blockquote> +<p>Was die Küsten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so +fallen dieselben im Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit +unzähligen Buchten, die aber zu klein sind, um einen guten +Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug, um den Rif-Piraten +mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit gegen Sturm +und stürmische Witterung zu gewähren. Indess fehlen die +guten Ankerplätze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und +an der Küste bei Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe +vollkommenen Schutz, und noch andere Häfen würden sich +mit geringen Mitteln herstellen lassen, so namentlich die grosse +Bucht von Alhucemas, fast gegenüber von Malaga, liesse sich +mit leichter Mühe zu einem prächtigen Ankerplatz +umwandeln.</p> +<p>An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten +Bucht, um nur als sichere Rhede betrachtet werden zu können; +der einstige kleine Hafen der Stadt Tanger wurde von den +Engländern, als sie 1684 Tanger freiwillig den Marokkanern +überliessen, zerstört.</p> +<p>Die ganze nun folgende längs des atlantischen Oceans in +südwestlicher Richtung streichende Küste ist vollkommen +flach und sanft das Meer hinabsteigend bis südlich von +Mogador. Aeusserst gefährlich für die Schifffahrt, +besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in +einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser. +Hohe Sanddünen hat das Meer an dieser langen Küste +ausgeworfen, die einen eigenthümlichen Anblick gewähren, +weil sie nach der Landseite, oft auch nach der Seeseite zu nicht +kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und wahrscheinlich +durch den Wind beeinflusst, bilden diese fünf bis acht Fuss +hohen Lentiskenbüsche ein vollkommen den Dünen glatt +angepasstes Ganze, als ob sie gleichmässig oberhalb derselben +beschnitten wären. Gute Häfen würden allerdings mit +leichter Mühe herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des +immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein. +Andererseits haben fast alle Mündungen der grösseren +Flüsse, die wohl gut zu Häfen eingerichtet werden +könnten, sehr starke Barren.</p> +<p>Gleich südlich von Mogador, wo die Küste von Nord nach +Süd bis Agadir läuft, ist sie schroff ins Meer abfallend. +Bei Agadir ist offenbar der beste natürliche Ankerplatz, aber +vollkommene Sicherheit haben auch hier die Seeschiffe nicht. Von +hier an weiter nach dem Süden bewahrt die Küste wieder +ihren Dünencharakter, die Berge treten nicht mehr bis +unmittelbar an den Ocean hinan.</p> +<p>An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen +hat man im Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir; +westlich von Melilla gelegen, hat diese Landzunge eine Länge +von ungefähr zwanzig Kilometer auf circa sieben Kilometer +Breite, und die nordwestliche hat noch auf den Seekarten den +speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel oder Ras +el kebir<a href="#F013"><sup>13</sup></a> streckt sich nach Europa hin, +während die nordöstliche Landspitze bei Ceuta, Cap +Almina, unserm Erdtheile noch näher liegt. An der langen +atlantischen Küste des Landes haben wir nur das Cap Gher, +nordwestlich von Agadir, zu verzeichnen. Es ist hier der Punkt, wo +die Haupt-Atlaskette sich ins Meer stürzt. Alle übrigen +auf den Karten verzeichneten Vorgebirge, wie Cap Blanco und Cap +Cantin nördlich vom Gher- Vorgebirge, oder Cap Nun +südlich davon, spielen in der Formation der Küste keine +Rolle.</p> +<blockquote><a name="F013" id="F013"></a>[Fußnote 13: Auf den +Karten auch Ras Idjberdil genannt.]</blockquote> +<p>Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von +Südwest nach Nordost. Wir würden zu irren glauben, wenn +wir die Gebirge Algeriens zum grossen Atlas rechnen wollten; +mögen die französischen Geographen dort immerhin ihre der +Küste parallel laufenden Gebirge als <i>grossen</i> und +<i>kleinen</i> Atlas bezeichnen, mögen die Franzosen für +die Gebirge Algeriens den Namen Atlas beanspruchen—wer beide +Länder bereist hat, wird finden, dass Algerien nur ausgedehnte +Hochebenen mit davorliegenden Gebirgsketten besitzt, der +<i>grosse</i> Atlas ist nur in Marokko, und in dieser Beziehung +gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den <i>grossen</i> Atlas +beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el Deir enden +liessen, oder umgekehrt.</p> +<p>Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine +hufeisenförmige Gestalt. Geöffnet nach Nordwesten, ist +die Spitze seines einen Schenkels das Vorgebirge Ras el Deir, die +Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der Atlas bildet eine +Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten, d.h. also +nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite +Terrassen allmälig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem +Südosten zu senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess +auf ungefähr 31° N. B., 12° O. L. von Ferro eine +bedeutende Kette nach Süd-Südwest ab und läuft +demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der +Abzweigungspunkt giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem +Punkte haben wir überhaupt den eigentlichen Knotenpunkt des +grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses Gebirges. Wie bei den +Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der höchste +Gebirgspunkt, dieser scheint im Südwesten zu liegen, etwa +südlich von der Stadt Marokko.</p> +<p>Südlich von dieser Stadt haben wir den von Washington +gemessenen Djebel Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] Höst +berichtet von diesem Berge, dass nur Einmal innerhalb eines +Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee geschmolzen sei, obschon +Humboldt für diese Breite die Grenze des ewigen Schnees +höher angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade +hier erwarten sollte, die Schneegrenze höher zu finden. Es ist +also wohl anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig +gewesen ist. Der Etna z.B. bei einer Höhe von 10,849 Fuss und +fast 7° nördlicher gelegen, hat nie Schnee im Sommer (das, +was in einigen Felsspalten liegen bleibt, ist kaum zu rechnen und +zum Theil künstlich von den Bewohnern Catania's +zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den +Aussagen der Bewohner dortiger Gegend verlieren die höchsten +Atlaspunkte den Schnee nie. Bei der Uebersteigung des grossen +Atlas, die ich selbst später zwischen Fes und Tafilet, und +etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausführte, +erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur +annähernd richtige Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand +man bloss Aneroide zu construiren, mit denen man höchstens bis +1000 Meter messen konnte; das meine zeigte nicht einmal so hoch. +Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe schon auf dem ersten Absatz, +auf der Terrasse südlich von Fes und Mikenes, zum Gebiete der +Beni-Mtir gehörend, den Dienst versagte, dass ich dann aber, +mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen +und Plateaux zu überwinden hatte, so glaube ich, dass die +höchste Passhöhe auf dieser Strecke, "Tamarakuit" +genannt, kaum unter 9000 Fuss sein dürfte. Aber wie hoch +thürmten sich daneben und nach allen Seiten hin die schneeigen +Spitzen des Atlas selbst auf! Späteren Zeiten und +späteren Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten +bleiben.</p> +<p>Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem +Osten und Süden gesandt, im Ganzen hört aber der +Charakter als Kette nach diesen Richtungen auf: das Gebirge erweist +sich mehr als ein Gewirr von einzelnen schroffen Felsen und +zerklüfteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist +erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem +Djebel Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am +Mittelmeer zu enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14° O. L. von +Ferro und 34° 40' N. B. entsendet diese Hauptkette einen Zweig +gegen Nordwesten; es ist das Rifgebirge, welches an der Strasse von +Gibraltar sein Ende erreicht. Ausserdem schickt der grosse Atlas +zahlreiche kleinere Zweige in das von ihm umschlossene Dreieck +zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die Gebirge bei Uesan, +die Berge nördlich von Mikenes nur Ausläufer des +nördlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als +ein Zweig des Atlas ist, während das sogenannte Djebel el +Hadid ein directer Zweig des <i>grossen</i> Atlas ist, obschon Leo +sagt:<a href="#F014"><sup>14</sup></a> "Der Berg Gebel el Hadid genannt, +gehört nicht zum Atlas; denn er fängt gegen Norden am +Gestade des Oceans an und dehnt sich nach Süden am Flusse +Tensift aus." Von den Höhen des Rif-Gebirges sind nur die vom +Meere aus gemessenen Punkte bekannt, deren es bis zur Höhe von +circa 7000 Fuss<a href="#F015"><sup>15</sup></a> giebt; weiter nach dem +Süden dürften in dieser Kette Berge von noch +bedeutenderer Höhe sein und diese mindestens dem +Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.</p> +<blockquote><a name="F014" id="F014"></a>[Fußnote 14: Leo, +Uebersetzung von Lorsmann.]</blockquote> +<blockquote><a name="F015" id="F015"></a>[Fußnote 15: +Stielers Atlas und Petermanns Mittheilungen, 1865, Taf. +6.]</blockquote> +<p>Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von +Marokko ein Bild gewonnen, so bleibt uns nur übrig zu sagen, +dass <i>alles</i> Land von der nördlichen Kante des Atlas bis +zum atlantischen Ocean und Mittelmeer vollkommen culturfähig +ist. Der Ausdruck "Tel" für culturfähiges Land ist in +Marokko <i>nicht</i> bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede +davon, existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit +bedingt. Der einzige Strich nördlich in Marokko, d.h. auf der +Abdachung nach dem Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des +vollkommen culturfähigen Landes besitzt, ist das sogenannte +Angad, südlich vom Gebirge der Beni- Snassen und vom mittleren +Laufe der Muluya durchzogen. Aber keineswegs ist dieser Boden hier +wüstenhaft, steril und vegetationslos, ebensowenig, wie es die +Hochebenen Algeriens südlich von Sebda, Saida oder Tiaret +sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und zur +rechten Zeit erfolgt, sehen wir überall den Boden in Acker +umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem +unglücklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als +vollkommene Wüste verrufen, aber nichts weniger als +vegetations- und wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der +mächtigsten Ströme Marokko's, ist das nicht schon +bezeichnend genug?</p> +<p>Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von +Nordafrika, welches den breitesten Gürtel von +culturfähigem Lande hat, und dies nicht nur nördlich vom +grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck südlich +von demselben, durch diesen und seine nach Südsüdwest +gesandten Zweige eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau +geeignet.</p> +<p>Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorwüste. +Wir verstehen für Marokko unter diesem Namen den Raum, der +sich hinerstreckt vom atlantischen Ocean bis zur Grenze von +Algerien einerseits, vom Südabhange des Atlas bis zu den +Breiten, welche durch die Südpunkte der grossen Oasen gehen, +andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorwüste +aus, beanspruchen diese Oase im Gegentheil für die +<i>grosse</i> Wüste. Auch diese Vorwüste, oder, wie die +Franzosen in Algerien das entsprechende Terrain benennen, "petit +desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach rechtzeitigem Regen +sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden sprossen, wo +vordem der Wanderer jede Cultur für vollkommen unmöglich +gehalten haben würde.</p> +<p>Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die +Berberstaaten in Bodenformation dasselbe Gepräge zeigt, wie +wir es in den übrigen um das Mittelmeer gruppirten +Ländern finden, so zeigen auch die Flüsse Marokko's einen +Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen Länder, +d.h. sie sind nicht unverhältnissmässig lang, haben +zahlreiche Krümmungen und eine starke Verästelung nach +der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserläufe, ohne +Nebenflüsse, wie sie der übrige weite Norden von Afrika +so häufig aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im +Draa, Irharhar und Nil wiedergegeben sehen, giebt es im +eigentlichen Marokko nicht.</p> +<p>Einer der bedeutendsten Ströme von Nordafrika (Nil +natürlich ausgenommen) unter denen, die dem Mittelmeer +tributär sind, ist die Muluya. Ungefähr beim +östlichen siebenten Längengrad von Ferro auf der Ostseite +des grossen Atlas entspringend, bekommt die Muluya ausser vielen +Nebenflüssen ihren Hauptzustrom vom Süden, dem +Ued-Scharef, ein Gewässer, fast so mächtig, wie die +Muluya selbst. Dicht bei der algerischen Grenze, etwa 10 Kilometer +westlich davon, und etwa 10 Kilometer östlich von Cap del +Agua, welches gerade südlich von den spanischen Inseln +Djafarin liegt, ergiesst sieh die Muluya ins Mittelmeer. Die +Länge dieses Stromes auch nur annähernd in Zahlen +ausdrücken zu wollen, wie Hemsö das gethan hat, ist +jetzt, wo noch von Niemandem die Quelle des Flusses erforscht +wurde, ein vollkommen überflüssiger Versuch. Wir wollen +nur erwähnen, dass die Länge der Muluya etwas geringer +als die des Chelif zu sein scheint, und dass die Muluya +ungefähr ein gleiches Gebiet beherrscht wie der spanische +Fluss Guadalquivir.</p> +<p>Auf der oceanischen Seite haben wir, von Norden anfangend, den +Ued Kus<a href="#F016"><sup>16</sup></a> oder el Kus. Dieser Fluss, der die +fruchtbarsten Ebenen in zahllosen Krümmungen durchzieht, woher +sein Name, geht bei L'Araisch ins Meer, empfängt aber dicht +vor seiner Mündung den Ued el Maghasen, bekannt durch die +Drei-Königs-Schlacht; beide Flüsse kommen vom Rif-Gebirge +und dessen Ausläufern.</p> +<blockquote><a name="F016" id="F016"></a>[Fußnote 16: Bei +Renou Loukous, bei Höst Luccos, Stieler Aulcos, Jackson el +koss und Luccos, Maltzan Aulcus.]</blockquote> +<p>Weiter der Küste folgend, kommen wir sodann auf den +bedeutenden Ued Ssebú. Mit zwei Armen gleichen Namens, von +denen der eine vom grossen Atlas anderthalb Grad südlich von +Fes, der andere aber vom grossen Atlas östlich von Tesa +entspringt, haben diese Arme, welche sich ungefähr eine Stunde +nördlich von Fes vereinigen, verschiedene Nebenflüsse, +beide ändern auch häufig den Namen, um den alten +vielleicht später wieder aufzunehmen. Von Osten her +erhält sodann nach seiner Conjunction der Ssebú auf +seinem rechten Ufer den bedeutenden Uargha vom Rif-Gebirge und vom +Südosten her auf seinem linken Ufer den Bet. Der Ssebú, +welcher sich bei Mamora<a href="#F017"><sup>17</sup></a> ins Meer ergiesst, +würde leicht bis zu dem Punkte, wo sich der Uargha mit ihm +vereint, schiffbar gemacht werden können. Die Länge +seines Laufes ist ebenso bedeutend, als die der Muluya.</p> +<blockquote><a name="F017" id="F017"></a>[Fußnote 17: Auf den +meisten Karten so verzeichnet, Ort, der von den Marokkanern Mehdia +genannt wird.]</blockquote> +<p>Der von den vorderen Terrassen des grossen Atlas kommende, aber +unbedeutende Fluss Bu Rhaba<a href="#F018"><sup>18</sup></a>, in +nordwestlicher Richtung fliessend, ist nur erwähnenswerth, +weil an seiner Mündung die bedeutenden Städte Rbat und +Sla liegen.</p> +<blockquote><a name="F018" id="F018"></a>[Fußnote 18: Der auf +den Karten verzeichnete Name Buragrag dürfte falsch sein; die +Marokkaner nennen ihn Bu Rhaba, Vater des Waldes, d.h. waldreich. +Bu-Rgag oder Rgig würde heissen der "Vater der Enge", Bu-Rhaba +"Vater des Gehölzes".]</blockquote> +<p>Der Fluss Um-el-Rbea (Mutter der Kräuter, oder der +Kräuterreiche) entspringt mit einem mächtigen Geäste +aus dem grossen Atlas, fliesst seiner Hauptrichtung nach nach +Nordwest, um bei Asamor, einer bedeutenden Stadt, den Ocean zu +erreichen. Renou nennt ihn den bedeutendsten Fluss vom Norden +Afrika's (natürlich der Nil immer ausgenommen) und stellt ihn +auf gleiche Stufe mit der Garonne und Seine. Auch dieser Strom ist +leicht schiffbar zu machen.</p> +<p>Merkwürdigerweise hat der grosse Tensift, der ebenfalls mit +vielen Nebenflüssen aus dem Atlas entspringt, an seiner +Mündung, die zwischen Asfi und Mogador liegt, keine +Besiedelung. Gerade weil er vorher der von jeher bedeutenden Stadt +Marokko Wasser zuführt, sollte man denken, an seiner +Mündung auch eine Stadt zu finden. Obgleich von bedeutender +Breite, kann der Fluss bei Ebbezeit an der Mündung durchwatet +werden.</p> +<p>Mit Ausnahme der Muluya entspringen alle diese Ströme am +Nordwestabhange des Atlas; übersteigt man sodann die +Ausläufer dieses Gebirges und das Gerippe, welches im Cap Gher +endet, so erreicht man die Mündung des Sus, ungefähr +30° 20' N. B. Der Sus hat fast vollkommen östliche +Herkunft und entspringt in dem Winkel, den der grosse Atlas und der +von ihm nach Westsüdwest entsandte Zweig bilden.</p> +<p>Weiter nach dem Süden zu kommt sodann, auf den meisten +Karten verzeichnet, der Ued Nun. Der Name Ued Nun bedeutet aber +weiter nichts als eine Landschaft oder Provinz, wie wir aus den +neuesten Forschungen von Gatel ersehen können. Der dort +existirende Strom heisst Ued Asaka, und es ist dies der Fluss, +dessen Nun-Mündung auf den Petermann'schen Karten als Aksabi +verzeichnet steht, was dasselbe ist.</p> +<p>Wir haben sodann eines echten Wüstenstromes Mündung, +die des Draa<a href="#F019"><sup>19</sup></a> zu verzeichnen. Mit kleinem +Geäste aus dem grossen Atlas entspringend, ungefähr unter +dem 13° O. L. von Ferro geht dieser Strom direct und ohne +nennenswerthe Nebenflüsse zu erhalten bis zum 29° N. L. +nach Süden, schlägt dann aber westliche Richtung ein, um +unter 28° 10' in den Ocean zu fallen. Dieser lange Lauf, ein +Sechstel mindestens länger, als der des Rheins von der Quelle +bis zur Mündung, hat beständig Wasser, auch im Hochsommer +bis zu dem Punkte, wo der Strom von der Südrichtung eine +westliche Richtung einschlägt. Die Wassermenge, die der Draa +fortschwemmt, ist in den oberen Theilen des nordsüdlichen +Stückes dennoch nicht bedeutender, als etwa diejenige der +Spree bei Berlin; sie wird dann am südlichen Ende des von Nord +nach Süd fliessenden Theiles, nachdem der Strom sogar mehrere +Male verschwindet und viel Wasser durch Irrigiren verbraucht ist, +so gering, dass man diesen grossen Strom, wie er sich zur +Herbstzeit, kurz vor dem Eintritt der Regenperiode auf dem Atlas +präsentirt, hinsichtlich der Wasserarmuth kaum einen Bach +nennen kann.</p> +<blockquote><a name="F019" id="F019"></a>[Fußnote 19: Wir +erwähnen der Ssegiat el Hamra, weil sie auf den meisten Karten +als <i>Fluss</i> verzeichnet ist, als in die Mündung des Draa +einfliessend. Der Name Ssegiat hat aber immer etwas +Künstliches in sich und Gatel auf seiner Karte verzeichnet sie +nicht.]</blockquote> +<p>Dass überhaupt noch so viel Wasser bis zum Umbug Jahr aus +Jahr ein herabkömmt, nachdem der heisse Wind der Sahara im +Frühjahr und im Sommer mit Macht daran gezehrt hat, nachdem +Tausende von Feldern und Gärten, die sich längs der Ufer +hinziehen, Tag und Nacht vom Wasser des Draa berieselt werden, das +eben spricht für die Möglichkeit der Schneelage des +Atlas, aus welchem der Fluss gespeist wird.</p> +<p>Ob aber ein stets Süsswasser haltender See, der Debaya, auf +seinem weiteren Laufe nach dem Westen zu vom Draa durchflossen +wird, möchte sehr zu bezweifeln sein. Allerdings sendet gleich +nach der Regenzeit auf dem Atlas der Draa seine Wasser fort bis zum +Ocean, aber in der trockenen Jahreszeit trocknet der ganze untere +Theil des Flusses aus. Nicht weit von dem Orte, wo der See sein +sollte, sagten mir die Bewohner, ein solcher existire nicht. Ein +Sebcha, d.h. ein salziger Sumpf, wie ihn Petermann auf seinen +neuesten Karten verzeichnet hat, könnte indess wohl vorhanden +sein. Renou spricht sogar dem Debaya eine dreimalige Grösse +des Genfer Sees zu.</p> +<p>Als ebenfalls vom Südostabhange des Atlas kommend und nach +der Sahara abfliessend, haben wir dann den Sis zu nennen; ein +echter Wüstenfluss ohne alle Nebenflüsse, und nur in +seinen ersten zwei Dritteln oberirdisch verlaufend, tränkt er +unterirdisch noch die ganze grosse Oase Tafilet, um südlich +davon den Salzsumpf Daya el Dama zu bilden, der nach starken +Regenergüssen zu einem See sich gestaltet. Von Nordwesten her +hat der Daya el Daura noch Zuflüsse durch den Ued-Chriss.</p> +<p>Einen ebenso langen, wenn nicht noch längeren Lauf hat der +Fluss, der die Oase von Tuat speist, aus verschiedenen Zweigen, von +denen einige unter dem 33° N. B. entspringen, zusammengesetzt. +Ich verfolgte den Fluss fast bis zum 26° N. B., ohne dass ich +bei Taurhirt schon sein südlichstes Ende erreicht hätte. +Dieser Fluss, den man l'ued Tuat nennen könnte, setzt sich aus +dem Ued Gher, Ued Knetsa und einigen minder bedeutenden zusammen, +erhält nach der Vereinigung den Namen Ued Ssaura, und sobald +er das eigentliche Tuat betritt, den Namen Ued Mssaud. Von Osten +soll er südlich von Tuat durch den Fluss Acaraba +verstärkt werden. Da er schon bei seinem Entspringen aus dem +Gher und Knetsa gar nicht oberirdisch Wasser hält, so ist es +nicht wahrscheinlich, dass er dem Draa oder dem Ocean zugeht, wie +Duveyrier meint, ebensowenig aber glaube ich, dass die von mir +früher mitgetheilte Nachricht der Eingeborenen, der Mssaud +ergösse sich nach sehr starken Anschwellungen bis zum Niger, +auf Wahrheit beruht.</p> +<p>Da wir den oben angeführten Debaya vorläufig trotz +Renou nicht als See anzuerkennen brauchen, ja nicht einmal mit +Bestimmtheit behaupten können, ob ein Salzsumpf dort ist, so +haben wir eigentlich gar keine nennenswerthen Seen in Marokko zu +verzeichnen, denn der von Leo erwähnte See unterhalb der +"grünen Berge", den er mit dem See von Bolsena in der +Nähe von Rom vergleicht, ist nirgends zu finden, es +möchte denn der kleine auf der Beaumier'schen Karte +verzeichnete Salzsee sein, Zyma genannt, der ungefähr so gross +wie der See von Bolsena zu sein scheint. Der einzige von mir +entdeckte kleine Süsswassersee, Daya Sidi Ali Mohammed +genannt, ungefähr 3 Stunden lang und 1/2 Stunde breit, liegt +auf der Höhe des grossen Atlas zwischen Fes und Tafilet.</p> +<p>Erwähnenswerth ausser dem Daya el Daura, südlich von +Tafilet ist nur noch der grosse Salzsumpf von Gurara im Norden von +Tuat, ungefähr zehn deutsche Meilen lang und an seiner +dicksten Stelle fünf deutsche Meilen breit, endlich der Sigri +Sebcha (Salzsumpf), ungefähr zehn Meilen südwestlich von +Schott el Rharbi gelegen, dessen südwestliche Hälfte nach +dem Frieden von 1844 zu Marokko, die östliche dagegen zu +Algerien gerechnet wird.</p> +<p>Ohne Widerrede befürchten zu müssen, kann man +behaupten, dass Marokko von allen Staaten Nordafrika's das +gesundeste Klima besitzt. Der Grund davon ist zum Theil in der +bedeutenden Erhebung des Landes zu suchen, in den erfrischenden +Winden vom Mittelmeere und vom Ocean, in der Abwesenheit sumpfiger +Niederungen<a href="#F020"><sup>20</sup></a>, wie man sie in Algerien so +häufig beim Anfange der Besiedelung durch die Franzosen +antraf; dann in den reichen Waldungen der Stufen des Atlas, welche +die Hitze mildern und zugleich den Flüssen in Verbindung mit +dem Schnee der Gipfel im Sommer das Wasser constant erhalten; +endlich in der Abwesenheit jener Schotts oder flachen Seen und +Sümpfe, wie sie Algerien und Tunis von Westen nach Osten +durchziehen.</p> +<blockquote><a name="F020" id="F020"></a>[Fußnote 20: Die +wenigen Sümpfe bei L'Araisch kommen zum grossen Ganzen nicht +in Betracht.]</blockquote> +<p>Im Allgemeinen kann man sagen, dass in ganz Marokko ein mildes +warmes Klima herrscht; denn wenn auch die Tekna- und Nun-Gegenden +mit Rhadames und den südlichsten Oasen Algeriens, was Breite +anbetrifft, correspondiren, so wirken die constanten Seewinde doch +so lindernd, dass die Temperatur bedeutend kühler ist als in +diesen Strichen. Und wenn auch die Spitzen der Atlasberge, die wie +der Milstin mit einer Höhe von 3475 Meter, der Alpenhöhe +von 2300 Meter entsprechen, oder auch dem Meeresniveau von +Norderney, wenn diese Berge des Atlas eine mittlere +Jahres-Temperatur von nur 0° haben, so würden wir nicht +fehl zu greifen glauben, wenn wir sagen, die Summe der mittleren +Temperaturen Marokko's würde 18° R. betragen.</p> +<p>Der Atlas bildet die natürliche Scheide in den +Temperaturverhältnissen. Während nördlich am Atlas +die Regenmonate im October beginnen und bis Ende Februar anhalten, +ist der Regenfall südlich vom Atlas nur im Januar und der +ersten Hälfte des Februar und erstreckt sich landeinwärts +etwa bis zum 10. Längengrad östlich von Ferro, so dass +die Draa-Provinzen in ihrem südlichen Theile nicht davon +berührt werden. In der Oase Tafilet ist Regenfall schon +äusserst selten, und in Tuat regnet es höchstens alle 20 +Jahre ein Mal. Eine Regenlinie wäre also südlich vom +Atlas etwa so zu ziehen: vom 10° O. L. von Ferro und 29° N. +B. in schräger nordöstlicher Linie mit dem Atlas parallel +zu den Figig-Oasen. Der feuchte Niederschlag ist in den +nördlich vom Atlas gelegenen Theilen sehr bedeutend, ebenso +auf dem Atlas selbst, südlich davon nur mässig.</p> +<p>In der Zeit von October bis Februar herrschen fast nur +Nordwestwinde und am wechselvollsten ist der Februar, wo an einem +Tage sechs bis sieben Mal Winde mit einander kämpfen. Im +März sind Nordwinde vorherrschend und dann von diesem Monat an +bis Ende September Ost, Südostwinde und Süd. An den +Küsten des Oceans in den Sommermonaten von 9 Uhr Morgens an +ein stark kühlender Seewind bis Nachmittags, wo der +Südost wieder die Oberhand gewinnt; indess ist dieser Wind so +kühlend, dass Lempiere Recht hat zu sagen: "Mogador, obschon +sehr südlich gelegen, hat eine ebenso kühle Temperatur +als die gemässigten Klimate von Europa." Die Südost- und +Südwinde führen oft Heuschreckenschwärme mit sich, +so in den Jahren 1778 und 1780. Indess scheint der Atlas ein +wirksamer Damm gegen diese Eindringlinge zu sein, da sie im Norden +des Gebirges nur vereinzelt beobachtet werden.</p> +<p>Bestimmte Beobachtungen für die mittlere Temperatur +einzelner Orte liegen nur wenige vor. Tanger hat nach Renou eine +mittlere Temperatur von 18° (Celsius), was aber vielleicht +2° zu viel sein dürfte. Für Fes kann man bei einer +Erhebung von 4-500<a href="#F021"><sup>21</sup></a> Meter + 16-17° +(Celsius) rechnen. Uesan, welches circa 250 Meter hoch liegt, +dürfte eine mittlere Temperatur von 18° (Celsius) haben. +In der Stadt Marokko kann die mittlere Temperatur höchstens + +20° (Celsius) sein, da die Datteln nicht reifen, diese brauchen +mindestens + 22° Durchschnittswärme. In Tarudant, wo die +Datteln schlecht reifen, dürften vielleicht + 21° +Durchschnittswärme sein. Hemsö führt noch an, dass +im Winter weder in einem Hafen noch in irgend einer Stadt je das +Thermometer unter + 4° R. sinkt. In Uesan beobachtete ich eines +Tages im December leichten Schneefall, und die Leute sagten mir, es +käme dies alljährlich vor, aber der Schnee bleibt nie +liegen. Aus Gatel's Beobachtungen ist in Tekna das Thermometer in +dem Wintermonaten December 1864, Januar und Februar 1865 +durchschnittlich um 7 Uhr Morgens + 13° (Celsius) gewesen, "es +kam nie unter + 6° und stieg nicht höher als + 18° +(Celsius)". In den Monaten September und October beobachtete ich in +Tuat eine mittlere Temperatur von + 19° vor Sonnenaufgang. +Diese Oase des Kaiserreichs Marokko würde also ungefähr +dieselbe Durchschnitts-Temperatur wie Fesan haben.</p> +<blockquote><a name="F021" id="F021"></a>[Fußnote 21: Nach +Renou; da aber Fes wohl niedriger liegt, wird auch die Temperatur +wohl um einige Grade höher sein.]</blockquote> +<p>Kleiden wir noch einmal als Ergebniss das marokkanische Klima in +Worte, so möchten wir das anführen, was Hemsö sagt: +"Il clima di tutta questa regione è di più salubri e +di più belli di tutta la superficie del globo +terrestre."</p> +<h2><a name="K03" id="K03"></a>3. Bevölkerung.</h2> +<p>Für ein Land, in dem nie statistische Untersuchungen +angestellt worden sind, auch nur annähernd richtig die Zahl +der Einwohner angeben zu wollen, ist äusserst schwer, und wenn +für ganz Afrika in dieser Beziehung die abweichendsten Angaben +herrschen, so noch speciell für Marokko. Während z.B. +Jackson die übertrieben grosse Zahl von 14,886,600 Einwohnern +angiebt, hat Klöden in seiner neuesten Geographie nur +2,750,000, während Daniel 3- 5,000,000 annimmt.</p> +<p>Durch Vergleich kann man am ersten auf annähernde Wahrheit +kommen, und den besten Vergleich können wir machen mit +Algerien, wo bei ähnlicher Bodenbeschaffenheit und bei fast +gleichen klimatischen Verhältnissen eine ungefähr gleiche +<i>Dichtigkeit</i> der Bevölkerung besteht, die sich (im Jahre +1867) auf 2,921,246 Seelen beläuft. Da nun Marokko mindestens +noch ein Mal so gross als Algerien ist, ausserdem grosse Oasen +(Draa, Tafilet und Tuat) besitzt, endlich südlich vom Atlas +grosse und furchtbare [fruchtbare] Provinzen (Sus und Nun) +längs des atlantischen Oceans hat, so glauben wir nicht zu +übertreiben, wenn wir die Bevölkerung von Marokko auf +6,500,000 Einwohner schätzen.</p> +<p>Wir können jetzt mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, +dass, noch ehe die Phönizier nach Nordafrika kamen, noch bevor +die Libyer oder Numider Nordafrika bevölkerten, ein anderes +Volk dort hauste. Berbrügger, Desor u.A. haben die Existenz +von Dolmen in Algerien nachgewiesen, man findet dolmenartige +Grabmäler in Fesan, und dolmenartige Hügel konnte ich +wenigstens in Einer Gegend Marokko's constatiren, an einem +Bergabhange östlich von Uesan. Ungefähr zwei Stunden von +der Stadt entfernt, führte uns in Begleitung des Grossscherifs +eines Tages eine Jagd dorthin. Leider war es bei der dortigen +Furcht, Gräber zu verletzen, und sollten sie selbst von +Ungläubigen herrühren, vollkommen unmöglich, eine +nähere Untersuchung anzustellen, oder gar die Grabhügel +zu öffnen. Ob nun diese Dolmen auf Kelten, Tamhu oder andere +Ureinwohner zurückzuführen sind, müssen spätere +Zeiten entscheiden; auch Marokko wird den Zeitpunkt erleben, wo es +dem europäischen Forscher gestattet sein wird, frei und +ungehindert seine Studien dort anzustellen.</p> +<p>Die Punier legten zahlreiche Colonialstädte dort an; Hanno +selbst gründete bei seiner Umschiffung Hafenplätze, von +denen uns die Namen erhalten sind. Aus den Schriften von +Ptolemäus und Plinius ersehen wir ziemlich genau, wo die +einheimischen Stämme—Mauri, Maurenses, +Numidae—alles dies ist nur eine verschiedene Benennung +für dasselbe Volk—ihr Gebiet haben. Von diesen sind als +die hauptsächlichsten die Autolalen, die Sirangen, die +Mausoler und Mandorer hervorzuheben; alle diese, wie die weiter im +Innern wohnenden Gaetuler sind das im Norden von Afrika +einheimische Berbervolk<a href="#F022"><sup>22</sup></a>. Römische, +vandalische und gothische Berührung mit diesem Volke fand +statt, hat aber auf den eigentlichen Bewohner Nordafrika's wenig +Einfluss gehabt, da die Vermischung jener mit den Numidern nur +ausnahmsweise vor sich ging.</p> +<blockquote><a name="F022" id="F022"></a>[Fußnote 22: Siehe +Mannert und das interessante Schriftchen von +Knötel.]</blockquote> +<p>Wichtiger für Nordafrika's Bevölkerung, mithin auch +für Marokko wurde der Einbruch der Araber. Wir haben eine +zweifache Invasion, die eine direct von Osten kommend, die andere +weit später vor sich gehend: die Zurückvertreibung der +Araber aus Spanien, denn wenn auch nach Spanien gemeinsam Araber +und Berber unter Mussa und Tarik gezogen waren, so kamen nur Araber +von dort zurück. Es versteht sich wohl von selbst, dass damit +nicht gemeint ist, die Berber seien in Spanien +zurückgeblieben. Die Thatsache erklärt sich so, dass +beide Völker dort im fremden Lande in einander aufgingen, in +Spanien waren sie Angesichts der Christen nur Mohammedaner, und die +Gemeinsamkeit der Sitten, und namentlich der Religion führte +dort rasch die Berber zur Annahme der arabischen Sprache. Der +Spanier kannte denn auch nur los Moros oder los Mahometanos. Die +Sesshaftigkeit beider, sowohl der Araber als auch der Berber trug +noch mehr zu einer Verschmelzung bei, so dass, als sämmtliche +Mohammedaner aus Spanien vertrieben wurden, Berber und Araber sich +selbst nicht mehr unterscheiden konnten; aber die Araber hatten +vermöge ihrer geistigen Ueberlegenheit, vermöge der +Religion, deren Träger sie besonders waren, äusserlich in +jeder Beziehung die Berber absorbirt.</p> +<p>Nicht so in Marokko selbst. Bis auf den heutigen Tag hat sich +dort das Urvolk, die alten Numider, von den Arabern fern und +unvermischt erhalten. Allerdings kommen wohl in den Städten +und grösseren Ortschaften Heirathen zwischen beiden +Völkern vor, auch giebt wohl der Schich einer grossen +Berbertribe dem Sultan oder einem Grossen des Reiches seine Tochter +zur Frau, oder sucht sich selbst eine solche unter den +Töchtern der Araber, im Ganzen stehen sich aber heute Araber +und Berber so fremd gegenüber, wie zur Zeit der ersten +Invasion.</p> +<p>Der Unterschied der meisten Reisenden zwischen reinen Arabern +und Halbarabern, zwischen Mauren, Mooren etc., ist ein vollkommen +willkürlicher, auf Nichts basirter; ebenso ist der Name +Beduine in Marokko vollkommen unbekannt, selbst die in den +Hafenstädten sesshaften Europäer wenden den Ausdruck +nicht an. Die Araber nennen sich in Marokko Arbi, d.h. Araber; +wollen sie ihr specielles jetziges Heimathsland damit in Verbindung +bringen, so nennen sie sich (in diesem Falle aber ist es einerlei, +ob der Redende Araber oder Berber, Jude oder auch Neger ist) +"Rharbi" oder "Rharbaui" (der vom Westlande), oder auch "min el +bled es Sidi Mohammed" (vom Lande des Herrn Mohammed). Was die +Berber anbetrifft, so nennen sie sich "Masigh" oder "Schellah"; das +Wort "Berber" ist ihnen aber keineswegs unbekannt, namentlich +südlich vom Atlas. Aber als ob sie sich des Ursprunges des +Wortes bewusst seien, hören sie sich nicht gerne so bezeichnen +und nennen <i>sich selbst</i> nie so. Was die Juden anbetrifft, so +nennen sie sich und werden "Jhudi" genannt. Die Europäer +werden "Rumi" oder "Nssara" und die Schwarzen im Allgemeinen +"Gnaui" und ihre Sprache "Gnauya" genannt. Das Spanische der Juden, +die verschiedenen Sprachen der Europäer fasst man im Lande +unter dem gemeinsamen Namen "el adjmia" zusammen.</p> +<p>Wir haben es also heute nur mit zwei Hauptvölkern in +Marokko zu thun, mit dem ursprünglich in Nordafrika +einheimischen, dem Berbervolke, und mit dem von Asien her +eingewanderten, dem Arabervolke. Renou und Jackson, die versucht +haben, die verschiedenen Stämme aus Triben aufzuzählen, +zum Theil sogar versucht haben, ihnen bestimmte Wohnsitze oder +Provinzen zuzutheilen, sind indess weit von der Wahrheit entfernt +geblieben. Der eine führt einen Stamm als irgendwo sesshaft +an, wo er vielleicht seiner Zeit war, aber jetzt nicht mehr ist; +der andere führt Berber-Triben als Araber auf. So sagt Renou +in seinem "L'Empire de Maroc", p. 393: "Die Berber bestanden +ursprünglich aus fünf Zweigen: S'enbâdja, +Ma'smouda, Haouâra, Znâta und R'mâra oder R'amra; +aber alle diese Abtheilungen, welche den Römern unbekannt +geblieben sind, hatten viele Unterabtheilungen" etc. Renou +schöpft aber nur aus Leo's Berichten. Wenn dann Renou noch auf +derselben Seite seines angeführten Werkes sagt: +"Gegenwärtig sind die Berber in verschiedene grosse Fractionen +getheilt, die keineswegs den ursprünglichen fünf +Abtheilungen entsprechen. In Marokko sind es die Chevlleuh' und die +Amazir' etc.", so kann ich versichern, dass man in Marokko von +dieser Abtheilung nichts weiss. Für Algerien nimmt Renou +sodann "die Kbail und im Aures die Châouïa, wovon ein +Zweig in der marokkanischen Provinz Temsena existirt", in Anspruch. +Aber was bedeutet denn in Algerien der Name Kbail, Kabyl? Weiter +nichts als Bergbewohner, und dieselbe Bedeutung hat er in Marokko +auch; der Einwohner von Uesan, von Fes nennt die umwohnenden Leute +der Gebirge, <i>einerlei</i>, ob sie Berber oder Araber sind: +Kbail. Selbst wenn man im Stande wäre, heute mit Genauigkeit +angeben zu können, ein gewisser Stamm habe irgend ein Gebiet +inne, würde das wohl morgen immer noch der Fall sein? Ich +selbst konnte in Marokko constatiren, wie ein Stamm den andern +verdrängt. Unter diesen Völkern findet heute noch immer +eine Völkerwanderung im Kleinen statt. Ausgebrochene +Feindseligkeiten, eingetretene Dürre eines Weideplatzes, +Heuschreckennoth, oft auch ganz unbedeutende Gründe +veranlassen ganze Stämme zum Wandern, um sich +begünstigtere Gegenden aufzusuchen.</p> +<p>Was Zahl und Ausbreitung beider Völker anbetrifft, so +finden wir in Marokko, dass die Berber nicht nur bedeutend +zahlreicher, sondern auch über einen viel grösseren Raum +des Landes verbreitet sind. Ganz rein arabisch sind nur die +Landschaften Rharb und Beni Hassan südlich davon, endlich +Andjera und der Küstensaum vom Cap Espartel bis Mogador. Denn +selbst die Landschaften Schauya, Dukala und Abda haben theils +arabische, theils berberische Triben. Mit Ausnahme der grossen +Städte und Ortschaften, in denen die Araber überall das +überwiegende Element bilden, kommen sie sodann nur noch +sporadisch vor. So findet man einzelne Arabertriben im grossen +Atlas, im Nun- und Sus-Gebiete, in der Draa-Oase finden wir +zahlreiche <i>nur</i> von Arabern bewohnte Ortschaften (später +gaben mir die Draa- Bewohner an, dass die nördliche +Hälfte des Draa-Thales, also von Tanzetta bis zum Atlas, +<i>ausschliesslich</i> von Arabern bewohnt sei, was ich aber +bezweifeln möchte), ebenso in Tafilet, ausserdem in beiden +Oasen den grossen in Palmenhütten lebenden Araber-Stamm der +Beni-Mhammed. In Tuat sind die Araber nur ganz vereinzelt, die +grosse Mehrheit der dortigen Bevölkerung ist berberisch. Man +kann also fast behaupten, dass an Land die Berber vier Fünftel +besitzen, gegen ein Fünftel, welches auf Araber kommt. Der +Zahl der Bewohner nach dürfte das Verhältniss so sein, +dass zwei Drittel Berber, ein Drittel Araber sind.</p> +<p>Dass die Völker, welche eine Zeitlang im heutigen Marokko +sesshaft gewesen sind, Spuren zurückgelassen haben, ist +unleugbar. Nur so können wir zwischen vorwiegend +schwarzhaariger und schwarzäugiger Bevölkerung uns die +helläugigen und blondhaarigen Individuen erklären. Indess +kommen dergleichen Typen bedeutend seltener bei den Arabern vor, +was sich hinwiederum daraus erklären lässt, dass nach der +einmal erfolgten Invasion der Araber, ein Eindringen blonder +Völker in Westafrika nicht mehr stattfand. Es beruht das auf +dem Princip der Erblichkeit. So sieht man denn auch häufig in +Familien, wo Vater und Mutter beide schwarzhaarig und +schwarzäugig sind, helläugige und blondhaarige Kinder. +Vielleicht war irgend einer der Vorfahren dieser Familie ein +Nichtberber oder Nichtaraber derart ausgestattet gewesen, welche +Eigenthümlichkeit dann später oder früher, oft +vereinzelt, oft bei allen Nachkommen wieder hervortritt. Bemerkt +muss hier werden, dass die sogenannten Kuluglis, Nachkommen der +Araber und Türken, nirgends in Marokko zu finden sind, weil +eben die Türken westlich von Tlemcen oder von der Muluya nie +ihre Grenzen ausgedehnt haben.</p> +<p>Was die Sprache der Araber in Marokko anbetrifft, so ist +bekannt, dass von den vier hauptsächlichsten Dialekten dieser +Sprache, hier der maghrebinische gesprochen und geschrieben wird. +Vordem ist aber auch, wie aus Münzen und Inschriften +hervorgeht, Kufisch geschrieben worden. Was das heutige Schreiben +anbetrifft, so unterscheidet es sich von dem Uebrigen nur darin, +dass das Qaf oben statt zweier Punkte einen, dass das Fa statt +eines Punktes <i>oben</i>, einen solchen <i>unten</i> hat. Was die +Aussprache anbetrifft, so zeichnen sich die Araber in Marokko +dadurch aus, dass sie fast gar nicht die Vocale aussprechen, oder +doch so wenig wie möglich hervorheben. In der +gewöhnlichen Schreibweise der Araber werden die aus Strichen +und Punkten bestehenden Vocale weggelassen, und fast könnte +man sagen, dass der marokkanische Araber diese Regel auch in der +Aussprache anwendet, d.h. das Wort so kurz wie möglich +ausspricht; z.B. in der Redensart: "wie heisst Du, asch ismak", +sagt der Marokkaner "sch-smk". Natürlich wird für den +Fremden das Erlernen des Sprechens dadurch außerordentlich +erschwert. Ausserdem hat in Marokko der Araber sich zahlreiche +berberische und aus romanischen Sprachen herkommende Ausdrücke +zu eigen gemacht, sogar zum Theil auch Constructionen aus diesen +Sprachen herübergenommen, z.B. die romanische Form des +Genitivs, welche man in Marokko so häufig angewendet findet, +um das Genitivverhältniss zwischen zwei Substantiven +auszudrücken.</p> +<p>Die von den Berbern gesprochene Sprache, "tamasirht" oder +"schellah" genannt, ist im Grunde, wie aus Sprachvergleichungen +hervorgeht, eine und dieselbe. Es ist eben die, welche die Tuareg +temahak im Norden und temaschek im Süden nennen, und der wir +in Audjila und noch ferner im äussersten Osten in der Oase des +Jupiter Ammon begegnen. Jackson freilich behauptet, dass die +Sprache der Siuaner eine vollkommen verschiedene sei; heutzutage +aber wissen wir, dass Marmol vollkommen Recht hat, wenn er sagt, +dass das Siuahnisch nur Dialekt der weit verbreiteten Berbersprache +ist. Allerdings sind die Unterschiede der verschiedenen Dialekte +dieser Sprache äusserst gross, wie das ja auch nicht anders +sein kann bei einer Sprache, welche über einen Raum verbreitet +ist, welcher ungefähr den vierten Theil von Afrika ausmacht. +Dennoch aber sind sie nicht so gross, um nicht leicht eine +Verständigung zwischen den verschiedenen, berberisch redenden +Völkern zu ermöglichen. Kommt der Berber, der im fernen +Westen am Nun ansässig ist, auf seiner Pilgerreise nach Mekka +zu demjenigen, der in der Oase Siuah wohnt, so ist nach einer +kurzen Uebung zwischen diesen Leuten gleichen Stammes eine +Unterhaltung leicht hergestellt, und als vor einigen Jahren mehrere +Schichs der Tuareg nach Algier zum Besuche kamen, ward es ihnen +keineswegs schwer, sich mit den Berbern des Djurdjura-Gebirges, +also mit Leuten, die am Mittelmeere wohnen, zu verständigen. +Die Berber in Marokko haben und kennen keine Schriftzeichen wie +ihre Brüder, die Tuareg. Die einzigen berberischen +Schriftzeichen, die ich in Marokko vorfand, befinden sich in Tuat, +und rühren jedenfalls von Tuareg her, die früher +vielleicht weiter nach dem Norden hinauf kamen, als dies heute der +Fall ist. Ob aber überhaupt mit berberischen Lettern +geschriebene Bücher oder auch nur längere Gedichte und +Geschichten unter den Tuareg bestehen, ist trotz der Versicherung +der Tuareg sehr zweifelhaft. Einer der intelligentesten Tuareg, Si +Otman ben Bikri, hat wiederholentlich sowohl gegen Duveyrier als +auch gegen mich dies geäussert, er hatte sogar Duveyrier +versprochen, ein solches Buch später nach Algier zu bringen +oder doch einzuschicken, aber bis jetzt hat Si Otman sein +Versprechen nicht erfüllt, obschon er nach seinem Begegnen mit +Henry Duveyrier wiederholentlich in Algier gewesen ist. Das +Eigenthümliche bei den berberischen Buchstaben, sie so +schreiben zu können, dass sie bald nach rechts, bald nach +links offen sind, bald diese, bald jene Seite offen haben, dass man +von oben nach unten, von rechts nach links, oder von links nach +rechts schreiben kann, muss eine so grosse Verwirrung +herbeiführen, dass die Existenz ganzer Bücher in +berberischer Schrift kaum glaublich erscheint.</p> +<p>Was die Berber am entschiedensten von den Arabern trennt, ist +eben die Sprache, denn obschon die Berber natürlich viele +Worte aus der arabischen Sprache aufgenommen haben, wie die +marokkanischen Araber solche dem Berberischen entlehnten, +unterscheidet sich im Grunde das Berberische derart vom Arabischen, +dass die Sprachforscher, welche sich mit dem Berberischen +beschäftigt haben, und unter diesen vorzugsweise H.A. +Hannoteau, nicht wagen, es den semitischen Sprachen +beizuzählen. Ja, in der jüngsten Zeit war der +französische General Faidherbe, welcher ebenfalls sich viel +mit dem Berberischen beschäftigt hat, geneigt, Berber und ihre +Sprache für die Arier zu vindiciren. Spätere genauere +Untersuchungen, namentlich wenn alle verschiedenen Dialekte der +Berber bekannt sind, werden hoffentlich zu einem Resultate +führen, ebenso wird man sodann wohl erfahren, ob im +Berberischen Wörter vorhanden sind, welche auf andere +ältere Sprachen zurückführen.</p> +<p>Unterscheiden sich nun Araber und Berber so sehr durch die +Sprache, so sind die übrigen Unterschiede äusserst +gering. Derselbe Körperbau auf dem Flachlande wie im Gebirge +(wegen der vielen Wanderungen), d.h. schlanker, sehnigter Wuchs mit +stark ausgeprägtem Muskelbau, gebräuntem Teint, +kaukasischer Gesichtsbildung, stark gebogener Nase, schwarzen +feurigen Augen, schwarzem schlichtem Haare, spitzem Kinne, etwas +stark hervortretenden Bakenknochen, spärlichem +Bartwuchse—alles dies haben Berber und Araber gemein. +Allerdings sind im Allgemeinen die Gebirgsbewohner heller, aber das +gilt sowohl für die berberischen Bewohner des Rif-Gebirges, +wie für die arabische Bevölkerung der Gebirge der +Andjera-Landschaft. Bei den Frauen beider Völker muss +allerdings auffallen, dass das Weib des Arabers durchschnittlich +kleiner sein dürfte, als das des Berbers. Im Uebrigen sind +auch sie nicht äusserlich zu unterscheiden. Man kann von +beiden sagen, dass sehr früh entwickelt, sie in der Jugend +hübsche volle Formen haben, meist regelmässige +Gesichtszüge besitzen, aber schnell alternd und durch +unzulängliche Nahrung äusserst mager werdend, sie im +Alter wegen ihrer überflüssigen Hautfalten die +hässlichsten Hexen werden.</p> +<p>Hervorzuheben ist, dass bei den Berbern die Stellung der Frauen +eine bedeutend hervorragendere ist als bei den Arabern. Indess ist +das Lied der meisten Reisenden, als sei die Frau bei den Arabern +weiter nichts als eine Magd, ein blosses Werkzeug, ein auf +oberflächlicher Anschauung beruhendes. Bei dem Araber +ebensogut wie bei uns schwingt die Frau den Pantoffel. Liegt der +Mann die grösste Zeit des Jahres auf der Bärenhaut, so +hat das seinen Grund darin, weil eben für ihn keine +häusliche Beschäftigung vorhanden ist. Oder soll etwa der +Mann das Wasser für den täglichen Bedarf holen, soll der +Mann den Mühlstein drehen, oder das Korn zu Mehl zerreiben, +oder ist es Sache des Mannes das Kind auf dem Rücken zu +tragen, oder Reisig zum Feuer zu holen oder Kuskussu zuzubereiten, +und die heimkehrenden Heerden zu melken? Sind nicht dergleichen +Geschäfte in der ganzen Welt Sache der Frau. Für einen +europäischen Reisenden muss es allerdings hart erscheinen, +wenn er den ganzen Tag den Mann ausgestreckt liegen oder am Boden +hocken sieht, während die Frau sich abmüht, oft +stundenweit das Wasser herbeischleppt und dann mühsam +stundenlang den Stein dreht, um Mehl zu gewinnen. Kommt aber die +Zeit der Arbeit für den Mann heran, dann ist der Berber sowohl +wie der Araber bei der Hand: das Feld wird von den Männern +bestellt, das Einheimsen des Getreides besorgen die Männer, +ebenso die Abwartung der Gärten, wo solche vorhanden sind, das +Hüten der Heerde, das Abschlachten des Viehes, kurz alle +schwerere Arbeit, wie sie eben auch bei anderen Völkern von +der stärkeren Hälfte verrichtet wird.</p> +<p>Die hervorragende Stellung der Frauen bei den Berbern datirt +jedenfalls noch aus den vormohammedanischen Zeiten. Denn Mohammed, +obschon ein so grosser Verehrer von Frauen, dass er sich nicht +scheute manchmal ins Gehege seines Nächsten +einzudringen<a href="#F023"><sup>23</sup></a>, hat im Ganzen den +gläubigen Frauen eine etwas stiefmütterliche Stellung +angewiesen. Indess haben die Berberinnen, obschon auch sie +Mislemata wurden, ihren Rang beizubehalten gewusst. Bei manchen +berberischen Triben offenbart sich dies in der Erbfolge, wo nicht +der älteste Sohn nachfolgt, sondern der Sohn der ältesten +Tochter oder der Schwester. Ja, in einigen Stämmen kann sogar +eine Frau herrschen. Südlich vom eigentlichen Marokko fand ich +mitten unter Berbern, dass die Sauya Karsas, eine religiöse +Corporation, und eine geistliche Oberbehörde für den +ganzen Gehr-Fluss nicht vom allerdings vorhandenen männlichen +Chef Namens Sidi Mohammed ben Aly befehligt wurde, sondern dass +factisch seine Frau, eine gewisse Lella-Diehleda, die geistlichen +Angelegenheiten besorgte. In allen wichtigen Sachen hat die +Berberfrau mitzureden, und mehr wie bei anderen Völkern +fügen sich die Männer dem Ausspruche der Frauen.</p> +<blockquote><a name="F023" id="F023"></a>[Fußnote 23: Siehe +darüber die 33. Sure des Koran, worin Mohammed die +Vorwürfe, die man ihm darüber machte, seinen Sklaven Said +gezwungen zu haben, ihm seine Frau abzutreten, damit +zurückwies, dass er für sich allein, den anderen +Gläubigen voraus, göttliche Natur, d.h. Unfehlbarkeit +beanspruchte.]</blockquote> +<p>Die mohammedanische Religion hat aber in jeder Beziehung dazu +beigetragen, die Verschiedenartigkeiten der Sitten und +Gebräuche nicht nur zwischen Arabern und Berbern +auszugleichen, sondern auch die Eigenthümlichkeiten der +einzelnen Stämme unter sich zu verwischen. Es soll hier nur +die Rede sein von den Bewohnern des Landes, welche allein treu und +wahr ihre alten Ueberlieferungen beibehalten haben. Die +Landbevölkerung<a href="#F024"><sup>24</sup></a> gegen die +Städtebevölkerung gehalten, ist in Marokko so +überwiegend, dass wenn man von jener spricht, damit der Kern +des Volkes bezeichnet wird.</p> +<blockquote><a name="F024" id="F024"></a>[Fußnote 24: Jackson +in seinem Account of Marokko kommt freilich zu dem Resultate von +895,600 Einw. für die Städte und von diesen hat er Fes +mit 380,000, Marokko mit 27,000 und Mickenes mit 11,000 +Einw.]</blockquote> +<p>Vor allem muss daher bemerkt werden, dass nur Einweiberei in +Marokko herrscht, sowohl bei den Arabern als auch bei den Berbern; +die wenigen Ausnahmefälle, wo ein reicher oder hochgestellter +Araber sich einen Harem hält, kommen kaum in Betracht, und ein +Berber, mag er eine noch so hohe Stellung einnehmen, noch so reich +sein, heirathet <i>nie</i> mehr als Eine Frau. Freilich durch die +Religion begünstigt kommen häufig genug Scheidungen vor, +was dann oft zu unerquicklichen Verhältnissen führt: ein +Mann trennt sich nachdem er schon ein Kind mit der Frau gehabt von +dieser, heirathet wieder, die Frau auch; sie zeugt mit dem neuen +Mann nochmals ein Kind, wird abermals verstossen, heirathet +vielleicht zum dritten Male und hat dann manchmal drei Familien +Kinder gegeben. Es ist äusserst selten, dass sich ein +unverheiratetes Mädchen einem Manne hingiebt, auch Ehebruch +kommt fast nie vor. Desto ungebundener leben die Frauen, welche +Wittwen sind, diese glauben ihrer Sittlichkeit, namentlich wenn sie +merken, dass die Hoffnung auf Wiederverheirathung vorbei ist, +"keine Schranken" auferlegen zu müssen. Ueberhaupt zeichnen +sich Mädchen und Frauen in Marokko durch unanständige +Gangart aus. Es scheint sich dies von den Araberfrauen den +Berberweibern mitgetheilt zu haben (vielleicht ist es aber auch +diesen eigenthümlich), denn alle semitischen Frauen scheinen +an einer unanständigen Allure Gefallen zu haben. Schon Jesaias +Cap. 3, 16. wirft den israelitischen Frauen ihren buhlerischen und +herausfordernden Gang vor, ebenso Mohammed im Koran Sure 24. den +arabischen Frauen.</p> +<p>Es ist hier nicht der Ort die Ceremonien einer Verheirathung zu +schildern, mehr oder weniger gleichen sich alle bei den +Mohammedanern, und oft genug sind sie beschrieben worden. +Hervorgehoben soll aber werden, dass in der Regel die Heirath eine +zwischen Eltern oder Verwandten für die betreffenden Personen +abgemachte Sache ist, doch auch häufig genug Liebesheirathen +vorkommen. Es hat dies seinen Grund darin, weil alle Frauen und +jungen Mädchen (ich spreche immer von der +Landbevölkerung) unverschleiert gehen, mithin hat der Freier +Gelegenheit seine Zukünftige kennen zu lernen. Solche +Liebesheirathen gelten meist für Lebzeiten, während die +Ehebündnisse, welche aus Convention geschlossen sind, +gemeiniglich keine Dauer haben. Ein eigentlicher Kauf der Frauen, +obschon die meisten Reisenden sich so ausdrücken, findet nicht +statt; der betreffende Bräutigam erlegt nur dem +zukünftigen Schwiegervater die Geldsumme, welcher dieser +für die Anschaffung der Kleidungsstücke und Schmucksachen +seiner Tochter nöthig hat, der gewöhnliche Preis +hierfür ist auf 60 französische Thaler normirt. Giebt die +Frau Grund zur Scheidung, oder aber beantragt sie die Scheidung, so +muss das Geld zurückbezahlt werden, verstösst aber der +Mann seine Frau, so bleibt sie Eigenthümerin ihrer Sachen und +ihr Vater behält obendrein das Geld.</p> +<p>Beschneidung ist durchweg eingeführt, doch giebt es einige +<i>Berberstämme</i>, welche sie nicht üben. In Marokko +hält man die Beschneidung als nicht unbedingt erforderlich +für den Islam. Die Berberstämme, welche nicht +Beschneidung üben, leben sowohl im Rif-Gebirge, als auf den +Gehängen der nördlichen Seite des Atlas. Ueberhaupt haben +die Berber Eigenthümlichkeiten bewahrt, die bei den Arabern +nicht zu finden sind, so essen <i>sämmtliche</i> Rif-Bewohner +das wilde Schwein trotz des Koran-Verbotes. Alle Berber rechnen +nach Sonnenmonaten und haben dafür die alten von den Christen +herrührenden Benennungen; ja südlich vom Atlas haben auch +die dort hausenden Araber diese Zeitrechnung angenommen.</p> +<p>Das Leben in der Familie ist ein patriarchalisches und man +hält ausserordentliche Stücke auf Verwandtschaft und +Sippe; eigenthümliche Familien-Namen nach unserem modernen +Sinne haben weder Araber noch Berber, Familien-Namen werden nur von +der ganzen Sippschaft oder dem Stamme geführt, z.B. die grosse +Familie der Beni Hassan in Marokko, die von einem gewissen Hassan +abstammen. Oder bei den Berbern die zu einem grossen Stamme +herangewachsene Familie der Beni Mtir<a href="#F025"><sup>25</sup></a>, +welche von einem gewissen Mtir abstammen. In diesen Stämmen +setzt dann Jeder den Namen seines Vaters, manchmal auch den seines +Grossvaters und Urgrossvaters hinzu (äusserst selten den der +Mutter), z.B. Mohammed ben Abdallah ben Yussuf, d.h. Mohammed Sohn +Abdallah's, Sohn Yussuf's. Will er aber noch näher sich +bezeichnen, so sagt er z.B. "von den uled Hassan". Letzteres ist +gewissermassen der Familien- oder Zunamen. Bei den Arabern haben +wir fast nur biblische und koranische Namen, sowohl bei den +Männern als Frauen. Die beliebtesten in Marokko sind Mohammed +(mit den verschiedenen Variationen), Abdallah, Mussa, Isssa [Issa] +oder Aïssa, Edris, Said, Bu-Bekr und Ssalem. Die Frauen findet +man fast unabänderlich Fathma, Aischa oder Mariam benannt. Die +Berber haben sich auch hierin apart gehalten und fahren fort +heidnische oder berberische Namen zu führen, z.B. Humo, Buko, +Rocho, Atta etc.<a href="#F026"><sup>26</sup></a>, obschon natürlich +arabische Namen vorwalten.</p> +<blockquote><a name="F025" id="F025"></a>[Fußnote 25: Was +"Uled und Beni", d.h. Söhne, Abkömmlinge bei den Arabern +bedeutet, drücken sonst in der Regel die Berber durch das Wort +"ait" aus.]</blockquote> +<blockquote><a name="F026" id="F026"></a>[Fußnote 26: +Berberische Frauennamen liegen mir gerade nicht vor.]</blockquote> +<p>Eine eigentliche Erziehung wird den Kindern nicht gegeben, die +ganz jungen Kinder bleiben circa zwei Jahre auf dem Rücken +ihrer Mütter, welche dieselben wenigstens zwei Jahre stillen. +Allerdings hat jeder Tschar (Dorf aus Häusern), jeder Duar +(Dorf aus Zelten), jeder Ksor (Dorf einer Oase) seinen Thaleb oder +gar Faki, der die Schule leitet, aber die Meisten bringen es kaum +dazu die zum Beten nothwendigen Korancapitel auswendig zu lernen, +geschweige dass sie sich ans Lesen und Schreiben wagten. Aber jeder +Marokkaner weiss doch das erste Capitel des Koran auswendig, wenn +auch die meisten besonders unter den Berbern den Sinn der Verse +nicht kennen.</p> +<p>Beim Heranwachsen stehen die Töchter den Müttern in +der häuslichen Beschäftigung bei, während die +männliche Jugend zuerst zum Hüten des Viehes verwandt +wird, in der Pflanzzeit den Acker mit bestellen helfen muss, und +schliesslich nach einer kurzen Arbeitszeit im Jahre, die liebe +lange Zeit mit Nichtsthun hinbringt. Obschon überall Taback +und Haschisch in Gebrauch und namentlich letzterer ganz allgemein +ist, kann man kaum sagen, dass der Marokkaner einen unmässigen +Gebrauch davon macht. Der Taback wird auf alle drei Arten genommen, +man findet Stämme, wo geraucht wird, andere welche kauen, und +das Schnupfen ist ganz allgemein, namentlich machen die Gelehrten +Gebrauch davon. Haschisch wird in Marokko entweder geraucht oder +pulverisirt mit Wasser hinuntergeschluckt. Der Gebrauch des Opium +ist mit Ausnahme der Städte, und der Oase Tuat, nicht +eingebürgert. Desto allgemeiner ist in der Weinlesezeit und +kurz nachher der Genuss des Weines. Marokko ist ein an Weinreben +ungemein reiches Land, namentlich producirt der kleine Atlas, die +Provinz Andjera, die Gegenden von Uesan, Fes und Mikenes derart +viele und gute Weintrauben, dass die Leute von selbst darauf fallen +mussten Wein zu bereiten. In allen diesen Gegenden sind denn auch +viele Leute Weintrinker, ohne Unterschied ob sie Araber oder Berber +sind. Aber unmässig wie Araber und Berber immer beim Essen und +Trinken sind, sobald dies in Hülle und Fülle vorhanden +ist, haben sie ihre Weintrinkezeit nur für einige Wochen. Der +schlecht zubereitete Wein, man gewinnt ihn mittelst Kochen, +würde sich auch wohl nicht lange halten. Die Marokkaner thun +ihn in grössere oder kleinere irdene Gefässe, manchmal +antik wie eine Amphore geformt, die enge Oeffnung wird mit Thon +zugeklebt. Reiche Leute und Schürfa<a href="#F027"><sup>27</sup></a>, +welche ihn längere Zeit bewahren wollen, giessen oben auf den +Wein eine Schicht Oel und sodann wird die Krugöffnung mit Thon +verkittet. Von Geschmack ist der Wein nicht übel, das Aussehen +desselben aber meist trübe. Es ist gefährlich zur Zeit +der Lese durch jene Gegenden zu reisen, weil ein grosser Theil der +Bevölkerung dann stets betrunken ist, und da, je roher ein +Mensch ist, die Intoxicationsäusserungen des Rausches auch um +so unmanierlicher sind und oft viehisch ausarten, so vermeidet +derjenige, der die Gegenden nicht unumgänglich besuchen +<i>muss</i>, dieselben.</p> +<blockquote><a name="F027" id="F027"></a>[Fußnote 27: Die +Schürfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds sind die +hauptsächlichsten Weintrinker.]</blockquote> +<p>Ueberhaupt zeichnet sich das ganze marokkanische Volk durch eine +gewisse Rohheit und durch wenig edle Gefühle und wenig sanfte +Neigung aus. Bei den Berbern namentlich am Nord-Abhange des Atlas +streift die Rohheit sogar an's Thierische. Ich wusste nicht, +wofür ich es halten sollte, ob für kindliche Unschuld, +mit der junge und erwachsene Mädchen den Spielen vollkommen +nackter Jünglinge zusahen, oder ob es ein rohes Interesse war. +Der entsetzlich verdummende Einfluss der mohammedanischen Religion, +der Fanatismus, die <i>eitle Anmassung nur den eigenen Glauben +für den richtigen</i> zu halten, schliessen aber auch jede +Besserung aus.</p> +<p>Wie unmanierlich ist die Art und Weise zu essen! So wie man zur +Zeit Abrahams ass, so wie die Juden in Palästina, aus Einer +Schüssel am Boden hockend, assen, so isst noch heute der +Marokkaner. Morgens nach Sonnenaufgang wird nur saure Milch mit +hineingebrocktem Brode, oder eine mässige Suppe genommen. Die +zweite Mahlzeit ist gegen Mittag: Bröde d.h. eine Art von +Mehlkuchen, welche auf eisernen Platten oder erhitzten Steinen +gebacken sind, heisse Butter (in diese tippt man die +Brodstücken und verfährt recht haushälterisch; nur +die Reichen geben harte Butter) bilden dies zweite Mahl, zu dem +auch wohl noch Datteln, oder im Sommer andere Früchte, wie die +Jahreszeit und die Gegend sie bietet, gegeben werden. Abends nach +Sonnenuntergang ist die Hauptmahlzeit, welche aus Kuskussu besteht. +Aber Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein, kommt dies Gericht auf +die Erde (auf den Tisch kann ich nicht sagen, da der Marokkaner ein +solches Möbel nicht kennt) und mittelst der Hand, die +Marokkaner kennen noch nicht den Gebrauch der Messer und Gabeln, +wird das Gericht rasch in den Magen befördert. Auch der +Gebrauch der Löffel ist nicht überall eingebürgert. +Am atlantischen Ocean vom Cap Spartel südlich bis nach der +Mündung des Sus, vielleicht noch weiter südlich, bedienen +sich sämmtliche Leute statt eines Löffels einer +austerartigen Muschel, wie sie der Ocean dort an den Strand wirft. +Die Männer essen getrennt von den Frauen, diese essen mit den +Kindern des Hauses. Selbst bei den Berbern hat der Islam dies +durchzusetzen gewusst. Oder sollten auch die Berber schon +<i>vor</i> der Einführung des Islam ohne ihre Frauen ihre +Mahlzeiten eingenommen haben? Fleisch wird von den Bewohnern auf +dem Lande nur bei Gelegenheit eines Festes gegessen und auch dann +nur in geringer Quantität. Wenn nicht manchmal ein Stück +Wild erlegt wird, bekommt manche arme Familie oft jahrelang kein +Fleisch zu sehen, und wenn nicht der Genuss von Eiern, von Butter +und Milch die animalische Kost ersetzte, könnte man mit Recht +sagen, die Marokkaner sind der Mehrzahl nach Vegetarianer. Der in +den marokkanischen Städten so sehr beliebte Thee wird auf dem +Lande nur noch bei vereinzelten Vornehmen und Reichen gefunden; das +allgemeine Getränk ist Wasser. Nirgends kennt man in Marokko +die Bereitung von Busa oder Lakby, d.h. ersteres ein gegohrenes +Getränk aus Getreide, letzteres der den Palmen abgezapfte +Saft. Es würde den Marokkanern ein grosses Verbrechen sein, +eine Dattelpalme derart für das Tragen der Früchte +unbrauchbar zu machen oder gar zu tödten. Ebenso ist in den +marokkanischen Oasen, sowohl in den grossen wie in den kleinen, der +Lackby vollkommen unbekannt, und dennoch giebt es in der ganzen +Sahara keine Oasen, die sich an Palmenreichthum, und auch was die +Güte der Palmen anbetrifft, mit den marokkanischen Oasen +messen können. Der Gebrauch die Palmen anzuzapfen beginnt erst +in den südlich von Tunesien gelegenen Oasen.</p> +<p>Indessen müssen wir doch auch einer guten Eigenschaft der +Marokkaner gedenken, der Gastfreundschaft, welche ohne Prunk, ohne +Ceremonie als etwas Selbstverständliches in Marokko +überall geübt wird. In den meisten Duar, in fast allen +Tschar's giebt es eigene Häuser oder Zelte, Dar und Gitun el +Diaf genannt, welche für die Reisenden bestimmt sind. Der +Fremde hat dagegen keinerlei Verpflichtung. Kommt er zu einem Duar +und hat sich glücklich durch die kläffenden und bissigen +Hunde hindurchgearbeitet, so weisen ihm die Leute nach dem +Gastzelte. Man bringt Früchte, wenn sie die Jahreszeit und +Gegend bietet, sonst Brod oder Datteln, und wenn Abends die Zeit +des Hauptmahls ist, werden die Fremden <i>zuerst</i> bedient. In +einigen Gegenden besteht die Sitte, dass die einzelnen Familien +tageweise der Reihe nach die Fremden zu verpflegen haben, in +anderen kommen Abends die Familienväter mit vollen +Schüsseln in das Fremdenzelt und das Mahl wird +gemeinschaftlich verzehrt. In anderen Gegenden existirt ein +Gemeindefond zur Speisung der Fremden, oder eine Sauya, d.h. eine +religiöse Genossenschaft besorgt dies Geschäft. Nie wird +dafür irgend eine Vergütung vom Fremdling beansprucht. Im +Gegentheil, wird man nicht ordentlich verpflegt, so hat man das +Recht Beschwerde zu führen. Natürlich wird man bei dieser +Gelegenheit von Allen über Alles ausgefragt, denn +Zurückhaltung und Schweigsamkeit kennt in dieser Beziehung der +Marokkaner nicht. Die grosse Gastfreundschaft erklärt sich nun +zum Theil dadurch, dass sie auf Gegenseitigkeit beruht: der, +welcher heute Gastgeber ist, beansprucht vielleicht am +nächsten Tage von einem Anderen freie Bewirthung. Es verdient +hervorgehoben zu werden, dass die arabischen Stämme bedeutend +liberaler sind, als die berberischen.</p> +<p>Barth und von Maltzan haben ausgesprochen, dass in Nordafrika je +weiter nach dem <i>Westen</i>, desto kriegerischer und muthiger die +Bewohner seien und dass man in Marokko den grössten Sinn der +Unabhängigkeit träfe. Es scheint mir dies nur in sofern +richtig zu sein, als man die Eigenschaft der Freiheitsliebe, den +kriegerischen Sinn stärker bei den Gebirgsvölkern +ausgeprägt findet. Die Bewohner der Cyrenaica sind heute noch +ebenso freiheitsdurstig und unabhängig wie die Rif-Bewohner in +Marokko, bis jetzt sind sie von den Türken noch nicht +vollkommen unterworfen. Die Bewohner des Gorian-Grebirges in +Tripolitanien sind bedeutend kriegerischer, als die <i>westlich</i> +davon wohnenden Stämme. Das Djurdjura-Gebirge oder die grosse +Kabylie wurde zu <i>allerletzt</i> von den Franzosen unterworfen, +nachdem schon jahrelang der ganze <i>Westen</i> von Algerien, d.h. +die Provinz Oran unterworfen war. Endlich sind die im +äussersten Westen von Marokko wohnenden Stämme, die der +Schauya, Abda und Dukala die geknechtetsten von allen, und seit +Jahren wissen sie nicht mehr was Freiheit und Unabhängigkeit +ist.</p> +<p>Die Bevölkerung von Marokko hat keinen eigentlichen Adel in +unserem Sinn. Die vornehmste Classe sind die Schürfa, d.h. +Abkömmlinge Mohammeds, selbstverständlich sind diese +arabischen Stammes. Da sie sich unglaublich vermehrt haben, giebt +es ganze Ortschaften, die fast nur aus Schürfa bestehen; man +erkennt sie daran, dass sie vor dem Namen das Prädicat "Sidi" +oder "Mulei", d.h. "mein Herr" führen. Die gegenwärtige +Dynastie von Marokko besteht aus Schürfa. Das Sherifthum ist +<i>nicht</i> erblich durch die Frau heirathet z.B. ein +gewöhnlicher Marokkaner eine Sherifa, so sind die Kinder keine +Schürfa. Aber ein Sherif kann eine Frau aus jedem Stande +nehmen und die aus der Ehe entspringenden Kinder werden alle +Schürfa. Sogar eines Sherifs Heirath mit einer Christin oder +Jüdin, (die in ihrer Religion verbleiben können) oder mit +einer Negerin (eine solche muss aber den Islam angenommen haben) +hat auf das Sherifthum der Kinder keinen vernichtenden Einfluss, +ebenso sind die im Concubinate erzeugten Kinder vollkommen +gleichberechtigt mit den in gültiger Ehe erzeugten.</p> +<p>Die Schürfa werden überall in Marokko als eine +besonders bevorzugte Menschenclasse angesehen. Sie haben das Recht, +andere Leute zu insultiren, ohne dass man mit gleichen Waffen +antworten darf. Der Mohammedaner schimpft <i>dann</i> am +stärksten, wenn er Beleidigungen auf die Vorfahren oder Eltern +des zu Beschimpfenden häuft. Der Sherif darf zu einem +Nicht-Sherif sagen "Allah rhinal buk" odes [oder] "Allah rhinal +djeddek", "Gott verfluche deinen Vater", "Gott verfluche deinen +Grossvater". Der Nicht- Sherif darf dies nicht erwidern, denn den +Vorfahr oder Vater eines Nachkommen des Propheten beleidigen, +wäre ein Verbrechen gegen die Religion. Er hat aber das Recht, +die Person des Sherif selbst zu schimpfen, und gegen ein "Allah +rhinalek" "Gott verfluche Dich" kann in einem solchen Falle als +Entgegnung, der Sherif nicht klagen. Ich habe selbst oft +Gelegenheit gehabt, so zu antworten; wenn in Uesan die jungen +Schürfa sich darin gefielen, meinen Grossvater und Vater zu +verfluchen und zu verbrennen, verbrannte und verfluchte ich sie +selbst in meiner Antwort: "Allah iharkikum"—"Allah +rhinalkum"<a href="#F028"><sup>28</sup></a>, dagegen konnten sie nichts +machen. Entschieden aber glaubten sie stets einen Sieg über +mich davongetragen zu haben, da ich ihren Eltern und Vorfahren +nichts nachsagen durfte.</p> +<blockquote><a name="F028" id="F028"></a>[Fußnote 28: Gott +soll euch verbrennen, Gott verfluche euch!]</blockquote> +<p>Die sogenannten Marabutin, heilige Personen oder Nachkommen +solcher Heiligen, stehen in Marokko in bedeutend geringerem +Ansehen, sie werden zu sehr von den Schürfa verdunkelt. Selbst +Chefs grosser Stämme, in deren Familien seit langer Zeit Kaid +oder Schichthum nebst Reichthümern und Macht erblich sind, +verschwinden an der Seite der Schürfa.</p> +<p>Ueber die geistige Begabung der Marokkaner lässt sich wenig +sagen. Hervorragende Männer hat die Neuzeit nicht +hervorgebracht, und bei der Verdummung, welche die Religion +herbeigeführt hat und worin das Volk zu erhalten, der Sultan +und die Grossen ihr Interesse sahen, wird hierin auch aus ihnen +selbst heraus keine Abhülfe kommen. Kunst und Handwerke findet +man nur noch in den Städten und auch da kümmerlich genug. +Edlerer Regungen ist der Marokkaner kaum fähig; das Gute zu +lieben und zu thun blos um des Guten willen, das kennt man fast bei +diesen Leuten nicht. Höchstens schwingt sich der Marokkaner +auf den Standpunkt, deshalb gut zu handeln, weil es die Religion +vorschreibt, weil er sonst der zukünftigen Freuden des +Paradieses verlustig ginge, oder sich wohl gar die Strafen der +Hölle zuziehen könne.</p> +<p>Indess ist die Unmoralität beim Volke lange nicht so +schlimm wie in den Städten. Ausschweifungen, eheliche +Ueberschreitungen oder andere Laster hört man im Volke fast +nie vorkommen. Diebstahl, Lug und Betrug kommen zwar oft genug vor, +namentlich einer Tribe gegen die andere, indess wird dies kaum als +sündhaft betrachtet. Lügen ist überhaupt den Arabern +und Berbern so eigen, dass es wohl kaum ein Individuum giebt, das +die Wahrheit spricht. Und professionsmässige Lüge hat +wohl immer Betrug und Diebstahl im Gefolge. Das Faustrecht, der +Raub und Mord sind in all den Theilen des Landes, die nicht von der +Armee des Sultans erreicht werden können, an der Tagesordnung, +und Niemand findet auch etwas Ausserordentliches darin. Dass der +Gastfreund den Marokkanern eine geheiligte Person sei, ist eine +Farce, in vielen Gegenden respectiren die Bewohner nicht einmal die +Schürfa.</p> +<p>Soll ich einen Vergleich wagen zwischen Berbern und Arabern, so +möchte ich sagen, die Zukunft gehört den ersteren. Bis +jetzt haben die Araber der Neuzeit sich der Civilisation am +wenigsten geneigt gezeigt, sie sind die echten Römlinge des +Islams und mit Stolz bekennen sie sich als die Träger und +Stützen dieser fanatischen Religion. Der Berber ist in dieser +Beziehung bescheidener, er hängt weniger an Religion, und die +Leute lassen sich weniger von der Religion beherrschen. In Algerien +haben denn auch die Franzosen schon die Erfahrung gemacht, dass die +Berber weit empfänglicher für Civilisation sind, <i>als +die nur für und durch ihre Religion lebenden Araber</i>.</p> +<p>Was die Juden in Marokko anbetrifft, so habe ich an anderen +Orten Gelegenheit, von ihrer miserabelen Stellung gegenüber +den Mohammedanern zu sprechen. Zum Theil sind sie direct aus +Palästina hergewandert, zum Theil aus Europa zurück +vertrieben. Ich glaube nicht, wie einige Schriftsteller annehmen, +dass von den jetzt noch im grossen Atlas und in den Oasen der +grossen Wüste existirenden Judengemeinden, diese +Abkömmlinge<a href="#F029"><sup>29</sup></a> der Ureinwohner +Nordafrikas also Berber ihrer Herkunft nach sind. Wenn man auch +annimmt, dass Berber vor der arabischen Invasion zum Theil das +Christenthum, zum Theil das Judenthum angenommen hatten, so mussten +höchst wahrscheinlich Christen und Juden den Islam annehmen. +Man behauptet, diese eben erwähnten Juden haben gleiches +Aeussere, gleiche Sitten und Gebräuche mit den Berbern. Es ist +das ein Irrthum. Ich habe jüdische Gemeinden des grossen Atlas +und fast sämmtliche jüdische Ortschaften der Draa- und +Tafilet-Oasen besucht, aber immer gefunden, dass sie sich +auszeichneten von der sie umgebenden mohammedanisch-berberischen +Bevölkerung, sowohl in der Sprache, als auch durch anderen +Körperbau, andere Gesichtsbildung und Sitten. Im Allgemeinen +sind die Juden schöner und kräftiger als die Araber, aber +der entsetzliche Schmutz, den sie zur Schau tragen, die +nachlässige und ärmliche Kleidung, der sie sich bedienen +müssen, entstellt sie mehr als es unter anderen Umständen +der Fall sein würde. Die Jüdinnen namentlich zeichnen +sich durch Schönheit der Körperformen und reizende +Gesichtszüge aus, müssen dafür aber auch oft genug, +sind sie in der Nähe eines Grossen und Vornehmen, in dessen +Harem wandern.</p> +<blockquote><a name="F029" id="F029"></a>[Fußnote 29: Die +Angaben von Richardson und Davidson über die frei im Atlas +lebenden Juden, die berechtigt seien Waffen zu tragen, beruhen auf +trügerischer Information. Aus <i>eigener</i> Anschauung weiss +ich, dass die Juden im Atlas und in den grossen Oasen der Sahara +ebenso miserabel leben, wie nur in Fes oder irgend einer anderen +Stadt des Landes.]</blockquote> +<p>Die direct von Palästina hergekommenen Juden finden sich +auf dem Atlas und in der Sahara, auch in den Städten Uesan, +Fes, Tesa, Udjda giebt es deren. Sie reden kein Spanisch, sondern +nur Arabisch und in rein berberischen Gegenden Schellah oder +Tamasirht.</p> +<p>Aber eigenthümlich! Der Jude scheint nirgends die +Landessprache erlernen zu können. Wir wissen alle, dass der +echte Jude in Deutschland gleich an seiner lispelnden Sprache zu +erkennen ist, ebenso die Juden aller übrigen europäischen +Länder, die stets die Sprache des Landes anders sprechen als +die christlichen Bewohner. So auch in Nordafrika. Selbst wenn nicht +durch Tracht und Physiognomie verschieden von dem Araber, +würde man unter Hunderten den Juden gleich an der Sprache +herauskennen. Nichts lächerlicher als einen Juden arabisch +schmunzeln zu hören, und die unter den Berbern ansässigen +Israeliten, die berberisch sprechen, schmunzeln das Tamasirht, wie +der Jude überhaupt in allen Sprachen schmunzelt.</p> +<p>Man wird wohl kaum übertreiben, wenn man die Zahl der in +Marokko lebenden Juden auf circa 200,000 Seelen angiebt. Der +grösste Zuschub von Aussen trat 1492 bei der Vertreibung aus +Spanien ein, dazu kamen 1496 die aus Portugal vertriebenen Juden. +Aber früher schon hatten andere europäische Länder +ihr Contingent gestellt, 1342 fand in Italien eine +Judenvertreibung, 1350 in den Niederlanden und 1403 in England und +Frankreich statt<a href="#F030"><sup>30</sup></a>. Alle diese +unglücklichen Israeliten fanden in Nordafrika und vorzugsweise +in Marokko eine Zuflucht. Und wie unglücklich und +gedrückt ihre Stellung auch dort ist, bis auf den heutigen Tag +haben sie ausgehalten und sich vermehrt.</p> +<blockquote><a name="F030" id="F030"></a>[Fußnote 30: Don +Serafin Calderon, Cuadro geografico de Marrueccos, Madrid +1844.]</blockquote> +<p>Auch die schwarze Race ist in Marokko vertreten und zwar sind es +vorzugsweise Haussa-, Sonrhai- und Bambara-Neger, die man antrifft. +Sie haben dazu beigetragen, das arabische Element kräftig zu +durchsetzen, obschon auf dem Lande die Mischung mit den Schwarzen +seltener ist als in den Städten. Es ist weniger im arabischen +<i>Volke</i> Sitte eine Negerin zu nehmen, als bei den +<i>Grossen</i>. Die ganze Familie des Sultans, alle ersten Familien +der Schürfa haben heute eben so viel Negerblut in ihren Adern +als rein arabisches. Die Berber mischen sich nie mit den Schwarzen, +sie würden glauben sich dadurch zu degradiren. Als Sklaven +werden die Schwarzen in Marokko gut behandelt und fast immer nach +kürzerer oder längerer Zeit in Freiheit gesetzt. Die Zahl +der Schwarzen in Marokko, welche stets durch neue Zufuhren aus +Centralafrika erneuert wird, dürfte sich auf circa 50,000 +beziffern.</p> +<p>Die in Marokko sich aufhaltenden Renegaten verdienen kaum einer +Erwähnung. Es ist meist der Abschaum der menschlichen +Gesellschaft, Galeerensträflinge, die aus den spanischen +Praesidos von Ceuta, Melilla, Alhucanas und Peñon de la +Gomera entflohen sind. Und die Aussicht auf Begnadigung ist ihnen +dadurch, dass sie die mohammedanische Religion angenommen haben, +vollkommen abgeschnitten, sie würde auch nutzlos für sie +sein, da sie im Falle einer Begnadigung, <i>dem Rächerarm der +allliebenden katholischen Kirche anheimfallen würden</i>. Die +katholische alleinseligmachende Religion in Spanien und die +mohammedanische alleinseligmachende Religion in Marokko stehen sich +noch ebenso feindlich gegen einander, wie zur Zeit Ferdinand des +Katholischen.</p> +<p>Es mögen einige Hundert Renegaten in Marokko sein, fast +alle Spanier, mit Ausnahme von drei oder vier Franzosen; alle sind +verheirathet, die meisten sind Soldaten und alle leben in einer +sehr verachteten Stellung. Selbst die Kinder und Nachkommen solcher +Oeludj<a href="#F031"><sup>31</sup></a> haben noch zu leiden von der +tiefverachteten Stellung, die ihre Eltern einnahmen.</p> +<blockquote><a name="F031" id="F031"></a>[Fußnote 31: Oeludj +pl. von Oeldj heisst man in Marokko den ehemaligen christlichen +Sklaven und ebenso auch die Renegaten.]</blockquote> +<p>Europäer, oder wie die Marokkaner sie nennen: Christen, +trifft man nur in den Häfen. Im Ganzen beträgt ihre Zahl +jetzt wohl 2000; sie zeigt also eine grosse Zunahme gegen +früher. Tanger und Mogador haben das grösste Contingent +aufzuweisen. In den übrigen Küstenstädten, wie +Tetuan, L'Araisch, Rbat, Darbeida, Dar-Djedida und Saffi findet man +nur einzelne Familien. Die Häfen von Sla, Asamor und Agadir +haben <i>keine europäische Bevölkerung</i>.</p> +<p>Ueber Zu- oder Abnahme der Bevölkerung in Marokko liegen +natürlich keine Angaben vor. Was die Städte anbetrifft, +so hat in der neuesten Zeit Fes durch Cholera bedeutend an der +Einwohnerzahl verloren. Dass die Stadt Marokko ehedem viel +bedeutender bevölkert war als jetzt, dass ein Gleiches in +Mikenes, Luxor (Alcassar) und Tarudant der Fall gewesen ist, habe +ich selbst beobachten können. Die grossen Gärten +innerhalb der Stadtmauern, die vielen leerstehenden Häuser, +meistens schon Ruinen, endlich die grosse Anzahl unbenutzter +Moscheen, zu gross für die jetzige Population, deuten darauf +hin, dass die Bevölkerung dieser Städte bedeutend +abgenommen hat. Zunahme sehen wir nur in den Hafenstädten, +namentlich in denen, welche hauptsächlich den Handel mit dem +Auslande vermitteln; aber auch hier ist die Zunahme mehr unter der +fremden, europäischen Bevölkerung zu bemerken, als unter +den Eingeborenen. Viele Hafenstädte, welche ehemals bewohnt +waren, sind in der Neuzeit sogar gänzlich entvölkert und +verlassen worden.</p> +<p>Ebenso kann auf dem Lande von einer merklichen Zunahme der +Einwohner nicht die Rede sein; es kann sein, dass einzelne Triben +sich vermehren, durch locale Einflüsse begünstigt, +während aber andere dafür sich vermindern oder ganz +aussterben. Constante Zunahme der Bevölkerung und fast +möchte ich sagen Uebervölkerung findet man nur in den +Sahara-Oasen, namentlich im Draa und Tafilet. Es scheint, dass +diese gesegneten Inseln, wie sie Treibhäuser für Pflanzen +sind, auch ebenso günstig auf die Menschen einwirken. Dazu +kommt, dass in den grossen Oasen eine verhältnissmässig +grosse Sicherheit des Lebens und Eigenthums ist, dass Kriege und +Raubzüge dort seltener sind, und Beraubungen und Vexationen +durch die marokkanische Regierung dort nicht vorkommen.</p> +<p>Hauptgründe aber der Abnahme der Bevölkerung Marokko's +(höchstens kann man sagen, dass diese bleibt wie sie ist) sind +vor allem mangelhafte Nahrung. Die Faulheit und Sorglosigkeit der +Bewohner ist derart; dass trotz des reichen und jungfräulichen +Bodens oft Missernten erzielt werden. Nicht zur rechten Zeit +eingetretener Regen, Hagelwetter oder Heuschrecken führen +häufig Hungersnoth herbei. Vorräthe anlegen kennt der +Marokkaner nicht. Aber selbst bei reichlichen Ernten, in Jahren, wo +Marokko Getreide ausführen kann, ist die Nahrung wegen der +Einförmigkeit keine die Gesundheit fördernde. Wie schon +angeführt worden ist, kommt beim Landbewohner das ganze Jahr +keine Fleischkost vor. Unmässigkeit, wenn Nahrung reichlich +vorhanden ist, hat dann Krankheit im Gefolge. Das weibliche +Geschlecht entkräftet sich durch zu langes Säugen der +Kinder. Fortwährende Kriege und Raubzüge fordern Opfer +unter den kräftigsten Männern. Die willkürliche +Regierung, die dem Volke den letzten Blutstropfen aussaugende +mohammedanische <i>Geistlichkeit</i>, endlich die grassirenden +Krankheiten, alles dieses sind Ursachen, welche auf die +Entwickelung des marokkanischen Volkes hemmend und hindernd +einwirken.</p> +<h2><a name="K04" id="K04"></a>4. Die Religion</h2> +<p>Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und +richtig erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion +stellen; ein Christ wird über jede andere Religion immer, +fasst er dieselbe von seinem <i>christlichen</i> Standpunkte auf, +ein falsches Urtheil voller Vorurtheile abgeben; eben so wenig +genügt es, die Religion, über welche ein Urtheil +abgegeben werden soll, zur eigenen zu machen (obschon, um in das +Wesen derselben einzudringen, dies vollkommen nothwendig ist), +sondern muss nachdem das geschehen, wieder heraustreten, um +für die Kritik ohne Fessel dazustehen.</p> +<p>In allen Ländern ist die Religion der Grund des moralischen +Volkszustandes, und derjenige, welcher Länder durchforscht und +in das Leben des Volkes der Länder eindringen will, muss daher +vor allem sich angelegen sein lassen, die Religion des Landes einer +eingehenden Betrachtung zu unterwerfen.</p> +<p>Von den drei für semitische Völker gemachten +Religionen hat keine so gewirkt, das freie Denken, die +<i>bewusste</i> Vernunft einzuschränken, wie der Islam. Und +rechnen wir die Inquisitionszeiten, die Verbrennungen der +Hexenprocesse ab, hat keine der semitischen Religionen so viele +Menschenopfer gekostet, als die mohammedanische. Auch ihr ist +ureigen, unter der Firma der Nächstenliebe, unter der Maske +religiöser Heuchelei jede Freiheit des Gedankens als +Sünde hinzustellen; ihr ist ureigen, nur die <i>eigene +Anschauung</i> des Propheten oder Macher der Religion als allein +wahr hinzustellen und den <i>Glauben</i> zum unumstösslichen +<i>Gesetz</i> erhoben zu haben.</p> +<p>Der Grund der mohammedanischen Religion liegt in dem Satze: "Es +giebt nur Einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter." Wir sehen +hier ausdrücklich, dass, wie in den anderen beiden semitischen +Religionen, die Einheit Gottes vor allen Dingen betont wird, aber +ohne den Glauben, dass Mohammed "Gesandter"<a href="#F032"><sup>32</sup></a> +Gottes ist, gilt die ganze Lehre nichts.</p> +<blockquote><a name="F032" id="F032"></a>[Fußnote 32: +Gesandter ist wohl zu unterscheiden von Prophet, deren die +Mohammedaner viele anerkennen, ein Prophet aber wie Moses oder +Jesus bekommt nie den Beinamen "Gesandter".]</blockquote> +<p>Mohammed, von einem als Beduinen gekleideten Engel gefragt: +"worin besteht das Wesen des Islam?"—antwortete: "zu +bezeugen, es giebt nur einen Gott und ich bin sein Gesandter; die +Stunden des Gebets innehalten, Almosen geben, den Monat Ramadhan +beobachten, und wenn man es kann, nach Mekka pilgern."—"Das +ist es," erwiederte der Engel Gabriel, indem er sich zu erkennen +gab.</p> +<p>Mit der christlichen Religion hat die mohammedanische das +gemein, dass sie die <i>unbedingteste</i> Herrschaft über alle +Menschen anstrebt, wenn aber jene Herrschaft der christlichen +Kirche erst im Mittelalter verloren ging durch die Reformation oder +Revolution eines Luther<a href="#F033"><sup>33</sup></a>, so sehen wir in +der mohammedanischen Kirche schon 755 ein Schisma. Es bildet sich +nach der Verlegung des Kalifats von Damaskus nach Bagdad ein +eigenes vollkommen unabhängiges <i>westliches</i> Kalifat, +welches im Anfange in Cordova seinen Sitz hatte. Ausser den vielen +anderen Religionssecten und Parteien, welche dann den Islam +spalteten, wir erwähnen nur der Kharegisten, der Kadarienser, +der Asarakiten, der Safriensen, sind in der +<i>rechtgläubigen</i> mohammedanischen Welt heute diese beiden +Kalifate noch zu erkennen.</p> +<blockquote><a name="F033" id="F033"></a>[Fußnote 33: Die +krankhafte Anstrengung des Papstthums, diese Herrschaft bei den +Katholiken jetzt wieder herzustellen, darf, wenigstens was die +germanischen Völker anbetrifft, als verfehlt and zu spät +angesehen werden.]</blockquote> +<p>Der Sultan der Türkei erkennt sich als den +rechtmässigen Nachfolger des Kalifats von Bagdad und Damaskus, +und da dies Kalifat überhaupt nie als gleichberechtigt +bestehend das westliche Kalifat von Spanien und den Maghreb +anerkannt hat, so glaubt er der Alleinherrscher aller Mohammedaner +zu sein. Es versteht sich von selbst, dass eben so wenig wie +Protestanten, Griechen und andere christliche Bekenner von Rom +für <i>rechtmässige</i> Christen gehalten werden, auch +die übrigen Bekenner des Islam, die Schiiten, Aliden, Choms, +für rechtgläubige Mohammedaner angesehen werden.</p> +<p>Der Sultan von Marokko als Nachfolger des Kalifats von Cordova +erkennt aber keineswegs die Oberherrschaft des Sultans der +Türkei an, und eben so wie die Kalifen von Spanien ihre +Unabhängigkeit von den Abassiden aufrecht zu erhalten wussten, +hat <i>nie</i> irgend ein marokkanischer Herrscher des Sultans der +Türkei Oberherrlichkeit anerkannt. Im Gegentheil, die jetzige +Dynastie der Kaiser von Marokko, die sogenannte <i>zweite</i> +Dynastie der Schürfa, proclamirt laut und feierlich, dass sie +die allein rechtmässigen Herrscher <i>aller</i> Gläubigen +seien, eben weil sie Abkömmlinge Mohammeds sind. Der Sultan +von Marokko betrachtet den Sultan von Constantinopel als einen +Usurpator, der nicht einmal arabisches Blut, geschweige das +"unseres gnädigen Herrn Mohammed" in seinen Adern habe.</p> +<p>Der echte Marokkaner, wenn er auch das arabische Volk als das +bevorzugte, das von Gott auserwählte und besonders +beschützte betrachtet, erkennt keineswegs <i>Nationen</i> an. +Für ihn giebt es nur Mohammedaner, oder wie er selbst in +römischer Ueberhebung sagt, "Rechtgläubige Moslemin", +Juden, Christen und Ungläubige. Zu den letzteren rechnet er +alle solche, die kein "Buch", d. h. die keine göttliche +Offenbarung bekommen haben.</p> +<p>Da nun aber von solchen, die ein "Buch" haben, im Koran nur die +Juden und Christen erwähnt sind, so werden die Wedas der +Inder, die Kings (Bücher des Confucius) der Chinesen und +andere als nicht vorhanden betrachtet, und in Marokko gar hat man +die Vorstellung, dass die durch "Tausend und eine Nacht" bekannten +Länder Hind (Indien) und Sind (China) ausschliesslich den +Islam bekennen.</p> +<p>Von den vier rechtmässigen und gleichberechtigten Bekennern +des Islam, den Hanbaliten, Schaffëiten, Hanefiten und +Malekiten, huldigen die Marokkaner wie in Afrika <i>alle</i> +Mohammedaner mit Ausnahme der Aegypter, dem malekitischen Systeme. +Für diejenigen, welche weniger mit dem Mohammedanismus bekannt +sind, führe ich hier an, dass man schon gleich nach dem Tode +des Propheten einzusehen angefangen hatte, dass der Koran +unmöglich allein allen religiösen Anforderungen, allen +Rechtsfragen entsprechen konnte. Im Anfange der mohammedanischen +Religion begnügte man sich damit, zweifelhafte Fälle +durch Mohammed selbst oder seine Jünger entscheiden zu lassen. +Nach des Propheten Tode, nach dem seiner Jünger, sammelte man +dann die mündlichen Ueberlieferungen; es ist das die Sunnah, +welche im ersten Jahrhundert nach der Hedjra entstand.</p> +<p>Da nun aber noch keineswegs Koran und Sunnah ein +regelmässiges System boten, so fühlte man die +Notwendigkeit, für Theologie und Jurisprudenz einen solchen +festen Anhalt zu bilden, und vier Schriftgelehrte unternahmen diese +Arbeit. Jeder lieferte eine Abhandlung über die +religiösen Ceremonien, über die Grundsätze, wonach +der Moslim sein häusliches Leben einzurichten hat, und sie +sonderten die Scheria, d. h. das von Gott selbst gegebene +unabänderliche Gesetz, von dem, welches nach dem Willen und +Gutdünken der Menschen abgeändert werden kann. Die +Abhandlungen dieser vier Schriftgelehrten, obschon sie in vielen +äusserlichen Sachen von einander abwichen, wurden alle als +orthodox anerkannt und sie bekamen den Namen nach ihren +Urhebern.</p> +<p>Der <i>Malekitische Ritus</i> nun (Malek ben Anas wurde 712 in +Medina geboren, woselbst er 795 starb) verdrängte im Westen +von Afrika gegen das Ende des achten Jahrhunderts den Hanefitischen +Ritus, und dieser hat sich dort bis auf unsere Zeit erhalten. Neben +Malek und hauptsächlich als bester Erklärer der +Malekitischen Schriften gilt das Werk von Chalil ben Ischak ben +Jacob, der 1422 starb, und aus einer Menge anderer Schriften +über Malekitischen Ritus seine Werke zusammengesetzt hat. Sehr +hoch gehalten werden in Marokko auch die Schriften des Buchari, der +200 Jahre nach Mohammeds Tode schon die Ueberlieferungen sichtete +und von 7275 für wahr gehaltenen und 2000 zweifelhaften mehr +als über 2000 falsche ausstiess.</p> +<p>Der Unterschied der Malekiten von den übrigen drei +rechtgläubigen Parteien beruht nur auf Aeusserlichkeiten, so +namentlich in der Verrichtung bei den Ablutionen, in den Bewegungen +beim Gebet, endlich hat Malek vor seinen gelehrten Collegen den +Vorzug, dass er denen, die seine Religionsregeln befolgen, +entschiedene Erleichterungen gewährt.</p> +<p>Das Sultanat von Marokko als solches wurde gegründet nach +dem Untergange des Königreichs von Granada am 2. Januar 1492, +als Ferdinand auf der Alhambra die Fahne von Castilien und des +heiligen Jacob aufziehen konnte. Das westliche Kalifat war nun +begraben, aber als Erben desselben betrachteten sich von dem +Augenblicke an die Sultane von Marokko. Wenn dann noch später +bis zur eigentlichen Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien ein +inniger Zusammenhang mit den afrikanischen Glaubensgenossen blieb, +so hatte doch jeder politische Zusammenhang, wie früher schon +oft, seit 1492 gänzlich zu existiren aufgehört. Marokko +selbst hatte auch freilich nicht die Grenzen, welche es jezt +[jetzt] inne hat, seine Ausdehnung wechselte je nach der Macht der +regierenden Sultane. Einzelne dehnten ihre Oberhoheit durch die +Sahara bis Timbuctu und Senegambien hin aus, und Mascara und +Tlemçen haben häufig genug die Oberherrlichkeit +derselben anerkannt. Oftmals aber regierten drei Könige oder +Sultane neben einander, daher die Namen Königreich Fes, +Tafilet, Marokko. Nie aber, wir betonen es, namentlich weil +<i>jetzt</i> die Pforte auch die Souveränetät über +Marokko beanspruchen zu wollen scheint, ist im eigentlichen +Marokko, d. h. westlich von der Muluya, irgend wie oder irgend wo +ein türkischer Pascha als Regent seines Herrn, des Sultans der +Türken, gesehen worden.</p> +<p>Im Allgemeinen sind die Begriffe des Volkes von der +mohammedanischen Religion äusserst oberflächlich und +verworren. Der gemeine Mann giebt sich auch gar keine Mühe, in +das Wesen des Islam einzudringen, und was die Faki und die Tholba, +d. h. die Doctoren und Schrifgelehrten [Schriftgelehrten], +anbetrifft, so sind diese in Marokko auf einer bedeutend tiefer +stehenden Stufe der Gelehrsamkeit, als in den meisten anderen +Ländern, wo der Islam herrscht.</p> +<p>Die Lehre von der <i>Prädestination</i> zieht sich auch in +Marokko durch die ganze religiöse Anschauung hin: "Es stand +geschrieben," dass an dem Tage der und der sterben muss, "es stand +geschrieben," dass der und der das Verbrechen beging etc. Es +würde indess lebensgefährlich sein, einem Thaleb zu +sagen: Da Gott <i>allmächtig</i> ist und <i>Alles</i> +erschaffen hat, so hat er doch auch den Teufel geschaffen; oder, +der Teufel als gefallener Engel hat doch nur mit <i>Wissen</i> und +<i>Willen</i> Gottes fallen können. Man würde in Gefahr +sein, verbrannt zu werden, wenn man einem Faki sagte: Da Gott +<i>Alles</i> geschaffen hat, so muss er doch auch das +<i>Böse</i>, die <i>Sünde</i>, geschaffen haben; wie +erklärst Du das mit der <i>Allgute</i> Gottes, Gottes, welcher +doch nur der Inbegriff <i>alles Guten</i> sein soll? Ein +marokkanischer Geistlicher würde nicht antworten "mit +unerforschlichen Geheimnissen", die wir nicht zu ergründen +vermögen, sondern gleich mit "Feuer und Schwert".</p> +<p>Gott mit "hundert guten Eigenschaften", als "grösster", +"allbarmherziger", "allmitleidiger", denkt sich der marokkanische +Mohammedaner als ein persönliches Wesen. Obschon der Name +Gottes "Allah" immer mit besonderer Betonung und recht sonor +ausgesprochen wird, so hat doch das <i>häufige</i> Anrufen +desselben eine völlige Missachtung nicht nur des Namens, +sondern Gottes selbst herbeigeführt. Die eigene Lehre +Mohammed's trägt Schuld daran. Während die jüdischen +Lehrer vor allen Dingen darauf hielten, den Namen Gottes so wenig +wie möglich im Munde zu führen, "Du sollst den Namen des +Herrn, Deines Gottes, nicht unnützlich führen; denn der +Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen +missbraucht", und die Israeliten hierin so weit gingen, dass der +Name Jehovah nur von den Priestern im Tempel ausgesprochen werden +durfte, und man für Gott Eloah oder Adonai, d. h. "Herr" im +gewöhnlichen Leben, sagte, lehrte die mohammedanische +Religion, es ist <i>verdienstvoll</i>, den Namen Gottes <i>so viel +als möglich</i> auszusprechen.</p> +<p>Bei aussergewöhnlichen Versammlungen von +Religionsgenossenschaften kann man daher sehen, wie manchmal die +Versammelten mit nichts Anderm sich beschäftigen, als wiegend +mit dem Körper den Takt zu geben, und jedesmal das Wort +"Allah" auszusprechen. Eine Versammlung der religiösen +Genossenschaft der Mulei Thaib in Rhadames, der ich dort beiwohnte, +behauptete, am selben Abend das Wort "Allah" 70,000 Mal ausgerufen +zu haben. Wenn dies nun auch nicht genau dem Worte nach genommen +werden muss, denn die Zahlen in grösseren Zusammensetzungen +sind überhaupt den Marokkanern ziemlich unbekannte +Grössen, so kann ich doch versichern, dass ich sicherlich eine +nachhaltige Heiserkeit würde davon getragen haben, wenn ich +mit gleicher Regelmässigkeit und Vehemenz eben so oft Allah +mitgeschrien hätte.</p> +<p>Allah wird deshalb eigentlich weder geliebt, noch +gefürchtet und kaum verehrt, denn wenn auch das Chotba-Gebet +Freitags wie die täglichen Gebete an Gott gerichtet sind, so +wendet sich doch der Marokkaner, um irgend eine Gunst zu erlangen, +um irgend etwas durchzusetzen, an irgend Jemand sonst, nur nicht an +Gott.</p> +<p>Wie hat es aber auch anders sein können? Es liegt dem +Menschen so nahe, dass er das, was er immer zur Hand hat, was er +täglich braucht, anfängt nicht zu beachten, und die +Nichtbeachtung ist immer der erste Schritt zur Verachtung. Und in +Marokko wird das Geringste, das unbedeutendste Geschäft, ja +Dinge, die nach den Gesetzen aller Menschen sündhaft sind, um +nicht noch mehr zu sagen, mit der Anrufung Gottes "Bi ism' Allah, +im Namen Gottes" begonnen. Mit dieser Redensart steht der +Marokkaner auf, ergreift seine Kleidungsstücke, falls er sich +derselben ausnahmsweise Nachte entledigt hätte, unternimmt +Waschungen, betritt die Strasse, geht damit zur Arbeit, +prügelt damit seine Lehrlinge durch, ohrfeigt seine Gattin, +empfängt damit ein Almosen, ersticht damit seinen Feind, +schwört damit einen falschen Eid, betritt damit die Moschee, +legt sich damit schlafen, um in der Regel damit auch seinen letzten +Hauch von sich zu geben.</p> +<p>Die Vorstellung, welche man sich von Engeln macht, ist im +Wesentlichen der der anderen semitischen Lehre nachgebildet. Die +Engel haben einen feinen und reinen Körper; sie essen und +trinken nicht, sind geschlechtslos und werden als specielle Diener +Gottes betrachtet. Die Befehle Gottes, der unumschränkter +Gebieter des Weltalls ist, werden durch die Engel vermittelt. So +beginnt die 35. Sure<a href="#F034"><sup>34</sup></a>: "Lob und Preis sei +Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, der die Engel zu +seinen Boten macht, so da ausgestattet sind mit je zwei, drei und +vier Paar Flügeln." Als vornehmster wird <i>Gabriel</i> +betrachtet, der manchmal auch als "Geist Gottes" erwähnt ist; +<i>Michael</i>, der Engel der Offenbarung, <i>Azariel</i> der +Todesengel, <i>Israful</i> der Engel der Auferstehung. Man glaubt +sodann an Geister, <i>Djenun</i> (Plural von Djin), welche als aus +gröberer Materie gemacht gedacht werden und am jüngsten +Tage einem Gerichte unterliegen.</p> +<blockquote><a name="F034" id="F034"></a>[Fußnote 34: Der +Koran von Dr. Ullmann. Bielefeld.]</blockquote> +<p>Man kann nicht sagen, dass in Marokko ein <i>Teufelcultus</i> +bestände, und als ob man sich überhaupt etwas aus dem +Teufel mache. Er wird nicht so oft in den Mund genommen, wie Allah, +und ist dem zufolge den dortigen Mohammedanern ziemlich zur +Nebensache geworden. Wie bei den meisten Völkern, wird auch +hier dem Teufel Alles in die Schuhe geschoben und <i>"Allah rhinal +Schitan, Gott verfluche den Teufel!"</i> kann man täglich +hören. Stösst einer aus Versehen an, schneidet sich einer +in den Finger, fällt einer zur Erde, zerbricht aus Versehen +ein Gefäss, beschmutzt durch eigene Unvorsichtigkeit sein +Gewand, so wird unabänderlicherweise der Teufel verflucht. Als +eigenthümlich beobachtete ich, dass, sobald <i>ein Esel</i> +seine musikalischen Töne ausstösst, es zum guten Ton +gehört, sich mit Abscheu wegzuwenden und "Gott verfluche den +Teufel" auszurufen. Der Teufel wird <i>Iblis</i> oder +<i>Schitan</i> genannt, und nach der Meinung der Mohammedaner wird +er deshalb als gefallener Engel angesehen, weil er sich weigerte, +Adam anzubeten<a href="#F035"><sup>35</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F035" id="F035"></a>[Fußnote 35: An +anderen Orten und Surat 2 im Koran: "Darauf sagten wir zu den +Engeln: Fallet vor dem Adam nieder, und sie thaten so, nur der +hochmüthige Teufel weigerte sich, er war +ungläubig."]</blockquote> +<p>Als Lohn wird den Menschen nach dem irdischen Tode ein +Aufenthalt entweder im <i>Paradiese</i> oder in der +<i>Hölle</i> zu Theil. Indess kommen die Abgeschiedenen +keineswegs sofort dorthin; sondern erst <i>nach</i> dem +jüngsten Gericht. Höst<a href="#F036"><sup>36</sup></a> sagt S. +197, und dieser Glaube ist auch heute noch in Marokko: "Wenn ein +Maure gestorben ist, so glauben die Anderen, dass er gleich im +Grabe von zwei Engeln befragt wird, die sie Munkir und Nakir +nennen; und wenn er dann als ein echter Moslim zu ihrer +Zufriedenheit antwortet, so ruhet der Leib ungestört bis zum +Gerichtstage; wo nicht, so schlagen sie ihn mit eisernen Keulen an +die Schläfe, und er wird von giftigen Thieren gebissen und +übel behandelt. <i>Die Seelen der Märtyrer verbleiben im +Halse der grünen Vögel des Paradieses</i> bis an den Tag +des Gerichts; aber die anderen rechtgläubigen Seelen, die +durch den Engel Azariel mit Gelindigkeit vom Körper getrennt +werden, halten sich um die Gräber herum auf, ob sie gleich +gehen könnten, wohin sie wollen. Für diejenigen Seelen +hingegen, die verdammt werden, wissen sie keinen Platz, denn weder +Himmel noch Erde will sie annehmen."</p> +<blockquote><a name="F036" id="F036"></a>[Fußnote 36: +Nachrichten von Marokko und Fes, Ton G. Höst. Kopenhagen +1781.]</blockquote> +<p>Endlich naht der <i>jüngste</i> Tag, dessen Ankunft durch +"Zeichen" angekündigt wird. So soll am Abend vorher die Sonne +aufgehen, der zwölfte Imam, der Mehedi verkündet aufs +Neue und zuletzt den Islam, und Jesus Christus, die Lehre +Mohammed's bekennend, erscheint aufs Neue. Nach dem Glauben der +Mohammedaner haben sowohl Moses als auch Christus den wahren Islam +gepredigt, nur wir Christen und die Juden haben unsere, respective +ihre Bücher gefälscht. Die Mohammedaner verweisen auf +verschiedene Stellen des Alten und Neuen Testaments, von denen sie +glauben, dieselben enthielten eine Weissagung, einen Bezug auf +Mohammed.</p> +<p>Die Trompete erschallt, die Sonne wird verfinstert, die Sterne +fallen zur Erde, es herrscht Chaos. Ein zweiter Trompetenstoss +ertönt, und Alles auf Erden, was Leben hat, stirbt. Ein 40 +Jahre anhaltender Regen soll zum neuen Keimen und Leben rufen, und +dann werden die Engel Gabriel, Michael und Israful zuerst erweckt +(an anderen Koranstellen lässt Mohammed sie nicht sterben, wie +überhaupt die grössten Widersprüche herrschen). +<i>Letzterer sammelt die Seelen in seiner Trompete</i>, und beim +letzten Schall entfliegen sie derselben, um den Raum zwischen Erde +und Himmel auszufüllen. Die Länge des jüngsten +Gerichtstages wird im Koran verschieden, im 30. Capitel zu 1000, im +70. Capitel zu 50,000 Jahren angegeben.</p> +<p>Nachdem die Menschen von den Engeln Munkir und Gabriel gefragt +sind, wiegt Gabriel in einer Waage, die so gross ist, dass sie +Himmel und Erde zugleich enthalten kann, die Thaten der Menschen. +Ueberwiegen die guten Thaten auch nur <i>Ein Haar</i> die +bösen, so ist der Eingang in das Paradies gesichert. Ein +Mohammedaner, der einem andern Unrecht gethan hat, muss +übrigens einen Theil seiner guten Thaten demselben abgeben, +hat er gar keine, so übernimmt er dafür des Anderen +Sünden. Obschon die Verdammung an vielen Stellen als eine +<i>ewige</i> geschildert wird, so glaubt man doch nach anderen +Andeutungen, wenigstens für die Rechtgläubigen auf eine +<i>zeitweise</i> Strafe rechnen zu können, "nachdem die Haut +1000 Jahre lang zu Kohle verbrannt ist".</p> +<p>Bei der <i>Auferstehung</i> sind die Frommen bekleidet mit +Leinwand, die Gottlosen erstehen nackt, und jene, welche +unrechtmässig Reichthümer erworben haben, werden als +Schweine auferstehen; die, welche Zinsen nehmen, werden Kopf und +Füsse verkehrt tragen. Um einer solchen Strafe zu entgehen, +leiht man in Marokko nie auf Zinsen, aber man umgeht das +unentgeltliche Darleihen dadurch, dass man z.B. 100 Metkal +ausleiht, aber gleich zur Bedingung macht, nach so und zo [so] +langer Zeit das <i>verdoppelte</i> oder <i>verdreifachte</i> +Capital zurückzubekommen. Nur so konnte ich mir selbst +später am Tsadsee vom Mohammedaner Mohammed Sfaxi 200 Maria- +Theresia-Thaler verschaffen; es war Bedingung, 400 +zurückzuerstatten; Zeit war hierbei nicht angegeben, aber man +verlangte Zahlung auf Sicht in Tripolis, und da die Karavane gleich +darauf abging nach dieser Stadt und etwa neun Monate Zeit +gebrauchte, so konnte der Darleiher gewiss zufrieden +sein.—Die ungerechten Richter, die Mörder, Diebe etc., +Alle werden in eigenen Gestalten erscheinen, um ihre Strafe +anzutreten. Das Gericht wird lange dauern und Gott wird in Person +richten, Mohammed wird Fürbitter sein, Adam, Noah, Abraham und +Jesus weisen das Amt der Fürbitte von sich. Auch die Engel, +die Geister und die Thiere werden zur Rechenschaft gezogen.</p> +<p>Die Auferstandenen haben, um in den für sie bestimmten +Aufenthalt zu kommen, die <i>Siratbrücke</i> zu passiren, die +so fein wie ein Haar und so schneidig wie ein Messer ist; die +frommen Seelen kommen mit telegraphischer Geschwindigkeit +hinüber, die Gottlosen stürzen in die Tiefe.</p> +<p>Ehe man ins Paradies gelangt, kommt man zu einer <i>Mauer</i>, +welche Hölle und Paradies trennt. Diese Mauer wird zugleich +als neutrales Gebiet betrachtet und dient als Aufenthalt für +Solche, die gleichviel Gutes und Böses, oder überhaupt +weder Böses noch Gutes gethan haben.</p> +<p>Das mohammedanische <i>Paradies</i> mit den rieselnden +Bächen von Milch und Honig, den schwarzäugigen Huris, +deren Leib aus duftendem Bisam besteht, dem Weine, der nicht +berauscht, und den 80,000 Sklaven, die jeder Rechtgläubige zur +Verfügung hat, ist hinlänglich bekannt, und der +Marokkaner schmückt sich nach seiner Art die Versprechungen, +die ihm Mohammed im Koran davon gemacht hat, noch mehr aus. So wird +er dort immer seine Haschischpfeife haben, und der Haschisch wird +ihn nicht schlaftrunken machen; er wird nicht schwarzäugige +Huris als Dienerinnen haben, sondern <i>blauäugige, +blondlockige Engländerinnen</i>, welche nach der Meinung der +Marokkaner diesen Vorzug verdienen. Das Paradies befindet sich +über den sieben Himmeln, unmittelbar unter dem Throne Gottes; +was aber räumlich <i>über</i> Gott selbst ist, +darüber nachzudenken ist dem Marokkaner nicht erlaubt.</p> +<p>Nach der Beschreibung der die Hölle vom Paradiese +trennenden Mauer sollte man denken, dass dieses letztere sich auf +gleichem Niveau befände mit der Hölle. Aber wie bei den +übrigen semitischen Religionen und wie bei fast allen +Völkern ist mit der <i>Hölle</i> der Begriff des "Tiefen, +Unterirdischen" verbunden. Deshalb sagt man auch, die Bösen +<i>fallen</i> von der Siratbrücke. Man stellt sich sodann die +<i>Hölle mit sieben Stockwerken</i> vor; im obersten wohnen +jene Mohammedaner, die auf Fürbitte des Herrn Mohammed nach +einigen tausend Jahren Eintritt ins Paradies bekommen können. +Es ist sodann ein Aufenthalt für die Christen, für die +Juden, für Sabäer, Magier, Ungläubige überhaupt +vorhanden. In das unterste Stockwerk werden die Heuchler kommen, +d.h. Solche, die äusserlich eine Religion, vornehmlich die +mohammedanische, bekannten, aber innerlich nicht daran glaubten. +Die Qualen der Hölle werden eben so erfinderisch beschrieben, +wie bei den übrigen Völkern, so dass es eine wahre Lust +ist, sich daneben den <i>allbarmherzigen</i> Gott zu denken, wie er +im Paradiese in seiner ewig <i>allgütigen</i> und +<i>allmitleidigen</i> Natur auf diese <i>seine</i> Geschöpfe +hinabschaut, ohne dass es ihm einfällt in seinem +unerforschlichen Rathschlusse, die von ihm verhängten und nach +seiner Vorherbestimmung (nach der Lehre Mohammed's ist ja Alles +vorherbestimmt) erfolgten Qualen zu lindern oder gar zu +beendigen.</p> +<p><i>Feuer</i> spielt natürlich eine Hauptrolle in der +Hölle; die Anzüge sind von Feuer, in den Eingeweiden +brennt Feuer, Feuer verkohlt die Haut, Feuerschuhe bekleiden die +Füsse; ebenso heisses Wasser (22. Cap.). "Es soll auf ihre +Köpfe gegossen werden, wodurch sich ihre Eingeweide und ihre +Haut auflösen." Genug von den Freuden des mohammedanischen +Paradieses und den Leiden der mohammedanischen Hölle.</p> +<p>Unter dem Schutze des Grossscherifs von Uesan, der mir ein +unwandelbarer Freund war, wagte ich einst, einem Thaleb, der mit +glühenden Farben die Köstlichkeiten des Paradieses der +Gläubigen mir ausmalte, zu erwiedern: "wenn aber Ihr +Marokkaner Alle Anspruch macht, ins Paradies zu kommen, so will ich +lieber nach dem Orte kommen, der den Christen angewiesen wird." Da +mein Beschützer zu lachen anfing, lachten Alle +pflichtschuldigst über die Abfertigung, die der Thaleb +erhalten hatte, mit. Ich konnte mir damals in Uesan eine solche +Aeusserung erlauben, weil ich nach den Worten Mohammed's als +<i>übergetretener</i> Christ den Vortritt vor den übrigen +Moslemin hatte. Wenn Mohammed von Vortritt spricht, meint er +darunter den in das Paradies.</p> +<p>Folgendes ist die unwandelbare Lehre, wie sie von Gott durch die +Propheten den Menschen vermittelt worden ist; sind Juden und +Christen später von diesem Islam abgewichen und haben die +Bücher verfälscht, so war es die Hauptaufgabe Mohammed's, +die reine Lehre wieder herzustellen. Mohammed lässt +verschiedene Offenbarungen zu seit der Erschaffung der Welt, und +unter den Propheten giebt es verschiedene Rangstufen. Zu den ersten +gehören Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus. Es kommen sodann +Patriarchen und Propheten, welche vollkommen heilig und +sündlos auf Erden lebten. Nach der Meinung der Marokkaner +giebt es 104 heilige Schriften<a href="#F037"><sup>37</sup></a>, von denen +auf Adam 10, auf Seth 50, auf Edris oder Enoch 30, auf Abraham 10, +auf Moses 1, auf David 1, auf Jesus 1 und auf Mohammed 1 kommen. +Bis auf die vier letzten sind alle anderen verloren gegangen, und +bis auf das letzte, den Koran, die drei noch übrig gebliebenen +gefälscht. Damit der Koran nicht gefälscht werde, darf er +nur <i>geschrieben</i> und in arabischer Sprache verbreitet werden. +Ein gedruckter Koran ist daher in Marokko schlecht angesehen; +gleichwohl machte ich dem Grossscherif einen solchen sowie ein +Altes und Neues Testament in arabischer Sprache zum Geschenk, und +er nahm sie gern an. Aus demselbsn [demselben] Grunde, d.h. um den +Koran verstehen zu können, müssen aller +<i>nichtarabischen</i> Völker Schriftgelehrte Arabisch lernen. +Ein Versuch, den die Marokkaner selbst machten, den Koran ins +<i>Berberische</i> zu übersetzen, da die überwiegende +Mehrzahl der Marokkaner Berber sind, scheiterte vollkommen an dem +Fanatismus der arabischen Tholba; die schon übersetzten +Exemplare wurden verbrannt.</p> +<blockquote><a name="F037" id="F037"></a>[Fußnote 37: Siehe +Jackson, Account of Marocco, p. 197.]</blockquote> +<p>Unter den Propheten erkennt Mohammed Jesu den ersten Platz zu; +er glaubt, dass Jesus der Sohn Mariä sei und dass diese auf +wunderbare Weise empfangen habe. Er glaubt weiter, dass die Juden +Jesum nicht kreuzigten, sondern eine andere Person unterschoben. +Die Auferstehung und die Höllenfahrt werden also vollkommen +von den Mohammedanern geleugnet. Indess glauben sie, dass Jesus +lebendig gen Himmel empor gestiegen sei; und ebenfalls wird er, wie +schon erwähnt, zum jüngsten Gericht zurück +erwartet.—</p> +<p>Ein Haupterforderniss ist das <i>Gebet</i>; aber kein Gebet ist +gültig, wenn nicht vorher eine Abwaschung des Körpers, +d.h. eine bestimmte Ceremonie, vorgenommen worden ist. Man +unterscheidet in Marokko wie überhaupt bei den Mohammedanern +die <i>grosse Abwaschung</i>, el odho el kebir<a href= +"#F038"><sup>38</sup></a>; die <i>kleine</i>, el odho el sserhir; <i>die +Abwaschung mit Sand</i>, el timum, und das blosse <i>Fingiren des +Waschens</i>, el chofin. Diese Abwaschung wird in verschiedener +Weise bei den vier rechtgläubigen Riten vorgenommen, aber nach +einer der vorgeschriebenen Normen <i>muss</i> die Ablution +verrichtet werden. Würde man z.B. zuerst das <i>linke</i> Auge +auswaschen, wenn es erforderlich ist, dass vorher das rechte +gewaschen werden soll, dann ist die ganze Ablution <i>batal</i>, +d.h. umsonst, und es kann nicht gebetet werden. Würde man z.B. +um den Mund auszuspülen, dies mit der linken statt mit der +vorgeschriebenen rechten Hand thun, so <i>taugt die ganze +Ablution</i> nichts. Jeder Körpertheil kommt nach +<i>vorgeschriebener</i> Ordnung an die Reihe, und je nachdem wird +die <i>rechte</i> oder <i>linke</i> Hand zum Abwaschen benutzt. Die +grosse Abwaschung unterscheidet sich von der kleinen dadurch, dass +man bei jener den <i>ganzen</i> Körper einer Reinigung +unterzieht, bei dieser indess nur die Theile des Körpers +abwäscht, welche man, ohne sich der Kleidungsstücke zu +entledigen, einer Wäsche unterziehen kann. Bei der Waschung +mit Sand reibt man sich natürlich nicht buchstäblich mit +Sand ab, sondern legt die Hände auf den reinen Erdboden und +<i>fingirt</i> die Waschung. Auch hier muss streng die +<i>Reihenfolge</i> der abzuwaschenden Theile inne gehalten werden. +Bei <i>unreinem</i> Boden und wenn kein Wasser vorhanden ist, +berührt man irgend einen Gegenstand, eine Wand, einen Stein, +und fingirt dann die Ablution; es ist dies was man <i>el chofin</i> +nennt. Malek, der überhaupt duldsamer als die übrigen +drei mohammedanischen Gelehrten ist, erlaubt auch das <i>timum</i> +und <i>el chofin</i> da, wo <i>Wasser</i> vorhanden ist; deshalb +findet man in den meisten marokkanischen Moscheen, namentlich in +allen Djemen der Oasen, <i>Steine</i>, welche umfasst werden, nach +welcher Umfassung sodann die Ablution vor sich geht.</p> +<blockquote><a name="F038" id="F038"></a>[Fußnote 38: +Höst S. 204 sagt: Die grosse Abwaschung heisst Ergasel. Es ist +dies ein Irrthum; Ergasel bedeutet jede beliebige Abwaschung, aber +keine <i>religiöse</i>; wenigstens habe ich in Marokko dies +Wort nie in diesem Sinne gebrauchen hören, obschon ich selbst +täglich die Ceremonien mitzumachen hatte.]</blockquote> +<p>Das Gebet der Marokkaner ist keineswegs ein solches nach dem +Sinne solcher Christen, welche darunter vorzugsweise einen freien +Herzenserguss, einen selbständigen Gedankenausfluss, eine aus +eigenem Herzen entspringende Bitte an Gott sehen, sondern vielmehr +ein bestimmt auswendig Gelerntes, und eine mit <i>bestimmt</i> +vorgeschriebenen Ceremonien verknüpfte Handlung. Es kann daher +bei den Marokkanern nach christlicher Auffassung von keinem +eigentlichen Gebet die Rede sein, sondern nur von +Gebets<i>übungen</i>, von Gebetsceremonien; und so muss man es +wohl für alle Mohammedaner auffassen, indem die dabei +vorkommenden Ceremonien und Verbeugungen für Alle <i>bestimmt +vorgeschrieben</i> sind. Fehlt eine dieser Ceremonien, würde +man z.B. sich statt nach Mekka nach einer andern Richtung wenden, +oder würde man es unterlassen; sich nach der und der Stelle zu +Boden zu werfen, so ist das Gebet ungültig; es steigt dann +nicht zu Gott auf.</p> +<p>Man unterscheidet das <i>Morgengebet, essebah</i>, das +<i>Mittagsgebet, eldhohor</i>, das <i>Nachmittagsgebet, +elassar</i>, das <i>Abendgebet, el maghreb</i>, und das +<i>Nachtgebet, elascha</i>. Die so häufige Wiederholung der +Gebetsübungen ist im Anfange des Islam auf zähen +Widerstand gestossen, später gewöhnte man sich daran, so +wie sich der Soldat an Disciplin gewöhnt. Und dadurch, dass +Mohammed überall das Beten erlaubt, und das Gebet auf der +Strasse oder im freien Felde für ebenso verdienstvoll gilt, +als das in der Moschee, und vom Gebet im "stillen Kämmerlein" +im Koran nirgends die Rede ist, dadurch hat sich nach und nach ein +Pharisäismus in die mohammedanische Religion eingeschlichen, +der anderen Leuten ganz ungeheuerlich vorkommen muss. Namentlich in +Marokko hat sich <i>unter dem Systeme der Unfehlbarkeit des +Sultans</i> eine entsetzliche Scheinheiligkeit und Heuchelei aller +Classen bemächtigt. Der gewöhnlichste Marokkaner versteht +es, sich beim Beten derart den Schein der Andacht, der Heiligkeit +zu geben, er weiss seiner Stimme derart einen näselnden Ton, +einen feierlichen Klang beizulegen, er wendet derart seine Augen +gen Himmel und scheint überhaupt so sehr seinen ganzen +Körper dem nichtigen, irdischen Dasein zu entrücken, dass +man glauben sollte, er zerflösse vor Heiligkeit. Und doch ist +er nichts weniger als fromm; die Worte, die er an Allah richtet, +versteht er kaum, falls er nicht sehr gebildet ist. Das koranische +Arabisch unterscheidet sich vom Neuarabischen und namentlich vom +Magrhebinischen eben so sehr, wie das Lateinische von den neueren +romanischen Sprachen. Man hält in Marokko darauf, beim Beten +<i>gesehen</i> zu werden, man hält in Marokko auch darauf, +recht <i>laut die vorgeschriebenen</i> Worte auszusprechen, damit +man ja, falls man übersehen wird, gehört werde. Da es +nicht nöthig ist, genau die Zeit des Gebetes inne zu halten, +die Gebete aber nachgeholt werden müssen, so trifft man +allerorts, auf allen Plätzen, auf allen Strassen, in allen +Moscheen Leute, die ihre Gebetsübungen verrichten. Besucht man +einen Marokkaner, so kann man sicher sein, dass unter hundert +neunundneunzig den Gast einen Augenblick zu warten bitten, "damit +ein nachzuholendes Gebet erst verrichtet werde." Man will damit +documentiren, dass man fromm sei! Recht eifrige Leute, namentlich +Brüder einer religiösen Innung, pflegen ausser den +vorgeschriebenen Gebetsceremonien noch andere zu bestimmten +Tageszeiten abzuhalten, z. B. vor dem Morgengebet das +Morgenrothgebet <i>Fedjer</i>; um die Zeit des <i>Dhaha</i>, d.h. +zwischen dem Morgen- und Mittagsgebete, das Dhahagebet; das +<i>eschefah-</i> und <i>uter-</i>Gebet nach dem <i>el ascha</i> +etc.</p> +<p>In den Städten wird von den Thürmen der Moschee die +Gebetsstunde durch Aufziehen einer weissen am Freitage zum +Chotbagebet einer <i>dunkelblauen</i> Fahne angekündigt, +ausserdem ruft der <i>Muden</i> von den Thürmen zum Gebet auf. +Auch dieser Aufruf ist bestimmt vorgeschrieben und beginnt nach +Osten, um durch Süden, Westen und Norden wieder gen Osten +beendigt zu werden. Die Worte lauten: "Gott ist der Grösste, +Gott ist der Grösste, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, +ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, Mohammed ist sein Gesandter, +Mohammed ist sein Gesandter<a href="#F039"><sup>39</sup></a>; kommt zum +Gebet, kommt zum Gebet, kommt in den Tempel, kommt in den Tempel, +Gott ist der Grösste, Gott ist der Grösste, es giebt nur +Einen Gott!"</p> +<blockquote><a name="F039" id="F039"></a>[Fußnote 39: Vor dem +Morgengebet werden die Worte "das Gebet ist besser als der Schlaf" +eingeschaltet.]</blockquote> +<p><i>Das Gebet selbst</i> zerfällt in Anrufung, verschiedene +Rikats und Gruss<a href="#F040"><sup>40</sup></a> und wird folgendermassen +bei den Malekiten abgehalten:</p> +<blockquote><a name="F040" id="F040"></a>[Fußnote 40: Siehe +Ali Bey el Abassi, Voyage en Afrique etc. I, p. 153.]</blockquote> +<p><i>Die Anrufung</i>: Körper gerade und beide Hände +erhoben bis zur Höhe der Ohren, "Gott ist der +Grösste!"</p> +<p>Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die Hände fallen +herab, und man sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis +dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des +Gerichts. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf +dass Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner +Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche Du +zürnest, und nicht den der Irrenden."—Es folgt jetzt ein +Koranvers, z.B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt +nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich."</p> +<p>Zweite Position: Man verbeugt sich, die Hände auf die Knie +stützend, und ruft: "Gott ist der Grösste!" Dritte +Position, sich wieder aufrichtend: "Gott hört, wenn man ihn +lobt." Vierte Position, niederknieend berührt man mit beiden +Händen, mit der Stirn und Nasenspitze die Erde und ruft: "Gott +ist der Grösste!" Fünfte Position: Man setzt sich auf die +zurückliegenden Waden, legt die Hände auf die Schenkel +und ruft: "Gott ist der Grösste!" Sechste Position: Man +berührt abermals mit Händen, Stirn und Nasenspitze den +Boden und ruft: "Gott ist der Grösste!" Siebente Position: Man +richtet sich auf und ruft stehend! "Gott ist der Grösste!"</p> +<p><i>Zweites Rikat</i>: Die ersten sechs Stellungen werden +wiederholt, nach der sechsten bleibt man sitzen und spricht: "Die +Nachtwachen sind für Gott, wie auch die Gebete und Almosen; +Gruss und Friede sei Dir, o Prophet Gottes; Gottes Mitleid und +Segen ruhe auf Dir. Heil und Friede komme auf uns und alle Diener +Gottes, die gerecht und tugendhaft sind. Ich bezeuge, es giebt nur +Einen Gott, ich bezeuge, dass Mohammed sein Diener und Gesandter +ist!" Hat das Gebet nur zwei Rikats, so fügt man noch hinzu, +indem man in derselben Stellung bleibt und dabei immer den rechten +Zeigefinger kreisförmig bewegt: "Und ich bezeuge, Er war es, +der Mohammed zu Sich rief, und ich bezeuge die Existenz des +Paradieses, die der Hölle, die des Sirat (Brücke), die +der Wage und die des ewigen Glückes, welches denen +gewährt werden soll, welche nicht zweifeln und die wahrhaftig +Gott aus dem Grabe erwecken wird. O, mein Gott, giesse Deinen Segen +auf Mohammed und Mohammed's Nachkommen aus, wie Du Deinen Segen auf +Abraham ausgegossen hast; segne Mohammed und die von Mohammed +Stammenden, wie Du Abraham und die von Abraham Stammenden gesegnet +hast. Die Gnade, das Lob und die Erhebung zum Kuhme sind in Dir und +bei Dir."</p> +<p><i>Der Gruss und Schluss</i>: Man bleibt sitzen, wendet das +Gesicht erst links, dann rechts, erhebt etwas die Finger beider auf +den Schenkeln ruhenden Hände und ruft: "Friede sei mit +Euch!"</p> +<p>Fedjer und Esebah haben zwei, Dhohor und l'Asser vier, Magrheb +drei, l'Ascha vier, l'Eschefa und l'Uter drei Rikats. Recht fromme +Leute, namentlich solche, die sich gern beten sehen und hören +lassen, die sich den Ruf eines "Heiligen" erwerben wollen, machen +ausserdem fünf, sechs und noch mehr Rikats.</p> +<p>Der Freitagsgottesdienst, das Chotbagebet, wird in der Regel +eine Stunde nach Mittag verrichtet. Nach vorhergegangener Ablution +geht Jeder in die Moschee und betet für sich ein aus zwei +Rikats bestehendes Gebet und setzt sich. Es dauert nicht lange, so +erscheint ein Fakih, besteigt den Mimbr, ein Gerüst, +ähnlich einer Treppe, und beginnt mit näselnder Stimme +eine Art Predigt <i>abzulesen</i>. In seiner Rechten hat er einen +langen Stock, aber auch nur in diesem Augenblicke des +Treppenbesteigens, denn sobald er dieselbe verlässt, wird der +der Moschee zugehörende übrigens werthlose Stock in eine +Ecke gestellt. Die Fakihs und Tholba (Schriftgelehrten) der +Marokkaner unterscheiden sich keineswegs in der Kleidung von ihren +übrigen Glaubensgenossen. Da überhaupt Jeder, der lesen +und schreiben kann, <i>Thaleb</i>, Jeder, der den Koran lesen und +interpretiren kann, <i>Fakih</i>, d.h. <i>Doctor</i> ist, so halten +die Tholba und Fakih, die sich speciell mit der Bedienung der +Moscheen befassen, es nicht für nothwendig, sich durch +besondere, z.B. <i>schwarze Tracht</i> auszuzeichnen; sie +würden es auch nicht wagen, da in Marokko sich Jeder +wenigstens eben so fromm und von Gott geliebt glaubt, als sein +Nächster, <i>innerlich</i> sogar Jeder sich wohl für am +frömmsten hält. Es mag anderen unbefangenen Menschen dies +unglaublich vorkommen, aber die fanatische Dummheit in Marokko ist +so gross, dass man der festen Ueberzeugung lebt, jedwede Sünde +begehen zu können, wenn man nur mit dem Munde bereut und mit +dem Munde durch Gebete seine Reue kund thut.</p> +<p>Wirkliche Gebete, d. h. improvisirte, selbstgemachte, von Herzen +kommende Anreden an Gott, meistens Wünsche und Bitten +enthaltend, giebt es auch. Erfleht der Marokkaner etwas, so +hält er beide Hände zumal offen gen Himmel, als ob er +etwas empfangen wollte; auf dieselbe Art wird auch der Segen +erfleht. Selbst ein Scherif, d. h. ein Abkömmling Mohammed's, +erflehet den Segen für sich oder für die Menge derart, d. +h. die Hand offen haltend. Der Mohammedaner würde es als +grosse Sünde ansehen, wenn ein Mensch sich vermässe, die +Hand umzudrehen, um den Segen zu ertheilen, wie es bei den Christen +Sitte ist.</p> +<p>Aber "das Gebet führt nur halbwegs zu Gott, die Fasten +fuhren uns vor die Thore seines Palastes und das Almosen verschafft +uns Einlass."</p> +<p>Es giebt verschiedene den Mohammedanern vorgeschriebene +<i>Fasttage</i>, in Marokko werden sie indess nur von +aussergewöhnlich fromm sein wollenden Leuten gehalten, jeder +aber ist verpflichtet, den ganzen Monat Ramadhan zu fasten: +<i>Bruch wird mit dem Tode bestraft</i>. Sobald der Neumond von +zwei des Lesens und Schreibens kundigen Leuten in einem Orte +gesehen worden, ist für <i>den</i> Ort der Ramadhan +angegangen. Da nun manchmal der Himmel an einigen Stellen +bewölkt ist, so treten dort die Fasten einen Tag später +ein; da die Marokkaner wie überhaupt die Mohammedaner, <i>was +das Religiöse anbetrifft</i>, nach Mondsmonaten rechnen, so +muss, falls <i>immer</i> der Himmel bewölkt bliebe, nach +Ablauf von 30 Tagen des vorhergehenden Monats der 31. der erste Tag +des Rhamadhan sein.</p> +<p>Von Morgens bis Abends, d.h. sobald man in der Morgen- oder +Abenddämmerung einen weissen von einem blauen Faden +unterscheiden kann, ist sodann jeder materielle Genuss untersagt. +Nicht nur dass man nicht essen, trinken, rauchen oder schnupfen +darf, muss auch in dieser Zeit der Umgang mit Frauen, +überhaupt jeder Sinnengenuss gemieden werden. Ja in Marokko +geht man so weit, das Riechen an eine Blume, das Ergötzen des +Auges an einer schönen Landschaft und das Anhören von +Musik für Sünde zu erklären. In diesem Monat erhielt +Mohammed den Koran vom Himmel, und zwar am 27. des Monats. Diese +Nacht wird daher besonders gefeiert. Es giebt Einzelne, die sich +derart kasteien, dass sie Tag und Nacht in der Djemma bleiben, sich +Nachts nur etwas Brot und Wasser bringen lassen. Solche Heilige +nennt man Elatkaf. Man kann sich denken, dass namentlich in der +ersten Zeit des Ramadhan, wo der Magen sich noch nicht an eine +solche Ordnung gewöhnt hat, diese ganze Lebensweise Einfluss +auf das Gemüth des Menschen hat. Streitigkeiten, Processe, +Prügeleien und Ehescheidungen sind immer am häufigsten in +der ersten Hälfte des Ramadhan.</p> +<p>Der Reiche entbehrt übrigens gar nichts, er führt nur +eine umgekehrte Lebensweise; denn Nachts entschädigt er sich +durch Essen und Trinken reichlich. Nachts sind überhaupt alle +Genüsse erlaubt, indess pflegen manche Schnapstrinker +während des Ramadhan sich geistiger Getränke zu +enthalten; Opiumesser, Haschisch- und Tabacksraucher können, +übrigens ohne dass man Anstoss daran nimmt, ihren +Leidenschaften fröhnen. Nachts dürfen auch Hochzeiten im +Ramadhan gefeiert werden, obschon auch dies selten vorkommt. Die +Moscheen sind um die Zeit hell erleuchtet, die Buden und +Gewölbe in den Strassen ebenfalls, die Kaffeehäuser stark +besucht; überall hört man ausgelassenen Lärm, und +besonders in der Nacht des 27. Ramadhan.</p> +<p>Bricht einer aus Versehen den Ramadhan, d.h. er wäre z.B. +ins Wasser gefallen und hätte dabei einen Schluck Wasser +getrunken, so muss er nachfasten. Es brauchen den Ramadhan nicht zu +halten schwangere Frauen, solche, die säugen, Kinder unter 13 +Jahren, alte Leute, Kranke und Reisende. Ebenfalls ausgenommen sind +die Wahnsinnigen. Kranke und Reisende sind verpflichtet, die Fasten +nachzuholen, was aber in der Regel unterbleibt. Früher wurde +der Anfang und das Ende der täglichen Fasten durch Hornsignale +von den Thürmen der Djemma dem Volke mitgetheilt, heute +geschieht dies in den meisten marokkanischen Städten wie im +Orient durch einen Kanonenschuss.</p> +<p>Im zweiten Capitel des Koran heisst es an verschiedenen Stellen, +wo vom Almosen die Rede ist: "O, Ihr Gläubigen, gebet Almosen +von den Gütern, die Ihr erwerbet, und von dem, was wir aus der +Erde Schooss wachsen lassen; suchet aber nicht das Schlechteste zum +Almosen aus, solches, was Ihr wohl selbst nicht annehmet, es sei +denn, Ihr werdet getäuscht." Und etwas weiter hin: "Machet Ihr +Eure Almosen bekannt, so ist's gut, doch wenn Ihr das, was Ihr den +Armen gebet, verheimlicht, so ist es besser; dies wird Euch von +allem Bösen befreien. Gott kennt, was Ihr thut! Was Ihr den +Armen Gutes thut, wird Euch einst belohnt etc." Diese und sehr +viele andere Stellen des Koran (fast in jedem Capitel ist die Rede +davon) zeigen, wie grosses Gewicht Mohammed auf die +Mildthätigkeit legte, und wenn der unparteiische Mensch auch +Vieles in der Lehre Mohammed's findet, was gegen die allgemein von +civilisirten Völkern angenommenen Sitten verstösst, so +muss man ihm dies hingegen hoch anrechnen. Norm ist in Marokko, den +zehnten Theil aller der Güter den Armen abzugeben, welche von +Ländereien hervorgebracht, oder aus Waaren erlöst sind, +die man über ein Jahr im Besitz hat. Viehheerden gehören +ebenfalls hierher. Dieser Zehnte wird vom Sultan von Marokko +eingefordert. Die Armen bekommen nichts davon, wenn nicht dahin zu +rechnen ist, dass der Sultan den Schürfa (Scherifen) von +Tafilet und Mekka jährlich Geschenke macht, aber diese +Schürfa sind keineswegs hülfsbedürftig. Man nennt +diese Almosen <i>el-aschor</i>. Eine andere Art Almosen wird +<i>Sakat</i> genannt und besteht darin, dass man am ersten Tage des +Monats Schual am Feste des <i>aid el sserir</i> vor Sonnenaufgang +den Armen je nach seinen Kräften Gerste, Weizen, Datteln etc. +zum Geschenk macht, damit auch sie das Fest würdig begehen +können. Die gewöhnliche Art, Almosen zu geben, +<i>Ssadakat</i> genannt, besteht, wie bei uns, in täglichen +Gaben, die man Hülfsbedürftigen und Bettlern giebt, +welche den Vorübergehenden im Namen irgend eines Heiligen +anrufen, oder auch selbst von Haus zu Haus gehen.</p> +<p>Das letzte Erforderniss des Islam, <i>das Pilgern nach +Mekka</i>, ist nicht unumgänglich nothwendig und wird in +Marokko im Ganzen selten ausgeführt. Die Pilger bekommen nach +vollführter Wallfahrt den Titel <i>el Hadj</i>, d.h. Pilger, +und sind dann sehr geachtet. Man kann übrigens für Geld +einen Andern für sich pilgern lassen; so lassen die Sultane +von Marokko stets für sich einen andern Mann nach Mekka +wallfahrten. Stirbt ein reicher Mann, ehe er Mekka gesehen, so +miethen die Nachkommen bisweilen einen Mann, der nachträglich +das Geschäft für Geld besorgen muss. Manchmal +bemächtigt sich unter diesem Vorwande der Kaid oder Bascha +eines grossen Theils der Hinterlassenschaft eines reichen Mannes, +um von <i>Amtswegen</i> das nachträgliche Pilgern besorgen zu +lassen.</p> +<p>Die grossen <i>Karawanen</i>, welche ehemals von Fes aus nach +Mekka fortzogen, haben jetzt ganz aufgehört, nur in Tafilet +sammelt sich noch ein Häuflein, um den weiten beschwerlichen +Marsch durch die Sahara, wobei fast immer die Hälfte zu Grunde +geht (ein solcher Tod auf der Pilgerschaft ist aber sehr +verdienstvoll und verschafft directen Eintritt ins Paradies), +zurückzulegen. Jetzt fahren die meisten Marokkaner mit +Dampfschiffen nach Djedda, und allmälig gewöhnt man sich +daran, eine solche Wallfahrt mit Dampf für eben so heilig und +verdienstvoll zu halten, als eine zu Fuss zurückgelegte. Es +würde hier zu weit führen, die endlosen Ceremonien einer +solchen Wallfahrt zu beschreiben, uns genüge diese kurze +Auseinandersetzung. Wir wollen noch weiter in Marokko selbst die +Entwickelung der mohammedanischen Religion verfolgen.</p> +<p>Was die <i>religiösen Festtage</i>, die Feiertage +Marokko's, anbetrifft, so gelten im Allgemeinen dieselben Regeln, +wie in den übrigen mohammedanischen Ländern. Indess ist +nirgends Zwang, irgendwie an einem Feiertage die Arbeit +einzustellen, oder Handel und Wandel zu beschränken. So sehen +wir namentlich, dass Freitags, welcher Tag bei dem Mohammedaner dem +Sabath der Juden, dem Sonntage der Christen entspricht, Niemand +daran denkt, irgend wie seine Arbeit einzustellen, seinen +Verkaufsladen zu schliessen, oder sonst seine tagtägliche +Beschäftigung zu unterlassen. Nur während der Zeit des +Chotbagebetes liegt Alles still in den Städten, weil jeder +Städter aus <i>eigenem Antriebe</i><a href="#F041"><sup>41</sup></a>, +dann auch weil das Gesetz es erheischt, diesem Gebete in der Djemma +beiwohnt.</p> +<blockquote><a name="F041" id="F041"></a>[Fußnote 41: Aus +eigenem Antriebe, d.h. wer ohne Grund Freitags das Chotbagebet +zweimal hinter einander versäumt, muss der Djemma, zu der er +gehört, Strafe zahlen; dies gilt natürlich nur für +Städter.]</blockquote> +<p>Die Feste religiöser Art, welche in Marokko gefeiert +werden, sind im Monat Rebi-el-ual das Geburtsfest Mohammed's, +<i>Mulud</i> genannt, am 12. des genannten Monats. Dies Fest dauert +sieben Tage, aber nur der erste Tag wird durch einen besondern +Gottesdienst in der Djemma gefeiert. Gefastet wird nicht, aber viel +Musik gemacht, Pulver verschwendet und Phantasia geritten.</p> +<p>Das kleine Fest, <i>aid el sserir</i>, beendigt den Fastenmonat +Ramadhan; es findet vom 1. bis zum 7. Schual statt. Bei diesem +Feste werden, wie schon erwähnt, grosse Almosen gegeben, und +man hält sodann ein grosses öffentliches Gebet im Freien. +Zu dem Ende hat jede Stadt in Marokko ausserhalb des Weichbildes +einen gemauerten, weiss angekalkten Gebetsplatz, <i>Emssala</i> +genannt. Eine 5 bis 6 Fuss hohe crenelirte Mauer, 20 Schritt lang, +hat in der Mitte einen steinernen <i>Mimbr</i>, d. h. eine Treppe, +die für den Fakih, der die Predigt hält, bestimmt ist. +Darf man Ali Bey Glauben schenken, so wohnte er einem solchen +Gottesdienste bei, wo zu gleicher Zeit 250,000 Menschen sich vor +Gott zur Erde beugten; es war dies in Fes zur Zeit der Regierung +des Sultans Sliman. Ich wohnte in Uesan einem solchen +religiösen Feste zweimal bei; der Grossscherif, Sidi-el-Hadj +Abd- es-Ssalam, war die Hauptperson dabei; im Ganzen mochten 20,000 +Menschen anwesend sein. <i>Nach der Predigt</i> und nach dem Gebete +war ein grosses <i>lab-el-barudh</i>, d. h. ein +<i>Pferdewettrennen</i> mit Flintenschüssen. Dies Fest findet +am 1. Schual statt; die übrigen sechs Tage zeichnen sich nur +dadurch aus, dass man aussergewöhnlich grosse Quantitäten +Nahrung zu sich nimmt und dem süssen Nichtsthun huldigt.</p> +<p>Am 10. Dulhaja ist das grosse Fest oder <i>aid el kebir</i> zur +Erinnerung des Opfers Abraham's; zugleich ist es jetzt für +die, welche nicht nach Mekka pilgern, eine Mitfeier des dort +stattfindenden grossen Festes. Dasselbe dauert drei Tage. Man +verrichtet zuerst sein Gebet in der Moschee und geht sodann nach +Hause, um ein Schaf zu opfern, d. h. zu schlachten und zu +verspeisen. In nicht reichen Familien hält man für +genügend, ein Schaf für Alle zu schlachten, in reichen +Familien aber opfert jedes männliche Mitglied ein Thier. Der +ganz arme Mann holt sich sein Viertel bei dem Reichen, kurz, an dem +Tage ist Niemand ohne Fleischkost in Marokko. Höst meint, dass +an jenem Tage in Fes 40,000, in Maraksch 20,000 Schafe geschlachtet +werden, und nach der Zahl zu urtheilen, die in Uesan geopfert +wurden (Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam z. B. liess von einem seiner +Duar 500 Schafe zum Opfern bloss für seinen Haushalt nach +Uesan kommen), möchte ich glauben, dass jene Zahlen eher zu +niedrig als zu hoch gegriffen seien. An diesem Tage werden dem +Sultan ebenfalls grosse Geschenke gemacht, von jeder Stadt und +jeder Ortschaft. Die beiden folgenden Tage zeichnen sich ebenfalls +durch Schmausereien aus, und Unverdaulichkeit, allgemeines +Kranksein und Unfähigkeit, irgend etwas zu thun, sind immer +Folge dieser Feier, namentlich für solche, die so wenig an +animalische Kost gewöhnt sind, wie die Marokkaner.</p> +<p>Ein halb religiöses, halb weltliches Fest ist das <i>aid el +tholba</i>, das Fest der Schriftgelehrten. Es findet im +Frühjahr zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche statt; +sämmtliche Tholba und Fakih ziehen zur Stadt hinaus und lagern +während einer Woche unter Zelten. Obschon Koranlesen und Beten +der ursprüngliche Zweck dabei sein soll, konnte ich davon in +der heiligen Stadt Uesan, aber vielleicht gerade <i>weil</i> Uesan +eine heilige Stadt ist, nichts merken; im Gegentheil, bei Tage +beschäftigten sich die Doctoren und Schriftgelehrten damit, +Almosen zu empfangen in Gestalt von Geld, Thee, Zucker, +Lebensmitteln aller Art und leckeren Gerichten, welche die +andächtigen Frauen aus der Stadt heraussandten. Inzwischen +wurde enorm gegessen, und wenn Abends profane Blicke der Bauern aus +der Umgegend nicht zu befürchten waren, gab man sich fleissig +dem Wein und Schnaps hin. War am andern Morgen ein Doctor oder +Schriftgelehrter durch Trunkenheit oder Katzenjammer unfähig, +sich irgend wie vernünftig mit Almosen bringenden Leuten aus +dem Gebirge und der fernen Umgegend zu unterhalten, so <i>wuchs +sein Ruf</i>, man glaubte, er habe sich durch Nachtwachen derart in +einen überreizten und heiligen Zustand versetzt, dass er dem +gewöhnlichen Erdenleben entrückt sei.</p> +<p>Wir haben oben bemerkt, dass in Marokko nur rechtgläubige +Mohammedaner malekitischen Bekenntnisses sind, denn die wenigen +<i>Choms</i> (eine nicht den vier orthodoxen Secten huldigende +fünfte Partei) im Gebirge sind kaum erwähnenswerth. Aber +in dieser malekitischen Sekte haben sich nun wieder zahlreiche +<i>religiöse Genossenschaften</i> gebildet, religiöse +Innungen, so dass man fast sagen kann, ein jeder Marokkaner +gehört einer solchen an.</p> +<p>In gewisser Beziehung haben solche religiöse Verbindungen +Aehnlichkeit mit den christlichen, besonders insofern, als ihnen +speciell eine gewisse Verpflichtung obliegt, gewisse Privatgesetze +gemein sind, Viele noch besondere additionelle Gebete verrichten, +gewisse Fasten halten, mancher Speise insbesondere sich enthalten. +Sie unterscheiden sich aber am deutlichsten von +christlich-religiösen Genossenschaften dadurch, dass jedes +Mitglied einer solchen Innung<a href="#F042"><sup>42</sup></a> verheirathet +ist, weil Mohammed das Heirathen an und für sich als +verdienstlich und gut hinstellt. Leute unter den Mohammedanern, die +nicht verheirathet sind, werden daher unter allen Umständen +verächtlich angesehen.</p> +<blockquote><a name="F042" id="F042"></a>[Fußnote 42: Mir +wurde in ganz Marokko nur von einer religiösen Genossenschaft +Kunde gegeben, deren Mitglieder <i>unverheiratet</i> sein mussten, +diese nannten sich <i>Fokra el mulei Abd Allah el Scherif</i> in +Uesan. Diese Brüderschaft war äusserst schwach, die +Mitglieder waren alle gelehrt und (dem Anscheine nach) sittenreine +Leute. <i>Leo</i>, Bd. I, S. 251, Ausgabe von Loosbach, spricht +aber von den sogenannten Romiti (Marabuten), welche ebenfalls nicht +heirathen dürfen, aber deren Lebenswandel nach seiner +Beschreibung eben nicht sehr erfreulich und tugendhaft gewesen sein +soll.]</blockquote> +<p>Die verschiedenen religiösen Genossenschaften zu +beschreiben werde ich andernorts Gelegenheit haben, hier +genüge, dass die vornehmste religiöse Innung die der +<i>Muley Thaib</i> in Uesan ist, die ausgebreitetste im ganzen +Nordwesten von Afrika. Es kommt sodann die Corporation der <i>Sidi +Hammed ben Nasser</i> mit dem Centralsitze von Tamagrut in der +Draa-Oase; die der <i>Sidi Abd-es-Ssalam-ben-Mschisch</i> mit der +Hauptstadt Sauya, im Djebel Habib, südöstlich von Tanger; +die von <i>Sidi Mussa</i> in Karsas, und viele andere. Ohne +religiöses Centrum, Sauya<a href="#F043"><sup>43</sup></a>, sodann ist +der Orden der <i>Aissauin</i>, d. h. der Jesuitenorden, zu +erwähnen. Da wir gleich auf letztere etwas näher eingehen +wollen, erwähne ich nur, dass alle übrigen +religiösen Genossenschaften als alleinigen Zweck haben, +<i>sich die Menschen zu unterwerfen und dieselben auszubeuten</i>. +Indem sie vorgeben, dass wer ihrem Orden beitrete, d. h. die und +die Ceremonie mitmache, dies oder jenes Gebet ausserdem verrichte, +an die Fürbitte dieses oder jenes Heiligen besonders glaube, +den oder jenen Festtag extra halte und, worauf es besonders +ankommt, freiwillige oder bestimmte Gaben der Sauya oder dem +Oberhaupte darbiete, suchen sie sich mehr oder minder der +Herrschaft über die Geldbeutel und damit über die Leute +selbst zu bemächtigen. Aeusserlich unterscheiden sich die +Genossen einer religiösen Innung von denen einer andern nicht, +höchstens findet man einen Unterschied im Rosenkranz. Die +Mohammedaner haben mit den Katholiken gemein die Hantirung eines +Rosenkranzes, der aus hundert Perlen besteht. Die Mohammedaner +beten freilich nicht bei jeder der Hand entgleitenden Kugel ein Ave +oder Paternoster, sondern rufen bloss Gott an (es ist vorhin +gesagt, wie verdienstvoll es ist, den Namen Gottes auszusprechen), +bei jeder Perle z. B. "Gott ist gross" oder "Gott ist +allbarmherzig" etc. Als Unterschied von übrigen +religiösen Orden haben die Brüder des Mulei Thaib einen +grossen Messingring am Rosenkranz, die des Sidi Hussa in Karsas +eine grosse Perle von Bernstein, und andere ähnliche +Abzeichen.</p> +<blockquote><a name="F043" id="F043"></a>[Fußnote 43: Das +Wort <i>Sauya</i> bedeutet Kloster, Pilgerort, Schule, Asyl +zusammengenommen. Da aber, wie schon gesagt, die Mitglieder einer +religiösen Genossenschaft fast immer verheirathet sind, so hat +eine Sauya ein ganz anderes Aussehen als ein Kloster. Wichtigkeit +haben Sauya besonders, wenn sie Centralstelle eines religiösen +Ordens sind, wenn sie todte oder lebendige Heilige haben, wenn sie +durch Tradition ein unverletzliches Asylrecht besitzen. Letzteres +wird aber dennoch manchmal durch die <i>Unfehlbarkeit</i> irgend +eines Sultans, <i>dem ja keine Ueberlieferung heilig ist</i>, +gebrochen.]</blockquote> +<p>Die vorhin erwähnten <i>Aissauin</i> oder Brüder vom +Orden Jesu (Aissa heisst Jesus) sind eine der merkwürdigsten +Verbindungen. Sie haben kein bestimmtes <i>lebendes</i> Oberhaupt, +keine bestimmten Ordensregeln, keine Sauya, sie leben nur vom +Aberglauben und dadurch, dass sie die Leichtgläubigkeit ihrer +Mitmenschen täuschen. Ihren Namen haben sie vom Propheten +Jesus angenommen, den sie auch als geistiges, unsichtbares +Oberhaupt anerkennen, und sie behaupten auch, ihre Wunderkraft von +ihm ererbt zu haben. Sie fussen dabei auf die Worte Mohammed's im +Koran, "dass ihm (d. h. Mohammed) die Gabe, Wunder zu thun, nicht +verliehen gewesen sei, dass aber Jesus sie gehabt habe." Die +Aissauin sind sehr zahlreich, und nicht nur in Marokko zu finden, +sondern in der ganzen mohammedanischen Welt.</p> +<p>Manchmal sind die Kunststücke, welche ihre +wunderthätige Heiligkeit darthun sollen, sehr einfacher Art, +z. B. dass sie einen Scorpion in die Hand nehmen, Schlangen auf dem +Körper herumkriechen lassen; manchmal aber erregt es +Entsetzen, wenn man sieht, wie diese Leute Schlangen lebendig +verzehren, zerhackte Nägel, gestossenes Glas, scharfkantige +Steine und glühende Kohlen hinunterschlucken, wie sie unter +Anrufung von "Gott und Jesus" ihren Körper wund schlagen, dass +er blutrünstig wird (ähnlich wie die Flagellanten der +Christen etc.), und ausserdem nicht nur gegen ihren <i>eigenen</i> +Körper Verbrechen begehen, sondern oft <i>öffentlich</i> +und <i>ungestraft</i> gegen die Sittlichkeit mit anderen Menschen +und Thieren sich versündigen, dass dergleichen in anderen +Ländern als Wahnsinn bezeichnet, oder wollte man es berichten, +als erlogen betrachtet würde. Ich unterlasse es deshalb, +Beispiele ihrer religiösen Tugend, die ich selbst gesehen, +anzuführen, verweise dafür auf Leo Africanus I, S. 253 +oder Lempriere's Reise durch Marokko und auf fast alle anderen +Schriftsteller, welche über Marokko berichtet haben.</p> +<p>Wie in der christlichen Kirche, so hat sich auch im +Mohammedanismus ein <i>Heiligenstand</i> entwickelt und namentlich +in Marokko steht derselbe in Blüthe. Die mohammedanische +Religion spricht aber nicht durch ein bestimmtes Organ, wie z. B. +bei den Christen durch den Papst, heilig; ein solches hat die +gesammte mohammedanische Religion überhaupt nicht, sondern in +einzelnen mohammedanischen Ländern, wie Marokko, wo der Sultan +Papst, der Papst Sultan ist, besorgt es das ganze Volk, welches nie +Heilige genug haben kann. Die mohammedanische Religion hat nun den +Vortheil, dass Menschen schon bei Lebzeiten heilig gehalten oder +gesprochen werden, und da jeder Mohammedaner heirathet, <i>so ist +die Erblichkeit in das Heiligsein gekommen</i>, d. h. die +Nachkommen eines solchen Heiligen werden auch als heilig +betrachtet. Ja, im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies so +eigenthümlich herausgestaltet, dass die Heiligkeit nicht nur +erblich, sondern <i>wachsend</i> geworden ist, derart, dass der +Nachkomme eines Heiligen stets für heiliger gehalten wird, als +er selbst. So sehen wir, dass z. B. in Uesan der directeste +Sprössling Mohammed's jetzt für viel heiliger und +unfehlbarer gehalten wird, als Mohammed selbst.</p> +<p>Wenn meistens bei Christen und anderen der Glaube obwaltet, es +sei um Mohammedaner zu werden, unumgänglich die Beschneidung +nothwendig, so ist dies irrthümlich. Im Koran ist für den +Moslim die Beschneidung nicht gesetzlich gemacht, und so giebt es +denn, namentlich unter den Berberstämmen Marokko's, +verschiedene, welche <i>nie die Beschneidung bei sich +eingeführt haben</i>. Trotzdem zweifelt Niemand an dem Islam +dieser Stämme. Ueberdies wird die Circumcision erst im +siebenten oder achten Lebensjahr vorgenommen, und falls die +Beschneidung <i>wesentlich</i> zum Islam gehörte, wären +sodann Kinder, die jenes Alter nicht hätten, keine +Mohammedaner. Es werden nur Knaben in Marokko beschnitten.</p> +<p>Ziehen wir schliesslich einen Vergleich, so finden wir, dass +gleiche Lehren und gleicher Glaube auf das Volk dieselbe Wirkung +haben. Die <i>Unfehlbarkeit eines Einzelnen</i>, die in Marokko +schon seit der Regierung des Sultans Yussuf Ben Taschfin's besteht, +hat die grenzenloseste Dummheit des Volkes, den kolossalsten +Aberglauben, die grösste Scheinheiligkeit und den Ruin der +Nation und des Landes zur Folge gehabt. So hat auch in der +jüdischen, der ersten semitischen Religion, die Unfehlbarkeit +der Bundeslade, des Hohenpriesters, Jerusalems, d. h. das starre, +eiserne Festhalten eines überlebten Grundsatzes +Scheinheiligkeit, Aberglauben, Heuchelei, +Selbstüberschätzung und dann den Ruin des Volkes zur +Folge gehabt. Und bei den Christen sehen wir, dass das feste +Anklammern an abgelebte Ideen, das Wiederaufrichten vorweltlicher +Lehren, der eingebildete Wahn, den allein seligmachenden Glauben zu +besitzen, oder die allein unfehlbare Oberkirchenbehörde zu +sein, schliesslich zur "Unfehlbarkeit" eines einzelnen Menschen +selbst führte.</p> +<h2><a name="K05" id="K05"></a>5. Krankheiten und deren +Behandlung.</h2> +<p>Eine der ersten Ursachen, weshalb die Bevölkerung in +Marokko so wenig zunehmend ist, vielmehr stationär bleibt, +sind die vielen im Lande herrschenden Krankheiten, und die +schlechte und unrationelle Behandlung derselben. Ein Land, dessen +Bewohner eben nur "Jenseits-Candidaten" sind, falls es sich um +Unglücksfälle handelt, die ihr gewöhnlicher durch +die mohammedanische Religion erstickter Geist nicht ergründen +kann, das Volk eines solches Land <i>muss</i> zu Grunde gehen. Und +in Marokko wird eine jede Krankheit als eine Heimsuchung "Allah's" +bezeichnet, und die besten Mittel dagegen sind "Gebetsübungen" +und "Amulette."</p> +<p>Von den Lehren der grossen Doctoren, welche einst in Spanien und +Marokko gelebt, ist heut zu Tage keine Spur mehr vorhanden. Man +müsste ihre Werke herausholen aus den Bibliotheken Fes' oder +Uesan's, um nur den Namen derselben zu erfahren.</p> +<p>Kein marokkanischer Arzt, geschweige ein gewöhnlicher +Marokkaner weiss, dass Abu-el-Kassem-Calif-ben-Abbes (Albucasis) +ihr Landsmann ist, dass er der Erfinder der Lithotomie<a href= +"#F044"><sup>44</sup></a> war.</p> +<blockquote><a name="F044" id="F044"></a>[Fußnote 44: Portal, +Histoire de Panatomie et de la chirurgie.]</blockquote> +<p>Der im Dienste des marokkanischen Sultans (Yussuf [Yussuf] ben +Taschfin gewesene Arzt Aven-Zoar +(Abu-Meruan-ben-Abd-el-Malek-b-Sohr), der es wagte gegen die +Vorurtheile seiner Zeit, Chirurgie und Medicin zu vereinigen, +welcher zuerst die Idee der Bronchotomie hatte, ist in Marokko +verschollen. Weder der ältere noch jüngere (Aven-Zoar's +Sohn), der gleichfalls Arzt war, sind auch nur dem Namen nach +bekannt. Verschollen ist der noch berühmtere Arzt und +Philosoph Averoës (Abu-Uld-Mohammed-ben-Rosch), ein +Schüler des älteren Aven-Zoar, welcher unter des Sultans +Almansor Regierung nach Marokko berufen wurde und dort starb. Kein +Grabstein, kein Andenken solch berühmter Männer ist im +Lande zu finden, und wenn die Marokkaner kein Gedächtniss +haben für so berühmte Männer, welche einst unter +ihnen lebten, wie ist es da zu verwundern, dass auch von anderen +minder berühmten jede Spur ausgelöscht ist.</p> +<p>Die heutigen Aerzte von Marokko verdienen in jeder Beziehung die +untergeordnete Stellung, die sie einnehmen. Nur dann stehen sie in +Ansehen, wenn sie zu gleicher Zeit Tholba, d. h. Schriftgelehrte +oder Faki, d. h. Doctoren der Theologie sind. Und noch höher +ist ihr Einfluss und ihr Ruf verbreitet, wenn sie zugleich +Schürfa, d. h. Abkömmlinge Mohammed's sind. In dieser +Eigenschaft liegt zugleich, der Meinung des Marokkaners nach, +ärztliche Natur. Und so sieht man denn auch häufig genug +Leute zu einem Scherif kommen, um seine Hülfe gegen irgend +eine Krankheit zu erflehen, sei es nun, dass diese in einem Gebete +oder Segen, in einem Amulet, oder geschriebenen geheimnissvollen +Zauberspruche, oder auch in wirklicher medicinischer Substanz +besteht.</p> +<p>Solche Leute, die sich nur mit Ausübung innerer Heilkunde +beschäftigen, ohne Thaleb, Faki oder Scherif zu sein, giebt es +daher sehr wenige in Marokko, eher schon stösst man auf +Chirurgen von Profession, die es durch Uebung in irgend einem +Zweige der Wundarzneikunde zu einem mehr oder weniger verdienten +Rufe gebracht haben.</p> +<p>Meinen grossen ärztlichen Ruf in Marokko verdankte ich denn +auch nicht dem Umstände, dass ich Medicin studirt hatte, oder +Militärarzt des Sultans, später sogar dessen Leibarzt +war, sondern es hatte das seinen Grund darin, dass ich vorher +Christ gewesen war. Nach dem Glauben der Mohammedaner ist Jesus der +grösste Arzt gewesen, und sie meinen, er habe den Christen +eine Menge wunderthätiger Heilmittel hinterlassen. So wurden +denn oft zu mir die verzweifeltesten Fälle gebracht. "Der Sohn +des Jesus (uld ben Aissa) wird uns schon helfen können," +meinten sie. Ebenso giebt es nirgends eigentliche Apotheken oder +Pharmacien. Der Arzt bereitet immer selbst seine Arzneien und giebt +sie dann dem Kranken. Ist er unbekannt und die erkrankte +Persönlichkeit eine einflussreiche, so muss er +unabänderlich von der Arznei vorher kosten, oft sogar die +Hälfte geniessen. So hatte ich die Unannehmlichkeit, mich +eines Tages mit dem Bascha von Fes, Ben-Thaleb purgiren zu +müssen. Derselbe hatte ein Abführungsmittel verlangt, ich +brachte ihm eine Schale mit aufgelöstem Bittersalz, aber um +sicher zu sein nicht vergiftet zu werden, musste ich die +Hälfte vor seinen Augen austrinken; vorher davon unterrichtet, +hatte ich die Dose stark genug gemacht, um für uns beide eine +Wirkung zu erzielen, im entgegengesetzten Falle würde mein Ruf +gelitten haben.</p> +<p>Indem wir hier nur die am häufigsten in Marokko +vorkommenden Krankheiten vorführen, beginnen wir mit der, +welche am verbreitetsten ist, so verallgemeinert, dass heute fast +keine Familie in Marokko nördlich vom Atlas existirt, welche +von dieser Krankheit unberührt geblieben wäre: +Syphilis.</p> +<p>Unter Syphilis verstehen die Marokkaner vom Ulcus syphiliticum +an alle jene Krankheiten, welche wir als Syphilis universalis, +constitutionelle Syphilis und ihre Producte bezeichnen. Der +Marokkaner nennt diese Krankheit "die grosse," Mrd-el-kebir, oder +die "Frauenkrankheit," Mrd-el-nssauïn. Einzelne Formen, z.B. +das Ulcus syphiliticum nennt er Grah, ohne aber diese, wie andere +syphilitische Erscheinungen, z.B. Bubonen, Ulcerationen im +Schlunde, Ausschläge herpetischer Art, für Syphilis zu +halten; ebensowenig rechnet der Marokkaner zum Mrd-el-kebir die +Krankheiten der Harnröhre und Scheide. Also unseren +secundären und tertiären Erscheinungen entspricht das +Mrd-el- kebir, um so mehr tritt dies heraus, als selbst nicht +sichtbare, sondern nur fühlbare Erscheinungen, die +nächtlichen Knochenschmerzen (satar) von dem Marokkaner zum +Mrd-el-kebir gerechnet werden.</p> +<p>Es giebt in der That fast kein Individuum in Marokko, das sein +Leben ohne diese Krankheit zubrächte. Leo<a href= +"#F045"><sup>45</sup></a> schon meint, dass nicht der zehnte Theil der +Einwohner der Berberei dieser Seuche entgehe. Leo behauptet ferner, +diese Krankheit sei ehedem nicht in Afrika bekannt gewesen, selbst +nicht dem Namen nach; er sagt: "sie fing dort zu der Zeit, als +König Ferdinand (der Katholische) die Juden aus Spanien +verjagt hatte, an; viele von denselben waren angesiechet, und das +Gift steckte die wollüstigen Mauren, die mit Jüdinnen +nach ihrer Ankunft in Afrika zu vertraut umgingen, auch an, und +griff nach und nach so um sich, dass wohl keine Familie in der +Berberei gefunden wird, die das Uebel nicht gehabt hätte, oder +noch hätte. Sie halten es für unleugbar, dass es aus +Spanien herkomme, und nennen es folglich auch die spanische +Krankheit." Wie dem nun auch sein mag, ob diese Krankheit in +Marokko erst nach der Judenvertreibung aus Spanien bekannt wurde, +oder schon <i>vorher</i> grassirte, heute ist sie unter dem Namen +"spanische Krankheit" in Marokko <i>nicht</i> bekannt. Aber Alle, +die in Marokko gewesen sind, constatiren das <i>allgemeine</i> +Verkommen. So sagt Jackson in seinem Account p. 190: "they call it +the <i>great disease</i> and it had now spread itself into so many +varieties, that I am persuaded, there is scarcely a moor in Barbary +who has not more or less of the virus in his blood."</p> +<blockquote><a name="F045" id="F045"></a>[Fußnote 45: Leo +Africanus, Uebersetzung von Lorsbach.]</blockquote> +<p>Es giebt wohl keine Form der syphilitischen Krankheit, welche in +Marokko unbekannt wäre, und da sie keine gründlichen +Heilverfahren dagegen in Anwendung bringen, so wird dies Uebel +erblich durch ganze Triben fortgesetzt. Häufig genug hört +man ein Individuum sagen, "mein Vater war ganz gesund, und ohne +Ursache bin ich vom Mrd-el-kebir befallen," forscht man aber nach, +so erfahrt man bald, dass mütterlicherseits oder von +grosselterlicher Seite her die Krankheit existirte und bei den +Eltern nur latent war oder so schwach auftrat, dass sie nicht +beachtet wurde.</p> +<p>Als Mittel gegen den Mrd-el-kebir wenden die Marokkaner mit +bestem Erfolg die heissen Schwefelquellen von Ain-Sidi-Yussuf an. +Da ich nicht selbst jenes bei Fes gelegene, wahrscheinlich das zu +den Römerzeiten schon unter dem Namen Aquae Dacicae bekannte +Bad besucht habe, so kann ich weder über die Temperatur noch +über die Bestandtheile desselben berichten. Nach den Aussagen +der Araber ist aber unzweifelhaft Schwefel Hauptbestandteil und ist +das Wasser so heiss, dass darin Badende das Bassin, welches die +eigentliche Quelle enthält, nicht betreten können, dort +soll das Wasser fast siedend sein. Die Badebassins befinden sich in +einiger Entfernung davon, nachdem das Wasser auf Umwegen eine +Abkühlung erhalten hat. Die das Wasser Gebrauchenden baden in +grossen gemeinschaftlichen Bassins, Frauen von den Männern +getrennt.</p> +<p>Eine Kur dauert mit täglichem Baden, wobei mau oft +stundenlang im Bassin hockt, so lange bis man geheilt ist, oder die +Unwirksamkeit glaubt erprobt zu haben. Jahrelanges Baden ist nichts +Seltenes, und weniger als eine dreimonatelange Kur wird wohl nie +versucht. Die Marokkaner trinken das nach faulen Eiern riechende +Wasser nicht. Man kann sich denken, welche Vollheit immer in +Ain-Sidi-Yussuf ist, indess campiren alle Leute, für +Badeeinrichtung ist nämlich gar nicht gesorgt und auf einem +wöchentlich Einmal abgehaltenen Markte ebendaselbst, werden +die Lebensmittel und Vorräthe eingekauft. Eine besondere +Diät wird bei der Kur nicht beobachtet, was bei der einfachen +marokkanischen Kost auch nicht nothwendig ist.</p> +<p>Vom Gebrauche dieser Bäder habe ich die +überraschendsten Erfolge gesehen, manchmal nach kurzem (d.h. +nach 5-6monatlichem, täglichem, meist zweimaligem Baden, wobei +die Leute behaupteten, jedesmal zwei Stunden im Bade zugebracht zu +haben), manchmal nach längerem Gebrauche. Indess ist dies Bad +wie alle Schwefelbäder kein specifisches Mittel und nicht nur +kamen oft genug Rückfalle, Wiederausbruch der Syphilis vor, +sondern sehr oft zeigt sich das Bad vollkommen wirkungslos. Der +Marokkaner sagt natürlich nie, dass das Wasser des Bades die +Heilung bewirkt: Sidi Yussuf oder dessen Segen bewirken die +Genesung.</p> +<p>Mercur wird äusserst selten gebraucht, und fast nur in den +Städten. Man kennt dort, wo europäische Apotheken sind, +die einfache Mercurialsalbe und macht örtliche Einreibungen. +Auch Juden in den Städten des <i>inneren</i> Landes +präpariren und verkaufen Ung. mercuriale cinerum. Am +häufigsten wird das Quecksilber angewandt, indem man es in +seiner wahren Gestalt in eine stark erhitzte Pfanne schüttet +und dann die Quecksilberdämpfe einathmet. Aber wenn auch +manchmal sowohl von den örtlichen Einreibungen, wie von den +Inhalationen Besserung erfolgt, so unterliegen dann aber die +Meisten den Folgen der Mercurialvergiftung. Jod und seine +Verbindungen sind gänzlich unbekannt. Am gebräuchlichsten +ist noch die Sarsaparilla, nicht nur das Decoct der Wurzel, sondern +auch diese selbst im pulverisirten Zustande wird genossen. Aber nur +Wenige in Marokko sind im Stande, eine durchgreifende Kur mit +diesem für dortige Verhältnisse recht kostspieligen +Medicament, welches die Portugiesen importiren, machen zu +können. Man hält sodann ausserordentlich viel auf +Ortsveränderung, Diät und Schwitzen, d.h. +Ortsveränderung wird nur insofern gepriesen, als die Leute +dabei in heissere Gegenden gehen, meist südlich vom Atlas. Die +dann erfolgende grössere Transpiration soll manchmal Heilung +bewirken. Entziehung der Nahrung bringt indess nach den Aussagen +der Marokkaner nur Stillstand der Krankheit herbei. Jackson +erzählt, dass zur Zeit, als er in Agadir war, der dortige +Bascha, Namens Hayane, seine schwarzen Soldaten dadurch von der +Krankheit heilte, dass er sie schwere Lasten bergauf tragen liess, +welches eine mächtige Schweissbildung hervorbrachte. Innerlich +giebt man an einigen Orten auch eine Abkochung der Rinde von +Coloquinthen (Cucumis colocynthis). Dieses drastische Purgirmittel +soll das Gift des Mrd-el-kebir aus dem Körper entfernen, aber +nie habe ich gehört, dass es irgend gewirkt hätte.</p> +<p>Ebenfalls giebt man diese Decoction gegen blennorrhoïsche +Affectionen, in der Regel aber werden diese durch eine Abkochung +von Melonenkernen behandelt, welches unschuldige Mittel innerlich +gegeben wird. Injectionen bei dieser Krankheit werden nie +angewandt. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass nebenher Amulette +und Zaubersprüche hier wie bei <i>allen</i> Krankheiten in +Anwendung sind. Kleine Zettelchen mit Koran- oder anderen +Sprüchen werden in die Kleidungsstücke oder in kleine +lederne Säckchen genäht und diese umgehangen, oder ein +solches beschriebenes Papierchen wird in einer Tasse mit Wasser +abgewaschen und dies dem Patienten zu trinken gegeben, oder endlich +das Amulet selbst wird als Medicin hinabgeschluckt; man denke sich, +welche Wirkung es haben muss, wenn der Kranke einen Koran- Spruch +gegessen hat.</p> +<p>Fälle von constitutioneller Syphilis, die ich selbst +behandelte mittelst Jodkali und Mercur, hatten die +überraschendsten Erfolge. Aeusserlich wandte ich die +Inunctions-Kur, innerlich Jodkali an, mit 0,5 anfangend, bis zu 3 +oder 4 Gr. auf einmal täglich, in Wasser gelöst, gegeben. +Aus Mangel an Medicamenten musste ich indess auch bald zu den +Amuletten greifen.</p> +<p>Intermittirende Fieber<a href="#F046"><sup>46</sup></a> kommen in den +Niederungen längs der Flüsse, in den sumpfigen Ebenen +beständig und zu jeder Jahreszeit vor. Der Marokkaner wird +ebenso gut davon befallen wie der Europäer, und das krankhafte +Aussehen von Kindern und Frauen der Rharb-Provinzen deuten genug +an, dass diese hauptsächlich dieser Krankheit unterliegen. Der +Grund liegt darin, dass der Mann durch häufigen Ortswechsel +seine Gesundheit leichter wieder herstellen kann. Meist ist das +Fieber das gewöhnliche, alle 48 Stunden auftretende, sehr +häufig beobachtet man auch Febr. quartanae, und die damit +Behafteten werden ihr Fieber fast nie wieder los. Man kennt in +Marokko den Segen des Chinin nicht, das erste Mittel, zu dem man +greift (ausser den Amuletten und Zaubersprüchen), ist eine +starke Purganz, die aber natürlich keine Heilung bewirkt. In +den marokkanischen Städten, namentlich in den +Hafenstädten, hat man in letzterer Zeit angefangen trotz des +hohen Preises Chinin zu kaufen.</p> +<blockquote><a name="F046" id="F046"></a>[Fußnote 46: Fieber: +el Homma.]</blockquote> +<p>Weit verbreitet sind Leberleiden und Gelbsucht<a href= +"#F047"><sup>47</sup></a>, gegen welche man das Kraut des Kümmel +(Cuminum cyminum L.) anwendet, arabisch Schemssuria genannt; als +gerühmtes Mittel wird dagegen auch Schih (Art. odorif.) +genommen. Häufige Magenbeschwerden, Folgen grosser +Unmässigkeiten, die namentlich nach den Festlichkeiten +beobachtet werden, und alle die Krankheiten, wie Rheumatismus, +Gicht, Kopfschmerz<a href="#F048"><sup>48</sup></a>, halbseitiger +Kopfschmerz, der oft beobachtet wird, alle Arten von +Entzündungen, versucht man durch äusserliches Bestreichen +mit heissem Eisen zu heilen. Gegen Durchfall, Ruhr, Dysenterie +wendet man Gummi arabicum, in Substanz gegessen, dann eine Pflanze +"Kebbar" (Capparis spinosa) an, deren Holz gestampft und abgekocht +wird, endlich auch rohes Opium.</p> +<blockquote><a name="F047" id="F047"></a>[Fußnote 47: +Gelbsucht, Bu-Sfor, d.h. wörtlich: Vater des +Gelben.]</blockquote> +<blockquote><a name="F048" id="F048"></a>[Fußnote 48: Alle +diese Krankheiten, welche bei uns mit Schmerz endigen (arabisch +udja), drückt der Marokkaner ebenso aus, z.B. Kopfschmerz udja +el ras u.s.w.]</blockquote> +<p>Es ist unglaublich, wie besondere Freunde die Marokkaner von der +Feuerkur, überhaupt von allen recht schmerzhaften +Heilverfahren sind. In Fes giebt es daher auch eigene +Special-Feuerärzte. Man sieht sie auf der Hauptstrasse, welche +Neu-Fes mit Alt-Fes verbindet, auf dem Boden hocken. Vor sich haben +sie einen kleinen eisernen Topf mit einem Rost darin, worauf sich +ein gut unterhaltenes Kohlenfeuer befindet. Nebenan steht ein +Körbchen mit Holzkohlen, daneben liegt auch ein +Ziegenschlauch, der zum Anblasen dient. Ein Kranker erscheint, er +hat Nachts ohne Zelt zubringen müssen, es hat geregnet, und +Folge davon war, dass er sich einen Hexenschuss geholt. Er +präsentirt sich beim berühmten Feuerdoctor Si-Edris, um +so berühmter, da er lesen kann, Thaleb ist: ein dicker neben +ihm liegender Foliant, einziges Buch, das er besitzt, bezeugt es. +Trotzdem Doctor Si-Edris nur das eine Buch besitzt, hat er es, +obschon er sechzig Jahre alt ist, noch nicht ganz durchgelesen. Ist +es so schwer zu verstehen? Keineswegs! Aber das hat seine +Gründe, erstens hat Doctor Edris es im Lesen keineswegs zu +einer grossen Fertigkeit gebracht, er verfährt dabei so rasch +wie bei uns ein sechs- oder siebenjähriges Kind, sodann ist +der Inhalt des Buches, wenn auch für den Mohammedaner sehr +gewichtig und zu wissen nothwendig, doch äusserst langweilig. +Das Buch enthält nämlich von hinten bis vorn nichts +Anderes als die Phrase: "Lah illaha il Allah Mohammed resul ul +Lah", oder: "es giebt mir einen Gott und Mohammed ist sein +Gesandter"<a href="#F049"><sup>49</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F049" id="F049"></a>[Fußnote 49: Als die +Spanier die Stadt Tetuan einnahmen, fiel ihnen ein Buch in die +Hand, welches von Anfang bis Ende nur die Worte "Gottlob", +"Hamd-al-Lahi" enthielt.]</blockquote> +<p>Mittlerweile hat unser Specialarzt mehrere Eisenstäbe, zwei +Fuss lang und mit sonderbaren Knöpfen, Haken und anderen +Formen am heisszumachenden Ende versehen, in das vor ihm stehende +Feuer geschoben. Mit dem Schlauche facht er die Gluth besser an, +endlich ist das Eisen weiss. Der Kranke hat sich unterdessen auf +den Bauch gelegt, seine Kleidungsstücke in die Höhe +schiebend, und die Vorbeigehenden, welche sehen, dass einer "das +Feuer bekommen" soll, bilden einen dichten Haufen. Der wichtige +Augenblick ist da, der Doctor ergreift ein Eisen und mit dem +Ausrufe "Bi ism Allah" macht er bedächtig mit demselben auf +dem Rücken und der Kreuzgegend einige Striche, es zischt und +ein unangenehmer Geruch von verbrannter Haut zieht den Umstehenden +in die Nase. Der Patient zeigt bei dieser Operation, welche +Si-Edris mit wundervoller Langsamkeit vornimmt, weil er glaubt zu +grosse Eile schade seinem Ansehen, die grösste Ausdauer und +Standhaftigkeit, er beisst die Zähne zusammen und allein die +stark ausbrechenden Schweisstropfen verrathen seinen Schmerz.</p> +<p>Wie vernichtet bleibt er nach beendeter Operation eine Zeit lang +auf dem Boden liegen, aber keine Klage berührt das Ohr der +Umstehenden, die den Rosenkranz durch die Finger laufen lassen und +mit den Lippen Gott und Mohammed preisen. Aber was geschieht? Der +Patient, der wohlhabend sein muss, dreht seinen Kopf: "Si-Edris, +Si-Edris," ruft er.—"Malk, was willst du?" ist die kurze +Antwort des berühmten Arztes.—"Masal-en-nar, noch ein +Feuer!—" "Mlech attini haki, gut, gieb mir mein +Honorar",<a href="#F050"><sup>50</sup></a> erwiedert der Doctor. Unter +Seufzen und Aechzen holt der Kranke aus irgend einer Falte eines +Kleides eine Mosona (ungefähr einen viertel Groschen), reicht +sie dem Doctor und die Feuerkur beginnt aufs Neue. Si-Edris +lässt sich wie alle marokkanischen Aerzte immer im Voraus sein +Honorar zahlen; sein grosser Ruf hat ihn übrigens +übermüthig gemacht, er lässt nicht mit sich dingen. +Während alle anderen Aerzte und auch die Feuerdoctoren, immer +mit sich handeln lassen, thut dies Si-Edris nicht, von dem festen +Preise: für ein einmaliges Feuer eine Mosona zu nehmen, ist er +seit Jahren nicht herabgekommen.</p> +<blockquote><a name="F050" id="F050"></a>[Fußnote 50: +Wörtlich: gieb mir mein Recht.]</blockquote> +<p>Der grosse Ruf, dessen sich als Heilmittel in Marokko das Feuer +erfreut, liegt eben darin, dass in vielen Fällen recht gute +Erfolge erzielt werden.</p> +<p>Aber welche Revolution brachte ich unter Fes' Aerzte, als sich +auf ein Mal das Gerücht verbreitete, ich habe "en-nar-bird" +<i>kaltes Feuer</i> und der Segen des kalten Feuers sei bedeutend +grösser. Ich fürchtete, da, alle Patienten zu mir kamen, +um sich mit <i>kaltem Feuer</i><a href="#F051"><sup>51</sup></a> brennen zu +lassen, dass meine Collegen irgend etwas gegen mich unternehmen +würden, und obschon ich noch Vorrath von +<i>Höllenstein</i> hatte, gab ich vor, das kalte Feuer sei zu +Ende, und schickte von da an alle Kranke, die sich brennen lassen +wollten, zu meinen würdigen Collegen.</p> +<blockquote><a name="F051" id="F051"></a>[Fußnote 51: Lapis +infernalis.]</blockquote> +<p>Ebenso erzielte ich später mit spanischem Fliegenpflaster +wenn nicht Erfolge, so doch das grösste Renommé. Der +Marokkaner liebt es sich selbst zu quälen mit starken Mitteln, +und wenn ein Zugpflaster nach vierundzwanzigstündigem Liegen +auf dem Rücken, auf dem Bauche oder auf dem Kopfe (der +Marokkaner trägt den Kopf ganz glatt rasirt) eine mächtige mit +Wasser gefüllte Blase bildete, war er zufrieden, einerlei ob +er geheilt war oder nicht. Merkwürdig genug, obschon +überall in Marokko die spanische Fliege<a href= +"#F052"><sup>52</sup></a> käuflich zu haben ist, so kennt der Marokkaner +die <i>guten</i> medicinischen Eigenschaften derselben nicht. Sie +dient nur dazu Begierden anzustacheln, indem Cantharidenpulver mit +anderen Gewürzen und Haschisch durch Honig oder Zucker zu +einer Paste verbunden wird, Madjun genannt, welche sie angeblich +gegen Impotenz einnehmen oder auch um die Potenz zu erhöhen. +Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, welch' entsetzliche Folgen +oft aus dem Genuss dieses Madjun entspringen.</p> +<blockquote><a name="F052" id="F052"></a>[Fußnote 52: In den +sumpfigen Niederungen von L'Areisch kommt die spanische Fliege +häufig vor.]</blockquote> +<p>Lungenkrankheiten, namentlich Tuberculose sind in Marokko fast +ganz unbekannt, leichtere Affectionen dieser Art werden nur durch +Amulette geheilt, d.h. man lässt die Natur walten.</p> +<p>Ein allgemeines Uebel ist noch Wassersucht in ihren +verschiedenen Vorkommnissen. Die Ursache dazu liegt wohl zum Theil +in der mangelhaften Kleidung, wo bei plötzlich eintretender +Kälte oder schnell wechselnder Witterung, die +Hautausdünstungen nicht mehr regelrecht vor sich gehen +können und Unterdrückung des Schweisses stattfindet. Zum +Theil ist, und dies gilt namentlich von den Städtern, durch +die vielen heissen Bäder die Haut äusserst empfindlich +geworden. Syphilitische Einflüsse mögen zur +Häufigkeit der Hydropsie auch noch mit beitragen. Viele +Eingeborene schreiben auch einer bestimmten Oertlichkeit und deren +Trinkwasser die Ursache zu; so steht das Trinkwasser von Tanger im +Rufe, Wassersucht zu erzeugen, ob mit Recht, lasse ich dahin +gestellt sein. Vernünftig genug wendet man in diesem Falle +Purgantien an, ohne indess allein mit diesen eine Heilung +herbeiführen zu können. Diuretica sind nicht +gebräuchlich. Ebensowenig ist die Paracentese bekannt.</p> +<p>Eine Abzapfung, die ich in Tafilet bei einer alten Frau mit +einer gewöhnlichen Schusterahle und eigends dazu angefertigten +Cannule aus Blech machte, hatte den besten Erfolg: mehrere +Moschee-Eimer Flüssigkeit würden abgezapft, und ich galt +als der erste Arzt der Welt. Als ich ein Jahr später den Ort +wieder besuchte, hatte indess eine neue Wasseransammlung die Frau +getödtet. Da die Einwohner aber nur Gedächtniss für +den augenblicklichen, für sie überraschenden Erfolg +bewahrt zu haben schienen, so war ich dort nach wie vor als ein +wahrer Wunderdoctor von Kranken aller Art überlaufen, so dass +ich wirklich froh war, als ich dem Orte für immer Lebewohl +sagen konnte.</p> +<p>Die levantische Pest, die in früherer Zeit oft genug in +Marokko auftrat, wahrscheinlich eingeschleppt durch die +Mekka-Pilger, und welche der Marokkaner mit dem bezeichnenden Worte +"er ist befallen", oder "davon betroffen" "medrub" ausdrückt, +scheint jetzt seit Langem nicht mehr beobachtet worden zu sein. Die +letzte bedeutende durchs ganze Land verbreitete Pest war im Jahre +1799, im April dieses Jahres starben daran zuerst Leute in Fes und +die Krankheit soll derart gewüthet haben, dass allein in +dieser Stadt 65000(?) Menschen, wenn man Jackson trauen darf, +gestorben sind. Wenn aber eine solche Seuche auftritt, erniedrigt +sich der dünkelhafte Mohammedaner soweit, dass er +demüthig den "Rabiner" bittet, in den Medressen der Juden +öffentliche Gebete zum Aufhören der Krankheit abzuhalten, +und gemeinsam durchziehen Mohammedaner und Juden die Strassen, um +Gott und die Heiligen um Schonung zu bitten. Der Jude muss +hinterher allerdings büssen, der glaubensstolze Mohammedaner +erinnert sich, dass er sich so weit erniedrigte, mit Juden +gemeinschaftliche Sache gemacht zu haben, und wehe dem Juden, der +sich dann unter Mohammedaner wagt. Mittel sind keine in Gebrauch, +man kennt nur das resignirte Sichdreingeben.</p> +<p>Merkwürdigerweise kommt Typhus nur selten und an bestimmte +Oertlichkeiten gebunden, Hundswuth aber nie vor. Typhus, Ruhr, +Dysenterien, die der Marokkaner kaum von einander unterscheidet, +werden stets mit Olivenöl, innerlich getrunken, behandelt. +Fehlt das Oel, so wird es durch ungesalzene flüssige Butter +ersetzt. Man zwingt den Kranken, Oel hinabzutrinken bis zu zwei +Flaschen des Tags. Wirklich habe ich nach diesem Mittel manchmal +Heilung eintreten sehen; wage aber nicht zu sagen, ob es die Natur +oder das Oel waren, welche Heilung bewerkstelligt hatten.</p> +<p>Dass die Hundswuth bei den Hunden in Marokko noch nie beobachtet +worden, ist wieder eine Bestätigung, dass rohes Fleisch +fressende Hunde nicht spontan von dieser Krankheit befallen +werden.</p> +<p>In neuerer Zeit ist mehrfach Cholera in Marokko beobachtet +worden, so noch im Jahre 1860, wo sie in verschiedenen Städten +des Innern zahlreiche Opfer forderte. Der Marokkaner hat keinen +Namen für diese Krankheit und man sagte mir, es sei eine Art +vom medrub (Pest). Man begnügt sich damit, sobald man von der +Krankheit befallen ist, zu sagen: "Gott ist der Grösste" oder +"es stand geschrieben".</p> +<p>Gemüths- und Geisteskrankheiten kommen in Marokko selten +vor: im ganzen Lande ist nur ein Gebäude, um Tobsüchtige +aufzunehmen. Leichte Fälle von Gemüthskranken lässt +man frei umherlaufen, sie werden als Heilige verehrt. Und die +Tobsüchtigen, d.h. solche, welche ihre Mitmenschen +schädigen, werden, sind sie in oder in der Nähe der +Hauptstadt in ein eigenes Gebäude in Fes eingesperrt, von +einer medicinischen Behandlung ist aber nicht die Rede; das Haus +ist weiter nichts als ein Gefängniss für jene +Unglücklichen.</p> +<p>Die durchnarbten Gesichter der Marokkaner allein geben +hinlänglich Zeugniss, wie mächtig in diesem Lande zu +Zeiten die Blattern (Djidri genannt) herrschen. Für diese hat +man nur Amulette in Gebrauch.</p> +<p>Prophylaktisch übrigens kennen die Marokkaner die +Kuhpockenimpfung, welche Heilart, wie die Marokkaner behaupten, +ihre arabischen Vorfahren schon von ihrer Heimathsinsel mit +hergebracht haben. Die Vaccination wird leider in Marokko gar nicht +regelmässig vorgenommen, der Mohammedaner ist viel zu sehr +Fatalist, als dass er, ohne dazu gezwungen zu sein, aus freiem +Antriebe zu einem solchen Schutzmittel greifen sollte. In den +arabischen Triben, wo man vaccinirt, wird folgendes Verfahren +angewandt: Mit einer geschärften Kante eines Feuersteins +werden die Zwischenräume der Finger an deren Wurzeln geritzt, +gewöhnlich nimmt man nur die rechte Hand, weil die linke an +und für sich als unrein gilt. Die Lymphe wird direct von der +Kuh genommen, und man hat Acht, dieselbe wohl einzureiben. +Uebertragen der Lymphe von dem Menschen auf den Menschen kennt man +nicht.</p> +<p>Wie in früheren Jahren die Pest öfter in Marokko und +zwar bedeutend allgemeiner auftrat, so auch der Aussatz. Lepra +orientalis, bekannt in Marokko unter dem Namen Djidam, kommt in den +nördlichen Theilen von Marokko fast gar nicht vor. Allerdings +begegnet man in Fes, Mikenes und anderen nördlichen +Städten Leuten mit Elephantiasis; ob aber diese Krankheit +immer Folge des Aussatzes ist, wage ich nicht zu behaupten. Die mit +Elephantiasis Behafteten leben überdies nicht abgesondert von +der übrigen Menschheit, sondern verheirathen sich mit +Gesunden. Meistens aber wird dann beobachtet, dass von den Kindern +einer solchen Ehe, eines oder das andere angeborene Elephantiasis +besitzt.</p> +<p>Die Leprösen dürfen aber nur unter sich heirathen, sie +dürfen keine Stadt bewohnen, sondern müssen sich immer im +Freien aufhalten.<a href="#F053"><sup>53</sup></a> Da Niemand etwas von +ihnen kaufen würde, treiben sie kein Handwerk oder Gewerbe, +sie leben von den Almosen ihrer Mitmenschen. Man findet sie einzeln +oder in Familien am Wege, schon von Weitem rufen sie dem +Vorbeikommenden "Medjdum", d.h. ein mit Aussatz Behafteter, zu, +stellen ein Tellerchen an den Weg und das Almosen in Geld oder in +Lebensmitteln wird hinein geworfen. Einzelne grössere +aussätzige Familien besitzen sogar Heerden und ackern.</p> +<blockquote><a name="F053" id="F053"></a>[Fußnote 53: Bei der +Stadt Marokko ist ein eigenes Dorf für Aussätzige und die +Insassen dieses Dorfes heirathen freilich nur unter sich, im +Verkehr haben sie übrigens die grösste Freiheit mit den +übrigen Bewohnern.]</blockquote> +<p>Was das Aeussere dieser ausgestossenen Menschen anbetrifft, so +zeigen sie manchmal über den ganzen Körper die +widerlichsten weissen Flecke, anderen fehlen einige Partien, die +Nase, die Ohren, Augen, noch andere zeigen Jauchen absondernde +Wunden, von wulstiger und verdickter Haut umgeben, Krusten und hart +anzufühlende Beulen bedecken oft den ganzen Körper. Oft +aber ist bei einem Aussätzigen von alle dem nichts zu sehen, +man bemerkt keine einzige der angegebenen Erscheinungen, er hat +äusserlich vollkommen das Aussehen eines gesunden +Menschen.</p> +<p>Nach der Meinung der Marokkaner verursacht der Genuss des +Arganöls (Oel vom Baume des Elaeodendron Argan, der auf den +westlichen Abhängen des grossen Atlas wächst) diese +Krankheit oder begünstigt dieselbe. Ob dies der Fall ist, wage +ich nicht zu bestätigen. Die in Mogador und Asfi lebenden +Europäer haben nichts von einer solchen Wirkung dieses Oels +gemerkt; und was dagegen spricht, ist das, dass in der Provinz Abda +und Schiadma, wo doch hauptsächlich der Arganbaum wächst, +gar keine Lepröse anzutreffen sind, während andererseits +in Haha, wo ebenfalls der Argan vorkommt, die meisten +Aussätzigen anzutreffen sind. Auffallend ist, dass die Kranken +als Linderung ihrer Schmerzen innerlich einen Absud der +Arganblätter nehmen, und auch äusserlich auf offene +Wunden zerstampfte Arganblätter legen. Ein Teig aus +Henne-Blättern<a href="#F054"><sup>54</sup></a> mit Erde gemischt wird +ebenfalls zu Verband bei den offenen Geschwüren gebraucht.</p> +<blockquote><a name="F054" id="F054"></a>[Fußnote 54: +Lawsonia inermis, L.]</blockquote> +<p>Krätze kommt überall vor, aber weniger, als man bei +dem entsetzlichen Schmutze, an dem diese Völker Gefallen +finden, denken sollte. Aus Krätze wird nicht viel Wesen +gemacht, und Heilung wird erzielt durch kräftige Einreibung +von brauner Schmierseife und Sand; Schmierseife wird überall +in Marokko fabricirt, zu halben Theilen von beiden eingerieben, +habe ich selbst Heilung bei verschiedenen Fällen erfolgen +sehen.</p> +<p>Eine ungleich widerlichere Krankheit und äusserst +verbreitet ist der Kopfgrind. Meistens sind die Knaben damit +behaftet, im Alter von zwanzig Jahren verliert er sich von selbst. +Ob die Tinea in Marokko Folge des Rasirens ist (jeder +männliche Marokkaner trägt den Kopf von frühester +Jugend an, rasirt), ist wohl anzunehmen. Der Reiz, der dadurch +entsteht bei ganz jungen Kindern, monatlich und noch öfter mit +halbscharfem Messer die Haare dicht über der Wurzel zu +entfernen, oft abzureissen, kann wohl Veranlassung zu einer solchen +Krankheit geben. Bei den Mädchen beobachtet man Grind sehr +selten. Man braucht gegen diese Krankheit gar nichts, und sie ist +so allgemein, dass Niemand in der Gesellschaft eines Grindigen +Abscheu oder Ekel empfindet. Nach dem zwanzigsten Jahre sind die +Meisten der Mühe, ihren Kopf zu rasiren, überhoben, da +die Krankheit im Kindesalter sie ihrer sämmtlichen Haare +beraubt hat.</p> +<p>Von Parasiten kommen nur Kopf- und Kleiderläuse vor, beide +haften an jeder Frau, während die männliche +Bevölkerung nur den Pediculus vestimenti<a href= +"#F055"><sup>55</sup></a> cultivirt, da sie in der Regel kein Kopfhaar hat, +diejenige männliche Jugend indess, welche einen Zopf +trägt, hat auch Kopfläuse. Der Pedic. pubis ist nirgends +anzutreffen, weil sich Alle, sowohl die männliche als die +weibliche Bevölkerung, diejenigen Partien des Körpers, wo +derselbe vorzukommen pflegt, rasirt erhalten.</p> +<blockquote><a name="F055" id="F055"></a>[Fußnote 55: Von dem +Pedic. vestimenti existiren in Marokko mehrere Arten.]</blockquote> +<p>Wurmkrankheiten sind selbstverständlich auch im Lande. +Obschon die Lebensweise und Nahrung sehr förderlich für +diese Entozoen sein muss, hört man doch selten darüber +klagen. Spul- und Madenwürmer, eine häufige Erscheinung, +werden behandelt durch eine Abkochung von Sater (Thymian<a href= +"#F056"><sup>56</sup></a>) und Kelil (Rosmarin<a href="#F057"><sup>57</sup></a>), +denen noch andere starkduftende Kräuter zugesetzt werden. Aber +auch durch eine Decoction der Wurzel der Rtemwurzel (Genista +Saharae). Genannte beide bilden indess Hauptbestandteile. Taenia +Solium, der auch vorkommt, wird (nach den Aussagen der +marokkanischen Collegen) erfolgreich derart behandelt, dass man +zuerst eine Portion Haschisch (Cannabis ind.) geniesst und +später, wenn der Wurm berauscht ist, ihn durch irgend ein +Purgirmittel abtreibt. Als Dose wurde angegeben ein Esslöffel +voll pulverisirten und gedorrten Haschichkrautes [Haschischkrautes] +<a href="#F058"><sup>58</sup></a>, und als Abführungsmittel haben sie +eine Zusammensetzung aus Sennesblättern (wächst wild im +südlichen Marokko), Schwefel und Aloës, welches innerlich +gegeben wird. Der Guineawurm kommt äusserst selten vor, und +dann nur von Schwarzen aus dem Süden eingeschleppt. Die +Behandlung desselben, sowie sie von den Schwarzen in Centralafrika +practicirt wird, ist in Marokko nicht bekannt.</p> +<blockquote><a name="F056" id="F056"></a>[Fußnote 56: Thymus +hyrtus, Willd.]</blockquote> +<blockquote><a name="F057" id="F057"></a>[Fußnote 57: +Rosmarinus offic.]</blockquote> +<blockquote><a name="F058" id="F058"></a>[Fußnote 58: +Allerdings eine starke Dosis.]</blockquote> +<p>Nicht nur der ungeheure Schmutz, in dem sich alle +nordafrikanischen Völker gefallen, sondern auch Oertlichkeiten +und Klima haben Augenkrankheiten von je her in Marokko +begünstigt. Und je mehr man nach dem Süden kommt, desto +häufiger werden dieselben, bis man in den Oasen der grossen +Sahara die Bevölkerung derart von Augenleiden aller Art +afficirt findet, dass ein Individuum mit beiden gesunden Augen +schon zu <i>Ausnahmen</i> gehört. Wie der Staub auch sein mag, +ob ihn der Gebli oder Samum aufwirbelt, ob er im Norden mehr mit +animalischen oder vegetabilischen Atomen, im Süden des Atlas +mit anorganischen, mikroskopisch kleinen Theilen geschwängert +ist, immer wirkt er gleich schädlich auf die Augen.</p> +<p>Es hat dies zur Folge, dass Hornhautkrankheiten alltägliche +Erscheinungen sind. Chronische Hornhautentzündung nennt der +Marokkaner Bu Tillis, d.h. den Vater des Schleiers. Manchmal heilen +sie derartige Fälle im Entstehen dadurch, dass sie Feuer im +Nacken, an den Schläfen, hinter den Ohren örtlich +anwenden. Meist aber enden alle Augenkrankheiten mit Erblinden. +Citronensaft und Wasser gemischt und in die Augen getröpfelt, +wird häufig genug angewandt. Auch Antimon (Kohöl) ist in +vielen Gegenden Gebrauch; es wird dies im Atlas gefundene Metall, +dessen sich alle Frauen nicht nur Marokko's, sondern ganz +Nordafrika's als Schönheitsmittel bedienen, und das auch +unsere Theaterdamen, um den Glanz der Augen zu erhöhen, +anwenden, oft mit Erfolg gebraucht. Man bestreicht mit Kohöl +die Augenlider, mittelst eines feinen Holzspatels und unzweifelhaft +hat dies Mittel gute Präservativeigenschaften bei dort +herrschenden Augenkrankheiten. Als Arzneimittel wird es deshalb +auch vielfach von den Männern gebraucht. Die Wirksamkeit des +Spiesglanzes als Präservativmittel erhellt schon daraus, dass +bei weitem mehr Männer von Augenkrankheiten betroffen werden +als Frauen. Als äusserstes Mittel gegen +Augenkrankheiten<a href="#F059"><sup>59</sup></a> führe ich noch an, +dass in einigen Orten pulverisirter Pfeffer in die Augen geblasen +wird.</p> +<blockquote><a name="F059" id="F059"></a>[Fußnote 59: Ich +bediene mich dieses allgemeinen Ausdrucks, da der Marokkaner nicht +unterscheidet, ob die Hornhaut, die Lider, der Augapfel, die +Liderhaut etc. erkrankt ist, sondern alles dies Augenkrankheit, +Mrd-el- aiun, nennt.]</blockquote> +<p>Von inneren Mitteln gegen Augenkrankheiten ist natürlich +keine Spur vorhanden, als ich einige Male versuchte durch Calomel, +innerlich gegeben, oder durch Purgantien Ableitungen +herbeizuführen, wurde mir ernstlich gesagt, mit solchen +Mitteln aufzuhören: "nicht der Bauch sei erkrankt, sondern die +Augen".</p> +<p>Schwarzer und grauer Staar sind unter einer Bevölkerung, +bei der fast jedes Individuum augenkrank ist, nichts Seltenes, und +merkwürdig genug, giebt es in Marokko einige Familien, die +sich damit beschäftigen, Staaroperationen und zwar mit Erfolg +auszuüben. Diese Familien sind vorzugsweise auf dem +<i>grossen</i> Atlas ansässig, die Fähigkeit den Staar zu +stechen geht vom Vater auf den Sohn über, der natürlich +bei jenem in die Lehre geht. Die beiden Doctoren-Staarstecher, die +ich kennen lernte, waren Berber ihrer Abkunft nach. Ohne sich mit +anderen Krankheiten zu beschäftigen, verschmähten sie es +sogar, andere Augenkrankheiten als Staarerblindungen in Behandlung +zu nehmen. Sie machten für dortige Verhältnisse gute +Geschäfte und man würde sie wirklich als gute +Specialärzte haben hinstellen können, wenn sie die +Fähigkeit gehabt hätten, irgend wie eine Diagnose zu +stellen, geschweige von einer Prognose zu reden. Aber da kam es oft +genug vor, dass irgend eine andere Krankheit der inneren Theile des +Auges, wohl gar Gutta serena mit Gutta opaca verwechselt wurde. Da +ich nicht selbst der Operation eines Staares beigewohnt habe, so +kann ich nur anführen, dass mittelst eines glattgeschliffenen +nadelförmigen Instruments der Einstich, nach Aussage der +Staardoctoren, <i>seitwärts</i> gemacht wird, dass nach der +Beschreibung sodann die Linse zerstückelt wird, um später +resorbirt zu werden. Eine Extraction oder Depression der Linse war +offenbar diesen Leuten nicht bekannt.</p> +<p>Sehen wir, wenn es auf eine chirurgische Operation ankommt, wie +bei der Staarstechung, die Heilkunde auf einer bedeutend +höheren Stufe als bei <i>inneren</i> Krankheiten, so ist das +im Allgemeinen in der Chirurgie auch der Fall. Es ist dies auch +ganz natürlich. Bei Verwundungen, bei äusseren +Verletzungen kennt auch der gewöhnliche Mensch gemeiniglich +die <i>Ursache</i>, er kann es dann bedeutend leichter unternehmen, +eine Heilung zu versuchen. Und nicht nur in ganz uncivilisirten +Ländern, oder in halbcivilisirten wie Marokko, auch in den am +weitesten in der Cultur vorgeschrittenen findet man, dass die +Chirurgie auf einer höheren Stufe steht als die Heilkunde +innerer Krankheiten.</p> +<p>Reine Hiebwunden, die durch das fast überall geübte +Faustrecht so häufig unter den Bewohnern Marokko's vorkommen, +werden entweder mit einem Teig verbunden, der aus Henne (Lawsonia +inermis) und Chobis (Malva parviflora) geknetet wird, oder man +verbindet die Wunden mit geschmolzener salzloser Butter, in welche +vorher, sobald die Butter siedend ist, ein Säckchen mit Schih +(Artemisia odorif.) getaucht worden ist. Hierdurch bekommt die +Butter einen starken aromatischen Gehalt, nimmt einen fast +Kölnischem Wasser gleichenden Geruch an, der später +selbst nicht vom übelstriechenden Eiter verdrängt wird. +Wunden auf diese Art behandelt, nehmen fast immer einen guten +Verlauf. In vielen Gegenden verbindet man die Wunden mit +Rinderkoth, namentlich nomadisirende Stämme glauben an die +Heilkraft der verdauten Kräuter.</p> +<p>Verwundungen, welche die Knochen verletzen, einerlei ob sie +durch Kugeln oder Hiebwunden herrühren, werden auf gleiche Art +rationell behandelt. Ist eine vollkommene Knochenzerschmetterung +vorhanden, so wird ein <i>fester</i> Verband angelegt, um die +Heilung der zerschmetterten Knochen mittels Callusbildung +herbeizuführen. Man kümmert sich nicht um Herausziehen +der Knochensplitter oder Kugelstücken<a href="#F060"><sup>60</sup></a>, +so schnell wie möglich wird der Verband angelegt. Eine aus +Ziegen- oder Schafleder bestehende Binde, die ihren Halt durch +kleine Rohrstäbchen, die hineingenäht werden, bekommt, +wird um die verletzten Theile gelegt und das Ganze dann mit Thon +umkleistert. Ein solcher Verband soll nach den Regeln der dortigen +Chirurgie 28 Tage liegen bleiben. Das einzige Misslingen bei diesem +Verbande liegt darin, dass nicht gehörig für Eiterabfluss +gesorgt wird, und dadurch für den Patienten oft missliche +Zustände eintreten.</p> +<blockquote><a name="F060" id="F060"></a>[Fußnote 60: Man +ladet meistens mit zerhacktem Blei.]</blockquote> +<p>Fracturen werden ebenfalls durch festen Verband geheilt, ohne +dass man aber vorher einrichtet. Natürlich werden dabei meist +schiefe Heilungen erzielt, und oftmals sieht man Röhrenknochen +die Weichtheile durchbohren, und es entstehen dann für immer +offene Wunden. Nie fällt es ein irgend wie zu amputiren. Der +Marokkaner hält das für sündhaft. Die durch die +Gerechtigkeit abgehauenen Hände oder Füsse werden +sorgfältig vergraben, weil sie sonst am Auferstehungstage +fehlen könnten, und die Stümpfe werden in siedende Butter +oder kochendes Oel getaucht, um die Blutung zu stillen. +Verrenkungen einrichten kennt man nicht, so dass gewöhnliche +Folge eine schmerzhafte Entzündung mit oft bösem Ausgang +ist. Natürlich ist selbst bei schwersten Verwundungen von +einer inneren Behandlung nie die Rede, aber Amulette, +Zaubersprüche u. dergl. m. sind auch hier an der +Tagesordnung.</p> +<p>Was die Geburtshülfe anbetrifft, so ist es schwer +darüber nur das Geringste anzugeben, da nur Frauen als +Beistand geduldet werden. Die Wendung sowie die Zange sind +unbekannt, einzelne Praktiken, die mir erzählt wurden, sind zu +abgeschmackt, als dass ich sie hier wiedergeben sollte. Nur so viel +kann ich bezeugen, dass einst meine Hauswirthin in einer kleinen +Oase der Wüste, Nachts mit einem Kinde niederkam und am andern +Morgen trotzdem ihre gewöhnliche Beschäftigung +verrichtete.</p> +<h2><a name="K06" id="K06"></a>6. Uesan el Dar Demona.</h2> +<p>Es giebt Bücher genug, die über Marokko handeln, und +keine Geographie älteren oder neueren Ursprungs +unterlässt es, irgend ein Capitel diesem Reiche zu widmen; +aber wie Afrika im Allgemeinen noch heute ein Terra incognita +für uns ist, so ist von all den Staaten, welche an den +Küsten liegen, namentlich an den Küsten des Mittelmeers, +kein Land so wenig bekannt wie Marokko und von allen Städten +in Marokko ist Uesan die unbekannteste. So sehen wir denn auch, +dass ein Hemsö, Ali Bey, Richardson und Renou nur ganz +oberflächlich des Ortes Uesan im Vorübergehen +erwähnen.</p> +<p>Ali Bey verlegt Uesan auf den 24° 42' 29" N. Br. und 7° +55' 10" L. von Paris, Renou, der die Breite gelten lässt, +glaubt aber Uesan die Länge von 7° 58' geben zu +müssen. Dieselbe Position finden wir auch auf Petermanns +trefflichen Karten von Marokko<a href="#F061"><sup>61</sup></a>. Bis +genauere Messungen an Ort und Stelle angestellt sind, können +wir uns auch einstweilen recht gut daran halten. Die Stadt Uesan +liegt etwa 900 Fuss über dem Meeresspiegel, erfreut sich also +unter diesen Breiten eines äusserst günstigen Klimas.</p> +<blockquote><a name="F061" id="F061"></a>[Fußnote 61: +Mittheilungen, Jahrg. 1865.]</blockquote> +<p>Vortheilhafter wird die Lage noch dadurch, dass die Stadt am +Fusse des mächtigen und zweigipfligen Berges Bu-Hellöl +aufgebaut ist. Dieser herrliche Berg, dessen ganze Nordseite von +der Stadt an bis zum Gipfel zum Theil mit Oliven, zum Theil mit +immergrünen Eichen und Wachholder bewaldet ist, hält +wirksam die heissen Südwinde ab, während er zugleich den +regentragenden Nord- und Nordwestwinden einen Damm +entgegensetzt.</p> +<p>Der ganze Gebirgscomplex, der sich um Uesan herumzieht, steht im +innigen Zusammenhange mit dem sogenannten kleinen Atlas. Ersteigt +man den Bu- Hellöl, so sieht man über die Rharbebenen +hinweg die blauen Fluthen des atlantischen Oceans, während +andererseits nach Norden und Osten der Blick eine vollkommen +zusammenhängende Gebirgslandschaft vor sich hat bis zu den +zackigen Berggipfeln, der Habib, der Srual, der Schischauun und in +erster Nähe der Erhona.</p> +<p>Es scheint, dass Uesan von einem Nachkommen Mulei Edris, Namens +Mulei Abd- Allah Scherif, etwa um das Jahr 900 n. Chr. als Sauya +gestiftet wurde. Da nun Edris der Gründer der Stadt Fes als +der directeste Nachkömmling des Propheten angesehen wird, so +ist seine männliche Nachfolge in erster Linie noch heute in +demselben Ansehen. Aus diesem Grunde sind die Schürfa von +Uesan, d.h. die Edrisiten, bedeutend heiliger gehalten als die +übrigen von Mulei Ali stammenden, wozu die Familie des Sultans +gehört.</p> +<p>Dennoch haben aber diese Vorrechte genug, und was der +kaiserlichen Familie an Heiligkeit directer Abkunft abgeht, ersetzt +sie eben dadurch dass sie die regierende ist. Bei den Mohammedanern +nun ist aber das Heiligsein ganz anders als bei uns Christen.</p> +<p>Mein seltsamer Anzug, halb christlich, halb mohammedanisch, +hatte rasch einen Haufen Neugieriger herbeigezogen, mein Begleiter +und ich wurden umdrängt und befragt, wer ich sei, was ich +wolle, woher ich komme, wohin ich wolle u. dergl. unverschämte +Fragen mehr. Es ist vollkommen falsch, wenn man glaubt der +Mohammedaner sei schweigsam, ernst und nicht neugierig; in Afrika +habe ich überall das Gegentheil erfahren. Manchmal freilich +mag der Vornehme, der Mann vom "grossen Zelte," sich gegen Christen +so zurückhaltend benehmen, aber nie gegen seines Gleichen. Und +man erinnere sich, dass ich als Mohammedaner reiste.</p> +<p>Nachdem die Neugier befriedigt und nachdem namentlich die Menge +beruhigt war über meinen Glauben, d.h. nachdem ich auf ihre +Aufforderungen zum "Bezeugen" mehrere Male "es giebt nur Einen Gott +und Mohammed ist sein Gesandter" geantwortet hatte, sagten sie aus, +"Sidi" befände sich mit den Schürfa und Tholba im Rharsa +es Ssultan, so hiess man Garten und Gartenhaus des +Grossscherifs.</p> +<p>Man kann sich denken, mit welcher Spannung ich der ersten +Zusammenkunft mit diesem Manne, der in den Augen der meisten +Marokkaner höher als Gott, ja höher als der Prophet +gehalten wird, entgegen sah.</p> +<p>Meine Begleiter und ich gingen also nach seinem Landsitze, der +sich bald, er liegt nur ca. 5 Minuten ausserhalb der Stadt, unseren +Blicken zeigte. Wie erstaunt war ich, ein Haus halb im +neuitalienischen, halb im maurischen Style zu erblicken. Dort ist +Sidna,<a href="#F062"><sup>62</sup></a> sagte man mir. Aus den Fenstern des +oberen Stockes sah ich eine Menge Neugieriger herabgucken, vorne +stand ein junger Mann in französischer Capitäns-Uniform +mit dem Degen an der Seite, ein langes Fernrohr in der Hand. Jetzt +rasch durch ein hohes gewölbtes Steinthor in den Garten +tretend, befanden wir uns bald vor der Hauptthür, welche +direct auf eine enge und so niedrig gebaute Treppe ging, dass jeder +nur etwas grosse Mann sich bücken musste, um +hinaufzuschreiten. Oben angekommen, riefen uns mehrere uniformirte +Sklaven ein "Okaf" (Halt) entgegen, das aber gleich vom lauten +"sihd" (marokk. Ausruf, bedeutend "tritt näher") des +Grossscherifs übertönt wurde.</p> +<blockquote><a name="F062" id="F062"></a>[Fußnote 62: Der +Titel Sidna, d.h. "unser Herr," kommt eigentlich nur dem Sultan zu. +Jeder Scherif hat den Titel sidi oder mulei, was "mein Herr" +bedeutet Tholba, d.h. Schriftgelehrte, Standespersonen, Beamte, +haben den Titel "sid," was Herr bedeutet. Der Plural von mulei, +muleina, wird nur Gott und dem Propheten gegeben.]</blockquote> +<p>Mein Begleiter prosternirte sich, küsste die gelben Stiefel +Sidi-el-Hadj- Abd-es-Ssalam's, und berichtete dann über mich. +Ich selbst begnügte mich, seine dargebotene Hand (der +Grossscherif sass auf einem Teppich in einer Ecke des Zimmers) zu +ergreifen, und sodann führte ich die meine an Stirn und Mund. +Unter der Zeit hatte ich Musse, ihn und seine Umgebung zu +betrachten.</p> +<p> +Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam-ben-el-Arbi-ben-Ali-ben-Hammed-ben-Mohamméd-ben- +Thaib<a href="#F063"><sup>63</sup></a>, wie sein ganzer Titel lautet, war +(1861) etwa 31 Jahre alt; von fast zu hoher Statur, wurde das +Ebenmaass seines Körpers durch eine angenehme Wohlbeleibtheit +hergestellt. Sein Teint ist stark gebräunt, und auch etwas +dick aufgeworfene Lippen deuteten auf Negerblut, wie denn in der +That seine Mutter aus Haussa stammte. Eine gerade Nase, ein feurig +schwarzes Auge, im Ganzen ein längliches Gesicht, so +präsentirte sich der Mann, dem von fast der ganzen +mohammedanischen Welt eine abgöttische Verehrung gezollt wird. +Seine Bekleidung bestand in einer weiten skendrinischen<a href= +"#F064"><sup>64</sup></a> rothen Tuchhose, einem französichen +[französischen] Waffenrock mit französischen Epauletten, +auf dem Kopfe hatte er einen tunesischen Tarbusch mit schwerer +goldener Troddel. An der Seite trug er einen äusserst +schön gearbeiteten Degen, wie ich später erfuhr, ein +Geschenk vom General Prim.</p> +<blockquote><a name="F063" id="F063"></a>[Fußnote 63: In +seinen Briefen titulirt sich Abd-es-Ssalam bis zum Grossvater, +Thaib, seines Urgrossvaters Hammed hinauf, weil Mulei Thaib der +Erneuerer der religiösen Gesellschaft der Thaib gewesen ist, +in ganz Nord- Afrika die allergrösste religiöse +Genossenschaft. Seines marokkanischen Ahnen Mulei Edris, oder des +Gründers der Sauya Uesan, Mulei Abd Allah Scherif, wird in den +Briefen nicht Erwähnung gethan.]</blockquote> +<blockquote><a name="F064" id="F064"></a>[Fußnote 64: +Skendrinischen = Alexandrinischen.]</blockquote> +<p>Eine goldene Schärpe, die er um hatte, enthielt zugleich +einen Revolver vom System Lefaucheux, der überdies mittelst +einer rothseidenen Schnur um den Hals befestigt war. +"Merkwürdig," dachte ich, "den Mohammedanern ist durch den +Koran verboten, Gold und Seide auf ihren Kleidern zu tragen, und +nun sehe ich den directesten Sprössling des Propheten damit +überladen.["] Die übrigen Anwesenden bestanden zum Theil +aus nahen Anverwandten, also ebenfalls Abkömmlingen +Mohammed's, dann aus Tholba, endlich aus vielen Fremden von +vornehmer und geringer Herkunft. Ueberdies ging es ohne Unterlass +aus und ein, da ging kein Mann oder keine Frau aus dem Gebirge +vorbei (das Gartenhaus lag an einer sehr frequenten Strasse), ohne +rasch heraufzuspringen, um den Grossscherif zu küssen und um +einige Mosonat<a href="#F065"><sup>65</sup></a> niederzulegen. Da kamen +Processionen von Ferne, um den uld en nebbi (Sohn des Propheten) zu +besuchen, von diesen wurde nur der "Emkadem" (geistige Vorsteher +und Hauptgeldeinsammler) vorgelassen, die anderen aber einstweilen +fortgeschickt, um in die für Fremdenaufnahme eingerichteten +weiten Hallen der Sauya in Uesan einquartiert zu werden und um +später en bloc den Segen zu empfangen.</p> +<blockquote><a name="F065" id="F065"></a>[Fußnote 65: Mosona, +eine imaginäre marokkanische Münze, besteht aus 6 flus, +pl. von fls. Ein fls. ist ungefähr gleich einem +französischen Centime.]</blockquote> +<p>Sidi winkte; gleich darauf brachte ein kleiner uniformirter +Neger Namens Zamba eine silberne Platte, darauf stand ein silberner +Theetopf, eine Schale mit grossen Stücken Zucker, eine +Theebüchse, und, ausser den sechs üblichen kleinen +Theetassen, ein Glas, woraus Sidi seinen Thee nehmen sollte. Alles +dieses wurde vor den Sidi zunächstsitzenden Scherif, einen +schon älteren Mann, Namens Sidi el Hadj Abd-Allah, gesetzt, +und dann ging die Bereitung des Thees vor sich.</p> +<p>Der Hadj Abd-Allah nahm eine tüchtige Hand voll grünen +Thees, warf ihn in den Topf, während ein anderer kleiner +Neger, Ssalem, schon das siedende Wasser in Bereitschaft hielt; der +erste geringe Aufguss diente nur dazu, den Thee zu reinigen. Sodann +wurde eine tüchtige Portion Zucker in den Topf geworfen, und +nun derselbe mit kochendem Wasser gefüllt. Unter der Zeit +hatte der Hadj auch schon einige aromatische Kräuter in +Bereitschaft, als Minze, Wermuth und Luisa, die noch obendrein +hineingeworfen wurden. Nach einiger Zeit wurde sodann für Sidi +ein Glas gefüllt, nachdem jedoch vorher der Hadj Abd-Allah +mehrere Male durch Kosten sich überzeugt, dass der Thee genug +gezuckert sei. Sodann wurden die übrigen sechs Tassen +gefüllt, und sie den Gästen von den beiden kleinen +Sklaven präsentirt; da wohl 30 Leute anwesend sein mochten, +ohne die vielen Besucher, die ab- und zugingen, die meisten auch +drei Tassen tranken, wie es die Sitte erheischt, so kann man sich +denken, dass es ziemlich lange dauerte, ehe Alle, da nur sechs +Tassen vorhanden waren, befriedigt wurden. Es versteht sich von +selbst, dass die Theekanne verschiedene Male wieder +nachgefüllt wurde.</p> +<p>Unter der Zeit wurden die verschiedensten Gespräche +geführt, Sidi wollte vor allem von den politischen +Zuständen in Europa unterrichtet sein, und ich merkte, dass es +ihn ärgerte, dass einige ältere Schürfa mich +fragten, wann, wo und wie ich zum Islam übergetreten, ob ich +auch vollkommen überzeugt sei, dass die mohammedanische +Religion besser sei als die jüdische und christliche, ob ich +auch ordentlich "bezeugen" könne etc.</p> +<p>Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam, der wohl merkte, wie unangenehm mir +solche Fragen sein mussten, sprang auf und winkte zu folgen. Alle +erhoben sich, da er aber auf mich speciell gedeutet hatte, so blieb +die ganze Versammlung im Zimmer und setzte sich wieder, +während er und ich, begleitet von seinen beiden +Günstlingen und einigen Dienern, die einen Teppich, ein +Fernrohr, Doppelflinte etc. trugen, in den Garten hinabgingen.</p> +<p>Diese beiden Günstlinge, Ibrahim und Ali, die den ganzen +Tag nicht von der Seite des Grossscherifs wichen, waren +Ssalami<a href="#F066"><sup>66</sup></a>, d.h. jüdische Renegaten! Der +eine, aus Fes gebürtig, war Schriftgelehrter, und aus freiem +Antrieb übergetreten, Ali aber, aus Uesan gebürtig, war, +wegen Diebstahls verfolgt, in die Sauya geflüchtet, und hatte +sich dann, um der Strafe zu entgehen, mohammedanisirt. Beide trugen +französische Capitäns-Uniform mit weiten Hosen und rothem +Tarbusch. Sie waren beide verheirathet und wohnten sogar beide im +Hause von Sidi, der ihnen je einen Flügel abgesondert +angewiesen hatte. Sie waren zu der Zeit die Personen, die Sidi gar +nicht entbehren konnte, Alles ging durch ihre Hände.</p> +<blockquote><a name="F066" id="F066"></a>[Fußnote 66: Ein vom +Judenthum zum Islam Uebertretender bekommt in Marokko den Namen +Ssalami, d.h. Gläubiger, ein vom Christenthum Uebertretender +bat den Namen Oeldj, d.h. wörtlich christlicher +Sklave.]</blockquote> +<p>Im Garten angekommen, gefiel sich Sidi darin, mir seine +europäischen Einrichtungen zu zeigen; hier war auf einem +Bassin ein Schiffchen mit Rädern, eine Nachahmung der +europäischen Dampfschiffe, dort kostbare Blumen aus Europa und +Amerika, Gewächse feinerer Art, wie sie im übrigen +Marokko unbekannt sind, zwischen denen künstliche +Springbrunnen auf verschiedenste Art Wasserstrahlen auswarfen, +sogar eine kleine Eisenbahn mit Wagen, welche durch ein Radwerk in +Bewegung gesetzt wurde.</p> +<p>"Der Sultan, die Grossen und auch die Schürfa," fing Sidi +an, "wollen nichts vom Fortschritt wissen, deshalb sind wir auch +von den Spaniern geschlagen; wenn ich nur könnte, ich +würde Alles einführen wie es bei den Christen ist, d.h. +vor allem eine feste Gesetzgebung und regelmässiges +Militair."—"Aber, wenn du nur willst, Sidi," erwiederte ich, +"so wird der Sultan auch wollen und müssen."—"Der Sultan +und ich sind beide vom Volk abhängig, und dass ich mich +christlich kleide, was doch die Türken jetzt auch thun, nimmt +man gewaltig übel." Unter diesen Gesprächen waren wir +durch einen blühenden Rosengarten, wo Jasmin und die +köstlich duftende Verbena Luisa mit Heliotropen und Veilchen +ihre Wohlgerüche der Luft spendeten, zu einem prächtigen +Orangenhain gekommen. "Diesen ganzen Garten hat mir der Sultan +geschenkt," sagte Sidi, "oder eigentlich zurückgeschenkt, denn +mein Grossvater, Ali, schenkte ihn seinem Vater." Nach dem +Orangengarten kamen ausgedehnte Olivenpflanzungen, wir drangen bis +dahin durch, kehrten dann zurück, wo wir die Schürfa und +Tholba noch im Zimmer versammelt fanden.</p> +<p>Gleich nach der Rückkehr Sidi's stellten sich Sklaven ein +mit Schüsseln auf dem Kopf. Alles nahm Platz, da wurde zuerst +eine Maida (kleiner Tisch) vor Sidi gestellt, und, nachdem Sklaven +ein messingenes Becken und eine Kanne gebracht, die Hände +abgewaschen. Ein Handtuch, vielleicht hatte es schon einmal als +Hemd gedient, war für Alle zum Abtrocknen bereit. Es bildeten +sich Gruppen: Sidi ass aus einer Schüssel mit 5 oder 6 +Schürfa, hier sass wieder eine Gruppe, dort eine andere, ich +selbst wurde eingeladen, an der Schüssel der beiden +Günstlinge Ali und Ibrahim, zu der ausserdem noch zwei Vettern +von Sidi zugezogen waren, theilzunehmen. Man ass, mit Ausnahme des +Tisches, an dem Sidi sass, mit grosser Hast, um ja nicht zu kurz zu +kommen. Die Speisen waren gut, gebratenes Fleisch, gebratene +Hühner, und bei jeder Schüssel lagen fünf oder sechs +Brode, die vorher gebrochen wurden. So, dachte ich, ass man zur +Zeit Jesu aus einer Schüssel und mit den Händen.</p> +<p>Sidi, der in Frankreich gewesen, konnte es nicht lassen ein paar +Mal herüberzusehen: "Mustafa (diesen Namen hatte ich +angenommen), hast du schon oft mit der Hand gegessen?" fragte er. +"Gott erbarm dich!" rief ein graubärtiger Scherif, "essen denn +die Christenhunde nicht mit der Hand?" "Nein," erwiederte der +Grossscherif, "als ich auf der französischen Fregatte nach +Mekka reiste, ass ich mit einer Gabel." "Gott sei meinem Vater +gnädig," erwiederte jener, "unser Herr Mohammed hat mit der +rechten Hand gegessen, Mohammad ist der Liebling Gottes, und der +Segen Gottes ruht auf seinen Nachkommen." Sidi, wohl um ein +religiöses Gespräch abzuschneiden, rief einen Sklaven, +gab ihm ein saftiges Stück Fleisch, das er vom Knochen +abgelöst hatte: "gieb das Mustafa." Von dem Augenblick, d.h. +seitdem ich aus der Hand Sidi's einen Bissen erhalten hatte, wurde +ich als sein erklärter Günstling angesehen.</p> +<p>Nach beendetem Essen wurde Kaffee herumgereicht, und nachdem man +noch eine Zeitlang gesessen und darauf in Gemeinschaft das l'Asser +Gebet abgehalten war, befahl Sidi sein Pferd. Er bestieg einen +ausgezeichneten Fuchs, die beiden Günstlinge Ali und Ibrahim +hatten nicht minder schöne Pferde zur Verfügung, und nun +ging's heimwärts. Vor den Thoren des Gartens lauerten Haufen +von Menschen, alte und junge, Männer und Weiber, die sich +bemühten, seinen Fuss oder den Saum des Burnus zu +berühren, oder auch nur sein Pferd, denn diesem wird dadurch, +dass der Sohn des Propheten es besteigt, ebenfalls eine Heiligkeit +mitgetheilt, und man kann den Segen herausziehen.</p> +<p>Einige von den Schürfa bestiegen ebenfalls Pferde oder +Maulthiere, die meisten folgten zu Fuss. Unter ihnen war ich; einer +der Emkadem<a href="#F067"><sup>67</sup></a> Sidi's hatte sich meiner Hand +bemächtigt, als ob ich nicht allein gehen könnte, oder um +ja ein von Sidi ihm anvertrautes Gut nicht zu verlieren: "ich soll +für dich sorgen," sagte er, und so betraten wir Uesan el Dar +Demana.</p> +<blockquote><a name="F067" id="F067"></a>[Fußnote 67: +Emkadem, Verwalter oder Intendant.]</blockquote> +<p>Eine enge Strasse führte uns gleich in die eigentliche +Sauya, d.h. das heilige Viertel, das Sidi bewohnt, welches von der +übrigen Stadt durch Mauern und Thore geschieden ist. Denn wenn +auch die ganze Stadt (Uesan el dar demana heisst: Uesan das Haus +der Zuflucht) ein geheiligtes Asyl ist, so ist doch speciell das +Stadtquartier, welches Sidi bewohnt, heilig und unverletzlich. In +diesem Quartier, gleich unterhalb seiner Hauptwohnung, bekam ich im +"Rheat"<a href="#F068"><sup>68</sup></a> einen Pavillon als Wohnung +angewiesen, der einstmals reizend gewesen sein musste, jetzt aber +etwas vernachlässigt aussah.</p> +<blockquote><a name="F068" id="F068"></a>[Fußnote 68: Rheat +heisst eigentlich Blumengarten, Blumenterrasse.]</blockquote> +<p>Dieser Rheat war zur Zeit Sidi-el-Hadj-el-Arbiis, des Vaters des +jetzigen Grossscherifs, ein üppiger Garten gewesen; +künstlich vom Djebel Bu Hellöl hergeleitete Wasser +tränkten die Orangen- und Granatbäume, hübsche +Veranden und Kubben im reinsten maurischen Style erbaut, aufs +prächtigste geschmückt mit Stucco-Arabesken, mit echten +Slaedj<a href="#F069"><sup>69</sup></a> von Fes, standen an den +schönsten Punkten, und von einer jeden hatte man eine +unvergleichliche Aussicht auf die gegenüberliegende +Gebirgslandschaft. Sie dienten dazu, die zahlreichen Pilger +aufzunehmen, eine einzelne Kubba enthielt manchmal hundert solcher +frommer Leute, die monatelang auf mühevollste Art gereist +waren, um Uesan und den Sohn des Propheten zu sehen: hier auf den +Terrassen der Kubben, im Schatten der Arkaden einer Veranda ruhten +sie aus von ihren entbehrungsvollen Wegen, sie schauten auf das +Bild zu ihren Füssen, sie bewunderten die Bauten, vor allem +aber priesen sie Gott, dass er ihnen die Gnade erzeigt habe, +Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam sehen zu können, dass er ihnen die +Gunst gewährt habe, seine Nahrung geniessen zu können, +denn alle Pilger, mochten auch 1000 vorhanden sein, werden zweimal +täglich aus der Küche Sidi's gespeist.</p> +<blockquote><a name="F069" id="F069"></a>[Fußnote 69: Slaedj +sind kleine Fliesen von Thon verschiedenfarbig glasirt, man benutzt +sie um den Fussboden damit zu belegen.]</blockquote> +<p>Zwischen dem Rheat und dem Hauptgebäude befindet sich eine +grosse Djema<a href="#F070"><sup>70</sup></a>, die auch Freitags zum Chotba +benutzt wird; ein freier Platz, auf dem die Pferde Sidi's +angebunden stehen, führte dann aufs Hauptgebäude. Dies +zeigt nach aussen die Thür, welche zu den +Küchenräumen führt, eine Schule, worin die +Söhne Sidi's mit vielen anderen Altersgenossen ihren +täglichen Unterricht erhalten, und eine andere sehr niedrige +Thür, welche zur eigentlichen Wohnung des Grossscherifs +führte.</p> +<blockquote><a name="F070" id="F070"></a>[Fußnote 70: +Marokkanischer Ausdruck für Moschee.]</blockquote> +<p>Man kommt zuerst in einen von zwei Orangenbäumen +beschatteten Hof, auf diesen Hof öffnen sich eine Veranda und +eine reizende Kubba<a href="#F071"><sup>71</sup></a>, deren eine Seite +ebenfalls nach dem Hofe zu offen war. In diesen Räumlichkeiten +empfängt Sidi, und namentlich nach dem Freitagsgebet findet +hier immer ein grosses Essen statt, woran, alle die Theil nehmen, +die mit Sidi gemeinschaftlich das Chotba-Gebet verrichtet haben. +Das eigentliche Wohngebäude, welches an diesen Hof +stösst, besteht aus mehreren Abtheilungen. Zuerst kommen +verschiedene Zimmer, zu denen man mittelst einer niedrigen +Thür und einer Treppe hinangelangt und welche die Bibliothek +Sidi's enthalten, dann folgen einige auf europäische Art +eingerichtete. Ausser seinen beiden kleinen Söhnen, seinen +Günstlingen, Ali und Ibrahim, und einigen Sklaven, die Nachts +vor seiner Thür schlafen, hat der Grossscherif diese Zimmer +von Niemand betreten lassen, für seine Frauen, für seine +nächsten Verwandten sind sie ein vollkommenes Harem. Da ich +die Beschreibung der Zimmer gegeben habe, brauche ich wohl kaum zu +sagen, dass es mir ebenfalls vergönnt war, sie zu betreten: +ich musste mehrere Male auf einem Harmonium spielen, welches in +einem dieser Zimmer seinen Platz hat. Von diesen Räumen +gelangt man in die Häuser seiner Frauen: das Harem. +Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam hatte im Anfang der sechziger Jahre drei +rechtmässige Frauen.</p> +<blockquote><a name="F071" id="F071"></a>[Fußnote 71: Mit dem +Worte Kubba bezeichnet man eine viereckige Räumlichkeit mit +gewölbtem oder nach oben spitz zulaufendem +Dache.]</blockquote> +<p>Mittelst eines Thores gelangt man aus dieser Sauya in die +eigentliche Stadt Uesan; eine enge Strasse windet sich den Berg +hinan, überall kleine Läden, hier findet man siedende +Sfindj (in Oel gebackene Kuchen), dort werden Kiftah (Leber und +Fleischstückchen) über Kohlenfeuer geröstet, hier +werden Fische gebacken, dort liegen flache Brode aus: es ist dies +die Garküchenstrasse, sie geht allmälig in die Gasse der +Oelhändler über, welche zugleich Butter und braune +Schmierseife (diese wird in Marokko bereitet), eingemachte Oliven +und Chlea (in Butter eingeschmortes Fleisch) verkaufen. Grosse +Thorwege der auf die Strasse mündenden Häuser zeigen uns +Fonduks (marokkanische Gasthöfe), und die zahlreichen Esel, +Maulthiere und Kameele, die man im Innern erblickt, sagen, dass +hier viel Leben und Treiben herrscht.</p> +<p>So ist es auch in der That! Die grossen Schaaren von Pilgern, +welche täglich in Uesan zusammenströmen, ziehen viele +Kaufleute herbei. Die Pilger, die in der Sauya eine dreitägige +Gastfreundschaft geniessen, bleiben oft noch länger, sie haben +Waaren oder Kleinigkeiten zum Verkauf mitgebracht, andererseits +wollen sie Uesaner Gegenstände erhandeln. Man kann sich +denken, dass Alles was von Uesan kommt für besonders gut gilt, +die Frau zu Hause will Brod vom "dar demana" haben, oder ein +Stück Zeug, der Sohn muss eine hölzerne Schreibtafel vom +ssuk es Uesan (Markt von Uesan) haben, dann prägt er sich die +Koransprüche viel leichter ein, der Grossvater muss einen +neuen Rosenkranz von Mulei Thaib haben und die echten werden nur in +Uesan verkauft.</p> +<p>Zahlreiche kleine Kaffeehäuser, mit heimlichen Zimmerchen, +wo "Kif"<a href="#F072"><sup>72</sup></a> geraucht wird, liegen allerorts +zerstreut und meist an den schönsten Punkten der Stadt, welche +übrigens, wohin man sieht, über paradiesische Gegenden +das Auge schweifen lässt. Viele dieser Kaffeehäuser, wie +überhaupt die meisten Buden, gehören Sidi zu, der sie +vermithet oder auch an seine Günstlinge temporär zum +Ausnutzen überlässt.</p> +<blockquote><a name="F072" id="F072"></a>[Fußnote 72: Kif +heisst eigentlich Ruhe, Wohlergehen, wird aber von den Marokkanern +auf das Kraut Cannabis indica übertragen, welches jene Ruhe, +mit der ein starker Rausch verbunden ist, +hervorbringt.]</blockquote> +<p>In einigen dieser Kaffeehäuser wird sogar zur Traubenzeit +Wein, und fast zu allen Zeiten Schnaps, der von Gibraltar her +importirt wird, verkauft. Denn auch hierin offenbart Uesan seine +Aehnlichkeit mit andern religiösen Städten, dass es ein +Ort der Laster und Schwelgerei ist. Wie häufig sah ich +Schürfa, die nächsten Anverwandten +Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalams in einem total betrunkenen Zustande. +Aber ebensowenig wie die grössten Ausschweifungen, die +gröbsten Verstösse gegen Sitte und Religion, je Rom den +Charakter einer heiligen Stadt genommen haben, ebensowenig leidet +der Ruf Uesans darunter. Der Grossscherif selbst hat bei Lebzeiten +seines Vaters der Flasche fleissig zugesprochen, und ob er nicht +noch manchmal im Innersten seines Hauses, an der Seite seiner +Günstlinge dem Bacchus opfert, wer wollte darauf mit +Gewissheit Nein sagen? Oeffentlich freilich ist er jetzt die +Enthaltsamkeit selbst, er raucht nicht, er schnupft nicht, er nimmt +weder Kif noch Opium (beides, obschon ebenso religionswidrig wie +Weintrinken, wird in Marokko keineswegs für sehr sündhaft +gehalten), kurzum, äusserlich lebt er sehr streng nach den +Vorschriften des Islam, wie duldsam er aber ist, geht daraus +hervor, dass er, sobald ich mit ihm und seinen Günstlingen +allein war, uns erlaubte, in seiner Gegenwart zu rauchen.</p> +<p>Kommt man noch weiter in die Stadt, so hat man die Kessaria vor +sich, d.h. die Strassen, wo Kleidungsstücke Tuche, +Baumwollenzeuge und Wollfabrikate verkauft werden. Hier sieht man +auch jene schönen in ganz Marokko bekannten Djelaba Uesania +ausbieten, Ueberwürfe aus feinster weisser Wolle gewebt. Man +durchschreitet die Atharia, d.h. die Strassen, wo Gewürze, +Essenzen und Kramwaaren feil geboten werden, und befindet sich nun +vis à vis der grossen Moschee von Mulei Abd-Allah +Scherif.</p> +<p>Diese Djemma ist eine der berühmtesten im ganzen +marokkanischen Reiche, hier liegt der Gründer Uesans, der +Stifter der Sauya, die heute dar demana, d.h. Zufluchtsort +fürs ganze Reich<a href="#F073"><sup>73</sup></a> ist, begraben. Wie +alle marokkanischen Moscheen bildet ein grosser Hofraum, dann +verschiedene Säulenreihen, deren Gallerien man Schiffe nennen +kann, die architektonische Anordnung. Ausser Mulei Abd-Allah liegt +der Hadj el Arbi, der Vater des jetzigen Grossscherifs, in der +Moschee begraben. Ein kostbarer Sarkophag mit Tuch überhangen, +birgt in einer Nebencapelle die irdischen Reste dieses grossen +Heiligen. In der That war kein Abkömmling des Propheten so +wunderthätig wie der Vater Sidi's, namentlich soll er die Gabe +gehabt haben, die Fruchtbarkeit der Weiber zu vermehren. Er selbst +hatte freilich nur einen Sohn, den jetzigen Grossscherif, der ihm +im späten Lebensalter von einer Sklavin geboren wurde.</p> +<blockquote><a name="F073" id="F073"></a>[Fußnote 73: +Häufig entfliehen Leute ans den Gefängnissen des Sultans, +gelingt es ihnen Uesan zu erreichen, wo sie sich entweder in das +Grabgewölbe eines Heiligen flüchten, oder zu den +Füssen des Pferdes des Grossscherifs legen, so werden sie +immer begnadigt. Schwere Verbrecher dürfen aber die Sauya +nicht mehr verlassen, sonst sind sie vogelfrei.]</blockquote> +<p>Wie gross aber von jeher Macht und Ansehn der Schürfa von +Uesan gewesen ist, geht am besten aus einer Beschreibung von Ali +Bey hervor T.I. p. 269: Je parlerai ici des deux plus grands saints +qui existent maintenant dans l'empire de Maroc: l'un est Sidi Ali +Ben-Hamet qui réside à Wazen (dies ist der Grossvater +Sidi's und Wazen ist englische Schreibart für Uesan) etc. +Ferner p. 270: J'ai déjà remarqué que ce don +de sainteté était héréditaire dans +certaines familles (A. Bey bestätigt hier meine oben +angeführte Thatsache von der mohammedanischen erblichen +Heiligkeit). Le père de Sidi Ali était un grand +saint, Ali l'est à présent et son fils +aîné commence à l'être aussi.</p> +<p>Ausser diesen Hauptstadttheilen sind dann noch verschiedene +Strassen, wo Handwerke betrieben werden: hier werden gelbe +Pantoffeln, dort rothe Frauenschuhe verfertigt, hier arbeiten +Sattler, dort sind Schmiede, hier wird gedrechselt, dort wird +geschneidert; überall halten sie die verschiedenen Handwerke +beisammen. Auch eine Mälha, d.h. ein Judenquartier, giebt es, +und warum auch nicht, hatte nicht Rom auch sein Ghetto? Es giebt +keine marokkanische Stadt, ja es giebt keine marokkanische Oase in +der Sahara, wo nicht Juden wären<a href="#F074"><sup>74</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F074" id="F074"></a>[Fußnote 74: In +Tuat, welches politisch zu Marokko gerechnet wird, sind allerdings +keine Juden, Tuat aber liegt geographisch ausserhalb Marokko's, es +gehört seiner Lage nach zu Algerien.]</blockquote> +<p>In Uesan unter dem milden Scepter Sidi's lebten die Juden +ziemlich erträglich, aber in anderen Städten Marokko's +Israelit sein, heisst die Hölle hier auf Erden haben. Dennoch +dürfen sie auch in Uesan keinen rothen Tarbusch tragen, +sondern nur einen schwarzen, sie dürfen die Oeffnung des +Burnus nicht wie die Muselmanen nach vorn tragen, sondern +müssen dieselbe auf der Seite haben, sie dürfen keine +gelbe oder rothe Pantoffeln, sondern nur schwarze und auch diese +nur in ihren Häusern und in der Mälha tragen. Sie +müssen, sobald sie einem Gläubigen begegnen, links +ausweichen, endlich sind ihnen verschiedene Strassen, wie bei der +Hauptmoschee oder bei den Grabstätten der Heiligen vorbei, +gänzlich untersagt. Sie dürfen ausserdem in den +Städten und Oertern nie ein Pferd besteigen und müssen +jeden Mohammedaner mit "Sidi," d.h. "mein Herr," anreden. Man +könnte Seiten vollschreiben, wollte man all die Vexationen, +die Erniedrigungen und Demüthigungen, welchen die Juden in +Marokko unterworfen sind, aufschreiben.</p> +<p>v. Augustin<a href="#F075"><sup>75</sup></a> sagt p. 129: "Auf dem Markte +müssen sich die armen Juden die empörendsten Erpressungen +von den Marokkanern gefallen lassen, und unter ihren +Bedrückern stehen obenan die Garden des Sultans, welche sich +alle möglichen Frechheiten erlauben. Nicht selten reisst ein +solcher Halbmensch dem Juden eine Waare aus den Händen, welche +dieser eben einem Käufer vorzeigt, und hat dieser selbst nicht +die feste Absicht sie zu kaufen und wehrt sich gegen solche +Eingriffe, so schreitet jener unbekümmert und laut lachend mit +seinem Raube fort, trotz des Jammergeschreies, welches ihm von dem +Beraubten nachtönt, welcher aber dennoch seine Bude nicht +verlassen darf, um den Räuber zu verfolgen, weil sie sonst in +wenigen Augenblicken rein ausgeplündert wäre. Wagte er es +aber, sich thatsächlich zu widersetzen, so kann er sich +versichert halten, halbtodt geschlagen zu werden, oder man +führt ihn zum Kadi, wo er Unrecht bekommen muss, da kein Jude +einen Mohammedaner schlagen darf."</p> +<blockquote><a name="F075" id="F075"></a>[Fußnote 75: Marokko +in seinen geographischen etc. Zuständen, von Frhrn. v. +Augustin, Pesth 1845.]</blockquote> +<p>Man kann die Bevölkerung von Uesan auf 10,000 Einwohner +rechnen, wenn man die der Dörfer Rmel und Kascherin, die mit +Uesan zusammenhängend sind, hinzurechnet. Von diesen sind etwa +800 bis 1000 Juden. An manchen Tagen vermehrt sich die +Bevölkerung um einige 1000 Pilger, namentlich zur Zeit der +grossen Feste.</p> +<p>Die Tendenz des jetzigen Sultans von Marokko, +Sidi-Mohammed-ben-Abd-er- Rahman, ist darauf aus, den Einfluss der +Schürfa so viel wie möglich einzuschränken, und so +hat er es denn auch durchgesetzt, dass gegenwärtig ein Kaid +und einige Maghaseni (Reiter von der regelmässigen Cavallerie +des Sultans, die in Friedenszeiten auch zu Polizeidienst gebraucht +werden), welche die Regierung des Sultans repräsentiren +sollen, in Uesan wohnen. Ihr Einfluss ist aber gleich Null, und sie +selbst sind angewiesen, in wichtigen Sachen die Entscheidung Sidi's +einzuholen. Wie einflussreich beim marokkanischen Gouvernement der +Grossscherif von Uesan ist, geht allein schon daraus hervor, dass +kein marokkanischer Kaiser anerkannt wird, wenn er vorher nicht +gewissermassen die Weihe vom Grossscherif von Uesan erhalten hat. +Als nach dem Tode des Sultans Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Hischam +verschiedene Bewerber um den Thron von Fes auftraten, und +namentlich der älteste Sohn des Sultan Sliman, ein gewisser +Mulei-Abd-er-Rahman-ben- Sliman, mit viel grösseren Rechten +zur Nachfolge hervortrat, verdankte Sidi Mohammed seine rasche +Besteigung des Thrones nur dem Umstände, dass Sidi- +el-Hadj-Abd-es-Ssalam ihm nach Mekines entgegen reiste und durch +seine Anerkennung (er stieg von seinem Pferde und führte das +edle Ross dem Sultan zu Fuss entgegen, der es bestieg und dann sein +Pferd dem Grossscherif zum Geschenk machte) alle Mitbewerber aus +dem Felde schlug.</p> +<p>Der Einfluss des Grossscherifs ist indess nicht bloss deshalb so +gross, weil er der directe Nachkomme Mohammeds, sondern weil er der +reichste Mann im ganzen Kaiserreich Marokko ist. Es giebt in +Marokko keinen Tschar, keinen Dnar, keinen Ksor<a href= +"#F076"><sup>76</sup></a>, in dem der Grossscherif nicht eine Filialsauya +oder einen Emkadem hätte. Die Emkadem sind angewiesen, in +ihren Sprengeln jährlich Geld zu sammeln, das, wie der +Peterspfennig nach Rom, in die Gasse Sidi's nach Uesan fliesst. In +der ganzen Provinz Oran, in der Oase Tuat sind fast alle +Mohammedaner "Fkra," d.h. "Anhänger" Mulei Thaib's von Uesan. +Der reelle Einfluss geht bis Rhadames im Osten, bis Timbuktu im +Süden. Aber selbst in Alexandrien, in Aegypten, in Mekka, in +Arabien, sind Sauya des Grossscherifs von Uesan.</p> +<blockquote><a name="F076" id="F076"></a>[Fußnote 76: Ksor, +Ortschaften in den Oasen.]</blockquote> +<p>Um den Glauben der Mohammedaner, d.h. die Opferwilligkeit, wach +zu halten, werden jährlich zahlreiche Schürfa, die +nächsten Verwandten Sidi's in die ganze mohammedanische Welt +geschickt, um die Wunder und Herrlichkeit Uesans zu verkünden. +Sidi beklagte sich bitter, dass die Franzosen in letzter Zeit den +Schürfa von Uesan verboten hatten, in Algerien ihre Rundreisen +zu machen. Es hat dies aber seinen guten Grund, zum Theil wollen +damit die Franzosen verhüten, dass so viel Geld ausser Landes +geht, zum Theil aber hatten die Schürfa sich in Politik +gemischt, die Gläubigen gegen ihre ketzerischen Herren +aufgereizt, was die algerische Regierung sich natürlich nicht +gefallen lassen konnte.</p> +<p>Während der ganzen Zeit meines Aufenthalts erfreute ich +mich der grössten Zuneigung und Gastfreundschaft des +Grossscherifs.</p> +<p>Ich musste fast den ganzen Tag mit ihm zubringen, von Morgens +früh, wo er mich rufen liess, Kaffee mit ihm und seinen +Günstlingen zu trinken, bis Abends, wo er sich in seine +Wohnung zurückzog. Wenn ich manchmal Zeuge war, wie er im +selben Augenblicke den Leuten, die soeben ihr Geld, ihre +Kostbarkeiten ihm geopfert hatten, mit ernstester Miene den Segen +ertheilte, und dann, sobald sie den Rücken gekehrt hatten, +sich über sie lustig machte, auch wohl sagte: "was für +Thoren sind diese Leute, mir ihr Geld zu bringen", so dachte ich +den aufgeklärtesten Mann vor mir zu haben, andererseits sah +ich aber so viele Thatsachen, wo er von seiner eigenen Macht, von +seinem besseren "Sein" überzeugt war, dass es mir schwer +wurde, diese Widersprüche zu erklären.</p> +<p>Aber Alles dient in Uesan dazu, von Jugend auf dem Grossscherif +einzuprägen, dass nicht nur die Mohammedaner, die vor Gott +allein Gläubigen, sondern dass unter den Mohammedanern die +Araber (der Koran darf z.B. bei allen mohammedanischen Völkern +nur arabisch gelehrt werden) das auserwählte Volk sind, dass +im auserwählten Volk die Schürfa als Nachkommen Mohammeds +den vorzüglichsten Platz einnehmen, und dass unter den +Schürfa wieder der directeste Nachkomme der von Gott am +meisten Bevorzugte ist. In dieser Art und unter dieser Auffassung +wird der Sohn Sidi's erzogen. Dieser, Namens Sidi-el-Arbi, +entwickelte denn auch zu der Zeit schon ganz den Stolz und +Eigendünkel, den eine solche Lehre hervorbringen muss. Dass +trotzdem bei Sidi sowohl als auch, wie es den Anschein hatte, bei +seinem ältesten Sohne, Sidi-el-Arbi, Herzensgüte und eine +gewisse Bescheidenheit nicht unterdrückt werden konnte, ist +wohl darin zu suchen, dass immer fremdes Blut in die Familie kommt, +wie denn Sidi's Mutter, wie schon gesagt, eine Haussa ist. Es +beruht dies auf dem Gesetz der Erblichkeit, denn während +Hochmuth, Eigendünkel etc. väterlicherseits mitgebracht +wird, können andererseits die Eigenschaften, welche von +mütterlicher Seite in die Familie kommen, nicht +unterdrückt werden.</p> +<p>Dass aber der spanische Krieg auch keineswegs nachhaltend +civilisatorisch auf den Grossscherifs wirkte, sah ich daraus, dass +er, als ich später wieder Uesan besuchte, seine christliche +Militairuniform abgelegt hatte, und dafür sich mit einer +Djelaba wie die übrigen Schürfa kleidete. Er mochte, wohl +recht haben; auf meine Frage nach dem Beweggrund, erwiederte er: +sein Ansehen leide, und er müsse, um die Gelder reichlich +fliessen zu machen, dem Volke in seinen Vorurtheilen nachgeben.</p> +<p>Die Haltung des Grossscherifs hat aber natürlich auf das +ganze Leben und Treiben in Uesan den grössten Einfluss. Und +wenn wir auch Fortschritte in Tanger und Mogador constatiren +können, wo die grössere Frequenz mit Europa neben Hotels +in ersterer Stadt sogar Dampffabriken ins Leben gerufen hat, wo man +angefangen hat, den Christen heute mit den Gläubigen eine +gleichberechtigte Stellung einzuräumen, so braucht man solche +Fortschritte von Uesan nicht zu fürchten. Sollte es einem +Europäer heute gelingen, nach dieser heiligen Stadt +hinzukommen, er kann sicher sein, Uesan el dar demana so zu finden, +wie es geschildert ist, d.h. auf demselben Standpunkte der Bildung, +auf dem es sich seit Jahrhunderten schon befunden hat: man glaubt +sich ins volle Mittelalter zurückversetzt.</p> +<h2><a name="K07" id="K07"></a>7. Eintritt in marokkanische +Dienste.</h2> +<p>Ich blieb nicht lange in Uesan, trotzdem "Sidi" wollte, ich +sollte ganz bei ihm bleiben; als er dann aber mich fest zum +Weitergehen entschlossen sah, stellte er auf liebenswürdige +Art ein Maulthier zur Disposition, und empfahl mich einem Kaufmann +aus Uesan, der ebenfalls nach Fes reisen wollte. Abends vorher, ehe +ich Uesan verliess, musste ich im Hause dieses Kaufmanns zubringen, +um die Zeit nicht zu verschlafen; der Hadj Hammed, so heisst der +Mann, war ein grosser Freund von Musik und hatte als Abschiedsfest +verschiedene Freunde geladen, die auch alle musikalisch waren. Man +kann sagen, dass eine Art Soirée musicale abgehalten wurde, +denn Hadj Kassem, ein alter graubärtiger Musikus aus Lxor, +berühmt in Marokko wegen seiner Spielfertigkeit auf dem Alut, +wie Liszt bei uns auf dem Klavier, war auch zugegen, andererseits +war sein Schüler, ein Neger Ssalem, ein fast ebenso +bedeutender Künstler auf der Violine wie weiland Paganini, +auch anwesend. Man denke aber ja nicht in Marokko an Flügel, +Klaviere, Harmonium oder dergleichen, denn wenn auch Sidi sich +solche Instrumente hatte kommen lassen, wenn auch beim Sultan +dergleichen zu finden sein möchten, so kennt das Volk sie +nicht. Ich glaube kaum, dass das marokkanische Volk für unsere +Musik Verständniss haben würde; wenn es musikalisch +denken könnte, wenn es überhaupt ein Urtheil abgeben +könnte, würde es vielleicht unsere Musik mit +"Zukunftsmusik" bezeichnen.</p> +<p>Ich konnte an dem Abend sämmtliche Instrumente, deren sich +die Marokkaner bedienen, kennen lernen. Eingebürgert von +europäischen Instrumenten hat man Guitarre, Violine und +Violoncell, welch letzteres in Marokko als Bass dient. Ausser +diesen hat man ähnliche abenteuerlicher Art, und im Lande +selbst angefertigte Instrumente!<a href="#F077"><sup>77</sup></a> Da ist das +Saiteninstrument "Alut", eine Art Guitarre, nur mit gewölbtem +Boden, es hat auf den vier Saiten die Laute g, e, a, d. Da ist ein +Streichinstrument mit zwei Saiten, "Erbab" genannt, von dem der +Hals auch hohl und resonirend ist, es hat die Grundlaute d, a; der +Fiedelbogen dazu besteht aus einem Bogen so gross wie eine Hand, +und die Streiche dazwischen haben nur eine Spannung von etwa 4 bis +5 Zoll. Endlich hat man noch eine grössere Art "Kuitra" mit +drei Saiten, dem Cello entsprechend, mit den Tönen d, h, g. +Als Blasinstrumente besitzen die Marokkaner das "Schebab", eine +kurze Flöte mit verschiedenen Löchern; die "Rheita", ein +kleines Instrument mit clarinetartigen Tönen, endlich eine +grosse Posaune, "El-Bamut" genannt. Trommeln verschiedener Form und +Grösse, Schellen u. dgl. vervollständigen die Liste der +Instrumente. Dass ein Unterschied in der Anwendung der Instrumente +Seitens der Araber, Juden und Neger bestände, wie Höst +bemerkt haben will, ist mir nie aufgefallen. Von allen Instrumenten +ist die "Rheita" allein das, welches einen angenehmen Ton +hervorbringt. Unsere europäischen Instrumente, Violine, +Guitarre u.s.w. werden von ihnen auf ohrzerreissende Art behandelt. +Das eigentliche Nationalinstrument der Marokkaner ist aber die +"Gimbri", ein kleines zweisaitiges Instrument, eine Guitarre oder +Violine im Kleinen. Der Resonanzkasten ist gemeiniglich nicht +grosser als 4 oder 5 Zoll Durchmesser, irgend eine trockne +Kürbisschale oder auch ein aus Holz geschnitztes Becken ist +gut dazu, ein Stück dünnes Leder oder Pergament wird +darüber gespannt, ein Stiel daran befestigt und die Saiten +aufgezogen. Jeder verfertigt es selbst, meist ist e und a Grundton. +Die "Gimbri" wird nicht gestrichen, aber auch nicht einfach mit den +Fingern geknipst, sondern man bedient sich dazu eines +Hölzchens, wie bei uns es die Klavierstimmer haben, um +über die Saiten dieses Instrumentes zu fahren. Bei +grösseren Concerten findet übrigens die Gimbri keine +Anwendung.</p> +<blockquote><a name="F077" id="F077"></a>[Fußnote 77: Siehe +Höst p. 260, der Abbildungen von verschiedenen marokkanischen +Instrumenten giebt.]</blockquote> +<p>Wenn <i>uns</i> nun aber auch Alles wie Katzenmusik vorkommt, so +muss man doch keineswegs glauben, dass die Marokkaner ganz ohne +musikalisches Gefühl sind, nur sind eben ihre Empfindungen +für Musik anders als unsere. Was für uns Harmonie und +Consonanz ist, hören sie als Dissonanz, ohne aber deshalb in +ihrer eignen Musik gewisser Regeln zu entbehren.</p> +<p>Der Abend ging angenehm hin; hatte ich auch keinen musikalischen +Genuss, so war doch Alles neu. Mit dem Spielen der Stücke war +immer Gesang verbunden. Und auffallend war es mir, dass je mehr +Jemand näselte oder Fisteltöne hervorbrachte, er desto +mehr bewundert wurde.</p> +<p>Früh am andern Morgen wurde aufgesessen, ich ritt ein gutes +Maulthier. Wie Spanien ist Marokko das Land der Maulthiere, die +meist braun oder grau von Farbe sind. Die guten Maulthiere sind +theurer als die guten Pferde, aber nicht so theuer wie die besten +Pferde. Man kann schon für 30 bis 40 französische +(Fünffranken-) Thaler ein gutes Pferd kaufen, aber unter 60 +bis 80 Thaler kein starkes gutes Maulthier bekommen. Edle Pferde, +wie sie der Sultan besitzt oder vornehme Schürfa und Kaids, +werden aber selbst in Marokko bis 1000 Thaler geschätzt. Dies +ist die Summe, welche mir als die höchste angegeben wurde.</p> +<p>Zu Pferde oder Maulthier braucht man von Uesan nach Fes +anderthalb Tage, aber da die Hitze jetzt immer grösser wurde, +die Wege sehr schlecht waren, und weil Hadj Hammed unterwegs +allerlei Geschäfte abzuschliessen hatte, brauchten wir drei +Tage. Er machte Einkäufe, oder auch bekam hier ein +Töpfchen mit Butter, dort einige Eier zum Geschenk, was zur +Folge hatte, dass zuerst sein, dann auch mein Maulthier so beladen +war, dass wir beide zu Fuss gehen mussten. Man kann sich einen +Begriff von der Macht und dem Reichthum +Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's machen, wenn ich anführe, dass +fast alles Land bis dicht vor Fes <i>sein persönliches +Eigenthum</i> ist. Dennoch glaube ich kaum, dass er viel baares +Vermögen besitzt, da die grosse Zahl der Pilger, welche in +Uesan auf liberalste Weise bewirthet werden, wieder Alles +verausgaben macht.</p> +<p>Die ganze Gegend, welche man durchzieht, ist gebirgig und aufs +reichste angebaut, Getreidefelder von Weizen und Gerste wechseln ab +mit Olivenwaldungen, Gärten bestanden mit Orangen, Granaten, +Aprikosen, Pfirsichen, Quitten, Mandeln, Feigen und Weinreben, +lachen am Wege. Man hat zwei bedeutende Wasser zu +überschreiten, den Ued Uerga, ungefähr auf halbem Wege +zwischen Uesan und Fes, circa sieben Stunden von letzterer Stadt +entfernt, und den Sebu. Beide waren so bedeutend angeschwollen, +dass wir mit einer Fähre übersetzen mussten. Die +Fähren waren ebenfalls Eigenthum des Grossscherifs von +Uesan.</p> +<p>Abends 5 Uhr des dritten Tages waren wir endlich vor Fes, der +Hauptstadt des Landes. Mich überwältigte fast der Anblick +der ausgedehnten Häusermasse, aus denen hier und da hohe Sma +(Minarets) hervorragten. Wir, zogen rasch durch die lange Strasse +dahin und ich wurde derart zur "Mhalla", d.h. der Zeltlagerung der +Soldaten geführt. Für einen Obersten der Armee, Hadj +Asus, hatte ich ein Empfehlungsschreiben des Grossscherifs. Nicht +nur wurde ich gut aufgenommen, sondern Hadj Asus, dessen +Zeltgenosse und Gast ich bleiben musste, versprach mir schon +für den folgenden Tag eine Anstellung.</p> +<p>Am andern Tage war grosse Revue vor dem Sultan; die ganze +regelmässige Armee, circa 4000 Mann, musste in ziemlich guter +Ordnung vor dem unter einem Baldachin sitzenden Sultan +vorbeidefiliren; sobald eine Abtheilung in unmittelbare Nähe +des Sultans kam, riefen sämmtliche Soldaten "Allah ibark amar +Sidna", "der Herr segne die Seele unseres gnädigen Herrn". Die +Anführer selbst präsentirten die Säbel, +prosternirten sich und küssten den Boden. Sobald die +Abtheilung des Hadj Asus herankam, defilirt und gerufen, und dann +Hadj Asus seinen Gruss verrichtet hatte, wurde er in die Nähe +des unbeweglich dasitzenden Sultans gerufen. Ursache war, dass ich +mich seinem Zuge angeschlossen hatte, und mit Offizieren und +Soldaten den Parademarsch mitmachte. Natürlich musste meine +Erscheinung Aufsehen erregen, denn ich hatte einen ziemlich langen +schwarzen Ueberrock an, der bis auf die Kniee reichte, darunter +guckte die Unterhose kaum hervor, gelbe, recht abgenutzte +Pantoffeln und ein rother Fes, das war meine übrige +Bekleidung. Hadj Asus kam freudestrahlend zurück.</p> +<p>Der Sultan hatte sich in der That über meine +Persönlichkeit informirt; Hadj Asus hatte ihm gesagt, ich sei +zum Islam übergetreten, habe vom Grossscherif eine Empfehlung +gebracht und wünsche in die Armee als Arzt einzutreten: ein +"Achiar" (Fi el cheir, d.h. das ist gut) war die Antwort des +Sultans gewesen, und Hadj Asus war den ganzen Tag über ausser +sich über das Glück, vom Sultan angeredet worden zu +sein.</p> +<p>Nach der Parade wurde ich sodann dem Kriegsminister vorgestellt, +einem Schwarzen, Si Abd-Allah genannt, der besondere Meldungen +unter einem schirmartigen Zelte sitzend entgegennahm. Er war sehr +zufriedengestellt über meine Antworten und sagte, dass ich am +folgenden Tage meine Anstellung zu erwarten habe. Am folgenden Tage +wurde ich denn auch benachrichtigt, ich sei zum obersten Arzte der +ganzen Armee seiner Majestät ernannt.</p> +<p>Als Obliegenheit wurde mir bezeichnet, alle Soldaten, die sich +krank meldeten, zu untersuchen und zu behandeln. Die Medicamente +hatten sie von mir zu bekommen, mussten aber dafür zahlen, da +mir überhaupt von der Regierung auch keine zur Disposition +gestellt wurden. Mein Gehalt war täglich auf 2-1/2 Unzen +angesetzt, ungefähr 3 bis 4 Groschen. So klein das nun auch +klingt, so sind doch die Verhältnisse in Marokko derart, dass +man damit recht gut existiren konnte, zumal mir volle Freiheit +blieb, Privatpraxis zu treiben, wo und soviel ich wollte. Man +kümmerte sich überdies nicht viel um mich. Mein Quartier +hatte ich vorläufig beim Hadj Asus behalten; wenn ich aber den +ganzen Tag von der "Mhalla" abwesend war, fragte Niemand danach. +Ich sollte ein Pferd, Maulthiere, Diener zur Disposition erhalten, +habe dieselben doch nie bekommen. Meine Nahrung hatte ich mir +selbst zu beschaffen, es war das freilich meine wenigste Sorge, +heute war ich Gast bei diesem, morgen bei jenem. Wenn gerade keine +Hungersnoth in Marokko ist, hat ein lediger Mann dafür nicht +zu sorgen.</p> +<p>Nach einigen Tagen liess der Baschagouverneur von Fes, +Ben-Thaleb, mich rufen. Er hatte von der Ankunft eines +europäischen Arztes gehört, und selbst an chronischem +Asthma leidend, bat er mich ihn zu behandeln, zu gleicher Zeit aber +auch bei ihm Wohnung zu nehmen. Ich nahm diesen Vorschlag mit +Freuden an. Hadj Asus hatte nichts dagegen, dass ich beim Bascha +wohnte; dieser, einer der reichsten und einflussreichsten Beamten +des ganzen Kaiserreiches, hatte wohl Anspruch auf seine +Rücksicht.</p> +<p>Um die Zeit kam denn auch Joachim Gatell, der vorhin +erwähnte Spanier, der den Namen Smaël angenommen hatte, +nach Fes. Er wurde Si-Mohammed-Chodja, einem andern Commandanten +der regelmässigen Truppe zugetheilt, und erhielt bald darauf +ein selbstständiges Commando über die Artillerie. +Später sollten wir genauer mit einander bekannt werden, als es +jetzt der Fall war. Denn der Sultan hatte nach Verlauf von +ungefähr vier Wochen Befehl zum Aufbruche gegeben. Es war die +Zeit des Residenzwechsels gekommen und der Sultan beschloss, das +Hoflager und die "Mhalla" nach Mikenes zu verlegen. Natürlich +durfte ich nun auch nicht in Fes bleiben, da alle Truppen mit +Ausnahme derer, welche den beiden Gouverneuren beigegeben waren, +mit dem Sultan fort mussten.</p> +<p>Schwer würde es sein, ein richtiges Bild von diesem +eigenthümlichen Ausmarsche zu entwerfen. Alles lief bunt +durcheinander. Da waren die sogenannten regelmässigen +Soldaten, in Begleitung ihrer Weiber (fast jeder Soldat ist +verheirathet), Kinder und Sklaven. Kaufleute drängten sich +dazwischen, hier bot einer Brod feil, hier Zwiebeln, dort hatte ein +anderer ein Brettchen mit verschiedenen Fächern und Schachteln +darauf; eine ambulante Gewürzkrambude, Zimmt, Pfeffer, Nelken +u. dgl. war da zu haben. Hier bot einer Fleisch, dort Fische feil. +Und da kam der Sultan selbst daher, ein grosser glänzender +Haufe, die Minister, die höchsten Beamten des Landes umgaben +ihn, ein langer, langer Tross beladener Maulthiere und Kameele +folgte. Dann der Harem, über hundert Frauen und junge +Mädchen, dicht verschleiert auf Maulthieren daherreitend, +diese allein eine geschlossene Masse bildend, denn auf schnellen +Pferden hielten die Eunuchen diese Lieblingsweiber des Herrschers +zusammen. Es war dies gewissermassen der ambulante Harem des +Sultans, die schönsten, jüngsten und fettesten +Frauenzimmer der vier Harems von Fes, Mikenes, Arbat und Maraksch, +meist Kinder von 12 bis 15 Jahren. Endlich kam die grosse +Abtheilung der Maghaseni, der unregelmässigen jedoch +besoldeten Cavallerie; es mochten wohl 10000 Pferde zugegen sein. +Man denke sich nun diesen Menschen- und Thierknäuel ohne +Ordnung und einheitliche Leitung in Bewegung, der eine schnell, der +andere langsam, der hier marschirend, der dort, dieser hier +laufend, jener langsam seinen Weg fortsetzend, wie ein Jeder es +eben für gut fand.</p> +<p>Als wir, ich befand mich unter den Ersten, Mikenes erreichten, +war der ganze Weg zwischen Fes und Mikenes noch mit Menschen und +Thieren überschwemmt, denn als die ersteren in letzterer Stadt +eintrafen, waren noch lange nicht alle von Fes aufgebrochen. Zwei +Tage dauerte es, bis die ganze Armee, vielleicht in allem etwa +40,000 Menschen, eingetroffen waren, und das Terrain zwischen +beiden Städten ist derart eben und schön, derart ohne +alle Hindernisse, dass man fortwährend mit mehreren Armeen, +fast möchte ich sagen im Frontmarsche von einer Stadt zur +andern marschiren kann. Die Armee lagerte an der Aussenseite der +Stadt, der Sultan selbst bezog sein Palais.</p> +<p>Was mich anbetrifft, gebunden, da zu sein, wo die Armee ist, +hatte ich andererseits Freiheit genug, wohnen zu können wo ich +wollte, und miethete deshalb in einem Funduk der Stadt ein Zimmer +zum Wohnen, während ich andererseits ein "Hanut", Bude, in der +belebtesten Strasse in Gemeinschaft mit einem Franzosen, Namens +Abd-Allah bezog. Ich prakticirte oder hielt ein Polyclinicum ab. +Meine Medicamente bestanden wie die der marokkanischen Aerzte aus +einem grossen Kohlenbecken, mit Eisenstäben zum +Weissglühen, aus grossen Töpfen mit Salben, +Kampheröl, Brechpulver, Abführungsmitteln und +verschiedenen unschädlichen gefärbten Mehlpulversorten +für Hypochonder und hysterische Kranke. Und was nie und +nirgends in Marokko gesehen war: ich hatte ein grosses +Aushängeschild; darauf hatte Smaël (Joachim Gatell) mit +grossen und schönen Buchstaben gemalt: "Mustafa nemsaui tobib +ua djrahti", d.h. Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt. Es ist +kaum zu glauben, welch Aufsehen es erregte in einem Lande, wo die +Annoncen, Anzeigen, Aushängeschilde noch nicht etwa in der +Kindheit liegen, sondern wo sie noch gar nicht geboren sind, ein +solches Schild zu führen. Von Morgens früh bis Abends +spät stand Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Männer und +Weiber vor der Bude, und buchstabirten (lesen kann Niemand in +Marokko, aber buchstabiren können alle Städter) die +langen arabischen Buchstaben, welche zwei grosse Bogen Papier +einnahmen. Der Erfolg war vollständig.</p> +<p>Ich hatte vorhin erwähnt, dass ich mich mit einem Franzosen +Namens Abd- Allah zusammengethan hatte, weil ich allein nicht die +Miethe für die Bude von Anfang an zu Stande bringen konnte. +Dieser Franzose, ein ehemaliger Spahisoffizier, war vor +ungefähr zwanzig Jahren mit der Casse seiner Compagnie nach +Marokko entflohen, hatte bei dem vorletzten Sultan Muley- +Abd-er-Rahman gute Aufnahme gefunden, sein Geld (wie er selbst +angab 20,000 Franken) mit liederlichen Dirnen in Saus und Braus, +aber in einigen Jahren durchgebracht. Hernach hatte er sich dem +Hofe angeschlossen, hatte natürlich geheirathet und lebte nun +von mechanischen Fertigkeiten. So behauptete er, der Introducteur +des soufflets in Marokko zu sein, und seine damalige +Beschäftigung bestand darin, neue Püster anzufertigen, +alte auszubessern. Von Zeit zu Zeit pflegte er nach irgend einem +Hafenplatz zu gehen, von wo er sich neue Vorräthe holte. Ohne +besonderes Wissen, trotzdem er darauf pochte, französischer +Offizier gewesen zu sein, war er ein harmloser Mensch, was man +nicht immer von den übrigen Renegaten sagen kann. Er war +übrigens vollkommen durch seinen langen Aufenthalt in Marokko +marokkanisirt, und liess den Rosenkranz auf ebenso scheinheilige +Art und Weise durch die Finger gleiten, wie der beste Thaleb oder +Faki es nur kann.</p> +<p>Aber sonderbar genug sah unsere Bude aus, auf der einen Seite +arbeitete der Franzose Püster, auf der andern Seite +quacksalberte ich, denn so muss ich, wenn ich aufrichtig sein will, +meine ärztliche Praxis in Marokko nennen.</p> +<p>Das ausgehängte Plakat, dann überhaupt die Ankunft +eines europäischen Arztes, hatten indess viel Lärm +gemacht, und der Ruf davon war bis zu den Ohren des ersten +Ministers, Si-Thaib-Bu-Aschrin, gedrungen. Eines Abends kamen +einige seiner Diener und ergriffen meine Hand; ich hatte kaum noch +Zeit, den Franzosen Abd-Allah zu bitten, als Dolmetsch mit zu +kommen, und fort ging's. Wir trafen Si-Thaib gerade beim Nachtmahl +mit mehreren anderen Beamten des Hofes, die seine Gäste waren. +Im äussersten Winkel des Zimmers spielten drei Musikanten auf +einer Rheita, Kuitra und Erbab. Si-Thaib lud uns beide gleich ein, +mit an die Maida (kleiner flacher Tisch) zu rücken, aber +Abd-Allah dankte für sich und mich, und wir zogen uns, +während die hohen Würdenträger von einer +Schüssel zur andern übergingen, in ein Nebenzimmer +zurück, und bald darauf brachten uns Sklaven die angebrochenen +Schüsseln, worin allerdings noch reichliche und recht gut +zubereitete Speisen sich befanden, die mir aber widerlich zu +berühren waren, weil jene Würdenträger, so hoch sie +nun auch in Marokko sein mögen, mit ihren kaum gewaschenen +Händen darin herum gerührt hatten. Anstandshalber +<i>musste</i> ich aber einige Bissen von jeder Schüssel +nehmen, und dabei nicht vergessen, die Grossmuth Si-Thaib's und die +Güte der Speisen zu preisen. Abd-Allah sagte mir dann auch, es +würde sehr unschicklich gewesen sein, hätten wir die +Einladung Si-Thaib's, mit ihm zu essen, angenommen, er würde +aber jetzt über unsere Bescheidenheit und unser Savoir-vivre +hoch erfreut sein.</p> +<p>Das Zimmer, worin Si-Thaib sich aufhielt, war eine sogenannte +Mensa, d.h. ein Gemach im ersten Stocke. Lang, wie alle +marokkanischen Zimmer, war es elegant möblirt, d.h. durch das +Zimmer zog sich ein weicher Beni-Snassen- Teppich, und der hohen +ogivischen Thür gegenüber waren noch andere Teppiche auf +diesem. Hierauf lagen sodann wollene Matratzen und Kissen. Mehrere +Lampen von Messing, alterthümlich gestaltet, hingen von der +Decke des Zimmers und auch einige silberne Leuchter mit +Stearinkerzen brannten in den Nischen. Der Plafond des Zimmers war +bunt bemalt, und an den Wänden desselben Arabesken in +Gyps.</p> +<p>Als auch wir abgegessen hatten, wurden wir ins Zimmer gerufen +und durften am Thee theilnehmen, der nur in kleinen aus sehr feinem +Porzellan bestehenden Tässchen herumgereicht wurde. Si-Thaib +hielt mir sodann seine Füsse hin und fragte mich, was Krankes +daran sei. Abd-Allah, der Franzose, hatte mir vorher schon +mitgetheilt, der Minister leide an Podagra ich hatte also eine +leichte Mühe, ihm seine Krankheitserscheinungen zu sagen. +Dennoch befühlte ich die Füsse vorher genau, fragte nach +einigen anderen Umständen, um der ganzen Sache mehr Ansehen zu +geben, und als ich ihm dann schliesslich sagte, er hätte die +Ministerkrankheit (mrd el uïsirat wird in Marokko das Podagra +genannt), war er höchst erfreut, dass ich seiner Meinung nach +aus blossen äusseren Kennzeichen seine Krankheit erkannt +hatte.—Er fragte mich sodann, ob ich Anhänger der +heissen oder der kalten Mittel sei (nach Meinung der Marokkaner +haben die Medicamente entweder erhitzende oder abkühlende +Eigenschaften), und als ich mich für die ersten erklärte, +fand ich, dass ich auch darin seinen Geschmack getroffen hatte.</p> +<p>Si-Thaib entliess uns huldvollst und fügte beim Abschied +hinzu, ich solle am andern Tage eine seiner Wohnungen beziehen, um +ihn an seinem Podagra zu behandeln. Aber es sollte anders kommen, +schon am folgenden Tage früh kamen Maghaseni vom Dar es +Ssultan (Palast des Sultans) mit der Weisung, rasch dahin zu +kommen; kaum liess man mir Zeit, die Pantoffeln anzuziehen und den +Burnus umzuhängen. Dort angekommen, erklärte mir ein +Beamter des Sultans, Ben Thaleb, der Gouverneur von Alt-Fes, habe +an den Sultan geschrieben, ob ich nicht zurückkehren +dürfe, um ihn zu behandeln, der Kaiser habe diese Bitte +gewährt und ich habe auf der Stelle abzureisen. Mein Protest, +nach Hause zurückkehren zu müssen, um meine Sachen zu +holen, um die Medicamente mitzunehmen, um den Bekannten Lebewohl zu +sagen, alles das half nichts; die Antwort war immer: "der Sultan +hat gesagt, du solltest <i>gleich</i> abreisen, also <i>musst</i> +du auch <i>gleich</i> abreisen". Ein gesatteltes Maulthier stand +bereit, ein Maghaseni zu Pferde war als Begleiter da, und so musste +ich fort, wie ein Packet ohne eigenen Willen. Da der Sultan +befohlen hatte, selben Abends noch in Fes anzukommen, wurde scharf +geritten, und vor Sonnenuntergange war die Hauptstadt erreicht und +bald darauf war ich wieder beim Gouverneur der Alt-Stadt.</p> +<p>Ich hatte indess einen guten Tausch gemacht, Ben-Thaleb sorgte +dafür, einen Dolmetsch kommen zu lassen, einen eingeborenen +Algeriner Thaleb, Namens Si- Abd-Allah, der leidlich gut +Französisch verstand, ich bekam eine gute Wohnung, Pferde, +Maulthiere, Diener zur Disposition; Essen und der dazu +gehörende Thee wurden vom Bascha geschickt, und ich hatte +dafür weiter keine Verpflichtung, als mich täglich eine +oder zwei Stunden mit dem Bascha zu unterhalten. Dass ich bei +diesem mehrmonatlichen Aufenthalt in Fes hinlänglich +Gelegenheit hatte, die Stadt kennen zu lernen, braucht wohl kaum +erwähnt zu werden.</p> +<h2><a name="K08" id="K08"></a>8. Die Hauptstadt Fes</h2> +<p>Die Hauptstadt des Sultans von Marokko ist nur von wenigen +Europäern besucht worden, ebenso dürftig sind die +Nachrichten, welche Augenzeugen davon gegeben haben. Am +ausführlichsten, fast weitschweifig, handelt Leo von Fes, +nächst ihm giebt eine auf eigener Anschauung beruhende +Beschreibung der spanische General Badia (Ali Bey-el-Abassi). Alle +anderen Berichte über Fes beruhen nur auf Kundschaft und +Hörensagen.</p> +<p>Ob der Ort, wo heute Fes steht, von den Römern bewohnt war, +ist nach so wenigen Untersuchungen schwer zu entscheiden, aber +höchst wahrscheinlich. Die Lage ist so ausgezeichnet, so +für eine Stadt in jeder Beziehung anlockend, dass eine so +günstige Position den Alten gewiss nicht entgangen ist. +Ueberdies haben wir in der Nähe Punkte, welche wir mit +Sicherheit als von den Römern bewohnte kennen. Wir erkennen +die Stadt Volubilis im heutigen Serone, eine Stadt, die zur Zeit +Leo's Gualili oder Walili hiess, und von der er sagt, dass sie +ausser dem Grabmale vom älteren Edris nur drei oder vier +Häuser habe. Heute nun ist Walili oder, wie sie jetzt genannt +wird, Serone, ein Städtchen von 4-5000 Einwohnern, und das +Grabmal Mulei Edris-el-Kebir, wie der Vater des Gründers der +Stadt Fes genannt wird, ist noch immer ein berühmter +Wallfahrtsort. Wir haben sodann in den Aquae Dacicae einen sicheren +Anhaltepunkt in der Nähe von Fes; können wir uns genau +auf das Itinerarium Antonini verlassen, so würden wir nicht +anstehen, Fes das alte Volubilis zu nennen, denn die Entfernung, 16 +Mill., stimmt genau mit den berühmten heissen Schwefelquellen +von Ain Sidi- Yussuf<a href="#F078"><sup>78</sup></a>, die sich +nördlich zu West von Fes befinden. Die Aquae Dacicae sollen +nach dem Itinerarium Antonini 16 Mill. nördlich von Volubilis +gelegen sein. Die alten Aquae Dacicae, jetzt Ain-Sidi-Yussuf +genannt, sind heute noch die berühmtesten Thermalen von +Marokko.</p> +<blockquote><a name="F078" id="F078"></a>[Fußnote 78: ain = +Quelle.]</blockquote> +<p>Die heutige Stadt Fes wurde nach Leo im Jahr 185 der Hedschra +von Edris gegründet, dieser war ein naher Verwandter von +Harun-al-Raschid und ein noch näherer von Mohammed selbst, +denn Edris war Enkel von Ali, dem Schwiegersohn Mohammed's. Edris' +Vater selbst ist jener Edris-ben-Abd- Allah, der aus Jemen gekommen +war und sich in Walili niedergelassen hatte, sein Sohn wurde ihm +erst nach seinem Tode von einer gothischen Sklavin geboren. Renou +giebt an, Edris habe die Stadt 793 n. Chr. gegründet, welches +Jahr mit dem 177. Jahre der Mohammedaner correspondirt Marmol +lässt Fes an Jahre 793 n. Chr. erbaut werden, stimmt aber +irrthümlicher Weise dieses Jahr mit dem 185. Jahre der +Hedschra. Während noch Andere für das Gründungsjahr +von Fes 808 n. Chr. ansetzen, verlegt Dapper es auf das Jahr 801 n. +Chr. Es geht hieraus hervor, dass wir nicht ganz mit Bestimmtheit +das Jahr angeben können, sondern uns damit begnügen +müssen, zu wissen, dass die Stadt gegen das Ende des 8. oder +im Anfange des 9. Jahrhunderts gegründet wurde.</p> +<p>Ebenso unbestimmt sind die Angaben, woher der Name Fes kommt. +Leo leitet den Namen davon her, weil bei den ersten Grabstichen die +Gründer Gold, Silber (Fodda oder Fedda) gefunden hätten; +Andere meinen, die Stadt habe den Namen vom Flüsschen gleichen +Namens, was die Stadt durchschneidet, noch Andere leiten den Namen +der Stadt von Fes her, was im Arabischen eine "Hacke" bedeutet. Was +die Schreibart anbetrifft, so finden wir ebensowenig +Uebereinstimmung; Einige schreiben Fes, Andere Fas, noch Andere +Fez, und doch dürfte Fes die alleinig richtige sein, wenn wir +die arabische Schreib- und Aussprechungsweise zu Grunde legen.</p> +<p>Fes liegt nach Ali Bey auf dem 34° 6' 3" nördl. Breite, +dem 7° 18' 30" östl. Länge von Paris, und da bis +jetzt keine anderen Bestimmungen vorliegen, so müssen wir +diese festhalten.</p> +<p>Es herrscht eine grosse Confusion über die örtliche +Lage von Fes. So sagt Leo: "Die Stadt besteht fast ganz aus Bergen +und Hügeln; nur der mittelste Theil ist eben, und Berge sind +auf allen vier Seiten." Ali Bey: "Die Stadt Fes ist auf den +Abhängen verschiedener Hügel gelegen, welche die Stadt +von allen Seiten, mit Ausnahme von Norden her, umgeben." Thatsache +ist, dass Fes, als Ganzes betrachtet, denn die Stadt besteht aus +zwei vollkommen getrennten Städten, von allen Seiten, mit +Ausnahme vom Süden her, von Bergen umschlossen ist. Ebenso +werden die die Stadt durchziehenden Gewässer unter +verschiedenen Namen aufgeführt, und es hat dies zum Theil +seinen Grund darin, dass die Araber in sehr vielen Fällen +für einen und denselben Fluss verschiedene Benennungen haben, +je nach seiner Quelle, nach seinem mittleren oder unteren Laufe. So +hat denn das kleine Flüsschen, welches südwestlich von +Fes etwa 20 Kilometer entfernt entspringt, zuerst den Namen +Ras-el-ma, ändert aber den Namen, sobald es die Stadt +erreicht, in Ued-Fes um; es verbindet sich dieses Flüsschen +mit einem stärkeren, aus Südost kommenden Flusse zwischen +Neu- und Alt-Fes, und beide durchströmen nun die Stadt +ebenfalls unter dem Namen Ued Fes, um später Ued Sebu genannt +zu werden. Der grössere Fluss, der von Süd-Süd-Ost +in Neu-Fes eindringt, heisst aber oberhalb der Stadt, wie ich auf +meiner zweiten Reise in Marokko constatiren konnte, ebenfalls Ued +Sebu. Wenn noch andere Namen aufgeführt werden für diese +Wässer, als von Renou Oued el Kant'ra (Brückenfluss), von +dem Renou glaubt, es sei dies der von Edris genannte Fluss Ued +S'enhâdja, oder von Graberg von Hemsö Vad-el-Gieuhari +und Vad-Matrusin, oder von Marmol Ouad-el-Djouhour (Perlenfluss), +so muss ich gestehen, dass diese Namen mir während meines +Aufenthalts in Fes nicht bekannt geworden sind.</p> +<p>Die Stadt präsentirt sich also derart, dass sie fast mit +von Norden nach Süden (mit etwas von Nordwest nach Südwest +geneigter) gerichteter Achse gelegen ist und aus zwei Städten +besteht, Fes-el-bali<a href="#F079"><sup>79</sup></a>, Alt-Fes, und +Fes-el-djedid, Neu-Fes. Beide Städte aber liegen keineswegs +dicht neben einander, sondern sind durch eine zwei Kilometer lange +Strasse, aufs dichteste von Häusern bestanden, verbunden, so +dass es, von oben gesehen, das Aussehen hat wie zwei getrennte +Städte, welche communiciren durch eine eng gebaute Strasse. +Alt-Fes bildet den nördlichen Theil und ist mit Ausnahme von +Süden her von Bergen umschlossen, zum Theil namentlich nach +Osten zu an die Bergwand hinaufgebaut, Neu-Fes bildet den +südlichen Stadttheil und liegt vollkommen in einer Ebene. +Nördlich von Neu-Fes verbinden sich der Sebu und das von +Ras-el-ma<a href="#F080"><sup>80</sup></a> kommende Wässerchen, um +Alt-Fes zu durchfliessen, Alt-Fes wird so in zwei Hälften +getheilt, durch sechs steinerne Brücken mit einander +verbunden, die westliche Seite ist die kleinere. Beide Städte +sind mit 30-40 Fuss hohen Mauern umgeben, welche von etwa 500 zu +500 Schritt mit viereckigen hervorspringenden Thürmen versehen +sind. Die Mauern sind an der Basis zwei Meter und mehr dick, +verjüngen sich nach oben zu einem Meter, und haben auf der +Zinne einen Umgang, geschützt durch eine etwa 5 Fuss hohe und +1-2 Fuss dicke crenelirte Mauer. Die Thürme selbst sind +eingerichtet, Geschütze aufnehmen zu können.</p> +<blockquote><a name="F079" id="F079"></a>[Fußnote 79: +Fes-el-bali sollte eigentlich Fes-el-kedim heissen, denn das Wort +kedim entspricht genau unserm "alt", während "bali" mehr das +"abgenützt" in sich schliesst.]</blockquote> +<blockquote><a name="F080" id="F080"></a>[Fußnote 80: +Ras-el-ma heisst eigentlich weiter nichts als Kopf des Wassers d.h. +Quelle.]</blockquote> +<p>Die Mauer von Alt-Fes sowie die Thürme befinden sich in +äusserst mangelhalftem Zustande, die von Neu-Fes ist besser +erhalten, und ist an manchen Stellen eine doppelte, so namentlich +nach Südwesten und Süden zu, wo die äussere Mauer +ausserdem 80 Fuss hohe Thürme hat.</p> +<p>Die Mauern sowohl wie die Thürme sind aus einer gegossenen +oder vielmehr gestampften Masse aufgeführt, welche zwischen +Brettern eingestampft wird und an der Luft, mit Kalk und Cement +vermischt, eine grosse Härte erlangt. Die Ecken, Bogen, Seiten +der Thore sind indess aus behauenen Steinen hergestellt, denn die +Masse, so widerstandsfähig sie im grossen Ganzen auch ist, so +leicht zerbröckelt sie doch an den Ecken und Kanten. Aus eben +dieser Masse sind auch die meisten grossen Gebäude +hergestellt, viele aber auch aus im Feuer gebrannten Ziegeln; +gerundete Dachziegel endlich sind das Material, das man zur +Bedeckung der Moscheen genommen hat; die Wohnhäuser verlangen +solche nicht, da alle platte Dächer haben.</p> +<p>Wenn auf diese Art die Stadt gegen Landesfeinde vollkommen +geschützt erscheint—denn so sehr die Mauern auch Verfall +drohen, würden sie dennoch Schutz gegen regellose Angriffe +gewähren—, so wenig haltbar würde sich Fes einem +Angriffe irgend einer europäischen Macht gegenüber +zeigen. Selbst die beiden Forts ausserhalb der Stadt tragen nichts +zum Schutze gegen einen Angriff von aussen her bei, weil sie selbst +von anderen Anhöhen von nächster Nähe aus beherrscht +sind. Das eine dieser Forts liegt im Südosten der Stadt auf +einer Anhöhe und ist ein mit vier Bastionen versehenes +Viereck, offenbar von ehemaligen europäischen Renegaten nach +Vauban'schem System recht gut angelegt. Im Westen der Stadt auf der +nächsten Anhöhe befindet sich eine Lunette, diese +letztere, nach der Stadt zu in ihrer Kehlseite nur durch Pallisaden +geschlossen, ist wie das vorhin erwähnte Quadrilatär aus +behauenen Steinen erbaut, und beide sind überdies mit tiefen +Gräben versehen. Ob diese Steine, welche grosse Quadern aus +Sandstein sind, eigens zu diesen Bauten gehauen worden sind oder +von alten Römerwerken herstammen, konnte ich nicht erfahren; +wäre letzteres der Fall, so wäre das ein Beweis mehr, an +der jetzigen Stelle von Fes eine alte Römerniederlassung, +vielleicht Volubilis, suchen zu müssen. Keines der beiden +Forts hatte Kanonen im Jahr 1861/62, und beide waren auch ohne jede +Bewachung.</p> +<p>Die Stadt Fes wird in 18 Quartiere getheilt, von denen zwei auf +die Neustadt, die übrigen auf Alt-Fes kommen, davon hat +Alt-Fes sieben Thore, inclusive des nach der Neustadt zu +führenden, während Neu-Fes nur drei hat, von denen das +eine auf Alt-Fes gerichtet ist. Der Länge nach wird die Stadt +von einer Strasse durchschnitten, welche hinlänglich breit +ist, denn überall können vier oder fünf Menschen +neben einander gehen, oft auch noch mehr. Die Gässchen aber, +die sich von dieser Hauptstrasse in die verschiedenen Quartiere +hinschlängeln, sind äusserst schmal, manchmal so eng, +dass zwei sich Begegnende sich an einander vorbeidrücken +müssen. Es sind dann zahlreiche Plätze vorhanden, aber +kein einziger mit Ausnahme des grossen Platzes in Neu-Fes, der sich +vor dem Palaste des Sultans befindet, welcher mehr als 500 Menschen +aufnehmen könnte, wenn sie dichtgedrängt bei einander +stehen. Hierdurch erlangt die Stadt ein äusserst düsteres +Aussehen, was noch dadurch vermehrt wird, dass kein einziges Haus +nach der Strassenseite Fenster hat, und fast alle zwei oder drei +Stockwerke hoch sind.</p> +<p>Ein grosser Uebelstand ist auch der, dass man gar keine +Pflasterung in Fes kennt, man ist im Sommer einem entsetzlichen +Staube ausgesetzt und hat im Winter die grösste Mühe, +durch den tiefen Schmutz fortzukommen. Gegen diesen haben +allerdings die Bewohner eine eigene Art Holzschuhe erfunden mit 2-3 +Zoll hohen Absätzen unter dem Hacken und den Fussspitzen, aber +oft reichen selbst diese nicht aus. Auch in Tunis, wo ähnliche +Verhältnisse während der nassen Jahreszeit sind, hat man +diese Holzunterschuhe, die unter dem gewöhnlichen Schuhzeuge +befestigt werden, und wie alt ihr Gebrauch ist, geht daraus hervor, +dass schon Leo ihrer erwähnt.</p> +<p>Das Innere der Häuser ist oft sehr hübsch +eingerichtet, obgleich man natürlich an Möbel, wie sie +bei uns in Gebrauch sind, nicht denken muss. Der Marokkaner will +gar keinen Fortschritt, so wie seine Väter gelebt haben, will +auch er leben, und Neuerungen einführen, ist die grösste +Sünde. So sind denn auch alle Einrichtungen so, wie sie vor +Hunderten von Jahren gewesen sind. Gelangt man durch eine starke, +meist dick mit Eisen beschlagene Thür durch einen umgebogenen +Gang<a href="#F081"><sup>81</sup></a> in das innere einer Wohnung, so kommt +man zuerst auf einen mehr oder weniger grossen nach oben offenen +Hofraum, der meist viereckig von Form ist. Bei Reichen und Armen +ist dieser Raum gepflastert, oft mit Marmorfliessen (weche [welche] +von Spanien und Portugal kommen), meist aber mit Sleadj. Es sind +dies kleine Fliesse mit bunt glasirter Farbe, und da sie in +allerlei Formen hergestellt werden, sternartig, dreieckig, +viereckig etc., so legen die Erbauer die hübschesten Muster +damit zusammen. Eine einzelne Sleadj ist nicht grosser als 1-2 Zoll +Seitenlänge; man verfertigt sie in Fes selbst. Auch die +Zimmerböden sind meist aufs reizendste mit diesen Sleadj +ausgelegt.</p> +<blockquote><a name="F081" id="F081"></a>[Fußnote 81: Ein +gerader Gang darf von der Strasse nicht ins Innere des Hauses +führen, weil sonst, bliebe ja einmal aus Versehen die +Hausthür offen stehen, der Blick eines Fremden in den Hofraum +fallen könnte.]</blockquote> +<p>In der Mitte des Haushofes befindet sich ein springender oder +jedenfalls fliessender Quell, auch in der ärmsten Wohnung +fehlt er nicht. Bei den Reichen befinden sich zu dem Ende meist +hübsche Marmorbecken, welche ebenfalls aus Europa bezogen +werden, im Hofe. Die Vertheilung des Wassers in der Stadt ist +nämlich so ausgezeichnet, dass Canäle weit oberhalb der +Stadt von den Flüssen abgeleitet sind, und so auch die +höchsten Stadttheile mit reinem Wasser versorgen. In Neu-Fes +hat man an einem Canal sogar grosse Räder erbaut, welche, wie +in Italien die Bewässerungsräder, mittelst ihrer eigenen +vom Wasser bewirkten Umdrehung Wasser auf die Höhe schaffen. +Nach Leo sollen diese Wasserräder schon 100 Jahre vor seiner +Ankunft in Fes gewesen sein und von einem Genueser +herrühren.</p> +<p>Ebenso gut ist für die Abführung der Unreinigkeiten +aus den Häusern gesorgt, das lebendige Wasser führt allen +Unrath mittelst kleiner unterirdischer Canäle in den Ued +Fes<a href="#F082"><sup>82</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F082" id="F082"></a>[Fußnote 82: Leo +giebt an: es seien über 150 öffentliche Latrinen in Fes, +und sämmtliche wurden durch fliessendes Wasser von selbst +reingehalten. Ob so viele in Fes sind, kann ich nicht behaupten, +jedenfalls wird, da man in allen marokkanischen Städten, auch +in den Oasen, öffentliche Latrinen findet, auch wohl in Fes +dafür gesorgt sein. Man findet sie übrigens nicht nur mit +Moscheen verbunden, sondern häufig auch ganz unabhängig +von solchen.]</blockquote> +<p>Die Zimmer der Häuser, von denen sich in der Regel drei +oder vier auf den Hofraum öffnen, sind stets sehr lang, sehr +hoch, aber auch nie breiter, als dass ein grosser Mensch der Breite +nach darin liegen kann. Grosse und hohe Thüren, wie immer mit +hufeisenförmigen Bogen führen zu den Zimmern; im Sommer +und bei gutem Wetter sind sie offen, im Winter verschlossen, und +man gelangt durch eine kleine Thür, eine Art +Schlüpfthür (Poterne), welche sich in jeder grossen +befindet, ins Zimmer. An beiden Seiten der Thür sind manchmal +kleine viereckige, oder auch ogivische stark vergitterte Fenster, +Glasscheiben hat man erst in letzter Zeit angefangen +einzuführen, Möbel nach unserem Sinne sind nirgends +vorbanden. Bei den Reichen findet man Teppiche, Wollmatratzen, +feine Matten, und auch die Wände der Zimmer 3-4 Fuss hoch mit +hübschen Matten ausgeschlagen; auch manchmal Betten an den +Enden der Zimmer auf europäischen Bettstellen, aber diese +werden mehr als Luxus, als Schmuck betrachtet, es würde nie +Jemandem einfallen, darin zu schlafen.</p> +<p>Die Wände der Zimmer sind weiss ausgekalkt, aber unterhalb +des Plafond laufen manchmal Arabesken herum, oft in Form von +Koransprüchen.</p> +<p>Die Plafonds der Zimmer sind bunt bemalt, oft azur mit Gold, oft +aber auch mit Holzschnitzerei bedeckt oder mit Holzstückchen +ausgelegt. In den Wänden sind häufig nischenartige +Vertiefungen angebracht, welche als Schränke dienen; ebenso +findet man bei der wohlhabenden Classe Holzschränke, oft aus +sehr hübschen Holzschnitzwerken gearbeitet, oder mit +Perlmutterstückchen, Elfenbein oder Ebenholzstückchen +ausgelegt.</p> +<p>Während im Hofe rings um die inneren Wände ein durch +steinerne Säulen getragener Bogengang läuft, der zugleich +Schatten gegen die senkrechte Sonne gewährt, dient dieser +Bogengang für das zweite Stockwerk als Vorplatz, von dem aus +man in die Zimmer gelangt; und ist noch ein drittes Stockwerk +vorhanden, so gehen die Gallerien ebenfalls höher. Die oberen +Zimmer unterscheiden sich in der Anordnung durch nichts von den +unteren; ganz oben auf dem platten Dache, welches aus gestampfter +und cementirter Erdmasse besteht, befindet sich manchmal noch ein +Zimmer, Mensa genannt; hier geben die Frauen vorzugsweise ihre +Gesellschaften. Der Zugang nach oben geschieht mittelst Treppen, +die immer sehr schmal, und, wenn im Innern des Hauses, niedrig +angelegt sind; aber so sehr man darauf sieht, den Raum in Breite +und Höhe bei der Treppe zu beschränken, so wenig sieht +man darauf, die Absätze selbst kurz zu machen; im Gegentheil, +diese sind so hoch, dass manchmal ein ausserordentlicher +Kraftaufwand erforderlich wird, um einen Absatz zu ersteigen.</p> +<p>Von aussen werden die Häuser bisweilen durch anstrebende +Pfeiler verstärkt oder durch Bogengänge +auseinandergehalten; es trägt dies keineswegs dazu bei, die +ohnehin schon schmalen Gassen passirbarer zu machen, und wo man ja +einmal eine etwas breitere Strasse antrifft, kann man sicher sein, +dass die Anwohner dies derart durch Ueberbauen der zweiten und +dritten Etage benutzt haben, dass die breiteren Strassen hiedurch +fast zu den dunkelsten gemacht sind.</p> +<p>Nachts werden nicht nur die Stadtthore geschlossen, sondern auch +die Thore, welche die verschiedenen Quartiere von einander trennen, +und da die Quartiere gemeiniglich durch mehrere Strassen mit +einander communiciren, so kann man sich denken, wie viele Thore +alle Abende verschlossen werden müssen. Man sagt: es sei dies +eine Sicherheitsmassregel, und hauptsächlich sei dieselbe +gegen Diebe gerichtet. In der That wird dadurch alle Communication +Nachts aufgehoben; nach dem l'Ascha (das letzte Gebet) ist es +unmöglich, aus seiner Strasse oder seinem Quartier +herauszukommen. Während des Chotba-Gebetes am Freitag werden +ebenfalls alle Thore abgeschlossen, nicht nur in Fes, sondern in +allen Städten Marokko's, ja im ganzen Rharb (die arabischen +Geographen rechnen alles Land westlich vom Nil zum Rharb, d.h. dem +Westen, alles östlich davon zum Schirg, d.h. dem Osten) +herrscht diese Sitte, wie ich später in Rhadames, Tripolis, +Bengasi, Tunis und anderen Städten zu erfahren Gelegenheit +hatte. Es soll dies deshalb geschehen, weil einer alten Sage zu +Folge sich um die Zeit des Chotba- Gebetes die Christen der +mohammedanischen Städte bemächtigen würden. +Wahrscheinlich ist es aber ein alter Brauch der Regierungen, die +sich dann mit ihrer ganzen Macht in den Moscheen befinden und sich +so gegen ihr eigenes Volk sichern wollen.</p> +<p>An öffentlichen Gebäuden der Stadt sind die +Paläste des Sultans, die Moscheen, die Funduks, Bäder und +Grabstätten hervorzuheben.</p> +<p>Der grosse Palast des Sultans nimmt den ganzen +südwestlichen Theil von Neu- Fes ein; von dem Innern dieses +Gebäudes kann ich nur wenig berichten, da ich hier nicht dem +Leser die übertriebenen Beschreibungen der Bewohner von Fes +wiedergeben mag, die mehr nach Fabeln aus 1001 Nacht klingen, als +auf Wirklichkeit beruhen. Grossartige Ruinen deuten allerdings auf +einstige grossartige Bauten hin, aber <i>alle</i> Bauten der +Mohammedaner haben das Eigenthümliche, dass sie meist schon +<i>gleich</i> nach dem Entstehen ein ruinenhaftes Aussehen +bekommen. Der Palast besteht eigentlich aus weiter nichts als +vielen grossen mit Arkaden versehenen Höfen mit Springbrunnen, +auf welche sich die Zimmer öffnen, Pferdeställe, +Bedientenstuben, Wachtzimmer, Empfangshöfe—diar el +meshuar genannt—wechseln damit ab. An der +südöstlichen Ecke, durch hohe Mauern von den übrigen +Theilen des Palais getrennt, befindet sich das Harem, welches Platz +für mehr als 1000 Frauen hat. Zwischen der kaiserlichen +Wohnung und der südwestlichen Stadtmauer befindet sich ein +grosser Garten, in welchen ich mehrere Male Zutritt bekam. Man +findet hier fast alle feineren europäischen Gemüse, auch +Blumenkohl, Artischocken und dgl. Von langen geraden Gängen +durchschnitten, sind diese an den Seiten eingefasst von Beeten mit +Rosen, Jasmin und Luisa, und fast alle Wege sind zu Tunnels und +Laubengängen umgeschaffen, wo die rankenden Weinreben +kühlenden Schatten gewähren. Eine kleine Veranda, vor +einem Theil des Palais gelegen—und davor ein besonderes +abgeschlossenes Gärtchen, worin nur Blumen gezogen werden, +dienen zum Privatgebrauche des Kaisers.</p> +<p>Ein zweiter Palast des Sultans ist zwischen Neu- und Alt-Fes +gelegen und hat den etwas sonderbaren Namen Bu-Djelud<a href= +"#F083"><sup>83</sup></a>. Es ist dies, abgesehen von dem halbverfallenen +Aussehen, ein hübsches Gebäude, und, +eigenthümlicherweise im Renaissancestyl, vermischt mit +maurischer Architektur errichtet, was wohl daher rührt, dass +europäische Renegaten die Erbauer waren. Es gelang mir leider +nicht (da der Sultan in Mikenes war), in das Innere zu kommen; +ebenso war mir auch der Garten verschlossen, welcher damit +verbunden ist, und dessen herrliche Baumgruppen, aus denen schlanke +Palmen hervorragten, ich oft im Vorübergehen bewunderte. +Dieser Garten war den Damen des Harems reservirt.</p> +<blockquote><a name="F083" id="F083"></a>[Fußnote 83: +Bu-Djelud heisst Vater der Felle; wahrscheinlich befand sich hier +am Flusse—denn dieser Palast liegt hart am +Ued-Sebu—eine Gerberei. Eine ähnlich sonderbare +Benennung hat ja auch der Palast der französischen Herrscher +in Paris: Tuilerie.]</blockquote> +<p>Eine halbe Stunde von Neu-Fes entfernt, nach dem Süden zu, +befindet sich eine sultanatliche Wohnung, von einem äusserst +grossen und mit hoher Mauer umringten Garten umgeben; in diesem +Gebäude hält sich der Sultan manchmal auf, um die +Sommerfrische zu geniessen; zum Theil wohnen sodann die Minister, +die Grossen des Reichs, die Gouverneure der Provinzen, welche zum +Besuch anwesend sind, mit in dem weitläufigen Gebäude, +zum Theil campiren sie in ihren Zelten ausserhalb des Gartens.</p> +<p>Zwischen diesem Landsitz in Neu-Fes ist auch gewöhnlich die +Mhalla, d.h. der Lagerplatz des Heeres. Dieses muss immer da sein, +wo der Sultan sich aufhält; und da in Neu-Fes für die +Truppen, welche der Sultan immer um sich hat, nicht +hinlänglich Platz ist, so campiren sie hier unter Zelten. Von +Weitem gesehen, sieht dieses Zeltlager, inmitten der grünen +Wiesen, durchschlängelt vom Ued-Fes, sehr malerisch aus, aber +im Innern herrscht die grösste Unreinlichkeit und +Verwirrung.</p> +<p>Die stehende Macht des Sultans bestand 1862 aus etwa 4000 +Infanteristen, welche aufs bunteste costümirt sind. +Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman, jetziger Sultan und derselbe, dem +zu Lebzeiten seines Vaters eine so empfindliche Niederlage durch +den Marschall Bugeaud bei Isly<a href="#F084"><sup>84</sup></a> beigebracht +wurde, war im Feldzuge gegen die Spanier nicht glücklicher +gewesen. Indess hatte er so viel Einsehen bekommen, dass er +begriff, mit seinen regellosen Schaaren nicht gegen +europäische Streitkräfte kämpfen zu können.</p> +<blockquote><a name="F084" id="F084"></a>[Fußnote 84: Am 14. +August 1844. Der jetzige Sultan entkam seiner Gefangennahme nur +dadurch, dass er beim Eindringen der Franzosen in sein Zelt dieses +mit dem Säbel schlitzte, und aufs Pferd sich schwingend, von +diesem aus dem Bereich der Feinde getragen wurde.]</blockquote> +<p>Er glaubte nun ein regelmässiges stehendes Heer zu haben, +wenn er Leute auf europäische Art uniformiren liess, und so +sah man hier Uniformstücke sämmtlicher Nationen, +gemeinsam ist allen nur der rothe Fes und die gelben Pantoffeln; +auch hatte man angefangen, kurze bis an die Knie gehende Hosen +einzuführen, da es den Berbern und Arabern unmöglich +schien, lange Hosen zu tragen. Diese Infanterie ist in vier Theile +oder Bataillone getheilt, je von einem "Agha" commandirt, +untergetheilt sind sie wieder in vier Abtheilungen, denen ein Kaid +(Hauptmann) vorsteht, und noch kleinere Abtheilungen werden von +Califat-el-kaid (Lieutenants) und Mkadem (Unterofficier) +commandirt. Die Mannschaft selbst besteht aus Berbern, Arabern, +Negern und spanischen Renegaten, welche letztere Sträflinge +von Ceuta, Penon oder Mellila her desertiren. Diese Renegaten sind +vorzugsweise Hornisten, Tamboure oder bei der Capelle angestellt. +Denn da die englische Regierung die Instrumente geschenkt hat, so +hat der Sultan eine Capelle einrichten lassen, welche aber auf noch +viel haarsträubendere Art deutsche Walzer oder italienische +Stücke zum Besten giebt, als die türkischen Regimenter. +Die Capelle hat 24 Mitglieder, während der Hornisten und +Tamboure für jede Compagnie je zwei vorhanden sind. Die +Trommeln sind ähnlich wie die des deutschen Heeres, die +Hörner sind gleich denen der Engländer.</p> +<p>Die Bewaffnung besteht aus alten französischen +Steinschlossgewehren, fast alle mit der Jahreszahl 1813. Der +Sultan, hat diese im Preise von 40 Fr. das Stück kaufen lassen +(er hätte dafür auch Zündnadeln bekommen +können), aber die Zwischenhändler haben ihr Profitchen +dabei gemacht. Das Commando geschieht in türkischer Sprache, +was den Uebelstand für den Soldaten hat, dass derselbe das +Commando nur mechanisch verstehen lernt. Jede Compagnie hat eine +Fahne, jedes Bataillon (ich nenne so die vom "Agha" commandirte +Atheilung [Abtheilung]) eine etwas grössere, die Farben der +Fahnen sind roth, gelb, blau, je nachdem der Chef Vorliebe für +diese oder jene Farbe hat.</p> +<p>Der gemeine Soldat bekommt sechs Mosonat Löhnung, und muss +sich hierfür Alles halten, was bei den billigen +Verhältnissen in Marokko auch recht gut angeht, zumal die +Kleidung vom Sultan geliefert wird. Die höheren Stellen sind +allerdings nicht besonders bezahlt, so bekommt ein Agha, +Bataillonschef, nur ein Metcal täglich (= 40 Mosonat oder etwa += 2 Francs). Da diese aber ausser den Pferderationen Korn, Aecker +und Vieh vom Sultan bekommen, überdies die Gelder der +beurlaubten Soldaten zum grössten Theil in ihre Tasche +fliessen, so stehen sie sich nicht schlecht. Denn von 1000 Mann, +die ein Agha commandirt, sind höchstens 800 zur Stelle, die +200 fehlenden werden aber geführt, und der Sold davon +täglich vom "Amin el Lascari," d.h. dem Zahlmeister, +bezogen.</p> +<p>Man kann sich einen Begriff von dieser regelmässigen Armee, +welche aus den grössten Taugenichtsen des ganzen Reiches +zusammengesetzt ist, machen, wenn ich einige kurze Personalnotizen +der Befehlshaber, mit denen ich bekannt wurde, hier gebe.</p> +<p>Der Agha des einen Bataillons war ehedem ein Verkäufer von +roher Seide und Seidengarn in Fes, Namens Hadj-Asus, er verdankte +seine Stellung bloss dem Umstande, dass er Hadj, d.h. Pilger nach +Mekka war. Marokko, welches so weit von Mekka entfernt liegt, hat +verhältnissmässig nur wenig Pilger aufzuweisen, und +obgleich die Dampfer jetzt die frommen Gläubigen auf +erstaunlich billige Weise von Tanger nach Alexandria und von da +nach Djedda schaffen, so hat dadurch keineswegs die Zahl der Pilger +zugenommen, weil eine Dampfschifffahrt nicht als so verdienstlich +angesehen wird<a href="#F085"><sup>85</sup></a> wie eine Pilgerfahrt zu +Fusse. Und die grosse Landpilgerkarawane, welche früher +jährlich von Fes, Maraksch und Tafilet abging, hat für +die ersten beiden Orte zu existiren aufgehört.</p> +<blockquote><a name="F085" id="F085"></a>[Fußnote 85: Eine +Dampfwallfahrt bei den Christen wird ebenfalls bedeutend geringer +angerechnet, als wenn man den Wallfahrtsort auf Erbsen rutschend +erreicht, wir dürfen uns also keineswegs hierin über die +Mohammedaner wundern oder gar lustig machen.]</blockquote> +<p>Der zweite Agha, ein gewisser Si-Hammuda, geborener Algeriner, +hat sich dadurch seine Stellung erworben, weil er ein +französischer Proscribirter ist; seinem Stande nach schwang +er, ehe der Sultan das Schwert ihm in die Hand gab, die Elle. Der +dritte Agha, ein gewisser Si-Mohammed-Chodja, ein geborener +Tunesier, weiss wohl selbst nicht, wie er zum Militärstande +gekommen ist, er ist von Haus aus Thaleb, d.h. Schriftgelehrter. +Der vierte und letzte Agha ist ein gewisser Ben-Kadur; von Haus aus +Kaid einer Bergtribe, sind diesem letzteren wenigstens nicht +kriegerische Eigenschaften abzusprechen, aber vom eigentlichen +europäischen Militärwesen hat er ebensowenig einen +Begriff wie die übrigen. Ich könnte, da ich Gelegenheit +hatte, alle Kaids kennen zu lernen, so fortfahren, aber dies wird +genügen.</p> +<p>Indess sei noch erwähnt, dass zwei wirkliche +französische Officiere, Eingeborne der Tirailleurs +indigènes, es nie weiter bringen konnten als zum Lieutenant, +weil sie im Verdachte standen Christen zu sein, während ein +anderer, ein "Sussi", Herumstreicher (Eingeborne aus der Provinz +Sus), gleich zum Hauptmann oder Kaid ernannt wurde. Da diese +Ernennung während meiner Anwesenheit in Fes erfolgte, so kann +ich hier anführen, dass sie aus dem Grunde geschah, weil +dieser "Sussi" vor den Augen des Sultans in +Seiltänzerkunststücken sich ausgezeichnet hatte. Er hatte +ehedem einer Gesellschaft angehört, wie sie häufig aus +dem Sus kommen, und mit dieser nicht nur die ganze mohammedanische +Welt, sondern auch ganz Europa durchzogen; so behauptete er auch in +Deutschland gewesen zu sein, und da er mir mehrere Städte +Deutschlands mit Namen nennen konnte, musste ich es wohl glauben, +denn welcher andere Marokkaner hätte eine deutsche Stadt +namentlich gekannt; das geographische Wissen der grössten +marokkanischen Gelehrten, soweit es Europa betrifft, +beschränkt sich auf Baris (Paris), Lundres (London), Manta +(Malta), Blad Andalus (Spanien), Bortugan (Portugal), Musgu +(Russland), Nemsa (Deutschland) und Stambul (Konstantinopel). Kann +ein Thaleb oder Faki der Reihe nach diese Namen auskramen, so +glaubt er wenigstens ein Humboldt oder Ritter zu sein.</p> +<p>Manövrirt wird denn auch nie mit dieser oben geschilderten +"regelmässigen" Truppe, und die Exercitien beschränken +sich auf Parademärsche, auf ssalam dur (präsentirt das +Gewehr) und einige andere Griffe. Ein grosser Uebelstand ist, dass +die meisten Soldaten verheirathet sind und Kinder haben, viele auch +Sklaven besitzen, kurz man kann sagen, dass der Sultan mit seiner +bunt nach aller Herren Länder Art uniformirten Truppe sich +keineswegs eine regelmässige Armee oder nur den Kern dazu +geschaffen hat. Aber die seit Jahrhunderten bestehende +Unfehlbarkeit des Sultans hat dazu geführt, dass diese +Persönlichkeiten anfangen sich selbst für unfehlbar zu +halten, und der Sultan glaubt in der That mit der Ernennung irgend +eines Menschen zum Bataillonschef wirklich dadurch einen +tüchtigen Chef gemacht zu haben.</p> +<p>Besser ist die Cavallerie organisirt (nach Sir Drummond Hay +16000 Mann stark), weil sie auf einheimische Verhältnisse +basirt ist. Die Cavalleristen bekommen zwei Mosonat täglich +mehr, als die Infanteristen, haben aber dafür ihre Pferde zu +unterhalten. Sie sind eingetheilt in kleine Truppen von 50-60 +Pferden, welche einem Kaid untergeben sind. Das Commando ist hier +arabisch. Der Cavallerist hat eine lange Steinschlossflinte und +einen ziemlich geraden Säbel als Bewaffnung; wer sich selbst 1 +oder 2 Pistolen anschafft, glaubt dann aufs vollkommenste +ausgerüstet zu sein. Der Säbel wird an einer seidenen +oder baumwollenen Schnur von der rechten Schulter zur linken Seite +herabhängend getragen. Die Sättel sind jene mit hohen +Lehnen nach hinten, mit hohem Knaufe nach vorne versehenen und +allgemein unter Arabern und Berbern gebräuchlichen. Von +Exercitien und Manövern ist bei der Cavallerie noch weniger +die Rede, die ganze Kunst des Cavalleristen beschränkt sich +darauf, im schnellsten Laufe das Pferd fortzureiten und +während des Rittes die Flinte abzufeuern. Da die grossen +Steigbügel sehr kurz hängen und so eingerichtet sind, +dass der ganze Fuss darin Platz hat, so <i>stehen</i> beim +schnellen Reiten meistens die Cavalleristen. Auf diese Art wird +auch der Angriff gemacht, man saust mit Windeseile heran, schiesst +ohne zu zielen das Gewehr ab, und das dann von selbst wendende +Pferd trägt den Angreifer zurück. Die Cavallerie hat nur +Hengste.</p> +<p>Seit dem Kriege mit Spanien hat der Sultan von Marokko auch +Feldartillerie angeschafft, aber eben so unglücklich berathen +wie in Beschaffung seiner Uniformstücke, hat er wohl kein +einziges Geschütz, welches dem andern gleich wäre. Die +Artilleristen, welche diese Kanonen zu bedienen haben, sind fast +alle spanische Renegaten; auch einen Franzosen fand ich dort, der +Hauptmann war, und einen Deutschen, der in der Heimath +Maurergeselle gewesen, die Kelle mit der Kanone vertauscht und von +Sidi Mohammed, dem Hakem el mumenin (Beherrscher der +Gläubigen), dem er verschiedene Arbeiten in seinem Palais +aufgemauert hatte, zum Kaid el Tobdjieh, d.h. zum +Artillerie-Hauptmann war ernannt worden. Ich brauche wohl kaum +hinzuzufügen, dass alle diese Renegaten dort verheirathet +sind, mithin factisch und für immer sich zu marokkanischen +Bürgern erklärt haben. Einem einzigen Europäer +gelang es jedoch, sich eine achtenswerthe Stellung in Marokko zu +erringen. Freilich war auch dieser nur zum Schein Mohammedaner +geworden, und, zugleich mit mir die Hauptstadt Fes betretend, hat +er jetzt seit langem Marokko den Rücken gekehrt. Es ist dies +der Spanier Joachim Gatell, der in Marokko den Namen Ismael +angenommen hatte. Da in seiner Beschreibung "L'ouad Noun et el +Tekna" eine interessante Schilderung des marokkanischen +Kriegslebens enthalten ist, so lasse ich sie hier übersetzt +aus den Bulletins de la Société de Geographie de +Paris folgen.</p> +<p>Auf der 279. Seite erzählt Gatell: "Im Jahr 1861 war so +eben der Krieg zwischen Spanien und Marokko beendet. Die +Erzählungen, welche man zu der Zeit vom marokkanischen Volke +machte, von den Sitten, vom Muthe, den barbarischen +Gebräuchen, dem Fanatismus der Bewohner, erregten in mir die +Idee in das Innere des Landes einzudringen, trotz der +Fährlichkeiten, denen ich dabei ausgesetzt sein konnte. Ich +reiste also nach Fes ab, wo sich der Hof befand, und, um besser +meine Absicht zu erreichen, trat ich in die regelmässige Armee +des Sultans. Obschon ich nur äusserst wenig vom Waffenhandwerk +verstand, wurde ich gleich zum Officier befördert." Nach einer +Schilderung der Campagne gegen die Beni Hassen, wobei Gatell zum +Chef der "Garde-Artillerie" des Sultans ernannt wurde, fährt +er fort die Expedition gegen die Rhamena zu schildern: "Wir hatten +29 Stück, einen Mörser eingeschlossen; aus den Magazinen +von Arbat nahmen wir 55 Centner Pulver in Fässern, und +ausserdem eine Menge fertiger Munition in Kisten mit, und fingen so +an die Aufständischen zu verfolgen.["] Ein Theil der +Seragua-Kabylen vereinigte sich so eben mit den Rhamena, nichts +desto weniger ging auch jetzt die kaiserliche Armee mit +marokkanischer Würde und Langsamkeit vorwärts: es schien, +als wenn wir einen Spaziergang im Sonnenschein zu machen, +keineswegs aber den Feind anzugreifen hätten. Die Hauptstadt +war bedroht, aber um eine solche Kleinigkeit kümmern sich dort +die Leute nicht. "—Wir werden zeitig genug ankommen, und wenn +nicht, so ist es Gottes Wille. Die marokkanische Majestät darf +nie Eile zeigen, oder auch nur den Anschein haben sich zu sehr um +den Gang der Ereignisse zu kümmern." Gatell erzählt +sodann, wie man nicht den Bewohnern den Krieg machte, sondern den +Getreidefeldern, welche angezündet wurden, und als sie endlich +vier Stunden von Marokko im Angesichte der Rhamena waren, die +Aufständischen auseinandergesprengt wurden; hiebei feuerte die +Artillerie 15 Schüsse ab und warf 8 Bomben.</p> +<p>Was die sogenannte schwarze Garde des Sultans von Marokko +anbetrifft, die "Buchari," die unter den früheren Kaisern, +namentlich unter Mulei Ismael eine so grosse Rolle spielte, so ist +dieselbe heute sehr zusammengeschmolzen; kaum einige hundert Mann +stark, dient sie jetzt nur zu Prunkaufzügen, und scheint gegen +den Feind nicht mehr verwendet zu werden, wenigstens nahmen die +Buchari am Kriege gegen Spanien keinen Antheil. Dem ganzen Heere +steht ein Schwarzer, Namens Abd-Allah, als Kriegsminister vor, er +hat das Verdienst ehemals als Sklave mit dem jetzigen Sultan +auferzogen worden zu sein. Unter ihm stehen verschiedene "Amin," +welche für die geldlichen und sonstigen Angelegenheiten der +Armee zu sorgen haben. Nach diesem Besuche bei der Armee wenden wir +uns wieder zur Stadt Fes zurück.</p> +<p>Von den übrigen erwähnenswerthen Gebäuden haben +wir nur zwei Moscheen zu nennen. Es ist dies zunächst die +Djemma Karubin (die den Cherubim gewidmete Moschee). Diese Moschee +ist wohl die grösste in ganz Nordafrika. Die Bewohner Fes' +behaupten, sie ruhe auf mehr als 360 Säulen, ja Einige +sprachen von 800; ich konnte mich natürlich nicht daran machen +sie zu zählen, aber wenn man von dem Hofe der Moschee ins +Innere sieht, glaubt man einen Wald von Säulen vor sich zu +haben. Wenn man der Beschreibung von Leo trauen darf, so hat die +Djemma 31 grosse Thore, das Dach ruht auf 38 Bogen der Länge +und 20 Bogen der Breite nach; es würde dies schon über +900 Säulen ergeben. Ali Bey giebt 300 Säulen an.</p> +<p>Die Moschee Karubin liegt ziemlich im Mittelpunkt von Alt-Fes, +und ist wie fast alle Moscheen derart gebaut, dass sie aus einem +grossen, von hohen Mauern und Arkaden umgebenen Hofraum und aus +einem bedeckten Theile besteht, der eigentlichen Moschee. Ganz aus +überkalkten Ziegeln erbaut, ist das Dach, oder vielmehr sind +die Dachreihen ebenfalls mit Ziegeln à cheval gedeckt, und +nicht glatt. Das ziemlich hohe Minerat ist, wie überall in +Marokko, äusserst plump und vierseitig aufgeführt. Im +Hofe des Gebäudes springen aus zwei reizenden und grossartigen +Marmorfontainen Wasserstrahlen, überhaupt sind die +Wasseranlagen, die kleinen Häuschen, worin die vor dem Gebete +nothwendigen Ablutionen verrichtet werden, ausgezeichnet und +zahlreich.</p> +<p>Der verdeckte Theil der Moschee hat wie alle diese Gebäude +vollkommen nackte gegypste Wände, der ganze Fussboden ist aber +zum Theil mit kostbaren Teppichen, und überall wenigstens mit +feinen Matten belegt. Auch an den Wänden und um die +Säulen ziehen sich halbmannshoch hübsche Strohmatten +hinauf. Wie in allen Moscheen des Rharb ist an und in der +östlichen Wand die Nische, welche die Gebetsrichtung "Kibla" +angiebt. Gleich links davon ist eine Treppe, von welcher herab +Freitags das Chotba-Gebet abgelesen wird. Der erste Priester der +Moschee tritt nach einem kurzen Gebet, mit einem langen Stock in +der rechten Hand versehen, auf die dritte Stufe (die Treppe +enthält fünf oder sechs Stufen), und liest dann mit +einförmiger Stimme das Freitagsgebet ab, der Schluss ist immer +von einem Gebete für den jemaligen Regenten begleitet; im +ganzen Rharb, d.h. Marokko, und auch in den südalgerischen +Ortschaften bezieht sich das Gebet auf Mohammed-ben-Abd- er-Rhaman, +im Osten aber, incl. Tunis und Aegypten, auf Abd-ul-Asis-Chan. Ob +die Mohammedaner in Algerien, wie früher für den +Türkensultan, heute noch für denselben Fürsten den +Segen herabflehen, oder für den jemaligen französischen +Regenten, kann ich nicht sagen.</p> +<p>Die Moschee Karubin hat das Eigenthümliche, dass +<i>mehrere</i> Mimber oder Gebetstreppen vorhanden sind. Freitags +zum Chotba-Gebet wird allerdings nur die eine links von der +Gebetsnische befindliche benutzt, aber die übrigen dienen als +Lehrstühle, von denen aus zu sonstiger Zeit den Gläubigen +gepredigt und gelehrt wird. Wenn aber Ali Bey meint, nur die +Karubin, habe den Vorzug eine besondere Abtheilung für Frauen +zu haben, und es sei dies zu verwundern, weil Mohammed den Frauen +im Paradiese keinen Platz zuerkannt habe, so kann ich entgegnen, +dass die Frauen in allen Moscheen Zutritt haben. Für +gewöhnlich gehen die mohammedanischen Frauen allerdings Behuf +des Gebetes nicht in die Moschee, keineswegs aber ist den Frauen +die Moschee verboten, ebensowenig wie den Frauen das Mekka-Pilgern +verboten ist. Es ist ein Irrthum zu glauben Mohammed habe den +Frauen das Paradies verschlossen, in der 17. Sure heisst es +wörtlich<a href="#F086"><sup>86</sup></a>: "die in Geduld ausharren, +werden wir mit herrlichem Lohn ihr Thun belohnen. Wer rechtschaffen +handelt, <i>sei es Mann oder Frau</i>, und sonst gläubig ist, +wollen wir ein <i>glückliches Leben</i> geben, und ausserdem +noch mit <i>herrlichem Lohn</i> sein Thun vergelten." Und an vielen +anderen Stellen im Koran, namentlich noch in der 13. Sure +erwähnt Mohammed der Frauen als Theilnehmer der +zukünftigen Paradiesesfreuden.</p> +<blockquote><a name="F086" id="F086"></a>[Fußnote 86: +Uebersetzung des Koran von Dr. Ullmann, Bielefeld, +1867.]</blockquote> +<p>Was die Architektur der grossen Karubin anbetrifft, so ist +dieselbe keineswegs eine schöne zu nennen. Zumal von aussen, +wo dies grosse Gebäude eingepfercht zwischen Buden und +Häusern sich befindet, nimmt es sich höchst +unvortheilhaft aus, überdies lassen sich immer nur einzelne +Partien, da wo Thore sind, überblicken. Aber selbst wenn die +Karubin frei stände, würde sie sehr unharmonisch +aussehen, da die einzelnen Theile in gar keinem Verhältniss +zum Ganzen stehen. Die Höhe der Moschee, die Höhe der +Säulen, etwa 20 Fuss hoch, ist viel zu gering zur kolossalen +Baute, um einen guten Anblick zu gewähren. Der Hof würde +einen vorteilhaften Eindruck machen, erhöht durch die beiden +herrlich skulptirten Marmorfontainen (diese sind nach den Aussagen +der Bewohner von Fes von europäischen Renegaten gemeisselt), +wenn nicht hier dieselben Missverhältnisse zu Tage +träten. Dazu kommt noch, dass der Mohammedaner, und namentlich +der Araber, der geschworenste Feind von Symmetrie ist. Hier stehen +zwei Säulen 8 Fuss, dort 7 Fuss auseinander, hier ist eine +Säule 21 Fuss hoch, dort 20 oder 22 Fuss. Hier ist eine +einfache, dort eine Doppelsäule, hier hat eine Säule, +dort keine ein Capitäl. Dazu sieht das Ganze so gedrückt +aus, als wenn Alles halb in den Boden hinein versunken +wäre.</p> +<p>Es ist in keiner Zeichnung bis heute den Arabern gelungen etwas +Symmetrisches zu schaffen, und im Grossen wie im Kleinen, in der +Baukunst, in der Weberei, in ihren Arabesken, in ihren +Holzschnitzereien, in ihrer Plafondirung, in ihrer Parquetirung, +überall tritt uns die Unregelmässigkeit störend +entgegen. Es giebt keinen einzigen von Arabern gewebten Teppich, +dessen Muster so wie es angefangen zu Ende geführt ist, es +giebt kein Zelt, welches aus gleichmässig gewebten +Stücken vollendet ist, ein arabischer Haik (d.h. Tuch) hat +sicher, falls an der einen Seite 3 Streifen als Einfassung sind, an +der anderen 2 oder 4, es giebt keine Thür, die eine vollkommen +durchgeführte Holzschnitzerei aufzuweisen hätte, und es +giebt keinen einzigen Bau, der einen vollkommen durchgeführten +Plan erkennen liesse. Ich kann, nicht umhin hier anzuführen, +dass wir da, wo die Araber allein gebaut haben, nirgends ein +vollkommen schönes Product der sogenannten maurischen +Architektur vorfinden. An der ganzen Nordküste von Afrika +finden wir nirgends eine Baute, die sich durch vollkommene +Schönheit auszeichnete, in ihrem eigenen Vaterlande noch +weniger. Aus den Abbildungen von Niebuhr ersehen wir, dass die +Moscheen von Mekka und Medina plumpe, rohe Gebäude sind. +Vollkommen schöne maurische Gebäude finden wir nur da, wo +die Araber mit Christen untermischt sesshaft waren: in Spanien und +Syrien. Möglicherweise mögen christliche Architekten, +christliche Handwerker und Sklaven mehr ihre Hand dabei im Spiele +gehabt haben, als wir heute wissen. Es könnte nach vier- oder +fünfhundert Jahren mit den Prachtbauten, die von Mohammed Ali +Pascha bis auf Ismael Pascha in Aegypten errichtet werden, ebenso +ergehen, d.h. kämen unsere Nachkommen nach einer solchen +Spanne Zeit nach Aegypten, so würden sie sagen, dass die +Aegypter unserer Tage es wohl verstanden hätten, in der +maurischen Architektur Prachtbauten zu errichten. Heute aber haben +wir glücklicherweise feste und tägliche geschichtliche +Aufzeichnungen, wir wissen, dass die Moscheen und Paläste in +Aegypten, die in diesem Jahrhundert dort erbaut wurden, nicht von +Arabern oder Aegyptern herrühren, sondern von +europäischen Architekten und Handwerkern errichtet worden +sind; ich nenne unter ersteren bloss Hrn. Franz von Darmstadt und +den verewigten v. Diebitsch von Berlin.</p> +<p>Mit der Karubin ist ein Gebäude verbunden, welches die +ziemlich bedeutende Bibliothek, natürlich nur aus Manuscripten +zusammengesetzt, enthält; nach einer oberflächlichen +Schätzung, die ich machte, sind wenigstens fünftausend +Bände vorhanden. Der ganze Bücherschatz befindet sich +übrigens in einem sehr verwahrlosten Zustande, und es ist ein +Wunder, dass Staub und Motten nicht schon grössere +Verwüstungen angerichtet haben. Es ist ziemlich leicht +Bücher von der Bibliothek zum Lesen zu bekommen, auch ist es +gestattet Abschriften zu nehmen (natürlich nur den +Gläubigen), es ist aber streng untersagt, irgendwie ein Buch +zu entlehnen, um es mit nach Hause zu nehmen, und da die dortigen +Bibliotheken mit unseren Einrichtungen, Katalogen, Scheinen und +dergleichen nicht bekannt sind, ist diese Massregel sehr +nothwendig.</p> +<p>Es wird heutzutage noch immer in der Karubin gelehrt, obgleich +von der einst so berühmten Schule nur noch ein schwacher +Schatten übrig ist. Man legt den Koran aus, d.h. disputirt +über äussere Kleinigkeiten, denn am eigentlichen Dogma +darf nicht gerüttelt werden; wer nur im Geringsten zweifelte +an irgend einem Glaubenssatze, würde gleich als Ketzer +beschuldigt werden, würde des Abfalls vom Islam geziehen +werden, und da in Marokko noch wie ehedem bei uns für +dergleichen Zweifler die Todesstrafe blüht, so hütet sich +wohl Jeder irgendwie an einem Worte des Buches, welches vom Himmel +herabgekommen ist, zu rütteln. Dagegen hört man die +gelehrtesten Erklärungen über Formen und +Aeusserlichkeiten, z.B. ob Mohammed am Feste nach dem ersten +Ramadhan ein <i>schwarzes</i> oder <i>weisses</i> Lamm geopfert +habe, wie gross die Hölle sei, ob im Paradiese auch die und +die Speise würde verabreicht werden, und dergleichen +Albernheiten mehr. Es werden sodann die vier Species gelehrt, aber +nur auf nothdürftige Art und Weise; ich bemerke hiebei, dass +der Marokkaner, mit Ausnahme der Addition, bei dem Abziehen, +Vervielfältigen und Theilen ganz andere Verfahren in Anwendung +bringt, als wie wir sie in unseren Schulen zu erlernen pflegen. +Auch geographischer Unterricht wird ertheilt, oder soll vielmehr +gelehrt werden, denn in einem Lande, wo man von Erdbeschreibung so +wenig Kenntniss hat, dass man die Vorstellung hegt, Portugal sei +grösser als Frankreich, sieht es gewiss traurig mit der +Kenntniss der Erde aus. So glauben denn auch die Marokkaner, dass +ihr Land das grösste und ihr Volk das erste und +mächtigste der Welt sei.</p> +<p>Auch Astronomie wird getrieben, aber nur in Verbindung mit +Astrologie. Einige der gelehrten Marokkaner stehen auf dem +Ptolemäischen Standpunkte, sie haben eine Idee von den grossen +Planeten; dass die Erde sich um die Sonne dreht, darf übrigens +nicht gelehrt werden, wenn man sich überhaupt zu einer solchen +Vorstellung emporschwingen könnnte [könnte], es steht das +im Widerspruch mit dem Koran. Es giebt sodann Geschichtslehre und +im ganzen kann man dieser Lehrabtheilung noch den grössten +Beifall zollen. Ich hörte interessante Vorlesungen derart mit +an, welche die Geschichte der Araber im Bled Andalus (Spanien) zum +Gegenstand hatten. Endlich ist eine Abtheilung für Djerumia, +d.h. arabische Grammatik vorhanden, die aber auch aus dem +Gewöhnlichen nicht herauskommt.</p> +<p>Alle diese Fächer werden in der Karubin selbst gelehrt, so +dass man hier zu jeder Tageszeit auf Lehrer und Schüler +stösst. Die Lehrer sind aus dem Fonds der Moschee besoldet und +zum Theil die Schüler auch, alle haben wenigstens freies Logis +und freie Kost. Die Karubin wird für eine der reichsten +Moscheen gehalten, ein Drittel der Läden oder Gewölbe in +Fes gehören ihr zu, die Aecker und Gärten sind zahlreich, +und wenn manchmal auch die früheren Machthaber von Fes sich +aller Einkünfte der Moschee und ihrer Güter +bemächtigten, so machten dafür andere dies doppelt wieder +gut. Die mohammedanische Geistlichkeit hat ebenso gut einsehen +gelernt wie andere, dass die Macht der Geistlichkeit auf <i>Geld +und Grundbesitz</i> beruhe, und, eigenthümlich genug, obschon +auch Mohammed lehrt wie Jesus Christus, "ihr sollt kein Gold und +Silber in euren Taschen tragen," "ihr sollt dem Mammon nicht +dienen," sehen wir, dass die mohammedanische Geistlichkeit nicht +weniger darauf bedacht ist Schätze anzusammeln, um zu Macht zu +kommen, als die aller anderen Religionen.</p> +<p>Wie reich die Karubin schon zur Zeit Leo's war, geht aus seiner +Beschreibung hervor: "die tägliche Einnahme macht 200 Ducaten +<a href="#F087"><sup>87</sup></a> aus, in der Nacht zündet man 900 +Lampen an, ausserdem giebt es grosse Leuchter, von denen jeder +Platz für 1500 Lampen hat etc." Jene grossen Leuchter +müssen wohl im Laufe der Zeit verschwunden sein; aus +christlichen Glocken, wie Leo erzählt, geschmolzen, dienten +sie einem Sultan vielleicht später dazu, in Kanonen umgegossen +zu werden. Die zahlreichen übrigen Oellämpchen und +grossen Krsytallkronleuchter [Krystallkronleuchter] sind aber noch +vorhanden. In einem anstossenden Zimmer befinden sich noch +verschiedene grosse Uhren, Compasse, Magnete u. dergl., ohne dass +ich eigentlich wüsste, dass man sich dieser Sachen +bediene.</p> +<blockquote><a name="F087" id="F087"></a>[Fußnote 87: +"Ducaten" in der deutschen Uebersetzung Leo's von Lorsbach, ist +wohl dahin zu verstehen, dass Ducaten = einem Metkal, also +ungefähr = 1 Fr. 25 C. ist, aber immerhin würde die +tägliche Summe 250 Fr. für damalige Zeit eine grosse +Summe sein.]</blockquote> +<p>Die andere Moschee, welche wegen ihrer eigenthümlichen +Bauart einerseits, dann wegen ihrer Berühmtheit als Asyl zu +nennen ist, ist die, welche den Namen und die irdischen Reste des +Gründers der Stadt trägt, die Djemma el Mulei Edris. Sie +ist dicht bei der vorigen gelegen, nur durch eine schmale Gasse +davon getrennt. Sie zeigt sich eigentlich auch nur von dieser +Gasse, Bab es ssinsla<a href="#F088"><sup>88</sup></a>, Kettenthor genannt, +mit einem grossartigen und hübschen Portale in Hufeisenform, +alle anderen Seiten sind ummauert. Die Mulei Edris Moschee +unterscheidet sich dadurch von allen übrigen kirchlichen +Gebäuden Marokko's, dass sie keinen Hof hat, denn eine kleine +Arkadenreihe ist offenbar erst später angelegt. Es deutet dies +auf das hohe Alterthum des Gebäudes hin, wobei man die +Nachahmung des christlichen Tempels noch wahrnehmen kann.</p> +<blockquote><a name="F088" id="F088"></a>[Fußnote 88: Bab es +ssinssla oder ssilsla = Kette, weil sie mit einer eisernen Kette +querüber abgeschlossen ist, jedoch so dass man zu Fusse an +beiden Seiten vorbeigehen kann. Aber hier in dieser heiligen +Strasse, bei dem Portale Mulei Edris' vorbei, darf kein Jude +(Christen kommen ja ohnedies nicht nach Fes) sich zu zeigen wagen, +Tod oder sein Uebertritt zum Islam würde unmittelbare Folge +einer Ueberschreitung des Verbotes sein. Aber auch Gläubige +dürfen in dieser Strasse nicht rauchen oder sich dem Opium- +und Haschisch-Genusse hingeben.]</blockquote> +<p>Das Hauptgebäude, welches auf einen kleinen von Arkaden +eingeschlossenen Vorhof folgt, besteht in einem einzigen nach Osten +gerichteten Schiffe; fast viereckig von Form, ohne Säulen wird +das Ganze von einem sehr hohen achteckigen Dache bedeckt, welches +inwendig aus Holzskulpturen besteht, dessen äussere Seite +jedoch Ziegel zeigt. Diese Dachziegeln sind bei allen monumentalen +Gebäuden immer selber Art und auf selbe Art gelegt, wie in +Italien und Spanien. Dicht bei der Kibla-Nische befindet sich das +prächtige Grabmal Mulei Edris', dessen kostbare Tuchdecken +alle Jahre erneuert werden. Das Innere der Moschee enthält +ausserdem viel Gold und Silber, Geräthe, Offranden, was +eigentlich gegen die Satzungen des Koran streitet. Auch an der +Aussenwand der Djemma el Mulei Edris befindet sich eine silberne +Tafel mit massiv goldenen und erhabenen Buchstaben, welche eine +Legende der Erbauung der Moschee enthält. Diese Tafel ist, um +der Witterung vollkommen widerstehen zu können, unter +Glas.</p> +<p>Die Moschee, welche Asyl ist, d.h. wo geflüchtete +Verbrecher vor der Verfolgung weltlicher Gerechtigkeit sicher sind, +ist ausserdem Sauya. Freilich ist mit dieser Sauya kein +religiöser Orden verbunden, der eigentliche religiöse +Orden Mulei Edris befindet sich in Uesan, aber sonst hat sie nicht +nur Einrichtungen, um Pilger zu beherbergen und zu bewirthen, +sondern auch eine grossartige Schule ist damit verbunden.</p> +<p>Alle übrigen Moscheen von Fes, obschon noch sehr grosse +vorhanden, so namentlich eine von Mulei Sliman in Neu-Fes +errichtete, sind gegen diese beiden gehalten kaum der Beschreibung +werth. Es befinden sich im ganzen jetzt in Fes eilf Moscheen, in +welchen Freitags das Chotba-Gebet gehalten wird, welchen man also +gewissermassen den Rang unserer christlichen Pfarrkirchen +zuerkennen könnte. Im übrigen giebt es aber noch eine +sehr grosse Anzahl Moscheen, manche grösser an Umfang als +jene, worin Chotba gelesen werden, obschon die Zahl von 700, welche +Leo anführt, heute nicht mehr existirt und auch wohl zu seiner +Zeit übertrieben war.</p> +<p>Ebenso existiren heute nicht jene zwei Collegien für +Studenten, von denen Leo so grossartige Berichte giebt; ausser den +Lehrstühlen an der Karubin hat Fes nur niedrige Schulen, +Medressa, worin den Schülern nothdürftig und mechanisch +lesen und schreiben gelehrt wird. Solcher Schulen giebt es eine +grosse Anzahl, vielleicht über hundert.</p> +<p>Hospitäler hat Leo auch aufgeführt, es sind dies aber +keine Hospitäler nach unserem Sinne, d.h. Krankenhäuser, +sondern vielmehr Hospitäler (Gasthäuser) im wahren Sinne +des Wortes. Schon die Beschreibung, die Leo davon giebt, deutet +darauf hin, dass man es zu seiner Zeit ebenso wenig mit +Hospitälern oder Lazarethen nach unserem Sinne zu thun hatte. +Es sind dies Stifte, wo Pilger, Reisende, müde Wanderer +ausruhen können, und während einer gewissen Zeit +unentgeltlich Kost und Logis erhalten. Es war dieser Brauch, in den +Städten solche Stifte zu haben, nicht nur in mohammedanischen +Ländern heimisch, sondern zur Zeit, als das Gasthofleben noch +nicht so ausgebildet war wie jetzt, auch in allen christlichen +Ländern zu finden. In vielen europäischen Städten +existiren noch jetzt solche Einrichtungen, z.B. in Savoyen, in +Frankreich und Italien. Eigentliche Hospitäler, d.h. +Krankenhäuser, giebt es in Fes nicht.</p> +<p>Indess besitzt Fes eine Anstalt, wie sie keine andere Stadt +Marokko's aufzuweisen hat; eine Irrenanstalt oder vielmehr ein +Narrenhaus. Man denke sich aber keineswegs eine Anstalt, welche +Heilung oder Wohlbehagen dieser unglücklichen Geschöpfe +im Auge hätte, mit dergleichen Versuchen plagt sich der +Mohammedaner nicht. Man findet in diesem Gebäude, in dem zur +Zeit als ich es besuchte etwa 30 Individuen sein mochten, nur +Tobsüchtige oder Irre, die durch ihr Wesen dem Nebenmenschen +sich gefährlich gemacht haben; gutmüthige Narren, Idioten +u.s.w. lässt man ruhig laufen, ebenso die religiös +Wahnsinnigen, die noch obendrein als Heilige verehrt werden.</p> +<p>Der Zustand in diesem Narrenhause ist ein entsetzlicher, und es +gleicht dasselbe mehr einer Gefängnisshöhle als sonst +einem Gebäude. In langen Zimmern, worin auf dem blossen +Steinboden im grössten Schmutze halbverhungerte Gestalten mit +dicken eisernen Ketten an die Wände festgemauert sind, fast +alle nackt, ohne jegliche Pflege und Sorgfalt, verbleiben diese +Unglücklichen hier, um die Welt nie wieder zu betreten. Die +Anstalt selbst wird durch Vermächtnisse unterhalten.</p> +<p>Erwähnt zu werden verdienen sodann die vielen Bäder, +welche zum Theil Privaten gehören, zum Theil Eigenthum der +Regierung oder der Moscheen sind. Eingerichtet sind sie wie alle +warmen Bäder im Orient, in Aegypten oder den übrigen +Berberstädten, so dass ich eine specielle Beschreibung nicht +für nothwendig halte. Der Luxus der algerinischen oder +ägyptischen Bäder ist hier aber nicht bekannt, +Handtücher zum Abtrocknen werden nicht gereicht, dafür +sind sie aber auch so billig, dass selbst der Aermste sich +häufig den Genuss einer gründlichen Reinigung +gewähren kann. Die Bäder geringster Sorte kosten nur 3 +Flus, die theuersten nicht ganz 2 Mosonat.</p> +<p>Gasthäuser oder Fenaduk (pl. von Funduk) giebt es zweierlei +Art in Fes. Es möchte auffallen, dass bei der Anwesenheit von +Sauyat bei der Einrichtung der eben erwähnten Hospizen, +ausserdem noch Gasthöfe nothwendig sind, namentlich wenn man +in Erwägung zieht, dass der Marokkaner der gastfreieste Mensch +der Welt ist. Und dennoch ist dem so. Die Gastfreiheit ist auf dem +Land eine fast möcht' ich sagen unbegrenzte; aber in den +Städten, wo täglich ein so grosser Zusammenfluss von +Fremden ist, wird sie natürlich nicht geübt. In den +Sauyat und Hospizen ist es Regel, einen Fremden nicht länger +als drei Tage zu behalten. Man hat also, um die Fremden, welche +einen längeren Aufenthalt nehmen wollen, zu beherbergen, +Gasthöfe einrichten müssen. Die grosse Zahl solcher +Gebäude spricht für den grossen Fremdenverkehr in Fes, +obschon die Zahl von 200, die Leo angiebt, wohl übertrieben +ist.</p> +<p>Es giebt Fenaduk, welche gebaut sind, Menschen und Vieh zu +beherbergen, und solche die nur Platz für Menschen und +allenfalls für ihre Waaren haben. Erstere haben in der Regel +eine entsetzliche Einrichtung. Ein grosser, meist viereckiger und +ungepflasterter Hofraum, wo sich Pferde mit Kameelen, Maulthiere +mit Eseln um den Platz streiten, wird von allen Seiten von kleinen +Zimmern umgeben, die nur Zugang und Licht durch eine kleine +niedrige Thür bekommen. Meist sind diese Zimmer selbst nicht +grösser, als dass man ausgestreckt darin liegen kann. Von +Aufwartung ist natürlich keine Rede, der Neuangekommene muss, +hat er überhaupt Sinn für Reinlichkeit, den Schmutz, den +sein Vorgänger als Andenken im Zimmer zurückgelassen hat, +eigenhändig hinauskehren. Ein Portier, der meist kauadji +(Kaffee- Ausschenker) ist, steht dem Ganzen vor, oft ist er +Besitzer, oft Verwalter, oft bloss Miether. Die Gebühren +stehen natürlich mit der schlechten Einrichtung im Einklange, +für ein Zimmer zahlt man durchschnittlich täglich nur +eine Mosona, für ein Thier ebenso viel.</p> +<p>Viel besser sind die Fenaduk eingerichtet, wo man nur Reisende +aufnimmt, die ohne Thiere sind. Diese sind meistens mitten in der +Stadt gelegen, einige sogar in der eigentlichen Kesseria, dem +Handelscentrum, der "Börse" könnte man fast sagen, von +Fes. Grosse mehrstöckige Gebäude, sind die Zimmer dieser +Gasthöfe geräumig, haben oft, ausser der Thür nach +dem Hofe oder nach den Gallerien zu, noch vergitterte +Fensteröffnungen. Die Zimmer sind gut ausgeweisst, der +Fussboden mit "Slaedj" belegt, sonst aber ist von Möbeln +natürlich nichts zu finden; aber der bemittelte oder reiche +Kaufmann hat auch sein ganzes Meublement bei sich: eine gute +Matratze, ein Teppich, einige Matten und Kisten +vervollständigen dasselbe. Es fehlt auch der grosse +Messingteller, ssenia, nicht mit dem Theetopf aus Britannia-Metall +und sechs kleinen Theetassen. Ein Bochradj, d.h. ein Kessel zum +Sieden des Wassers, ist auch unentbehrlich. Die Miethe von solchen +Zimmern variirt von vier Mosonat bis zu sechs und mehr per Tag. Die +Kaffeebuden, welche sich am Eingang oder im Innern eines solchen +Funduk befinden, gehören zu den besten.</p> +<p>Solche Wirthshäuser, wie Leo sie beschreibt, als von +unanständigen Wirthen, sog. el kahuate bewohnt, wo auch +lüderliche Weibspersonen sich herumtreiben, giebt es jetzt in +Fes nicht mehr, vor den Thoren ist allerdings ein Viertel, welches +in dieser Hinsicht in schlechtem Rufe steht; eigentliche +Prostitution aber findet man überhaupt in Marokko nur in +Mikenes.</p> +<p>Dagegen giebt es zahlreiche Kaffeehäuser, wo Kif, d.h. das +getrocknete Kraut vom indischen Hanfe (Can. indica) geraucht und +gegessen wird, auch Opium wird in diesen Kaffeehäusern +gegessen; die Sitte des <i>Opiumrauchens</i> kennt man im Rharb +nicht. Die Polizei oder Regierung thut gegen diese schädlichen +Genüsse nichts, wie denn auch Haschisch und Opium mit Taback +zusammen nur von solchen Kaufleuten in der Stadt verkauft wird, die +sich dazu einen Schein von der Regierung gekauft haben. Es herrscht +also—denn nicht nur in Fes ist dies der Fall, sondern in +allen binnenländischen marokkanischen +Städten—für die Städte eine Art Taback-, +Opium- und Haschisch-Regie.</p> +<p>Anständige Leute hüten sich indess wohl, in solche +Kaffeehäuser zu gehen, obschon fast Jeder in Fes dem +Genüsse des Haschisch fröhnt, aber nur heimlich und im +Innern der Wohnung. Desto strenger ist dagegen der Verkauf von +Schnaps und Wein verboten, obschon beides in Fes für Geld und +gute Worte zu haben ist; ersterer wird von den Juden destillirt aus +Feigen, Rosinen oder Datteln, wird wohl auch von Gibraltar her +eingeschmuggelt; letzterer wird in der Lesezeit von Juden sowohl +wie von Mohammedanern bereitet.</p> +<p>Es würde zu weit führen, wollten wir alle Handwerke, +Industrien, Manufacturen und Handelszweige einzeln aufführen. +Es genügt, wenn wir hier vorzugsweise das nennen, wodurch Fes +heut excellirt, und wenn wir hervorheben, dass selbst heute Fes +noch immer den ersten Rang unter allen Handelsstädten vom +ganzen Rharb einnimmt.</p> +<p>Um letzteres zu erhärten, führe ich nur an, dass mir +während meines Aufenthaltes in Fes manchmal Facturen gezeigt +wurden, von französischen, englischen oder spanischen +Handlungshäusern herstammend, die sich auf 50,000 Frcs. +beliefen. Man kann in der That also wohl behaupten, dass Fes auch +Engros-Handel besitzt, wie es denn wirklich vornehme Kaufleute +genug dort giebt, welche mit Marseille, Gibraltar, Cadix oder +Lissabon Auseinandersetzungen haben, welche die eben +angeführte Summe jährlich noch übersteigen. Es +versteht sich von selbst, dass dieser Handel meist durch +Vermittlung abgeschlossen wird; aber auch oft genug kommt es vor, +dass ein Fessi auf der Pilgerfahrt nach Mekka Station in Marseille +macht, dass er in Gibraltar längeren Aufenthalt hat, ja ich +lernte Kaufleute in Fes kennen, die direct, bloss um Waaren zu +kaufen oder um Handelsbeziehungen anzuknüpfen, eine Reise nach +Cadix oder Lissabon unternommen hatten.</p> +<p>Alle diejenigen, welche in den berberischen Staaten gewesen +sind, welche sich in den leichter zugänglichen Städten +Bengasi, Tripolis, Sfax, Tunis und anderen Orten aufgehalten haben, +wissen, wie gross das Vertrauen europäischer Kaufleute ist; +den Eingebornen werden oft Waaren von sehr bedeutendem Werth auf +Credit verabfolgt. Man borgt selbst Kaufleuten aus dem fernen +Innern, wo jede Reclamation, falls man betrogen würde, +unmöglich wäre. Und doch kommt es sehr selten vor, dass +irgend Jemand sich eines Betrugs schuldig macht. Von Timbuctu, +Kano, Bornu, Mursuk und Rhadames sehen wir Kaufleute auf Credit in +Tunis, Tripolis oder Kairo Waaren entnehmen; sie ziehen damit in +ihre Heimath, jahrelang bleiben sie manchmal verschollen, aber +nachdem sie ihre Waaren verkauft haben, laufen immer Gegenwaaren +oder Gelder ein, und der europäische Kaufmann wird +befriedigt.</p> +<p>So machen es die Fessi auch; die Waaren, welche sie sich en gros +von Europa holen, bestehen vorzugsweise in roher und verarbeiteter +Seide, in Baumwollenstoffen, Tuchen, Papier, Waffen, d.h. langen +Flinten und Säbeln, Pulver, Thee, Zucker, Droguen und +Gewürzen. Es giebt überhaupt jetzt fast keinen Artikel, +den man in Fes nicht fände.</p> +<p>Die Engros-Händler haben ihre Waaren bei sich im Hause, die +meisten aber haben zugleich ein Hanut, d.h. ein +Verkaufsgewölbe, wo sie entweder selbst verkaufen oder +verkaufen lassen. Der Punkt, wo der Haupthandelssitz ist, heisst +die Kessaria; derselbe liegt im Centrum von Alt-Fes, dicht bei der +Karubin- und Mulei-Edris-Moschee, die zum Theil von der Kessaria +umgeben sind.</p> +<p>Leo will das Wort Kessaria vom lateinischen Caesar ableiten; zur +Zeit der römischen Herrschaft hätten in den +mauritanischen Städten einige ummauerte Centren bestanden, +damit die kaiserlichen Beamten hier ihre Zolle erhöben, und wo +zu gleicher Zeit dann die innewohnenden Kaufleute die Verpflichtung +gehabt hätten, mit ihren eigenen Gütern das Eigenthum der +kaiserlichen Regierung zu beschützen. Man findet übrigens +den Ausdruck Kessaria als Marktplatz in allen Städten +Nordafrika's.</p> +<p>In dieser Kessaria finden wir alle feineren und vorzugsweise die +von Europa kommenden Waaren. Die Kessaria besteht aus einem grossen +Complex von nicht für Thiere zugänglichen Strassen, zum +Theil durch Häuser, zum Theil aber auch nur durch Gewölbe +gebildet. Alle Strassen sind überdacht. Wir haben hier +Gänge mit Buden wo Specereien, andere wo Essenzen, andere wo +Thee und Zucker<a href="#F089"><sup>89</sup></a>, andere wo Porzellan, d.h. +vorzugsweise Vasen, Gläser, Tassen und Teller, andere wo +Tuche, andere wo Seidenstoffe, andere wo Lederwaaren verkauft +werden. Auch Uhrläden, zwei oder drei, ja sogar eine Pharmacie +ist vorhanden, wenn man so eine Ansammlung fast aller Medicamente, +worunter auch Chinin, Tartarus stib. und Ipecacuanha, nennen kann. +Ein gewisser Djaffar hat sich diese Medicamente von Lissabon +geholt, und ein Verzeichniss in portugiesischer Sprache zeigt +zugleich die zu gebende Dose an und die Krankheit, wogegen die +Medicin gegeben wird.</p> +<blockquote><a name="F089" id="F089"></a>[Fußnote 89: Thee +und Zucker wird in ganz Marokko als eine zusammenhängende +Waare verkauft, wenigstens hält es sehr schwer Thee allein zu +bekommen. Auf ein halbes Pfund Thee werden fünf Pfund Zucker +gerechnet. Der Thee selbst, von Engländern importirt, ist von +der grünen Sorte und schlechter Qualität.]</blockquote> +<p>Tritt man aus der Kessaria heraus, so kommt man ins eigentliche +industrielle Leben hinein. Hier eine lange Reihe von Buden, wo +gelbe, rothe und buntfarbige Pantoffel verarbeitet werden, dort +dicht dabei Gerber, welche das buntgefärbte weiche Corduan, +Marocain- und Saffian-Leder verkaufen. Zeigt schon der Name an, +dass zuerst die Kunst, das Schaf- und Ziegenleder zu jener +schönen Weiche, mit der grössten Zähigkeit +verbunden, zuzubereiten, von den Mohammedanern in Cordova erfunden +wurde, später aber die berühmtesten Gerbereien in Marokko +selbst und noch später in Saffi (Asfi) sich befanden, so +scheinen heute die schönsten Leder in Fes bereitet zu werden, +wenigstens sind in ganz Nordafrika die Leder von Fes als die +feinsten und dauerhaftesten gerühmt.</p> +<p>Aber man kommt nicht gleich aus der Kessaria in die +labyrinthischen Handwerkerstrassen, man hat, wenigstens auf dem +Wege nach Neu-Fes hin, zuerst die Blumenbuden zu durchwandern, und +es bilden die Blumen einen hübschen Uebergang von der +Industrie zum Handel. Es ist eigenthümlich, welche Vorliebe +von jeher die Bewohner von Fes vor den übrigen Marokkanern +für Blumen gehabt zu haben scheinen, wie denn auch die Cultur +derselben in Gärten überall hervortritt.</p> +<p>Das Haus, welches der Bascha-Gouverneur von Fes mir als +Aufenthalt angewiesen hatte, lag am Abhange der östlichen +Hügel. Von einem Arme des Ued Fes durchflossen, waren ausser +Orangen, Feigen, Oliven, Aprikosen, Pfirsichen und Granaten, +überall blühende Rosenstöcke, grosse Büsche +Jasmin, Nelken, Veilchen und stark duftende Kräuter.</p> +<p>Diese findet man denn auch vorzugsweise in der Blumenabtheilung, +hier sind Jasmin, Basilik, Nelken, Hyazinthen, Rosen, Narcissen, +Pfefferminze, Absinth, Thymian, Majoran, dort sind ganze +Blumenbouquets, Meschmum en nuar genannt, zu haben. Gemüse und +Obstbuden schliessen sich daran.</p> +<p>Von solchen Gewerken, worin Fes noch heute vorzugsweise +glänzt, nenne ich ferner die Töpferwaaren. Grosse +Schüsseln, kleine Leuchter und Lampen und dergleichen +Gegenstände werden aus einem porcellanartigen Thone sehr +schön hergestellt. Nach Art unserer alten deutschen Thonwaaren +sind sie mit groben blauen Figuren bemalt und glasirt.</p> +<p>Hieran schliessend, erwähne ich der "Slaedj," kleine +Fliesen von bunten Farben, die ebenfalls in Fes fabricirt werden. +Wenn einst die Waffenschmiede in diesen Ländern berühmt +waren, so sieht man jetzt in den Gewölben nur europäische +Fabrikate ausgestellt. Ebenso haben die früher so bekannten +rothen Mützen (daher der Name "Fes," den wir jetzt noch den +rothen Mützen geben) sich nicht auf ihrer einstigen Höhe +halten können, nicht nur die von Tunis sind jetzt bedeutend +besser, sondern selbst in Livorno werden sie billiger und +schöner hergestellt. Besonders hervorheben müssen wir +sodann die Manufacturwaaren von seidenen Schärpen, 3-4 Fuss +breit, 40-50 Fuss lang; es sind diese seidenen von Gold +durchwirkten Stoffe das Kostbarste, was Fes auf den +mohammedanischen Markt bringt, und heutzutage das Einzige, worin es +unübertroffen dasteht.</p> +<p>Von allen übrigen Handwerken finden wir in Fes nichts, was +die Stadt vorzugsweise auszeichnete, aber alle sind in so grosser +Menge vertreten, dass man auf den ersten Blick sieht, es wird hier +nicht bloss für die Bedürfnisse der Stadt gearbeitet, +sondern für das ganze Land.</p> +<p>Die lange Strasse, welche Alt-Fes mit Neu-Fes verbindet, ist +denn auch weiter nichts als ein Bazar, und es herrscht hier +natürlich die grösste Frequenz, nicht nur weil alle Leute +vorzugsweise diesen verhältnissmässig breiten Weg +benutzen, um von einer zur andern Stadt zu kommen, sondern auch +weil ein Hauptkarawanenweg hier durchführt, auf dem sich +beständig lange Reihen von beladenen Kameelen, Maulthieren und +Eseln fortbewegen. Verfolgt man diesen Weg weiter nach Neu-Fes +hinein, so findet man sich gleich darauf vor dem ummauerten +Stadttheile der Juden, der Melha. Die Juden aber dürfen +<i>nur</i> in Neu-Fes und hier abgesondert von den Gläubigen +in einem ummauerten Viertel, das gleich an das kaiserliche Palais +stösst, wohnen. Und sie sind gern hier, denn so sehr sie auch +den Vexationen und Erpressungen der Regierung des Sultans +ausgesetzt sind, so haben sie doch längst einsehen gelernt, +dass es besser ist unter dem Schutze selbst der despotischsten +Herrschaft zu wohnen, als der Willkür eines dummen und +fanatischen Volkes preisgegeben zu sein. Im Judenviertel herrscht +übrigens, was Handel und Wandel, was Industrie und Handwerke +anbetrifft, eben das geschäftliche und rege Treiben, wie in +der Kessaria und den Strassen von Alt-Fes.</p> +<p>Vorzugsweise sieht man Gold- und Silberarbeiten in den +Händen der Juden, die Nadeln, welche dazu dienen, das Haar der +Frauen oder ihre Kleider zu befestigen, Fingerringe, Arm- und +Fussbänder (auch die marokkanischen Frauen tragen oberhalb der +Knöchel schwere kupferne oder silberne Ringe) werden fast +ausschliesslich von den Juden hergestellt. Ebenso ist die Secca, +d.h. Münze, nur von den Juden bedient. Es ist dies ein +ziemlich ansehnliches Gebäude, welches Theil des Palastes des +Sultans ist und unmittelbar an die Melha anstösst.</p> +<p>An einheimischen Münzen haben die Marokkaner jetzt nur den +Fls (pl. flus), eine kleine Kupfermünze, welcher auf einer +Seite das Salomon'sche Siegel, d.h. das bayerische Bierzeichen +(zwei durcheinandergehende Dreiecke), und auf der anderen Seite +Jahreszahl und Prägungsort (auch in Tetuan befindet sich eine +Münze) zeigt, dann zwei Flus-Stücke, udjein genannt, +ebenfalls geprägt. Sechs Flus bilden die imaginäre +Münze, Mosona genannt: eine Mosona giebt es nicht +geprägt. Sie ist ungefähr gleich einem Sou.</p> +<p>Vier Mosonat bilden sodann eine Okia, d.h. Unze, ebenfalls nur +ein Ausdruck, aber acht Mosonat oder zwei Unzen ist die kleinste, +und 10 Mosonat oder 2-1/2 Unzen die grösste +<i>geprägte</i> Silbermünze. 10 Unzen bilden die +imaginäre Münze Metkal. Und die einzige +<i>geprägte</i> Goldmünze, Bendki genannt, besteht aus +2-1/2 Metkal. Im übrigen gelten die französischen und die +spanischen Silbermünzen im ganzen Lande, und +französisches, spanisches und englisches Geld überall +nördlich vom Atlas. Der einst so beliebte spanische +Bu-Medfa-Thaler, so genannt von den beiden Herkulessäulen, +welche die Marokkaner für Kanonen halten, ist fast ganz aus +dem Handel verschwunden, dagegen hat der französische +fünf Francs-Thaler Platz gegriffen. Frankreich lässt +für Marokko auch silberne 20 Centimes- Stücke +schlagen<a href="#F090"><sup>90</sup></a>, welche in Marokko im Werthe einer +Unze cursiren. Der österreichische Maria-Theresien-Thaler, der +sonst in ganz Afrika ohne Nebenbuhler herrscht, wird in Marokko +äusserst selten gefunden.</p> +<blockquote><a name="F090" id="F090"></a>[Fußnote 90: +Wenigstens muss man so annehmen, da man in Frankreich selbst die 20 +Cent.-Stücke fast gar nicht sieht, hingegen in Marokko sie +äusserst zahlreich und von allen Jahrgängen vertreten +findet.]</blockquote> +<p>Die Maasse und Gewichte sind in Marokko fast für jede Stadt +<i>verschieden</i>, für die Länge hat man die Elle, Draa +mit Brüchen als Unterabtheilung, dann Zoll, für das +Gewicht das Pfund, Unze, Metkal (letzteres für Goldstaub) +für flüssige und trockene Sachen, endlich verschiedene +Maasse.</p> +<p>Administrirt wird die Stadt von zwei Gouverneuren, von denen der +eine den Titel "Bascha" hat und Alt-Fes vorsteht, während der +andere "Kaid" genannt wird und über Neu-Fes herrscht. Es +scheint hieraus hervorzugehen, einestheils dass die Regierung des +Sultans beide Städte als vollkommen getrennt betrachtet, und +andererseits Neu-Fes mehr als eine Festung angesehen, während +Alt-Fes als wichtiger gehalten wird, dadurch dass man es von einem +Bascha administriren lässt. In den Wohnungen des Bascha und +Kaid wird zu gleicher Zeit täglich Recht gesprochen. Der Kadi +jeder Stadt findet sich dort täglich ein, und alle +Rechtsfälle werden auf der Stelle zur Entscheidung gebracht. +Es kann sodann an den Bascha oder Kaid appellirt werden, und von +diesen an den Grosswessier oder Sultan selbst.</p> +<p>Es kommt gar nicht selten vor, dass Kläger sich von dem +Kadi an den Bascha und von diesem an den Sultan wenden. Gegen +Stockstrafe oder Knutenhiebe wird fast nie remonstrirt, wohl aber +gegen Geldbusse. Der Kadi and Bascha haben Strafvermögen in +unbegrenztem Masse, indess werden selten Knutenhiebe über 300 +an der Zahl ausgetheilt, die Geldbussen aber so hoch wie +möglich hinaufgetrieben. Grösserer Diebstahl hat immer +das Abhacken zuerst der linken, dann beim Rückfall das der +rechten Hand zur Folge. Hat man keine Hände mehr zum +Abschlagen, so kommen die Füsse an die Reihe, oft bei grossen +Diebstählen oder gravirenden Umständen werden auch gleich +die Füsse abgehauen. So wurden einem Landbewohner, der im +Sommer, als ich mich in Fes befand, ein Pferd des Sultans gestohlen +hatte, der rechte Fuss und die linke Hand abgehackt. Das aus der +Altstadt nach Neu-Fes zu führende Thor hat immer eine Menge +solcher Trophäen auszuweisen, auch Köpfe von +hingerichteten Verbrechern haben hier ihren Ausstellungsort, +während meiner Anwesenheit in Fes sah ich indess keinen Kopf +ausgestellt.</p> +<p>Das Recht wird übrigens vollkommen willkürlich +gesprochen, und Bestechungen sind an der Tagesordnung.</p> +<p>In Neu-Fes war in den ersten sechziger Jahren ein Schwarzer, ein +ehemaliger Sklave Namens Faradji Kaid. Dieser hatte schon seit mehr +als 50 Jahren diesen Posten inne, und galt als ein Phänomen. +Er hatte unter Sultan Sliman die Stelle bekommen, sie unter +Abd-er-Rhaman behauptet, und war auch von Sidi Mohammed, dem +jetzigen Sultan, bestätigt worden. Im ersten Jahre der +Regierung des jetzigen Kaisers wurde Faradji verläumdet, man +machte den Sultan auf seine ungeheuren Reichthümer aufmerksam, +man deutete darauf hin, dass Faradji, der doch ehemals nur Sklave +gewesen, diese grossen Reichthümer wohl nur durch Erpressung, +Bestechung oder gar dadurch, dass er sich am Eigenthum des Sultans +selbst vergriffen, habe erwerben können. Der Sultan liess +Faradji kommen, und befahl ihm, da er gehört habe Faradji habe +<i>fremdes</i> Eigenthum, er überdies ja als ehemaliger Sklave +nichts besessen habe, das fremde Eigenthum, und namentlich das was +ihm, dem Sultan, zukomme, von seinem zu sondern. Der schlaue +Faradji erwiederte nichts, ging in den Pferdestall des Sultans, +entledigte sich seiner Kleidungsstücke, zog einen alten +wollenen Kittel über, und fing an den Stall zu kehren. Der +Sultan fragte einige Zeit später nach Faradji, und war +erstaunt als derselbe im ärmlichsten Anzüge vor ihm +erschein. Befragt, warum dies, erwiederte er: "Ja Herr, Du befahlst +meine Habe von der Deinigen zu trennen! Als ich von Deinem +Grossoheim Mulei Sliman gekauft wurde, hatte ich nichts als diesen +wollenen Sklavenkittel, den ich zum Andenken meiner Herkunft +aufbewahrt habe, und auch dieser gehört ja, streng genommen, +nicht einmal mir, wie konnte ich also mein Eigenthum von Deinem +trennen, bin ich nicht noch immer Dein Sklave? Lass von Deinem +Diener alles nehmen, alles was ich verwaltete, ist Dein +rechtmässiges Eigenthum."</p> +<p>Man kann sich denken, dass der auf diese Art die Grossmuth des +Sultans anrufende Faradji leichtes Spiel hatte, in der That umarmte +ihn Sidi Mohammed, und Faradji wurde aufs neue in seine +Kaidwürde eingesetzt, und ihm alle seine Güter gelassen. +Als der Sultan von Neu-Fes nach Mikenes übersiedelte, besuchte +ich mehreremal Faradji, er war immer sehr freundlich und +zuvorkommend, pflegte den ganzen Morgen, auf einem Teppich sitzend, +vor dem Magazin (es ist dies der officielle Ausdruck für das +Palais des Sultans, und bedeutet zugleich die ganze Regierung) +zuzubringen. Faradji war ein stattlicher schwarzer Greis mit +intelligenten Gesichtszügen und schönem, wenn auch nur +spärlichem weissem Barte. Seiner eigenen Meinung nach war er +1863 neunzig Jahre alt, was wohl eher zu wenig als zu viel sein +dürfte, da er schon unter Sultan Sliman<a href= +"#F091"><sup>91</sup></a>, also zur Zeit als Ali Bey Marokko besuchte, Kaid +war.</p> +<blockquote><a name="F091" id="F091"></a>[Fußnote 91: Die +jetzige Dynastie in Marokko wird die der Filali genannt, weil der +Gründer Mulei Ali ans Tafilet (der Bewohner Tafilets heisst +ein Filali) stammt. Dessen Sohn Mulei Mohammed wurde von seinem +Bruder Mulei Arschid vom Throne gestürzt, und dieser, der von +1664-1672 regierte, war nach Jussuf ben Taschfin der +mächtigste Monarch. Die Grausamkeit dieses Sultans wurde von +den raffinirten Grausamkeiten Mulei Ismaëls, der sein Bruder +war und ihm 1672 folgte, noch übertroffen. Ismaël, jetzt +einer der grössten Heiligen von Marokko, regierte bis 1727. +Nach ihm folgte Mulei Ahmed Dehabi, vierter Sohn Ismaëls, +regierte jedoch nur bis 1729; sein Bruder Mulei-Abd-Allah folgte +bis 1757, und nach ihm kam sein Sohn Sidi Mohammed, der bis 1790 +regierte und im Jahre 1760 Mogador gründete. Die beiden +folgenden Söhne, Mulei Mohammed Mahdi el Tisid und Mulei +Haschem regierten nach einander zusammen nur zwei Jahre. Mulei +Sliman behauptete sodann den Thron von 1792-1822, und nach ihm +regierte Mulei Abd-er-Rhaman ben Hischam bis 1859, und dessen +zweiter Sohn, Sidi Mohammed, behauptet heute noch den +Thron.]</blockquote> +<p>Si Mohammed ben Thaleb, der Bascha von Alt-Fes, dessen Gast ich +während der ganzen Zeit meines Aufenthalts in Fes war, hatte +freilich ein ganz anderes Schicksal. Er war ein Mann von +rechtlichem Charakter und vollkommen vorurteilsfrei, was in Marokko +viel sagen will; ich finde in meinem Tagebuch sogar die Notiz: "Ben +Thaleb war der einzige wirklich ehrliche und durchaus rechtliche +Mensch, den ich in Marokko kennen lernte." Gebürtig aus Ain +Tifa, einem Orte etwa einen Tagemarsch südöstlich von der +Stadt Marakisch gelegen, war er fast unabhängiger Herrscher +über eine dortige Berbertribe, welche seiner eigenen Aussage +nach sieben Hauptstämme umfasste. Mächtig und reich (er +verkaufte jährlich für etwa 200,000 Fr. Mandeln nach +Ssuera), wäre er gewiss lieber in seiner Stellung als +Berberchef geblieben, wie er überhaupt nie fröhlicher und +vergnügter war, als wenn seine Stammgenossen, Berber von der +Heimath, ihn in Fes besuchten und er mit ihnen Schellah oder +Tamashirt reden konnte. Aufstände, wie sie so häufig in +Marokko vorkommen, verwickelten seine Berberstämme im Jahre +1846 gegen die kaiserliche Regierung; Ben Thaleb selbst betheiligte +sich jedoch nicht daran, sondern hielt mit seiner ganzen Familie +zum Sultan. Der Aufstand endete, wie in der Regel, mit der +Niederlage der Rebellen, der Sultan Abd-er-Rhaman aber, um einen so +mächtigen Stamm für immer an sein Haus zu ketten, +ernannte ihren Schich Ben Thaleb zum Bascha-Gouverneur von Fes, +welche Stelle als die erste nach dem Uïsirat (Ministerium) im +ganzen Reich betrachtet wird. Der Berberstamm wurde durch eine so +schmeichelhafte Auszeichnung, die seinem Chef widerfuhr, vollkommen +zum Sultan hinübergezogen, und auch Ben Thaleb schien diesen +Platz, der mehr als jeder andere abwirft, zuerst nicht ungern +angenommen zu haben.</p> +<p>Indess schon zu Lebzeiten Mulei-Abd-er-Rhaman's war Ben Thaleb +wiederholt um seinen Abschied eingekommen, er hatte in Erfahrung +gebracht, dass ein Gouverneur von Alt-Fes, der reichsten Stadt des +Landes, nie eines natürlichen Todes stürbe. In Marokko +haben nämlich die Beamten eine ganz andere Stellung als bei +uns. Nicht dass sie vom Staate, wie denn dort Staat und Sultan noch +eins sind, oder vom Herrscher Gehalt bekommen, müssen sie im +Gegentheil der Regierung, oder der Casse des Sultans, Gelder +abliefern. Sie können allerdings dafür von ihren +Schutzbefohlenen so viel erpressen, wie sie wollen. Da nun jeder +Beamte darauf ausgeht, seinen Säckel zu füllen, ausserdem +aber grosse Summen dem Sultan abzuführen hat, so kann man sich +denken, wie schlecht das Volk dabei fährt, und meistens sind +Uebersteuerungen und willkürliche Erpressungen die Ursachen +der so häufigen Revolten. Es ist dieses System auch +andererseits Ursache der schlechten Cultur des Bodens; abgesehen +davon, dass weder Berber noch Semiten je etwas im Ackerbau +geleistet haben, giebt sich kein Mensch Mühe, den Boden so +ergiebig wie möglich zu machen, weil er weiss, dass die +Erzeugnisse der Regierung verfallen sind. Ebenso ist der Handel +dadurch gelähmt, der reiche Kaufmann von Fes sieht mit Bangen +dem Tage entgegen, wo die Regierung sich seiner Ersparnisse +bemächtigt, und es giebt deshalb auch in keiner Stadt, in +keinem Ort Jemand, der nicht seinen geheimen Schatz hätte, der +in der Regel vergraben ist.</p> +<p>Der Bascha ben Thaleb regierte im Jahre, als ich Fes betrat, die +Stadt seit 13 Jahren. Da er seinen Abschied auch von Sidi Mohammed +nicht bekommen konnte, tröstete er sich mit den Gedanken, +diesem bei seinem Regierungsantritt den wichtigsten Dienst +geleistet zu haben, und rechnete auf seine Erkenntlichkeit.</p> +<p>Wie bei jedem Kaiserwechsel, so waren auch bei dem Tode +Mulei-Abd-er- Rhaman's grosse Unruhen und Fehden um die Nachfolge +ausgebrochen. Es war vor allen der älteste Sohn des Sultan +Sliman, Namens Mulei Abd-er-Rhaman- ben-Sliman, der mit Hülfe +der Franzosen hoffte, den Thron seines Vaters wieder zu gewinnen, +aber trotzdem er seinen Sohn Hülfe bittend an den gerade mit +der Niederwerfung der Beni Snassen beschäftigten +französischen General Martimprey schickte, konnte er nicht +aufkommen. Da war ferner der erste Sohn des verstorbenen Sultans +und älterer Bruder des jetzt regierenden, auch er wurde aus +dem Felde geschlagen, und wurde wie der ersterwähnte nach +Tafilet verbannt<a href="#F092"><sup>92</sup></a>. Der jetzt regierende +Sultan Sidi Mohammed verdankte seine schnelle Installirung +hauptsächlich dem Umstande, dass sich Sidi el +Hadj-Abd-es-Ssalam von Uesan für ihn erklärte, dass er +schon bei Lebzeiten des Vaters Califa, d.h. Stellvertreter des +Sultans gewesen und grosse Schätze angesammelt hatte, und dass +sich Ben Thaleb, der Gouverneur von Fes, sofort zu seiner Partei +bekannte.</p> +<blockquote><a name="F092" id="F092"></a>[Fußnote 92: Beide +Prinzen, die ich dort kennen lernte im Jahre 1863, lebten in +freiwilliger Verbannung, obschon man in Marokko behauptet, die +Regierung habe sie dorthin verbannt. Die Lage ist aber derart, +dass, wenn der Sultan seines Bruders und Vetters habhaft werden +könnte, er sie sicher würde hinrichten +lassen.]</blockquote> +<p>Der Bascha von Alt-Fes hatte indess gar nicht so leichtes Spiel, +denn wenn auch Faradji, der Gouverneur von Neu-Fes, des jetzigen +Sultans Panier ergriff, so hatte dieser mit seinen wenigen Soldaten +genug zu thun, um das Palais des Sultans und Neu-Fes vor +Plünderung und Angriff zu schützen. Ben Thaleb hatte aber +ausser einem Dutzend Maghaseni (Reiter) nur von seinen eigenen, mit +Flinten bewaffneten Berbern vielleicht 50 Mann zur Verfügung. Der +jetzige Sultan war mit der Armee noch fern von der Hauptstadt.</p> +<p>Eines der wichtigsten Quartiere der Stadt, das der Djemma Mulei +Edris, vorzugsweise von Schürfa (Abkömmlingen Mohammed's) +bewohnt, empörte sich nun sofort nach dem Tode Abd-er-Khaman's +und rief den ältesten Sohn des Sultan Sliman zum Nachfolger +aus. Aber sie hatten nicht auf Ben Thaleb's eiserne Energie +gerechnet: er liess fast vom ganzen Quartiere die erwachsenen +Männer decimiren, die Häuser der vornehmsten Schürfa +wurden dem Boden gleich gemacht, und alles was am Leben blieb, +wurde seines Eigenthums beraubt. Diejenigen nun, welche wissen was +es heisst, einen Scherif in Marokko beleidigen, strafen oder gar +tödten, können sich denken, welche Aufregung dieses +Verfahren Ben Thalebs hervorrief, der nicht einmal Araber, +geschweige Scherif, sondern nur ein Brebber<a href="#F093"><sup>93</sup></a> +war. Aber der Berber-Schich war nicht der Mann, sich +einschüchtern zu lassen, andererseits vertheilte er den +anderen Quartieren der Stadt je 2000 Metkal, ein ganz artiges +Sümmchen für 17 Quartiere. So brachte er durch Strenge +und Güte es dahin, dass Fes den jetzigen Sultan gleich +anerkannte, und als der Vetter des Sultans mit seinem Heere vor die +Hauptstadt rückte, wurde er von den Bewohnern von Fes, an +deren Spitze Faradji und Ben Thaleb standen, feindselig empfangen; +er musste fliehen, als Sidi Mohammed herbeirückte, diesem +wurden die Thore geöffnet, und damit hatte Marokko einen +Sultan,</p> +<blockquote><a name="F093" id="F093"></a>[Fußnote 93: +Bezeichnung für Berber in Marokko. Man sieht hieraus, dass der +Araber den Wahn, den Mohammed lehrte, das arabische Volk sei besser +als jedes andere, noch immer aufrecht erhalten. Es trug dies +wesentlich zum Untergange des arabischen Volkes bei, wie denn auch +die Juden den Dünkel das auserwählte Volk Gottes zu sein +schwer genug haben büssen müssen.]</blockquote> +<p>Als Gast des Bascha's bezog ich mit meinem Dolmetsch, welcher +Hauptmann der regelmässigen Armee des Sultans war, ein Zimmer, +welches zur Privatmoschee des Bascha's gehörte, welche gleich +neben seiner Amtswohnung gelegen ist. Mit zunehmender Wärme +wurde der Aufenthalt in diesem Zimmer bald unerträglich, und +als eines Tages der Bascha fragte, wie ich mit meiner Behandlung +zufrieden sei, machte ich ihn auf die unerträgliche Hitze +aufmerksam. Er rief einen seiner Diener und fragte ihn, welche +Wohnung in der Nähe der seinigen auf der Stelle zu haben sei; +dieser bezeichnete einen reizenden Sommersitz, welcher, obschon in +der Stadt gelegen, einen hübschen Garten habe, vom Fes-Flusse +durchzogen würde, an die Wohnung des Bascha anstiesse, "aber, +fügte er hinzu, der Scherif, dem es gehört, hat seinen +Sommeraufenthalt schon darin genommen." "Geh' auf der Stelle und +sage ihm, ich brauche seine Wohnung," war des Bascha's kurze +Antwort "Und du Mustafa,"<a href="#F094"><sup>94</sup></a> fuhr er fort, +"kannst heute noch umziehen, und wirst nun gewiss zufrieden sein." +Der Scherif schien indess nicht grosse Eile zu haben; vielleicht +glaubte er auch, weil er Scherif (Abkömmling Mohammed's) sei, +dem Befehle trotzen zu können. Kurz, als ich am folgenden Tage +Ben Thaleb besuchte und er sich nach meiner Wohnung erkundigte, +musste ich gestehen ich sei, weil der Eigenthümer sich noch +immer in seinem Hause befände, noch in meinem Moschee-Zimmer. +Aber kaum liess der Bascha mich vollenden; ein Diener wurde +gerufen, er bekam Befehl, auf der Stelle den Scherif mit seinem +beweglichen Eigenthum auf die Strasse zu setzen; so geschah es, und +an demselben Tage konnte ich einziehen. Es würde nichts +genützt haben, hätte ich zartfühlend gegen diesen +Befehl, den Eigenthümer aus seinem Besitze zu vertreiben, +protestiren wollen, Niemand würde ein solches Benehmen +verstanden haben, da das <i>unfehlbare Benehmen</i>, d.h. +willkürliches Betragen, sich vom Sultan auch auf seine Beamten +übertragen hat.</p> +<blockquote><a name="F094" id="F094"></a>[Fußnote 94: Es war +dies mein in Marokko angenommener Name.]</blockquote> +<p>Folgendes nun wirft auch Licht auf das summarische +Gerichtsverfahren in Marokko und Fes überhaupt, und ich +schreibe die hier folgenden Zeilen wörtlich aus meinem damals +geführten Notizbuch ab.</p> +<p>Das neue Haus, welches ich bezog, hat ein Stockwerk und ist +nicht nach Art der Wohnhäuser in Fes eingerichtet, sondern +nach anderen Regeln erbaut. Mitten im Garten liegend, fliesst unter +dem Hause der kleine Ued Fes, der hier in den Garten tritt und in +einer 4' tiefen und 6' breiten gemauerten Rinne läuft, bis er +an eine dem Hause gegenüberliegende Veranda kommt, und unter +dieser in einen andern Garten tritt. Das Haus selbst hat unten eine +geräumige Veranda, einen Salon und ein Zimmer, das +alkovenartig (eine Art von Kubba) hinten angebaut ist; oben sind +drei Zimmer, die wir unbewohnt liessen; ebenso wurde das platte +Dach selten benutzt. Der mir als Dolmetsch beigegebene Offizier +schlief mit mir im hintern alkovenartigen Zimmer; in der einzigen +Thür, welche zum Salon führte, schliefen drei Diener zwei +andere in der Veranda, und zwei waren in der +gegenüberliegenden Veranda, wo wir der Bequemlichkeit halber +auch unsere Pferde stehen hatten. So bewacht, dachten wir nicht im +entferntesten an Diebstahl, zudem in Fes Nachts, weil die einzelnen +Quartiere, wie früher schon erwähnt ist, abgeschlossen +sind, die grosse Communication ganz aufgehoben ist.</p> +<p>Eines Abends hatten wir, der Kaid oder Hauptmann und ich, auf +unserem Teppich liegend, spät Abends Thee getrunken, beim +silbernen Mondschein, am Rande des vorbeiplätschernden +Flüsschens, unter duftenden Orangenbäumen hatten wir die +Zeit vergessen, und der Muden ilul (das erste Avertissement zum +Gebet wird im Sommer schon um 1 Uhr Morgens von den Minarets +gegeben) ertönte, als wir schlafen gingen. Wir mochten kaum +eine halbe Stunde geschlafen haben, als einer der Diener "Sserakin, +Sserakin" (Diebe, Diebe) rief. Alle liefen wir hinaus mit Gewehren +bewaffnet, aber nichts war zu finden. Wie hätte aber auch ein +Dieb herein und so schnell hinauskommen können: an drei Seiten +hatte der Garten fast 20 Fuss hohe Mauern, und die vierte Seite +führte mittelst einer senkrechten, etwa 30 Fuss hohen +Mauerwand in einen anderen Garten, unmöglich konnte er hier +hinuntergesprungen sein. Indess fanden wir, nach unserer Behausung +zurückgekehrt, dass wirklich ein Dieb dagewesen sein musste, +es fehlten von meinen Kleidungsstücken, die ich abgelegt +hatte, Hosen, Pantoffeln, dann der Turban des Hauptmanns, ferner +ein erst Tags zuvor angebrochener Hut Zucker, endlich unser ganzes +Theeservice, Eigenthum des Bascha's. Eine genauere Untersuchung +ergab, dass der Dieb unter der Gartenthür sich +durchgewühlt, und wahrscheinlich schon mehrere Gänge +gemacht hatte.</p> +<p>Auf unsere am anderen Morgen erfolgte Anzeige wurden von Ben +Thaleb sämmtliche umwohnenden Bürger verhaftet, sie +mussten die Sachen in Gemeinschaft ersetzen, ausserdem ein jeder 20 +"Real" (so nennt man die französischen fünf +Francs-Stücke) Caution erlegen, bis der Dieb von ihnen selbst +ermittelt wäre. Mit Erlegung der 20 Reals erlangten sie zwar +ihre Freiheit wieder, aber ich glaube kaum, dass sie je wieder zu +ihrem Gelde gekommen sind, sollte es ihnen auch gelungen sein den +Dieb zu ermitteln. Ich bemerke hiebei, dass ich einige Jahre +später in Leptis magna von der türkischen Behörde +eine ganz ähnliche Justiz üben sah, als einem meiner +Diener aus dem Zelt ein Revolver Nachts gestohlen wurde.</p> +<p>Ausser den beiden Gouverneuren der Stadt giebt es sodann +Vorsteher der einzelnen Quartiere, Vorsteher der Moscheen, +Einsammler der Gelder, Marktvögte, einen Marktkaid der +Kessaria, und einen Marktkaid des grossen, einmal in der Woche +ausserhalb der Stadt abgehaltenen Marktes. Die Marktvögte und +der Marktkaid haben hauptsächlich die Obliegenheit +Streitigkeiten zu schlichten und Ordnung zu halten. An jedem Thore +findet man einen Kaid el Bab, der die Thore zu öffnen und zu +schliessen, sowie den Zoll zu erheben hat, es ist sodann eine +Hauptzollamt in der Stadt, endlich sind als Behörden noch die +Zunftmeister zu nennen, da jedes Handwerk zu einer Zunft verbunden +ist, welcher ein Meister, der den Titel Kebir hat, vorsteht.</p> +<p>Die nächste Umgebung der Stadt zeigt im Norden, Osten und +Westen die blühendsten Gärten, die man sich nur denken +kann, im Südwesten sind Vorstädte; fast vor allen Thoren +ziehen sich Gräberreihen und Gottesäcker hin, von denen +einige äusserlich recht stattlich aussehende grössere +Grabmonumente aufzuweisen haben. Indess liegt in diesen +kaiserlichen Grabmonumenten eine gewisse Einförmigkeit, alle +haben viereckige Form, darüber eine achteckige oder viereckige +oder auch ganz runde Bedachung. Im Innern findet man in der Regel +einen Sarkophag, oft mit Tuch überzogen, oft aber auch nur aus +einem hölzernen Gestell bestehend. Neben einem solchen +Hauptgrabe findet man manchmal zwei bis sechs und noch mehre +kleinere einfache Gräber; entweder waren es Kinder der hier +begrabenen Fürsten oder manchmal auch Vornehme und Grosse des +Landes, die gegen hohe Geldsummen das Recht erwarben, sich an der +Seite ihres Sultans begraben lassen zu können. Von der jetzt +<i>regierenden</i> Dynastie ist niemand in oder ausserhalb Fes' +beerdigt, sie hat ihre Grabstätten in Mikenes.</p> +<p>Ein grosser und für uns Europäer fast +unerträglicher Uebelstand ist, dass dicht vor den Thoren sich +verwesende Berge, oft 50 Fuss hoch, von crepirten Thieren befinden; +seit Jahrhunderten ist es Brauch, jedes todte Vieh, allen Unrath +vor die Thore der Stadt zu bringen, aber so dicht an den Wegen sind +diese verpestenden Hügel errichtet, dass es eine Qual ist, aus +der Stadt heraus und in dieselbe hinein zu kommen.</p> +<p>Der die Stadt beherrschende Berg, der im Norden und Nordwesten +sich um dieselbe herumzieht, heisst Djebel-Ssala, er hat vielleicht +1000 Meter absolute Höhe. Unter dem Vorwande, Kräuter +für Bascha Ben Thaleb suchen zu wollen, bekam ich eines Tages +Erlaubniss hinauf zu reiten; durch einen breiten Gürtel +lachender Feigen- und Orangengärten, wo ausserdem Pfirsiche, +Aprikosen, Granaten, Wein und Kirschen gezogen werden, gelangt man +in Oelwaldungen, das zweite Drittel ist von immergrünen +Eichen, von Lentisken und anderen das Laub nicht verlierenden +Bäumen bestanden, das letzte Drittel hat nur Buschwerk und +Zwergpalmen. Oben auf dem Berge, von dem aus man eine +prächtige Uebersicht über die Stadt, über die Ebene +bis zum grossen Atlas und über das nach Westen sich ziehende +Serone-Gebirge hat, traf ich einen Einsiedler, Sidi Mussa, schon +seit 50 Jahren in einer Höhle auf dem Ssala-Berge lebend. Im +Rufe grosser Heiligkeit, lebt er von den Gaben der Pilger, hat aber +ausserdem eine grosse Bienenzucht. Auf dem Plateau des Ssala-Berges +sind mehrere Quellen und sogar Gärten und Ackerbau.</p> +<p>Was die Bevölkerung von Fes anbetrifft, welche wir auf +100,000 Seelen schätzen können und die vor der Cholera im +Jahre 1859 wohl noch 20,000 mehr betrug, so besteht dieselbe +vorzugsweise aus Arabern und Berbern.</p> +<p>Während aber auf dem Lande die Mischung von Berbern und +Arabern bedeutend seltener ist, kommt sie in den Städten +häufiger vor, indess doch nicht der Art, dass man sagen +könnte, ein Volk habe das andere absorbirt. Aeusserlich +unterscheiden sich die Bewohner von Fes, wie die der übrigen +Städte von den Landbewohnern durch grosse Weisse der Haut, es +hat dies aber einzig seinen Grund darin, dass sie fast nie der +Sonne ausgesetzt sind, da selbst, wenn sie auf die Strassen gehen, +diese so eng sind, dass sie nur auf kurze Zeit von der Sonne +beschienen werden. Der Grund der häufigen Corpulenz bei den +Männern ist denn auch nur darin zu suchen, dass sie wenig +Uebung, wenig Bewegung bei verhältnissmässig +kräftiger Kost haben. Im allgemeinen sind trotz des sehr +hellen Teint die Leute von Fes sehr hässlich, namentlich +häufig findet man wulstige Lippen und krauses, obschon langes +Haar. Negerblut ist hier unverkennbar, wie denn überhaupt in +ganz Marokko viel Negerblut unter die Arabern gekommen ist. Fes vor +den übrigen Städten des Landes zeichnet sich noch dadurch +aus, dass mit den arabischen und berberischen Elementen sich stark +das jüdische gemischt hat. Nicht etwa durch freiwillige +Heirathen, sondern dadurch, dass hübsche Jüdinnen +gezwungen werden, in den Harem des Sultans oder eines Grossen des +Reichs zu treten oder durch gezwungene Uebertritte, durch +Kinderraub; so pflegen denn auch die übrigen Bewohner des +Landes von den Familien in Fes zu sagen: die Hälfte derselben +habe jüdisches Blut in ihren Adern.</p> +<p>Die Zahl der Juden in Fes, welche, wie alle marokkanischen, zum +Theil direct von Palästina eingewandert, zum Theil von Spanien +zurückvertrieben sind, mag sich auf 8-10,000 belaufen. Sie +leben hier ebenso unglückselig wie in den übrigen +marokkanischen Städten. Der verstorbene Sultan Abd-er- Rhaman +glaubte es durchsetzen zu können, den Juden eine Art +Emancipation zu verschaffen, und gestattete den Juden gleiche +Tracht mit den Moslemin. Der erste Unglückliche, der es wagte +seine Melha (den Juden-Ghetto) mit rothem Fes, mit gelben +Pantoffeln zu verlassen, kehrte nie zurück: er wurde +gesteinigt. Der Sultan hatte, trotz seiner Unfehlbarkeit, nicht die +Macht den religiös-fanatischen Wuthausbruch seiner Unterthanen +zu dämpfen.</p> +<p>Der religiöse Fanatismus, der ja allen semitischen +Religionen innewohnt, ist überhaupt eine der schlimmen Seiten +der Bewohner von Fes. Wie oft habe ich selbst mich von irgend einem +Lumpen auf der Strasse angehalten gesehen, der mir mit den Worten +"Scha had," d.h. bezeuge, den Weg vertrat, und er und die sich +rasch ansammelnde Menge liessen mich sicher nicht eher passiren, +als bis ich "Lah il Laha il Allah" gesagt hatte, bekanntlich die +Glaubensformel der Mohammedaner.</p> +<p>Die Tracht der Bewohner von Fes ist die der übrigen +Städter, d.h. es kann hier nur von der Kleidung der Reichen +die Rede sein, da ein Armer nur seinen Haik, d.h. ein langes weiss +wollenes Umschlagetuch und ein cattunenes Hemd darunter zum +Anziehen hat, sonst aber barfuss und barhaupt daherkommt. Im Winter +wird freilich der wollene Burnus darüber gezogen, der manchmal +aus schwarzer, manchmal aus weisser Wolle besteht.</p> +<p>Der Anzug des wohlhabenden Bewohners von Fes ist indess viel +reichhaltiger. Auf dem Kopf trägt er einen hohen spitz +zulaufenden rothen Fes, Saschia genannt, um den ein weisser Turban, +Rasa, gewickelt wird. Ueber ein langes weissbaumwollenes Hemd, +Camis, vervollständigen eine Tuchweste mit vielen +Knöpfen, und bis oben eng anschliessend und zugeknöpft, +Ssodria, dann ein Tuchkaftan aus schreienden Farben und eine weite +Hose, Ssrual, den Anzug, gelbe Pantoffel bilden die Fussbekleidung. +Die meisten Jünglinge und Männer tragen Fingerringe aus +Silber mit werthlosen Steinen, einige haben Ringe mit Steinen, +welche man im Wasser auflösen kann (nach der Aussage des +Besitzers), und welche Auflösung alsdann ein Mittel gegen +Vergiftung ist. Einen solchen Ring besass Ben Thaleb auch, dennoch +entging er nicht seinem Tode.</p> +<p>Sehr unangenehm ist die entsetzliche Unreinlichkeit, welche +überall herrscht; die Kleider werden nie gewechselt, sondern, +wenn einmal angezogen, immer Tag und Nacht, so lange auf dem +Körper getragen, bis man neue Kleidungsstücke anschafft. +Allerdings spricht Leo von grossen öffentlichen Waschanstalten +in Fes; ich konnte leider solche zu meiner Zeit nicht mehr +constatiren. Der reiche Bewohner kauft sich einmal, wohl auch +zweimal, im Jahr einen neuen Anzug, bei Gelegenheit eines grossen +Festes. Das altgewordene bekommen sodann die Kinder, Verwandten, +Diener, oder auch arme Freunde zum Weitertragen. Der Arme kauft +sich, nachdem er lange darauf gespart hat, einen Anzug, legt ihn +dann aber nie wieder ab, bis er absolut unbrauchbar geworden ist. +Freilich findet <i>einmal</i> im Jahr eine grosse Kleiderreinigung, +eine allgemeine Wäsche, statt: am Tage vor dem aid-el- kebir, +dem grossen Bairain der Türken. Da an diesem Tag Jeder geputzt +erscheint, wer es kann sich ein neues Kleid kauft, und wer nicht, +doch darauf hält so rein als möglich zu erscheinen, so +sehen wir denn am Tage vor dem aid-el-kebir alle Welt, Jung und +Alt, Männer und Frauen den Wasserplätzen zueilen; man +entledigt sich der Kleidungsstücke und wie besessen tanzt und +springt Jeder auf seinem Zeuge herum, um mit den Füssen den +jahrelangen Schmutz herauszustampfen: eine einfache Handwäsche +würde dazu nicht genügen.</p> +<p>Die Nationalspeise der Fessi ist ebenfalls Kuskussu—ein +Mehlgericht, welches aus geperltem Weizen- oder Gerstenmehl +bereitet und mittelst Dampf gekocht wird. Der nahe Sebu liefert +indess ausgezeichnete Fische, die man in einer gepfefferten und +durch Tomaten rothgefärbten Oelsauce stets fertig auf dem +Marktplatze bekommen kann. Hammel-, Ziegen- und Schaffleisch ist +gleichfalls billig zu haben, und in Fes wird wohl mehr animalische +Nahrung consumirt, als im ganzen übrigen Lande, die +Städte ausgeschlossen, zusammen.</p> +<p>Wie alle Marokkaner, sind auch die Fessi grosse Liebhaber von +Thee, der vor dem Essen gereicht wird; die Manier zu essen ist aber +eben so unsauber bei den vornehmsten Fessi, wie im ganzen Lande. +Mehrere Personen hocken um eine irdene Schüssel, die in einem +niedrigen Tischchen, etwa zwei Zoll hoch, Maida genannt, +aufgetragen wird. Alles kauert auf der Erde, in solcher Stellung, +wie Jeder sie nehmen will; nachdem ein Sklave oder einer der +Gesellschaft Wasser zum Abwaschen der Hände herumgereicht hat, +spült man sodann diese ab, und ein <i>gemeinsames</i> Handtuch +bei den Reichen dient zum Trocknen, bei Unbemittelten trocknet man +sich einfach die Hände mit dem Zipfel seines Burnus. Dann, auf +ein gegebenes Zeichen, greift mit dem Worte "Bi' Ssm' Allah" (Im +Namen Gottes) ein Jeder mit der Rechten in die Schüssel, um +den erhaschten Bissen zum Munde zu führen. Alle befleissigen +sich einer ausserordentlichen Eile, um nicht zu kurz zu kommen, nur +bei sehr Reichen wird langsam gegessen, weil da mehrere +Schüsseln folgen. Es gehört übrigens zum guten Ton +für die Frauen, Diener und Kinder, oder auch für die +herumlungernden Armen, Anstandsbrocken in der Schüssel zu +lassen. Eine grosse Auszeichnung aber ist es jedenfalls für +einen Fremden, wenn der Wirth selbst mit seiner schmutzigen Hand in +die Schüssel fahrt, einen Lockina, d.h. Bissen oder Mundvoll, +hervorholt und ihn dem Gast in den Mund schiebt. Obschon ich nicht +lange Zeit brauchte um mich an diese Art des Essens zu +gewöhnen, denn Hunger überwindet Alles, so hatte ich doch +längere Zeit nöthig zu lernen <i>geschickt</i> und +<i>anständig</i> zu essen, denn es gehört +Geschicklichkeit dazu die oft halb flüssigen Bissen mit +Eleganz an den Mund zu befördern, namentlich, wenn man nicht +zu kurz kommen will.</p> +<p>Ein Trunk Wasser, eine abermalige oberflächliche +Handabspülung und ein nie unterlassenes "Hamd ul Lah" (Lob sei +Gott) beschliesst jedes Mahl.</p> +<h2><a name="K09" id="K09"></a>9. Mikenes und Heimreise nach +Uesan.</h2> +<p>Ben Thaleb hatte geglaubt, auf die Dankbarkeit des Sultans +rechnen zu können, der seine Thronbesteigung gewissermassen +ihm zum Theil verdankte. Verschiedene Male war Ben Thaleb um seinen +Abschied eingekommen, er hatte nun seit mehr als 13 Jahren der +reichsten Stadt des Landes vorgestanden. Vielleicht hoch in den +Fünfzigen, hoffte er seine letzten Lebensjahre ruhig in seiner +Heimath, inmitten seiner treuen Berbertribe beschliessen zu +können. Da starb er eines Tags, plötzlich, ohne vorher +auch nur ernstlich unwohl gewesen zu sein.</p> +<p>Dem Sultan musste der Tod des Bascha's äusserst +erwünscht sein. Er hatte gerade jetzt Kriegsentschädigung +zu zahlen. Spanien verlangte für Zurückziehung der +Truppen aus Tetuan 23 Millionen spanische Thaler. Woher das Geld +nehmen? Den grossen Schatz, der in Mikenes sein soll, wollte oder +konnte er nicht anbrechen. Wie froh musste der Sultan sein, dass +Ben Thaleb in diesem Augenblick ihm den Gefallen that, zu sterben; +er war somit Erbe seines ganzen baaren Vermögens geworden.</p> +<p>Sobald der Tod Ben Thaleb's ruchbar geworden war, kamen seine +Diener, Sklaven und Maghaseni vor meine Wohnung unter dem drohenden +Geschrei, ich habe den Bascha vergiftet, und man müsse mich +tödten. Glücklicher Weise für mich war der +älteste Sohn des Bascha's da, um mich zu beschützen. Noch +am Abend vorher waren wir bei seinem Vater, dem Bascha, gemeinsam +zum Thee gewesen, derselbe hatte, genesen von einem leichten +Unwohlsein, noch am Abend einen Ochsen, als Opfer und Geschenk an +die Moschee Mulei Edris geschickt, und noch am selben Abend +äusserte sich der Bascha in Gegenwart dieses Sohnes, dass +Mustafa (mein angenommener Name) stets sein volles Vertrauen gehabt +habe, und dass ich ihn bei seinem leichten Unwohlsein stets zur +Zufriedenheit behandelt habe. "Und," fügte er hinzu, als ob er +ein Vorgefühl seines nahen Todes habe, "wenn Gott mein Dasein +verkürzen sollte, so beschütze Mustafa, der mein Gast +gewesen ist."</p> +<p>Eingedenk der Worte seines Vaters, trieb Si-Hammadi (so hiess +der Sohn) seine Leute auseinander, und schon nach zwei Tagen befahl +er, mit ihm nach Mikenes zu reisen, zum Sultan. So sagte ich denn +Fes Lebewohl, um es nie wieder zu betreten.</p> +<p>Si-Hammadi, von einer glänzenden Suite umgeben, dann mein +Dolmetsch Si- Mustafa und ich mit unserem Tross, endlich eine Reihe +von wenigstens 200, mit schweren Kisten bepackten Maulthieren und +vielleicht 100 Kamelen ebenso beladen, von Maghaseni escortirt, das +war unsere Karavane. Ich wusste nicht, was aus diesem gleichartig +gepackten Zuge machen, seine Gepäckthiere hatte Si-Hammadi +ausserdem noch, bis ich erfuhr, dass dies das vom Bascha +hinterlassene Baarvermögen sei, ungefähr zwei Millionen +spanische und französische Thaler. Die Summe mochte nicht +übertrieben sein, in Anbetracht, dass ein Maulthier mit +leichter Mühe hundert Pfund Silber = 2000 französische +Thaler, ein Kamel aber ohne Beschwerde das Dreifache tragen konnte. +Ohne Anhalt erreichten wir in einem Tage das nahe Mikenes.</p> +<p>In Mikenes angekommen, verabschiedete ich mich von Si-Hammadi +und nahm im Funduk el Attarich in der Stadt Logis, ging Abends noch +ins Lager hinaus, um meine militärischen Bekannten zu +begrüssen, welche sich ebenso sehr wunderten, mich jetzt +plötzlich wieder zu sehen, als sie vorher erstaunt gewesen +waren, eines Morgens mein Hanut mit dem schönen +Aushängeschild ohne Arzt zu finden, und erst später nach +und nach inne wurden, ich sei auf allerhöchsten Befehl nach +Fes zurückgeschickt worden.</p> +<p>Anderen Tages machte ich bei dem Grosswessier einen Besuch, er +war schon von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte, als ob ich +selbst nichts dabei zu sagen hätte, schon Befehl gegeben, +für mich Zimmer einzurichten, in einem Hause, welches neben +dem seinigen lag. Ich hatte Abends vorher Ismael (Joachim Gatell) +im Lager gesehen, wie kläglich er dort unter den thierischen +Soldaten die Zeit verbrachte, und war daher froh, mich von der +Armee fern halten zu können. Die mir von Si-Thaib zur +Verfügung gestellte Wohnung war neu und geräumig und ich +lud Ismael ein, dieselbe zu theilen. Da er dies Anerbieten gern +annahm, hatten wir beide jetzt eine angenehme Zeit vor uns, wir +konnten unsere Erlebnisse und Enttäuschungen uns mittheilen, +wieder einmal europäisch denken und fühlen. So viel +merkte ich wohl, dass Ismael von seiner Lage noch weniger erbaut +war, wie ich, der ich fern von den marokkanischen Soldaten gelebt +hatte.</p> +<p>Aber auch sein Unangenehmes hatte der Aufenthalt bei Si-Thaib +für mich. Der erste Minister hatte nicht aus +Uneigennützigkeit mir seine Wohnung angeboten, sondern nur um +mich zur Hand haben, Krankenwärterdienste bei ihm zu +verrichten. Jeden Mittag, wenn, er vom Maghasen (Palais des Sultans +und Sitz der Regierung) zurückkam, wurde ich gerufen. Ich +hatte dann die unangenehme Pflicht, ihm seine kranken Füsse +mit Kampherspiritus zu reiben. Nur auf diese Art glaubte er +Linderung in seinen Podograschmerzen zu haben, versprach sich sogar +Heilung davon. Und dies Geschäft war keineswegs ein +angenehmes, beim Beginn der Operation unterhielt er mich meist +über Politik, wobei er die verrücktesten Ansichten +auskramte, auch Religion wurde aufgetischt, nach einer halben +Stunde pflegte er zurückgelehnt auf seiner Matratze +einzuschlafen. Ich durfte aber nicht etwa das Reiben einstellen, +sonst erwachte er sogleich und befahl fortzufahren; oft habe ich +mit dieser Verrichtung zwei bis drei Stunden zubringen +müssen.</p> +<p>Si-Hammadi, der Sohn des Bascha's von Fes, hatte dann bei +Ablieferung der Gelder einen so günstigen Bericht über +mich gemacht, dass ich eines Tags durch die Botschaft +überrascht wurde, ich sei zum Leibarzt des Sultans ernannt und +habe von jetzt an alle Tage die Frauen des Sultans zu behandeln. +Vorher beschenkte mich Si-Hammadi noch mit einem meergrünen +Tuchanzug, grosse Auszeichnung als Belohnung für die Dienste +bei seinem Vater.</p> +<p>Es kamen nun jeden Morgen zwei Maghaseni aus dem Harem, um mich +zu rufen. Dort angekommen, nahm mich der Oberste der Eunuchen, Herr +Kampher, in Empfang und bald darauf wurde ich in ein Vorgemach +geführt, wo ich die Damen vorfand, welche sich behandeln +lassen wollten. Im Anfange wollten sich die Frauen nicht +entschleiern, als ich aber darauf bestand, ging Herr Kampher, der +sowie einige andere Eunuchen als Herr Moschus<a href= +"#F095"><sup>95</sup></a>, Herr Atr' urdi (Rosenessenz) etc., natürlich +immer zugegen war, ins Harem zurück, meldete dies dem Sultan, +kam aber dann mit dem Bescheid: "Unser Herr (Sidna) sagt, da du ja +doch nur ein Rumi und eben erst übergetretener Christenhund +bist, brauchen sich die Frauen deinetwegen nicht zu geniren." Somit +fielen die Umschlagetücher (eigentliche Schleier werden weder +in Marokko, noch sonst wo von mohammedanischen Frauen zum Verdecken +des Gesichtes benutzt) und ich hatte alle Tage Gelegenheit, die +Reize der Frauen des Sultans bewundern zu können. Man glaube +übrigens nur nicht, dass irgendwie besondere Schönheiten +im Harem wären, oder diese müssten sich nicht gezeigt +haben, meistens waren es sehr junge Geschöpfe mit recht vollen +Formen. Die oft kostbaren Anzüge und die vielen Schmucksachen +waren mit Schmutz überladen, and in der Regel an den Kleidern +irgend etwas zerrissen. Die meisten schienen nur aus Neugier zu +kommen, um den "Christenhund" zu sehen. Alle aber, abgesehen von +ihrem albernen und läppischen Wesen, waren recht freundlich +und hätte ich nicht die Vorsicht gebraucht, Herrn Kampher zu +sagen, die und die, nachdem sie zwei oder drei Mal zur Visite +gekommen war, nicht wieder vorzuführen, so wäre wohl nach +einiger Zeit der ganze Harem herausgekommen. Sie schienen das +Krankmelden als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten, eine +ernstlich Kranke habe ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes +nicht gesehen. Ich hütete mich denn auch sehr, irgend wie +selbst Medicin zu geben, obschon mir jetzt die dem Sultan von der +Königin Victoria geschenkte Arzneikiste zur Verfügung +stand. Ich beschränkte mich auf diätetische Anordnungen +und culinarische Recepte, die oft grosse Heiterkeit hervorriefen, +aber, wie mir Herr Kampher sagte, immer streng befolgt wurden, da +die Marokkaner jedem Extraessen (d.h. alles was nicht Kuskussu ist) +irgend eine besondere Heilkraft beilegen.</p> +<blockquote><a name="F095" id="F095"></a>[Fußnote 95: Alle +Eunuchen haben stets stark duftende, aromatische +Namen.]</blockquote> +<p>Von meinem Gehalt hatte ich seit meiner Reise nach Fes nichts +mehr zu sehen bekommen, wahrscheinlich regalirte sich Hadj Asus +damit, auch nach der Ernennung zum Leibarzte war von meiner +Gehaltsauszahlung oder Erhöhung desselben keine Rede. +Allerdings sagte mir Si-Thaib mehrere Male, ich solle nur zum Amin +(Schatzmeister) des Sultans gehen, der Sultan habe Befehl gegeben, +ich solle jetzt täglich 5 Unzen Silber, also ca. 8 Sgr. +beziehen, ich enthielt mich aber dessen. Des Hofes war ich so +müde, dass ich nur daran dachte, wie ich fortkommen +könne. Ueberdies fehlte es nicht an Geld, die Grossen des +Reiches glaubten alle verpflichtet zu sein, weil ich Arzt des +Sultans war, sich von mir behandeln zu lassen, und irgend ein +Bittsteller, der bei Si-Thaib erschien, kam sicher auch um sich von +mir behandeln zu lassen. Und weil er glaubte, ich gehöre mit +zum Hause des Ministers, hielt er sich verpflichtet, auch mir ein +Geschenk zu machen; indem er Medicin dafür verlangte, meinte +er auf diese Art zwei Fliegen mit einer Klappe zu fangen.</p> +<p>Ich war daher so beschäftigt, dass ich nur die Abende +für mich hatte, bekam daher von Mikenes wenig zu sehen. +Freitags hatte ich jedoch Zeit, eine oder die andere Moschee zu +besuchen, die, welche den Namen Mulei Ismael hat, ist jetzt die +berühmteste, und da der "blutdürstige Hund" Mulei Ismael +längst einer der berühmtesten Heiligen von Marokko +geworden ist, hat die Moschee, in der sich das Grabmal Mulei +Ismaels, Mulei Sliman's, Mulei Abd-er- Rhaman's und noch anderer +Sultane dieser Dynastie befindet, Asylrecht erhalten. Die +Berühmtheit dieser Moschee als Asyl Verbrecher gegen das +Gesetz zu schützen, scheint durch die Leichen der eben +genannten Herrscher Marokko's fast eben so gross geworden zu sein, +wie die der heiligen Moschee Mulei Edris Serone, und die des Mulei +Edris in Fes.</p> +<p>Eines Tages war ich Zeuge, dass verschiedene Artilleristen, +welche wegen nicht erhaltener Löhnung revoltirt hatten, in die +Djemma Mulei Ismael's flüchteten. Sie blieben dort mehrere +Tage, sogar während eines Freitag- Gebetes, an welchem Tage +der Sultan selbst in dieser Moschee das Chotba zu hören +pflegt, und erst die positive Zusage vollkommener Straflosigkeit +machte sie aus ihrem Zufluchtsorte hervorkommen. Ob diese +später gehalten worden ist, weiss ich nicht, glaube es aber, +da dem Sultan natürlich daran liegt, die Heiligkeit des Ortes, +worin seine Vorfahren begraben liegen, aufrecht zu erhalten und zu +erhöhen.</p> +<p>Die Zahl der Einwohner wird von allen Schriftstellern über +Marokko verschieden angegeben, Höst nennt über 10,000 +Einwohner, Hemsö 56,000 Ew., Leo 6000 Feuerstellen, Marmol +8000 Ew., Diezo de Torres 5000 Ew., Jackson 110,000 Ew. Das Wahre +dürfte auch hier in der Mitte liegen, wenn man eine +ungefähre Zahl von 40,000-50,000 Seelen annimmt. Marmol, +Höst und Hemsö haben das alte Silda des Ptolemaeus in +Mikenes sehen wollen. Nach Walsin- Esterhazy<a href= +"#F096"><sup>96</sup></a> wurde Mikenes von einer Abtheilung der Znata, der +Meknâca, gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts gegründet. +Der eigentliche Gründer der Stadt war aber Mulei Ismael, der +hier beständig residirte, und unter dem sie ihre +Berühmtheit erlangte und von der Zeit eine der vier Residenzen +des Reiches geblieben ist. Einige Stunden südwärts vom +Abhange des Berges Mulei Edris Serone gelegen, hat die Stadt die +reizendsten Gärten, die man sich denken kann. Schon Leo hebt +die kernlosen (?) Granaten und wohlriechenden Quitten hervor, und +dass die Stadt einen grossen Oliven-Reichthum hat, bekundet das +Beiwort Meknas-el-situna, d.h. das olivenreiche. Zum Theil liegen +die Gärten innerhalb der Mauer.</p> +<blockquote><a name="F096" id="F096"></a>[Fußnote 96: Siehe: +Renou pag. 254.]</blockquote> +<p>Das heisst die eigentliche Stadt mit der Kasbah und dem Palais +des Sultans, ist durch eine sehr gut erhaltene, von hohen +viereckigen Thürmen flankirte Mauer umgeben, und innerhalb +dieser hohen Mauer befindet sich auch der prächtige Garten des +Sultans. Dann zieht sich eine Stunde entfernt eine andere, +niedrigere, an manchen Stellen zwiefache Mauer um die Stadt, um die +nächsten Gärten zu schützen.</p> +<p>Mikenes hat fast durchweg eine Bevölkerung, die in irgend +einer Beziehung zum Hofe oder zum Heere steht. Die von Hemsö +angeführte und dem Leo nachgeschriebene grosse Eifersucht der +Männer auf ihre Frauen dürfte wohl nicht grösser +sein, als in den anderen marokkanischen Städten, besonders +schön fand ich die Frauen nicht. Mikenes ist die einzige Stadt +in Marokko, wo öffentliche Prostitutionshäuser sind. Im +Uebrigen sind die Strassen gerader, reinlicher, die Häuser in +einem besseren Zustande, als in irgend einer anderen Stadt des +Reiches. Sogar der Palast des Sultans zeichnet sich dadurch aus, +obschon der Theil, den Mulei Ismael mit Marmorsäulen, die er +von Livorno und Genua kommen liess, schmückte, in Ruinen +liegt. Diese schönen Monolithen liegen als Zeugen jüngst +vergangener Grösse im Staube. Kein anderes Gebäude +zeichnet sich irgendwie aus, selbst die Moschee Mulei Ismaels, +welche doch Begräbnissstelle der jetzigen Dynastie ist, liegt +halb in Verfall. Die Stadt wird durch eine ausgezeichnete +Wasserleitung mit Wasser versorgt, irre ich nicht, von einem in den +Ued Bet gehenden Bache aus, der nordwärts von der Stadt +entspringt.</p> +<p>Erwähnen muss ich eines Abstechers nach Mulei Edris Serone, +einer ungefähr 3 Stunden nördlich von Mikenes gelegenen +Stadt; indess kann ich von diesem reizend gelegenen Orte nichts +weiter anführen, als was ich bei Beschreibung der Stadt Fes +schon mitgetheilt habe. Trotzdem ich Leibarzt des Sultans war, im +Hause des ersten Ministers wohnte, alle Gebräuche und Sitten +der Mohammedaner aufs Genaueste mitmachte, war ich dennoch immer +mit misstrauischen Augen angesehen. Nach irgend einer Oertlichkeit +direct fragen, ging schon gar nicht. Man würde gleich gesagt +haben, ich sei ein Spion.</p> +<p>Glücklicher Weise trat ein Ereigniss ein, was mich aus des +Sultans Dienste befreite, eine englische Gesandtschaft wurde in +Aussicht gestellt, und nach einigen Wochen traf auch Sir Drummond +Hay mit zahlreichem Gefolge und escortirt von einer starken +Abtheilung Maghaseni in Mikenes ein. Man kann sich denken, wie +gross meine Freude war. Seit über einem Jahre, so viel Zeit +war nun verflossen, hatte ich nichts von Europa gehört, hatte +weder einen Brief noch eine Zeitung gehabt, und erhielt nun auf +einmal Bücher, Zeitungen, und konnte mich mit gebildeten +Herren unterhalten. Im Anfange hatte ich grosse Schwierigkeit zu +Sir Drummond Hay zu gelangen, da die marokkanische Regierung den +strengsten Befehl ausgegeben hatte, keinen Renegaten auf die +Gesandtschaft zuzulassen. Nur durch eine List verschaffte ich mir +Einlass, indem ich Si-Tbaib sagte: ich müsse seiner Krankheit +wegen mit dem der englischen Gesandtschaft beigegebenen Arzte +sprechen. Das wurde bewilligt und ich durfte dann, von meinem +ehemaligen Dolmetsch begleitet, die Gesandtschaft betreten.</p> +<p>Sir Drummond bewohnte eines der schönsten Häuser der +Stadt, worin es sogar an europäischen Möbeln nicht +fehlte, da der Sultan alle dergleichen Utensilien besitzt, sie aber +für seine Person nicht gebraucht. Ueberhaupt wurde die +Gesandtschaft mit einer Zuvorkommenheit und Artigkeit behandelt, +wie sie Sir Drummond Hay, dem eigentlichen geheimen Herrscher von +Marokko, zukommt. Auf den Strassen, vom Volke, überall wo die +Gesandtschaft sich zeigte, wurde sie aufs respectvollste +begrüsst. So gut wie der Sultan, fühlt das Volk, dass nur +England eine wirkliche Hülfe gegen die Spanier und Franzosen +ist. Es versteht sich von selbst, dass Sir Drummond sich mit aller +Freiheit bewegen konnte, ebenso die übrigen Herren der +Gesandtschaft.</p> +<p>Was mich anbetrifft, so gab mir Sir Drummond ein Schreiben +(arabisch ausgefertigt) und sagte mir, dasselbe durch den ersten +Minister dem Sultan vorzeigen zu lassen. In diesem Schreiben war +betont, die marokkanische Regierung solle mich nicht mit den +übrigen Renegaten verwechseln und mir meine Freiheit +wiedergeben. Das Blättchen Papier wirkte Wunder. Als Si- Thaib +mir dasselbe nach einigen Tagen wieder einhändigte, fügte +er hinzu, der Sultan habe das Blatt gelesen, und gesagt, ich +könne thun was ich wollte, sei vollkommen frei, Mikenes zu +verlassen, ja ich dürfe überall im "Rharb" reisen und +mich aufhalten, wo ich es für gut fände. Wer war froher +als ich. Jetzt aber war auch der Wunsch das eigentliche Land +Marokko zu durchreisen, erst recht wachgerufen, und namentlich +fühlte ich einen starken Trieb von nun an weiter in das Innere +Afrika's einzudringen. Aber ich war mir nun auch erst recht bewusst +geworden, wie viel noch abging, solche gefährliche Reisen ohne +Mittel ausführen zu können. Wenn auch einestheils gerade +diese Mittellosigkeit ein grosser Schutzbrief für mich war, so +hatte ich andererseits im Arabischen wenige Fortschritte bis dahin +gemacht. Der Umstand, dass ich fortwährend einen Dolmetsch zur +Seite gehabt, machte, dass ich kaum mehr von dieser Sprache +verstand als beim Beginn meiner Reise. Auch war ich mit den Sitten +und Gebräuchen des eigentlichen Volkes noch zu wenig vertraut. +Ebenso wenig wie man diese z.B. in London was das englische Volk, +in Berlin was das deutsche Volk anbetrifft, in Erfahrung bringen +kann, zu dem Ende vielmehr das eigentliche Land selbst besuchen +muss, ebenso wenig ist dies in Marokko in der Hauptstadt der Fall, +und bislang war ich eigentlich nur in Fes und Mikenes gewesen.</p> +<p>Ich beschloss nun nach der heiligen Stadt Uesan +zurückzukehren. Wo konnte ich besser Sitten, Gewohnheiten und +auch die Sprache des Volkes kennen lernen, als in dieser grossen +Pilgerstadt, wo täglich Hunderte, oft Tausende von Pilgern aus +ganz Nordafrika, ja oft noch von weiter her zusammenströmen. +Und es traf sich nun sehr glücklich für mich, dass gerade +zwei von den nächsten Anverwandten des Grossscherifs in +Mikenes waren. Diese hatten in der Besoffenheit einen Maghaseni des +Sultans ums Leben gebracht, und waren selbst nach Mikenes gekommen, +um sich deshalb beim Kaiser zu entschuldigen. Sie wurden nicht nur +nicht gerügt oder gar bestraft für ihre im Trunk +begangene Handlung, sondern der Sultan betrachtete es als einen +besonderen Act der Höflichkeit, dass solche heilige Leute und +noch dazu wirkliche Vettern des Grossscherifs, keinen Anstand +nahmen, sich wegen einer solchen Kleinigkeit bei ihm selbst zu +entschuldigen, und im Grunde genommen sah er es wohl nur für +einen Vorwand an, Geschenke von ihm zu bekommen. Die erhielten sie +denn auch beide. Sidi Mohammed ben Abd-Allah und sein Bruder, Sidi +Thami, verliessen reich beschenkt die kaiserliche Residenz.</p> +<p>Si Thaib Bu Aschrin hatte die Güte mir einen Brief für +die beiden Schürfa zu geben, welche direct nach Uesan +zurückreisen wollten. Und so sagte ich denn dem Hofe des +Sultans Lebewohl, nur Trauer empfindend, dass Ismael (Joachim +Gatell), der die ganze Zeit bei mir gewohnt hatte, jetzt wieder ins +Lager zurück musste, und da er nicht, wie ich, die Protection +der englischen Gesandtschaft genoss, nicht daran denken durfte, so +bald seine Befreiung zu bekommen.</p> +<p>Den folgenden Morgen begab ich mich mit meinem Gepäck zur +Wohnung der Schürfa, und bald war Alles gepackt und wir +sattelfest. Sidi Mohammed, ein fetter junger Mann von dreissig +Jahren, und sein einige Jahre jüngerer Bruder, Sidi Thami, +waren noch von zwei alten Schürfa begleitet und hatten +mindestens 30 Diener als Gefolge. Wir verliessen gegen 8 Uhr +Morgens Mikenes durch das Nordthor, zogen den Bergen entgegen, +indem wir die Stadt Serone etwas östlich liegen liessen. Die +Reisen zu Pferde oder Maulthier sind in Marokko keineswegs +unangenehm, die mit hohen Lehnen versehenen Sättel, vorn mit +einem Knauf, worauf man die Hände legen, die grossen +Steigbügel, in welche man den ganzen Fuss schieben kann, +lassen die Ermüdung weit später erfolgen, als bei +europäischem Reitzeuge. Freilich muss ein Europäer sich +die Mühe nehmen, den Sattel durch wollene Decken etwas zu +polstern, denn wenn sich die Härte desselben schon ertragen +liesse, ist er doch sehr uneben, was auf die Dauer unbequem +ist.</p> +<p>Wir waren ohne Rast den ganzen Tag unterwegs, da Sidi Mohammed +Ben Abd- Allah wohl besonderen Grund haben musste so schnell zu +reisen, denn sonst pflegen die Grossen in Marokko nur, kleine +Tagemärsche zu machen. Als ich mich in der Höhe der Berge +von Mulei Edris etwas entfernte von unserer Karawane, wurde ich der +Gegenstand einer Ovation, die in der Nähe wohnenden Leute, die +von der Durchkunft von Schürfa von Uesan gehört hatten, +wohl im Glauben ich sei auch ein Scherif, kamen haufenweise herbei, +mir die Hand und den Saum der Djilaba küssend. Sie verlangten +auch das Foetha (Segen), das ich glücklicherweise auswendig +wusste. Hoffentlich haben sie eben soviel Nutzen von meinem Segen +gehabt, als von dem eines wirklichen Scherifs! Aber wenn sie es +gewusst hätten, ich sei ein zum Islam Uebergetretener, wie +würden sie mich verflucht haben. Gut, dass wir in den Zeiten +leben, wo Fluch und Segen von Menschen gesprochen, den Zauber ihrer +Allmacht verloren haben.</p> +<p>Bei Sonnenuntergang hielten wir bei einem dem Grossscherif von +Uesan gehörenden Duar (Zeltdorf). Da ich kein Zelt hatte, +luden die beiden Schürfa mich ein, das ihrige mit zu theilen. +Das Zelt eines Grossen von Marokko zeichnet sich durch +Geräumigkeit aus. Aus starkem weiss und blaugestreiften +Leinenzeug bestehend, ist es inwendig weiss und mit +verschiedenartig zusammengenähtem bunter Tuch gefüttert. +Meist von nur einer Stange getragen, kann die rund ums Zelt gehende +gerade aufstrebende Seitenumfassung abgenommen werden, was +namentlich bei Sonnenschein und grosser Hitze eine grosse +Annehmlichkeit gewährt, da das Dach des Zeltes, gewissermassen +ein grosser Schirm, frei stehen bleibt und dem kühlenden Winde +der Durchlass offen steht.—Ich war froh, als der Koch der +Schürfa sogleich ein Mahl auftrug, da ich den ganzen Tag +nichts genossen hatte, als ein Stückchen Brod und Trauben. +Gegen Mitternacht kam denn auch der Mul' el Duar oder +Dorfvorsteher, mehrere Schüsseln voll Kuskussu verschiedener +Art, und andere mit gebratenem Fleisch wurden niedergesetzt. Meine +Müdigkeit war indess so gross, dass ich vorzog weiter zu +schlafen, trotz der wiederholten Aufforderungen am Mahle +theilzunehmen.</p> +<p>Frisch gestärkt erweckte man mich am anderen Morgen mit +einer Tasse Kaffee (die Schürfa von Uesan trinken auch Kaffee) +und sodann kam wieder ein reichliches Mahl der Leute des +Zeltdorfes, welche dafür mit Thee bewirthet wurden. Wie am +vorhergegangenen Tage war die Gegend hügelig, wohlangebaut und +zahlreiche Duar deuteten auf eine verhältnissmässig +dichte Bevölkerung. Bald nach dem Aufbruche am zweiten Tage +passirten wir die Flüsse Sebu und Uarga, letzteren etwas +oberhalb der Stelle, wo er in den Sebu einfällt. Ueberall wie +am ersten Tage waren die Schürfa der Gegenstand der +grössten Verehrung, im ganzen Lande gelten die Schürfa +Uesan's als die grössten Heiligen. Die Sitte will es, dass ein +Vornehmer nie seinen Einzug Abends hält, so wurde denn auch an +dem Tage schon um 5 Uhr Nachmittags Halt gemacht in einem Duar, der +Sidi Abd-Allah selbst gehörte. Nur noch einige Stunden am +anderen Morgen, und wir hatten den Berg Bu-Hallöl vor uns, an +dessen anderer Seite Uesan gelegen ist.</p> +<p>Sobald wir den Berg umgangen, kamen uns die Verwandten und +Bekannten der Schürfa entgegen, die durch den jüngeren +Bruder, der am Abend vorher noch die Stadt erreicht hatte, waren +benachrichtigt worden. Sidi Thami hatte auch dem Grossscherif schon +meine Zurückkunft mitgetheilt.</p> +<p>Ich konnte indess nicht direct nach der Wohnung des +Grossscherifs gehen, da ich vorher bei Sidi Abd-Allah +frühstücken musste. Ein naher Verwandter von Sidi el Hadj +Abd es Ssalam, ist er, was Reichthum und Macht anbetrifft, von den +Uesaner Schürfa der dritte, denn Sidi Mohammed ben Akdjebar, +obschon entfernterer Linie, hat nach dem Grossscherif den +grössten Einfluss und den grössten Reichthum. Die +übrigen Schürfa, fast die ganze Stadt besteht aus +Abkömmlingen Mohammed's, haben in Uesan selbst gerade keinen +Einfluss, da ihrer zu viele sind.</p> +<p>Gleich darauf ging ich dann, nachdem ich meinen meergrünen +Anzug angelegt hatte, zum Grossscherif, den ich von einer +zahlreichen Menge umgeben in seinem Landhause antraf. Aufs +freundlichste aufgenommen, liess er sogleich eine Wohnung für +mich einrichten, und mich ein über das andere Mal willkommen +heissend, sagte er, ich solle mich von nun an ganz wie zu seinem +Hause gehörig betrachten.</p> +<p>Ehe ich nun meine Erlebnisse in Uesan schildere, möchte ich +Einiges über die derzeitigen politischen Zustände in +Marokko sagen, und knüpfe daran zugleich einige Worte +über die sonstige und jetzige Stellung der christlichen +Consuln.</p> +<h2><a name="K10" id="K10"></a>10. Politische Zustände</h2> +<p>Marokko hat eine Regierung so despotisch und tyrannisch +eingerichtet, wie man sie eben nur da findet, wo zu gleicher Zeit +geistige und weltliche Herrschaft in <i>einer</i> Person vereint +ist, und der Grund zu diesem absolutesten Despotismus liegt doch +keineswegs im Charakter des arabischen oder berberischen Volkes, +einzig und allein die <i>mohammedanische Religion</i> ist Schuld +daran.</p> +<p>In allen Ländern, auf welche sich der Islam ausgedehnt hat, +ist es ähnlich. In der Türkei, in Persien, in Aegypten, +in Tunis, überall die absoluteste monarchische Herrschaft, ja +sogar in Centralafrika hat die mohammedanische Religion in den +Staaten, von denen sie Besitz ergriffen hat, dem jeweiligen +Fürsten unbeschränkte Macht verliehen, so in Uadai, +Bornu, Sokoto und Gando.</p> +<p><i>Vor</i> dem Islam lebten die Araber in kleinen Triben unter +patriarchalischen Herrschern, und wenn die Berber Nordafrika's es +zuweilen vermochten, sich zu Königreichen zu vereinigen, so +war dennoch die Gemeindeabtheilung, kleine von einander +unabhängige Republiken, ihre Urregierungsform. So finden wir +in Nordafrika die Araber und Berber noch da, wo sie sich +unabhängig von den grossen Staaten zu erhalten gewusst +haben.</p> +<p>Nach der Entstehung des Islam folgte es von selbst, die +politische Autorität mit der des obersten Priesters in einer +Person zu vereinigen. Nach unten giebt es im Mohammedanismus keine +Hierarchie, keine Priesterkaste, keine privilegirten Menschen, mit +Ausnahme derer, welche Mohammed selbst als bevorzugt bezeichnete: +das sind seine eigenen Nachkommen.</p> +<p>Freilich die vollkommene Unbeschränktheit, wie sie jetzt +die Sultane von Marokko gemessen, "absolute Unfehlbarkeit," kam +erst dann zu Stande, als im Anfange des 16. Jahrhunderts Sultane +aus der Familie der Schürfa auf den marokkanischen Thron +kamen. Seit der Zeit hat im eigenen Lande der Marokkaner die Macht +und <i>Unfehlbarkeit</i> der Herrscher immer mehr zugenommen, das +Wohl, die Bildung und der Fleiss des Volkes aber von dem Augenblick +an auf merkwürdige Weise abgenommen.</p> +<p>Der Sultan von Marokko nennt sich "Beherrscher" oder auch +"Fürst der Gläubigen," Hakem el mumenin, oder will er +politisch als Herr des Landes sich bezeichnen, schreibt er Mul' el +Rharb el Djoani<a href="#F097"><sup>97</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F097" id="F097"></a>[Fußnote 97: Alle +anderen Titel, wie z.B. bei Lempiere: "Emperor of Africa" (die +Marokkaner wissen gar nicht was Afrika ist), "emperor of Marokko, +King of Fes, Suz and Gago, Lord of Dara and Guinea and great Sherif +of Mohamet" (?), sind Erfindungen der Europäer +selbst.]</blockquote> +<p>Von seinen Unterthanen wird er "Sidna," unser Herr, oder auch +"Sultan," "Sultana," Sultan, unser Sultan genannt. Andere +Ansprachen sind nicht üblich. Seine erste Frau, die nicht +nothwendig ein weiblicher Scherif zu sein braucht, hat den Titel +Lella-Kebira, und gebiert sie einen Thronfolger, so hat sie +für immer das Recht den Harem zu regieren und bei der Wahl der +übrigen Weiber eine gewichtige Stimme. Der älteste Sohn +bekommt den Titel Sidi el Kebir oder Mulei el Kebir, denn Sidi und +Mulei im Singular wird immer gleichbedeutend gebraucht, +während Muleina, der Plural, nur auf den Propheten angewendet +wird. Wie alle Mohammedaner, hat der Sultan gleichzeitig nur vier +rechtmässige Frauen, die nach Belieben fortgeschickt oder +erneuert werden; wie viele unrechtmässige, d.h. nicht +angetraute junge Mädchen und Frauen in den vier Harems sind, +weiss der Sultan, <i>trotz seiner Unfehlbarkeit</i> wohl selbst +nicht.</p> +<p>Ein Gesetz über Erbfolge giebt es bei den Mohammedanern +nicht, also existirt darin auch keine Regel für Marokko. Der +augenblicklich auf dem Thron sitzende Fürst ist der zweite +Sohn des verstorbenen Sultans, und dieser selbst war Neffe seines +Vorgängers. Er heisst Sidi Mohammed ben Abd- er-Rhaman und ist +im Jahre 1805 geboren. Wenn schon unter seinen Vorgängern, +Sultan Sliman und Abd-er-Rhaman, Vieles anders am marokkanischen +Hof geworden ist, so wechselte noch mehr unter der Regierung des +jetzigen Herrschers, und trotzdem dieser nicht wie sein Vater +Gelegenheit gehabt hat, mit Europäern auf gleichem Fuss zu +verkehren und sie so besser kennen zu lernen, schätzt doch +gerade Sidi Mohammed mehr als einer seiner Vorgänger die +Christen. Der Vater Mohammed's war nämlich vor seiner +Thronbesteigung Bascha in Mogador gewesen, hatte dort viel mit den +Consuln verkehrt und somit europäische Gewohnheiten und +Gebräuche kennen gelernt. Sidi Mohammed war aber +fortwährend Bascha von der Stadt Marokko gewesen, ehe er +Sultan ward.</p> +<p>Die Regenten von Marokko haben keinen eigentlichen Divan oder +Midjelis, und die Etikette am Hofe ist äusserst streng. Es +giebt aber gewisse Leute, die den Vorzug haben, sich setzen zu +dürfen, z.B. die Prinzen, Gouverneure der Provinzen, vornehme +Schürfa, während die gewöhnlichen Sterblichen vor +dem Kaiser nur hocken oder knieen dürfen. Vorgelassene +Bittsteller dürfen nur von weitem ihr Anliegen vorbringen in +knieender Stellung, und nachdem sie vorher den Erdboden +geküsst haben. In Gegenwart des Sultans darf das Wort +"gestorben" nicht ausgesprochen werden, damit er nie an den Tod +erinnert werde. Man umschreibt dies, z.B. mit: er hat seine +Bestimmung erfüllt, ebenso darf nie die Zahl "fünf" vor +dem Sultan ausgesprochen werden, man sagt dafür "4 und 1" oder +"3 und 2". Dieser sonderbare Brauch<a href="#F098"><sup>98</sup></a> +erklärt sich wohl daraus, weil fünf die Zahl der Finger +das Symbol der Hand, der despotischen Macht ist. In allen +mohammedanischen Landen wird man auch häufig an den +Häusern eine rothangemalte Hand oder einfach den Abdruck einer +Hand oder mehrerer finden, man glaubt dadurch Gewalt und Einbruch +abhalten zu können, das Haus wird hiemit unter die unsichtbare +Macht einer starken Hand gestellt.</p> +<blockquote><a name="F098" id="F098"></a>[Fußnote 98: S. +Jackson, Account]</blockquote> +<p>Spricht man in Gegenwart des Sultans von einem Juden, so wird +vorher "Verzeihung" gebeten, "Haschak," weil die +Juden für unrein gehalten werden. Früher galt das auch +von den Christen, aber schon unter Abd-er-Rhaman kam diese Unsitte +ab. Es versteht sich von selbst, dass Niemand mit Pantoffeln vor +dem Sultan erscheint, doch haben die hohen Beamten die Erlaubniss, +ihre gelben ledernen Stiefelchen anbehalten zu dürfen. +Decorationen giebt es in Marokko nicht, indess dachte man im Jahre +1864 daran, einen Orden zu stiften, den vom Sultan Salomon (dem +jüdischen König). Modelle waren angefertigt, ähnlich +wie die, welche König Theodor von Abessinien hatte machen +lassen. Die grösste Auszeichnung, die der Sultan von Marokko +gewährt, ist die, wenn er selbst seines Burnus sich entledigt, +und ihn einem der Anwesenden schenkt. Vornehme Personen werden zum +Handkusse zugelassen, seine Kinder, seine Brüder und die +allernächsten Günstlinge dürfen auch die +<i>innere</i> Fläche der Hand küssen<a href= +"#F099"><sup>99</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F099" id="F099"></a>[Fußnote 99: S. Aly +Bei el Abassi.]</blockquote> +<p>Der vom Sultan gemachte Aufwand ist verhältnissmässig +gering und besteht hauptsächlich in schönen Waffen, +herrlichen Pferden und einem grossen Harem, bewacht von einer +glänzend gekleideten Schaar von Eunuchen. Die einflussreiche +Stellung, welche diese unglücklichen Geschöpfe unter den +früheren marokkanischen Fürsten hatten, hat indess jetzt +ganz aufgehört und beschränkt sich lediglich darauf, +unbeschränkt in dem Theile des Palastes zu herrschen, in den +auser [außer] dem Sultan keine Mannsperson eintreten darf. +Aehnlich gekleidet wie die marokkanischen Maghaseni oder Reiter, +haben sämmtliche Eunuchen silbergestickte Leibgürtel. +Alle haben einen stark riechenden duftenden Namen; so hiess in +Mikenes der Eunuchenoberst "Kaid Kampher", andere hiessen Moschus, +Amber, Thymian etc. Ein Theil des Harems ist stets mit dem Sultan +unterwegs, dieser besteht aus den Lieblingsfrauen, Quintessenz der +vier Harem von Fes, Mikenes, Rbat und Marokko. Marschirt der +Sultan, so hat er zwei grosse Zelte, ein jedes umgeben von einer +äusseren vom Hauptzelte unabhängigen Zeltwand. Beide +Zelte sind durch einen Zeltgang verbunden: das eine bewohnt der +Sultan, das andere ist für die Frauen. Im äusseren Umgang +des für die Frauen bestimmten Zeltes halten sich die Eunuchen +auf.</p> +<p>Die Regierung des jetzigen Sultans besteht aus dem ersten +Minister, der vom Volke Uisir el Kebir genannt wird, sonst aber den +Titel "Ketab el uamer", Schreiber des Fürsten, hat. Dieser ist +der allmächtigste Mann im Reiche, ehemaliger Lehrer des +Sultans, und sein Einfluss, namentlich in allen äusseren +Angelegenheiten, ist entscheidend; sein Name ist Si-Thaïb-Bu- +Aschrin-el-Djemeni. Der unmittelbare Verkehr mit den +europäischen Consuln findet in Tanger statt, durch den +dortigen Gouverneur, der den Titel Uisir- el-uasitha hat, und der +seine Instructionen in dieser Beziehung vom Uisir- el-Kebir oder +auch direct vom Sultan bekommt.</p> +<p>In allen despotischen Staaten, und vorzugsweise in +mohammedanisch- despotischen Staaten, wird manchmal der niedrigste +und dümmste Mann durch eine Laune des <i>unfehlbaren</i> +Herrschers zum obersten Posten hinaufgehoben. Wer sollte sich dem +auch widersetzen? In Marokko Niemand; allerdings giebt es fast +allmächtige Kaids, unabhängig in ihren Provinzen +regierend; allerdings giebt es die Classe der Schürfa, der +Abkömmlinge Mohammeds, die sich wohl erdreisten, fern vom +Sultan in Gegenwart des ganzen Volkes zu sagen: "Ich bin auch +Scherif, und der Sultan hat kein besseres Blut in seinen Adern als +ich;" allerdings ist da der Grossscherif von Uesan, der sagt, er +stamme directer von Mohammed, als der Sultan selbst, und dieser +allein wagt auch manchmal zu trotzen—aber sonst ist Niemand +im Lande, der in Gegenwart des unfehlbaren Herrschers nicht von +seiner eigenen Nichtigkeit und Unbedeutendheit überzeugt +wäre.</p> +<p>So ist denn auch der zweitmächtigste Mann im Reiche, +Si-Mussa, den ich gewissermaßen "Minister des kaiserlichen +Hauses" tituliren möchte, weiter nichts, als ein ehemaliger +Sklave, ein Neger von Haussa. Er hat nur das Verdienst, mit dem +jetzigen Sultan aufgewachsen zu sein, und leitet augenblicklich +alle inneren Palast-Affairen. Sein Bruder, Si-Abd-Allah, ebenfalls +ein Haussa-Neger und ehemaliger Sklave, ist dermalen +Kriegsminister.</p> +<p>Wichtiger Posten am Hofe von Marokko ist der des Mschuar. Der +Kaid el Mschuar hat das Amt, Bittende, Fremde, Besuchende dem +Sultan vorzuführen. Da man nur ausnahmsweise, um vom Sultan +empfangen zu werden, sein Gesuch durch einen andern Minister +anbringen lassen kann, ist dieser Posten sehr einträglich, +folglich auch einflussreich. Denn jedes derartige Gesuch muss erst +durch ein Geschenk, angemessen nach dem Reichthum des Petenten, +unterstützt sein. Ebenso werden Consuln, wenn sie in +Gesandtschaft zum Sultan kommen, oder auch in Rbat in +gewöhnlicher Audienz empfangen werden, durch den Kaid el +Mschuar eingeführt. Wie viele Plackereien damit für +Europäer verbunden sind, wie vom Kaid el Mschuar abwärts +Jeder, der ein Aemtchen hat, seinen Fremden auszubeuten bestrebt +ist, davon hat Maltzan eine anziehende Schilderung gegeben.</p> +<p>Der, welchen man in Marokko den Minister des Innern nennen +könnte, der aber zugleich auch Gross-Siegelbewahrer ist, der +Mul-el-taba oder Kaid-el-taba, ist derzeit auch eine vollkommen aus +dem Staub, oder, wie der Marokkaner sich viel kräftiger +ausdrückt, aus dem Dr. ... "Sebel" heraufgekommene +Persönlichkeit. Der Mul-el-Taba beräth mit dem Sultan die +Besetzung der Kaid- oder Gouverneurstellen in den Provinzen und +Städten.</p> +<p>Es giebt keinen eigentlichen Schatzmeister in Marokko, oder gar +einen Finanzminister, denn den Schlüssel zur Hauptcasse, +welche in Mikenes sein soll, hat der Sultan selbst. Dass eine +Hauptabtheilung des dortigen Palastes, von aussen einen vollkommen +viereckigen steinernen Würfel darstellend, "el dar-el chasna," +oder "bit el mel", Schatzhaus heisst, kann ich aus eigener +Anschauung bestätigen; anscheinend hat dieses massive +Gebäude von aussen gar keinen Zugang, indess liegt eine Seite +nach dem Harem zu, von wo aus der Eingang wohl sein wird. Die +Marokkaner behaupten, der Zugang zum Schatz sei unterirdisch +vermittelst eines Tunnels. Das Innere wird beschrieben als eine +ausgemauerte Höhlung, in deren Innerem wieder ein gemauertes +Gemach enthalten sei<a href="#F100"><sup>100</sup></a>. Alles dies ist wohl +Fabel, denn Niemand, auch nicht der Kaid-etsard oder Schatzmeister, +hat wohl je einen Blick ins Innere gethan. Ebenso sind die Summen, +welche im Schatzhaus angehäuft liegen sollen, wohl lange nicht +so bedeutend, als Manche herausgerechnet haben. Französische +Schriftsteller haben die Ersparnisse der marokkanischen Regenten +auf 300 Millionen Franken, ja auf eine Milliarde veranschlagt, ohne +zu bedenken, dass das, was der eine Sultan zurückgelegt hatte, +oft vom folgenden, der durch Usurpation und Gewaltmittel auf den +Thron kam, in einem Tage der Plünderung preisgegeben wurde. +Als z.B. an Spanien jene 22 Millionen spanische Thaler +Kriegsentschädigung gezahlt werden mussten, fand es sich, dass +der Staatsschatz leer war. Oder durfte und wollte der Sultan ihn +nicht angreifen? Das Nichtvorhandensein des Geldes ist das +Wahrscheinlichere.</p> +<blockquote><a name="F100" id="F100"></a>[Fußnote 100: S. +Höst p. 221, der die Höbe des damaligen Schatzes auf 50 +Millionen Thaler angiebt.]</blockquote> +<p>Eine kirchliche Behörde giebt es in Marokko nicht, der +Sultan als unfehlbar vereinigt Papst, Cultusministerium oder +oberste Synode, wie man bei den Christen dergleichen Einrichtungen +nennt, in seiner Person.</p> +<p>Ich unterlasse es, auf niedere Aemter am Hofe von Marokko +einzugehen, werde jedoch einige derselben, wie sie jetzt noch +existiren, erwähnen: den Mundkoch Mul' el tabach, den +Sonnenschirmträger Mul' el schemsia, Säbelträger +Mul' el skin, den Theeservirer Mul' el atei, Speiseträger Mul' +el taam. Alle diese Aemter werden meist von Sklaven versehen, viele +aber auch, und es giebt derer noch fünfzig, von freien weissen +Leuten. Für die kleinste Handthierung ist ein besonderer +Angestellter vorhanden, z.B. für den, der die Pantoffel des +Sultans umdreht, damit er sie beim Anziehen gleich wieder +fussgerecht vor sich hat. Um den Steigbügel zu halten, um eine +Schale mit Wasser zu bringen, um die ausgetrunkene Theetasse in +Empfang zu nehmen, um die Serviette zu reichen, um das Waschbecken +zu präsentiren, für jeden kleinen Dienst hat der Sultan +einen besonderen Angestellten. Man glaube aber nicht, dass alle +diese Leute besoldet sind. Ziemlich gute Kleidung, oft die, welche +der Sultan oder die Prinzen abgelegt haben, und die sieh von der +fürstlichen Tracht durch nichts unterscheidet, als durch +grössere Fadenscheinigkeit—dann Nahrung, das ist Alles, +was dieses Heer von Bedienten und Beamten bekommt. Aber keineswegs +sind sie deshalb ohne Geld, von Jedem, der nach Hofe kommt, wissen +sie etwas zu erpressen; gehen sie in die Stadt auf die Märkte, +so entlocken sie bald hier einem unglücklichen Juden, dort +einem leichtgläubigen Landmann eine Mosona, wer würde der +Bitte oder der Drohung eines Ssahab sidna widerstehen? Es ist das +officieller Name aller Beamten und Diener. Der erste Minister des +Sultans, wie sein letzter Sklave, schämt sich dieses Titels +nicht, was wiederum seinen Grund daher hat, weil in den Augen des +Sultans der höchste Beamte keinen grösseren Werth hat als +der letzte Sklave. Vor der marokkanischen Unfehlbarkeit +verfällt mit derselben Leichtigkeit das Haupt des +rechtschaffensten Beamten dem Schwert, wie das eines Verbrechers, +der es wirklich verdient hat. Eigentlich kann daher Unfehlbarkeit +nur in einem solchen Lande vollkommen blühen und existiren wie +in Marokko, d.h. in einem Lande, wo das Gesetz nichts gilt, sondern +Alles sich der Laune eines schwachköpfigen Fanatikers +fügen muss.</p> +<p>Es giebt kein höchstes Justizamt in Marokko; vom Kadi einer +einzelnen Provinz oder einer Stadt, oder eines kleinen Ortes kann +nur an den Uisir oder an den Sultan appellirt werden, welche +letztere nach ihrem Gutdünken das gefällte Urtheil +bestätigen oder verwerfen.</p> +<p>Die einzelnen Provinzen und Ortschaften werden manchmal von +Kaids und Schichs regiert, die direct, wenn es sich um Provinzen +und um grössere Städte handelt, vom Sultan ernannt +werden. So wie wir auf den meisten Karten die verschiedenen +Provinzen abgegrenzt finden, existiren sie in administrativer und +gerichtlicher Beziehung nicht. Die Kaid stehen einem Kaidat vor, +das manchmal aus einer Stadt mit verschiedenen Triben oder +Dörfern besteht. Oft ist ein Kaid direct vom Sultan +abhängig, oft hat ein Kaid oder Schich 40 oder gar 100 Kaids, +die unter ihm stehen. Ein Kaid hat manchmal nur einen Duar<a href= +"#F101"><sup>101</sup></a>, einen Tschar<a href="#F102"><sup>102</sup></a>, eine Tribe +zu commandiren, manchmal deren 20, 50 und noch mehr. Ein Kaid +commandirt z.B. vielleicht zu einer Zeit die beiden Rhabprovinzen +mit den Triben darin, oder wie zur Zeit des jetzt regierenden +Sultans sind sie getheilt, und werden von zwei Kaids regiert. Der +Titel "Kaid" ist der allein officielle, sowohl für die Beamten +einer grossen Provinz, wie für die einer kleinen Ortschaft. +Gleichbedeutend ist der Name "Schich", den man vorzugsweise in den +Gegenden von überwiegender Berber-Bevölkerung antrifft. +Der Titel "Bascha" wird nur einzelnen besonders hervorragenden +Gouverneuren, z.B. dem von Alt-Fes, verliehen. Der Titel "Chalifa" +schliesst immer eine Stellvertretung in sich, so hat z.B. der +älteste Sohn des Sultans unter der Regierung des jetzigen +Kaisers, sobald dieser nach Marokko übersiedelt, den Titel +"Chalifa von Fes" als seines Vaters Stellvertreter. Kehrt der +Sultan nach Fes zurück, hat einer der Brüder des Sultans, +Mulei Ali, in der Hauptstadt Marokko den Titel "Chalifa". Es ist +dies die einzige Erinnerung daran, dass ehemals Fes und Marokko +getrennte Königreiche waren.</p> +<blockquote><a name="F101" id="F101"></a>[Fußnote 101: +Zeltdorf.]</blockquote> +<blockquote><a name="F102" id="F102"></a>[Fußnote 102: +Bergdorf aus Häusern.]</blockquote> +<p>Es würde unmöglich sein, genau die Grenzen der +verschiedenen Provinzen Marokko's angeben zu wollen, da +überhaupt je nach den Launen der Regierung heute eine Provinz +vergrössert, morgen verkleinert oder gar entzwei geschnitten +wird, heute eine Tribe dieser, morgen jener Provinz einverleibt +wird, manchmal mit den Provinzen eine geographische Bezeichnung +für immer verbunden ist, manchmal auch nicht.</p> +<p>Auf der Abdachung des Atlas nach dem Mittelmeer und Ocean, +umfasst von der Gebirgskette, welche zwischen Cap Gehr und Cap el +Deir hinzieht, haben wir im Norden die Andjera und Rif-Provinz, +südlich von Andjera die beiden Rharb-Provinzen, und dann +längs des Oceans von Norden Beni-Hassen, Schauya, Dukala, +Abda, Schiadma und Haha. Südlich vom Rif die Hiaina, und +südlich von der Hiaina die Provinz Fes. Auf den Stufen des +Atlas liegen östlich von Haha die Ahmar und die Erhammena, +dann Maroksch (District der gleichnamigen Stadt), und nördlich +von Maroksch, Temsena und östlich Scheragna. Diese soeben +aufgeführten Districte, die aber keineswegs alle eine +besondere Regierung haben, und deren Grenzen nicht genau bestimmt +sind, dürften die Benennungen für die bezeichneten +Oertlichkeiten sein. In denselben, sind indessen Districte +enthalten, die ebenso gut den Namen Provinz führen +könnten. Die östliche Partie des Garet, welche Provinz +westlich mit dem Rif zusammenhängt, ist in den letzten Jahren +als Beni-Snassen bekannt geworden, ein eigener politisch begrenzter +District, mit eigenem Kaid. Südlich von der Provinz Fes, von +Scheragna, Maroksch und Erhammena sind Atias aufwärts noch die +verschiedensten Districte bis zum Kamme des Gebirges, aber die +Namen derselben zum Theil unbekannt, zum Theil wissen wir nicht mit +derselben Sicherheit anzugeben, wohin sie setzen. Von Fes in +südöstlicher Richtung könnte ich constatiren den +District der Beni Mtir und der Beni Mgill.</p> +<p>Südlich vom Cap Gehr längs des Oceans sind die +Provinzen Sus und Nun (mit Tekna), der Staat des Sidi Hischam +existirt nicht mehr<a href="#F103"><sup>103</sup></a>. Die Provinz Draa +kommt natürlich nur soweit hier in Geltung, als sie bewohnt +ist, das ist bis zum Umbug des Flusses nach Westen. Es folgt sodann +östlich vom Draa Tafilet mit seinen verschiedenen Districten, +und nordöstlich von Tafilet die verschiedenen kleinen Oasen am +südöstlichen Atlasabhange, die bedeutendste davon ist +Figig. Endlich die südöstlichste Provinz von Marokko ist +Tuat.</p> +<blockquote><a name="F103" id="F103"></a>[Fußnote 103: Per +Name "Dschesula" oder, wie Renou auf seiner Karte hat, Gezoula, +existirt nirgends südlich vom Atlas, vielleicht soll er auf +den Karten bloss die Gaetuler der Alten in Erinnerung +bringen.]</blockquote> +<p>Ueber die Einnahmen und Ausgaben des Sultans von Marokko +lässt sich nichts Bestimmtes sagen, da keine Staatsbücher +darüber existiren, die Einkünfte dem Zufall unterworfen +und der Laune der einzelnen Kaids anheimgegeben sind, oft auch +andere Umstände eintreten, die ganz unvorhergesehen sind.</p> +<p>Im Jahre 1778 veranschlagte Höst, auf Koustroup fussend, +die Einnahme auf eine Million Piaster<a href="#F104"><sup>104</sup></a>, +hervorgegangen aus Zoll, Schutzgeldern, Thorsteuern, Judenabgaben, +Monopolen, Miethen, Strassenzöllen und ausländischen +Geschenken, letztere figuriren allein mit 250,000 Piastern. An +Ausgaben giebt er nur 300,000 an, so dass 700,000 Piaster für +den Schatz geblieben wären. Da der zu der Zeit regierende +Sultan im Jahr 1778 zwei und zwanzig Jahre regierte, meint Höst den +Schatz in der Bit el mel auf 13 Millionen Piaster veranschlagen zu +können.</p> +<blockquote><a name="F104" id="F104"></a>[Fußnote 104: Ein +spanischer Piaster ungefähr 1 Thlr. 13 Sgr.]</blockquote> +<p>Im Jahr 1821 giebt Hemsö die Einkünfte auf 2,600,000 +Thaler an, darunter an Geschenken für 225,000 Thaler. Die +Ausgaben berechnet er auf 990,000 Thaler, und wie Höst +schliessend, dass Sultan Soliman seit seiner Thronbesteigung im +Jahre 1793 jährlich eine Ersparniss von 1,600,000 Thaler +gemacht habe, meinte er, müsse in der Bit ei mel nach einer +Regierung von 34 Jahren zum mindestens die Summe von 50 Millionen +Thaler sein.</p> +<p>Neuere Nachrichten liegen über den Staatshaushalt nicht, +vor, denn Jules Duval in der Revue des deux Mondes von 1859 hat +einfach von Hemsö abgeschrieben, die Zahlen für die +neuesten ausgegeben, ohne der Quelle dabei auch nur zu gedenken; +ebenso wenig verdienen Calderons Angaben Glauben.</p> +<p>Auch über Gesammtausfuhr und Einfuhr, über Handel und +Wandel liegen keine statistischen Nachrichten vor. Ueber +verschiedene Häfen besitzen wir in dieser Beziehung gar kein +Material. Agadir mit sehr bedeutender Importation von Naturalien +aus Sudan, der Sahara, Nun, Draa und Sus hat, wie Asamor, keine +Consuln irgend eines Staates. Und Asamor ist eine der bedeutendsten +Städte. Aus einzelnen Häfen jedoch liegen über ein- +und ausgelaufene Schiffe, Tonnengehalt, Aus- und Einfuhrartikel, +Nationalität der Schiffe etc. genaue Angaben vor<a href= +"#F105"><sup>105</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F105" id="F105"></a>[Fußnote 105: Siehe +Richardson Vol II, p. 316.]</blockquote> +<p>Serafin Calderon schätzt den Gesammtwerth des Handels auf +50,000,000 Thaler. England vermittle davon zwei Drittel, das dritte +vertheile sich auf Spanier, Portugiesen, Franzosen, Belgier etc. +Beaumier giebt die Handelsbewegung von Marokko mit einem +jährlichen Mittel von etwa 40 Millionen Franken an, und was +die Wichtigkeit der daran theilnehmenden Häfen anbetrifft, +stellt er Mogador mit 5/8 voran, während L'Araisch, Tanger, +Rbat, Casablanca und Masagan je mit 1/8, und Tetuan und Saffy mit +je 1/16 im gleichen Verhältniss daran Theil nehmen<a href= +"#F106"><sup>106</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F106" id="F106"></a>[Fußnote 106: Siehe +Beaumier, Déscription sommaire de Maroc, p. +31.]</blockquote> +<p>Obschon nun verschiedene Tractate mit den christlichen Nationen +geschlossen sind über Zoll bei Einfuhr und Ausfuhr, so hebt +sie der Sultan manchmal ohne besonderen Grund auf, weshalb sollte +er auch nicht? Braucht er, der unfehlbare Herrscher der +Gläubigen, Sklave seines Wortes zu sein? ist er nicht Herr und +uneingeschränkter Gebieter aller Leute, die im Rharb sich +aufhalten, folglich auch der Christen, so lange wie sie dort +wohnen? Giebt es überhaupt einen Fürsten, der sich mit +ihm messen kann? Freilich regiert der Sultan von Stambul die andere +Hälfte<a href="#F107"><sup>107</sup></a> der Gläubigen, aber das +ist von Gott so geschrieben. Freilich schlugen die Franzosen bei +Isly den jetzt regierenden Sultan aufs Haupt, aber das war auch +Mektub Allah (von Gott geschrieben); freilich nahmen die Spanier +Tetuan, aber auch das war Mektub Allah; einige alte Wahrsager sagen +sogar, die Christen werden einst in Mulei Edris (Fes) +einrücken, und man antwortet in Marokko: "Gott verfluche sie, +aber vielleicht ist es <i>geschrieben</i>."</p> +<blockquote><a name="F107" id="F107"></a>[Fußnote 107: +Anschauungsweise der Marokkaner.]</blockquote> +<h2><a name="K11" id="K11"></a>11. Consulatswesen.</h2> +<p>Kein einziger Staat auf der ganzen Erde hat sich so in seiner +Abgeschlossenheit zu erhalten gewusst wie Marokko. Während die +Türkei schon seit langer Zeit in diplomatischem Verkehr mit +allen europäischen Mächten steht, in allen +europäischen Ländern Gesandte und Consuln unterhält; +während China, wenn es auch noch keine Agenten in Europa hat, +doch fortwährend in diplomatischer Verbindung mit den +christlichen Mächten steht und das Reich der Mitte jetzt den +Europäern geöffnet ist, bleibt der äusserste Westen, +el-Rharb-el-Djoani, geheimnissvoll verschlossen.</p> +<p>Weder die Schlacht von Isly oder des Prinzen von Joinville +Bombardement von Tanger und Mogador, noch die Einnahme von Tetuan +haben vermocht, irgendwie eine Veränderung +herbeizuführen. Mit Ausnahme einer einzigen Macht, Englands, +sind die Beziehungen Marokko's zu allen übrigen Mächten +förmlich und kalt; sie beschränken sich eigentlich auf +Differenzen der Mohammedaner und Christen in den marokkanischen +Hafenstädten.</p> +<p>Es haben indess früher wohl bessere Zeiten existirt, wir +wissen, dass nach den heftigsten Feindseligkeiten der Christen mit +den Mohammedanern Spaniens und Marokko's Pausen eintraten, in +welchen beide vereint den Wissenschaften oblagen. Die erste +Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien, endlich die letzte im +Jahre 1609, legte Grund zu jenem unauslöschlichen Hasse, den +die Norwestafrikaner [Nordwestafrikaner] von nun an gegen alles +Christliche kund geben. Dazu kamen auf den Thron von Marokko neue +Dynastien, die erste der Filali oder Schürfa, dann zu Anfang +des 17. Jahrhunderts die zweite Dynastie der Schürfa.</p> +<p>Marokko wetteiferte um diese Zeit mit den übrigen +Raubstaaten im Capern christlicher Schiffe, keine Macht war sicher, +und hatte je ein europäisches Schiff das Unglück an der +gefährlichen Küste, die sich von der Strasse Gibraltars +bis zur Sahara hinerstreckt, zu stranden, so waren das Schiff und +was es enthielt unbedingt Beute der umwohnenden Völker, die +Bemannung aber wurde gemordet, verstümmelt, geschändet, +im besten Fall aber ins Innere geschleppt, um dort als Sklaven +mittelst härtester Arbeit das Leben zu fristen.</p> +<p>Und haben diese Verhältnisse vielleicht Besserung erfahren? +Keineswegs! Allerdings hat schon Sultan Soliman, oder Sliman, wie +ihn die Marokkaner nennen, die Aufhebung der christlichen Sklaven +decretirt, und erleidet jetzt ein Schiff irgendwo an der +marokkanischen Küste Schiffbruch, so wird die Mannschaft nicht +mehr verkauft, sondern gemeiniglich nach langen Leiden +ausgeliefert. Werden unter der Zeit einige davon gemordet, werden, +falls Frauenzimmer dabei sind, diese nicht respectirt, so hat das +noch nie Folgen gehabt. Eigenthum wird aber auch heutigen Tages +noch nie geachtet; der Schiffsladung beraubt, des persönlichen +Eigenthums bestohlen, so werden die armen Verunglückten dem +betreffenden Consul überhändigt. Sicher verlangt der mit +der Uebergabe Betraute vom christlichen Consul noch ein bedeutendes +Geschenk, möglicherweise wird auch noch eine Rechnung für +Verpflegung eingereicht. Und die Consuln zahlen und danken.</p> +<p>Im selben Jahr 1852, als der englische Admiral Napier +marokkanische Unbilden, gegen englische Unterthanen begangen, +rächen wollte, aber nur unnützerweise seine Flotte +angesichts der marokkanischen Küste spazieren führte, im +selben Jahre wurde die preussische Brigg Flora an der Rifküste +geplündert. Vier Jahre später wurde Prinz Adalbert von +Preussen, der jetzige Admiral des Deutschen Reiches, an der +nämlichen Küste beim Wassereinnehmen verrätherisch +angegriffen und verwundet. Marokko hat nie Satisfaction dafür +gegeben, gegen Preussen liess es sich durch den schwedischen +General-Consul damit entschuldigen (wie mir später der +marokkanische Grosswessier Si Thaib Bu Aschrin selbst +bestätigte): der Sultan habe keine Gewalt über die +Rif-Bewohner, und lehne daher jede Verantwortung für +dergleichen Acte ab, und mit England wurden die guten Beziehungen +dadurch wieder hergestellt, dass das stolze Königreich dem +Sultan Geschenke machte.</p> +<p>Um die Politik Englands zu verstehen, müssen wir bis zum +Jahr 1684 zurückgehen, zu welcher Zeit England die Stadt +Tanger, welche Karl II. von seiner portugiesischen Gemahlin +Katharina zwanzig Jahre früher bekommen hatte, freiwillig +aufgab. Dieser unkluge Streich, einen Stützungspunkt am +Eingange des Mittelmeers freiwillig zu verlassen, wurde für +die englische Regierung dadurch neutralisirt, dass schon 20 Jahre +später der kaiserliche Feldmarschall Prinz Georg von +Hessen-Darmstadt Gibraltar für England eroberte, und +Grossbritannien ist seitdem im stetigen Besitze dieser Veste +geblieben.</p> +<p>War es nun in früheren Zeiten England hauptsächlich +darum zu thun, mittelst Gibraltars die dortige Meerenge beherrschen +zu können, dort am Eingange des Mittelmeeres einen sichern +Punkt für eine Kriegsflotte zu besitzen, so hat die +Dampfschifffahrt hierin eine vollständige Veränderung +hervorgerufen. Seitdem ein Dampfschiff in einer Stunde 15, ja +ausnahmsweise 20 Knoten zurücklegen kann, beherrscht der Fels +von Gibraltar die Meerenge nicht mehr. Ueberdies lässt sich +mit den weittragendsten Kanonen die ganze Passage bis zum +afrikanischen Ufer nicht bestreichen. Für England aber wird +Gibraltar immer Wichtigkeit behalten wegen der Nähe von +Marokko und als Sammelplatz für eine Flotte. Aber weit +wichtiger in dieser Beziehung würde für England der +Besitz von Ceuta sein. Was die Lage dieses Ortes anbetrifft, so ist +sie ebenso günstig wie die von Gibraltar, in Beziehung zu +Marokko aber bedeutend günstiger. Und insofern ist es wohl zu +verstehen, dass in jüngster Zeit immer wieder das Gerücht +auftauchte, England beabsichtige Gibraltar gegen Ceuta +auszutauschen.</p> +<p>Das Interesse nun, welches England an Marokko bindet, liegt zum +Theil darin, weil der englische Handel, die englischen Producte +fast ausschliesslich den marokkanischen Markt beherrschen, dann in +Eifersucht gegen fremde Mächte, vorzugsweise Spanien und +Frankreich. Und diese Eifersucht entspringt hauptsächlich +wieder daraus, dass England fürchtet von eben diesen +Mächten vom marokkanischen Markte verdrängt zu werden. +Wir wollen nicht zurückgreifen, und daran erinnern, wie +England der Staat war, der die Eingeborenen Algeriens und +namentlich Abd-el-Kader thatsächlich gegen Frankreich +unterstützte, wir wollen bei den letzten Ereignissen stehen +bleiben.</p> +<p>Als am 25. März 1860 Mulei Abbes und O'Donnell Frieden +schlossen, hatte bald darauf der spanische General Kos de Olano, +von seinen Soldaten Abschied nehmend, vollkommen Recht zu sagen: +"Wir haben einen für uns neuen, ja einzigen Krieg in seiner +Art beendigt, in welchem, nach meinem Urtheile, wir bei jeder +Action siegreich gewesen sind, aber dennoch die Campagne verloren +haben."</p> +<p>Olano hatte vollkommen Recht so zu sagen, denn gewonnen haben +die Spanier in diesem Feldzuge nichts. Das Versprechen Agadir +abzutreten ist nicht gehalten worden, im Gegentheil, im Jahr 1862 +konnte ich mich überzeugen, dass der Sultan Sidi Mohammed aufs +eifrigste damit beschäftigt war, diesen Ort, der früher +nur mangelhaft befestigt war, durch neue und gut ausgeführte +Befestigungen zu schützen. Eine Mission in Fes und Mikenes +einzurichten, daran haben die Spanier bis jetzt nicht denken +können, trotzdem, dass auch dies beim Friedensschluss +verabredet war. Tetuan musste wieder herausgegeben werden, und die +Kriegskosten sind noch lange nicht bezahlt, und werden es auch, +wenn es so fort geht, nach eigener spanischer Berechnung in hundert +Jahren noch nicht sein.</p> +<p>Und wer brachte diesen für Spanien so ungünstigen +Frieden zuwege? Wer verhinderte die Spanier von Tetuan nach Tanger +zu marschiren, wer verhinderte das Bombardement von Tanger, Mogador +und anderen marokkanischen Hafenplätzen? Nur England! Sidi el +Hadj Abd es Ssalam, Grossscherif von Uesan, erzählte mir sogar +ein Jahr später, dass englische Soldaten als Marokkaner +verkleidet, an den Batterien in Tanger gestanden haben, um die +Kanonen zu bedienen, falls die Spanier dennoch einen Angriff wagen +würden. Natürlich kann ich nicht einstehen für die +Wahrheit dieser Aussage, sie bekundet aber, wie innigen Antheil +England derzeit an Marokko nimmt.</p> +<p>Die ersten regelmässigen Beziehungen Spaniens mit Marokko +fanden im Jahr 1767 und 1798 statt. Wie die übrigen +christlichen Nationen verstand auch Spanien sich zu einem +jährlichen Tribut, der sich indess nur auf etwa 1000 Thlr. +belief. Freilich mussten bei einem jeden Consulatswechsel 12,000 +Thlr. extra bezahlt werden. Spanien betonte übrigens in dem +1798 abgeschlossenen Vertrage, die Geschenke nur deshalb leisten zu +wollen, damit die in Mikenes, Marokko, L'Araisch und Tanger +bestehenden Klöster ohne Hinderniss ihre Religion ausüben +könnten. Die Klöster im Innern waren hauptsächlich +errichtet, christliche Sklaven freizukaufen und ihnen in Krankheit +Beistand zu leisten, namentlich auch sie in der christlichen +Religion zu stärken und zu erhalten. Höst in seinem 1781 +erschienenen Werke erwähnt noch dieser Klöster. Aber da +der religiöse Fanatismus in Marokko bis jetzt immer noch +wachsend gewesen ist, sah sich Spanien genöthigt, schon Ende +des vorigen Jahrhunderts die Klöster von Mikenes und Marokko +aufzuheben; das von L'Araisch wurde 1822 geschlossen.</p> +<p>Augenblicklich lebt der spanische Generalconsul in Tanger mit +der Regierung von Marokko auf gutem Fusse, spanische Agenten +theilen mit denen des Sultans sämmtliche Hafeneinkünfte +aller Häfen, damit Spanien so zu seiner +Kriegskostenentschädigung komme.</p> +<p>Der einzige Staat, der es verschmäht hat, je Verbindung mit +Marokko anzuknüpfen oder gar Tribut zu zahlen, ist Russland, +und eigenthümlich, Russland ist in Marokko am meisten +gefürchtet, den Namen "Muscu" spricht jeder Marokkaner mit +einer gemessenen ehrfurchtsvollen Scheu aus.</p> +<p>Frankreich behauptet<a href="#F108"><sup>108</sup></a>, schon 1577 +Consuln in Fes gehabt zu haben, ob dem so ist, wollen wir dahin +gestellt sein lassen. Die ersten diplomatischen Beziehungen waren +der Vertrag vom 3. Sept. 1630, vom 17. und 24. Sept. 1631, vom 16. +Jan. 1635 und vom 29. Jan. 1682<a href="#F109"><sup>109</sup></a>, endlich +1693 zur Zeit Louis XIV. Letzterer trat erst 1767 in Kraft. +Frankreich bezahlte keine bestimmte jährliche Summe, aber die +jährlichen Geschenke giebt Hemsö auf mehr als 100,000 +Thlr. an.</p> +<blockquote><a name="F108" id="F108"></a>[Fußnote 108: Jules +Duval, Rev. des deux mondes 1859.]</blockquote> +<blockquote><a name="F109" id="F109"></a>[Fußnote 109: Du +Mont, Corps diplomatique t. V. VI. u. VII.]</blockquote> +<p>Von dem ersten Tage der Eroberung Algeriens an hat Frankreich +beständig mit Marokko auf dem qui vive gestanden. Die Schlacht +von Isly, durch den jetzt regierenden Sultan Sidi Mohammed +verloren, das Bombardement von Mogador und Tanger haben keineswegs +dazu beigetragen, die Franzosen beliebt zu machen. 1844 als Friede +und ein neuer Vertrag geschlossen wurde, konnte Abd-er- Rhaman sich +nicht dazu verstehen, den französischen Gesandten in Fes zu +empfangen, er ging eigens zu dem Ende nach Rbat.</p> +<p>Seit der Zeit hat Frankreich keine ernste Streitigkeiten mit +Marokko gehabt, die Expedition gegen die Beni-Snassen war lokal und +geschah mit Genehmigung des Sultans, andere Differenzen, z.B. +manchmal Auslieferungen algerinischer Verbrecher und Revolteure, +wurden immer dadurch beigelegt, dass Marokko wo es nur konnte aufs +schnellste Frankreichs Wünsche erfüllte. Denn England +wird in Marokko geliebt, Spanien gehasst, aber Frankreich +gefürchtet. Das ist die eigene Aussage des marokkanischen +ersten Ministers.</p> +<p>Obgleich England nicht zu den Mächten gehört, welche +die ältesten Tractate mit Marokko geschlossen haben, so sehen +wir doch schon, dass zur Zeit der Regierung der Königin +Elisabeth englischer Handel sich an der marokkanischen Küste +entwickelte. Am 2. Januar 1718 wurde der erste<a href= +"#F110"><sup>110</sup></a> und unter Georg II. und Sultan Mulei Hammed el +Dahabi im Juni 1729 ein zweiter Vertrag geschlossen. Von den +Sultanen Sidi Mohammed 1760, von Mulei Yasid 1790, und von Mulei +Sliman 1809 wurde dieser Vertrag bestätigt<a href= +"#F111"><sup>111</sup></a>. Denn die Sultane von Marokko anerkennen die Acte +ihrer Vorgänger nur, wenn sie dieselben ausdrücklich +bestätigt und erneuert haben, namentlich solche mit den +christlichen Mächten. Ein Hauptgrund zu einem solchen +Verfahren ist, dass bei einer Vertragserneuerung die betreffenden +Staaten bedeutende Geschenke an den Sultan und seine Regierung zu +machen haben. In einer 1815 vom englischen Parlament +veröffentlichten Liste ersehen wir, dass Marokko mit einer +jährlichen Liste von 16,177 Pfd. St. von 1797 bis 1814 +figurirt als Kriegsunterstützung<a href="#F112"><sup>112</sup></a>. +Ausserdem hat die grossbritannische Legation in Marokko über +jährliche 10,000 Piaster zu Geschenken zu verfügen, und +versorgt zum Theil Marokko gratis mit Munition<a href= +"#F113"><sup>113</sup></a> und Waffen wegen der Erlaubniss, nach Gibraltar +Vieh und Getreide so viel es braucht ausführen zu +können.</p> +<blockquote><a name="F110" id="F110"></a>[Fußnote 110: Du +Mont, Corps diplom. T. VIII.]</blockquote> +<blockquote><a name="F111" id="F111"></a>[Fußnote 111: +Gråberg di Hemsö, p. 232.]</blockquote> +<blockquote><a name="F112" id="F112"></a>[Fußnote 112: Revue +des deux mondes 1844. Maroc, ses moeurs et +ressources.]</blockquote> +<blockquote><a name="F113" id="F113"></a>[Fußnote 113: S. +Calderon.]</blockquote> +<p>Die grössten Erfolge verdankt England jedoch seinem +jetzigen Repräsentanten in Marokko, Sir Drummond Hay. Um +Männer zu haben, die genau mit den Sitten und mit der Sprache +des Volkes bekannt sind, hat England zu seinen Vertretern in +Marokko nur solche Leute genommen, die dort im Lande geboren sind. +So auch Sir Drummond, der wie kein anderer das Land kennt, und mit +Hoch und Niedrig umzugehen weiss. Am 9. December 1859 schloss Sir +Drummond mit Abd-er-Rhaman einen neuen Handelsvertrag, und traf +Bestimmungen, von denen alle christlichen Mächte profitiren +sollten. Indess beanspruchte im Vertrage von 1861, der, was das +Commercielle anbetrifft, revidirt wurde, England für sich eine +Ausnahmestellung.</p> +<p>So heisst es z.B., Englands Consuln dürfen residiren, in +welchem Hafen oder in welcher Stadt<a href="#F114"><sup>114</sup></a> es +Grossbritannien für gut findet, während für die +Consuln der übrigen Mächte nur die Hafen erwähnt +sind. Andererseits ist anzuerkennen, dass England in diesem +Vertrage zum erstenmal für alle europäischen Agenten das +Recht erlangte, die Fahne da aufzuhissen, wo man es wollte, und +nicht bloss wie früher im "unreinen Ghetto" der Juden. Und vor +allen Dingen ist hervorzuheben, dass England den Protestanten volle +Freiheit bei Ausübung ihres Cultus zusicherte. Im Jahre 1862 +war Sir Drummond selbst in Mikenes während eben der Zeit wie +ich dort war, und ich konnte mich selbst überzeugen, wie +allmächtig sein Einfluss, mithin der Englands in Marokko ist, +und irre ich nicht, so hat Drummond Hay im Jahre 1867 sogar in Fes +den Sultan besucht. Derjenige, der weiss, wie sehr schwierig es +ist, mit den marokkanischen Monarchen in Person zu verkehren, +namentlich in einer der Hauptstädte des Landes selbst, wird +ermessen können, welch grosses Zutrauen der derzeitige Sultan +zum jetzigen grossbritannischen Consul hat.</p> +<blockquote><a name="F114" id="F114"></a>[Fußnote 114: Um +Marokko nicht zu verletzen, würde übrigens England wohl +nie darauf bestehen, im Innern des Landes Consuln zu +halten.]</blockquote> +<p>Aber die englische Regierung, die weiss, dass solchen +Völkern hauptsächlich durch Glanz, Reichthum und Macht +imponirt wird, hat in Tanger ein Consulatsgebäude herstellen +lassen, das seiner Zeit mehr als 70,000 Thaler kostete, der +Generalconsul und Ministerresident bezieht einen Gehalt von +mindestens 50,000 Francs; ausserdem stehen dem englischen Minister +zur Seite ein bezahlter Viceconsul, ein Arzt, Prediger, +verschiedene Dolmetsche, Cavassen und Diener, alle gleichfalls hoch +besoldet. In Mogador, Asfi, Darbeida, Dar-Djedida, Rbat, L'Araisch, +Arsila und Tetuan unterhält England ebenfalls bezahlte +Consulate, Viceconsulate und Agenturen.</p> +<p>Im Anfang der 60er Jahre vertrat England ausserdem das +Königreich Dänemark, Oesterreich und die deutschen +Hansestädte.</p> +<p>Die Hanseatischen Städte zahlten auch Tribut. 1750 musste +Hamburg 50 Lafetten liefern, ausserdem 300 Centner Pulver +etc.<a href="#F115"><sup>115</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F115" id="F115"></a>[Fußnote 115: Pacy, +La piraterie musulmane, Revue africaine. 1858.]</blockquote> +<p>Am 18. Juni 1753 (Höst, p. 284) schloss Dänemark einen +Tractat mit Marokko; da die meisten älteren Tractate +ähnlicher Art sind, heben wir daraus hervor: § 6 und 10. +Jeder Däne kann im Lande reisen und hat Sicherheit (?). Keine +andere Nation ist der dänischen bevorzugt. § 9. Kein +dänisches schiffbrüchiges Schiff darf beraubt, oder die +Mannschaft davon misshandelt werden (?). Kein Maure darf den +Dänen zwingen, seine Waare unter dem Werthe zu verkaufen. Kein +Matrose darf mit Gewalt von einem dänischen Schiffe genommen +werden. § 12. Wenn ein dänisches Schiff einige von seinen +in einem marokkanischen Hafen bereits verzollten Waaren nach einem +anderen Hafen in Marokko bringen möchte, so soll kein Zoll +aufs neue von den an Bord befindlichen Waaren erlegt werden, die +anderwärts hin bestimmt sind. Von Munition und +Schiffsbaumaterialien wird kein Zoll bezahlt.—Dänemark +bezahlte dafür (Hemsö p. 235) jährlich 25,000 +Thaler, und auserdem [ausserdem] für die Erlaubniss, eine +Handelscompagnie an der Küste von Sla bis Asfi anzulegen, ein +Annuum von 50,000 Thlrn.</p> +<p>Im Jahre 1844 hat Dänemark erst aufgehört Tribut an +Marokko zu zahlen, während Schweden, welches im Jahr 1763 den +ersten Vertrag mit Marokko unterzeichnete, hierfür dem Sultan +einen jährlichen Tribut von 20,000 Thalern gab. Vorher +bestanden die Geschenke Schwedens in Naturalien: Holz, Tauwerk, +Munition etc. 1771 unter Gustav III. wurde ein neuer Vertrag +vereinbart, wonach Schweden jährlich zweimal einen Gesandten +mit Geschenken zu schicken hatte, aber 1803 derselbe alte Vertrag +wieder erneuert, wonach Schweden 20,000 Thaler leistete, und noch +die Demüthigung erfuhr, dass dieses Geschenk +<i>öffentlich</i> durch den Consul überreicht werden +musste. Unter Bernadotte wurde der Tribut dann gänzlich +aufgehoben; der schwedische Generalconsul hatte die Annuität +von 20,000 Thalern eines Jahres zum Bau eines +Consulatsgebäudes<a href="#F116"><sup>116</sup></a> benutzt, und +später die Zahlung nicht weiter geleistet. Zur Zeit, als ich +in Marokko anwesend war, vertrat Schweden und Norwegen zugleich +Preussen.</p> +<blockquote><a name="F116" id="F116"></a>[Fußnote 116: Siehe +von Maltzan: "Drei Jahre im Nordwesten von Afrika."]</blockquote> +<p>Oesterreich, das sich jetzt auch durch England vertreten +lässt, schloss, nachdem der Kaiser Rudolph II. im Anfange des +17. Jahrhunderts einen Gesandten an Sultan Abu Fers geschickt +hatte, einen Vertrag mittelst des Engländers Shirley; im Jahre +1783 am 17. April, also ungefähr 150 Jahre später +(Schweighover, Staatsverfassung von Marokko und Fes), erneuerte es +den Vertrag. Zu der Zeit hatte Sidi Mohammed einen Gesandten an +Joseph II. geschickt, Namens Mohammed Abd-el-Malek, der mit dem +Rath von Jenisch den Vertrag erneuerte und besiegelte. Im Jahre +1815 verpflichtete sich Kaiser Franz gegen Marokko für Venedig +einen jährlichen Tribut von 10,000 Sequinen zu zahlen, wozu +sich 1765 die Republik verpflichtet hatte. Im selben Jahre jedoch +brach Oesterreich jede Verbindung mit Marokko ab, und hörte, +wohl von allen europäischen Staaten der erste, auf, Tribut zu +zahlen. Oesterreich verwies seine Unterthanen an Spanien. Die +vielen Vexationen, die Sultan Abd-er-Rhaman aber gegen +Oesterreicher ausübte, zwangen diesen Staat zu einer +militärischen Demonstration. 1829 bombardirte der +österreichische Admiral Bandierra einige +Küstenstädte, aber ohne grossen Erfolg. Unter +Dänemarks Vermittelung kam am 12. Februar 1830 ein Vertrag mit +Marokko zu Stande, von dem nur bekannnt [bekannt] ist, dass +Oesterreich sich nicht zu Geschenken oder Tribut verpflichtete. Die +Vertretung blieb Dänemark und später England +überlassen.</p> +<p>Mit dem Sultan Sliman hatte im Jahr 1817 Preussen versucht +ebenfalls einen Vertrag abzuschliessen, der aber nicht zu Stande +kam, und seit der Zeit blieb, wie angeführt, die Vertretung +dieses Landes Schweden überlassen. Im Anfange dieses +Jahrhunderts hatte denn auch Hamburg versucht, einen Vertrag zu +Stande zu bringen, da ein Hamburger Artikel früher wie auch +jetzt (wenigstens dem Namen nach), nämlich weisser Kattun, +"Amburgese" genannt, sehr gesucht war; auch dieser kam nicht zu +Stande; Hamburg liess sich dann später durch Portugal +vertreten, und zuletzt mit den übrigen Hansestädten durch +England.</p> +<p>1825 schloss Sardinien mit Marokko einen Vertrag und +verpflichtete sich, bei jedesmaliger Erneuerung des Consulats +25,000 Frcs. in Geschenken zu erlegen.</p> +<p>Die durch die kleinen italienischen Staaten abgeschlossenen +Verträge, von Sardinien (und vordem von Genua), von Toscana, +vom Königreich beider Sicilien, wurden 1859 durch einen neu +zwischen Gesammt-Italien und Marokko vereinbarten Tractat +aufgehoben. Mau hat im letzten Jahre von Differenzen gehört, +die zwischen Marokko und Italien ausgebrochen waren. Italien hat +ebenfalls ein Generalconsulat in Tanger, und in den meisten +Hafenplätzen Agenturen.</p> +<p>Die Niederlande, die am frühesten mit Marokko in Rapport +waren, der erste Vertrag wurde am 5. Mai 1684, dann später +einer 1692 am 18. Juli (von Du Mont, t. VII.) geschlossen, zahlten +jährlich dem Sultan 15,000 Thaler. Schon 1604 hatte Sultan Abu +Fers einen Gesandten nach Holland geschickt, der dort starb. Im +Jahr 1815 schickte Wilhelm, König der Niederlande, eigens +einen General nach Marokko, um dem Sultan zu notificiren, er sei +nicht mehr tributär. Die Holländer, heute durch England +vertreten, besitzen eines der schönsten Consulatsgebäude +in Tanger.</p> +<p>Portugal unterhält wie England, Frankreich und Spanien +einen Generalconsul und Ministerresidenten. Seitdem 1769 der Sultan +Mohammed Masagan den Portugiesen genommen hat, sind die Beziehungen +gut gewesen. Und Portugal ist der einzige Staat, von dem man sagen +kann, Marokko behandle ihn auf gleichem Fuss, denn die +jährlichen Geschenke, welche der Sultan von Marokko an den +König von Portugal schickt, sind allerdings nicht so +werthvoll, wie die, welche er empfängt, deuten aber doch die +Achtung vor der portugiesischen Macht an.</p> +<p>Selbst die Vereinigten Staaten von Nordamerika konnten dem +Tribute nicht entgehen, den fast alle christlichen Staaten die +Feigheit begingen, Marokko jährlich zu entrichten. 1795 wurde +mit Mulei Sliman ein Vertrag auf 50 Jahre geschlossen, also bis +1845; in diesem verpflichteten sich die Amerikaner zwar nicht zu +einer bestimmten jährlichen Summe, indess die Zwangsgeschenke +betrugen alle Jahre ungefähr 15,000 Thaler. 1845 wurde eine +neue, diesmal für Amerika günstigere Uebereinkunft +getroffen. Amerika hat in Tanger ein Generalconsulat.</p> +<p>Brasilien und einige kleinere amerikanische Staaten haben +ebenfalls in Tanger und den übrigen marokkanischen Hafenorten +Vertretung.</p> +<p>Heute ist die Stellung der europäischen Consuln in Marokko +eine ganz verschiedene, aber dennoch ist die Macht derselben weit +entfernt von der, welche die christlichen Consuln in der +Türkei haben. Für das Innere gelten auch heute alle +Verträge und Bestimmungen nicht, sobald sie Europäer +betreffen; das Ansehen eines europäischen Consuls ist im +Innern gleich Null. Tribut zahlt heute kein einziges Consulat mehr, +aber die mehr als königlichen Geschenke, die vor und nach +namentlich England und Spanien an Marokko geleistet haben, habe ich +selbst bewundern können; und so erfordert es ausserordentliche +Klugheit und Gewandtheit für einen Consul mit den Marokkanern +zu verkehren. Wenn Fälle wie ehedem auch wohl nicht mehr +vorkommen, wo europäische Consuln willkürlich auf ein +Schiff gepackt und fortgeschickt wurden<a href="#F117"><sup>117</sup></a>, +falls sie den Marokkanern nicht gefallen, so verweigerte doch 1842 +der Sultan dem französischen Consul Pelissier in Mogador das +Exequatur, bloss weil es Sr. marrokkanischen Majestät so +gefiel. Leon Roche musste von Tanger abberufen werden, weil er zu +genau die marokkanischen Interessen und Zustände kannte, und +England und Marokko dies nicht dulden wollten. Nach 1844 ist zwar +Frankreich ganz anders aufgetreten.</p> +<blockquote><a name="F117" id="F117"></a>[Fußnote 117: Die +marokkanische Regierung kann dies heute schon deshalb nicht mehr, +weil sie kein einziges Schiff zur Disposition hat.]</blockquote> +<p>Was Marokko selbst anbetrifft, so hat es nie daran gedacht sich +im Auslande vertreten zu lassen, oder aus eigenem Antriebe +diplomatische und commercielle Verbindungen mit fremden +Mächten anzuknüpfen. Die verschiedenen Gesandtschaften, +welche die Regenten Marokko's nach Europa schickten, hatten alle +nur den Zweck Geschenke flüssig zu machen und Gelder zu +erpressen. Eine möchten wir ausnehmen: die von Mulei Abbes, +Bruder des jetzigen Sultans, nach Spanien im Jahre 1860/61. Sie +hatte natürlich nicht im Auge Gelder oder Geschenke zu +bekommen, es handelte sich darum eine Ermässigung der +Entschädigungsgelder für Marokko zu erlangen, und auch +diese wurde nicht aus freiem Antriebe entsandt. Spanien hatte +ausdrücklich erklärt über diesen Gegenstand nur mit +dem Bruder des Sultans im eigenen Lande verhandeln zu wollen. Und +Marokko erlitt die Demüthigung, dass, nachdem man Mulei Abbes +durch Spanien spazieren geführt hatte, kein Deut von den +Kosten erlassen wurde.</p> +<p>An Consuln besitzt Marokko nur einen<a href="#F118"><sup>118</sup></a>. +Es ist dies der Hadj Said Guesno, der in Gibraltar gewissermassen +das ganze Consulatswesen seines Monarchen gegenüber den +Christen repräsentirt. Was für eine Art dieser Consul +ist, davon kann sich der Leser am besten einen Begriff machen aus +dem Briefe eines Freundes in Gibraltar, datirt vom 18. Mai 1871: +"Mein marokkanischer College, ein Ex-Slave, jetzt +Pantoffelnfabrikant und schwarz wie ein Teufel, würde sehr +staunen, wenn ich fragen würde, ob er mir einige +Aufklärungen geben könnte über diesen oder jenen +Stamm, ob er arabischen oder berberischen Ursprungs sei—er +würde mich gar nicht verstehen, erstens weil er über +solche Dinge wohl nie nachgedacht hat, und zweitens weil sich sein +ganzes Sinnen und Trachten auf seine gelben Pantoffeln +concentrirt<a href="#F119"><sup>119</sup></a>."</p> +<blockquote><a name="F118" id="F118"></a>[Fußnote 118: Der +ehemals in Genua residirende marokkanische Consul existirt dort +seit Jahren nicht mehr.]</blockquote> +<blockquote><a name="F119" id="F119"></a>[Fußnote 119: Ich +hatte diesen Freund gebeten, mir vom marokkanischen Consul einige +Noten über marokkanische Stämme zu +erbitten.]</blockquote> +<p>Dies ist der einzige würdige Repräsentant seiner +unfehlbaren marokkanischen Majestät im Auslande.</p> +<p>Es tritt nun noch die Frage auf, wäre es +wünschenswerth für das <i>deutsche Reich</i> eine +Vertretung in Marokko zu haben? Wir müssen dies auf alle +Fälle bejahen. Unsere politischen Interessen sind in Marokko +so ziemlich identisch mit denen Englands, das ausserdem seine +wichtigen commerciellen Angelegenheiten zu wahren hat. Wir stimmen +insofern mit den Ansichten Englands vollkommen überein, dass +Frankreich seine Herrschaft nicht auf Marokko ausdehne. Allein +schon die Nähe der französischen Colonie macht es +für uns nothwendig in Marokko Vertreter zu haben.</p> +<p>Da natürlich eine Consulatseinsetzung in Marokko nicht so +ohne weiteres vor sich gehen kann, so müssten vor allen Dingen +erst Unterhandlungen angeknüpft werden, entweder vermittelst +eines schon in Marokko bestehenden und anerkannten Consulats oder +direct mit der Regierung des Sultans. Wählt man das erstere, +so würde jedenfalls das grossbritannische Generalconsulat am +geeignetsten sein, es ist die Persönlichkeit Sir Drummond +Hay's, des englischen Ministers, die in Marokko beliebteste und +geachtetste. Wählt man den Weg einer directen +Verständigung, so würde jedenfalls das Beste sein den +Zeitpunkt abzuwarten, wo der Sultan, der ganze Hof und die +Regierung sich in Rbat befinden, dort den Abgesandten des deutschen +Reiches durch einige Kriegsschiffe hinbegleiten zu lassen, damit +dadurch zugleich Marokko eine <i>sichtbare</i> Vorstellung von der +Macht unseres Landes bekäme. Natürlich müsste mit +der Anknüpfung diplomatischer Beziehungen ein Geschenk +verbunden sein, aber einige 1000 Chassepots, dem Sultan gegeben, +würde ein ebenso angenehmes Geschenk für ihn wie ein +für uns erpriessliches [erspriessliches] sein.</p> +<h2><a name="K12" id="K12"></a>12. Aufenthalt beim +Großscherif von Uesan.</h2> +<p>Ein volles Jahr verlebte ich nun in Uesan unter, im Ganzen +genommen, angenehmen Verhältnissen. Und die Zeit verbrachte +ich hauptsächlich damit, recht viel unter die Leute zu gehen, +um mich mit ihren Eigenthümlichkeiten vertraut zu machen. +Dabei fehlte es keineswegs an Unterhaltung, Gatell hatte mir einen +Theil seiner Bücher geliehen, so dass, wenn ich allein war, +ich durch Lectüre meinen Geist auffrischen konnte.</p> +<p>Ueberdies wurde der Aufenthalt in Uesan durch verschiedene +kleinere Touren unterbrochen, die ich theils allein, theils in +Gesellschaft des Grossscherifs machte. So unternahm ich von hier +einen Abstecher nach L'xor, um einige Medicamente zu kaufen, die in +Uesan, wo man nur mit Amuletten heilt, nicht zu haben waren. +Merkwürdigerweise schien, was seine Person und seine Familie +anbetraf, Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam nicht sehr an die Wunderkraft +seiner Unfehlbarkeit zu glauben, da ich mehrere Male sowohl ihm +selbst als auch seinen beiden kleinen Söhnen Medicin +verabfolgen musste. Der Grossscherif hatte so viel Zutrauen zu mir, +dass er nicht das vorherige Kosten der Medicamente verlangte.</p> +<p>Es fiel in später Herbstzeit ein Besuch, den der +Grossscherif dem Sultan in Arbat machte, wohin er von Mikenes +übergesiedelt war, und auf welcher Reise ich ihn begleitete. +Und gerade auf Reisen wird das Ansehen und der Einfluss des +Grossscherifs am anschaulichsten. Man hat keine Idee davon, wie +weit in Marokko der Menschencultus getrieben wird. Sidi-el-Hady +Abd-es-Ssalam reist entweder zu Pferde oder in einer Tragbahre, die +fast wie eine verschlossene vergitterte Kiste aussieht, und die so +niedrig ist, dass man nur darin liegen kann. Zwei Maulthiere, von +denen eines vorne, das andere hinten geht, tragen die Bahre. Es +würde vergeblich sein, die Zahl der sich herandrängenden +Leute schätzen zu wollen, das ganze Land scheint +herbeizuströmen, aus weitester Ferne kommen ganze Stämme +an den Weg, den der Grossscherif durchzieht. Man sucht ihn selbst +zu berühren, oder die Tragbahre, das Pferd oder irgend einen +anderen dem Grossscherif gehörenden Gegenstand. Man glaubt aus +einer solchen Berührung den göttlichen Segen ziehen zu +können. Oft genügen die bewaffneten Diener nicht, mit der +flachen Klinge den andringenden Haufen fern zu halten, und es +müssen dann förmliche Angriffe gemacht werden, die Leute +auseinander zu treiben.</p> +<p>Die Gouverneure der Provinzen, die durchzogen werden, nahen sich +immer schon von weitem ehrerbietig, und natürlich nie mit +leeren Händen, sie betrachten es als eine besondere Gunst, +wenn Sidi bei ihnen absteigt, um ein Mahl einzunehmen, oder wenn er +gar in der Nähe ihrer Residenz seine Zelte +aufschlägt.</p> +<p>Der Grossscherif reist immer nur in kleinen Etappen, und mit +einem zahlreichen Gefolge, welches nie aus geringerer Zahl als +hundert Personen zusammengesetzt ist. Alle einflussreichen +Schürfa, die nächsten Verwandten, seine Tholba +(Schriftgelehrten) müssen mit. Alle haben, ausser dass jeder +beritten ist, Maulthiere für ihr Gepäck und ihre Zelte, +welche vom Grossscherif gestellt werden. Dieser Lagertrain +marschirt immer voraus, so dass man, wenn man ankommt, das Lager +schon aufgeschlagen findet. Der Grossscherif selbst hat für +seine Person drei grosse Zelte, eins, in dem er die Nacht zubringt, +eins zum Empfang bestimmt, und eins, worin er nur seine +nächsten Freunde empfängt.</p> +<p>Sobald er installirt ist, d.h. auf den weichen Teppichen, welche +die Beni- Snassen<a href="#F120"><sup>120</sup></a> verfertigen, und von +denen ein einziger 4 Centner (eine Kameelladung) wiegt, Platz +genommen hat, kommen aus Nah und Fern die Bittenden. Hier bringt +einer ein Schaf, und verlangt, dass seiner Frau ein Sohn geboren +werden soll, dort bringt einer Korn, und fleht um Segen für +seinen Acker, da fragt einer ob er sein Pferd verkaufen soll, ob er +Glück dabei habe, das und das Haus zu kaufen; hier will ein +Blinder sehend gemacht werden. Der Grossscherif hilft Allen, und je +mehr die Bittsteller Geld und Gaben bringen, desto wirksamer ist +der Segen.</p> +<blockquote><a name="F120" id="F120"></a>[Fußnote 120: +Berbervolk an der Oranischen Grenze.]</blockquote> +<p>Manchmal kommen die komischesten Scenen dabei vor. So einstmals +als ich mit dem Grossscherif im festverschlossenen Zelte sass, die +Diener und Sklaven aber strengen Befehl hatten, Niemand ans Zelt +herankommen zu lassen, sie jedoch dem andrängenden Publikum +nicht gewachsen sein mochten, rissen plötzlich die Gurten, das +Zelt wurde gewaltsam geöffnet, und herein wälzte sich der +Haufen: alte schmutzige Weiber, starkriechende Kinder, Männer +und Greise, alle fielen über mich her und bedeckten mich mit +ihren fanatischen Küssen. Im Halbdunkel hatten sie mich als +auf dem Teppich sitzend (der Grossscherif sass in dem Augenblick +auf einem Stuhl) für den Abkömmling Mohammed's genommen. +Und während ich unter Geschrei und Streiten ihnen klar zu +machen suchte, ich sei nicht der Grossscherif, sass dieser auf +seinem Stuhle, lachte aus vollem Herzen und rief: "Mustafa hennin", +d.h. Wohlbekomm's. Ich musste nachher eine Extrareinigung mit mir +und meinem Anzüge vornehmen, um die greulichen und +fühlbaren Andenken dieser heiligen Umarmungen loszuwerden.</p> +<p>In Arbat blieben wir nur wenige Tage, nahmen indem wir auf dem +Hinwege den Weg durch das Gebiet der Beni-Hassen genommen hatten, +den Rückweg längs des Meeres bis zur Mündung des +Ssebu. Von hier gingen wir stromaufwärts bis fast zu dem +Punkte, wo der Ordom-Fluss den Ssebu vergrössert, und von da +aus direct nordwärts nach der Karia ben Auda. Die Karia ben +Auda, eine Art befestigter Häuserhaufen, liegt an den +westlichsten Vorbergen der südlich von Uesan streichenden +Berge, die Karia selbst jedoch in vollkommener Ebene. Sie ist +Residenz des Bascha's vom Rharb-el-fukani oder dem oberen Westen, +wie diese Statthalterschaft heisst, dicht um die Karia liegen noch +die von hohen Cactushecken umgebenen Dörfer. Die Häuser +sind wie im ganzen Rharb von Steinen und Lehm gebaut und mit +Strohdächern gedeckt, so dass man von Weitem ein deutsches +Dorf zu sehen glaubt. Der vorzügliche Reichthum des Landes +besteht in Viehheerden, hier wie in Beni-Hassen vorzugsweise in +grossen Rinderheerden; Schafe und Ziegen hingegen werden in diesen +Provinzen verhältnissmässig in geringerer Zahl +gezüchtet. Die marokkanischen Rinder halten aber keineswegs +einen Vergleich auch nur mit den schlechtesten in Europa aus. Klein +von Statur giebt eine marokkanische Kuh kaum mehr Milch als eine +gute europäische Ziege. Der Grund davon ist die Sorglosigkeit, +mit der überhaupt die Viehzucht in Marokko betrieben wird, und +dann auch die mangelhafte Nahrung im Winter. Es fallt keinem +Marokkaner ein, daran zu denken Vorrath von Heu zu machen, wie denn +überhaupt Wiesen zum Heumachen nirgends existiren. +Natürlich giebt es hier und da längs der Flüsse, +dann auch in den feuchten Niederungen namentlich der Kharbprovinzen +und Beni-Hassen ausgezeichnete Wiesen und Wiesengründe, aber +das Gras wird nur grün benutzt, und ist, ohne dass Jemand +daran denkt es zu mähen oder zu schneiden, Mitte Juli +verbrannt von der Alles austrocknenden Sonne. Im Winter sind daher +Rinder und auch Schafe und Ziegen auf die vertrockneten, kraftlosen +Kräuter angewiesen, welche sie draussen finden. Für die +Pferde dient im Winter Stroh von Gerste oder Weizen.</p> +<p>Wir waren kaum Angesichts der Karia, als der Kaid Abd-el-Kerim, +von seinen Brüdern begleitet, auf uns zugesprengt kam, und uns +zu einem Frühstück einlud. Das konnte nicht ausgeschlagen +werden, und so zog der ganze Tross nach seiner Wohnung, wo wir ein +reichliches Mahl schon vorbereitet fanden. Und der Kaid, der den +Titel Bascha hat, bat Sidi so inständig einen Tag zu bleiben, +dass Befehl gegeben wurde, Zelte zu schlagen.</p> +<p>Es waren dies förmliche Essschlachttage, denn je höher +man in Marokko einen Gast ehren will, desto mehr Speisen setzt man +ihm vor. Abends kam der Kaid ins Zelt des Grossscherifs, wo er nun +gleichfalls mit vielen Schüsseln bewirthet wurde, aber kaum +war er fort, als er eine noch grössere Anzahl Gerichte +zurück schickte, und am anderen Morgen, als wir eben unser +reichliches Frühstück genossen hatten, kam auch schon der +Kaid, um uns zu einem, zweiten Mahle abzuholen, ausschlagen durfte +man nicht, kurz während der Zeit unseres dortigen Aufenthaltes +hatte der Magen kaum eine Stunde Ruhe. Als wir uns verabschiedeten, +legte der Kaid dem Grossscherif noch einen Beutel mit 5000 Frcs. zu +Füssen, wofür er natürlich einen recht langen Segen +erhielt.</p> +<p>So langweilig, was Natur anbetrifft, die Gegend in den Rharb- +und Beni- Hassen-Districten ist, wo Ebenen von Zwergpalmen, +Lentisken und Lotusbüschen bestanden mit Kornfeldern und +Wiesen wechseln und allerdings das Bild des fruchtbarsten Bodens +zeigen, aber auf die Dauer einförmig erscheinen, so sehr +ändert sich dies, wenn man das Gebirge erreicht. Gewiss giebt +es keine romantischere Umgegend, als die der heiligen Stadt Uesan. +Die dicht bewachsenen Berge der nächsten Umgebung, im +Hintergründe die zackigen Felsen der Rifberge, die strotzende +Fruchtbarkeit des Bodens, der dem Auge überall das saftigste +Grün der verschiedenen Bäume und Stauden bietet, wie sie +überhaupt die Länder um das Mittelmeer in so grosser +Mannichfaltigkeit hervorbringen, alles dies verursacht, dass die +Zeit und wenn auch der Weg beschwerlich und ermüdend ist, +rasch verläuft.</p> +<p>Gegen Mittag wurde im Westen der Stadt Halt gemacht, da der +Einzug am anderen Tage stattfinden sollte. Aber Abends hatten wir +schon viel Besuch von Uesan, unter anderen kamen auch die kleinen +Söhne des Grossscherifs, von denen der eine 9, der andere 7 +Jahre haben mochte, mit ihrem Lehrer herangeritten, so dass der +Abend recht munter und vergnügt verbracht wurde.</p> +<p>Vor Sonnenaufgang am folgenden Tage weckten mich schon die +Flintenschüsse und die schrecklichen Klänge der +unvermeidlichen Musik, es war dies nur die Einleitung zur +statthabenden Feierlichkeit. Nachdem wir in aller Eile den Kaffee +(ich genoss immer die Auszeichnung zum Kaffee in des Grossscherifs +Zelt gerufen zu werden, sowie ich dort auch mit essen musste) +getrunken und gefrühstückt, stiegen wir zu Pferde und +unter knatterndem Feuer, dem Lärm der Musikanten, dem Lululu +der Weiber setzte sich der Zug in Bewegung. Aber obschon wir nur +eine Stunde von der Stadt entfernt waren, erreichten wir dieselbe +erst gegen Mittag. Alle Augenblick kam eine neue Musikbande mit +ihren abscheulichen Instrumenten und es wurde Halt gemacht, oder es +kamen mit Flinten bewaffnete Abtheilungen, und gaben eine Salve +dicht vor den Füssen des Grossscherifs, man bildete Kreise und +dann, wie die Teufel herumspringend, schossen sie ihre Flinten in +den Boden und warfen sie darauf hoch in die Lütt, um sie +hernach geschickt wieder aufzufangen. Reiter organisirten sich, und +im gestreckten Galopp auf uns losjagend, schossen sie dicht vor uns +die Flinten ab und schwenkten dann mit ihren Pferden zu beiden +Seiten auseinander. Ich war froh, als wir endlich die Stadt +erreichten, aber hier war uns das Entsetzlichste noch vorbehalten, +gewissermassen der Triumphbogen, durch den der Grossscherif den +Einzug in seine getreue und heilige Stadt Uesan halten sollte.</p> +<p>Es nahten sich ungefähr zwanzig der Secte der Aissauin. +Unter zitternden convulsivischen Bewegungen, unter einförmigen +Tönen: "Allah, Allah" tanzten sie heran; jeder hatte eine +Lanze, einige waren ganz nackt, andere hatten nur die +unentbehrlichsten Lumpen um. Die Lanze trugen sie in der einen +Hand, in der anderen einen Rosenkranz. Die Verwundungen, welche sie +sich selbst beigebracht hatten, verursachten, dass der ganze +Körper mit Blut bedeckt war, einige schlugen sich auf die +Nase, dass das Blut in Strömen herausschoss, andere schlitzten +sich die Lippen zu Ehren Sidi's, andere zerkrazten sich die Brust +und Gesicht, Gott zu Ehren und um dem Grossscherif, dem +Abkömmling des "Liebling Gottes", ihre Hingebung zu bezeugen. +Dabei steigerte sich ihr Allah, Allah zu einem wahren Geheul, +einigen traten die Augen aus dem Kopfe, sie schienen wahnsinnig zu +werden, andere schäumten, die von Gott am meisten Inspirirten +wollten sich vor die Füsse des Pferdes des Grossscherifs +werfen, um überritten zu werden, nur ein schneller Spornstich +drückte rasch das Pferd in die Menge, welche dicht zu beiden +Seiten war. Ich sah, wie es auch dem Grossscherif schauderte, und +er war wohl eben so froh als ich, als die eigentliche Sauya, das +Allerheiligste von Uesan, erreicht war.</p> +<p>Auch der Winter wurde nicht unangenehm verbracht; ob schon die +Spitzen der Rif-Berge alle mit dickem Schnee überzogen, merkte +man in Uesan nicht viel von der Kälte. Eine Einrichtung zum +Heizen hat natürlich Niemand, bei grosser Kälte, d.h. wenn das +Thermometer Morgens auf +6 oder +4° R. herabsinkt, oder gar +wohl einmal unter Null ist (es soll vorkommen, ich habe es indess +nicht erlebt), lässt man sich ein Becken mit glühenden +Kohlen ins Zimmer bringen. Und diesmal war der Winter so milde, +dass die Gesellschaft, welche der Grossscherif täglich bei +sich empfing, in einer Art von Veranda seines Hauses empfangen +wurde, keineswegs aber in einem geschlossenen Zimmer.</p> +<p>Bald darauf, im Januar 1862, trat ein anderes Ereigniss ein, +welches abermals eine Reise des Grossscherifs nothwendig machte, +und weil es charakteristisch für die politisch-socialen +Zustände des Landes ist, verdient, hier erzählt zu +werden. Es hatte sich eine Art von Gegen-Sultan gebildet.</p> +<p>Man erfuhr zuerst in Uesan gerüchtweise von einem Marabut +oder Heiligen, der in der Nähe der Stadt sich aufhielt, und +vorgab alle Kranke gesund machen zu können; er predigte +zugleich den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen (der Krieg +gegen Spanien hatte den alten Fanatismus der Gläubigen gegen +die Christen recht wieder ins Leben gerufen) und proclamirte die +Stunde des Sultans habe geschlagen, es würde ein neuer kommen, +der bestimmt sei die gesunkene Macht der Gläubigen wieder +aufzulichten, und der mit erneuerter Kraft und Herrlichkeit den +Islam der ganzen Welt auferlegen werde. Es strömte ihm +natürlich viel Volks zu, da der spanisch-marokkanische Krieg +Räuber und Strolche genug herangebildet hatte, und +überdies, je unwahrscheinlicher eine Prophezeiung ist, sie um +so leichter bei den Marokkanern gläubige Anhänger findet, +namentlich wenn den Leidenschaften und religiösen Eitelkeiten +des Volkes geschmeichelt wird.</p> +<p>Der Grossscherif verhielt sich äusserst ruhig bei diesem +Treiben, da seiner Macht und seinem Einfluss kein Abbruch geschehen +konnte, weil der Weltverbesserer kein Scherif seiner Herkunft war, +nicht einmal ein Thaleb, d.h. ein der Schrift kundiger Mann. Nach +einigen Wochen, während der Zeit Sidi Djellul (er hatte sich +den Scheriftitel angemasst) einen Haufen von einigen Tausenden von +Taugenichtsen um sich versammelt hatte, beging er indess die +Frechheit, dem Grossscherif einen Brief zu schreiben, d.h. +schreiben zu lassen, ihm zu sagen, er (Sidi Djellul) sei der Mann +der Stunde (mul' el uogt, d.h. der erwartete Messias), der +Grossscherif habe sich Angesichts dieses Briefes zu ihm zu begeben, +und in Gemeinschaft wollten sie sodann gegen den Sultan und die +grossen Städte ziehen. Sidi-el- Hadj Abd-es-Ssalam +würdigte ihn natürlich keiner Antwort; sandte aber sofort +an den Sultan einen Courier, um ihn auf die Gefahr dieses +Abenteurers aufmerksam zu machen.</p> +<p>Mittlerweile wuchs der Anhang Sidi Djellul's in grossen +Proportionen. Seine Genossen lebten von Raub und Plündern, und +grössere Raubzüge stellte er in Aussicht: "Die grossen +Städte, wie Fes, Mikenes, müssten ganz verschwinden, die +Bewohner hätten ihr Geld durch Handel mit den Christen +gewonnen, daher sei es ein gutes Werk sich dieser in den +Städten angehäuften Schätze zu +bemächtigen."—Merkwürdigerweise rührte sich +nach mehreren Wochen die Regierung noch immer nicht, denn es +hält ungemein schwer, den Sultan zu irgend einem +entscheidenden Schritt zu bringen.</p> +<p>Im Anfange Februar desselben Jahres wagte er sich schon an +befestigte Punkte; mit seinem ganzen Anhang, von denen einige mit +Flinten, die meisten aber nur mit Knütteln und Lanzen +bewaffnet waren, zog er gegen die Karia- ben-Auda, und nach einer +dreitägigen stürmischen Belagerung bemächtigte er +sich derselben mit Gewalt, und enthauptete denselben Bascha +Abd-el-Kerim, der vor Kurzem dem Grossscherif eine so grossartige +Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die 16 oder 20 Mann Maghaseni, +eine ebenso grosse Anzahl Diener des Bascha's wurden ebenfalls +ermordet, die Bewohner der um die Karia gelegenen Dörfer +entflohen zum Theil nach Uesan, zum Theil gingen sie zu Sidi +Djellul über.</p> +<p>Der Bascha wurde übrigens vom Volke kaum betrauert, seine +Habsucht und Grausamkeit hatten ihn zum Feinde aller deren gemacht, +denen er als Gouverneur vorstand. Was Sidi Djellul anbetrifft, so +stieg nach der Einnahme der Karia sein Einfluss von Tage zu Tage, +und obschon er durch den Bascha, der sich in der Karia hinter hohen +Mauern gut vertheidigt hatte<a href="#F121"><sup>121</sup></a>, einigen +Verlust erlitten hatte, so behauptete das leichtgläubige Volk, +alle die mit Sidi Djellul zögen seien kugelfest, und +namentlich er selbst unverwundbar. Während 14 Tagen schwelgten +die Räuber sodann auf der Karia, ihr Chef erliess +Proclamationen, worin er verkündete mit allen Baschas so +verfahren zu wollen, und namentlich auch mit dem Sultan.</p> +<blockquote><a name="F121" id="F121"></a>[Fußnote 121: Er +musste sogar Revolver und Lefaucheux'sche Flinten gehabt haben, da +der Grossscherif später von Leuten mehrere derartige Waffen +geschenkt bekam, und die als in der Karia gefunden bezeichnet +wurden.]</blockquote> +<p>Endlich rührte sich der Sultan; sein Bruder Mulei Arschid +hatte Befehl bekommen mit 1000 Mann Soldaten, ebenso vielen Reitern +und 4 Kanonen über Media, an der Mündung des Ssebu +gelegen, nach der Karia zu marschiren, und Sidi-el-Hadj +Abd-es-Ssalam war gebeten worden zum Heere zu stossen, um durch +seine Anwesenheit der Sache des Sultans in den Augen des Volkes +grösseres moralisches Gewicht zu geben. Der Grossscherif +leistete der Bitte des Sultans Folge und mit grossem und +kriegerischem Trosse wurde auf die Karia-el-Abessi marschirt, die +wir in zwei Tagemärschen erreichten, am selben Tage, an +welchem von der anderen Seite der Bruder des Sultans, Mulei Arschid +anlangte. Der Eindruck, den das Erscheinen des Grossscherifs +hervorbrachte, war ein ausserordentlicher. Die ganze Rharbprovinz +war im offenen Aufruhr gewesen, Mulei Arschid hatte sich von Media +nur mit Gewalt einen Weg bis zur Karia-el-Abessi bahnen +können. Wir selbst aber waren dort ohne auf irgend feindselige +Leute zu stossen angekommen, und die Leute, welche +zurückgeblieben waren, sagten aus: Sidi Djellul habe sich mit +seinem Anhang durch die Berge nach Sidi Kassem, einem südlich +gelegenen Orte, geflüchtet. Mit Ausnahme derer, die keine +Heimath hatten und fest zu Sidi Djellul standen, war damit der +eigentliche Aufstand gedämpft; d.h. die beiden Rharbprovinzen +waren durch die Anwesenheit des Grossscherifs bei der Armee Mulei +Archid's vollkommen beruhigt und hatten sich ohne weitere +Zwangsmassregeln unterworfen.</p> +<p>Merkwürdigerweise wurde nun aber Sidi Djellul nicht durch +einen raschen Marsch auf Sidi Kassem beunruhigt und er selbst mit +seinen Anhängern vernichtet oder gefangen gebracht. Wir +lagerten bis Mitte März ruhig bei der Karia-el-Abessi. Aber +der Anhang Sidi Djellul's verlor sich nun immer mehr, freilich +hatte er auch den Ort Sidi Kassem noch überrumpeln und +plündern können, die Behörde war mit den meisten +Bewohnern schon vorher geflohen, es war dies aber sein letztes +Heldenstück. Von fast Allen verlassen, versuchte er es das +Grabmal von Mulei Edris el Akbar in Serone zu erreichen, wo er eine +sichere Zufluchtsstätte gefunden haben würde. Aber gleich +beim Eintritt in die Stadt, wurde er erkannt und von den +Schürfa gefangen genommen. Diese, ohne weitere Umstände, +enthaupteten ihn, schnitten dem Rumpfe Hände und Füsse +ab, und diese Trophäen wurden dem Sultan geschickt. Sidi +Mohammed, der Sultan, befahl den Rumpf ans Stadtthor von Serone zu +nageln, der Kopf wurde zur Ausstellung nach Maraksch geschickt, und +die übrigen Extremitäten den anderen Städten zur +Ausstellung überlassen. Die Schürfa aber, die +eigenmächtig getödtet hatten, bekamen vom Sultan ein +Geschenk von 3000 Mitcal (c. 5000 frcs.), ein für Marokko sehr +ansehnliches Geldgeschenk. Von seinen Parteigängern wurden +viele gefangen genommen, einfach enthauptet, einige aber auch, die +etwas Vermögen hatten, eingekerkert, um erst ihrer Habe +beraubt zu werden. So endete der Versuch eines Marokkaners den +Thron des Sultans umzustürzen und eine andere Regierung +einzusetzen. Nicht immer aber sind solche Revolten ohne Frucht +geblieben, namentlich wenn der Empörer ein Scherif war, und am +Hofe selbst schon Ansehen hatte, endete oft genug eine aus ebenso +kleinen Anfängen entsprungene Revolution damit, dass der +regierende Sultan das Feld räumen musste, oft sogar das Leben +verlor.</p> +<p>Uebrigens war damit das Land keineswegs ganz beruhigt, die +Hiaina, die Beni-Hassen, die Rifprovinzen waren in Gährung, +man wusste nicht ob die Rifbewohner das Gebiet um Melilla abtreten +wollten; der zu dem Ende vom Sultan an die Gebirgsstämme +entsandte Scherif von Uesan, Sidi Mohammed ben Akdjebar, kehrte +unverrichteter Sache zurück.</p> +<p>Endlich verliessen wir mit der Armee die Karia-el-Abessi, und in +östlicher Richtung marschirend, zogen wir über den +Ued-Teine und den Ued-Ardat, und campirten an einem Orte Had +genannt. Hier blieben wir wiederum einige Tage liegen, und +marschirten dann längs des Ardatstroms aufwärts, um bei +einem Orte Arba zu campiren. Das Wort Arba bedeutet Mittwoch, und +an dem Orte wird Mittwochs Markt abgehalten. In ganz Marokko +stösst man überall auf Oertlichkeiten, die manchmal ohne +alle Bewohner, die Bezeichnung Had Sonntag, Tnein Montag, Tleta +Dienstag, Arba Mittwoch, Chamis Donnerstag, Djemma Freitag und Sebt +Samstag führen. Solche Oertlichkeiten dienen als +Marktplätze, und es giebt ihrer Hunderte im ganzen +marokkanischen Reich.</p> +<p>Das Land war in dieser Gegend durchaus gewellt, überall gut +angebaut, und das Erdreich, schwarzer Humus, sehr fruchtbar. Wie +man an den Ufern der Flüsse sehen konnte, hat die Humusschicht +meistens eine Dicke von 5-6 Meter. Von hier aus zogen wir +nach einigen Tagen nach dem Ued-Uarga und lagerten südlich, +Angesichts der Bergkette der Uled-Aissa. Das Lager war hier in +reizender Gegend aufgeschlagen, die schönen Ufer des Flusses, +von 20 Fuss hohen Oleanderstauden und Tamarisken dicht bestanden, +die Gebirge mit zahlreichen Dörfern, die aus ihren Oliven- und +Feigengärten herauslugten, im Südosten der +eigenthümlich geformte Berg Mulei Busta, geben der ganzen +Landschaft eine grosse Abwechselung. Aber der Ramadhan war +angebrochen, und da wir im Lager waren, musste ich natürlich +aufs strengste die vorgeschriebenen Fasten mitmachen, was bei der +grossen Hitze, wir waren jetzt Ende April, keineswegs angenehm +war.</p> +<p>Endlich kam ein Danksagebrief vom Sultan an den Grossscherif, +wir verabschiedeten uns von Mulei Arschid und erreichten, rasch +heimwärts ziehend, in anderthalb Tagen Uesan. Mulei Arschid +aber vereinigte sich mit dem Sultan, der von Arbat aus mit der +ganzen übrigen Armee gegen die Beni- Hassen ins Feld +gerückt war. Da wir ganz unerwartet in Uesan eintrafen, so war +natürlich auch kein Empfang.</p> +<p>Nachdem der Ramadhan vorüber, das Aid-el-Sserir mit grossem +Gepränge gefeiert worden war, und ich mich von den +Anstrengungen des mehrere Monate dauernden Feldzuges erholt hatte, +brach ich von Uesan auf, um Tetuan zu besuchen. Reichlich mit +Medicamenten versehen und unter dem Titel "ssahab Sidi", d.h. +Freund, Diener oder Anhänger des Grossscherifs, wollte ich es +wagen, allein die Gegenden zu durchstreifen, es sollte dies +gewissermassen als Versuch und Vorbereitung zu meiner Abreise +dienen. Ein Spanier, schon seit 15 Jahren in Uesan ansässig +und dort verheirathet, begleitete mich<a href= +"#F122"><sup>122</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F122" id="F122"></a>[Fußnote 122: Einige +Monate später wurde er, als er allein von Uesan ins Gebirge +reiste, ermordet.]</blockquote> +<p>Von Uesan aufbrechend, ich hatte ein eigenes Maulthier und einen +vom Grossscherif geliehenen starken Esel, ging es über +Tscheralia nach L'xor, und nach einem mehrtägigen Aufenthalt +auf dem Westabhange der Rif-Berge, welche man von L'xor aus in +einigen Stunden erreicht, nordwärts. Vom Orte Arba el Aiascha +gingen wir nach Had bei Arseila, wo ich mein Maulthier verkaufen +wollte, da es sich, als nicht besonders stark, schlecht +bewährt hatte. Aber wegen zu schlechten Wetters, welches uns +zwang, einen ganzen Tag in einem Duar zuzubringen, war der Markttag +des Had verpasst worden, und dicht bei dem Sanctuarium Mulei +Abd-es-Ssalam ben Mschisch, einer berühmten Sauya und sehr +besuchtem Wallfahrtsorte vorbeikommend, zogen wir dann durchs +Gebirge Tetuan entgegen.</p> +<p>Bis jetzt waren wir überall gut aufgenommen worden, aber je +näher wir Tetuan kamen, desto misstrauischer zeigten sich die +Bergbewohner, und eines Abends wollten Tholba eines Dorfes, wo wir +zu übernachten beschlossen hatten, uns nur gegen Erlegung von +einigen Metkal Quartier geben, "dann würden wir überdies +ihres Segens theilhaftig werden." Auf meine Erwiederung, der Segen +des Grossscherifs von Uesan, dessen Freund ich sei, genüge +mir, zogen sie sich drohend zurück, indessen schienen sie +später ihre Gesinnungen geändert zu haben, denn sie +brachten ein reichliches Nachtessen. Auf dem Wege von Tanger nach +Tetuan angekommen, brachten wir dann eine Nacht in dem Caravanserai +zu, bekannt geworden durch den letzten Krieg der Spanier. Hier +erblickte ich in den Gebirgsschluchten zum ersten Male die deutsche +Eiche wild wachsend, welche mir sonst nirgends mehr in Marokko +aufgestossen ist. Sonst hat man in Marokko in den Ebenen +vorzugsweise die Korkeiche und auf den Abhängen der Berge die +immergrüne Eiche und die Cerriseiche.</p> +<p>Im Caravanserai oder Funduk hatten wir für nächtliches +Unterkommen, d.h. für eine leere Zelle und Hofraum fürs +Vieh, einige Mosonat zu zahlen, für Geld bekamen wir auch +etwas Brod, Milch und einige Eier. Am anderen Morgen erreichten wir +gegen 10 Uhr die Stadt Tetuan oder Tetaun, wie die Marokkaner sie +nennen. Die Spanier waren gerade beim Abmarsch, denn Tetuan liegt +bekanntlich nicht unmittelbar am Meere, so dass die Truppen nicht +direct eingeschifft werden können. Ich unterlasse es eine +Beschreibung dieser von reizenden Orangengärten umgebenen +Stadt zu geben, sie ist hinlänglich aus dem letzten Kriege +bekannt.</p> +<p>Nach einigen Tagen Aufenthalt kehrte ich Tetuan den Rücken, +und begab mich mit einer grossen Karavane nach Tanger. Der Weg wird +gewöhnlich in zwei Tagen gemacht, wir brauchten indess nur +Einen. Sehr belebt war er durch heimkehrende Tetauni (Bewohner +Tetuans), welche während der spanischen Besatzung die Stadt +verlassen hatten, und die nun zurückkehrten, um von ihren +Immobilien wieder Besitz zu nehmen. Nachdem ich sodann in Tanger +mein Maulthier verkauft hatte, trat ich den Rückweg nach Uesan +an, zuerst längs des Strandes.</p> +<p>Man muss indess nicht glauben, dass ein eigentlicher Weg +längs des Meeres läuft, davon ist keine Spur vorhanden. +Aber der Strand ist so breit, besteht aus so festem Sande, dass er, +ausgenommen für Wagen, vollkommen eine macadamisirte Chaussee +ersetzt. Man muss aber die Ebbezeit wählen, weil bei Fluth das +Meer bis dicht an die Dünen oder Felsen hinantritt. Man kann +hier sehen, wie der Atlantische Ocean, dessen breiteste Stelle hier +ist, selbst nach tagelangen Windstillen, dennoch immer grosse +Wellen schlägt, und alle Zeit ist die Brandung oder das +Rauschen der den Sand hinaufrollenden Wellen weit im Innern des +Landes zu hören.</p> +<p>Man kann recht gut, längs des Strandes reisend, in einem +Tag Arseila erreichen, aber wir hatten ein Hinderniss an der +Mündung des Ued-Morharha, worüber ein ganzer Tag verging. +Zu breit und tief an der Mündung, um durchwatet werden zu +können, hat man für Fahr-Einrichtung gesorgt, das Boot +aber lag auf der anderen Seite, und kein Fährmann war zu +finden oder durch Rufen herbeizulocken. Wir zogen, nachdem wir +vergeblich versucht hatten, hindurch zu schwimmen, +flussaufwärts, ohne eine Furt zu finden, auf das Bereden der +Leute eines Duars kehrten wir um, und diesmal war denn auch der +Fährmann an Ort und Stelle, und wir wurden +hinüberbefördert. Ehe man Arseila erreicht, hat man dann +noch die Mündung des Ued-Aiascha zu passiren.</p> +<p>Arseila, von den Alten Zilia. Zelis und Zilis genannt, wird von +einigen Schriftstellern, darunter Hemsö, Höst und Barth, +Asila genannt. Wenn nun aber auch die Herleitung des Namens von +Zilis unzweifelhaft ist, so ist heute doch nur die Schreibweise mit +einem r die einzig richtige, und ist es wohl seit Jahrhunderten +gewesen, da Leo, Marmol, Lempriere, Jackson und die meisten +Schriftsteller so schrieben. Ohne Zweifel von den Eingeborenen +gegründet, später im Besitze der Carthager, der +Römer, der Gothen, wurde nach Leo Arseila 712 n. Chr. von den +Mohammedanern erobert und 200 Jahre von ihnen behauptet. Dann +sollen die Engländer (nach Leo) eine Zeitlang die Stadt +besessen haben, und später wieder im Besitze der Mohammedaner +wurde sie 1471<a href="#F123"><sup>123</sup></a> von den Portugiesen erobert +und bis zum Jahre 1545 behauptet. Seit der Zeit ist die Stadt im +Besitze der Marokkaner geblieben.</p> +<blockquote><a name="F123" id="F123"></a>[Fußnote 123: Nach +Leo 1477.]</blockquote> +<p>Ob das alte Zilis übrigens genau an der Stelle des heutigen +Arseila gewesen ist, ob es nicht vielmehr an der Mündung des +Ued-Aiascha einige hundert Schritte weiter im Norden gelegen hat, +möchte wohl erst noch festzustellen sein. Jedenfalls ist die +heutige Stadt so gelegen, dass sie nie besonders durch Handel und +Wandel blühend gewesen sein kann. Am Strande ziehen sich +allerdings rechtwinkelig ins Meer hinein Felsblöcke, aber +angenommen, sie hätten ehemals einen Hafen gebildet, so +würde dies Bassin kaum gross genug gewesen sein 12-16 +Fischerböte aufzunehmen. Ueberdies sind die Blöcke so +klein, dass sie bei halber Fluth schon vom Wasser bedeckt sind. Die +Mündung des Ued-Aiascha, wo man ebenfalls Mauerüberreste +bemerkt hat, muss in früherer Zeit ein guter Hafen gewesen +sein. Plinius sagt überdies: "Zilis juxta flumen Zilia", +welcher Fluss wohl kein anderer sein kann, als der +ebenerwähnte Aiascha.</p> +<p>Arseila, in der Gegend von Hasbat gelegen, liegt unmittelbar am +Meere. Ein rechtwinkliges Oblongum, von halbverfallenen Mauern und +Thürmen umgeben, mit zwei Thoren, von denen das eine nach +Norden, das andere nach Osten sieht, hat Arseila c. 500 Einwohner +mohammedanischer und israelitischer Confession. Man findet in +Arseila wie in allen Seestädten Marokko's zahlreiche Spuren +christlicher Herrschaft an den alten Bauwerken. Einige am Boden +liegende Säulen, ebenso Säulen, die jetzt im Innern der +Djemma sind, dürften vielleicht römischen Ursprungs sein. +Ein Djemma, ein elendes Funduk sind die öffentlichen +Gebäude, ein marokkanischer Jude versieht das englische +Consulat. Arseila besitzt nicht einmal Fischernachen, geschweige +grössere Schiffe. Trotz der nächsten sandigen Umgebung +haben die Bewohner es verstanden, leidlich gute Gärten +anzulegen und Feigen, Melonen, Pasteken und die Rebe gedeihen +vortrefflich. Aber kein Ort ist so theuer, was Lebensmittel +anbetrifft, wie Arseila, und selbst Früchte, die in anderen +Theilen von Marokko fast umsonst zu haben sind, kosten hier +verhältnissmässig viel Geld.</p> +<p>Die ganze Stadtbevölkerung fanden wir unter Zelten auf +einer grünen Wiese dicht am Meere gelagert, da der Sultan +für sein ganzes Reich eine dreitägige Festlichkeit +angeordnet hatte aus Freude über den glücklich +bewältigten Aufstand Sidi Djellul's. Wie der Juden +Laubhüttenfest, werden alle derartigen Feierlichkeiten der +Marokkaner im <i>Freien</i> abgehalten, wie ja auch bei den grossen +religiösen Festen, Aid el kebir, aid sserir und Molud die +gottesdienstliche Ceremonie nicht in der Moschee, sondern draussen +auf freiem Felde celebrirt wird. Zwischen Tanger und L'Araisch +können auch Christen in christlicher Tracht längs des +Meeres reisen, ohne befürchten zu müssen belästigt +zu werden. So traf denn auch am selben Abend, wo wir in Arseila +waren, ein spanischer Kaufmann ein (Christen giebt es sonst keine +im Städtchen), der in eben dem Funduk die Nacht zubrachte, +welches uns beherbergte.</p> +<p>Von Arseila, das wir am anderen Morgen verliessen, bis L'Araisch +hat man längs des Meeres, dessen Ufer immer denselben +Charakter beibehält, nur einen halben Tagemarsch, und man +muss, um in die Stadt zu gelangen, die Mündung des Ued-Kus +übersetzen. Ohne uns aufzuhalten, erreichten wir immer durch +einen schönen Korkeichenwald reisend, am selben Tage L'xor. +Und auch hier war kein Aufenthalt für uns, da uns die Kunde +wurde Sidi-el-Hadj Abd- es-Ssalam beabsichtige eine Reise nach +Marokko. Zwei Tage darauf waren wir wohlbehalten in Uesan nach +einer Abwesenheit von drei Wochen.</p> +<p>Der Grossscherif, der mich wie immer sehr freundlich empfing, +sagte mir, allerdings habe er eine Einladung vom Sultan erhalten, +ihn nach Maraksch zu begleiten, aber später habe der Sultan in +einem anderen Briefe den Wunsch ausgedrückt, nicht zu kommen, +da seine Anwesenheit in der Nähe des Rharb, dessen +Bevölkerung eben erst eine Revolution durchgemacht hätte, +notwendiger sei, als in Maraksch.</p> +<p>So glaubte ich denn auch, dass die Zeit gekommen sei, mein +Geschick von dem des Grossscherifs zu trennen, dessen +liebenswürdige und uneigennützige Gastfreundschaft ich +nun seit einem Jahre genoss; zudem fühlte ich, dass ich der +arabischen Sprache täglich mächtiger wurde, denn hat man +die ersten Schwierigkeiten überwunden, so ist diese Sprache +als Umgangssprache nicht schwer. Und wenn man ausgerechnet hat, +dass ein europäischer Landmann, ein englischer Bauer z.B. in +seinen gewöhnlichen Lebensverhältnissen nur ca. 400 +Wörter braucht, mit deren Hülfe er alle seine Ideen +seinen Mitmenschen mittheilen kann, so hat man sicher in Marokko +auch nicht mehr nöthig.</p> +<p>Die ganze Lebensart ist so einfach, der Gegenstände, die +der Mensch dort nöthig hat, sind so wenige, die Unterhaltung +ist so stereotyp und dreht sich so ziemlich immer um dieselben +Gegenstände, dass, wenn man einmal erst mit der Construction +der marokkanischen Redeweise vertraut ist, und den nöthigen +Wörtervorrath im Gedächtniss angesammelt hat, das Reden +ganz von selbst geht. Hauptsache ist dabei, immer Gott und Prophet +im Munde zu haben, von Paradies und Hölle zu sprechen, den +Teufel nicht zu vergessen, und dabei andächtig mit dem Munde +murmelnd den Rosenkranz durch die Finger gleiten zu lassen. +Fällt einem dann auch nicht gleich eine Redewendung ein, hat +man ein Wort plötzlich vergessen, und sagt statt dessen: "Gott +ist der Grösste", oder "Mohammed ist der Liebling Gottes", +oder "Gott verfluche die Christen", so findet das kein Marokkaner, +auch wenn diese Redensarten gar nicht dahin passen, auffallend, und +er wird selbst den Satz ergänzen, oder das gesuchte Wort +finden.</p> +<p>Ehe ich indess Uesan verliess, bot sich mir Gelegenheit dar, mit +einem "Emkadem", Intendant, des Grossscherifs nach der kleinen +zwischen Fes und Udjda gelegenen Stadt Tesa zu reisen; derselbe war +abgeschickt worden, rückständige Gelder für die +Sauya Uesan einzukassiren. Den ersten Tag verfolgten wir den von +Uesan nach Fes führenden Weg und lagerten am Ued- Ssebu an +einer Oertlichkeit, Manssuria genannt, welche aus einigen +Hütten bestand und einem Duar, beides Eigenthum des +Grossscherifs. Merkwürdig ist diese Gegend dadurch, dass in +der Nähe von Manssuria ein steinigtes Feld ist, aus dem +beständig Schwefeldämpfe und nach den Aussagen der +Eingeborenen mitunter auch kleine Flammen emporsteigen<a href= +"#F124"><sup>124</sup></a>. Es ist dies die mir einzig in Marokko bekannte +Oertlichkeit, wo vulkanische Erscheinungen heute noch in +Thätigkeit sind. Am zweiten Tage, im Thale des Ssebu +aufwärts gehend, das die zahlreichen Krümmungen +abgerechnet von Osten herkommt, blieben wir noch eine Nacht in +einem Tschar (Bergdorf) und erreichten am dritten Tage das +malerisch am Berge gelegene Städtchen Tesa.</p> +<blockquote><a name="F124" id="F124"></a>[Fußnote 124: +Vielleicht das Pyrron Pedion, dessen Ptolemaeus in Mauritania +Tingitana erwähnt.]</blockquote> +<p>Nach Ali Bey liegt Tesa auf dem 34° 9' 32" N. B. und 6° +15" W. L. v. P. auf dem Unken Ufer des Ued-Asfor (gelber Fluss, wie +hier der Ssebu heisst), jedoch fast eine halbe Stunde von ihm +entfernt. Ausserdem wird die Stadt vom kleinen Ued-Tesa +durchströmt, der vom Süden kommt. In der Lage, d.h. am +Abhange eines Berges gelegen, hat Tesa eine ausserordentliche +Aehnlichkeit mit Uesan. Leo giebt der Stadt 5000 Feuerstellen, was +jedenfalls jetzt viel zu hoch ist, denn sie dürfte kaum mehr +als 5000 Einw. haben, von denen ca. 800 Seelen jüdischen +Bekenntnisses sind. Hemsö wagt die Vermuthung, dass Tesa das +Babba der Alten ist.</p> +<p>Die Stadt, mit einer einfachen Mauer umgeben und einer Kasbah, +hat eine beständige Garnison von 500 Maghaseni, eine +Auszeichnung, die sie nur noch mit Udjda theilt, welches eine +ebenso grosse Besatzung hat, während in allen anderen +Städten des Reiches nur ca. 20 Soldaten dem Gouverneur zur +Verfügung stehen. Die Lage der Stadt, die Nähe der +unruhigen Hiaina, und der anderen vollkommen unabhängigen +Bergvölker im Osten und Süden der Stadt machen eine so +starke Besatzung sehr nothwendig. Tesa ist Hauptmittelpunkt des +Handels zwischen Algerien, resp. Tlemçen und Fes. Aber +östlich von Tesa ist die Gegend so unsicher, dass jede +Karavane von einer Abtheilung Maghaseni begleitet sein muss. Stark +besuchte Karavanenwege führen ausserdem von Tesa nach dem +Figig und Tafilet. Die Häuser im Innern der Stadt bekunden +Wohlhabenheit der Einwohner, die grosse Moschee, mit antiken +monolithischen Säulen im Innern, deutet darauf hin, dass einst +die Stadt noch bedeutender gewesen ist, als jetzt, und was die +Gesundheit der Luft, die Reichhaltigkeit der Fruchtbäume und +die wunderbar schöne Gegend anbetrifft, so kann man nur mit +Leo übereinstimmen, der sagt: "Billig sollte dieser Ort, wegen +der gesunden Luft, die im Winter sowohl als im Sommer hier +stattfindet, die königliche Residenz sein."</p> +<p>Wir waren in Tesa in der Sauya der Tkra Mulei Thaib abgestiegen, +und wurden selbstverständlich gut bewirthet. Nach zwei Tagen +Aufenthalt, als der Emkadem seine Gelder einkassirt hatte, gingen +wir auf demselben Wege nach Uesan zurück, da der directere +aber durch die Hiaina führende Weg nicht genug Sicherheit bot, +selbst für den Emkadem des Grossscherifs.</p> +<p>In Uesan wieder angekommen, waren meine Tage gezählt; es +handelte sich nur darum, die Erlaubniss zur Abreise zu bekommen. +Ich durfte nicht daran denken, dem Grossscherif zu sagen, dass ich +ihn für immer verlassen wollte, da er sich einmal vollkommen +mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ich würde immer bei +ihm bleiben. So bekam ich denn endlich die Erlaubniss eine kleine +Reise machen zu dürfen, und sagte der Stadt Uesan für +immer (wie ich damals glaubte, später kam ich aber doch noch +wieder nach Uesan) Lebewohl.</p> +<h2><a name="K13" id="K13"></a>13. Reise längs des +atlantischen Oceans</h2> +<p>Nach Tanger aufbrechend, deponirte ich ein Kästchen mit +Papieren bei Sir Drummond und zog längs der Küste, +denselben Weg bis L'Araisch weiter. Als Ausrüstung hatte ich +weiter nichts als einen Esel mit zwei Schuari (Seitenkörben), +welche einige Vorräthe enthielten; ein spanischer Renegat, der +gewissermassen mein Gefährte, Diener, Eselwärter und +Doctorgehülfe war, hatte sich angeschlossen. Ehe wir weiter +zogen, blieben wir noch einige Zeit in der Stadt.</p> +<p>L'Araisch liegt auf der äussersten Seite des linken Ufers +des Ued-Kus derart, dass eine Seite nach dem Flusse, die andere +nach dem Ocean Front macht. Ungefähr 4 K.-M. +stromaufwärts des Ued-Kus am rechten Ufer lag das alte Lya der +Punier oder wie es später von den Griechen und Römern +genannt wurde Lina, ehedem die bedeutendste Niederlassung an dem +atlantischen Ocean. Etwas weiter stromaufwärts fallt dort der +Ued-Maghasen in den Kus.</p> +<p>Die Ruinenstätte ist von Sir Drummond Hay und Barth besucht +worden, ohne dass jedoch Beide besondere Entdeckungen gemacht +hätten, die auch wohl kaum ohne Reinigung des Bodens und +Ausgrabungen zu machen sind. Von Drummond Hay werden die Ruinen +Schemmies genannt. Barth will aus den Grundmauern bei der Kasbah +erkannt haben, dass auch auf dem heutigen Boden der Stadt L'Araisch +eine alte libysche Stadt gelegen habe, was durch Scylax's Aussage +bestätigt würde.</p> +<p>Von der von den Alten als in der Mündung des Lixos liegend +erwähnten Hesperiden-Insel ist heutzutage keine Spur +vorhanden. Allerdings taucht bei tiefer Ebbe eine etwa 1 K.-M. +haltende Sandbank, in der beutelartigen Mündung des Flusses +auf, und möglicherweise, man braucht nur eine allgemeine +Senkung der atlantischen Küste anzunehmen, war dies die einst +so fruchtbare Hesperiden-Insel. Diese Mündung, im Norden durch +hohe Sandberge geschützt, könnte, wollte man sich die +Mühe geben die Barre wegzubaggern, zu einem trefflichen Hafen +eingerichtet werden. Jetzt können bei Fluth höchstens +Schiffe von 150 Tonnen Gehalt einlaufen; als wir in L'Araisch +waren, befanden sich sechs europäische Schiffe im Hafen, +ausserdem verfaulten am Strande die beiden letzten Kriegsschiffe +der Marokkaner, zwei elende Brigantinen. Und doch hatte Marokko vor +noch nicht hundert Jahren die Frechheit, mit seiner elenden +Seemacht die ganze Welt herauszufordern.</p> +<p>Der Name L'Araisch ist nach Hemsö entstanden aus dem Worte +el-araisch-ben- Aras, d.h. der Weinspalier der Beni Aros. Nachdem +die Stadt wechselsweise im Besitze der Marokkaner und Portugiesen +gewesen war, bemächtigte sich 1689 nach einer +fünfmonatlichen Belagerung Mulei Ismaïl derselben. Seit +der Zeit ist L'Araisch von den Europäern noch oft angegriffen +worden, so im Jahre 1785 von den Franzosen, 1829 von den +Oesterreichern, die dabei der marokkanischen Flotte den Gnadenstoss +versetzten.</p> +<p>Man bemerkt in L'Araisch an den Gebäuden der Stadt noch +deutlich den christlichen Einfluss. So ist der hübsche +Marktplatz ein regelmässiges Rechteck mit gewölbten +Arcaden versehen, die Säulen sind Monolithen aus Sandstein. +Die Hauptmoschee, die ebenfalls nach dem Marktplatze zu Front +macht, muss eine christliche Kirche gewesen sein, die Façade +ist in dem sogenannten Jesuitenstyl gehalten. Ausserdem befindet +sich noch ein anderes stattliches und mehrstöckiges +Gebäude, mit hohen schönen Fenstern versehen, am +Marktplatze. Vielleicht war es ehemals Gouvernementsgebäude, +vielleicht ein Kloster, denn erst im Jahre 1822 musste eine hier +bestehende spanische Mission aufgegeben werden. Heute steht das +Haus leer und unbenutzt da, und der durch die Fenster streichende +Wind, und die fressende Atmosphäre wird bald das ihrige thun, +um das Gebäude zu einer Ruine zu machen.</p> +<p>Ausser recht gut erhaltenen aber widerstandslosen Mauern ist die +Stadt durch ein mit vier Bastionen versehenes Fort, christlicher +Anlage und ursprünglich aus gutem Material erbaut, +geschützt. Dieses Fort liegt auf der westlichsten Spitze der +Stadt nach dem Meere zu. Im Inneren dieses Forts ist ein Schloss, +dessen runde Kuppeln man schon von Weitem sehen kann. Das Schloss +soll vom Sultan Mulei Yasid erbaut sein. Unterhalb des Forts nach +dem Hafen zu sind zwei gemauerte Strandbatterien. Nach S.-O. zu die +Stadt beherrschend, befindet sich die Kasbah, ein Fort von +viereckiger Form, an den vier Ecken mit sehr scharfwinkligen +Bastionen versehen. Die Mauern der Kasbah, welche auch wohl eine +Baute der Portugiesen oder Spanier ist, sind gut erhalten, aber +trotz aller Vertheidigungsanstalten wird L'Araisch einem Angriffe +der Europäer nicht lange Widerstand entgegensetzen +können, einerlei ob er vom Ocean aus oder vom Lande her +unternommen wird. Sonst hat L'Araisch keine merkwürdigen +Gebäude, wenn nicht eine kleine Grabstätte in den +Gärten südlich von der Stadt, der Lella-Minana gewidmet, +einer Sherifa, die dort begraben liegt. Bei Lebzeiten soll sie +Wunder gethan haben, und auch jetzt noch sollen die in der +Grabcapelle der Lella- Minana betenden Frauen von Unfruchtbarkeit +geheilt werden: zwei fromme in der Nähe wohnende Einsiedler +öffnen den Frauen gegen eine kleine Gabe die Thür zum +Grabmal und unterstützen sie im Beten.</p> +<p>Die Stadt hat ca. 5000 Einwohner, von denen wohl 1200 Juden sein +mögen, welche letztere, wie alle Juden in den +Hafenstädten Marokko's, sich der spanischen Sprache bedienen. +Die wenigen Europäer, vielleicht 30 oder 40 Individuen stehen +unter dem Schutze ihrer Consuln, deren es hier mit Ausnahme eines +deutschen von allen Nationen giebt.</p> +<p>Der Handel der Stadt ist nicht unbedeutend und umfasst dieselben +Artikel, die in Tanger zur Aus- und Einfuhr kommen, d.h. +ausgeführt werden besonders Wolle, Thierhäute, Wachs, +Oel, Butter, Früchte: als Mandeln, Orangen, Citronen und +Feigen, getrocknete Oliven, Eier, Federvieh (anderes Vieh +auszuführen ist verboten), Getreide und +Hülsenfrüchte. In L'Araisch kommt noch hinzu die Rinde +der Korkeiche, die in Europa verarbeitet wird. Gummi und Kupfer +wird aus Marokko nach Europa nicht mehr ausgeführt, da man +Kupfer in Europa und Gummi von Senegal billiger beziehen kann. +Blutigel werden ebenfalls von L'Araisch ausgeführt, doch mehr +noch von Tanger und Mogador. Einfuhrartikel sind: Baumwollenstoffe, +Tuche, rohe und gefertigte Seide, Papier, Waffen, Metalle, wie +Eisen, Blei, Quecksilber, Schwefel, Alaun, Salpeter, +Colonialwaaren, darunter besonders Thee und Zucker, und +verschiedene Gegenstände, schlechte Schmucksachen, Porzellan +und Glaswaaren, Spiegel u. dergl. m. Die eben angeführten +Gegenstände sind so ziemlich in allen Häfen des Landes im +Handel dieselben.</p> +<p>Der Weg zwischen L'Araisch und Media oder Mehdia läuft +ununterbrochen auf einer Sandzunge hin, zwischen dem Meere +einerseits, den Sümpfen und Landseen andererseits gelegen. Auf +der ausgezeichneten Karte von A. Petermann, Mittheilungen Jahrgang +1865, Taf. 4, dann auch auf der Karte von Renou ist dies recht +deutlich zur Anschauung gebracht. Nehrungen und Haffe können +nur an flachen, sandigen Küsten entstehen, und so ist es ganz +natürlich, dass, wo die übrigen Bedingungen zur Haff- und +Nehrungbildung vorhanden sind, diese entstehen. Wie der Sand +Product des Meeres ist, so sind die Nehrungen, die aus Sand +bestehen, immer nur an flachen Küsten mit vielem Sande zu +beobachten. Es giebt nun Nehrungen, die an beiden Seiten noch mit +dem Festlande zusammenhängen, oder solche, die am Meere +durchbrochen sind. Erstere können entstehen dadurch, dass hohe +Dünen bei ausserordentlichen Fluthen nicht durchbrochen +werden, vom Ocean aber Wasser durchlassen, welches Wasser dann +hinter den parallel mit dem Meere laufenden Dünen einen See +bildet, oder es sammelt sich landwärts der Dünen das +Wasser von kleinen Flüssen an, bildet einen See, das Wasser, +ist aber nicht stark genug, die Nehrung zu durchbrechen, oder auch +das Wasser aus dem Landsee ergiesst sich unter der Nehrung in den +Ocean. Nehrungen werden durchbrochen dadurch, dass sich die +Flüsse einen Ausgang bahnen, oder durch den Ocean selbst, in +beiden Fällen sind Haffe hergestellt.</p> +<p>An verschiedenen Stellen von Afrika hat man Nehrungen und Haffe, +so vor dem Delta des Nil in Aegypten, die bedeutender sind, als +unsere deutschen in der Ostsee, oder an der Küste von Guinea; +die Nehrung an der Küste von Marokko zieht sich von L'Araisch +bis Rbat hin, hat also eine Länge von fast 17 deutschen +Meilen.</p> +<p>Landeinwärts von der Nehrung ist im Winter ein 2-3 Meilen +breiter See, der im Sommer zum Sumpf wird, daher im Norden bei +Mulei Bu Slemm der Name Mordja<a href="#F125"><sup>125</sup></a> Ras el +Daura, und südlich von Mehdia, Mordja el Mehdia. Gleich +unmittelbar östlich vom See oder Sumpf stösst jener +ausgedehnte Korkeichenwald, der nördlich bei L'Araisch +beginnend im Süden bei Rbat endet.</p> +<blockquote><a name="F125" id="F125"></a>[Fußnote 125: Mordja +heisst Sumpf]</blockquote> +<p>Zahllose Wasservögel, Enten, Pelicane, Ibisse und andere +halten sich hier auf, und im Sommer kommen Hyänen, Schakale +und Wildschweine aus dem Korkeichenwald, um im feuchten Sumpfe zu +jagen. Die ganze Nehrung selbst ist bewohnt von Arabern. Meistens +haben sie ihre Zelte auf der Landseite und zwar nie +kreisförmig, sondern, als ob sie gewissermassen der langen +Form der Nehrung sich anpassen wollten, immer in einer langen Reihe +aufgeschlagen. Die Dünen sind zum Theil gut bewachsen, meist +mit Lentisken, aber auch Grasfutter für Rind- und Schafheerden +ist reichlich vorhanden.</p> +<p>Gewöhnlich legt man den Weg bis Mehdia längs des +Wassers in zwei Tagemärschen zurück, der grossen Hitze +wegen, und weil wir uns häufig damit aufhielten, im Ocean zu +baden, brauchten wir vier Tage. Ueberall fanden wir übrigens +ausgezeichnete Gastfreundschaft, und die herrlichen Wassermelonen, +welche die Nehrung hervorbringt, haben mir nirgends besser gemundet +als hier. Zwei hübsche Grabstätten sind unmittelbar am +Meeresstrande erbaut: Mulei Bu Slemm<a href="#F126"><sup>126</sup></a>, eine +Tagereise südlich von L'Araisch, aus mehreren Domen bestehend, +dann Mulei Hammed bel Cheir, gleich vis-à-vis von Mehdia auf +einer kleinen Anhöhe. Gegen 3 Uhr Nachmittags am vierten Tage +erreichten wir Mehdia, am linken Ufer des Sebu gelegen.</p> +<blockquote><a name="F126" id="F126"></a>[Fußnote 126: Die +meisten Geographen halten Mulei Bu Slemm für das alte Mamora, +Mamora antica, und doch glaube ich kaum, dass jemals bei Bu Slemm +dieser Ort gestanden hat.]</blockquote> +<p>Um überzusetzen mussten wir aber erst eine ziemlich weite +Strecke ca. ein K.-M. stromaufwärts gehen, wo sich die +Fähre befand, sodann kehrten wir auf das linke Ufer +zurück und erklommen den Pfad, der auf den steilen 417 Fuss +(nach Barth) hohen felsigen Hügel führt, auf dem Mehdia +liegt. In einem sehr schlechten Funduk fanden wir Unterkommen. +Mehdia ist ein kleines elendes Dorf, von vielleicht zweihundert +Einwohnern, wegen seiner beherrschenden Lage war es einst wichtig +und könnte am schiffbaren Sebu, dem Flusse, an dem Fes liegt, +leicht wieder zu einer blühenden Stadt gemacht werden. Die +Mündung des Sebu ist jedoch nicht breiter als vielleicht 1000 +Schritt, aber sehr tief unmittelbar unterhalb der Stadt. Der Sebu +ergiesst sich aber nicht in gerader Linie in den Ocean, sondern, +schief nach Norden geneigt. Eine starke Barre sperrt den Fluss +ab.</p> +<p>Als ich von Aussen den Ort besichtigte, fand ich unterhalb +desselben ein Labyrinth von Mauern, 4 Fuss dick und 20 Fuss hoch +aus massiven Steinen aufgeführt; ein Netz von viereckig +gemauerten Räumen darstellend. Die darüber befragten +Bewohner wussten keine Auskunft zu geben, aber in Leo finden wir +vollkommenen Aufschluss darüber:</p> +<p>Von Jacob el Mansor, der von 1184 bis 1199 regierte, erbaut, als +Vertheidigungsfeste des Eingangs des Sebu, wurde Mehdia später +zerstört und im Jahre 1515 schickte Don Manuel von Portugal +eine Flotte dahin ab, um dort eine Festung anzulegen. Kaum im Bau +begriffen, kam aber der zu der Zeit in Fes regierende Sultan +Mohammed ben Oatas mit einem Heere und überfiel Soldaten und +Arbeiter. Leo, der als Augenzeuge diesem Ueberfalle beiwohnte, +giebt davon eine ergreifende Schilderung. Die Portugiesen wurden +alle getödtet, die Schiffe verbrannt. Von 6-7000 Mann +Besatzung, durch Verrath zur Streckung der Waffen bewogen, wurden +die Meisten niedergemacht. Aus der Mündung des Sebu soll der +König von Fes hernach 400 Kanonen herausgefischt haben.</p> +<p>Später, am 6. August 1614, nahmen die Spanier noch einmal +Mamora (wie die Europäer und auch Leo Mehdia nannten), +errichteten ein Fort, welches aber am 2?. April 1681 [? unlesbar in +der gedruckten Ausgabe] von Mulei Ismail überfallen und +zerstört wurde. Seit der Zeit ist Mehdia, was es jetzt ist, +ein elendes Dorf.</p> +<p>Was nun die eben erwähnten Constructionen anbetrifft, so +sagt Leo<a href="#F127"><sup>127</sup></a> davon: "Die Portugiesen fingen +gleich nach ihrer Ankunft den Bau an; alle Fundamente waren schon +gelegt, mit den Mauern und Bastionen war ein Anfang gemacht etc." +Einen solchen <i>unfertigen</i>, nicht aber <i>zerstörten</i> +Eindruck machen denn auch die Bauten bei Mehdia. Was Mamora antica +anbetrifft, so dürfte dasselbe am anderen Ufer des Sebu zu +suchen sein, oder vielleicht der Hügel der Stadt, der +ebenfalls befestigt war, "Alt- Mamora", die am Strande von den +Portugiesen errichteten Bauten dagegen "Neu-Marmora" gewesen sein. +Aber in dem entfernten Mulei Bu Slemm Alt- Mamora suchen zu wollen +ist vollkommen unstatthaft, weil "Mamora" immer einen felsigen +Hügel bedeutet in Tamasirht-Sprache, ein solcher aber bei Bu +Slemm nicht vorhanden ist.</p> +<blockquote><a name="F127" id="F127"></a>[Fußnote 127: +Uebersetzung von Lorsbach, p. 185.]</blockquote> +<p>Barth fügt noch hinzu, dass keineswegs, wie die meisten +Geographen anzunehmen geneigt seien, hier Banasa gestanden habe +(Hemsö meint, Banasa habe gelegen, wo jetzt Mulei Bu Slemm +ist, eine Oertlichkeit, die gar nichts Einladendes zur +Gründung einer Stadt hat), welches eine Binnenstadt am oberen +Laufe des Sebu gewesen, sondern dass in Mamora die vom Ptolemaeus +erwähnte Stadt Subur zu erblicken sei. Ich füge noch +hinzu, dass im Lande bei den Eingebornen der Name Mamora vollkommen +unbekannt ist.</p> +<p>Wir blieben in Mehdia nur Nachts, am anderen Morgen früh +aufbrechend, waren wir Mittags in Sla, setzten gleich über und +blieben in Rbat in einem Funduk. Der Weg bot nichts Neues, +Nehrungformation war auch hier, nur müssen die hiesigen +Dünen älter sein, denn sie waren nach der Landseite dicht +mit Eichen, welche eine ausserordentlich zart- und +süssschmeckende Frucht tragen, bestanden, ausserdem waren +Korkeichen, Lentisken und wilde Oliven sichtbar.</p> +<p>Die Stadt Sla auf dem rechten Ufer des Bu Rgak oder +Bu-Raba<a href="#F128"><sup>128</sup></a> gelegen, ist ein Ort, welcher von +Aussen gesehen das allerregelmässigste Ansehen hat. Fast +viereckig ist die Stadt von hohen aber widerstandslosen Mauern, +welche ausserdem viereckige Vertheidigungsthürme haben, +umgeben. Mit ca. 10,000 Einwohnern, dürfen bis auf den +heutigen Tag in Sla keine Christen und Juden wohnen, der Grund +davon ist, dass die Bevölkerung sich hauptsächlich aus +aus Spanien vertriebenen Mohammedanern bildete, somit den +glühendsten Hass gegen Juden und Christen bewahrt hat. Am Ende +des vorigen Jahrhunderts war Sla, das sich den marokkanischen +Herrschern gegenüber fast als Republik gerirte, der +berüchtigtste Seeräubersitz am atlantischen Ocean. Im +Hafen von Sla und Arbat, oder in der Mündung des Sebu, fanden +die Piraten vor den verfolgenden Kriegsschiffen der Christen +sichere Stätten.</p> +<blockquote><a name="F128" id="F128"></a>[Fußnote 128: +Buragrag bei Leo und Maltzan.]</blockquote> +<p>Sla ist offenbar, wenn auch nicht genau der Lage nach, doch was +den Namen anbetrifft, das alte Sala. Ptolemaeus verlegt Sala +südöstlich von der Mündung des Flusses, also da wo +Arbat heute steht. Ebenso Plinius, der Buch V, 1 sagt: "Die Stadt +Sala am Flusse gl. N. gelegen, schon nahe der Wüste, und durch +Elephantenheerden, noch mehr aber durch den Stamm der Autolalen +unsicher gemacht, durch welche der Weg zum Atlasgebirge führt" +etc. Dass nun Arbat heute nicht den Namen Sla, sondern Arbat hat, +erklärt sich wohl aus dem Umstände, dass nach der +Zerstörung des alten Sala, die neue Stadt auf dem rechten Ufer +des Bu Raba angelegt wurde, während gegenüber die Stadt +Rbat um 1190 von Jacub el Mansor neu gegründet wurde, und nach +Delaporte den Namen Rbat el Ftah, d.h. Wahlstätte des Sieges +erhielt. Es ist also nicht nöthig um das alte Sala im heutigen +Rbat wiederzufinden, wie Barth es thut, auf die Grabmäler der +Beni-Merin bei der Mssala von Arbat hinzuweisen, welchen Ort Barth: +"Schaleh", Hemsö: "Scella, Seialla" und Marmol: "Mensala" +aussprechen hörten. Ich habe an anderen Orten gezeigt, dass +jede grössere marokkanische Stadt ihr Mssala hat, wo bei +grossen religiösen Festen die Gebete abgehalten +werden<a href="#F129"><sup>129</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F129" id="F129"></a>[Fußnote 129: +Maltzan sagt B. IV, p. 129: In der Nähe von Rabat liegt auf +demselben Ufer des Flusses ein kleiner Ort esch = Schaleh genannt. +Dieser Ort hat eine auffallend grosse Aehnlichkeit mit dem des +antiken "Sala". Es sind dies aber weiter nichts als Hütten und +Häuser, und Grabmäler um die "Mssala" gebaut, wie das +auch bei Fes, Uesan etc. vorkommt.]</blockquote> +<p>Die Stadt Sla ist von ihrem einstigen durch Piraterie erworbenen +Reichthum sehr heruntergekommen, so dass auch die Häuser der +Einwohner, die sich Slaui nennen, sehr klein und unansehnlich sind. +Als ich mit dem Grossscherif in der Stadt war, fand sich kein +einziges Gebäude gross genug ihn aufzunehmen, wir campirten +daher am Strande in unseren Zelten. Innerhalb der Mauern ist die +Hälfte der Stadt jetzt unbebaut. Die beiden Moscheen sind +gross und geräumig, aber sonst zeichnen sie sich durch nichts +weiter aus. Der Markt oder Bazar, Kessarieh, ist überdacht wie +in den meisten Städten, wie zur Zeit Leo's findet man hier +auch heute noch eine grosse Kammfabrikation aus Lentiskenholz.</p> +<p>Rbat, sowie es jetzt steht, eine Stadt von ca. 30,000 +Einwohnern, hat ein fast modernes südeuropäisches +Aussehen, namentlich von der Westseite her. Hier haben sich +hauptsächlich Christen und Juden Häuser gebaut, und +besonders letztere sind in Rbat zahlreich vertreten, da sie wie +auch die Christen in Sla nicht wohnen dürfen. In der +Mündung des Flusses könnten Rbat und Sla einen guten +Hafen haben, wenn nicht eine gefährliche Barre auf der Rhede +wäre, und wenn für eine gehörige Ausbaggerung +gesorgt würde. Jetzt kann der Hafen nur Schooner und kleine +Briggs aufnehmen. Der Handel ist indess ziemlich lebhaft, denn +eigentlich ist Rbat jetzt der natürliche Hafen für +Mikenes sowohl, als auch für Fes. Man exportirt hier +vorzugsweise Oel, Häute und Kork. Als eigne Fabrikation +betreibt man in Rbat hauptsächlich die Verfertigung wollener +Teppiche, an Güte und Dauerhaftigkeit kommen sie den syrischen +gleich, im Muster und in den Farben stehen sie allerdings +zurück. Ferner sind Schuhe, Burnusse und Matten +gerühmt.</p> +<p>Rbat auf dem bedeutend höher gelegenen linken Ufer des +Flusses gelegen, hat ein Castel auf seiner äussersten nach dem +Meere gerichteten Seite, mit sogen. bombenfesten Gewölben, und +dicht dabei eine ziemlich grosse Djemma (Moschee) mit einem sehr +hübschen Smah (Minaret). v. Maltzan taxirt den Thurm auf 180' +und zieht ihn der Giralda von Spanien vor. Dieser Sma-Hassan ist +wie die Moschee selbst von Sultan Mansor erbaut. Leo sagt von ihm: +"Vor dem Süderthor liess er auch einen Thurm, dem zu Marokko +ähnlich, errichten, er hat aber viel breitere Treppen, worauf +3 Pferde nebeneinander hinaufkommen können. Ich (Leo) rechne +diesen Thurm in Rücksicht auf seine Höhe zu den +bewundernswürdigen Gebäuden."—Für Marokko, +welches in keiner einzigen Stadt einen nur irgend bedeutend hohen +Minaret hat, ist dieser Thurm des Hassan allerdings eine +ausnahmsweise hohe Baute, aber im Orient trifft man bei den +Mohammedanern bei Weitem höhere Minarets.</p> +<p>Der Palast des Sultans ausserhalb der Stadt Rbat im Süden +und fast hart am Meere gelegen, ein vollkommen neues Gebäude, +und irre ich nicht, erst vom jetzigen Sultan erbaut, zeichnet sich +nur durch Kasernenhaftigkeit aus. Es ist ein ziemlich unbedeutendes +Gebäude, mit einer Beletage, hat viele Fenster, die aber nicht +Glasscheiben besitzen, sondern durch hölzerne Jalousien +verschlagen sind. Vor dem Schlosse nach dem Strande zu befinden +sich Erdschanzen auf europäische Weise errichtet; einige +Kanonen sind ebenfalls darin.</p> +<p>Der von Maltzan erwähnte "römische Aquaduct" +ausserhalb der Stadt, dessen Ruinen noch heute vorhanden sind, ist +indess nicht römischen Ursprungs, wenn man anders den +Aufzeichnungen von Leo Glauben schenken kann. Derselbe sagt p. 177: +"Weil in der Nähe der Stadt kein sonderlich gutes Wasser war, +so liess Sultan Mansor eine Wasserleitung von einer Quelle, die +ungefähr 12 Meilen von der Stadt entfernt ist, hier anlegen; +sie besteht aus schönen Mauern, welche auf Bogen ruhen, gleich +denen, die man hier und da in Italien, vornehmlich um Rom sieht. +Diese Wasserleitung theilet sich in viele Theile: einige +führen Wasser in die Moscheen, andere in die Schulen, andere +in die Paläste des Königs, andere in die +öffentlichen Brunnen, dergleichen für alle Districte der +Stadt gemacht wurden. Nach Mansor's Tode nahm die Stadt +allmälig so ab, dass nicht ein Zehntel mehr übrig ist. +Die schöne Wasserleitung ist in den Kriegen der Meriniden +gegen Mansor's Nachfolger zerbrochen worden." So Leo. Ich muss +indess bekennen, dass nach Besichtigung der Ruinen dieser +Wasserleitung ich ebenfalls geneigt bin mit Maltzan sie für +römischen Ursprungs zu halten, da nirgends anderswo, soviel +ich das Land habe kennen lernen, die Marokkaner selbst irgend +ähnliche Bauten aus massiven Quadersteinen errichtet +haben.</p> +<p>Heutzutage entbehrt Rbat sehr dieser Wasserleitung, die +Einwohner behelfen sich zum Theil mit dem Wasser ihrer Cisternen, +zum Theil holen sie weither ihr Trinkwasser in Schläuchen. +Nirgends ist daher auch das Trinkwasser theurer als in Rbat. In +allen grösseren marokkanischen Städten durchziehen +Wasserverkäufer mit einem grossen Schlauch auf dem +Rücken, in der einen Hand eine Glocke, in der anderen einen +Becher haltend, die Strassen und verkaufen dem Durstigen für +einen Fls. den Labetrunk, der dann so bemessen ist, dass der +Käufer so viel trinken kann, wie er Durst hat. In Rbat aber +muss ganz genau das Maass inne gehalten werden.</p> +<p>Im Uebrigen hat die Stadt nichts Merkwürdiges, nur will ich +nicht unterlassen auf die unvergleichlich schönen Gärten +aufmerksam zu machen, die sich längs des linken hohen +Flussufers hinziehen. Was nur das glückliche Klima des +Mittelmeeres hervorbringt, findet man hier blühen und +grünen.</p> +<p>Ich blieb nur kurze Zait [Zeit] in Rbat, und durch die lang +ausgedehnte jetzt leere Stätte der Mhalla (die Armee des +Sultans), welche südwärts der Stadt sich befand, dahin +eilend, zog ich dem Süden weiter entgegen. Ich hatte nun +vollkommen unbekanntes Land vor mir, bis Rbat, wo ich auch +früher schon gewesen war, hatte ich fast alles Land kennen +gelernt, was im Bereiche des "civilisirten Marokko" lag. Einsam +ohne Karavanen zogen meine Begleiter und ich längs des +Strandes dahin, den grauen Esel vor uns hertreibend. Der Weg +längs des Strandes bleibt auch hier einförmig und +langweilig. Indess so wenig die Natur bietet, so belebt ist +andererseits dieser Weg durch Menschen, denn bis Asamor ist hier +die Hauptroute von Rbat nach Marokko, von Asamor verlässt die +Strasse das Meer, um ins Innere sich hineinzuziehen.</p> +<p>Längs der Küste ziehen sich eine Menge Kasbahs hin, +zum Theil in leidlichem Zustande, zum Theil verfallen; sie erinnern +lebhaft an die Befestigungen in Spanien und Italien, deren +Küsten ebenfalls überall mit Thürmen und Festungen +garnirt sind. In diesen Kasbahs kann der Wanderer Schutz vor +schlechter Witterung finden, oder übernachten, sonst bieten +sie aber in der Regel nichts, und die meisten sind ohne Insassen. +Wir gingen bis Mitternacht und nächtigten sodann in der Kasbah +Scharret, am Flüsschen gl. N. gelegen. Diese Kasbah bildet +zugleich eine Cavalleriekaserne, es befanden sich etwa 200 Reiter +mit ihren Pferden in derselben. Wir konnten von diesen Reitern +unser Abendbrod kaufen, eigentliche Kaufleute waren aber nicht +vorhanden.</p> +<p>Zwischen Rbat und Asamor finden sich eine Menge von kleinen +Flüssen, die von Osten kommend alle das Meer <i>mit Wasser</i> +erreichen, und auch das ganze Jahr Wasser halten. So passirten wir +am folgenden Tage den Ued-Bu- Steka und drei andere kleine +Flüsse, und befanden uns Mittags am Ued- Mansuria, der an +seiner Mündung, zur Fluthzeit, nicht zu passiren ist. Nach +langem Suchen fanden wir endlich stromaufwärts gehend eine +Furth, die uns durchliess. Der auf den Karten angegebene Ort +Mansuria <i>existirt nicht</i>. Auf dem linken Ufer des +Flüsschens befinden sich die Trümmer der Kasbah Mansuria. +Der Ort Mansuria soll nach Leo auch nicht am Ocean, sondern zwei +Meilen stromaufwärts am Flüsschen, das er Guir nennt, +gelegen sein. Aber schon zu Leo's Zeiten war das genannte +Städtchen nur noch ein Trümmerhaufe.</p> +<p>Wir gingen selben Tags noch bis zur Mündung des Flusses +Ued-el-Milha, an dessen linkem Ufer die Kasbah Fidala liegt. Ob +Fidala nach der Meinung Gosselin's das alte Kerne<a href= +"#F130"><sup>130</sup></a> gewesen sei, wage ich nicht zu entscheiden; eine +Insel ist in der Mündung des Flusses nicht, wohl aber ist auch +hier eine Nehrung. Im Innern der sehr geräumigen Kasbah +lagerte ein ganzer Stamm unter Zelten, aber auch feste Wohnungen +waren da. Namentlich zeichnete sich die in der Mitte der Burg +liegende Djemma durch Sauberkeit der Arbeit und gute Conservirung +aus. Die Tholba (Schriftgelehrten) luden uns freundlichst ein, in +derselben die Nacht zuzubringen. Die meisten Häuser, die in +Fidala sind, liegen in Ruinen, der edle Styl derselben, die +Abwesenheit des maurischen Schwibbogens an Fenstern und Thüren +sagen uns mit Sicherheit, dass diese Gebäude von +Europäern erbaut wurden. Renou behauptet indess, dass Fidala +1773 von Sultan Mohammed gegründet sei. An vielen der Fenster +waren sogar noch Balcons.</p> +<blockquote><a name="F130" id="F130"></a>[Fußnote 130: Kerne +möchte eher beim heutigen Agadir zu suchen sein, obgleich auch +dort in der Bucht keine kleine Insel sich befindet, aber +keineswegs, wie Knötel meint, die Insel im Rio do Ouro +sein.]</blockquote> +<p>Am folgenden Morgen passirten wir eine lange über den +schmalen Fluss Ued- Dir führende Brücke, derselbe soll +jedoch manchmal weit austreten. Die Gegend bleibt immer dieselbe, +rechts das Meer, und links die nicht enden wollende Gegend der +Provinz oder Landschaft Temsena, nur einmal unterbrochen durch den +grossen längs der Küste sich hinziehenden Sumpf Um- +Magnudj. Die gut bevölkerte Gegend bringt hauptsächlich +Mais hervor, der den Leuten als Hauptnahrung dient, indem sie ganz +wie die Italiener eine Polenta davon bereiten. Man kann sagen, dass +an der ganzen Küste von L'Araisch bis Asamor nicht die zu +Kuskussu verarbeitete Gerste, sondern der Mais oder türkische +Weizen die Nationalkost ist. Auch wird davon viel nach Spanien und +Portugal exportirt.</p> +<p>Am selben Abend noch waren wir in Dar-beida (Weissenstadt und +von den Spaniern Casa bianca übersetzt), wo wir bald bei einem +Kaffeehausbesitzer, den ich von Fes her kannte, ein gastliches +Unterkommen fanden. Dar-beida bildet eine Art befestigten Vierecks, +dessen Mauern jedoch ausser Stande sind, den geringsten Widerstand +gegen Europäer zu leisten. Sowie von Masagan und Safi wird +auch von hier aus bedeutend exportirt, und hauptsächlich sind +es Wolle, Oel, Mais, Weizen, Mandeln und Felle, welche die +Eingeborenen den Europäern zu Markte bringen. Die +Einwohnerschaft von Dar-el-beida beläuft sich auf ca. 300 +[3000] Seelen, unter denen sich eine zu den übrigen +Hafenstädten Marokko's verhältnissmässig grosse Zahl +von Europäern befindet. Ich fand es höchst auffallend, +dass alle Lebensmittel hier so theuer waren, vielleicht ist die +Concurrenz der Europäer daran Schuld. In der Meeresbucht +befanden sich sieben grössere europäische Fahrzeuge, im +Begriffe, ihre Ladungen einzunehmen. Sie kommen meist ohne Waaren +an, wenn man anders nicht die Silberthaler (spanische und +französische) als Importationsartikel rechnen will. Aber der +Vortheil, den die Europäer auf die eben angeführten +Exportationsartikel machen, ist ein sehr grosser. Deutschland +betheiligt sich gar nicht daran. An Merkwürdigkeiten hat die +Stadt nichts aufzuweisen.</p> +<p>Maltzan nimmt an, dass Dar-beida oder Dar-el-beida die Stadt +Anfa Leo's sei. Es ist auch wohl nicht daran zu zweifeln, aber +Leo's Angaben über die Entfernung Anfa's sind höchst +ungenau, er sagt: "Anfa ist eine grosse von den Römern erbaute +Stadt am Ufer des Oceans, ungefähr 60 Meilen vom Atlas gegen +Norden, ungefähr 60 Meilen von Azemur gegen Osten und +ungefähr 40 Meilen von Rabat gegen Westen gelegen." Leo +scheint die Stadt gleich nach der Zerstörung derselben durch +die Portugiesen besucht zu haben, er fand sie ganz verödet und +von Einwohnern verlassen. Nach Maltzan wurde sie erst 1750 von +Mulei Ismaïl unter dem Namen Dar-el-beida wieder aufgebaut. +Nach Renou wiedererbaute sie Sultan Mohammed, was wahrscheinlicher +ist, da Ismaïl von 1672-1727 regierte. Von Dar-beida nach +Asamor brauchte ich zwei Tage. Der auf fast allen Karten Marokko's +angegebene Ort Mediona, der an der Küste liegen soll, existirt +dort nicht, wohl aber ca. 3 Meilen landeinwärts; Mediona ist +weiter nichts als eine von einigen Duar umgebene Kasbah.</p> +<p>Endlich war die weite Mündung des Um-Rbea, oder wie man +gewöhnlich sagt Mrbea erreicht. Der Fluss ist so tief, dass er +selbst zur Ebbezeit nie durchwatet werden kann, aber eine gute +Fähre ist vorhanden, mit der man übergesetzt wird. Der +Fluss Um-Rbea, vom Atlas entspringend, hat auf seinem linken Ufer +die bedeutende Stadt Asamor; aber so bedeutend dieselbe ist, ich +schätze die Einwohnerzahl auf 30,000 [3000] Seelen, so wird +ihrer selten in den geographischen Handbüchern gedacht. Der +Name Asamor bedeutet aus der Tamasirht-Sprache übersetzt, die +Oelbäume, und eigentlich hat die ganze Stadt den Namen +Asamor-es-Sidi-Bu-Schaib, d.h. die Oelbäume des gnädigen +Herrn Bu-Schaib. Ursprünglich war hier nämlich weiter +nichts als ein Sanctuarium dieses Schaib's, dessen kleine "Kubba", +in der er begraben liegt, sich noch heute in Asamor befindet und +die in naher Umgegend als ein grosses Heiligthum gilt. Die +Zahlenangaben über den Angriff von Asamor durch die +Portugiesen sind bei Maltzan nicht genau. Erst 1508 begannen die +Portugiesen zu belagern, jedoch ohne Erfolg, aber im Jahre 1513 +wurde die Stadt erobert, zerstört und nach einem +zweiunddreissigjährigen Besitze von den Christen freiwillig +aufgegeben<a href="#F131"><sup>131</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F131" id="F131"></a>[Fußnote 131: Siehe +darüber Leo, Dapper und Renou.]</blockquote> +<p>Asamor, auf einer ca. 150' hohen Anschwellung des Erdbodens +gelegen, wird merkwürdigerweise von Arlett mit nur 700 +Einwohnern angegeben. Andere aber, die doch auch gute Notizen +über die Stadt hatten oder auch Asamor selbst gesehen haben, +sind darüber auch anderer Meinung, so nennt Dapper sie +"überaus volkreich", Lempriere "ein grosser Ort." Die Sache +ist nämlich die, dass von allen Häfen, Asamor und Agadir +die einzigen sind, wohin Europäer selten kommen. In +<i>allen</i> marokkanischen Hafenstädten, so klein sie auch +sein mögen, giebt es Consuln und Consularagenten. So in +Arseila, in L'Araisch, in Masagan etc., aber in der Stadt Asamor +und Agadir sind weder christliche Consuln noch Europäer. +Allerdings sind in Sala auch keine Consuln, aber der Grund liegt +mehr in der Nähe von Neu-Sala oder Arbat, als in einer anderen +Ursache.</p> +<p>So ist denn auch Asamor eine vollkommen marokkanische Stadt, der +ganze Handel, die Industrie hat etwas urwüchsig Marokkanisches +an sich. In dieser schönen Flussmündung, welche +meilenweit nach oben hin noch salziges Meerwasser hinauftreibt, +sieht man nie europäische Schiffe. Der ganze Handel von Asamor +mit dem Binnenlande beruht auf eigner Production und Manufactur. +Man verfertigt namentlich Haike, Burnusse, Matten, Schuhe und +Töpfergeschirr. In der Nähe der Stadt ist bedeutender +Gemüsebau, aber die Früchte werden mehr nach aussen hin, +nach Dar-beida und Masagan exportirt, als in der Stadt selbst +aufgebraucht.</p> +<p>Ich durfte nicht unterlassen "den berühmten Heiligen Mulei +Bu-Schaib zu besuchen", so sagt man in der That in Marokko, +einerlei ob der Heilige noch lebt oder todt ist. Man redet dann +auch einen solchen Heiligen wenn er gestorben ist so an, als ob er +noch lebte: "es ssalamu alikum ia Mulei Bu- Schaib" etc. Als ich +eintrat in den kleinen Grabdom, war denn auch das ganze Mausoleum +voller Bittsteller, alle umhockten oder Umlagen den Sarkophag, d.h. +ein hölzernes mit rothem Tuch und reich mit Seide gesticktes +umhangenes Holzgestell. Den grössten und eigentlichen Segen +hatten indess nur die Schriftgelehrten des Mulei Bu-Schaib, die von +jedem Betenden eine Gabe zu erpressen wussten. Als höchst +merkwürdig fiel mir auf, dass diese Tholba (Schriftgelehrte) +durch besondere Tracht sich auszuzeichnen suchten von ihren +Mitgläubigen, wie die Pharisäer der Bibel. Bei den +übrigen Marokkanern unterscheidet sich aber, wie schon +angeführt, der Schriftgelehrte von seinen Mitgläubigen +nie durch Tracht, und wenn er auch der erste Faki der Djemma Mulei +Abd Allah Scherif von Uesan wäre. Sowie durch eigne Tracht, so +zeichneten sich denn auch diese Tholba durch grosse +Selbstgefälligkeit und religiöse Eitelkeit aus.</p> +<p>Ehe ich von Asamor aus weiter zog, muss ich eines kurzen +Abstechers erwähnen, den ich von hier aus mit einer Karavane +nach der Stadt Marokko, von den Eingebornen Marakesch genannt, +machte. Es war nur eine kleine Karavane aus lauter Eseltreibern +bestehend, welche Töpferwaaren ins Innere des Landes +führten, dabei bis Marokko wollten, um von dort andere Waaren +zurückzubringen. In Gesellschaft dieser Leute war es +vollkommen unmöglich irgendwie nur Aufzeichnungen zu machen. +Die Gegend sah zu der Zeit sehr traurig aus, da es Herbst war und +die ersehnten Regen wollten sich nicht einstellen, so dass man +hatte glauben können in der Vorwüste zu sein. Und doch +muss diese Landschaft im Winter und Frühling ein ganz +verändertes Aussehen haben. Die kahlen Lotusbüsche +bekleiden sich dann mit frischen hellgrünen Blättern, die +einförmige Zwergpalme sendet neue Fächer aus der Erde und +reift ihre kleinen äusserlich der Weintraube nicht +unähnlichen Beeren, Zwiebeln und Gräser spriessen aus der +Erde und die Heerden kehren von den immergrünen +Weideplätzen der Atlasstufen zurück.</p> +<p>Wir marschirten den ersten Tag sehr anstrengend, um zur rechten +Zeit auf dem Markte el Had (Sonntag) zu sein, und noch denselben +Tag wieder aufbrechend, überzogen wir sodann einen niederen +Gebirgszug von Nordwest nach Südost streichend, der an der +Gegend, wo wir ihn überschritten, den Namen Dj. Ssara +führte. Sobald man den Kamm dieser Hügel, welche zugleich +die Wasserscheide zwischen dem Mrbea und Tensift bilden, +überschritten hat, erblickt man die schneeigen Gipfel des +grossen Atlas. Aber so nahe die Berge zu sein scheinen, so fern +sind sie noch; ehe man nur die Stadt Marokko erreicht, hat man noch +drei Tagemärsche.</p> +<p>Der Sultan war zu der Zeit mit der ganzen Armee dort; er hatte +sich den Eintritt in die zweite Hauptstadt seines Landes +erkämpfen müssen. Die Stämme der Rhammena, +südwestlich von Marokko auf den Abhängen des Atlas +heimisch, hatten sich kurz vor seiner Ankunft empört und +hielten die Stadt umschlossen. Aber die Rhammena hatten nicht auf +die Kanonen des Sultans gerechnet, trotzdem sie sich ziemlich +hartnäckig bei der Sauya-ben-Sassy südlich von der Stadt +vertheidigten. Sobald die Kanonen erdröhnten, wurden sie +leicht bewältigt, und nachdem so und so viel Köpfe waren +abgeschnitten worden, welche als Warnung an sämmtliche +Städte des Reiches vertheilt wurden, nachdem sie aller Habe +waren beraubt worden, war wieder Ruhe im Lande.</p> +<p>Ich blieb nur zwei Tage in Marokko und verliess das Funduk +(Gasthaus) nur Abends, um nicht Bekannten zu begegnen. Denn +trotzdem der Sultan durch Vermittelung des englischen Gesandten mir +beim Weggange von Mikenes freigestellt hatte, im Lande zu bleiben +und überall frei hingehen zu können, fürchtete ich, +falls er erführe, ich sei in Marokko, festgehalten zu +werden.</p> +<p>Die Stadt Marokko ist nach Beaumier's Beobachtungen mit einem +holosterischen Barometer 408 Meter über dem Meere gelegen. Die +Einwohnezahl [Einwohnerzahl] der Stadt ist, sehr wechselnd, je +nachdem der Sultan anwesend ist oder nicht. Sir Drummond Hay, der +zuverlässigste Gewährsmann, und der von allen +Europäern am besten die Städte des Innern kennen lernte, +nimmt 70,000 Einwohner an. Zur Zeit, als er dort den Sultan +besuchte, ist das auch wohl richtig gewesen, in gewöhnlichen +Zeiten sind aber wohl nicht mehr Bewohner in der Stadt, als wie +Maltzan, Beaumier und Lambert annehmen: 50,000.</p> +<p>Nach Leo und den meisten Geographen soll Marokko von +Yussuf-ben-Taschfin erbaut sein, Renou, sich auf Cooley +stützend, giebt das Jahr 1073 als Erbauungsjahr an. Es ist +indess wohl genauer, wenn wir mit Sedillot festhalten, dass der +Feldherr Abu-Bekr, ein Partisan von Abd-Allah-ben- Taschfin, einige +Jahre früher die Stadt anlegte. Von der Bedeutung aber, wie +Marokko unter Yussuf, unter seinem Sohne Ali gewesen ist, von +welcher Epoche Leo sagt, die Stadt habe hunderttausend Häuser +gehabt, davon hat dieselbe nur den grossen Umfang behalten. Nach +Lambert sollen die jetzigen Mauern der Stadt, die aus Tabi (d.h. +einer Mischung aus Thon, Kalk und kleinen Steinchen, welche Masse +zwischen Brettern gestampft und gepresst wird) bestehen, und die +wie die Umfassungsmauern aller marokkanischen Städte von +Entfernung zu Entfernung flankirende Thürme haben, vom Sultan +Mohammed ben Abd-Allah (1757-1790), dem fähigsten und +bedeutendsten marokkanischen Kaiser der Neuzeit, gegründet +sein.</p> +<p>Ganz entgegengesetzt zu Fes hat die Stadt Marokko mit wenigen +Ausnahmen nur einstöckige Wohnungen, und an den Seiten der +<i>breiten</i> Gassen findet man oft grosse Gärten. Nur im +Handelscentrum der Stadt verengen die engstehenden Häuser die +Strassen. Im Uebrigen hat die Stadt ihre Kessaria (eine ganz neu +erbaute für fremde Artikel ist nach Lambert kürzlich +hinzugekommen), ihre Ataria, ihre grossen und kleinen Funduks, ihre +Marktplätze, auf denen der bedeutendste Markt vor der Djemma +el Fanah und der andere ausserhalb der Stadt vor dem Thore "Chamis" +abgehalten werden. Auch ein Narrenhaus, Morstan, befindet sich in +Marokko mit ähnlicher Einrichtung wie in Fes.</p> +<p>An öffentlichen Gebäuden ist die Stadt arm, der Palast +des Sultans, obschon äusserst umfangreich, zeichnet sich durch +nichts aus. Die berühmteste Moschee ist die Kutubia, so +genannt von den Adulen (Schreibern) und Ketabat (Büchern), +welche dort, erstere ihr Handwerk treiben, letztere ebenda zu +kaufen sind. Der hohe Thurm der Kutubia soll nach Lambert ca. 250 +Fuss, nach Maltzan ca. 210 Fuss hoch sein, und v. Maltzan +schätzt die Architektur auch dieses Thurmes höher als die +der Giralda von Sevilla, welche doch von Lübke in seiner +Geschichte der Architektur als eines der schönsten +Baudenkmäler spanisch-maurischer Architektur hervorgehoben +wird. Was die innere Anordnung der Djemma anbetrifft, so gleicht +sie fast der grossen den "Erzengeln" gewidmeten Moschee in Fes. +Auch hier die grosse Zahl von Säulen, die von Spanien +hergeholt sein sollen, auch hier die reizenden Springbrunnen, die +aber oft genug kein Wasser spenden. Denn die einst so schönen +Wasserleitungen der Stadt, weiche von den Bergen Misfua und Mulei +Brahim das Wasser der Stadt zuführen, liegen in +verwahrlosetstem Zustande. Von den übrigen Moscheen ist wenig +zu berichten. Das grösste Heiligthum der Stadt ist die Sauya +des Sidi-bel-Abbes, im Norden der Stadt gelegen. Sidi- bel-Abbes +ist zugleich der Schutzpatron der Stadt, er liegt dort in einer +kleinen Kubba begraben. Alle Fremde, namentlich Pilger, werden hier +unentgeltlich drei Tage lang verpflegt; es versteht sich, dass +diese Sauya auch Zufluchtsort für Verbrecher und +unrechtmässig Verfolgte ist.</p> +<p>Das Ghetto der Juden, wie in allen marokkanischen Städten +"Milha" genannt, d.h. der gesalzene Ort, wird nach Lambert +häufig Spasses halber von den Mohammedanern "Messus", d.h. der +"salzlose Ort" genannt; man schätzt die Zahl der Juden auf +6000 Seelen. Moses Montefiori, der im Jahre 1864 in Marokko war, um +beim Sultan eine verbesserte Lage für seine unglücklichen +Glaubensgenossen herbeizuführen, hat dies trotz seiner reichen +Geschenke keineswegs zu Wege bringen können, sie leben dort +heute noch in derselben unglücklichen und unterdrückten +Art, wie bisher. Für die Christen scheint aber dort ein +Umschwung eingetreten zu sein. Beaumier konnte mit seiner Frau, +freilich in seiner Eigenschaft als Consul, im Jahre 1868 +unbehindert die Stadt nach allen Richtungen hin durchziehen, und +der schon mehrere Male genannte Hr. Lambert bewohnt Marokko seit +Jahren. Um dies zu können, muss man aber vor allem der Sprache +vollkommen mächtig sein, und man muss es verstehen, +Demüthigungen und Vexationen, ähnlich wie sie von den +Mohammedanern den Juden täglich auferlegt werden, zu ertragen. +Aber keineswegs möchte ich doch empfehlen, wie Hr. Lambert das +am Ende seines der Pariser geographischen Gesellschaft +überreichten Berichtes thut: "die Touristen einzuladen, statt +nach oft besuchten Gegenden zu gehen, nach Marokko zu kommen, um +Ausflüge in die Umgegend zu machen". Solche sichere +Zustände herrschen heute im Innern dieses Landes noch +nicht<a href="#F132"><sup>132</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F132" id="F132"></a>[Fußnote 132: Die +Folge eines solchen französischen Berichtes verursachte auch +den Tod von Alexandrine Tinne. Sie berief sich stets auf die +zwischen Colonel Mircher und den Tuareg vereinbarten Verträge, +als man ihr rieth nicht ins Land der Tuareg zu gehen; Obschon sie +wissen musste, dass diese Verträge nur auf dem +französischen Papiere existirten, da von Seiten der +mächtigen und besitzenden Tuaregfürsten Niemand +erschienen war mit Oberst Mircher zu unterhandeln.]</blockquote> +<p>Ausser diesen vereinzelten Christen und den der Zahl nach +genannten Juden besteht die Bevölkerung von Marokko aus +Berbern, Arabern und Schwarzen. Letztere, vorzugsweise wie in ganz +Marokko aus Haussa- und Bambara-Negern zusammengesetzt, fasst man +auch hier unter dem Namen Gnaui zusammen, sie sind alle Bekenner +des Islam, haben aber viele von ihren einheimischen Sitten +beibehalten. Dadurch, dass man fast mehr Schellah als Arabisch in +Marokko reden hört, könnte man versucht sein zu glauben, +die Berberbevölkerung sei überwiegend. Das ist aber nur +anscheinend und namentlich an den Markttagen, wo die ganze +Landbevölkerung in die Stadt hereinkommt, der Fall. Der +eigentliche Städter ist arabischer Herkunft, hat zwar oft viel +fremdes Blut, pocht aber darauf, für einen Araber gehalten zu +werden. Wie in den übrigen Städten Marokko's findet man +auch hier viele Bewohner aus den übrigen grossen Ortschaften +Nordafrika's, die manchmal einzelne Jahre lang, andere auch +für immer sich fixiren, oder auch noch im Alter, nachdem sie +ein kleines Vermögen erworben, in die Heimath +zurückkehren.</p> +<p>Für die Aussätzigen hat man im Norden der Stadt ein +eignes Dorf, Harrah<a href="#F133"><sup>133</sup></a> genannt; diese, die +nur unter sich heirathen, dort eine eigene Djemma (Gotteshaus) und +eigne Medressen (Schulen) haben, deren Vorstände ebenfalls +Aussätzige sind, dürfen nie die Stadt betreten. Dagegen +sieht man dieselben den ganzen Tag vor dem Thore "Dukala" +herumlungern, um Almosen zu erflehen. Es giebt übrigens auch +Begüterte unter ihnen, denn sie treiben Industrie, haben ihren +eignen Grund, auf dem sie ackern und Gärten bebauen, und die +übrigen Marokkaner scheuen sich nicht, mit ihnen zu handeln; +wenn aber Lambert sagt, die Furchtlosigkeit vor den +Aussätzigen würde so weit getrieben, dass die +Stadtbewohner mit den Leprösen aus einer Schüssel assen, +oder in einem Zimmer schliefen, so ist das wohl übertrieben. +In diesem Harrah giebt es eine Milha für die aussätzigen +Juden.</p> +<blockquote><a name="F133" id="F133"></a>[Fußnote 133: Mit +diesem Worte bezeichnet man in den östlichen Städten +Nordafrika's das Judenquartier.]</blockquote> +<p>Der Handel von Marokko ist gegen den von Fes gehalten gering, es +fehlt den Marokkanern die Geschicklichkeit und der +Unternehmungsgeist. Die einst so hoch berühmten Gerbereien von +Leder (Corduan, Maroquin, Safian) liegen im Verfall, allerdings +existiren noch ganze Strassen, wo man nur gelbe und rothe Leder, +oder davon fabricirte Schuhe kaufen kann, aber das schönste +Leder wird heute in Fes bereitet. Hauptwichtigkeit hat Marokko im +Handel für die südwärts gelegenen Atlastheile und +die grosse Oase des Ued-Draa. So beziehen denn auch sämmtliche +Arabertriben, die den beschwerlichen Weg über den Atlas +scheuen, ihre Dattelvorräthe von Marokko, und die Marokkaner +holen ihren Vorrath vom Draa.</p> +<p>Schon am dritten Tage Morgens verliessen wir die Stadt wieder. +Was mich anbetrifft, so hatte ich von derselben höchstens ein +Bild gewonnen, so wie es der jetzige Reisende mit nach Hause +bringt, wenn er die Eisenbahn verlässt, um sich in irgend +einer Stadt am Wege einen Tag lang aufzuhalten. Aus eigner +Anschauung hatte ich nur die Märkte bei Abend, die Kutubia und +die Sauya Sidi-bel-Abbes kennen gelernt.</p> +<p>Der Rückweg wurde auf dieselbe Art gemacht, nur für +mich auf angenehmere Weise, da einige reiche marokkanische +Kaufleute sich der Karavane angeschlossen hatten, welche Zelte +hatten, und die sich ausserdem täglich den Luxus einer Tasse +Thee erlaubten, und wenn wir in der Nähe eines Duars lagerten, +dafür sorgten, dass die ganze Karavane auf ihre Kosten Fleisch +bekam. Es ist sehr häufig, dass in diesem Lande, wo das +Alleinreisen mit der grössten Gefahr verbunden ist, sehr +reiche Kaufleute sich mit Maulthierkaravanen zusammenthun, und dass +sie unter dem "Aman", Schutz einer solchen "Gofla", Karavane weite +Reisen zurücklegen.</p> +<p>Wieder angekommen in Asamor, trennten wir uns, der reichere +Theil der Karavane zog nach dem Norden, der grösste Theil +blieb im Ort selbst, oder in der Umgegend, und wir beide zogen +längs des Oceans weiter, nachdem wir noch einige Tage Rast in +der Stadt gemacht hatten. Bis zum nächsten Orte el Bridja, +d.h. kleine Burg, von den Europäern Masagan genannt, ist +gerade eine deutsche Meile Weges.</p> +<p>El Bridja, ein länglichtes ummauertes Viereck, wird fast +nur von Europäern und Juden bewohnt, und der Handel, der in +Asamor sein sollte, wird hier betrieben. Die Mohammedaner +begnügen sich damit ausserhalb der Stadtmauer, die +übrigens halb in Ruinen ist, in Hütten und Zelten zu +wohnen. In el Bridja, Masagan, oder wie sie drittens von den +Gläubigen genannt wird: Dar djedida, d.h. Neustadt<a href= +"#F134"><sup>134</sup></a>, ist denn auch ein bedeutender Export-Handel, den +Beaumier auf 1/8 der Gesammtausfuhr vom Lande anschlägt. Ich +traf dort über 20 europäische Schiffe auf der Rhede, und +wie lebhaft der Handel dort florirt, geht am besten daraus hervor, +dass in diesem kleinen Orte, wo 1864 sicher nicht mehr als 1000 +Einwohner waren, alle europäische Nationen einen Vertreter +hatten.</p> +<blockquote><a name="F134" id="F134"></a>[Fußnote 134: Diese +kleine Stadt scheint sich durch den Reichthum an Namen +auszuzeichnen, man hört sie auch El-Maduma, d.h. die +Zerstörte, nennen.]</blockquote> +<p>Wir verliessen Masagan und wieder längs des Meeres ziehend, +kehrten wir Nachts bei Arabern in einem Duar (Zeltdorf) gelagert, +ein. Ein neues Unglück sollte mich hier erreichen, der Spanier +mein Begleiter war Nachts mit dem Esel aufgebrochen und hatte das +Weite gesucht. Er hatte mir nichts zurückgelassen, als was ich +auf dem Leibe trug, und ein kleines Ledertäschchen, welches +ich als Kissen unter dem Kopfe hatte, und worin +glücklicherweise etwas Geld war. Die Hauptsumme aber, alles +was ich an Kleidung besass, hatte er aufgepackt und war damit +verschwunden.—Es wäre unnütz gewesen +hinterdreinlaufen zu wollen, zumal ich annehmen musste, dass die +Leute des Zeltdorfes wohl mit ihm im Einverständnisse +gehandelt hatten, denn ohne ihr Wollen hätte er sich +unmöglich Nachts allein aus dem Duar entfernen können. +"Mktub er Lah", es war von Gott geschrieben, sagte ich nach Sitte +der Marokkaner, verliess das Zeltdorf, und erreichte ziemlich +früh Ualidia.</p> +<p>Dies ist jetzt ein kleines Dorf ohne alle Bedeutung, scheint +aber früh eine ziemlich bedeutende Stadt gewesen zu sein. Ein +Theil der Stadtmauern und der Thore sind noch vorhanden. An der +Küste befindet sich, südlich vom Dorfe, der beste Hafen +des ganzen marokkanischen Ufers, wenn derselbe auch nicht gross +ist. Es ist dieser Hafen lagunenartig, haffartig eingeschnitten, +der Art, dass die davorliegende Nehrung von Felsen gebildet ist. In +früheren Zeiten soll dieser Hafen auch benutzt worden sein, +jetzt liegt derselbe unbeachtet und fast unbekannt da. Verschiedene +Reisende, welche die Küsten Marokko's besucht haben, haben +auch auf die Vortrefflichkeit des Hafens von Ualidia aufmerksam +gemacht, unter ändern Frejus.—Nach Jackson wird Ualidia +so genannt, weil es vom Sultan Ualid erbaut worden ist.</p> +<p>Ich blieb in diesem Orte nur um zu frühstücken, das +Essen wurde mir auf zuvorkommende Weise von den Schriftgelehrten +der Djemma angeboten, und alle erflehten auf mich den Segen Allah's +herab, um mich für meinen Verlust zu trösten, und +zugleich verfehlten sie nicht den Vater des Diebes und ihn selbst +(in Gedanken und mit Worten) zu verbrennen, zu verfluchen und auf +ewig zu verdammen. Leider bekam ich dadurch meinen Esel nicht +wieder, und ihr Segen befreite mich auch nicht vom Fieber. So +musste ich Nachmittags schon wieder Zuflucht in einem Zeltdorfe +suchen, da ich von wahren Schüttelfrosten befallen wurde. Am +anderen Tage früh aufbrechend, erreichte ich nach einem +für mich recht anstrengenden Tagesmarsch spät Abends +Saffi.</p> +<p>Saffi, wie die Europäer die Stadt, Asfi, wie sie die +Eingeborenen nennen, liegt in einer weiten nach Westen offenen +Bucht, deren äusserster Nordpunkt vom Cap Cantin gebildet +wird. Die Stadt liegt unmittelbar am Ocean, ist von Mauern umgeben, +besitzt an der Nordseite ausserdem eine Kasbah und hat ca. 3000 +Einwohner, darunter einige Hundert Juden und ca. 50 Christen. Asfi +wurde 1508 von den Portugiesen erobert, und sie blieben im Besitze +der Stadt bis 1541, in welchem Jahre sie dieselbe freiwillig +aufgaben. Chénier führt an mehreren Stellen an, die +Portugiesen hätten Asfi 1641 verlassen, was aber wohl +irrthümlich ist, wenn man anders nicht nachweisen kann, dass +sie es zum zweiten Male genommen. Das beim Cap Cantin anfangende +oder endigende Gebirge Dj. Megher tritt, Asfi umgehend, +zurück, sendet aber kleine Ausläufer bis dicht zur Stadt, +dadurch wird die Ufer-Gegend weniger einförmig, und das +Gebirge selbst muss seines reichen Baumschmuckes halber je +näher man kommt desto romantischer sein.</p> +<p>Ich fand in Asfi alle Funduks besetzt, fand aber bei einem Juden +Unterkommen. Mein erster Gang war zum englischen Consul Mr. +Carstensen, denn so sehr ich sonst auch mied, mit Europäern in +Berührung zu kommen, so zwang mich andererseits mein Zustand, +mich auf alle Fälle wieder in den Besitz von Chinin zu setzen. +Ich fand selbstverständlich den freundlichsten Empfang, nicht +nur fand ich das ersehnte Medicament, auch mit einer kleinen +Geldsumme half Hr. Carstensen (die ich ein Jahr später die +Freude hatte, ihm persönlich in Tanger zurückerstatten zu +können) auf edelmüthige Art aus. Ehemaliger +dänischer Officier, hatte Mr. Carstensen später in dem +Krimkriege unter den Engländern Dienste genommen, und war +durch Verheirathung in die englische Consulatscarrière +gekommen. Seine Einladung, auf dem Consulate zu logiren, schlug ich +indess wohlweislich aus, ebenso verführten mich auch nicht die +Anerbietungen des französischen Consuls, dessen beiden +Söhne, obschon Christen, auffallenderweise immer in +marokkanischer Tracht gingen. Aber das Essen, welches mir Hr. +Carstensen nach meinem Judenquartier während meines +Aufenthaltes schickte, Teller, Messer und Gabeln, Servietten und +Wein fehlten auch nicht, liess ich mir herrlich schmecken. Seit +zwei Jahren das erste Mal, dass ich das Essen nicht direct mit +<i>den Fingern</i> in den Mund zu bringen brauchte.</p> +<p>Ich blieb zwei Tage in dieser regen Handelsstadt, auf welche +nach Beaumier 1/8 des gesammten Seehandels kommt. Auf der Rhede +lagen auch hier mehrere europäische Kauffahrer.</p> +<p>Der Weg von Asfi bis zum Fluss Tensift ist äusserst +beschwerlich; wenn Fluth ist, tritt das Wasser nämlich dicht +an die Felsen, und über diese muss man dann bergauf bergab +klettern, da das Gebirge gegen das Meer hin sich durch zahllose +Rinnsale zerklüftet. Man braucht von der Hauptstadt der +Landschaft Abda, d.h. von Asfi bis zum Ued-Tensift, der zugleich +die Grenze der Landschaft Schiadma ist, 6 Wegstunden.</p> +<p>Obschon die Mündung des Tensift sehr breit ist und hohe +abschüssige Ufer hat, kann man sie zur Zeit der Ebbe +durchwaten. Aber die Eingebornen müssen zur Hand sein, um die +Stelle zu zeigen. Das äusserste rechte Ufer wird gebildet +durch den südlichen Vorsprung des Megher-Gebirges, welches +eigentlich mit dem Hadid-Gebirge Eins ist, denn am linken Ufer des +Tensift zeigen die Gesteinmassen des Dj. Hadid so vollkommene +Uebereinstimmung mit dem Megher-Gebirge, dass man zur Annahme +berechtigt ist, der Ued-Tensift habe diesen Gebirgszug +durchbrochen, um das Meer zu gewinnen. Einen Ort Rabat el Kus, wie +er im Maltzan und auf verschiedenen Karten an der Mündung des +Tensift angegeben ist, fand ich nicht. Hingegen stiess ich (das +Uebersetzen hatte viel Zeit weggenommen) auf dem linken Ufer auf +die kleine Sauya Sidi el Hussein, in der ich freundliche Aufnahme +fand und nächtigte. Höchst romantisch nahmen sich von +hier ca. 1 Stunde entfernt, im Osten die Ruinen einer alten Burg, +Namens Kasbah Hammiduh, aus. Mitten im Walde auf schroffem Felsen +gelegen, hatte es ehemals wohl die Aufgabe, die Einfahrt in den +Tensift zu vertheidigen.</p> +<p>Die Gegend wird jetzt immer abwechselnder, tiefe Buchten, welche +das Meer macht, bewaldete Bergabhänge, entschädigen +für den langweiligen Marsch auf dem weissen Sande des +Strandes. Ich nächtigte noch einmal bei einer Grabkapelle Sidi +Abd Allah Bettich und erreichte sodann am dritten Tage nach meiner +Abreise von Asfi am Morgen früh die Stadt Ssuera oder +Mogador.</p> +<p>Mogador ist eine Schöpfung neuester Zeit. Ob der Ort +Tamusiga des Ptolemaeus oder, wie Knötel will, Suriga hier +gelegen hat, lasse ich dahin gestellt sein. Letzterer meint, der +Name Ssuera sei von Suriga abgeleitet. So ähnlich nun auch +beide Namen sind, so dürfte die Etymologie de Laporte's die +richtigere sein. Er leitet Ssuera von Ssura Bildniss her, Ssuera +würde dann kleines Bild bedeuten, und da in Marokko manchmal +mit dem arabischen Diminutiv etwas Hübsches, Niedliches, +verbunden gedacht wird, so würde Ssuera "liebliches Bildchen" +bedeuten. Diese Herleitung des Wortes Ssuera von Ssura hat um so +mehr Wahrscheinlichkeit, als die Berber die Stadt Tassurt nennen +und dies bedeutet in der Berbersprache ebenfalls ein hübsches +Bildchen.</p> +<p>Der Name Mogador kommt ohne Zweifel vom Grabmal des Heiligen +Sidi Mogdal oder Mogdur her, dessen Kapelle sich südlich vom +jetzigen Orte in nicht weiter Ferne befindet. Wenn übrigens +die Stadt Mogador erst 1760 vom Sultan Mohammed-ben-Abd-Allah +gegründet, und wie eine noch am Hafen befindliche Inschrift +bekundet 1184 (1773 nach J.C.) vollendet wurde, so wissen wir aus +den Berichten der Väter der Provinz Touraine, dass der Name +Mogador, den sie auf die vor Mogador liegenden Inseln anwenden, +schon bedeutend früher vorkommt; ja, man findet Hafen und +Insel Mogador schon auf der catalanischen Karte von 1375 +eingetragen<a href="#F135"><sup>135</sup></a>.</p> +<blockquote><a name="F135" id="F135"></a>[Fußnote 135: Renou +p. 43.]</blockquote> +<p>Die Stadt liegt auf einer kurzen, flachen und nach Südwest +ins Meer sich senkenden Landspitze. Vor der Bucht, welche so +gebildet wird, zieht sich dann eine grössere Insel hin, und +weiter nach Süden und dem Lande näher, noch vier kleine +Eilande. Die grosse Insel ist durch ein Fort befestigt, das aber +jetzt nur marokkanische Sträflinge enthält, und seit dem +Bombardement des Prinzen Joinville am 14. August 1844 nur +äusserst nothdürftig wieder hergestellt ist. Eine der +kleineren flachen Inseln hat ebenfalls eine Fortification. Die +Stadt, selbst, fast viereckig von Form, ist eigentlich nach der +Seeseite zu befestigt, denn die Mauern nach der Landseite zu, etwa +20' hoch sind kaum 6' dick und aus dem schlechtesten Material +erbaut. Nach der Wasserseite aber ist die Kasbah mit ca. 30' hohen +Mauern und Bastionen, und diese Kasbah, worin der Gouverneur, die +Consuln, vornehme Christen und Juden wohnen, ist auch von der +eigentlichen Stadt durch eine gleich hohe Mauer getrennt. Diese hat +breitere und vollkommen gerade Strassen und nur einstöckige +Wohnungen, während in der Kasbah die Strassen zwar auch +gerade, aber eng sind, was noch um so mehr hervortritt, weil die +Häuser der Kasbah meist mehrere Stock haben. Der Marktplatz +des Ortes hat Säulengänge, ähnlich wie in +L'Araisch.</p> +<p>Die Zahl der Bevölkerung dürfte 10-12000 Seelen incl. +der Juden und Christen betragen. Dass Mogador, obschon am +entferntesten von Europa gelegen, bislang von allen marokkanischen +Häfen den bedeutendsten Handel hatte, verdankt es nicht allein +den Anstrengungen der marokkanischen Regierung, sondern zum Theil +seinem reichen Hinterlande; dann auch weil Agadir den +Europäern verschlossen worden ist, und somit alle Producte der +Landschaften südlich vom Atlas, ja von einem Theile des Sudan +her, hier zusammenströmen. Indess dürfte Tanger, was +Werth und Menge der Aus- und Einfuhr anbetrifft, wohl bald Mogador +überflügeln. Importirt werden hier besonders +Baumwollenstoffe und Thee aus England, Zucker aus Belgien und +Frankreich, Tuche, Wachszündhölzchen und Stearinlichte +aus Frankreich (letztere, sowie auch Salonzündhölzchen, +ebenfalls aus Wien), Bretter aus Oesterreich, Stahlwaaren und +Waffen aus England und Deutschland, endlich eine Menge kleinerer +Sachen aus Deutschland, welche aber nur durch Zwischenhandel dahin +gelangen. Exportirt wird Getreide, hauptsächlich Weizen, +Gerste und Mais, trockne Hülsenfrüchte, besonders +Saubohnen, Thierfelle, Schafwolle, und an Früchten Mandeln, +Datteln, Oliven; aus dem Sudan werden Federn und Elfenbein +gebracht, Gummi kommt heute in Mogador wohl kaum mehr zum Export. +Ebenso hat die Sclavenausfuhr von hier, die in den dreissiger +Jahren auch von deutschen Schiffen unter dem Namen von +"Ebenholzhandel" stark betrieben wurde, ganz aufgehört.</p> +<p>Mogador hat wirkliche Consuln aller Mächte, mit Ausnahme +des Deutschen Reiches.</p> +<p>Ich hatte mir in einem Funduk ein leidliches Zimmer zu +verschaffen gewusst und blieb einige Tage in der Stadt, um meine +Gesundheit wieder etwas herzustellen. Der englische Consul +versorgte mich mit Chinin.</p> +<p>Und dann sagte ich mit Mogador dem letzten Hauche der +Civilisation Lebewohl; ich wusste, weiter nach dem Süden zu +sei kein Christ mehr anzutreffen, ich wusste sogar, dass weiter +nach dem Süden zu mir die arabische Sprache mit Ausnahme in +den Städten, nichts mehr nützen würde.— Sobald +man die Stadt verlässt, befindet man sich in grossen +Sandpartien neueren Ursprunges, in Dünen, welche in +jüngster Zeit aus dem Meere ausgeworfen sein müssen. Ich +wanderte zum südlichen Thore hinaus, ganz ohne Begleitung. +Einige, besonders Juden und Christen, hatten mir den Weg bis Agadir +sehr gefahrvoll vorgestellt; andere, Mohammedaner, meinten, ich +habe nichts zu fürchten. Nachdem man eine halbe Stunde von der +Stadt entfernt die Kubba Sidi-Mogdal's passirt hat, des Heiligen, +welcher der Stadt den Namen gegeben hat, und der besonders bei der +weiblichen Bevölkerung in grosser Verehrung steht, erreicht +man zwei halb vom Sande verschlungene Schlösser des +Sultans.</p> +<p>Der Weg, der sich Anfangs gen Süden längs des Meeres +hinzieht, wendet sich bald darauf nach Osten und die Dünen +erreichen ihr Ende. Statt dessen kommt man in einen dichten 10-12' +hohen Binsenwald. Die Bewohner flechten Matten und Körbe aus +diesen Binsen, die jedoch bei Weitem nicht so dauerhaft sind, wie +jene aus den Blättern der Zwergpalme oder aus Halfa. Dieser +Binsenwald ist 3 Stunden breit, dann erreichte ich Mittags eine gut +ummauerte Quelle mit herrlichem Trinkwasser.</p> +<p>Von hier an nahm nun die Gegend einen ganz anderen Charakter an; +wilde Oliven, immergrüne Eichen, Lentisken- und +Lotusgebüsche wurden immer seltener, dagegen trat aber ein +Baum, der Argan, welcher in den Landschaften von Dukala, Abda, +Schiadma nur vereinzelt auftritt, hier derart seine Herrschaft an, +dass man wohl annehmen muss, diese Landschaft Haha, welche die +westlichsten Ausläufer des Atlas in sich begreift, sei die +eigentliche Heimath dieses nützlichen Baumes. +Eigenthümlich genug, findet sich dieser Argenbaum nur in +diesen Gegenden, sonst <i>nirgendwo</i> auf der Erde. Der +Elaeodendron Argan hat in der Regel die Grösse unserer +Obstbäume, mit dem Oelbaume hat er aber, obschon andere +Reisende ihn damit verglichen haben, keine Aehnlichkeit. Das helle +saftgrüne Blatt gleicht vielmehr den Myrtenblättern. Die +Frucht selbst, von der Grösse einer Olive, sieht, wenn +vollkommen reif, hochgelblich aus und hat einen widerlich +süssen Geschmack, für Menschen ist sie vollkommen +ungeniessbar. Aber desto mehr wird sie von den auf den +Bergabhängen weidenden Ziegen und Schafen aufgesucht. Und da +der Baum das ganze Jahr hindurch nach und nach Früchte +zeitigt, so hat man hier die fettesten und schönsten Heerden. +Der braune faltenreiche Stein der Frucht, länglich von Gestalt +und so gross wie ein Aprikosenkern, schliesst einen weissen Kern +ein, der äusserst bitter schmeckt, aber ein sehr gutes Oel +liefert, das in diesen Gegenden allgemein von den Eingeborenen zur +Speisebereitung benutzt wird. Auch in Mogador wird das Oel von den +Eingeborenen benutzt, von den Europäern aber nicht. Ich selbst +habe es natürlich immer essen müssen, und fand, hat man +sich erst etwas an den eigenthümlich angebrannten oder +räucherigen Geschmack gewöhnt, das Oel vollkommen +geniessbar. Der Arganbaum erreicht bisweilen die Höhe und den +Umfang, dass seine Stämme als Nutzholz verwerthet werden +können. Für die Zukunft, d.h. wenn Marokko in den Kreis +der Civilisation wird gezogen worden sein, dem es sich auf die +Dauer ebenso wenig wie ein anderes Land wird entziehen +können—wird dieser Baum der Landschaft Haha eine grosse +Rolle spielen. Leider denken jetzt die Eingeborenen so wenig daran, +materiell ihre Lage zu verbessern, dass sie es verschmähen, +die Früchte des Arganbaumes, von dem es ausgedehnte und dichte +Waldungen giebt, zu sammeln und zu Markte zu bringen, sondern es +vorziehen, sie meist auf dem Boden verfaulen zu lassen.</p> +<p>Ich übernachtete in einer Sauya, wo nur der Thaleb Arabisch +verstand, alle übrigen, Berber ihrer Nationalität nach, +sprechen und verstanden nur Schellah. Es war hier das letzte Dorf, +wenn man einige Hütten und Zelte, die sich um die Sauya herum +gruppirt hatten, so nennen will. Denn wenn die Gegend schon dadurch +einen eigenthümlichen Reiz bekömmt, dass der im +herrlichsten Grün prangende Arganbaum so vorwiegend sein Reich +hier inne hat, so wird man andererseits, je weiter man in Haha nach +dem Süden zu vordringt, durch die eigenthümliche Bauart, +durch das merkwürdige Wohnen der Eingebornen berührt. Im +Norden vom Atlas, im eigentlichen Marokko (Rharb el Djoani) wohnen +alle Eingeborenen, einerlei ob Berber oder Araber, entweder in +Häusern aus Stein zu Städten und Dörfern +<i>vereint</i>, oder in Zelten zu Zeltdörfern <i>vereint. +Einzelne</i> Wohnungen, <i>einzelne</i> Zelte findet man fast nie. +Hier ist nun Alles anders. Man glaubt sich plötzlich ins +Mittelalter zurückversetzt, die kleinen Berge und fast jeden +Hügel sieht man von einer grossen kastellartigen Burg +gekrönt. Sei es nun, dass es von jeher diesen Berbern gefallen +hat so zu wohnen, sei es, dass die grosse Unsicherheit der Gegend, +die steten Feindseligkeiten der einzelnen Stämme und Familien, +ein solches <i>befestigtes</i> Wehrsystem nothwendig machte, gewiss +ist es einzig in seiner Art. Denn die Städte, Dörfer, +Zeltdörfer oder <i>unbefestigte einzelne</i> Wohnungen fehlen +ganz und gar. Vier, fünf oder noch mehr Familien bewohnen +solche kastellartige Schlösser, welche meist viereckig von +Form eine Höhe von 20 bis 30 Fuss haben. Fast alle haben an +zwei Ecken hohe flankirende Thürme, und fast alle haben oben +auf der Umfassungsmauer Zacken. Sie sind aus soliden Steinen mit +Mörtel aufgeführt, haben einen schmalen Graben, besitzen +nur Ein Thor, welches in der Regel durch eine Zugbrücke von +dem umgebenden Terrain erreicht wird.</p> +<p>Im Innern dient der ganze untere Raum, sowie der grosse Hof +fürs Vieh, die Menschen haben in der zweiten Etage, die einen +gewölbten Boden hat, ihre Stätte, zu der man mittelst +einer Leiter, die man im Nothfalle nach sich ziehen kann, +hinaufkömmt; jede Familie hat nur ein Zimmer.</p> +<p>Da die hier vom grossen Atlas entspringenden Flüsschen alle +nur im Winter Wasser fortschwemmen, so haben die Eingeborenen +für Cisternen gesorgt, die man manchmal am Wege, manchmal an +irgend einer Oertlichkeit, die den Erbauern günstig schien, +eingerichtet findet. Diese Cisternen sind ganz in der Art und Weise +gebaut, wie die der Römer. Es sind 15 bis 20 Fuss lange, 5 bis +10 Fuss breite, 20 Fuss tiefe und aus behauenen Steinen +ausgemauerte Gruben, die oben <i>überwölbt</i> sind. +Durch ein kreisrundes Loch wird mittelst eines Eimers das Wasser +heraufgeholt, welches selbst, aus Regengüssen oder aus einem +Rinnsale gesammelt, mittelst eines anderen Loches hineinfliesst. +Cisternen mit mehreren Abtheilungen sind mir nicht zu Gesichte +gekommen, indess mögen sie auch vielleicht existiren. Einzelne +dieser Wasserbehälter, und dieses sind die schlechteren, +scheinen aus verhältnissmässig neuer Zeit herzustammen, +die Mehrzahl aber trägt ein sehr altes Gepräge an +sich.</p> +<p>Am zweiten Tage hielt ich der grossen Strasse (d.h. man muss +dabei an marokkanische Strassen denken) folgend durchaus +südliche Richtung, es ging bergauf bergab, denn ich hatte alle +die unzähligen, oft breiteren, oft schmäleren westlichen +Abhänge des Atlas zu übersteigen. Dabei war man +fortwährend im herrlichsten Arganwald, und hin und wieder +tauchten Schlösser und Burgen, oder auch nur die hohen +Wartthürme derselben vor meinen erstaunten Augen auf. Mittags +desselben Tages hatte ich noch Gelegenheit, in einem solchen +Schlosse einer Hochzeit beizuwohnen. Schon von Weitem hörte +ich durch den Wald die Musik, vorzüglich das Trommeln und das +Ui-Ui-Ui der alten Weiber. Ich ging dem Lärm nach, und kaum +hatte mich die lustige Gesellschaft erblickt, als ich mit +"Willkommen, Willkommen" begrüsst wurde. Die Berber halten es +für ein gutes Zeichen, wenn wirkliche Fremde von weither zu +einer Hochzeit sich einstellen. Man war am zweiten Tage; die Braut, +das Kind einer fremden Burg, war noch nicht geholt; es geschieht +das erst am dritten Tage. Dagegen amusirten sich die beiderseitigen +Anverwandten auf Kosten des Vaters des Bräutigams ungeheure +Quantitäten von Nahrung zu vertilgen, dabei wurde getanzt (von +Sclavinnen, mit denen sich die Berber nicht nach Art der Araber +vermischen), musicirt und allerlei Allotria getrieben. Der +Bräutigam selbst, ein junger hübscher Mann von etwa 25 +Jahren vom Stamme der Ait-Ischar, sass in einem neuen Gewande, +schweigend auf einer Erhöhung. Mit Ausnahme einiger +Redensarten verstand Niemand Arabisch, selbst ihr Schriftgelehrter +sprach die Religions- und Schriftsprache nur sehr mangelhaft. Es +war daher sehr schwer für mich, mich mit ihnen näher +einzulassen. Sie hatten übrigens bald genug herausgebracht, +dass ich grossen Hunger hatte, und ein reichliches Mahl von +Kuskussu, von Brod, Butter und Honig half dem ab. Aber +wahrscheinlich hatte ich der Mahlzeit auf zu berberische oder +arabische Weise gehuldigt, d.h. meinen Magen überladen (ich +hatte seit dem Abend vorher nichts genossen); denn kaum hatte ich +meine Wanderung südwärts wieder angetreten, als ich vom +heftigsten Fieber abermals überfallen wurde.</p> +<p>Nur mit Mühe ging es vorwärts, aber da ich mitten im +Walde war, musste ich Abends ein Unterkommen zu erreichen suchen. +Gerade als die Sonne untergehen wollte, entdeckte ich ein +stattliches Schloss, wanderte den Hügel hinauf, und obschon +die Leute kein Wort von dem verstanden, was ich wollte, merkten sie +doch, ich wünsche nur ein Unterkommen, und das gaben sie +mir.</p> +<p>Am anderen Morgen befand ich mich bedeutend besser, ich hatte +eine grosse Gabe Chinin genommen, und das Fieber war endlich +gewichen. Der Weg hielt dieselbe Richtung, die Berge wurden nun +immer wilder und höher, aber die Gegend gleich gut +bevölkert und reich mit hellgrünen Arganbäumen +bewaldet. Das leere Bett des Ued-Tamer wurde durchstiegen, der +stärkste und längste Gebirgsausläufer des Atlas, der +Dj. Ait-Uakal (Cap Gher) erreicht, und sobald ich den Kamm dieses +Höhenzuges überschritten hatte, wandte sich der Weg nach +Westen und bald darauf hatte ich das Meer erreicht. Es war +Nachmittags, als ich es endlich zu Wege gebracht hatte, die steile +Küste hinabzuklimmen, mit grösstem Staunen aber bemerkte +ich, wie gleich darauf ebenfalls eine Karavane, aus beladenen Eseln +und Maulthieren bestehend, diesen Weg herabklomm. Hatte ich +gewollt, so würde ich wohl noch am selben Tage Agadir erreicht +haben, aber meine Schwäche nöthigte mich Zuflucht in +einer dicht am Meere gelegenen Burg zu suchen.</p> +<p>Am anderen Morgen längst des Meeres weiter gehend, +erreichte ich gegen 10 Uhr Fonti, das Dorf, welches am Fusse des +Berges gelegen ist, auf dem sich Agadir oder Santa-Cruz befindet. +Das Dorf Fonti hat seinen Namen von einer Quelle, die sich auf dem +Berge von Agadir etwas unterhalb der Stadt befindet, die +Portugiesen nannten die Quelle Fonte, woraus die Eingebornen Fonti +machten und dies Wort auch auf das Dorf am Strande ausdehnten. Ich +war anfangs der Meinung diese Oertlichkeit sei die Stadt Agadir, da +wegen des starken Nebels, welcher die ganze obere Partie des Berges +einhüllte, nichts von Gebäuden zu erblicken war.</p> +<p>Fonti selbst ist nur ein ärmliches Nest aus kleinen +Hütten, ist aber dennoch auf gewisse Art befestigt. Nach der +Landseite zu wird es durch den Berg von Agadir und zwei Mauern, die +sich längs des Berges hinaufziehen, geschützt, nach der +Seeseite war der Ort offen, weil er der Aermlichkeit selbst wegen +keinen Angriff zu fürchten hatte. Nach dem Kriege mit Spanien +scheint aber Sultan Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman anderer Meinung +geworden zu sein.</p> +<p>Irren wir nicht, so existirte ein geheimer Vertrag in den +Friedensartikeln, wonach die Marokkaner diesen Ort, d.h. Agadir, +den Spaniern abtreten sollten, oder jedenfalls war die Rede davon, +dass die europäischen Mächte wieder das Recht haben +sollten hier Consuln zu installiren. Aber nach Sitte der Marokkaner +dachte man nicht daran sein Wort zu halten. Aufs Eifrigste war man +deshalb beschäftigt den Ort Fonti durch massiv steinerne +Batterien auf europäische Weise zu befestigen, und leider +waren es spanische Renegaten, die sich zu diesen Arbeiten hergaben. +Auch bei der <i>Quelle</i>, Fonti wurden neue Batterien +errichtet.</p> +<p>Ob nun aber diese Befestigung dennoch hinlänglich sein +wird, auch nur ein einziges Kanonenboot vom Bombardement und von +der Zerstörung der Werke abzuhalten, möchte ich +bezweifeln. Sonst hat der untere Ort, dessen Einwohner +ausschliesslich vom Fischfange leben, noch Bedeutung als +Zollstation, alle Waaren, die aus dem Sus, dem Nun und südlich +davon gelegenen Districte kommen, müssen hier ihren +Eingangszoll zahlen, so dass bei Agadir die eigentliche politische +Grenze des Kaiserreiches ist. Sobald die Sonne die Nebel +zertheilte, zeigte sich hoch oben auf dem Berge Agadir, und ich +machte mich auf, den steilen Berg zu erklimmen.</p> +<h2><a name="K14" id="K14"></a>14. Reise südlich vom Atlas +nach der Oase Draa</h2> +<p>Die eigentliche Stadt liegt auf einem nach allen Seiten fast +gleich abschüssigen Berge, der eine Höhe von 800 +Fuss<a href="#F136"><sup>136</sup></a> über dem Meere haben mag. Sie +bildet ein längliches Viereck, dessen schmale Seite dem Meere +zugewandt ist. Die hohen krenelirten Mauern sowie die Bastionen, +die jene unregelmässig flankiren, sind, obgleich in gutem +Zustande was das Aeussere anbetrifft, doch aus schlechtem Material +aufgeführt, so dass sie die Stadt fast ohne Widerstand gegen +einen Angriff der Europäer lassen würden. Ebenso sind die +wenigen Kanonen, die sich in den Batterien befinden, ihres Alters +wegen fast unbrauchbar.</p> +<blockquote><a name="F136" id="F136"></a>[Fußnote 136: Nach +Arlett 198 Meter.]</blockquote> +<p>Die Stadt Agadir wurde um 1500 von einem portugiesischen +Edelmann<a href="#F137"><sup>137</sup></a> gegründet. Man nannte die +Stadt Santa-Cruz, während die Berber den Ort Tigimi-Rumi, die +Araber ihn Dar-Rumia nannten. Einige Zeit später erwarb der +König von Portugal die Veste, und liess den Namen Santa-Cruz +bestehen. Zur Zeit Leo's war der Ort noch im Besitze von Portugal, +Leo nannte den Ort Gargessem. Im Jahre 1536 wurde die Festung vom +Scherif Mulei Ahmed erobert, und blieb seitdem immer im Besitze der +Marokkaner. Schon 1572 liess Mulei Abdallah eine Batterie bei den +Quellen "Fonti" errichten.</p> +<blockquote><a name="F137" id="F137"></a>[Fußnote 137: Siehe +Renou p. 36.]</blockquote> +<p>Der Name Agadir, der offenbar gleich nach Eroberung der Stadt +durch die Marokkaner gang und gäbe wurde, bedeutet in der +Tamasirht-Sprache "Umfassungsmauer," auch "Festung". Renou p. 38 +fügt noch hinzu: "Da Agadir ein generischer Name ist, sollte +man noch einen zweiten, um denselben zu vervollständigen, +erwarten. In der That nennt sich die Stadt, die uns angeht, +Agadir-n-Ir'ir, die Festung des Ellenbogen, d.h. des Vorgebirges" +etc. etc.</p> +<p>Was das Innere der Stadt anbetrifft, so sind alle Häuser, +ausgenommen das der Regierung, welches der Kaid bewohnt, sowie die +Djemma, die sich in gutem Zustande befindet, halb oder ganz +verfallen. Ich glaube die Einwohnerzahl schon zu gross anzugeben, +wenn ich sie auf 1000 Seelen schätze<a href="#F138"><sup>138</sup></a>. +Gråberg di Hemsö glaubt kaum 600 Einwohner annehmen zu +dürfen. In neuerer Zeit hat sich der Ort aber etwas gehoben, +so dass jetzt vielleicht gegen 1000 Menschen in Agadir und Fonti +leben mögen.</p> +<blockquote><a name="F138" id="F138"></a>[Fußnote 138: +Davidson sagt, Agadir habe bloss 47 Muselmanen und 62 +Juden.]</blockquote> +<p>Der zweimalige Markt, der in der Woche ausserhalb vor dem +einzigen Thore der Stadt abgehalten wird, führt derselben +einigen Handel zu, und es sind hauptsächlich die Juden, die +für die kleinen Bedürfnisse der Stadt sowohl als auch des +umliegenden Landes Sorge tragen.</p> +<p>Die Stadt liegt auf der südwestlichsten Seite des Atlas, +und während nach Osten und Norden hin das Auge Nichts +wahrnimmt, als sich übereinander häufende Berge, verliert +sich nach dem Süden zu die Aussicht in die unendliche Ebene, +die den Ued-Sus vom Ued-Nun trennt. Der Ued-Sus selbst ergiesst +sich eine halbe Stunde südlich von der Stadt in die +Meeresbucht. Diese ist die vortrefflichste von ganz Marokko. +Gråberg di Hemsö sagt: "Der Hafen von Agadir ist der +schönste der ganzen Küste, und der werthvollste für +den Handel mit Innerafrika, namentlich wenn er in Händen einer +europäischen Macht sich befände, die denselben sehr +leicht erwerben und davon immer mehr Vortheile würde ziehen +können." So sehr wir mit Hemsö, was die Geräumigkeit +der Bucht anbetrifft, übereinstimmen, so sehr möchten wir +bezweifeln, dass es heute leicht sein würde den Hafen +käuflich von Marokko zu erwerben, obschon auch wir +überzeugt sind, dass für den Handel kein Hafen erbiebiger +[ergiebiger] sein würde als Agadir.</p> +<p>Gleich beim Eintritt in die Stadt wurde ich überrascht, +indem ich über dem Thore neben einer arabischen Inschrift eine +mit lateinischen Buchstaben geschriebene bemerkte; ich war so +glücklich sie später unbemerkt copiren zu können. +Sie lautet:</p> +<center>VREEST . GOD . ENDE<br> +EERT DEN KONING<br> +1746.</center> +<p>Man darf wohl annehmen, dass diese Inschrift von einem +Renegaten, der wahrscheinlich Maurer oder Steinhauer von Profession +war, verfertigt wurde.</p> +<p>In Agadir angekommen, begab ich mich zuerst nach einem +Kaffeehause, um dort nach dem Funduk Erkundigungen einzuziehen; zu +meinem Erstaunen erfuhr ich, dass ein solches nicht vorhanden sei, +und auch dies deutet genugsam die Unbedeutendheit des Ortes an. Der +Abkömmling eines Spaniers hatte indess die +Liebenswürdigkeit, mir seine Tischlerwerkstätte als +Wohnung anzubieten, was ich dankbarlichst annahm. Ausserdem was +Kleidung, Gebräuche und Sitten anbetrifft ganz Marokkaner +geworden, war er der gastfreundlichste Mann, und schickte +täglich aus seiner Wohnung einige Speisen. Aber ich hatte +nicht nöthig in dieser Beziehung dem guten Manne zur Last zu +fallen, denn der Kaid der Stadt sandte mir täglich zu essen +oder ich speiste in seiner Wohnung.</p> +<p>Derselbe hatte nämlich kaum meine Ankunft in Erfahrung +gebracht, als er mich rufen liess. Ich glaubte schon, es gälte +ein Examen zu bestehen: wer ich sei, wes Landes, wohin ich wolle, +was ich treibe u. dgl. m.</p> +<p>Aber davon war keine Rede. Der arme Mann war stark erkrankt, und +da sollte Rath geschafft werden. Glücklich für mich +konnte ich Linderung bringen, und von dem Augenblicke an war ich in +Agadir ein gern gesehener Gast.</p> +<p>Meine eignen Fieberanfälle stellten sich aber wieder ein, +wohl hervorgerufen durch die starken Nebel, die um diese Jahreszeit +täglich dort herrschten. Es ist auffallend, wie kalt die Luft +in Agadir war, selten durchdrang die Sonne den Nebel vor Mittag und +die Leute versicherten, dass selbst im hohen Sommer diese starken +Nebel selten vor Mittag zerstreut würden.</p> +<p>Ich blieb sieben Tage in Agadir und konnte mich hinlänglich +erholen. Vom Verlassen des Ortes, um spazieren zu gehen, konnte +nicht die Rede sein, da die ganze Gegend äusserst unsicher +ist. Unsicherer wird sie noch dadurch, dass Schmuggler in den +Gebirgsabhängen oberhalb von Agadir ihr Wesen treiben. Der Ort +Fonti am Meere ist nämlich, wie gesagt, das eigentliche +Eingangsthor für die directen Karavanen vom Sudan, wenigstens +für die, welche den Weg über Nun eingeschlagen haben.</p> +<p>Ich schloss mich sodann einer durchpassirenden Karavane an, um +mit ihr nach Tarudant zu gelangen. Denn wenn man auch von hier noch +nicht Wassermangel zu befürchten hat, so herrscht das +Faustrecht dennoch so sehr, dass es gerathen schien in Gesellschaft +zu reisen. Gerade am selben Tage hatte ich in Fonti noch +Gelegenheit mich zu überzeugen, wie wenig fremdes Eigenthum +respectirt wird: zwei Fremde kamen vollkommen ausgeplündert, +sogar ihrer sämmtlichen Kleider beraubt in die Stadt +geflüchtet. Gewiss ist hier nur die reine Raubsucht der Berber +der Beweggrund zu solchen Handlungen, keineswegs aber Mangel. Man +könnte den Rlnema am Ued-Ssaura entschuldigen, wenn er ein +Räuber ist, weil er in einer der ärmsten Gegenden der +Welt lebt, aber das Land am Sus ist eins der reichsten in ganz +Marokko.</p> +<p>Wir brachen Nachmittags von Fonti auf, und machten Abends nach +Sonnenuntergang Halt in einem Dorfe; Duar, d.h. Zeltdörfer, +findet man in diesem Theile südlich vom Atlas nicht, die ganze +Bevölkerung ist sesshaft. Und gleich hier am ersten Tage +unserer Reise sollten wir einen recht greiflichen Beweis der +Räubereien dieser Völker haben: es wurde uns Nachts ein +Kameel gestohlen. Wenn man nun bedenkt, dass die Kameele Nachts mit +fest zusammengebundenen Vorderbeinen im Kreise lagen, so kann man +sich einen Begriff von der Schlauheit und Kühnheit der Diebe +machen. Ich sah das Thier forttreiben im schnellsten Galopp, wir +machten uns gleich auf, man schoss, aber Alles war bei der +Dunkelheit der Nacht vergebens. Als am anderen Morgen die +Eigenthümer der Karavane beim Schich der Oertlichkeit klagten, +der würdige Mann hiess el-Hadj-el-Arbi, versprach er Alles zu +thun die Diebe ausfindig zu machen, aber weitere Erfolge wurden +nicht erzielt. Zum Glück für die Besitzer des verlorenen +Kameels waren die anderen Thiere stark genug, um die Ladung des +verlorenen, die aus 4 Centner Zucker bestand, aufnehmen zu +können. Mit dem Kameele waren aber 90 Metkal = 170 Fres. +verloren.</p> +<p>Ich wurde nun zum ersten Male recht in das Karavanenleben +eingeweiht, das einfache Frühstück aus Sesometa +(geröstete Gerste, die grob gemahlen in Schläuchen +mitgeführt wird, man geniesst sie, indem man Salz, +Arganöl oder Olivenöl zusetzt, ganz arme Leute setzen +bloss Wasser zu), das Treiben der Kameele, Abends das Brodbacken, +oder erreicht man ein gastliches Dorf, Bewirthung durch die +Bewohnerschaft—das ist der gewöhnliche Gang der Sus- +Karavanen.</p> +<p>Der Weg, der sich fortwährend in östlicher Richtung +hinzieht, und meist dem Flusse parallel ist, gehört zu einem +der schönsten, was die Reichhaltigkeit der Natur anbetrifft, +den man sich nur denken kann. Als Lempriere diese herrliche Natur +durchzog, er giebt die Distanz von Santa-Cruz (Agadir) nach +Tarudant auf 44 engl. Meilen an, muss er sehr übler Laune +gewesen sein. Er sagt davon weiter nichts: ich hatte einen +schönen, aber langweiligen Weg, da wir nichts als Haiden und +Waldungen zu durchwandern hatten. Und doch kann man diese +herrlichen Ebenen nur mit der lombardisch-venetianischen des Po +vergleichen. Freilich fehlt der mächtige Strom, aber wie +entzückend schlängelt sich der stets Wasser führende +Sus durch die Oliven und Orangengärten hin. Und im Norden der +stolze Atlas, zeigt er auch nicht so hohe schneegipflige Spitzen, +wie der Montblanc und andere Riesenberge der Schweiz und Tirols, so +hatten die Alten doch keineswegs ganz Unrecht das kolossale +Atlasgebirge als Träger des Himmels zu bezeichnen. Das Thal +des Flusses ist ein wahrer Garten, ein Dorf, ein Haus neben dem +anderen, Oel-, Feigen-, Stachelfeigen-, Granaten-, Pfirsich-, +Mandel-, Aprikosen-, Orangenbäume und Weinreben bilden ein +liebliches Durcheinander.</p> +<p>Aber so entzückend die Gegend ist, so unheimlich fallt es +auf, dass alle Welt nur bis an die Zähne bewaffnet ausgeht. +Jeder Mann hat seine lange Flinte auf dem Rücken, sehr +häufig sieht man hier auch schon Doppelflinten, welche vom +Senegal hierher dringen: ausserdem hat Jeder seinen krummen Dolch +mit meist aus Silber gearbeiteter Scheide.</p> +<p>Ich hatte eigentlich die Absicht nach dem Nun-District +vorzudringen, aber die fortwährenden Fieberanfälle, dann +das Verlangen wieder unter civilisirte Menschen zu kommen, endlich +die Schilderung, die man in Agadir von einem gewissen Scherif +Sidi-el-Hussein, der in der Sauya Sidi-Hammed- ben-Mussa residiren +sollte und über dessen Gebiet ich kommen müsse, liessen +mich davon abstehen. Man erzählte in Agadir die +scheusslichsten Grausamkeiten von diesem Menschen, der sogar seinen +eignen Bruder und Sohn hatte köpfen und vor Kurzem noch zwei +spanische Renegaten hinrichten lassen. Das hinderte natürlich +nicht, dass er im Rufe der grössten Heiligkeit steht, und +gerade um die Zeit, als ich in Agadir mich befand, war die +Hauptperiode der Wallfahrt nach seiner Sauya, man nennt diese +Wallfahrtszeit "Mogor". Tausende von Leuten aus der ganzen Umgegend +zogen nach der Sauya-Sidi-Hammed-ben-Mussa, um dem Abkömmling +Mohammed's ihre Ersparnisse zu überbringen, wofür sie +sodann den Segen und Ablass für ihre Sünden bekommen.</p> +<p>Ich vermuthe, dass Sidi-Hammed-ben-Mussa der auf der +Petermann'schen Karte angegebene Ort Wesan ist oder, wie wir +Deutschen ihn schreiben würden, Uesan. Denn häufig +pflegten die Pilger zu sagen, sie zögen nach Uesan, und als +ich dann meinte, da hätten sie doch einen weiten Weg, denn +Uesan läge weiter entfernt und jenseits Fes', erwiederten sie, +nicht nach Uesan Mulei Thaib's, sondern nach Uesan +Sidi-Mohammed-ben-Mussa's wollten sie pilgern. Gatell, der nach mir +bis zum Nun vordrang, erwähnt dieses Ortes nicht.</p> +<p>Wir hätten sicher am zweiten Tage die Stadt Tarudant +erreichen können, da wir aber mit Nachforschungen nach dem +gestohlenen Kameel viel Zeit verbrachten und erst Mittags +aufbrachen, übernachteten wir noch ein Mal. Und an dem Tage +wäre ich selbst fast ausgeplündert oder gar ermordet +worden. Ich hatte mich etwas von der Karavane entfernt, als auf +einmal zwei bewaffnete Männer mich anhielten, und während +der eine fragte, was es Neues in Agadir gäbe, spannte der +andere den Hahn seines Gewehres; sie hatten unstreitig die Absicht +mich auszuplündern, als glücklicherweise zwei Leute der +Karavane, auch bewaffnet und die ebenfalls zurückgeblieben +waren, zu mir stiessen und mich so der Gefahr meiner +Kleidungsstücke beraubt zu werden, überhoben. Zugleich +bekam ich einen derben Verweis von ihnen, und sie verboten mir, +mich wieder von der Karavane zu entfernen, da der Kaid von Agadir +die Karavane verantwortlich gemacht für meine glückliche +Ueberkunft nach Tarudant.</p> +<p>Das Gebirge wird immer höher, je weiter man nach Osten +vordringt, obgleich man fortwährend in der Ebene bleibt. +Unendlich viele leere Flussbetten, die nur im Frühjahr Wasser +schwemmen, ziehen sich vom Atlas in den Sus hinein, aber nur ein +einziger (auf der Petermann'schen Karte richtig eingetragen) einige +Stunden westlich von Tarudant hat das ganze Jahr hindurch Wasser. +Dieser Fluss ist wahrscheinlich der von Gatell erwähnte +Ued-Eluar. Zu der Zeit, als ich ihn durchwatete, konnte ich seinen +Namen nicht erfragen.</p> +<p>Abends machten wir Halt bei einem Hause, das +zufälligerweise von Arabern bewohnt (die ganze Sus-Gegend hat +durchaus Berberbevölkerung) war, die wenig oder gar nicht +Schellah verstanden. Welch ein Unterschied im Empfange! +Während uns am Abend vorher, als wir in einem grossen Dorfe +übernachteten, Niemand etwas zu essen brachte, sondern wir +gezwungen waren, uns selbst zu beköstigen, versorgte hier der +Hausherr die ganze Karavane mit Speise auf die freigebigste Art. +Und hier hatten wir wieder einen Beweis, dass Araber +gastfreundlicher als Berber sind.</p> +<p>Am folgenden Morgen waren wir schon vor Sonnenaufgang wieder +unterwegs, wir hatten heute nur einen halben Marsch zu machen, da +wir Mittags in Tarudant eintreffen mussten. Rechts auf der linken +Flussseite tauchte jetzt auch eine Bergkette auf, die, von +Nordosten kommend, sich nach Südwesten hinzieht. Je näher +wir der Stadt kamen, desto angebauter fanden wir die Gegend, +obgleich vom ganzen Lande, wie überall, kaum der zwölfte +Theil des Bodens nutzbar gemacht wird. Kurz vor Mittag fragten mich +meine Gefährten, ob ich die Stadt nicht sähe; auf meine +Verneinung zeigte man mir einen nahen Palmwald, hinzufügend: +das sei die Stadt, aber die Gebäude könne man wegen der +hohen Palmen und buschigen Olivenbäume nicht sehen. So war es +auch in der That, fortwährend in einem Oelbaumwald +fortmarschirend, befanden wir uns plötzlich vor den Thoren, +ohne vorher das Geringste von den Gebäuden der Stadt +wahrgenommen zu haben. Es war gerade Mittag, als wir das Stadtthor +durchzogen; ich trennte mich hier von den freundlichen Leuten der +Karavane, um ein Unterkommen zu suchen, und war auch so +glücklich in einem Funduk ein Zimmerchen zu finden. Die +Thür dieser Zelle war aber so niedrig, dass ein grosser +Jagdhund kaum ohne zu schlüpfen, würde Eingang gefunden +haben, und wenn ich auch der Länge nach mich ausstrecken +konnte, so betrug die Breite doch kaum mehr als halbe +Körperlänge. Statt der Möbeln bestand der Fussboden +aus gut gestampftem Lehm.</p> +<p>Tarudant, zwei kleine Tagemärsche vom Ocean, fast am Fusse +des südlichen Atlasabhanges<a href="#F139"><sup>139</sup></a>, dessen +südliche Vorberge bis fast zur Stadt stossen, liegt auf dem +rechten Ufer des Sus, ca. eine Stunde vom Flusse selbst entfernt. +Was die Einwohnerzahl anbetrifft, so vergleicht Renou dieselbe mit +der von Tanger oder Lxor, Hemsö giebt dieselbe auf ca. 22,000 +Seelen an, Lempriere, der selbst längere Zeit in Tarudant +lebte, spricht sich nicht darüber ans. Die Stadt könnte +indess wohl 30-40,000 Einwohner haben. Nach Renou erlangte die +Stadt erst Wichtigkeit im Jahre 1516, zu welcher Zeit Schürfa +sie neu aufbauten und beträchtlich vergrösserten. Aber +auch hier machte ich wieder die Erfahrung, wie wenig man sich auf +die Aussagen der Eingebornen verlassen kann. Man hatte mir Tarudant +geschildert als eine Stadt, die man nur mit Fes oder Marokko +vergleichen könne, sowohl was Grösse, als auch was die +Einwohnerzahl anbeträfe. Ich fand den Umfang der Stadt nun +allerdings gross, grösser als den von Fes, reichlich so gross +wie den von Marokko, jedoch ist fast Alles, was innerhalb der +Stadtmauer sich befindet, Garten. Diese Stadtmauer, in sehr +verfallenem Zustande, hat durchschnittlich eine Höhe von 20 +Fuss und an der Basis 4 oder 6 Fuss, ihre Breite ist oben da, wo +sie noch die ursprüngliche Höhe bewahrt hat, 2 Fuss. Sie +bildet eine unregelmässige Linie, ohne Plan und Kunst +angelegt. Alle 50 Schritte werden die Zickzacke von Thürmen +flankirt, die jedoch nicht höher als die Mauer selbst sind. +Was das Material anbetrifft, aus dem sie sowie alle Häuser +erbaut sind, so besteht dasselbe aus mit Häckerling gemischtem +und zwischen zwei Brettern gegossenem Lehm, kann also +europäischen Geschützen, keinen Widerstand leisten; auch +Gräben sind nicht einmal vorhanden.</p> +<blockquote><a name="F139" id="F139"></a>[Fußnote 139: Leo, +Marmol und Lempriere drücken die Entfernung der Stadt vom +Atlas in Zahlen aus, ohne bedacht zu haben, dass der Fuss des +Gebirges bei Tarudant nicht steil, sondern allmälig sich +absenkt, man also auch sagen könnte, Tarudant liege +unmittelbar am Fusse des Gebirges.]</blockquote> +<p>Die Stadt ist ein einziger grosser Garten, nur nach dem Centrum +drängen sich die Häuser, welche meist nur aus einem +Erdgeschoss bestehen, mehr zusammen, und hier befinden sich auch +die Buden und Gewölbe, wo man arbeitet und verkauft, hier sind +auch die Funduks. Moscheen giebt es eine grosse Anzahl, +grössere jedoch, die ein Minaret haben, nur fünf. Die +Hauptmoschee, Djemma-el-Kebira schlechtweg genannt, zeichnet sich +durch nichts Besonderes aus. Den inneren grossen Hof derselben, in +den man Orangen gepflanzt hat, umgeben ungemein plumpe Säulen, +die eben so unförmliche Bogen tragen. Die zweite Hauptmoschee, +fast eben so gross, ist dachlos, von den übrigen ist keine +bedeutend. Ebenso habe ich in der ganzen Stadt kein einziges nur +etwas geschmackvolles Gebäude gefunden.</p> +<p>Einen eigentlichen besonderen Handelszweig hat die Stadt nicht, +man lobt die Lederarbeiten und Färbereien. Hauptgewerk ist +Kupferschlägerei, indess beschränkt sich das bloss auf +Kessel, auf kleine Geschirre und Sachen, wie sie von den +Eingebornen hergestellt werden können. Aber wie ausgedehnt +diese Manufactur ist, geht am besten daraus hervor, wenn ich +anführe, dass diese kupfernen Geschirre bis Kuka, Kano und +Timbuktu ausgeführt werden. Und wie ergiebig müssen erst +die Kupferminen in der Nähe von Tarudant sein, wenn man +bedenkt, auf wie primitive Art die Eingebornen dort eine solche +Mine ausbeuten. Nach der Aussage der Eingebornen soll nicht nur +dies Metall, sondern auch Gold, Silber, Eisen und Magneteisenstein +in grosser Menge vorkommen. Alle übrigen Landesproducte sind +wie in Agadir und im ganzen Sus-Lande sehr billig. Das Pfund +Fleisch wird mit 2 Mosonen bezahlt, für eine Mosona +erhält man 6-10 Eier und im Frühjahr noch mehrere.</p> +<p>Bei der Beschreibung von Tarudant kann ich nicht unerwähnt +lassen, dass die einst so berühmten Zuckerplantagen heute +nicht mehr existiren. Indess findet man in Marmol und Diego de +Torres so glaubwürdige Angaben, dass an der einstigen Existenz +der Zuckercultur nicht gezweifelt werden kann.</p> +<p>Als im 16. Jahrhundert die Dynastie der Schürfa Marokko neu +umgestaltete, suchten sie vor allen Dingen sich in Tarudant +festzusetzen. Es wurde Zucker um Tarudant gepflanzt und um einen +Ausgangshafen für das Product zu gewinnen, unternahm der +Scherif Mohammed die Belagerung von Santa Croce, damals den +Portugiesen gehörend. 1536 war dieser Hafen in den Händen +der Gläubigen. Ein Slami oder übergetretener Jude hatte +unter der Zeit Mühlen in Tarudant errichtet und von dem +Augenblick an war der Handel mit Zucker, wie Marmol als Augenzeuge +berichtet, der ergiebigste von allen marokkanischen +Handelszweigen.</p> +<p>Auch christliche Sklaven wurden nun zur Fabrikation von Zucker +verwandt, und nicht nur aus Marokko oder aus den Sudanländern +kamen Leute nach Tarudant, um Zucker zu kaufen, auch Europäer +stellten sich ein, sobald sie erfuhren, dass man sie gut behandle. +Der Ertrag ergab für den Sultan jährlich 7500 Metkal, +eine für damalige Zeit grosse Summe.</p> +<p>In welcher Zeit der Verfall des Zuckerbaues vor sich ging, habe +ich nicht ergründen können, vielleicht wurden bei einer +der so häufig in Marokko stattfindenden Revolten die +Zuckergärten zerstört und nachdem nicht wieder angebaut. +Aber die Erinnerung vom einstigen Zuckerreichthum in der Provinz +existirt in Marokko heute noch.</p> +<p>Ich musste mehrere Wochen in Tarudant bleiben und überstand +während dieser Zeit eine förmliche Krankheit, da ich +fortwährend von Wechselfiebern geschüttelt war.—Den +zweiten Tag nach meiner Ankunft liess mich der Kadi der Stadt +rufen. Er unterwarf mich einem langen Examen, woher ich komme, +warum ich in Tarudant sei, wohin ich gehen wolle, warum ich +Mohammedaner geworden sei, u.s.w. Ich glaubte schon, da er immer +sehr ernsthaft blieb, dass er mich trotz meiner genügenden +Antworten, als Sohn eines Christen ins Gefängniss senden +würde, als er plötzlich die Unterhaltung auf die Medizin +brachte und ein Mittel gegen Gichtschmerzen von mir verlangte. +Zugleich wurde Thee servirt und ein gut zubereitetes +Frühstück hereingetragen. Das Gespräch ging dann +hauptsächlich auf die christliche Civilisation über, und +ich sah mit Erstaunen im Kadi einen dem Fortschritte huldigenden +Mann vor mir. Nach beendigtem Frühstücke verabschiedete +er mich, und sagte, er würde mich rufen lassen, damit ich in +seiner Gegenwart die Medizin bereite.</p> +<p>Am folgenden Tage gegen Abend musste ich zu ihm gehen, und da +ich nichts Anderes zu thun wusste, so bereitete ich eine +Kamphersalbe und liess ihn Einreibungen damit machen. Ich musste +wieder Thee mit ihm trinken und zu Abend essen; beim Abschiede gab +er mir ausserdem einen grossen Korb mit Datteln und einen kleineren +mit Mandeln, dann eine Schüssel mit süssem Backwerke, das +sehr gut zubereitet war und sich fast jahrelang hält. Obgleich +die Datteln und Mandeln von der letzten Ernte und von +ausgezeichneter Güte waren, so verkaufte ich doch den +grössten Theil derselben. Ich bekam für das Pfund Mandeln +den für dortige Gegend hohen Preis von 6 Mosonat; es war +Missernte für die Mandeln gewesen, denn in guten Jahren +erhält man für Eine Mosona mehrere Pfunde.</p> +<p>Am vierten Tage stellte sich mein Fieber heftiger als je ein, +ich glaubte schon vom Typhus befallen zu sein; acht Tage musste ich +meine Höhle hüten. Ich nahm die letzte mir übrig +gebliebene Dosis Chinin, genoss die ganze Zeit hindurch bloss +Wasser und Brod und alle Tage einige Granatäpfel, die mir der +Fundukbesitzer aus seinem Garten brachte.</p> +<p>Mit einer ziemlich grossen Karavane brach ich sodann auf. Sie +setzte sich aus etwa 20 Mann und 30 Stück beladenen +Maulthieren und Eseln zusammen. Die Leute selbst waren aus der Oase +Draa. Vom Thaleb des Kadi war ich ihnen empfohlen und deshalb gut +bei ihnen aufgenommen worden. Diese Art Karavanen rechnen von +Tarudant acht Tagemärsche, welche aber sehr stark sind; das +Vieh wird dabei von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit der +grösstmöglichsten Eile vorwärts getrieben. Es war +also eine harte Tour für mich, da ich von den Fiebern +mitgenommen, sehr erschöpft war, und manchmal dafür, dass +ich mitgenommen wurde, und was Nahrung anbetrifft von den +Eigenthümern des Viehs freigehalten wurde, das Vieh mit +treiben helfen musste.</p> +<p>Den ganzen ersten Tag folgten wir dem Ued-Sus, der an beiden +Seiten lachende Gärten bildet. Rechts und links hatten wir +hohe Berge, doch ist die Kette im Norden wenigstens noch einmal so +hoch, als die nach Südwesten streichende, welche überdies +nur ein Zweig vom grossen Atlas ist. Gegen Mittag, wir marschirten +immer in östlicher Richtung, machten wir bei einem Dorfe der +Beni-Lahia Halt; es wurde dort Markt abgehalten, und die Leute +unserer Karavane wollten nun noch Getreide einkaufen, um es mit in +ihre Heimath zu nehmen. Nach beendetem Einkauf ging es weiter. Ich +weiss nicht, durch welchen Zufall es kam, dass der Theil der +Karavane, bei dem ich mich befand, von dem anderen sich trennte, +kurz, wir verloren den Weg und es war, glaube ich, Mitternacht, als +wir das Dorf erreichten, wo die Anderen seit Abends campirten. Dazu +hatten wir elende Wege gehabt, da das ganze Land von breiteren und +schmäleren Rinnsalen, welche zur Bewässerung des Bodens +dienen, durchschnitten ist, in der Dunkelheit geriethen wir nun +alle Augenblick in ein solches Wasser, oder auch ein Esel versank +in den Schlamm und sein Herausziehen konnte nur mit Mühe und +Zeitverlust bewerkstelligt werden.</p> +<p>Desto kürzer war der folgende Tagesmarsch, wir mussten sehr +bald in einem Dorfe Halt machen, weil vor uns zwei Volksstämme +sich bekriegten und dadurch die Gegend unsicher gemacht war. Sieben +Tage mussten wir in diesem Orte liegen bleiben, fanden jedoch die +gastlichste Aufnahme daselbst. Ich war mit vier Anderen in einem +grossen Bauernhofe einquartiert und so war die ganze Karavane +vertheilt. Endlich schienen die feindlichen Parteien Frieden +gemacht zu haben und wir konnten aufbrechen, der Weg war offen. Wir +folgten dem Ued-Sus, bis fast an seine Quelle, welcher Landestheil, +wie überall, den Namen Ras-el-Ued hat, und schlugen von da an +eine südöstliche Richtung ein.</p> +<p>So scharf markirt der südwestlich vom Atlas sich +abzweigende Gebirgszug, vom Sus-Thale gesehen, sich ausnimmt, so +wenig ist er es in der That, man kömmt südöstlich +fortgehend in keinen Gebirgszweig, sondern in ein zerrissenes +Gebirge. Obschon man nun auch aus dem eigentlichen überall +culturfähigen Lande heraus ist, hat man doch noch die +eigentliche Sahara nicht erreicht. Allerdings sind die Berge nackt +und kahl, aber die Gegend ist äusserst abwechselnd, Wasser +nicht selten und kleine Oasen auf Schritt und Tritt. Gegen +Sonnenuntergang erreichten wir eine Oase, die erste echte +Palmpflanzung, die ich zu sehen bekam (den Palmen in Marokko und +Tarudant merkt man gleich an, dass sie eigentlich für den +dortigen Boden und das Klima noch fremd sind), einige Dörfer +lagen darin versteckt. Wir lagerten von jetzt an nie mehr im Dorfe, +sondern immer im Freien, und suchten dann zu dem Ende ein zwischen +Felsen liegendes sicheres Versteck auf. Auf diese Art marschirten +wir 4 Tage immer in südöstlicher Richtung fort. Die +Gegend bewahrte ihren eigenthümlichen Charakter, nackte, kahle +Felsen, von Bergen eingeschlossene Ebenen, ohne Vegetation, nur von +Steinen bedeckt, hie und da eine Oase, welche sich schon von Weitem +durch die hohen Palmen ankündigte, manchmal auch noch grosse +Strecken mit Schih (Artemisia) bedeckt, Zeichen, dass wir die +eigentliche Sahara noch nicht erreicht hatten, solche Bilder waren +stets vor unseren Augen.</p> +<p>Am fünften Marschtage kamen wir, nachdem wir verschiedene +Ebenen durchschritten hatten, an einen Bergpass, wie ich noch nie +einen gesehen habe, und auch wohl kein ähnlicher auf der Erde +existirt. Mit diesem Bergpass, oder vielmehr mit dieser Schlucht, +die ebenfalls durchschnittlich in unserer Marschrichtung war, +hatten wir zugleich das eigentliche Gebirge hinter uns. Diese +Schlucht war etwa 5 Schritt breit, an beiden Seiten von senkrechten +Marmorwänden gebildet, und in derselben rieselte ein kleiner +Bach mit reizenden grünen Ufern. Am Austritte der Schlucht gab +der Bach Veranlassung zu einer Oase. Der Marmor, der sich in der +Sonne spiegelte und stellenweise so glatt war, als ob er +künstlich polirt wäre, glänzte in allen +möglichen Farben.</p> +<p>Was das Interesse dieser einzigen Schlucht noch erhöhte, +war, dass sich am Austritte oder am südöstlichen Ende +derselben eine kohlensaure Quelle befand. Ich glaube, es giebt wohl +kaum ein zweites an Kohlensäure so reiches Wasser, wie dieses; +dicke Blasen steigen fortwährend auf, und beim Trinken +prickelte es Einem im Munde, als ob man Champagner tränke. Das +Land, worin sich diese Schlucht und Quelle befindet, heisst +Tassanacht, und die vom Flüsschen gebildete Oase, +Tesna<a href="#F140"><sup>140</sup></a>. Die Gegend war hier, wie auch sonst +fast überall, äusserst metallreich, ich fand auf dem Wege +bei Tesna offen zu Tage liegend, Antimon-Stücke von 1-1/2 Zoll +Dicke, reines, unvermischtes Metall.</p> +<blockquote><a name="F140" id="F140"></a>[Fußnote 140: Siehe +Petermann's Mitteilungen 1865, Tafel 6.]</blockquote> +<p>Die nächsten Tage gingen vorüber, ohne dass sich etwas +Besonderes ereignete, ich hatte jedoch grosse Mühe, diese +anstrengenden Märsche mitzumachen, zumal mich eine +erschöpfende Diarrhöe, durch die ungewohnte Nahrung +hervorgerufen, befallen hatte. Die Leute mischten nämlich Mehl +mit gestampften Datteln zu einem Teige, gossen etwas Oel hinzu, und +roh wurde dies genossen, oder man ass auch, bloss mit Wasser +vermischt, gestampfte Datteln. Dazu kam, dass wir manchmal sehr an +Durst zu leiden hatten, denn die Thiere waren alle +übermässig beladen, so dass man für Wasser keinen +Platz hatte. Die schlimmste Strecke war die letzte. Wir waren noch +einen guten Tag vom Draa entfernt und lagerten Abends in einem +öden Thale. Um den Ued-Draa am folgenden Tage früh zu +erreichen, brachen wir um Mitternacht auf. Unglücklicher Weise +waren meine Schuhe gänzlich unbrauchbar geworden, die Sohlen +waren abgefallen. Ich behalf mich damit, dass mir die Leute aus den +Lederresten Sandalen zusammenflickten, welche mit Riemen an den +Füssen befestigt wurden. Ueberhaupt tragen südlich vom +Atlas fast alle Leute Sandalen. Für Einen, der nicht daran +gewöhnt ist, ist es aber ein qualvolles Schuhzeug, da die +Riemen gleich tief einschneiden. In der dunklen Nacht stiess ich +nun jeden Augenblick gegen einen Stein, und es schien mir eine +Ewigkeit bis die Morgenröthe anbrach. Als endlich der Tag +anfing und wir frühstückten, hatten wir kaum das +nöthige Wasser, aber die Aussicht, noch wenigstens einen +halben Tagemarsch gehen zu müssen, ohne Hoffnung einen Brunnen +oder Quelle anzutreffen. Gegen Mittag war mein Gaumen ganz trocken, +und als wir endlich von Weitem die Palmen sahen, mit dem lachenden +Grün der Orangen, Feigen, Granaten, Pfirsichen und Aprikosen +darunter, glaubte ich, sie nicht erreichen zu können; erst um +4 Uhr Nachmittags waren wir im Dorfe Tanzetta, wo mehrere Leute +unserer Karavane zu Hause waren. Mein Erstes war, meinen brennenden +Durst zu löschen, ich trank wenigstens 3 Liter Wasser auf ein +Mal.</p> +<h2><a name="K15" id="K15"></a>15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf +den Reisenden. Ankunft in Algerien.</h2> +<p>Vom ewigen Schnee des Atlas gespeist, hat der Ued-Draa, der +längste der marokkanischen Ströme, Veranlassung zu einer +der schönsten Oasenbildungen gegeben, wie man sie +überhaupt nur in der Sahara findet. Denn nur da, wo +überirdisch immer rieselndes Wasser ist, bildet sich so +üppige Vegetation und gedeihen die Fruchtbäume, die das +glückliche Klima des Mittelmeerbeckens hervorbringt. Und wenn +man nach tagelangen Märschen durch die steinigte und +vegetationslose brennende Wüste, jenes lachende Grün +erblickt, wie es sich frisch unter dem schirmenden Dache +hochstämmiger Palmen entwickelt, dann vergisst man fast die +Mühen und Beschwerlichkeiten einer Fussreise durch die +Wüste, denn man glaubt eine der Inseln der Glückseligen +erreicht zu haben.</p> +<p>Der bewohnteste und fruchtbare Theil des Ued-Draa ist das vom +Gebirge nach dem Süden zu laufende Flussthal, sobald der Draa +nach dem Westen umbiegt, d.h. etwa unter dem 29° N. B. +fängt er an unbewohnt und unfruchtbar zu werden. Es hat das +seinen Grund darin, weil die vom Atlas kommenden Gewässer +<i>ständig</i> nur bis zu dem Punkte fliessen, den +atlantischen Ocean aber nur ein Mal im Jahr, nach der +<i>grossen</i> Schneeschmelze des Gebirges, erreichen. Ist der +Draa-Fluss aus dem sonderbar geformten Gebirgslande, welches +südwärts vom Atlasgebirge, unabhängig von diesem, +liegt, heraus, dann durchströmt er sein mehr oder weniger +breites Thal, welches er sich selbst geschaffen hat. Aber auch hier +sind die Ufer und Bänke des ursprünglichen Flussthales +manchmal so hoch, so sonderbar geformt, dass man, vom Flussbette +aus gesehen, sie für zwei nach Süden streichende paralell +laufende Gebirge halten könnte. Einmal und zwar ziemlich in +der Mitte des von Norden nach Süden laufenden Flusses erhebt +sich aber ein wirklicher Berg, der Sagora, auf dem <i>linken</i> +Ufer des Ued-Draa. Dass der grosse Debaya weiter nichts ist als ein +Sebcha und nur zeitweise ein See genannt werden darf, wage ich +Renou und Delaporte gegenüber aufrecht zu erhalten. Renou sagt +p. 180: "ce grand lac d'eau clouce est remplie de poissons et les +indigènes naviguent dessus et y font la pêche +d'après Mr. Delaporte."—Ich will nicht in Abrede +stellen, dass der Debaya sich ein Mal im Jahre mit Wasser +füllt, ich will ebenfalls nicht bezweifeln, dass er zu der +Zeit ohne Fische sei, dass er mit Schiffchen befahren werde, aber +das dauert nur eine kurze Zeit, vielleicht nur einige Wochen; so +rasch, so gewaltig die Gewässer vom Atlas herabbrausen, so +rasch und schnell eilen sie dem Ocean zu. Und wenn diese +ausserordentlichen Schwemmungen den Debaya nicht mehr erreichen, so +trocknet er rasch aus, wird Sebcha und zuletzt vielleicht weiter +nichts als eine grosse Einsenkung.</p> +<p>Es liegen ausserordentlich wenig sichere Nachrichten über +die Draa-Gegend vor. Freilich als solche wird dieselbe schon im +Mittelalter genannt. Aber darauf, dass man die Draa Landschaft +<i>nennt</i>, höchstens noch eine Ortschaft derselben notirt, +beschränkt sich auch Alles. Leo hebt nur den Ort Beni-Sabih +hervor, offenbar die grosse von mir besuchte Ortschaft Beni- Sbih +in der südlichen Provinz Ktaua. Marmol führt die Stadt +Quiteoa (offenbar Ktaua) an, er nennt auch Tinzeda, welches wohl +mein Tanzetta ist. Ferner nennt er die Oerter Taragale, Tinzulin +(die Provinz Tunsulin von mir), Tamegrut, Tabernost, Afra und +Timesquit (wohl Mesgeta). Delaporte kennt ebenfalls Quiteoa. +Mouette nennt einen Berg, den Lafera oder den höhlenreichen +Berg, Marmol nennt diesen Berg Taragale oder Taragalt, und es ist +dies jedenfalls der Berg, der mir von den Eingebornen als der Dj. +Sagora bezeichnet wurde<a href="#F141"><sup>141</sup></a>. Es ist das das +Hauptsächlichste, was vom Draalande bekannt war, denn +Caillié streifte auch nur die südöstlichste +Umbugsecke des Thales, beim Orte Mimmssina.</p> +<blockquote><a name="F141" id="F141"></a>[Fußnote 141: Siehe +Renou, Empire de Maroc, p. 175 u.f.]</blockquote> +<p>Das Draa-Land zerfällt vom Norden nach dem Süden (ich +spreche immer nur von dem bewohnten Theile, der sich nach +Süden bis zu dem Punkte erstreckt, wo der Draa nach dem Westen +umbiegend seinen Lauf ändert) in fünf Provinzen: die +nördlichste Mesgeta, dann Tinsulin oder Tunsulin (Tinjulen), +drittens Ternetta, viertens Fesuoata und endlich die +südlichste und grösste Provinz Ktaua. Obschon in der +Provinz Ternetta ein Kaid des Sultans residirt, also eine Regierung +von Marokko aus eingesetzt ist, so existirt dieselbe bloss als +nominal. Das Ansehen des Kaid und seiner Maghaseni geht wohl nicht +über seinen Wohnort hinaus. Die ganze Gegend im Draa-Gebiete +ist derart, dass jede einzelne Ortschaft unabhängig von der +anderen ist, und jede Gemeinde durch ihren Schich dem die Djemma, +(Versammlung der ältesten und angesehensten Männer) zur +Seite steht, regiert wird. Selbst nicht einmal die einzelnen +Provinzen haben eine eigene gemeinsame Regierung. Als Hauptort oder +Hauptstadt des Draa-Landes kann man Tamagrut bezeichnen, aber auch +nur insofern, als hier eine berühmte religiöse +Genossenschaft, eine Sauya sich befindet. Aber keineswegs ist +Tamagrut eine officielle Hauptstadt, auch nicht einmal was +Einwohnerzahl anbetrifft die erste. Die grösste Ortschaft im +Draa-Thale ist die in Ktaua gelegene Stadt Beni-Sbih.</p> +<p>Sämmtliche Ortschaften sind mit einer hohen Thonmauer +umgeben, einzelne haben auch noch mehr oder weniger breite und +tiefe Gräben. Alle haben wenigstens eine Moschee, die +grösseren auch mehrere. Die Häuser, von gestampftem Thon +erbaut, haben im Innern einen meist geräumigen Hofraum, haben +alle ein flaches Dach und meistens ein Erdgeschoss und ein +Stockwerk. Im Erdgeschoss verwahrt man das Vieh, und oben halten +sich die Menschen auf. Die Strassen in den Ortschaften sind schmal, +staubig und voller Unrath, obwohl auch hier wie in Tafilet und Tuat +überall öffentliche Latrinen zahlreich vorhanden sind. +Die Palmgärten, welche alle wohl eingefriedigt sind durch hohe +Thonmauern, erhalten ihre Berieselung durch den ewig +strömenden Ued-Draa, und da das Wasser sehr reichlich +vorhanden ist, so hat man keine Zeitbestimmung über die +Vertheilung des Wassers zu treffen nöthig gehabt. Die Datteln, +welche in der Draa-Oase producirt werden, gehören zu den +vorzüglichsten der ganzen Sahara, und da sie kein anderes +Absatzgebiet dafür haben als nach Marokko, das überdies +noch von Tafilet und Tuat und anderen kleinen Oasen seinen +Dattelbedarf bezieht, so sind sie äusserst billig, in guten +Jahren verkäuft [verkauft] man eine Kameelladung (ca. 3 Centner) für +einen halben Thaler. Der Getreidebedarf muss indess von aussen +bezogen werden, das was die Eingebornen bauen, reicht nicht hin sie +zu ernähren, obschon das ganze Jahr hindurch gepflanzt und +geerntet wird. Es kommt das deshalb, weil ein groser [grosser] +Theil der Gärten nur zum Gemüsebau, Kohl, Rüben, +Carotten, Zwiebeln, Pfeffer, Knoblauch, Tomaten, Melonen etc. +verwandt wird, und weil die grösste und schönste Provinz, +Ktaua, derart von Süssholz (Glycirrhiza) überwuchert ist +dass dies fast den ganzen fruchtbaren Boden unter den Palmen +einnimmt.</p> +<p>Das Thierreich bietet nichts Besonderes da, das Schaf ist in den +südlichen Provinzen von Ternetta an ohne Wolle, Pferde, Esel, +Maulthiere und Ziegen sind gut und von derselben Art wie in +Marokko, Rinder sind sehr selten. Von Vögeln hat man wild die +Taube, Sperlinge, Schwalben, dann einen reizenden kleinen Vogel, +ebenfalls zu den Sperlingen gehörend, aber mit buntem Gefieder +und hübscher Stimme. Die Eingebornen nennen ihn Marabut (der +Heilige) und man findet ihn frei, aber zahm in jedem Hause, jeder +Oase südlich vom grossen Atlas.</p> +<p>Was die Bevölkerung anbetrifft, deren Zahl auf +250,000<a href="#F142"><sup>142</sup></a> Seelen sich belaufen kann, so +nennt man sie Draui. Der Mehrzahl nach sind sie Berber: die Araber, +vornehmlich Schürfa, leben nur vereinzelt in Ksors. Zu +erwähnen sind noch die in Palmhütten lebenden +Beni-Mhammed, reine Araber ihrer Abkunft nach, sie sind durchs +ganze Draa-Thal zerstreut in kleinen Gemeinschaften von wenigen +Familien anzutreffen. Auch einige Berberstämme haben diese Art +des Wohnens in Palmhütten. Während die Araber, welche +diese Oase bewohnen, vorzugsweise Schürfa, Marabutin und vom +Stamme der Beni- Mhammed sind, gehören die Berber fast alle +der grossen Fraction der Ait- Atta an.</p> +<blockquote><a name="F142" id="F142"></a>[Fußnote 142: In +Petermann's Mittheilungen ist die Zahl der Bevölkerung in +meinem Berichte zu 25,000 angegeben: ein Schreibfehler meines +Manuscriptes.]</blockquote> +<p>Der Neger, der natürlich auch zahlreich vertreten ist, hat +auf die <i>grosse</i> Menge der Bevölkerung wenig Einfluss +gehabt, aber der Draaberber, wenn er es auch nicht liebt, sich mit +dem Schwarzen zu vermischen, hat doch unmerklich Negerblut +aufgenommen, dann haben Sonne und Staub das Ihrige dazu beigetragen +der Hautfarbe eine dunkle Färbung zu gehen. Die Schwarzen, +welche man im Draa antrifft, sind meistens von Haussa und Bambara, +auch Sonrhai-Neger sind nicht selten.</p> +<p>Die in einigen Ksors ansässigen Juden leben hier nicht in +derselben unterdrückten und ausgestossenen Weise wie im +übrigen Marokko, obschon sie auch hier sich manche Vexationen +gefallen lassen müssen. Sie sind hier weniger dem Handel +zugethan, vertreten hingegen mehr den eigentlichen Handwerkerstand. +Büchsenschmiederei, Blechschlägerei, Tischlerarbeit, +Schneiderei und Schusterei sind ihre hauptsächlichsten +Beschäftigungen. Und eben weil sie durch diese Handwerke den +Draa-Bewohnern unentbehrlich geworden sind, werden sie weniger +gequält. Nach dem heiligen Ort Tamagrut dürfen sie indess +nicht hinkommen, nicht einmal den dort <i>ausserhalb</i> der Stadt +abgehaltenen Wochenmarkt besuchen. Aber damit sie die Strenge +dieser Maassregel weniger fühlen, hat man doch die +Rücksicht gehabt, den Markttag für Tamagrut auf einen +Samstag zu verlegen, Tag, wo es den Juden ohne das untersagt ist zu +handeln und zu verkaufen.</p> +<p>Ausser der Sprache bemerkt man, was das Aeussere (abgesehen +natürlich von den Schwarzen) anbetrifft, zwischen den Draui +keinen Unterschied, wäre dieser nicht, würde man glauben, +das Land sei von einem Volke bewohnt. Die Lebensweise der Bewohner +ist äusserst einfach. Morgens wird eine dünne heisse und +stark gepfefferte Mehlsuppe mit Datteln gegessen, Mittags und +Nachmittags Datteln, wozu die Reichen ungesalzene Butter nehmen, +auch Buttermilch dazu trinken, während der Arme bloss Wasser +zum Trunk hat, und Abends ist Kuskussu die allgemein übliche +Kost. So lebt der Draui täglich und Jahr aus Jahr ein.</p> +<p>Tanzetta, Ort wo ich zuerst ankam, ist wie alle Ortschaften +durch eine hohe Mauer umgeben und befestigt. Nördlich dicht +dabei liegt der nur von Schürfa (Abkömmlinge Mohammed's) +bewohnte Ort Alt-Tanzetta, und ausserhalb von Alt- Tanzetta ist +eine Milha (Judenviertel). Eine halbe Stunde südlich von +Tanzetta liegt der grosse Ort Sauya-Sidi-Barca, und dicht dabei +erhebt sich der sonderbar geformte und unter den Draa-Bewohnern +sehr berühmte Berg Sagora, berühmt, weil er eine +Höhle enthält, in welcher in der Vorzeit die Christen +einen grossen Schatz verborgen hätten, den bis jetzt noch +Niemand gehoben. Der Sagora bildet gerade die Mitte des Draa-Landes +oder Draa- Thales (d.h. des von Nord nach Süd laufenden +Stromtheiles), und er ist ein wirklicher Berg, nicht nur eine +Erhöhung des Ufers.</p> +<p>Nach einem Aufenthalte von acht Tagen brach ich von Tanzetta +nach dem Süden auf, um nach dem berühmten Hauptorte, dem +heiligen Tamagrut, Oertlichkeit, die nur eine kleine Tagereise +südlich von Tanzetta liegt, zu kommen. Ich hatte Begleitung, +was mir schon deshalb lieb war, da ich mich mit der berberischen +Bevölkerung gar nicht verständlich machen konnte. Da eine +ausserordentliche Hitze herrschte, machten wir den Weg in zwei +Tagen, und blieben am ersten Tage in einem grossen Ksor, von +Berbern bewohnt, Namens Alaudra. Der Weg folgte nicht den +Krümmungen des Flusses, sondern lief gerade +südwärts, und so befanden wir uns bald in steiniger +Wüste, bald in einem lachenden Thale. Mittags erreichten wir +am anderen Tage Tamagrut, das sich nur durch seine Grösse, und +dadurch, dass ein beständiger Markt darin gehalten wird, von +den übrigen Ortschaften unterscheidet. Die Sauya, nach +Sidi-Hammed-ben-Nasser genannt, ist eine der grössten, die ich +gesehen habe.</p> +<p>Sidi-Hammed-ben-Nasser war ein berühmter Heiliger, aber +kein Nachkomme Mohammed's. Dafür hatte Allah ihm die Gabe +verliehen, in der eignen Sprache der Thiere mit den Thieren sich +unterhalten zu können (nach dem Glauben der Marokkaner konnte +das vor ihm nur Sultan Salomon, dann Harun al Raschid und Djaffer +sein Minister); aber leider hat diese grosse Gabe auf seine +Nachkommen sich nicht vererbt. Wenigstens kann ich constatiren, +dass die Urenkel weder mit dem Kameele, noch mit dem Pferde oder +anderen Thieren sich unterhalten konnten.</p> +<p>Ich habe an anderer Stelle entwickelt, dass die Mohammedaner +einen grossen Vorzug vor uns Christen haben: dass ihre Heiligen +schon häufig <i>bei Lebzeiten</i> heilig gesprochen werden, +dass ihre Heiligen heirathen dürfen, dass die Kinder und +Nachkommen solcher Heiligen <i>auch</i> für heilig erachtet +werden, ja, dass das Heiligsein bei den Mohammedanern +<i>wachsend</i> ist, d.h. dass die Nachkommen solcher Heiligen +für heiliger erachtet werden, als die Vorfahren selbst.</p> +<p>Aber hat man im Christenthum nicht ganz dasselbe. Sind auch die +Päpste nicht fleischliche Nachkommen Christi, so folgt doch +einer dem anderen als geistiger Erbe, und verfolgt man vom ersten +Bischof in Rom, die zunehmende Macht und Heiligkeit bis zum letzten +jetzt regierenden, der sich Gott gleich gestellt hat durch seine +Unfehlbarkeit, so findet man, dass wir doch nicht so sehr hinter +der anderen semitischen Schwesterreligion zurückstehen. Und +ist es in den anderen christlichen Bekenntnissen nicht ebenso?</p> +<p>Der derzeitige Besitzer der Sauya, Si-Bu-Bekr, ein Ur-Ur-Enkel +des erwähnten Heiligen, wurde denn auch für viel heiliger +gehalten, als der Vorfahr selbst. Seine Familie war übrigens +eine, die sich von jeher durch Frömmigkeit, durch +Gelehrsamkeit in den Schriften, aber auch durch Glaubenseifer +ausgezeichnet hatte.</p> +<p>Ich begab mich sogleich in die Sauya, wo man mich zu Sidi +Bu-Bekr führte. Es war gerade die Zeit des öffentlichen +Empfanges, der ehrwürdige Greis nahm daher bei der Menge der +Leute, die von allen Seiten herbeigeströmt waren, wenig Notiz +von mir, sondern gab bloss Befehl mir ein Zimmer anzuweisen. Desto +zuvorkommender empfingen mich seine beiden Söhne, ich musste +mehrere Wochen bei ihnen bleiben und täglich +überhäuften sie mich mit Aufmerksamkeiten aller Art. Als +ich Sidi<a href="#F143"><sup>143</sup></a> Bu-Bekr einige Tage später +meine Aufwartung machte, entschuldigte er sich, dass er mich nicht +zuvorkommender empfangen, indem er nicht verstanden habe, dass ich +von Europa (Blad-el-Rumi) käme; er fragte, ob ich mit Allem +zufrieden sei, und gab seinen Söhnen den Auftrag für mich +zu sorgen.</p> +<blockquote><a name="F143" id="F143"></a>[Fußnote 143: Im +eigentlichen Marokko würde man nur Si, nicht Sidi zu ihm +sagen.]</blockquote> +<p>Diese Sauya kam mir gerade wie ein Kloster vor; die grossen von +Bogengängen umgebenen Höfe, in welche die Zimmerchen oder +vielmehr die Zellen münden, die von länger verweilenden +Reisenden, oder von Studenten und Schriftgelehrten, die hier ihren +Studien obliegen, bewohnt werden; das ewige Beten und Ablesen des +Koran, die wallfahrenden Leute, die täglich kommen, um das +Grab Sidi Hammed-ben-Nasser's zu besuchen, und ihre Gaben, die in +Geld oder Sachen aller Art bestehen, zu den Füssen des +Marabuts legen, alles dies erinnert an unsere Klöster, nur ist +hier die Prälatur in einer Familie erblich, und zwar geht bei +den Marabutin die Würde nur auf den ältesten Sohn +über, während die übrigen Söhne, einmal aus dem +elterlichen Hause ausgeschieden, in den gewöhnlichen +Bürgerstand zurücktreten. Bei den Schürfa geht die +Würde auf Söhne und Töchter über, ist dann nur +erblich durch die Söhne.</p> +<p>Ehe ich weiter reiste, begab ich mich nach Ktaua, um einige +Notizen über den Handel mit dem Sudan zu erhalten. Ktaua, +diese grosse selbstständige Oase, hat allein für sich +gegen 100 Ksors, die von Berbern, oder auch von Araber-Schürfa +oder vom Stamme der Beni-Mhammed bewohnt sind. Ich ging zuerst nach +dem grossen Orte Aduafil, ausschliesslich von Schürfa bewohnt. +Von hier aus wird der hauptsächlichste Handel mit dem Sudan +betrieben. Gold (in geringer Qualität), Elfenbein, Leder und +Sklaven sind die hauptsächlichsten Gegenstände, welche +man von dorther holt. An eignen Producten liefern indess die Draui +den Schwarzen Nichts, sie können ihnen nur europäische +Producte zuführen, denn das Kupfer, welches sich von Tarudant +aus nach dem Sudan verbreitet, geht wohl zumeist über Tekna +und Nun. Die Sklaven kauft man im Sudan zu den billigen Preisen von +15-20 Thaler, junge hübsche und hellfarbige Mädchen sind +jedoch theurer. In Fes und Marokko werden sie dann mit bedeutendem +Gewinne abgesetzt, zu 100 bis 150 Thaler. Von Aduafil bis Timbuktu +brauchen die Karavanen ca. 8 Wochen, die längste wasserlose +Strecke soll 10 Tage (nach Aussage der Eingebornen, jedoch halte +ich das für übertrieben) betragen.</p> +<p>Ich blieb in Aduafil 14 Tage, und besuchte von hier aus auch die +wichtigen Handelsplätze und Märkte Beni-Haiun und +Beni-Sbih südlich gelegen. Dann begab ich mich nach +Beni-Smigin, Ort, der am nördlichsten in Ktaua liegt, und nahm +die Gelegenheit wahr, mit einer Karavane von hier nach Tafilet zu +gehen.</p> +<p>Während man auf dem Wege von der Provinz Ternetta nach +Tafilet die grosse Oase Tessarin antrifft, hat man von Ktaua aus +nur wüstes Land. Man braucht fünf Tage und hält +immer Nordost-Richtung. Die Wüste ist indess auch hier nicht +aller Vegetation bar, man trifft hin und wieder auf Akazien. Ich +war froh, als ich am fünften Tage Nachmittags von einer +Felsanhöhe die Palmen Tafilets erblickte. Vom Orte +Beni-Bu-Ali, dem östlichsten Ksor, auf den wir trafen, begab +ich mich direct nach dem Hauptorte der Oase Abuam, und da ich ohne +Bekannte war, ging ich direct in die grosse Moschee. Ich hatte +mich, müde wie ich vom Wege war, schlafen gelegt, fand mich +aber unangenehm erweckt durch einen Fusstritt. Vor mir stand ein +Scherif, er fragte, wer ich sei, wie ich hiesse, was ich wolle. Wie +gewöhnlich antwortete ich, ich sei ein zum Islam +übergetretener Deutscher, Namens Mustafa (ich machte nie Hehl +daraus, dass ich übergetreten sei, und konnte das auch nicht, +da ich zu der Zeit das Arabische noch sehr mangelhaft sprach). +Für uns Deutsche haben die Marokkaner das durch die +Türken den Arabern zugebrachte und aus dem Slavischen +entlehnte Wort Nemsi. Aber mit dieser Erklärung war der +Scherif nicht zufrieden. Wie überhaupt durch die drohende +Nähe der Franzosen in Algerien, die Filali (Bewohner Tafilets) +bedeutend misstrauischer gegen Fremde sind, so schien Misstrauen, +Glaubenseifer, Religionsdünkel und jesuitischer Fanatismus in +diesem Scherif personificirt zu sein. Die übrigen Tholba +wurden herbeigeholt, man wollte einen sichtbaren Beweis meines +Islams haben, und als sie nach einigem Kopfschütteln +erklärten, dass man in dieser Beziehung mir nichts vorwerfen +könne, fingen sie trotzdem an, meine Kleider zu durchsuchen. +Und um mein Unglück voll zu machen, fanden sie einen alten +Pass, den ich aufbewahrt hatte.</p> +<p>Mit fanatischem Geheul wurde ich nun von diesen Zeloten nach +Rissani, der officiellen Hauptstadt, wo der Kaid des Sultans +residirt, geschleppt, und ich glaubte schon mein letztes +Stündchen sei gekommen, denn was ist gegen fanatische +Glaubenseiferer zu machen. Fortwährend brüllten sie: "er +ist ein Spion, er ist ein Sendling des christlichen Sultans", womit +sie den Kaiser Napoleon der Franzosen meinten, "er ist gekommen, um +unser Land auszukundschaften, zu verrathen und zu +verkaufen."—So dumm sind nämlich diese fanatischen +Leute, wie ja überhaupt Dummheit und Fanatismus immer Hand in +Hand mit einander gehen, dass sie überzeugt sind, ein +einzelner Christ könne nur so ohne Weiteres ihr Land +verkaufen.</p> +<p>Glücklicherweise aber traf ich im Kaid des Sultans einen +Mann, der schon irgendwo einen Pass gesehen haben musste, oder doch +wusste, welche Bewandniss es damit hatte, aber auch er würde +wohl kaum den wutschnaubenden Volkshaufen haben besänftigen +können, wenn nicht zur rechten Zeit ein marokkanischer Prinz, +nach der Meinung Vieler der rechtmässige Sultan von Marokko, +herbeigekommen wäre: Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman.</p> +<p>Als nämlich Sultan Sliman gestorben war, folgte nicht sein +Sohn, sondern sein Neffe Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, und als +dieser im Jahre 1859 starb, hätte nach dem Herkommen der +Aelteste der Familie und zwar Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman folgen +müssen. Sultan Abd-er-Rhaman hatte aber bei Zeiten dafür +gesorgt, dass sein Sohn Sidi Mohammed nachfolgen würde, und in +der That fand im Herbste 1859 Abd-er-Rhaman-ben-Sliman den Thron +besetzt. Da er sich bis dahin 16 Jahre in der Sauya Sidi Hamsa's, +nördlich von Luxabi gelegen, verborgen aufgehalten hatte, um +dem Dolche und Gifte seines Vetters zu entgehen, brach er Ende +1859, von einigen wenigen Getreuen begleitet, auf nach Fes, um sich +des Thrones zu bemächtigen. Aber schon hatte sich Bascha ben +Thaleb und Kaid Faradji von Fes für den jetzigen Sultan +erklärt, der lange Zeit vorher dort Chalifa gewesen war und +sie durch reiche Geschenke an sich gezogen hatte. Wenig fehlte, so +wäre der Sohn Sliman's mit seinen einigen hundert Reitern +gefangen genommen.</p> +<p>Dieser Mulei Abd-er-Khaman-ben-Sliman lebte jetzt in Tafilet, +und ihm, in seiner Eigenschaft als Prinz und seinem unfehlbaren +Charakter als Scherif— ihm war es ein Leichtes das tobende +Volk zu besänftigen. Es könnte befremdend erscheinen, +dass dieser geächtete und vom Throne ausgestossene Prinz so +friedlich an der Seite des Kaids des Sultans stand, aber man muss +bedenken, dass die Regierung von Marokko südlich vom Atlas nur +eine Scheinregierung ist, und namentlich dieselbe in Tafilet gar +keine Autorität besitzt.</p> +<p>Der Prinz fasste für mich Freundschaft, und diese wuchs +noch, als sich herausstellte, dass ich in der Campagne der +Franzosen gegen die Beni- Snassen 1859 schon seinen ältesten +Sohn, der ebenfalls Abd-er-Rhaman hiess, kennen gelernt hatte. +Derselbe war dahin gekommen, um die Hülfe des +französischen Generals Martimprey gegen seinen Verwandten, der +den Thron von Fes usurpirt hatte, anzurufen; Martimprey lehnte +selbstverständlich jede Einmischung in die inneren +Angelegenheiten Marokko's ab. Ich blieb längere Zeit bei +dieser gastfreundlichen Familie, die für gewöhnlich in +Marka, Provinz Ertib der Oase Tafilet<a href="#F144"><sup>144</sup></a>, +wohnt, und sodann bereitete ich mich vor, meine Reise zu +vollenden.</p> +<blockquote><a name="F144" id="F144"></a>[Fußnote 144: Die +Beschreibung von Tafilet ist in "Uebersteigung des Atlas etc.", +Bremen Kühtmann, 2te Auflage, und in Petermann's +Mittheilungen, Jahrgang 1865.]</blockquote> +<p>Ich hatte im Laufe der Zeit durch Prakticiren wieder einiges +Geld zusammengebracht, allerdings durch mühsames Sparen, denn +die ärztliche Praxis muss in Marokko und namentlich in den +regierungslosen Theilen ganz anders ausgeübt werden, als bei +uns. Namentlich muss sich der Arzt, der keine starke Sippe oder +Verwandtschaft hinter sich hat, wohl hüten, einem Patienten +eine Medicin zum inneren Gebrauche zu verabfolgen, denn hat er das +Unglück sodann einen Kranken durch den Tod zu verlieren, so +ist entweder die Medicin, oder der Arzt die Ursache davon gewesen; +andererseits hat der Arzt aber von wirklich guter Medicin gar nicht +einmal den erhofften Erfolg, denn gesundet ein Kranker, dann haben +weder die Medicin noch der Arzt geholfen, sondern irgend ein +Heiliger, auch wohl Mohammed, in seltneren Fällen +Gott<a href="#F145"><sup>145</sup></a>, dies Wunder bewirkt. Es ist daher am +besten die Praxis so auszuüben, wie es landesüblich ist: +durch Feuer und Amulette.</p> +<blockquote><a name="F145" id="F145"></a>[Fußnote 145: In +dieser Beziehung haben die Mohammedaner viel Aehnlichkeit mit den +Katholiken: bei einem Wunder denken sie zumeist an einen Heiligen, +seltener an ihren Propheten, in den seltensten Fällen an +Gott.]</blockquote> +<p>Mit einer Karavane machte ich mich sodann auf den Weg und zwei +Tage nach unserem Aufbruche von Ertib erreichten wir die +nordöstlich davon gelegene Oase Budeneb. Wir blieben hier nur +einen Tag, und am folgenden Tage Abends erreichten wir die Oase +Boanan, den ganzen Weg hatten wir ebenfalls in nordöstlicher +Richtung zurückgelegt. Mit einem Empfehlungsbriefe vom +obengenannten marokkanischen Prinzen für den Schich der Oase +versehen, kehrte ich bei ihm ein, und wurde auch gastfreundlich +empfangen. Der Schich hiess Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah.</p> +<p>Zehn Tage lang war ich sein Gast, und täglich assen wir aus +Einer Schüssel. Ich hatte dort einen so langen Aufenthalt, +weil Thaleb Mohammed der Meinung war, ich solle nur mit einer +grösseren Karavane weiter reisen, da je näher der +algerinischen Grenze, desto unsicherer der Weg sei. Zu der Zeit nun +lebte ich noch in den Illusionen, wie man dieselben so häufig +durch Bücher solcher Reisenden genährt bekommt, die nur +einen oberflächlichen Blick in das Leben der Mohammedaner +geworfen haben und uns erzählen, wer mit einem Muselman aus +Einer Schüssel gegessen habe, für heilig und +unverletzlich gehalten werde. Zu der Zeit glaubte ich noch an die +Heiligkeit des Gastrechtes. Und hierdurch unvorsichtig gemacht; +liess ich eines Tages mein Geld sehen. Im Ganzen mochte ich ca. 60 +französische Thaler haben. Aber auch für einige Thaler +marokkanisches Kleingeld war darunter, welches ich den Schich bat, +gegen französisches umzutauschen, da ich wusste, dass ersteres +in Algerien keinen Cours hatte.</p> +<p>Thaleb Mohammed wechselte, aber von dem Augenblick an musste er +auch schon den Entschluss gefasst haben, mich zu ermorden. Jetzt +war nicht mehr die Rede davon eine Karavane abzuwarten, er meinte +nun, mit Hülfe seines Dieners, der ganz gut als Führer +würde dienen können, könne ich auch ohne Karavane +die nur zwei Tagemärsche entfernte Oase Knetsa erreichen. Er +fügte noch hinzu, ich könne mich vollkommen auf seinen +Diener verlassen, und der Preis für das Führen, 8 Frcs., +wurde von mir im Voraus bezahlt.</p> +<p>Mit Freuden war ich auf den Voschlag [Vorschlag] eingegangen, +denn nach mehr als zweijähriger Anwesenheit unter diesen durch +ihre Religion verthierten Menschen hatte ich die grösste +Sehnsucht wieder unter Civilisation zu kommen. Ich fand es auch gar +nicht auffällig, als Thaleb Mohammed vorschlug, Abends +abzureisen, da man in der Sahara ja so häufig die Nacht zu +Hülfe nimmt, um der Sonne zu entgehen, und um vom Durste +minder gequält zu werden.</p> +<p>So machten wir uns Abends auf den Weg, der Führer, ein +Diener und ich. Es hatte sich nämlich vom Draa her ein Pilger +an mich angeschlossen, der gegen Kost, aber sonst ohne Lohn, in ein +Dienstverhältniss zu mir getreten war. Nach einem Marsche von +etwa 4 Stunden lagerten wir in der Nähe eines kleinen Flusses +und machten von trocknen Tamarisken-Aesten ein hoch und hell +loderndes Feuer an, welches der Führer besonders gut im +Brennen unterhielt, um damit seinem Herrn den Ort zu zeigen, wo wir +gelagert wären. Mein Diener und ich beim Feuer ausgestreckt, +waren bald eingeschlafen, ebenso schien der Führer sich der +Ruhe hinzugeben. Ausser dass ich eine Pistole trug, hatte der +Diener und ich keine Waffen, der Führer hatte einen Karabiner. +Wie lange ich geschlafen, erinnere ich nicht. Als ich erwachte, +stand der Schich der Oase dicht über mich gebeugt vor mir, die +rauchende Mündung seiner langen Flinte war noch auf meine +Brust gerichtet. Er hatte aber nicht, wie er wohl beabsichtigt +hatte, mein Herz getroffen, sondern nur meinen linken Oberarm +zerschmettert; im Begriff mit der Rechten meine Pistole zu +ergreifen, hieb nun der Schich mit seinem Säbel meine rechte +Hand auseinander. Von dem Augenblick sank ich auch schon durch das +aus dem linken Arm in Strömen entquellende Blut, wie todt +zusammen. Mein Diener rettete sich durch Flucht.</p> +<p>Als ich am folgenden Morgen zu mir kam, fand ich mich allein, +mit 9 Wunden, denn auch noch, als ich schon bewusstlos dalag, +mussten diese Unmenschen, um mich ihrer Meinung nach vollkommen zu +tödten, auf mich geschossen und eingehauen haben. Meine +sämmtlichen Sachen, mit Ausnahme der blutdurchtränkten +Kleider, hatten sie weggenommen. Obgleich das Wasser nicht weit von +mir entfernt war, konnte ich es nicht erreichen, ich war zu +entkräftet, um mich zu erheben, ich versuchte mich +hinzurollen, Alles vergebens, ich litt entsetzlich vom brennenden +Durste.</p> +<p>In dieser hülflosen Lage blieb ich zwei Tage und zwei +Nächte. Halb war mein Zustand wachend, halb ohnmächtig. +Ich hatte dann die schrecklichsten Visionen. Manchmal glaubte ich +Leute zu sehen, und strengte nun alle Kräfte an, um sie +herbeizurufen, aber immer war es Täuschung. Mit dem Leben +hatte ich vollkommen abgeschlossen. Hauptsächlich quälte +mich die fürchterlichste Angst von Hyänen oder Schakalen +angefallen und lebendig verzehrt zu werden. Denn diese +Uebergangsgegend der Sahara ist besonders das Gebiet dieser feigen +Raubthiere. Ich wäre ihnen eine vollkommen hülflose Beute +geworden.</p> +<p>Endlich am dritten Tage kamen zwei Menschen. War es diesmal +Wirklichkeit, oder wieder Täuschung? Nein, es waren Menschen, +sie antworteten auf mein schwaches Rufen durch Winken, mit der +Stimme. Es waren Marabutin der unfernen kleinen Sauya Hadjui. Ihre +Freude mich lebend anzutreffen, war fast grösser als die +meine. Ich stammelte nur "el ma, el ma!" (Wasser). Aber, dachte ich +dann, ist ihre Freude auch aufrichtig? Sie hatten eiserne Hacken +auf der Schulter, offenbar in der Absicht mich zu beerdigen, aber +hauptsächlich waren sie wohl durch den Umstand hergezogen, der +jedenfalls ruchbar geworden war: nämlich dass man mir meine +Kleidungsstücke gelassen hatte, für die dortige so sehr +arme Gegend immer noch ein sehr kostbarer Gegenstand.</p> +<p>Und nun erklärten sie zwar freundlichst mich retten zu +wollen, aber sie müssten nach dem zwei Stunden entfernten +Hadjui zurückkehren, um behuf meines Transportes ein Maulthier +zu holen. So entfernten sie sich wieder, und jetzt durchlebte ich +erst die entsetzlichste Zeit.</p> +<p>Diese vier Stunden, die ich jetzt allein zubrachte, kamen mir +vor, wie eine nie enden wollende Ewigkeit. "Sie haben dich nur +verlassen, um dich sterben zu lassen, und um, wenn du gestorben +bist, sich deiner Kleidungsstücke zu bemächtigen", das +war der Gedanke, der fortwährend durchgedacht wurde, nachdem +ich soeben durch einen Trunk Wasser zu etwas erneuertem Leben +gekommen war. Wie konnte ich überhaupt nach einem solchen +Mordversuche noch Glauben zu den dortigen Menschen haben.</p> +<p>Da endlich hörte ich Geräusch, ich versuchte den Kopf +zu erheben, ich sah ein starkes Maulthier, getrieben von mehreren +Menschen, sich nähern, meine Retter waren wieder da. Mit +Vorsicht luden sie mich auf das Thier, was keine Kleinigkeit war, +da mein linker Arm nur noch an Haut und Muskeln hing, meine rechte +Hand auseinanderklaffte, mein rechter Oberschenkel ebenfalls +durchschossen war. Das Bluten hatte schon längst von selbst +aufgehört, es mussten sich Pfröpfe gebildet oder die +Ohnmachten das bewirkt haben.</p> +<p>Wie lachte mein Herz, als ich die Palmen von Hadjui auftauchen +sah, und doch wusste ich nicht, wie ich vor Schmerzen auf dem +Maulthiere es würde aushalten können. Und die wenigen +Palmen, die wenigen armseligen Häuser<a href="#F146"><sup>146</sup></a> +schienen mir ein Paradies zu sein.</p> +<blockquote><a name="F146" id="F146"></a>[Fußnote 146: Die +Oase Hadjui ist nur eine ganz kleine von circa 100 Palmen +bestandene Insel, mit etwa 50 Wohnungen.]</blockquote> +<p>Ich wurde nach der Wohnung des Schichs der Oase gebracht. Das +Haus Sidi- Laschmy's war aber keineswegs gross, es bestand aus +einem Vorzimmer, Aufenthaltsort für das Maulthier, für +einen Esel und zwei Ziegen, dann kam ein grösseres Gemach, das +als Wohnzimmer für die ganze Familie und zugleich als +Küche diente. Daran stiess ein kleines Zimmer, Vorrathskammer, +endlich waren oben zwei Mensa, d.h. Räumlichkeiten, die auf +dem flachen Dache gebaut waren, und worin die beiden Brüder, +denn Sidi-Laschmy bewohnte das Haus mit seinem jüngeren Bruder +Abd-er-Rhaman, mit ihrer resp. Frau schliefen. Man machte mir dicht +neben der Feuerstelle mein Lager. Mein erster Wunsch war, nachdem +ich etwas Mehlsuppe genossen hatte, nach einem Messer, und als man +ein solches brachte, bat ich Sidi-Laschmy, mit einem herzhaften +Schnitt meinen herabhängenden Arm abzuschneiden.</p> +<p>Aber da kam ich schlecht an. "Das kann bei euch Christen Sitte +sein," sagte der Marabut, "aber wir schneiden nie ein Glied ab, und +da du, der Höchste sei gelobt, jetzt rechtgläubig bist, +wirst du deinen Arm behalten." Mittlerweile hatten sie auch schon +aus Ziegenfell eine Binde genäht, in welche Stäbe aus +Rohr, um dem Ganzen Halt zu geben, eingezogen waren. Diese Binde +wurde umgelegt, mit Thon umschmiert, und so eine Art festen +Verbandes hergestellt. Der Arm wurde auf weissen Wüstensand +gebettet. Hätte man nicht vergessen gehabt, den Verband zu +fenstern, so wäre er vollkommen gewesen. Die übrigen +Wunden wurden einfach mit Baumwolle verbunden, welche von Butter, +in welche man vorher Artemisia getaucht hatte, um sie aromatisch zu +machen, durchtränkt war.</p> +<p>Welch' wonniges Gefühl hatte ich Abends, als ich mich unter +Dach und Fach wusste, zwar hart gebettet, denn ich lag auf Stroh +und war nur mit Teppichen bedeckt, aber doch in Sicherheit mit der +Aussicht wieder hergestellt zu werden und noch leben zu +können. Man hatte mir meine Kleidung vom Leibe geschnitten, um +das Blut heraus zu waschen, aber während der Zeit befand ich +mich in Adam's Kleidern, denn die Leute waren so arm, dass sie mir +keine anderen verschaffen konnten. Ueberhaupt schien Hadjui einer +der dürftigsten Oerter zu sein, die Leute der Oase waren aber +auch die gastfreundlichsten der Welt. Sie waren so arm, dass sie in +der ganzen Ortschaft nicht einmal Weizen hatten, aber im Glauben, +ich dürfe ihre schwere Kost aus Gerstenmehl nicht geniessen, +wurde für mich auf Gemeindekosten Weizen von einer anderen +Oase gekauft. Auch Butter wurde für mich auf Gemeindekosten +geholt, und die jungen Leute mussten dann und wann hinaus, um +Strausseneier zu suchen, oder wo möglich einen Strauss zu +erlegen, damit ich animalische Kost bekäme. Es war +rührend, wie die jungen Mädchen täglich an mein +Lager kamen, um mir frisch aufgesprossene Gerste zu bringen. In +dieser an Grün so armen Gegend, wo Gemüse, wie +Rüben, Zwiebeln und Kohl zu den feinsten und kostbarsten +Gartentrüchten [Gartenfrüchten] gerechnet werden, +verschmäht man es nicht, das zarte Gras der Gerste zu +geniessen.—Ja, fast erstickten mich im Anfange die Frauen +durch ihre Güte: von dem Grundsatze ausgehend, dass der grosse +Blutverlust nur durch grosse Quantitäten von Nahrung zu +ersetzen sei, waren in den ersten Tagen beständig zwei Frauen +an meiner Seite damit beschäftigt, mir grosse Klumpen Kuskussu +in den Mund zu schieben, und ich, des Gebrauches meiner beiden +Hände zu der Zeit beraubt, musste es ruhig geschehen +lassen.</p> +<p>Endlich nach langem Schmerzenslager, um so unangenehmer deshalb, +weil ich keine Kleidungsstücke zum Wechseln hatte, konnte ich +das Ende meiner Reise antreten. Die Wunden am Körper, an den +rechten Hand, der Schuss durchs rechte Bein waren geheilt, der +zerschossen gewesene linke Arm hatte zwar durch Callusbildung um +den zerschmetterten Oberarmknochen Festigkeit gewonnen, aber die +Wunden waren offen und von Zeit zu Zeit eiterten Splitter<a href= +"#F147"><sup>147</sup></a> heraus.</p> +<blockquote><a name="F147" id="F147"></a>[Fußnote 147: Erst +im Jahre 1868 war der Arm vollständig geheilt, nachdem ich +stets mit offenen Wunden, die Reise nach dem Tschad-See und die +Expedition nach Abessinien damit zurückgelegt +hatte.]</blockquote> +<p>Wir nahmen Abschied von einander und Sidi-Laschmy liess es sich +nicht nehmen, mich bis zur grossen Ortschaft Knetsa zu begleiten. +Auf dem Wege dahin haben die Beni-Sithe Minen mit Blei und Antimon, +die sie bearbeiten. Knetsa mit einer Einwohnerschaft von ca. 5000 +Seelen ist eine für dortige Gegend berühmte Sauya, indess +ebenfalls nicht von Schürfa, sondern nur von Marabutin +gegründet. Die Schichs Sidi Mohammed-ben-Abd-Allah und Sidi +Ibrahim sind die ansehensten. Da ersterer sich in Fes befand, stieg +ich bei letzterem ab, für beide hatte ich Empfehlungsschreiben +von Mulei Abd-er- Rhaman-ben-Sïiman von Tafilet. +Merkwürdigerweise hatte mir nämlich der Schich Thaleb +Mohammed-ben-Abd-Allah von Boanan auf Bitten der Marabutin von +Hadjui nicht nur meine Empfehlungsbriefe, sondern auch einen Theil +meines Tagebuches zurückerstattet. Aber hartnäckig den +Mordanfall läugnend, behauptete er, diese Gegenstände +dort gefunden zu haben, leider waren Croquis, sowie Notizen +über Einwohner, Einwohnerzahl der Ortschaften und eine ganze +Reihe von Berge-, Flüsse- und Orts-Namen unwiederbringlich +verloren.</p> +<p>Ich wurde gut in Knetsa aufgenommen, aber auf meine Klage, mich +zu unterstützen gegen Thaleb Mo-hammed-ben-Abd-Allah, +erwiederte Sidi Ibrahim, Nichts thun zu können, da sie keine +obrigkeitliche Regierung hätten. In der That ist in diesen +Gegenden von Regierung und Obrigkeit keine Spur vorhanden, das +Faustrecht in der ganzen primitiven Bedeutung des Wortes herrscht +überall. Knetsa selbst liegt in einem breiten Ued gleichen +Namens, der meist oberirdisch ohne Wasser ist, indess stöst +[stösst] man in geringer Tiefe auf eine Schicht desselben.</p> +<p>Nach einigen Tagen Aufenthalt vernahm ich, dass eine Karavane +von Tafilet nach Tlemçen den westlich einen Tagemarsch +entfernt sich erstreckenden Ued- Gehr passiren würde; mit +mehreren Gefährten brachen wir also von Knetsa auf. Unsere +Richtung war den ganzen Tag über westlich, und nach einem +für mich entsetzlich mühevollen Marsche erreichten wir +spät Abends den Gehr. Hätten an dem Tage die +Gefährten mich nicht unterstützt, so wäre ich auf +halbem Wege liegen geblieben; mein Schuhzeug war ganz zerrissen, +meine Kräfte aber so wenig hergestellt, dass ich alle paar +hundert Schritt ausruhen musste. Und am Gehr angekommen, erfuhr +ich, die Karavane würde gar nicht nach Tlemçen gehen, +sondern nach dem Ued-Ssaura. Ich musste also nach Knetsa +zurück, aber bald darauf traf ich denn auch Leute, die nach +der Oase Figig reisen wollten.</p> +<p>Sobald man Tafilet hinter sich hat, hört die eigentliche +Sahara auf. Man hat alle Tage Wasser, Flüsse, Brunnen und +Ortschaften. Aber nirgends hat die Gegend einen +eigenthümlicheren, wild durch einander gemischten Charakter +wie hier. Selbst in Abessinien, obschon dort die Berge +mächtiger und bedeutend höher sind, man aber nur Berge +hat, giebt es kaum wunderlichere Formen. So sieht man auf dem Wege +zwischen Hadjui und Knetsa einen Berg, der vollkommen die Gestalt +einer Kirche mit daneben stehendem Thurm hat, senkrecht aus der +Ebene hervorragen. Als ich von Weitem diese eigenthümliche +Formation erblickte, glaubte ich zuerst, es sei eine alte kolossale +Baute ehemaliger Christen. Hier ist denn auch die Heimath der +Antilopen, Gazellen und Strausse, grössere reissende Thiere +sind sehr selten, Hyänen, Füchse und Schakale +häufig.</p> +<p>Man braucht von Knetsa nach Figig drei Tagemärsche, die +aber tüchtig gemessen sind. Meine Gefährten gingen indess +nur bis zum Orte Bu- Schar<a href="#F148"><sup>148</sup></a>, einer kleinen +Oase am Flusse gl. N., von den Uled Djerir bewohnt. Die +Bu-Schar-Oase hat ausserdem noch zwei kleinere Ksors. Ich glaubte +schon zu einem längeren Aufenthalte verdammt zu sein, als sich +ein Mann erbot, mich nach Figig bringen zu wollen, gegen den +geringen Lohn von einem (französischen) Thaler. Er hatte den +Empfehlungsbrief des Scherif- Prinzen von Tafilet an Schich +Humo-ben-Taher von Figig gelesen und meinte, der würde den +Thaler zahlen. Mit diesem guten Manne, der noch dazu einen Schlauch +Wasser und einige Lebensmittel trug, brach ich auf. Nach zwei +harten Tagemärschen sahen wir die dichten Palmwälder der +Oase Figig vor uns. Es ist dies die letzte Oase nach dem Norden zu, +deren Datteln noch gesucht werden; alle von hier an nördlich +gelegenen Oasen produciren wohl noch Datteln, jedoch von geringerer +Güte. Renou t. IX, p. 120 führt nach Carette noch Figig +als eine von "Berbern bewohnte Stadt mit 400 bis 500 Häusern +oder 2000 bis 2500 Einwohnern" an. Figig ist kein Ort oder keine +Stadt, sondern eine ziemlich grosse, 3 bis 4 Stunden im Umfange +haltende sehr fruchtbare Oase, mit acht Ksors, die alle befestigt +sind, und fast fortwährend in Feindseligkeiten mit den +auswärtigen Ortschaften oder unter sich selbst sind. Der +Hauptort heisst Snaga, im SO der Oase gelegen, hier residirte auch +Schich Humo-ben-Taher. Von den anderen Orten kann ich Maise, dann +Hammam-Tachtani und Hammam-Fukkani (oberes und unteres Bad) nennen. +Der Name deutet schon an, dass hier Thermalen sind, denn unter +Hammam versteht der Araber immer "heisses Bad." Es dürfte wohl +nicht übertrieben sein, wenn wenn [wenn] man die +Gesammtbevölkerung der Oase Figig auf 10,000 Seelen annimmt. +Auch Juden wohnen in Snaga und Maise. Die Oase producirt ausser der +Dattel sämmtliche Früchte der Mittelmeerzone. Der Handel +ist sehr lebhaft, Araber-Nomaden, besonders aus Algerien bringen +Butter, Oel, Felle, Wolle, Schafe, Ziegen und Getreide, und holen +dafür Pulver, Kleidungsstücke, Datteln, Waffen und +Sklaven.</p> +<blockquote><a name="F148" id="F148"></a>[Fußnote 148: Ort, +von Moula-Ah'med auf seiner Pilgerreise erwähnt. S. +Renou.]</blockquote> +<p>Leider konnte ich mein Versprechen, dem Führer einen Thaler +zu geben, nicht halten. Schich Humo-ben-Taher nahm mich zwar sehr +freundlich auf, aber einen harten Thaler für mich auszugeben, +dazu war er nicht zu bewegen. Statt dessen rief er den armen Kerl, +und ertheilte ihm seinen Segen, er meinte der Segen würde +besser sein, als Geld. Betrübt schlich der arme Mann von +dannen, er nahm selbst Abschied von mir ohne Fluch und +Verwünschung, meinte nur, wenn ich das Geld gehabt hätte, +würde ich ihn wohl belohnt haben. Und darin hatte er nicht +Unrecht, denn als ich später auf meiner zweiten Reise in der +heiligen Stadt Uesan mit ihm zusammentraf, konnte ich ihm reichlich +sein mir erwiesenes Gute zurückerstatten.</p> +<p>Von Figig bis zur französischen Grenze hat man noch einen +starken Tagemarsch, nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Snaga +brach ich mit einer grossen Karavane von Algerinern auf und mit +Isch hat man die Grenze des Gebietes, das dem Namen nach zu Marokko +gehört, hinter sich, und bald darauf ist man auf +französischem Grund und Boden.</p> +<p>Ehe ich aber über Ain-Sfran, Schellala etc. und durch +zahlreiche Duars nomadisirender Araber kommend, Géryville, +die südwestlichste von den Franzosen besetzte Stadt, +erreichte, vergingen noch saure, mit starken Anstrengungen +verknüpfte Tage.</p> +<p>Mit Géryville aber hatten meine Leiden ein Ende. Herr +Burin, Commandant des Ortes, dann der dortige Militairarzt, nahmen +mich mit der offensten Gastfreundlichkeit auf, wochenlang wurde ich +dort aufs liebevollste im Hospitale der Garnison verpflegt, und +bald darauf bekam ich Briefe aus der Heimath, mein ältester +Bruder Dr. Hermann schickte die Mittel zur Weiterreise, und als ich +dann, kurze Zeit später, in Algier selbst anlangte, brachte +nach einigen Tagen der Dampfer eben diesen Bruder, der die weite +Reise von Bremen nicht gescheut hatte, "den Wiedergefundenen" an +sein treues Herz zu drücken.</p> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und +Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO *** + +***** This file should be named 15890-h.htm or 15890-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/5/8/9/15890/ + +Produced by Magnus Pfeffer, Robert Kropf and the Online +Distributed Proofreading Team. 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