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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:47:44 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise
+südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: May 24, 2005 [EBook #15890]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***
+
+
+
+
+Produced by Magnus Pfeffer, Robert Kropf and the Online
+Distributed Proofreading Team. This file was produced from
+images generously made available by the Bibliothèque
+nationale de France (BnF/Gallica) at http://gallica.bnf.fr.
+
+
+
+
+
+Transcriber's notes: _ Kursiv / italic
+ [] Korrektur von Satzfehlern / correction of typos
+
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+
+ Mein erster Aufenthalt
+
+ in
+
+ Marokko
+
+ und
+
+ Reise südlich vom Atlas
+
+ durch
+
+ die Oasen Draa und Tafilet.
+
+
+
+ Von
+
+ Gerhard Rohlfs.
+
+
+
+ BREMEN, 1873.
+
+Verlag von J. Kühtmann's Buchhandlung,
+
+ U. L. Fr. Kirchhof 4.
+
+
+
+#VORWORT.#
+
+ * * * * *
+
+Indem ich dem geneigten Leser die Beschreibung meines ersten Aufenthaltes
+in Marokko übergebe, verweise ich dabei auf die ausgezeichneten Karten, die
+seiner Zeit in den Petermann'schen Mittheilungen über meine Routen
+erschienen sind. Ich habe mir die grösste Mühe gegeben, durch Vergleichung
+mit anderen Angaben ein annähernd genaues Resultat über die Einwohnerzahl
+des Landes und der Städte zu erlangen, und hoffe das Richtige getroffen zu
+haben, so weit das überhaupt durch Schätzung zu ermöglichen ist. Sehr
+bedauerlich ist für mich, dass durch einen Schreibfehler in meinem
+Manuscripte die Zahl 25,000 statt 250,000 für die Draabevölkerung auch in
+Dr. Behm's geogr. Jahrbücher übergegangen ist. Im vorliegenden Buche bitte
+ich ausserdem bei Dar beida statt 300 Einwohner 3000, und bei Asamor statt
+30,000 Einwohner 3000 lesen zu wollen.
+
+Weimar, September 1872.
+
+#GERHARD ROHLFS.#
+
+
+
+
+#INHALT.#
+
+ * * * * *
+
+ 1. Ankunft in Marokko
+ 2. Bodengestalt und Klima
+ 3. Bevölkerung
+ 4. Religion
+ 5. Krankheiten und deren Behandlung
+ 6. Uesan el Dar Demana
+ 7. Eintritt in marokkanische Dienste
+ 8. Die Hauptstadt Fes
+ 9. Mikenes und Heimreise nach Uesan
+10. Politische Zustände
+11. Consulatswesen
+12. Aufenthalt beim Grossscherif von Uesan
+13. Reise längs des atlantischen Oceans
+14. Reise südlich vom Atlas nach der Oase Draa
+15. Die Oase Draa. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+1. Ankunft in Marokko.
+
+ * * * * *
+
+Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines französischen
+Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war Nachmittag, als wir beim
+herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht hinausdampften. Die meisten an
+Bord befindlichen Passagiere wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren
+auch einige, die Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten. Der
+grösseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen, da mein
+Geldvorrath äusserst gering war; das Wetter war eben so sommerlich, die das
+Dampfboot führenden Leute so freundlich und zuvorkommend, dass man kaum an
+die grösseren Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.
+
+Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest
+vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste der
+Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der Zeit sprach
+man in Spanien und Algerien viel von einer Reorganisation der
+marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe nach dem Friedensschlusse
+mit Spanien die Absicht ausgesprochen, Reformen einzuführen; man las in den
+Zeitungen Aufforderungen, nach Marokko zu gehen, jeder Europäer könne dort
+sein Wissen und sein Können verwerthen. Dies Alles beschäftigte mich, ich
+machte die schönsten Pläne, ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu
+können, als ich durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war;
+ich glaubte um so eher mich den Verhältnissen des Landes anschmiegen zu
+können, als ich in Algerien gesucht hatte, mich der arabischen Bevölkerung
+zu nähern und mit der Sitte und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt
+zu machen.
+
+Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma Rassaua) gemacht,
+um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und wieder ging es weiter nach
+dem Westen, und als es am folgenden Morgen tagte, befanden wir uns gerade
+in gleicher Höhe von Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der
+Küstenfahrt zu geben, von der sich überdies äusserst wenig sagen lässt.
+Nackt, steil und abschreckend fallen die Felswände ins Meer hinein.
+Freilich ist die Küste gar nicht so einförmig, wie sie sich in einer
+Entfernung von circa dreissig Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir
+gewöhnlich hielten, auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk
+unterscheiden; aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein Städtchen
+ist zu erblicken, höchstens die einsame Kuppel des Grabmals irgend eines
+Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an der Küste Menschen
+hausen.
+
+Hätte nicht Spanien einige befestigte Punkte, Strafanstalten, an dieser
+Küste, sie würde vollkommen unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de
+Velez bekamen wir nach einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von
+Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige Dörfer an der Küste
+haben, so sind diese doch so versteckt angelegt, dass sie sich dem Auge des
+Vorbeifahrenden entziehen. Der Seeräuber scheut das Licht, er muss
+Schlupfwinkel haben, und die in unmittelbarer Nähe des Mittelmeers
+wohnenden Rifi sind nichts Anderes als Seeräuber, und zwar der schlimmsten
+Art. Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben dazu
+auch weder passende Fahrzeuge noch genügende Waffen, aber wehe dem Schiffe,
+das an ihrer Küste scheitert, wehe dem Boote, welches der Sturm in eine
+ihrer Buchten treiben sollte.
+
+Wie ganz anders ist die gegenüberliegende spanische Küste, grüne, wein- und
+olivenumrankte Berge, überall Städte, freundliche Villen und Dörfer, kleine
+Schiffe, die den Küstenverkehr vermittelm [vermitteln]; man kann keinen
+grösseren Gegensatz denken.
+
+Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die Küste, ohne sie jedoch ganz
+aus den Augen zu verlieren, und hielten auf Gibraltar, welches noch Nachts
+erreicht wurde. Bis zum folgenden Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde
+die Meerenge durchschnitten und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche
+Jollen waren gleich vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser
+mir fast nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle
+war bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen nicht
+unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines Menschen, der einen
+heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist nämlich die Brandung so
+stark, dass die Böte dort nicht anlegen können. Ich miethete einen
+kräftigen Neger, der mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans
+Land trug.
+
+Für einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht lästig, zumal
+für mich, da mein Pass bekundete, dass ich unter englischem Schutze stände.
+Die Dragomanen der verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden
+nach ihrer Nationalität, und als ich meinen Bremer Pass in die Hände eines
+vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen
+Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten beseitigt. Die
+Hansestädte standen dazumal unter grossbritanischem Schutze, während
+Preussen sich durch Schweden vertreten liess.
+
+Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das Hôtel de France, welches
+von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein reizendes Haus, in ächt
+maurischem Style. Von einem früheren Gouverneur der Stadt erbaut, gehörte
+dasselbe jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenthümer der
+Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.
+
+Ausser mir war noch ein Blumenhändler dort, der mit dem Bruder des Sultans,
+Mulei el Abbes, Geschäfte machen wollte, und auch hoffte bei den
+europäischen Consuln seine Waare absetzen zu können, dann ein Spanier,
+vormals Offizier der spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte,
+wie ich, in Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren
+Monaten in Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gründen er die spanische
+Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei Tetuan
+noch so ausgezeichnet hatte, hätte er in Spanien sicher eine
+Zukunft gehabt. Beschäftigt mit der Uebersetzung des spanischen
+Artillerie-Reglements ins Arabische, wollte er dies dem Sultan präsentiren
+und dann in die marokkanische Armee eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el
+Abbes noch glänzende Versprechungen gemacht.
+
+Mein nächster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir Drummond Hay.
+Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von allen Mitteln entblösst,
+obwohl ich kein einziges Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon
+ich ihm ein vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engländer war, empfing
+mich Sir Drummond mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit. Aber wie
+zerstieben meine Träume. Ich erfuhr, dass an eine Reorganisation der
+Zustände des Landes nicht gedacht würde, dass der religiöse Fanatismus eher
+zu- als abnähme, dass, wenn der Sultan für seine Person auch vielleicht
+Reformen in einigen Dingen wünsche, der Religionshass der Eingeborenen
+gegen alles Christliche so gross sei, dass an Ausführung nicht gedacht
+werden könnte. Allerdings habe der Sultan eine _regelmässige_ Armee
+gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelmässig, und falls ich auf
+dem Beschluss bestände, ins Innere des Landes gehen zu wollen, sei vor
+Allem _erforderlich_, äusserlich den Islam anzunehmen.
+
+Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zurück. Aber eine Berathung mit Gatell, der
+Reiz des Neuen, das Lockende, völlig unbekannte Gegenden durchziehen zu
+können, fremde Völker und Sitten, ihre Sprache und Gebräuche kennen zu
+lernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies
+bewog mich, das Wagniss auszuführen, und nach einer zweiten Unterredung mit
+Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle--(es war dies das _einzige_
+Mittel, um ins Innere des Landes Zugang zu bekommen)--_äusserlich_ den
+Islam annehmen und eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans
+nachsuchen. Unter dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte
+Sir Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und könne mich so
+lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei el Abbes, den ich versuchte
+zu besuchen, war indess nicht sichtbar für mich, jedesmal kam ich zu
+ungelegener Zeit.
+
+Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen Vorsatz
+auszuführen, obschon alle anderen Europäer abriethen. Ich vermied aber so
+viel wie möglich mit ihnen in weitere Berührungen zu kommen, namentlich
+mied ich das spanische Consulat (obschon mir dasselbe später in Marokko
+viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion verdächtigt zu werden.
+Denn hätten die Mohammedaner mich nach wie vor mit Christen verkehren
+sehen, so würden sie es gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein
+übergetreten. So war ich nur fünf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die
+Stadt nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den Rücken
+gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es übernommen hatte, mich
+nach Fes bringen zu wollen.
+
+Ich hatte meine Sachen auf das Nothdürftigste reducirt, ein Bündelchen mit
+Wäsche war Alles, was ich bei mir hatte, nach Landessitte trug ich es an
+einem Stocke hängend auf der Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses
+langes wollenes, mit Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe
+Pantoffeln, dann eine spanische Mütze, worein ich mein letztes Geld--eine
+englische Fünf-Pfundnote--genäht hatte, endlich ein schwarzer weiter
+europäischer Ueberzug, der als Burnus dienen konnte: das war mein Anzug.
+Ich hatte keine Waffen, ein kleines Buch mit Bleistift, um Notizen machen
+zu können, war in der Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausrüstung.
+
+Gewiss ein Wagestück, unter solchen Umständen, mit solchen mehr als
+bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes Land eindringen zu wollen!
+Um so mehr, als ich von der arabischen Sprache nur die gewöhnlichsten
+Redensarten auswendig wusste und weit davon entfernt war, auch nur
+mangelhaft sprechen zu können. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut
+auswendig gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es
+sagen, alleiniger Schlüssel zum Oeffnen dieser von so fanatischer
+Bevölkerung bewohnten Gegenden ist. Diese Glaubensformel--wer hätte sie
+nicht schon gehört oder gelesen--lautet: _"Lah ilah il allah, Mohammed
+ressul ul Lah,"_[1] ausser Gott kein Gott, Mohammed ist der Gesandte
+Gottes.
+
+ [Fußnote 1: Ganz genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus,
+ obschon es nach der Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein
+ müsste.]
+
+Mein Gefährte schien vollkommen überzeugt, ich sei zum Islam übergetreten,
+nur glaube ich, vermuthete er, ich sei heimlich entflohen aus irgend einem
+verborgenen unlauteren Grund, vielleicht dachte er auch, dass bei den
+Christen der Uebertritt von einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit
+dem Tode bestraft würde; aber das schien ihm gewiss, dass mein Päckchen mit
+Wäsche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte und ich mich
+damit aus dem Staube machen wolle. Natürlicherweise mussten ihm solche
+Gedanken kommen: ein Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich
+nie mit Wäsche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan wäre.
+
+Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan führte, weil
+mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen Freund aufsuchen wollte,
+und bald genug hatten wir die nächste Umgegend Tangers verlassen. Der Weg
+war nicht belebt, denn es war nicht der nach Tetuan führende Karavanenweg.
+Aber wie entzückend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt nicht
+neu für mich war, wenn auch das Thierreich nördlich vom Atlas überhaupt
+wenig bietet, was nicht in den übrigen Ländern am Mittelmeerbecken zu
+finden ist, das schon Gesehene unter anderen Verhältnissen übt immer einen
+mächtigen Zauber aus.
+
+Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der Marokkaner
+sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der langblättrigen Aloës,
+Lentisken- und Myrtengebüsch, Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April
+ist für Marokko die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem
+Anfang Juni entsprechen würde. Die Pracht und Fülle der Natur hat nun keine
+Grenzen. Der heisse und austrocknende Südostwind hat seine tödtenden
+Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht ausgeübt. Wie alle Gärten der
+Städte Marokko's zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus.
+Und da in den unteren Theilen die Bewässerung gut ist, wird Alles gezogen,
+was man nur in Europa an Gemüse kennt.
+
+Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von Tetuan
+kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere Europäer waren,
+die mich alle baten und beschworen, nicht in alleiniger Begleitung eines
+Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins Innere des Gebirges zu gehen. Aber
+ich liess mich nicht mehr bereden, es waren die letzten Christen, die ich
+für lange Zeit zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle
+nie aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge nach
+Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach noch
+ausführlicher von dieser merkwürdigen Persönlichkeit die Rede sein soll,
+beschränke ich mich darauf, hier anzuführen, dass er der grösste Heilige
+von Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den Mohammedanern
+ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst bei den ultramontanen
+Katholiken.
+
+Durch viele kleine Duar (Zeltdörfer) und Tschar (Häuserdörfer) kommend, die
+alle von hübschen Gärten umgeben waren, zog ich trotz meiner
+halbmarokkanischen Kleidung überall die Blicke der Eingeborenen auf mich,
+und Si-Embark (so nannte sich mein Gefährte) hatte genug zu thun, die
+Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt: "er geht zu
+Sidi, ist ein zum Islam übergetretener Inglese" (Engländer), als alle
+beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird schlecht weg der Grossscherif von
+Uesan genannt, er bedeutet Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess
+es ruhig geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engländer, die Mühe, ihnen
+auseinanderzusetzen, welcher Nationalität ich angehöre, würde überdies bei
+ihren kindlichen geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen
+sein.
+
+Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge
+gelegenes Dörfchen. Alle Häuser und Gehöfte waren von hohen Cactushecken
+umgeben, ebenso die einzelnen Gärten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht,
+und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist
+Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren
+die Fragen, die Beide sich unzählige Male, nachdem der erste _"ssalamu
+alikum"_ ausgetauscht worden war, wiederholten. Dabei küssten sie sich
+recht herzlich, und allmählich, als etwas mehr Ruhe in die rasch
+erfolgenden und, wie es schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese häufig
+untermischt mit anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem
+letzten Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die
+Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich wurde die
+Neugier in Betreff meiner auch gestillt.
+
+Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie alle übrigen
+nur aus Einem Zimmer. Die Wände waren auswendig und innen überkalkt, der
+Fussboden war aus gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf
+Stämmen aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige
+Thür so niedrig, dass ein fünfjähriges Kind allenfalls aufrecht hindurch
+gehen konnte. Das äussere Dach, à cheval darüber gelegt, war aus Stroh.
+Eine Matte, ein Teppich, auf einer Erderhöhung eine Art Matratze war das
+ganze Ameublement.
+
+Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je eine Frau, denn das
+Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man findet es in Marokko überhaupt sehr
+oft, dass zwei verheirathete Brüder Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater
+der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das Haus.--Der ganze folgende Tag
+wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen ich leider nicht erfuhr,
+zugebracht. Hier wurde ich in den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen
+Mohammedaner gestempelt; sie riethen mir nämlich, oder vielmehr befahlen,
+mein Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen,
+mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche
+[chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens nach
+Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen, welches Mirza-Schaffy
+für den schönsten Schmuck des Mannes hält. Der alte Papa hatte selbst das
+Rasiren besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente
+sich dazu seines ganz gewöhnlichen Messers. Ein Fötha (d.h. Segen) wurde
+gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer
+Meinung nach vollkommener Muselmann.
+
+Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das später näher
+erörtern werde, nicht als zum Islam unumgänglich nothwendig gehalten[2].
+
+ [Fußnote 2: Siehe darüber auch Höst, S. 208.]
+
+Natürlich musste ich von nun an alle Gebräuche, die der Islam erfordert,
+mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen Schüssel
+mit dem männlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der
+Bissen zu fassen und zum Munde zu führen sei, und Nachts musste ich mich
+bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh für diesmal eine Matte zu
+haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer kleinen thönernen Lampe,
+ganz ähnlich in Form und Gestalt den antiken griechischen und römischen.
+Ein Klumpen Butter wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu
+einem Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der
+brillanten Gaslampe.
+
+Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich natürlich immer zu
+Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um "Dhaha" beim Ued
+Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor (Alcassar) führende
+Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie
+die Marokkaner meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den
+Magenbedürfnissen und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat
+als Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenhöhe oder Mittag, und
+Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag,
+endlich zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für
+alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen[3]. Wenn ich sagte, dass
+wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man dabei ja nicht an
+eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee, dergleichen giebt es im
+ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens
+noch ganz unbekannt ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr
+oder weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener
+eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft
+zwanzig, ja bis zu fünfzig, die sich in einander schlängeln, so dass das
+Ganze von der Vogel-Perspective aus gesehen, wie ein langgezogenes Netz
+erscheinen würde.
+
+ [Fußnote 3: Sonnenaufgang Seroct el schems, gegen 9 Uhr Morgens
+ Dhaha, Mittag nus el nhar, Nachmittags 3 Uhr L'asser, Untergang der
+ Sonne Hebut el schems. Diesen Zeiten entsprechen auch die Gebete,
+ doch ist das Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]
+
+Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen
+Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu
+erhöhen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die
+Gerste zu ernten. Die Verhältnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz
+anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl
+Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz
+derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob
+die Berber den Pflug _vor_ der arabischen Invasion gekannt haben, ist
+nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen Völkern Afrika's kennt
+nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch
+wahrscheinlich aus Arabien herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen
+der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet.
+Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann
+man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh
+stehen bleibt, dies soll dann zugleich für die nächste Bestellung des
+Ackers als Düngungsmittel dienen. In Haufen lässt man alsdann das Getreide
+einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder,
+_denen das Maul verbunden ist_[4] und die im Kreise herumgetrieben
+werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel
+einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den nächsten Gebrauch nicht
+im Hause behält, wird in grosse Löcher geschüttet. Diese Gruben von
+birnförmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als
+mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erhöhungen
+und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin
+halten.
+
+ [Fußnote 4: Höst (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es
+ aber nur so ausdreschen sehen.]
+
+Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gewöhnt, war mir der
+Marsch mit blossen Füssen in den dünnen gelben Pantoffeln äusserst
+beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen
+eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war,
+dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde
+und schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine kleine
+Rkuá[5] bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends
+erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem genächtigt wurde. Es
+war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch grössere Feinheit des
+Stoffes auszeichnete, auch geräumiger als die übrigen war, gehörte dem Mul
+el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid
+war. Sein Zelt stand mit den übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die
+Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben
+herrscht überdies die Sitte, die Zelte kreisförmig aufzuschlagen; viele
+lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen
+den örtlichen Verhältnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den
+ganzen Tag über gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten hätte, und
+ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortwährend Gott im Munde
+zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns
+lächerlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, für Kugel
+anwenden hörte, unterbrach er mich rasch und meinte, es sei unanständig,
+dies Wort, womit man Menschen tödte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie
+ich zu sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber später fand ich, dass
+man in Marokko allgemein für Bleikugel das Wort "chfif", d.h. "leicht"
+sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende Eigenschaft. Er sagte mir, ich
+solle nie die Frauen und jungen Mädchen ansehen und als Fremder nicht mit
+ihnen sprechen, kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch
+am folgenden Tag dafür bezahlt.
+
+ [Fußnote 5: Rkuá, kleiner Schlauch, den man selbst trägt; Girba,
+ Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]
+
+Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, sondern
+Si-Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei dem er Unterkommen
+fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher zum ersten Male eine
+einheimische feste Behausung kennen gelernt, so war jetzt das Leben und
+Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. Ich sah jetzt ein, welch
+ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des Islam ziehen würde. Hätte man
+einen Christen oder auch einen unter Gepränge reisenden Mohammedaner so
+ohne Weiteres ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie.
+Auf diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige
+Bevölkerung selbst lebt--auf diese Art reisend, durfte ich hoffen, genau
+die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen kennen zu lernen. Vor mir war
+keine Scheu, keine Zurückhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann
+sagen, auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und
+unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt dafür vom
+Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der zudringlichen Fragen,
+warum ich gekommen, weshalb ich übergetreten, warum ich nicht heirathe und
+mich sesshaft mache etc. etc., erwehren zu können, ausgesagt, ich sei Arzt;
+aber von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen Krankheiten
+Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles wollte Mittel und
+Rathschläge vom ehemaligen christlichen Arzt haben. Freilich schöpfte ich
+auch hieraus manchen Nutzen, denn ebenso gut wie in Europa der Arzt
+manchmal mehr erfährt als der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die
+Marokkaner Vertrauen zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten
+Beweis seiner Heilkraft erprobt haben.
+
+Das Zelt, welches wir für die Nacht bewohnten, war dasselbe, worin die
+ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im Allgemeinen sind die Zelte
+der Marokkaner etwas kleiner als die der Algeriner, aber grösser als die
+der Bewohner von Tripolitanien und Cyrenaika. Dies gilt indess nur für die
+Theile in Marokko, die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger
+stehen, in den Gebieten, welche eine unabhängige Herrschaft haben, besitzen
+die Stämme ebenso grosse, wenn nicht noch grössere Zelte als die der Triben
+in Algerien. Man kann mit Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte
+auf den Wohlstand Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie
+bei uns ursprünglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause", "er
+macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in Wirklichkeit zu
+nehmen ist, so auch in Marokko; "_min dar kebira_", oder "_cheima
+kebira_" heisst vom grossen Hause, vom grossen Zelte und bedeutet, dass
+der, auf den es Bezug hat, wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt,
+mithin Reichthum und Macht besitzt.
+
+Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten, nicht zu den
+grossen gehörte; in der einen Hälfte schliefen Mann und Frau, in der
+anderen wir und noch zwei männliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand
+war durch die im Zelte üblichen Möbel gebildet: hohe Säcke mit Korn, darauf
+ein Sattel, Ackergeräth, zwei Flinten, ein grosser Schlauch mit Wasser, ein
+anderer, worin gebuttert wird und der nur halb voll zu sein schien[6],
+Töpfe und leere hölzerne Schüsseln vervollständigten die trennende
+Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine Scheidewand gezogen zu
+sein. Ein kleines Füllen, welches an unserer Seite angebunden war, bekam
+mehrere Male Nachts Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des
+Eigenthümers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen kurzen
+Besuch zu machen, wobei sie ungenirt über uns wegkletterten.
+Glücklicherweise sind die Hunde _des Zeltes_, in das man einmal
+aufgenommen ist, nicht mehr zu fürchten, es ist, als ob sie den Gastfreund
+ihres Herrn respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts
+einen Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er
+würde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien angefallen
+werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man lockt durch faules
+oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere fort, und mit Leichtigkeit kann
+dann gestohlen werden, da die Eingeborenen sich Nachts nur auf die
+Wachsamkeit ihrer Hunde verlassen.
+
+ [Fußnote 6: Man giesst mehrere Morgen nach einander die frisch
+ gemolkene Milch in einen Ziegenschlauch, und später wird durch
+ Schütteln die Butter erzeugt.]
+
+Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets für die Nacht in
+den inneren Kreis getrieben und Morgens und Abends gemolken. Besitzt ein
+Einzelner viele Schafe, so werden sie in zwei Reihen mit den Köpfen nach
+vorn gerichtet, durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald
+ein Schaf gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit führen die
+Widder der verschiedenen Heerden furchtbare Kämpfe auf und meistens lassen
+die Besitzer sie gewähren. Ein jeder der Kämpfer geht ungefähr zehn Schritt
+zurück, und sodann stürzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass die
+Köpfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse mit dem Kopfe
+nach vorwärts, sie fallen auf die Knie, endlich räumt der eine das Feld,
+während der andere laut schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das
+marokkanische Schaf ist nicht das fettschwänzige. Die Hörner des Schafes
+sind spiralförmig gebogen, der Kopf ist vorn gewölbt, die Wolle lang und
+fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das spanische Merino entstanden.
+Für Veredlung der Race der Schafe wird natürlich in Marokko gar nichts
+gethan, im Gegentheil wundert man sich, dass sie bei so ungünstiger
+Behandlungsweise noch so ausgezeichnet gedeihen. Hemsö schätzt die Zahl der
+Schafe auf vierzig bis fünfundvierzig Millionen. Wo Schafe sind, ist
+gleichzeitig auch Ziegenzucht und verhältnissmässig gedeihen diese besser,
+weil sie weniger Wartung bedürfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen
+Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie wegen
+ihrer Felle geschätzt. Die Schläuche zum Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann
+gut, wenn sie aus Ziegen- oder Bockfellen bereitet sind. Aber auch das
+gegerbte Leder, Safian, Maroquin, oder das, was heute am bewährtesten ist,
+Fessian und das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch
+zieht der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.
+
+Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der üblichen
+Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in Wasser gekocht und mit
+Butter gegessen wurden. Wir hatten die Absicht, Abends noch die Stadt L'xor
+zu erreichen. Wie am Tage vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich
+fing bald an, mich meiner überflüssigen Kleidungsstücke zu entledigen, auch
+mein spanisches Mützchen wurde dem Bündel beigefügt und dafür aus meinem
+Tuch zum besseren Schutz gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war
+freundlich genug, das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu
+nehmen, welches in zwei an beiden Seiten angebundenen Körben, "Schuari"
+genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde Tleta-Risane
+erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt abgehalten wird; ungefähr
+halbwegs zwischen Tanger und L'xor gelegen, zeichnet sich dieser Platz
+sonst durch nichts aus. Manchmal soll auch in der Nähe ein Duar zu finden
+sein, zu der Zeit sahen wir nur eine leere Stätte, die aber auf den ersten
+Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein müsste.
+Hier standen leere Hütten aus Zweigen, dort waren Metzgerplätze, und viele
+Aasgeier und Raben durchwühlten noch den blutdurchtränkten Boden, hier sah
+man Asche der Schmiedewerkstätte, dort todte Kohlenreste einer Garküche,
+aber nirgends war ein Mensch zu sehen.
+
+Da Wasser in der Nähe war und die Sonne ihren höchsten Stand erreicht
+hatte, würde gelagert, und nachdem wir etwas trockenes Brod gegessen
+hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen Freund aus einem in der Nähe
+lagernden Duar abholen, ich solle ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten
+wir dann nach L'xor gehen. Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu
+scheinen, ihn um mein Bündelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe
+ich ihn wiedergesehen.
+
+Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem Untergange
+zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein ängstliches Gefühl
+beschlich mich, so allein auf jetzt völlig einsamer Strasse weiter zu
+ziehen, sämmtlicher Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger
+zurückzukehren, aber ich schämte mich, nach einer dreitägigen Reise dort
+und noch dazu unter solchen Verhältnissen wieder zu erscheinen. Ich nahm
+noch einen tüchtigen Trunk Wasser und vorwärts zog ich nach Süden. Da
+Si-Embark mir gesagt hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu
+wollen, hoffte ich noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung
+erwies sich als falsch.
+
+Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenthümlicher Aufzug, halb
+europäisch halb marokkanisch gekleidet, erregte natürlich das grösste
+Aufsehen. Hunderte von Menschen umdrängten mich bald, Kinder lärmten,
+schimpften und schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war
+ein Glück für mich. Der Pöbelhaufe wollte nämlich nicht glauben, ich sei
+Moslim, und wenn ich auch nicht Alles verstand, was sie mir Böses sagten,
+merkte ich doch so viel, dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen
+in ihre Stadt erbaut gewesen wären; als aber die Juden, welche spanisch
+verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden (adjmia wendet
+der Marokkaner auf jede fremde Sprache an), erklärten, ich sei allerdings
+Christ gewesen, habe aber die Religion der Gläubigen angenommen,
+werwandelte [verwandelte] sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die
+Juden nun noch hinzufügten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"[7] zu
+pilgern, um später in die Dienste des Sultans zu treten, war Jedermann
+zufrieden.
+
+ [Fußnote 7: Dar demana, Haus der Zuflucht, wird Uesan von den frommen
+ Gläubigen genannt.]
+
+Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der Regierung, die zum
+Theil in den Städten Polizeidienst versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres
+ergriff der eine meine Hand und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte
+nicht, der Maghaseni rief immerwährend: "tkellem el Kaid" (der Kaid lässt
+Dich rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen
+Aufforderung überhaupt Widerstand entgegensetzen könne. Die Juden redeten
+zu, mitzugehen, sie selbst würden für mich dolmetschen, ich solle nur keine
+Furcht haben, der Kaid sei ein guter Mann.--Angekommen im Dar el Maghasen,
+wie jedes Regierungsgebäude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man das
+Palais des Sultans oder die Wohnung eines gewöhnlichen Kaid damit meint,
+wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg über hatte mich immer der
+eine Maghaseni bei der Hand gehalten, während der andere hinten drein ging;
+erst als wir vor dem Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch später habe
+ich diese Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er
+immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.
+
+Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee erquickte
+mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann er zu fragen, woher
+ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin ich wolle, ob ich
+verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude explicirte Alles. Darauf
+hielt der Kaid, ich muss ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine
+eindringliche Rede, nicht ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ wäre
+ich Alles besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich
+sogar, mir ein Pferd zur Rückreise nach Tanger zu stellen und mich durch
+einen Maghaseni begleiten zu lassen.
+
+Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, glaubte ich
+zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss gemordet oder sonst
+etwas verbrochen, und _darf_ zu den Christen nicht zurückkehren." Nach
+Beendigung des Verhörs war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes,
+nach dem "Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es natürlich
+als selbstverständlich betrachtet, dass ich bei ihm wohne. Aber auch so
+noch erstreckte sich seine Freundlichkeit weiter, er befahl einem Maghaseni
+und dem Juden, mich nach dem genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort
+auf seine Kosten wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Natürlich wird
+er dem Miethsmann des Funduks als Entschädigung nichts gegeben haben, was
+er überdies auch kaum nöthig hatte, da der Name "Funduk el Sultan", d.h.
+"Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in unserem Sinne zu verstehen ist, sondern
+so viel bedeutet, als Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der
+Regel gehören die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend
+einer Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.
+
+Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen Aussprache am
+nächsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt ungefähr 10 Minuten vom
+rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, nach Ali Bey auf 35° 1' 10" N. B. und 8°
+9' 45" W. L. v. P. in einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach
+Leo von Almansor[8] gegründet sein; da aber Edris derselben unter dem Namen
+Kasr-Abd-el-Kerim erwähnt, so hat wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig
+bemerkt, nur zur Vergrösserung der Stadt beigetragen. Die Bevölkerung ist
+sehr schwankend, Hemsö nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington 8000, bei
+meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf 30,000 Seelen,
+mich stützend auf die Anzahl der bewohnten Häuser, die mir zu 2600
+angegeben wurden. Früher muss die Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie
+man aus den vielen Ruinen und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenthümlich
+für Marokko ist, dass die meisten Häuser nicht flach sind, sondern spitze,
+mit Ziegeln gedeckte Dächer haben. Wie wenig Abänderungen in den Gebräuchen
+beim Volke in Marokko vor sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo
+als am Montage ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am
+Montage abgehalten wird. Sehr auffallend für alle Besucher der Stadt ist
+die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, wenn die
+Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die Häuser sind voll davon, sogar auf
+den Bäumen erblickt man sie. Aeusserst günstig als Zwischenstapelplatz der
+Häfen L'Araisch, Arseila und Tanger einerseits, der Binnenstädte Fes und
+Uesan andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine
+Zukunft vor sich.
+
+ [Fußnote 8: Maltzan meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten
+ gelegen sei, welche Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben
+ wird, sonst stimmen die Entfernungen.]
+
+Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man an Gemüsen
+nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt der Gemüsebau in Marokko
+noch arg danieder. Obschon der Marokkaner Gelegenheit hat, in den von
+Christen cultivirten Gärten der Hafenstädte alle Gemüse kennen zu lernen,
+kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst kaum
+die Rede sein. Wie gut würde aber Alles hier gedeihen; versorgt doch das
+nahe Algerien unter nicht ganz so günstigen klimatischen Verhältnissen,
+wegen geringerer Feuchtigkeit des Bodens und der Luft, im Winter fast ganz
+Europa mit frischen Gemüsen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche
+Kartoffel hat den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden können.
+Mit Ausnahme der Gärten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. kennt
+man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere feine Gemüse. Und
+selbst dort werden sie keineswegs des Nutzens halber gezogen; irgend ein
+Consul brachte sie vielleicht zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen
+und wundert sich, dass die Christen solches Zeug essen.
+
+Das Gemüse, was in Marokko gebaut wird, ist bald aufgezählt. Rothe und
+gelbe Rüben, Steckrüben, grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen,
+Zwiebeln, Knoblauch, Kohl findet man fast überall, Sellerie und Petersilie
+ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind die
+Melonen, sowohl die gewöhnlichen wie die Wassermelonen. Man sagt, dass die
+um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen des zu feuchten Bodens.
+
+Gegenstand der grössten Neugier, blieb ich durch starken Regen gezwungen
+vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich an die eigenthümlichen
+Sitten gewöhnen, "Christ, laufe doch nicht immer auf und ab," rief mir ein
+alter Kaffeetrinker eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in
+Gedanken auf und ab ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein
+Verbrechen sei. "Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck
+auf- und abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht anständig[9]."
+"Gott verfluche Deinen Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch
+gute Lehren giebt, hat er doch kein Recht, Dich _Christ_ zu nennen;
+Gott sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen
+Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig brennen!"--"Aber,
+o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den ungläubigen Hund, wie er die
+Hände gefaltet hat (ich hatte mich auf türkisch niedergesetzt und in
+Gedanken die Hände gefaltet), gewiss betet er seine sündhaften Gebete!" Ich
+entfaltete rasch meine Hände, und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder
+in der Gesellschaft von Gläubigen solche gottvergessenen Handlungen
+vorzunehmen.
+
+ [Fußnote 9: Ich übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente
+ so, eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]
+
+So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein
+kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch
+die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir
+immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer
+Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand
+ins Essen fährt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit,
+zwischen und gleich nach dem Essen _laut aufzustossen_. "Veizeih's
+[Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner
+unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der
+Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.
+
+Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines
+Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die
+strotzenden Gärten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten über und
+gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage
+machen kann, nächtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege
+in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als
+gefährlich geschildert, doch schützte uns der Umstand, dass wir Uesan als
+Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so
+gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten
+Schutz stehen.
+
+Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, jeder Berggipfel,
+wie in der Romagna mit einem Dorf oder Städtchen, machte einen grossen
+Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem
+Orte, Kaschuka genannt, bewirthet, angestaunt von der ganzen Bevölkerung,
+welche wohl noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem
+Grossscherif gehörenden Dorfe aus Zelten wurde übernachtet, und am anderen
+Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der
+Marokkaner.
+
+Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf
+Bodengestalt, Klima und Bevölkerung des ganzen Reiches einen Blick.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+2. Bodengestalt und Klima
+
+ * * * * *
+
+Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich Marokko, Rharb
+el djoani[10] im Lande selbst genannt, ist von allen an das Mittelmeer
+grenzenden Ländern Nordafrika's eins der am günstigsten gelegenen. Es würde
+zu nichts führen, wollten wir versuchen, die Grösse des Landes in Zahlen
+anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so
+und so vielten Längen- und Breitengraden liege, giebt nur annähernd einen
+Begriff und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat
+und Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und bis zum 22° O.
+L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese letzte
+Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken wüsten Terrains, welche
+zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean liegen, hinzu, so können wir
+uns den besten Begriff von der Grösse Marokko's machen, wenn wir dann aus
+der Karte ersehen, dass es um ein Drittel grösser ist, als Frankreich,[11]
+ohne diese Gebiete aber ungefähr mit Deutschland eine gleiche Grösse hat.
+
+ [Fußnote 10: Der Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht
+ bekannt und gebräuchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder
+ Bled-es-Sidi-Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort
+ djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also
+ der innere und eigentliche Westen.]
+
+ [Fußnote 11: Klöden und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775
+ Myriam.-Q.-M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey
+ und Xavier Durrieu 24,379 Lieues car. Gråberg de Hemsö 219,400 Q.-M.
+ italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 Q.-M. J.
+ Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von 1778
+ giebt Tempelmann 6287 Q.-M. für Fes, Tafilet und Marokko an.]
+
+Wenige Länder von Afrika haben im Verhältniss zum Binnenlande eine so
+grosse Küstenentwickelung. Die Gestadelänge Marokko's am atlantischen Ocean
+beträgt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425
+Kilometer, während die Landgrenze nur eine Länge von 250 Kilometer hat.[12]
+
+ [Fußnote 12: Nach Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine
+ Berechnungen gezogen hat.]
+
+Was die Küsten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so fallen dieselben im
+Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit unzähligen Buchten, die aber zu
+klein sind, um einen guten Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug,
+um den Rif-Piraten mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit
+gegen Sturm und stürmische Witterung zu gewähren. Indess fehlen die guten
+Ankerplätze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und an der Küste bei
+Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe vollkommenen Schutz, und noch
+andere Häfen würden sich mit geringen Mitteln herstellen lassen, so
+namentlich die grosse Bucht von Alhucemas, fast gegenüber von Malaga,
+liesse sich mit leichter Mühe zu einem prächtigen Ankerplatz umwandeln.
+
+An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten Bucht, um nur
+als sichere Rhede betrachtet werden zu können; der einstige kleine Hafen
+der Stadt Tanger wurde von den Engländern, als sie 1684 Tanger freiwillig
+den Marokkanern überliessen, zerstört.
+
+Die ganze nun folgende längs des atlantischen Oceans in südwestlicher
+Richtung streichende Küste ist vollkommen flach und sanft das Meer
+hinabsteigend bis südlich von Mogador. Aeusserst gefährlich für die
+Schifffahrt, besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in
+einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser. Hohe
+Sanddünen hat das Meer an dieser langen Küste ausgeworfen, die einen
+eigenthümlichen Anblick gewähren, weil sie nach der Landseite, oft auch
+nach der Seeseite zu nicht kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und
+wahrscheinlich durch den Wind beeinflusst, bilden diese fünf bis acht Fuss
+hohen Lentiskenbüsche ein vollkommen den Dünen glatt angepasstes Ganze, als
+ob sie gleichmässig oberhalb derselben beschnitten wären. Gute Häfen würden
+allerdings mit leichter Mühe herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des
+immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein. Andererseits
+haben fast alle Mündungen der grösseren Flüsse, die wohl gut zu Häfen
+eingerichtet werden könnten, sehr starke Barren.
+
+Gleich südlich von Mogador, wo die Küste von Nord nach Süd bis Agadir
+läuft, ist sie schroff ins Meer abfallend. Bei Agadir ist offenbar der
+beste natürliche Ankerplatz, aber vollkommene Sicherheit haben auch hier
+die Seeschiffe nicht. Von hier an weiter nach dem Süden bewahrt die Küste
+wieder ihren Dünencharakter, die Berge treten nicht mehr bis unmittelbar an
+den Ocean hinan.
+
+An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen hat man im
+Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir; westlich von Melilla
+gelegen, hat diese Landzunge eine Länge von ungefähr zwanzig Kilometer auf
+circa sieben Kilometer Breite, und die nordwestliche hat noch auf den
+Seekarten den speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel
+oder Ras el kebir[13] streckt sich nach Europa hin, während die
+nordöstliche Landspitze bei Ceuta, Cap Almina, unserm Erdtheile noch näher
+liegt. An der langen atlantischen Küste des Landes haben wir nur das Cap
+Gher, nordwestlich von Agadir, zu verzeichnen. Es ist hier der Punkt, wo
+die Haupt-Atlaskette sich ins Meer stürzt. Alle übrigen auf den Karten
+verzeichneten Vorgebirge, wie Cap Blanco und Cap Cantin nördlich vom
+Gher-Vorgebirge, oder Cap Nun südlich davon, spielen in der Formation
+der Küste keine Rolle.
+
+ [Fußnote 13: Auf den Karten auch Ras Idjberdil genannt.]
+
+Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von Südwest nach
+Nordost. Wir würden zu irren glauben, wenn wir die Gebirge Algeriens zum
+grossen Atlas rechnen wollten; mögen die französischen Geographen dort
+immerhin ihre der Küste parallel laufenden Gebirge als _grossen_ und
+_kleinen_ Atlas bezeichnen, mögen die Franzosen für die Gebirge
+Algeriens den Namen Atlas beanspruchen--wer beide Länder bereist hat, wird
+finden, dass Algerien nur ausgedehnte Hochebenen mit davorliegenden
+Gebirgsketten besitzt, der _grosse_ Atlas ist nur in Marokko, und in
+dieser Beziehung gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den
+_grossen_ Atlas beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el
+Deir enden liessen, oder umgekehrt.
+
+Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine hufeisenförmige Gestalt.
+Geöffnet nach Nordwesten, ist die Spitze seines einen Schenkels das
+Vorgebirge Ras el Deir, die Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der
+Atlas bildet eine Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten,
+d.h. also nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite
+Terrassen allmälig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem Südosten zu
+senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess auf ungefähr 31° N. B.,
+12° O. L. von Ferro eine bedeutende Kette nach Süd-Südwest ab und läuft
+demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der Abzweigungspunkt
+giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem Punkte haben wir überhaupt
+den eigentlichen Knotenpunkt des grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses
+Gebirges. Wie bei den Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der höchste
+Gebirgspunkt, dieser scheint im Südwesten zu liegen, etwa südlich von der
+Stadt Marokko.
+
+Südlich von dieser Stadt haben wir den von Washington gemessenen Djebel
+Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] Höst berichtet von diesem Berge,
+dass nur Einmal innerhalb eines Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee
+geschmolzen sei, obschon Humboldt für diese Breite die Grenze des ewigen
+Schnees höher angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade hier
+erwarten sollte, die Schneegrenze höher zu finden. Es ist also wohl
+anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig gewesen ist. Der
+Etna z.B. bei einer Höhe von 10,849 Fuss und fast 7° nördlicher gelegen,
+hat nie Schnee im Sommer (das, was in einigen Felsspalten liegen bleibt,
+ist kaum zu rechnen und zum Theil künstlich von den Bewohnern Catania's
+zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den Aussagen der
+Bewohner dortiger Gegend verlieren die höchsten Atlaspunkte den Schnee nie.
+Bei der Uebersteigung des grossen Atlas, die ich selbst später zwischen Fes
+und Tafilet, und etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausführte,
+erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur annähernd richtige
+Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand man bloss Aneroide zu
+construiren, mit denen man höchstens bis 1000 Meter messen konnte; das
+meine zeigte nicht einmal so hoch. Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe
+schon auf dem ersten Absatz, auf der Terrasse südlich von Fes und Mikenes,
+zum Gebiete der Beni-Mtir gehörend, den Dienst versagte, dass ich dann
+aber, mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen und
+Plateaux zu überwinden hatte, so glaube ich, dass die höchste Passhöhe auf
+dieser Strecke, "Tamarakuit" genannt, kaum unter 9000 Fuss sein dürfte.
+Aber wie hoch thürmten sich daneben und nach allen Seiten hin die
+schneeigen Spitzen des Atlas selbst auf! Späteren Zeiten und späteren
+Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten bleiben.
+
+Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem Osten und
+Süden gesandt, im Ganzen hört aber der Charakter als Kette nach diesen
+Richtungen auf: das Gebirge erweist sich mehr als ein Gewirr von einzelnen
+schroffen Felsen und zerklüfteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist
+erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem Djebel
+Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am Mittelmeer zu
+enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14° O. L. von Ferro und 34° 40' N. B.
+entsendet diese Hauptkette einen Zweig gegen Nordwesten; es ist das
+Rifgebirge, welches an der Strasse von Gibraltar sein Ende erreicht.
+Ausserdem schickt der grosse Atlas zahlreiche kleinere Zweige in das von
+ihm umschlossene Dreieck zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die
+Gebirge bei Uesan, die Berge nördlich von Mikenes nur Ausläufer des
+nördlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als ein Zweig des
+Atlas ist, während das sogenannte Djebel el Hadid ein directer Zweig des
+_grossen_ Atlas ist, obschon Leo sagt:[14] "Der Berg Gebel el Hadid
+genannt, gehört nicht zum Atlas; denn er fängt gegen Norden am Gestade des
+Oceans an und dehnt sich nach Süden am Flusse Tensift aus." Von den Höhen
+des Rif-Gebirges sind nur die vom Meere aus gemessenen Punkte bekannt,
+deren es bis zur Höhe von circa 7000 Fuss[15] giebt; weiter nach dem Süden
+dürften in dieser Kette Berge von noch bedeutenderer Höhe sein und diese
+mindestens dem Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.
+
+ [Fußnote 14: Leo, Uebersetzung von Lorsmann.]
+
+ [Fußnote 15: Stielers Atlas und Petermanns Mittheilungen, 1865, Taf.
+ 6.]
+
+Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von Marokko ein
+Bild gewonnen, so bleibt uns nur übrig zu sagen, dass _alles_ Land von
+der nördlichen Kante des Atlas bis zum atlantischen Ocean und Mittelmeer
+vollkommen culturfähig ist. Der Ausdruck "Tel" für culturfähiges Land ist
+in Marokko _nicht_ bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede davon,
+existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit bedingt. Der
+einzige Strich nördlich in Marokko, d.h. auf der Abdachung nach dem
+Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des vollkommen culturfähigen
+Landes besitzt, ist das sogenannte Angad, südlich vom Gebirge der
+Beni-Snassen und vom mittleren Laufe der Muluya durchzogen. Aber
+keineswegs ist dieser Boden hier wüstenhaft, steril und vegetationslos,
+ebensowenig, wie es die Hochebenen Algeriens südlich von Sebda, Saida
+oder Tiaret sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und
+zur rechten Zeit erfolgt, sehen wir überall den Boden in Acker
+umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem
+unglücklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als
+vollkommene Wüste verrufen, aber nichts weniger als vegetations- und
+wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der mächtigsten Ströme
+Marokko's, ist das nicht schon bezeichnend genug?
+
+Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von Nordafrika, welches
+den breitesten Gürtel von culturfähigem Lande hat, und dies nicht nur
+nördlich vom grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck südlich
+von demselben, durch diesen und seine nach Südsüdwest gesandten Zweige
+eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau geeignet.
+
+Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorwüste. Wir verstehen
+für Marokko unter diesem Namen den Raum, der sich hinerstreckt vom
+atlantischen Ocean bis zur Grenze von Algerien einerseits, vom Südabhange
+des Atlas bis zu den Breiten, welche durch die Südpunkte der grossen Oasen
+gehen, andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorwüste aus,
+beanspruchen diese Oase im Gegentheil für die _grosse_ Wüste. Auch
+diese Vorwüste, oder, wie die Franzosen in Algerien das entsprechende
+Terrain benennen, "petit desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach
+rechtzeitigem Regen sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden
+sprossen, wo vordem der Wanderer jede Cultur für vollkommen unmöglich
+gehalten haben würde.
+
+Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die Berberstaaten in
+Bodenformation dasselbe Gepräge zeigt, wie wir es in den übrigen um das
+Mittelmeer gruppirten Ländern finden, so zeigen auch die Flüsse Marokko's
+einen Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen Länder, d.h. sie
+sind nicht unverhältnissmässig lang, haben zahlreiche Krümmungen und eine
+starke Verästelung nach der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserläufe, ohne
+Nebenflüsse, wie sie der übrige weite Norden von Afrika so häufig
+aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im Draa, Irharhar und Nil
+wiedergegeben sehen, giebt es im eigentlichen Marokko nicht.
+
+Einer der bedeutendsten Ströme von Nordafrika (Nil natürlich ausgenommen)
+unter denen, die dem Mittelmeer tributär sind, ist die Muluya. Ungefähr
+beim östlichen siebenten Längengrad von Ferro auf der Ostseite des grossen
+Atlas entspringend, bekommt die Muluya ausser vielen Nebenflüssen ihren
+Hauptzustrom vom Süden, dem Ued-Scharef, ein Gewässer, fast so mächtig, wie
+die Muluya selbst. Dicht bei der algerischen Grenze, etwa 10 Kilometer
+westlich davon, und etwa 10 Kilometer östlich von Cap del Agua, welches
+gerade südlich von den spanischen Inseln Djafarin liegt, ergiesst sieh die
+Muluya ins Mittelmeer. Die Länge dieses Stromes auch nur annähernd in
+Zahlen ausdrücken zu wollen, wie Hemsö das gethan hat, ist jetzt, wo noch
+von Niemandem die Quelle des Flusses erforscht wurde, ein vollkommen
+überflüssiger Versuch. Wir wollen nur erwähnen, dass die Länge der Muluya
+etwas geringer als die des Chelif zu sein scheint, und dass die Muluya
+ungefähr ein gleiches Gebiet beherrscht wie der spanische Fluss
+Guadalquivir.
+
+Auf der oceanischen Seite haben wir, von Norden anfangend, den Ued Kus[16]
+oder el Kus. Dieser Fluss, der die fruchtbarsten Ebenen in zahllosen
+Krümmungen durchzieht, woher sein Name, geht bei L'Araisch ins Meer,
+empfängt aber dicht vor seiner Mündung den Ued el Maghasen, bekannt durch
+die Drei-Königs-Schlacht; beide Flüsse kommen vom Rif-Gebirge und dessen
+Ausläufern.
+
+ [Fußnote 16: Bei Renou Loukous, bei Höst Luccos, Stieler Aulcos,
+ Jackson el koss und Luccos, Maltzan Aulcus.]
+
+Weiter der Küste folgend, kommen wir sodann auf den bedeutenden Ued Ssebú.
+Mit zwei Armen gleichen Namens, von denen der eine vom grossen Atlas
+anderthalb Grad südlich von Fes, der andere aber vom grossen Atlas östlich
+von Tesa entspringt, haben diese Arme, welche sich ungefähr eine Stunde
+nördlich von Fes vereinigen, verschiedene Nebenflüsse, beide ändern auch
+häufig den Namen, um den alten vielleicht später wieder aufzunehmen. Von
+Osten her erhält sodann nach seiner Conjunction der Ssebú auf seinem
+rechten Ufer den bedeutenden Uargha vom Rif-Gebirge und vom Südosten her
+auf seinem linken Ufer den Bet. Der Ssebú, welcher sich bei Mamora[17] ins
+Meer ergiesst, würde leicht bis zu dem Punkte, wo sich der Uargha mit ihm
+vereint, schiffbar gemacht werden können. Die Länge seines Laufes ist
+ebenso bedeutend, als die der Muluya.
+
+ [Fußnote 17: Auf den meisten Karten so verzeichnet, Ort, der von den
+ Marokkanern Mehdia genannt wird.]
+
+Der von den vorderen Terrassen des grossen Atlas kommende, aber
+unbedeutende Fluss Bu Rhaba[18], in nordwestlicher Richtung fliessend, ist
+nur erwähnenswerth, weil an seiner Mündung die bedeutenden Städte Rbat und
+Sla liegen.
+
+ [Fußnote 18: Der auf den Karten verzeichnete Name Buragrag dürfte
+ falsch sein; die Marokkaner nennen ihn Bu Rhaba, Vater des Waldes,
+ d.h. waldreich. Bu-Rgag oder Rgig würde heissen der "Vater der
+ Enge", Bu-Rhaba "Vater des Gehölzes".]
+
+Der Fluss Um-el-Rbea (Mutter der Kräuter, oder der Kräuterreiche)
+entspringt mit einem mächtigen Geäste aus dem grossen Atlas, fliesst seiner
+Hauptrichtung nach nach Nordwest, um bei Asamor, einer bedeutenden Stadt,
+den Ocean zu erreichen. Renou nennt ihn den bedeutendsten Fluss vom Norden
+Afrika's (natürlich der Nil immer ausgenommen) und stellt ihn auf gleiche
+Stufe mit der Garonne und Seine. Auch dieser Strom ist leicht schiffbar zu
+machen.
+
+Merkwürdigerweise hat der grosse Tensift, der ebenfalls mit vielen
+Nebenflüssen aus dem Atlas entspringt, an seiner Mündung, die zwischen Asfi
+und Mogador liegt, keine Besiedelung. Gerade weil er vorher der von jeher
+bedeutenden Stadt Marokko Wasser zuführt, sollte man denken, an seiner
+Mündung auch eine Stadt zu finden. Obgleich von bedeutender Breite, kann
+der Fluss bei Ebbezeit an der Mündung durchwatet werden.
+
+Mit Ausnahme der Muluya entspringen alle diese Ströme am Nordwestabhange
+des Atlas; übersteigt man sodann die Ausläufer dieses Gebirges und das
+Gerippe, welches im Cap Gher endet, so erreicht man die Mündung des Sus,
+ungefähr 30° 20' N. B. Der Sus hat fast vollkommen östliche Herkunft und
+entspringt in dem Winkel, den der grosse Atlas und der von ihm nach
+Westsüdwest entsandte Zweig bilden.
+
+Weiter nach dem Süden zu kommt sodann, auf den meisten Karten verzeichnet,
+der Ued Nun. Der Name Ued Nun bedeutet aber weiter nichts als eine
+Landschaft oder Provinz, wie wir aus den neuesten Forschungen von Gatel
+ersehen können. Der dort existirende Strom heisst Ued Asaka, und es ist
+dies der Fluss, dessen Nun-Mündung auf den Petermann'schen Karten als
+Aksabi verzeichnet steht, was dasselbe ist.
+
+Wir haben sodann eines echten Wüstenstromes Mündung, die des Draa[19] zu
+verzeichnen. Mit kleinem Geäste aus dem grossen Atlas entspringend,
+ungefähr unter dem 13° O. L. von Ferro geht dieser Strom direct und ohne
+nennenswerthe Nebenflüsse zu erhalten bis zum 29° N. L. nach Süden, schlägt
+dann aber westliche Richtung ein, um unter 28° 10' in den Ocean zu fallen.
+Dieser lange Lauf, ein Sechstel mindestens länger, als der des Rheins von
+der Quelle bis zur Mündung, hat beständig Wasser, auch im Hochsommer bis zu
+dem Punkte, wo der Strom von der Südrichtung eine westliche Richtung
+einschlägt. Die Wassermenge, die der Draa fortschwemmt, ist in den oberen
+Theilen des nordsüdlichen Stückes dennoch nicht bedeutender, als etwa
+diejenige der Spree bei Berlin; sie wird dann am südlichen Ende des von
+Nord nach Süd fliessenden Theiles, nachdem der Strom sogar mehrere Male
+verschwindet und viel Wasser durch Irrigiren verbraucht ist, so gering,
+dass man diesen grossen Strom, wie er sich zur Herbstzeit, kurz vor dem
+Eintritt der Regenperiode auf dem Atlas präsentirt, hinsichtlich der
+Wasserarmuth kaum einen Bach nennen kann.
+
+ [Fußnote 19: Wir erwähnen der Ssegiat el Hamra, weil sie auf den
+ meisten Karten als _Fluss_ verzeichnet ist, als in die Mündung des
+ Draa einfliessend. Der Name Ssegiat hat aber immer etwas Künstliches
+ in sich und Gatel auf seiner Karte verzeichnet sie nicht.]
+
+Dass überhaupt noch so viel Wasser bis zum Umbug Jahr aus Jahr ein
+herabkömmt, nachdem der heisse Wind der Sahara im Frühjahr und im Sommer
+mit Macht daran gezehrt hat, nachdem Tausende von Feldern und Gärten, die
+sich längs der Ufer hinziehen, Tag und Nacht vom Wasser des Draa berieselt
+werden, das eben spricht für die Möglichkeit der Schneelage des Atlas, aus
+welchem der Fluss gespeist wird.
+
+Ob aber ein stets Süsswasser haltender See, der Debaya, auf seinem weiteren
+Laufe nach dem Westen zu vom Draa durchflossen wird, möchte sehr zu
+bezweifeln sein. Allerdings sendet gleich nach der Regenzeit auf dem Atlas
+der Draa seine Wasser fort bis zum Ocean, aber in der trockenen Jahreszeit
+trocknet der ganze untere Theil des Flusses aus. Nicht weit von dem Orte,
+wo der See sein sollte, sagten mir die Bewohner, ein solcher existire
+nicht. Ein Sebcha, d.h. ein salziger Sumpf, wie ihn Petermann auf seinen
+neuesten Karten verzeichnet hat, könnte indess wohl vorhanden sein. Renou
+spricht sogar dem Debaya eine dreimalige Grösse des Genfer Sees zu.
+
+Als ebenfalls vom Südostabhange des Atlas kommend und nach der Sahara
+abfliessend, haben wir dann den Sis zu nennen; ein echter Wüstenfluss ohne
+alle Nebenflüsse, und nur in seinen ersten zwei Dritteln oberirdisch
+verlaufend, tränkt er unterirdisch noch die ganze grosse Oase Tafilet, um
+südlich davon den Salzsumpf Daya el Dama zu bilden, der nach starken
+Regenergüssen zu einem See sich gestaltet. Von Nordwesten her hat der Daya
+el Daura noch Zuflüsse durch den Ued-Chriss.
+
+Einen ebenso langen, wenn nicht noch längeren Lauf hat der Fluss, der die
+Oase von Tuat speist, aus verschiedenen Zweigen, von denen einige unter dem
+33° N. B. entspringen, zusammengesetzt. Ich verfolgte den Fluss fast bis
+zum 26° N. B., ohne dass ich bei Taurhirt schon sein südlichstes Ende
+erreicht hätte. Dieser Fluss, den man l'ued Tuat nennen könnte, setzt sich
+aus dem Ued Gher, Ued Knetsa und einigen minder bedeutenden zusammen,
+erhält nach der Vereinigung den Namen Ued Ssaura, und sobald er das
+eigentliche Tuat betritt, den Namen Ued Mssaud. Von Osten soll er südlich
+von Tuat durch den Fluss Acaraba verstärkt werden. Da er schon bei seinem
+Entspringen aus dem Gher und Knetsa gar nicht oberirdisch Wasser hält, so
+ist es nicht wahrscheinlich, dass er dem Draa oder dem Ocean zugeht, wie
+Duveyrier meint, ebensowenig aber glaube ich, dass die von mir früher
+mitgetheilte Nachricht der Eingeborenen, der Mssaud ergösse sich nach sehr
+starken Anschwellungen bis zum Niger, auf Wahrheit beruht.
+
+Da wir den oben angeführten Debaya vorläufig trotz Renou nicht als See
+anzuerkennen brauchen, ja nicht einmal mit Bestimmtheit behaupten können,
+ob ein Salzsumpf dort ist, so haben wir eigentlich gar keine nennenswerthen
+Seen in Marokko zu verzeichnen, denn der von Leo erwähnte See unterhalb der
+"grünen Berge", den er mit dem See von Bolsena in der Nähe von Rom
+vergleicht, ist nirgends zu finden, es möchte denn der kleine auf der
+Beaumier'schen Karte verzeichnete Salzsee sein, Zyma genannt, der ungefähr
+so gross wie der See von Bolsena zu sein scheint. Der einzige von mir
+entdeckte kleine Süsswassersee, Daya Sidi Ali Mohammed genannt, ungefähr 3
+Stunden lang und 1/2 Stunde breit, liegt auf der Höhe des grossen Atlas
+zwischen Fes und Tafilet.
+
+Erwähnenswerth ausser dem Daya el Daura, südlich von Tafilet ist nur noch
+der grosse Salzsumpf von Gurara im Norden von Tuat, ungefähr zehn deutsche
+Meilen lang und an seiner dicksten Stelle fünf deutsche Meilen breit,
+endlich der Sigri Sebcha (Salzsumpf), ungefähr zehn Meilen südwestlich von
+Schott el Rharbi gelegen, dessen südwestliche Hälfte nach dem Frieden von
+1844 zu Marokko, die östliche dagegen zu Algerien gerechnet wird.
+
+Ohne Widerrede befürchten zu müssen, kann man behaupten, dass Marokko von
+allen Staaten Nordafrika's das gesundeste Klima besitzt. Der Grund davon
+ist zum Theil in der bedeutenden Erhebung des Landes zu suchen, in den
+erfrischenden Winden vom Mittelmeere und vom Ocean, in der Abwesenheit
+sumpfiger Niederungen[20], wie man sie in Algerien so häufig beim Anfange
+der Besiedelung durch die Franzosen antraf; dann in den reichen Waldungen
+der Stufen des Atlas, welche die Hitze mildern und zugleich den Flüssen in
+Verbindung mit dem Schnee der Gipfel im Sommer das Wasser constant
+erhalten; endlich in der Abwesenheit jener Schotts oder flachen Seen und
+Sümpfe, wie sie Algerien und Tunis von Westen nach Osten durchziehen.
+
+ [Fußnote 20: Die wenigen Sümpfe bei L'Araisch kommen zum grossen
+ Ganzen nicht in Betracht.]
+
+Im Allgemeinen kann man sagen, dass in ganz Marokko ein mildes warmes Klima
+herrscht; denn wenn auch die Tekna- und Nun-Gegenden mit Rhadames und den
+südlichsten Oasen Algeriens, was Breite anbetrifft, correspondiren, so
+wirken die constanten Seewinde doch so lindernd, dass die Temperatur
+bedeutend kühler ist als in diesen Strichen. Und wenn auch die Spitzen der
+Atlasberge, die wie der Milstin mit einer Höhe von 3475 Meter, der
+Alpenhöhe von 2300 Meter entsprechen, oder auch dem Meeresniveau von
+Norderney, wenn diese Berge des Atlas eine mittlere Jahres-Temperatur von
+nur 0° haben, so würden wir nicht fehl zu greifen glauben, wenn wir sagen,
+die Summe der mittleren Temperaturen Marokko's würde 18° R. betragen.
+
+Der Atlas bildet die natürliche Scheide in den Temperaturverhältnissen.
+Während nördlich am Atlas die Regenmonate im October beginnen und bis Ende
+Februar anhalten, ist der Regenfall südlich vom Atlas nur im Januar und der
+ersten Hälfte des Februar und erstreckt sich landeinwärts etwa bis zum 10.
+Längengrad östlich von Ferro, so dass die Draa-Provinzen in ihrem südlichen
+Theile nicht davon berührt werden. In der Oase Tafilet ist Regenfall schon
+äusserst selten, und in Tuat regnet es höchstens alle 20 Jahre ein Mal.
+Eine Regenlinie wäre also südlich vom Atlas etwa so zu ziehen: vom 10° O.
+L. von Ferro und 29° N. B. in schräger nordöstlicher Linie mit dem Atlas
+parallel zu den Figig-Oasen. Der feuchte Niederschlag ist in den nördlich
+vom Atlas gelegenen Theilen sehr bedeutend, ebenso auf dem Atlas selbst,
+südlich davon nur mässig.
+
+In der Zeit von October bis Februar herrschen fast nur Nordwestwinde und am
+wechselvollsten ist der Februar, wo an einem Tage sechs bis sieben Mal
+Winde mit einander kämpfen. Im März sind Nordwinde vorherrschend und dann
+von diesem Monat an bis Ende September Ost, Südostwinde und Süd. An den
+Küsten des Oceans in den Sommermonaten von 9 Uhr Morgens an ein stark
+kühlender Seewind bis Nachmittags, wo der Südost wieder die Oberhand
+gewinnt; indess ist dieser Wind so kühlend, dass Lempiere Recht hat zu
+sagen: "Mogador, obschon sehr südlich gelegen, hat eine ebenso kühle
+Temperatur als die gemässigten Klimate von Europa." Die Südost- und
+Südwinde führen oft Heuschreckenschwärme mit sich, so in den Jahren 1778
+und 1780. Indess scheint der Atlas ein wirksamer Damm gegen diese
+Eindringlinge zu sein, da sie im Norden des Gebirges nur vereinzelt
+beobachtet werden.
+
+Bestimmte Beobachtungen für die mittlere Temperatur einzelner Orte liegen
+nur wenige vor. Tanger hat nach Renou eine mittlere Temperatur von 18°
+(Celsius), was aber vielleicht 2° zu viel sein dürfte. Für Fes kann man bei
+einer Erhebung von 4-500[21] Meter + 16-17° (Celsius) rechnen. Uesan,
+welches circa 250 Meter hoch liegt, dürfte eine mittlere Temperatur von 18°
+(Celsius) haben. In der Stadt Marokko kann die mittlere Temperatur
+höchstens + 20° (Celsius) sein, da die Datteln nicht reifen, diese brauchen
+mindestens + 22° Durchschnittswärme. In Tarudant, wo die Datteln schlecht
+reifen, dürften vielleicht + 21° Durchschnittswärme sein. Hemsö führt noch
+an, dass im Winter weder in einem Hafen noch in irgend einer Stadt je das
+Thermometer unter + 4° R. sinkt. In Uesan beobachtete ich eines Tages im
+December leichten Schneefall, und die Leute sagten mir, es käme dies
+alljährlich vor, aber der Schnee bleibt nie liegen. Aus Gatel's
+Beobachtungen ist in Tekna das Thermometer in dem Wintermonaten December
+1864, Januar und Februar 1865 durchschnittlich um 7 Uhr Morgens + 13°
+(Celsius) gewesen, "es kam nie unter + 6° und stieg nicht höher als + 18°
+(Celsius)". In den Monaten September und October beobachtete ich in Tuat
+eine mittlere Temperatur von + 19° vor Sonnenaufgang. Diese Oase des
+Kaiserreichs Marokko würde also ungefähr dieselbe Durchschnitts-Temperatur
+wie Fesan haben.
+
+ [Fußnote 21: Nach Renou; da aber Fes wohl niedriger liegt, wird auch
+ die Temperatur wohl um einige Grade höher sein.]
+
+Kleiden wir noch einmal als Ergebniss das marokkanische Klima in Worte, so
+möchten wir das anführen, was Hemsö sagt: "Il clima di tutta questa regione
+è di più salubri e di più belli di tutta la superficie del globo
+terrestre."
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+3. Bevölkerung.
+
+ * * * * *
+
+Für ein Land, in dem nie statistische Untersuchungen angestellt worden
+sind, auch nur annähernd richtig die Zahl der Einwohner angeben zu wollen,
+ist äusserst schwer, und wenn für ganz Afrika in dieser Beziehung die
+abweichendsten Angaben herrschen, so noch speciell für Marokko. Während
+z.B. Jackson die übertrieben grosse Zahl von 14,886,600 Einwohnern angiebt,
+hat Klöden in seiner neuesten Geographie nur 2,750,000, während Daniel
+3-5,000,000 annimmt.
+
+Durch Vergleich kann man am ersten auf annähernde Wahrheit kommen, und den
+besten Vergleich können wir machen mit Algerien, wo bei ähnlicher
+Bodenbeschaffenheit und bei fast gleichen klimatischen Verhältnissen eine
+ungefähr gleiche _Dichtigkeit_ der Bevölkerung besteht, die sich (im
+Jahre 1867) auf 2,921,246 Seelen beläuft. Da nun Marokko mindestens noch
+ein Mal so gross als Algerien ist, ausserdem grosse Oasen (Draa, Tafilet
+und Tuat) besitzt, endlich südlich vom Atlas grosse und furchtbare
+[fruchtbare] Provinzen (Sus und Nun) längs des atlantischen Oceans hat, so
+glauben wir nicht zu übertreiben, wenn wir die Bevölkerung von Marokko auf
+6,500,000 Einwohner schätzen.
+
+Wir können jetzt mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, dass, noch ehe die
+Phönizier nach Nordafrika kamen, noch bevor die Libyer oder Numider
+Nordafrika bevölkerten, ein anderes Volk dort hauste. Berbrügger, Desor
+u.A. haben die Existenz von Dolmen in Algerien nachgewiesen, man findet
+dolmenartige Grabmäler in Fesan, und dolmenartige Hügel konnte ich
+wenigstens in Einer Gegend Marokko's constatiren, an einem Bergabhange
+östlich von Uesan. Ungefähr zwei Stunden von der Stadt entfernt, führte uns
+in Begleitung des Grossscherifs eines Tages eine Jagd dorthin. Leider war
+es bei der dortigen Furcht, Gräber zu verletzen, und sollten sie selbst von
+Ungläubigen herrühren, vollkommen unmöglich, eine nähere Untersuchung
+anzustellen, oder gar die Grabhügel zu öffnen. Ob nun diese Dolmen auf
+Kelten, Tamhu oder andere Ureinwohner zurückzuführen sind, müssen spätere
+Zeiten entscheiden; auch Marokko wird den Zeitpunkt erleben, wo es dem
+europäischen Forscher gestattet sein wird, frei und ungehindert seine
+Studien dort anzustellen.
+
+Die Punier legten zahlreiche Colonialstädte dort an; Hanno selbst gründete
+bei seiner Umschiffung Hafenplätze, von denen uns die Namen erhalten sind.
+Aus den Schriften von Ptolemäus und Plinius ersehen wir ziemlich genau, wo
+die einheimischen Stämme--Mauri, Maurenses, Numidae--alles dies ist nur
+eine verschiedene Benennung für dasselbe Volk--ihr Gebiet haben. Von diesen
+sind als die hauptsächlichsten die Autolalen, die Sirangen, die Mausoler
+und Mandorer hervorzuheben; alle diese, wie die weiter im Innern wohnenden
+Gaetuler sind das im Norden von Afrika einheimische Berbervolk[22].
+Römische, vandalische und gothische Berührung mit diesem Volke fand statt,
+hat aber auf den eigentlichen Bewohner Nordafrika's wenig Einfluss gehabt,
+da die Vermischung jener mit den Numidern nur ausnahmsweise vor sich ging.
+
+ [Fußnote 22: Siehe Mannert und das interessante Schriftchen von
+ Knötel.]
+
+Wichtiger für Nordafrika's Bevölkerung, mithin auch für Marokko wurde der
+Einbruch der Araber. Wir haben eine zweifache Invasion, die eine direct von
+Osten kommend, die andere weit später vor sich gehend: die
+Zurückvertreibung der Araber aus Spanien, denn wenn auch nach Spanien
+gemeinsam Araber und Berber unter Mussa und Tarik gezogen waren, so kamen
+nur Araber von dort zurück. Es versteht sich wohl von selbst, dass damit
+nicht gemeint ist, die Berber seien in Spanien zurückgeblieben. Die
+Thatsache erklärt sich so, dass beide Völker dort im fremden Lande in
+einander aufgingen, in Spanien waren sie Angesichts der Christen nur
+Mohammedaner, und die Gemeinsamkeit der Sitten, und namentlich der Religion
+führte dort rasch die Berber zur Annahme der arabischen Sprache. Der
+Spanier kannte denn auch nur los Moros oder los Mahometanos. Die
+Sesshaftigkeit beider, sowohl der Araber als auch der Berber trug noch mehr
+zu einer Verschmelzung bei, so dass, als sämmtliche Mohammedaner aus
+Spanien vertrieben wurden, Berber und Araber sich selbst nicht mehr
+unterscheiden konnten; aber die Araber hatten vermöge ihrer geistigen
+Ueberlegenheit, vermöge der Religion, deren Träger sie besonders waren,
+äusserlich in jeder Beziehung die Berber absorbirt.
+
+Nicht so in Marokko selbst. Bis auf den heutigen Tag hat sich dort das
+Urvolk, die alten Numider, von den Arabern fern und unvermischt erhalten.
+Allerdings kommen wohl in den Städten und grösseren Ortschaften Heirathen
+zwischen beiden Völkern vor, auch giebt wohl der Schich einer grossen
+Berbertribe dem Sultan oder einem Grossen des Reiches seine Tochter zur
+Frau, oder sucht sich selbst eine solche unter den Töchtern der Araber, im
+Ganzen stehen sich aber heute Araber und Berber so fremd gegenüber, wie zur
+Zeit der ersten Invasion.
+
+Der Unterschied der meisten Reisenden zwischen reinen Arabern und
+Halbarabern, zwischen Mauren, Mooren etc., ist ein vollkommen
+willkürlicher, auf Nichts basirter; ebenso ist der Name Beduine in Marokko
+vollkommen unbekannt, selbst die in den Hafenstädten sesshaften Europäer
+wenden den Ausdruck nicht an. Die Araber nennen sich in Marokko Arbi, d.h.
+Araber; wollen sie ihr specielles jetziges Heimathsland damit in Verbindung
+bringen, so nennen sie sich (in diesem Falle aber ist es einerlei, ob der
+Redende Araber oder Berber, Jude oder auch Neger ist) "Rharbi" oder
+"Rharbaui" (der vom Westlande), oder auch "min el bled es Sidi Mohammed"
+(vom Lande des Herrn Mohammed). Was die Berber anbetrifft, so nennen sie
+sich "Masigh" oder "Schellah"; das Wort "Berber" ist ihnen aber keineswegs
+unbekannt, namentlich südlich vom Atlas. Aber als ob sie sich des
+Ursprunges des Wortes bewusst seien, hören sie sich nicht gerne so
+bezeichnen und nennen _sich selbst_ nie so. Was die Juden anbetrifft,
+so nennen sie sich und werden "Jhudi" genannt. Die Europäer werden "Rumi"
+oder "Nssara" und die Schwarzen im Allgemeinen "Gnaui" und ihre Sprache
+"Gnauya" genannt. Das Spanische der Juden, die verschiedenen Sprachen der
+Europäer fasst man im Lande unter dem gemeinsamen Namen "el adjmia"
+zusammen.
+
+Wir haben es also heute nur mit zwei Hauptvölkern in Marokko zu thun, mit
+dem ursprünglich in Nordafrika einheimischen, dem Berbervolke, und mit dem
+von Asien her eingewanderten, dem Arabervolke. Renou und Jackson, die
+versucht haben, die verschiedenen Stämme aus Triben aufzuzählen, zum Theil
+sogar versucht haben, ihnen bestimmte Wohnsitze oder Provinzen zuzutheilen,
+sind indess weit von der Wahrheit entfernt geblieben. Der eine führt einen
+Stamm als irgendwo sesshaft an, wo er vielleicht seiner Zeit war, aber
+jetzt nicht mehr ist; der andere führt Berber-Triben als Araber auf. So
+sagt Renou in seinem "L'Empire de Maroc", p. 393: "Die Berber bestanden
+ursprünglich aus fünf Zweigen: S'enbâdja, Ma'smouda, Haouâra, Znâta und
+R'mâra oder R'amra; aber alle diese Abtheilungen, welche den Römern
+unbekannt geblieben sind, hatten viele Unterabtheilungen" etc. Renou
+schöpft aber nur aus Leo's Berichten. Wenn dann Renou noch auf derselben
+Seite seines angeführten Werkes sagt: "Gegenwärtig sind die Berber in
+verschiedene grosse Fractionen getheilt, die keineswegs den ursprünglichen
+fünf Abtheilungen entsprechen. In Marokko sind es die Chevlleuh' und die
+Amazir' etc.", so kann ich versichern, dass man in Marokko von dieser
+Abtheilung nichts weiss. Für Algerien nimmt Renou sodann "die Kbail und im
+Aures die Châouïa, wovon ein Zweig in der marokkanischen Provinz Temsena
+existirt", in Anspruch. Aber was bedeutet denn in Algerien der Name Kbail,
+Kabyl? Weiter nichts als Bergbewohner, und dieselbe Bedeutung hat er in
+Marokko auch; der Einwohner von Uesan, von Fes nennt die umwohnenden Leute
+der Gebirge, _einerlei_, ob sie Berber oder Araber sind: Kbail. Selbst
+wenn man im Stande wäre, heute mit Genauigkeit angeben zu können, ein
+gewisser Stamm habe irgend ein Gebiet inne, würde das wohl morgen immer
+noch der Fall sein? Ich selbst konnte in Marokko constatiren, wie ein Stamm
+den andern verdrängt. Unter diesen Völkern findet heute noch immer eine
+Völkerwanderung im Kleinen statt. Ausgebrochene Feindseligkeiten,
+eingetretene Dürre eines Weideplatzes, Heuschreckennoth, oft auch ganz
+unbedeutende Gründe veranlassen ganze Stämme zum Wandern, um sich
+begünstigtere Gegenden aufzusuchen.
+
+Was Zahl und Ausbreitung beider Völker anbetrifft, so finden wir in
+Marokko, dass die Berber nicht nur bedeutend zahlreicher, sondern auch über
+einen viel grösseren Raum des Landes verbreitet sind. Ganz rein arabisch
+sind nur die Landschaften Rharb und Beni Hassan südlich davon, endlich
+Andjera und der Küstensaum vom Cap Espartel bis Mogador. Denn selbst die
+Landschaften Schauya, Dukala und Abda haben theils arabische, theils
+berberische Triben. Mit Ausnahme der grossen Städte und Ortschaften, in
+denen die Araber überall das überwiegende Element bilden, kommen sie sodann
+nur noch sporadisch vor. So findet man einzelne Arabertriben im grossen
+Atlas, im Nun- und Sus-Gebiete, in der Draa-Oase finden wir zahlreiche
+_nur_ von Arabern bewohnte Ortschaften (später gaben mir die
+Draa-Bewohner an, dass die nördliche Hälfte des Draa-Thales, also von
+Tanzetta bis zum Atlas, _ausschliesslich_ von Arabern bewohnt sei, was
+ich aber bezweifeln möchte), ebenso in Tafilet, ausserdem in beiden
+Oasen den grossen in Palmenhütten lebenden Araber-Stamm der
+Beni-Mhammed. In Tuat sind die Araber nur ganz vereinzelt, die grosse
+Mehrheit der dortigen Bevölkerung ist berberisch. Man kann also fast
+behaupten, dass an Land die Berber vier Fünftel besitzen, gegen ein
+Fünftel, welches auf Araber kommt. Der Zahl der Bewohner nach dürfte das
+Verhältniss so sein, dass zwei Drittel Berber, ein Drittel Araber sind.
+
+Dass die Völker, welche eine Zeitlang im heutigen Marokko sesshaft gewesen
+sind, Spuren zurückgelassen haben, ist unleugbar. Nur so können wir
+zwischen vorwiegend schwarzhaariger und schwarzäugiger Bevölkerung uns die
+helläugigen und blondhaarigen Individuen erklären. Indess kommen
+dergleichen Typen bedeutend seltener bei den Arabern vor, was sich
+hinwiederum daraus erklären lässt, dass nach der einmal erfolgten Invasion
+der Araber, ein Eindringen blonder Völker in Westafrika nicht mehr
+stattfand. Es beruht das auf dem Princip der Erblichkeit. So sieht man denn
+auch häufig in Familien, wo Vater und Mutter beide schwarzhaarig und
+schwarzäugig sind, helläugige und blondhaarige Kinder. Vielleicht war
+irgend einer der Vorfahren dieser Familie ein Nichtberber oder Nichtaraber
+derart ausgestattet gewesen, welche Eigenthümlichkeit dann später oder
+früher, oft vereinzelt, oft bei allen Nachkommen wieder hervortritt.
+Bemerkt muss hier werden, dass die sogenannten Kuluglis, Nachkommen der
+Araber und Türken, nirgends in Marokko zu finden sind, weil eben die Türken
+westlich von Tlemcen oder von der Muluya nie ihre Grenzen ausgedehnt haben.
+
+Was die Sprache der Araber in Marokko anbetrifft, so ist bekannt, dass von
+den vier hauptsächlichsten Dialekten dieser Sprache, hier der
+maghrebinische gesprochen und geschrieben wird. Vordem ist aber auch, wie
+aus Münzen und Inschriften hervorgeht, Kufisch geschrieben worden. Was das
+heutige Schreiben anbetrifft, so unterscheidet es sich von dem Uebrigen nur
+darin, dass das Qaf oben statt zweier Punkte einen, dass das Fa statt eines
+Punktes _oben_, einen solchen _unten_ hat. Was die Aussprache
+anbetrifft, so zeichnen sich die Araber in Marokko dadurch aus, dass sie
+fast gar nicht die Vocale aussprechen, oder doch so wenig wie möglich
+hervorheben. In der gewöhnlichen Schreibweise der Araber werden die aus
+Strichen und Punkten bestehenden Vocale weggelassen, und fast könnte man
+sagen, dass der marokkanische Araber diese Regel auch in der Aussprache
+anwendet, d.h. das Wort so kurz wie möglich ausspricht; z.B. in der
+Redensart: "wie heisst Du, asch ismak", sagt der Marokkaner "sch-smk".
+Natürlich wird für den Fremden das Erlernen des Sprechens dadurch
+außerordentlich erschwert. Ausserdem hat in Marokko der Araber sich
+zahlreiche berberische und aus romanischen Sprachen herkommende Ausdrücke
+zu eigen gemacht, sogar zum Theil auch Constructionen aus diesen Sprachen
+herübergenommen, z.B. die romanische Form des Genitivs, welche man in
+Marokko so häufig angewendet findet, um das Genitivverhältniss zwischen
+zwei Substantiven auszudrücken.
+
+Die von den Berbern gesprochene Sprache, "tamasirht" oder "schellah"
+genannt, ist im Grunde, wie aus Sprachvergleichungen hervorgeht, eine und
+dieselbe. Es ist eben die, welche die Tuareg temahak im Norden und
+temaschek im Süden nennen, und der wir in Audjila und noch ferner im
+äussersten Osten in der Oase des Jupiter Ammon begegnen. Jackson freilich
+behauptet, dass die Sprache der Siuaner eine vollkommen verschiedene sei;
+heutzutage aber wissen wir, dass Marmol vollkommen Recht hat, wenn er sagt,
+dass das Siuahnisch nur Dialekt der weit verbreiteten Berbersprache ist.
+Allerdings sind die Unterschiede der verschiedenen Dialekte dieser Sprache
+äusserst gross, wie das ja auch nicht anders sein kann bei einer Sprache,
+welche über einen Raum verbreitet ist, welcher ungefähr den vierten Theil
+von Afrika ausmacht. Dennoch aber sind sie nicht so gross, um nicht leicht
+eine Verständigung zwischen den verschiedenen, berberisch redenden Völkern
+zu ermöglichen. Kommt der Berber, der im fernen Westen am Nun ansässig ist,
+auf seiner Pilgerreise nach Mekka zu demjenigen, der in der Oase Siuah
+wohnt, so ist nach einer kurzen Uebung zwischen diesen Leuten gleichen
+Stammes eine Unterhaltung leicht hergestellt, und als vor einigen Jahren
+mehrere Schichs der Tuareg nach Algier zum Besuche kamen, ward es ihnen
+keineswegs schwer, sich mit den Berbern des Djurdjura-Gebirges, also mit
+Leuten, die am Mittelmeere wohnen, zu verständigen. Die Berber in Marokko
+haben und kennen keine Schriftzeichen wie ihre Brüder, die Tuareg. Die
+einzigen berberischen Schriftzeichen, die ich in Marokko vorfand, befinden
+sich in Tuat, und rühren jedenfalls von Tuareg her, die früher vielleicht
+weiter nach dem Norden hinauf kamen, als dies heute der Fall ist. Ob aber
+überhaupt mit berberischen Lettern geschriebene Bücher oder auch nur
+längere Gedichte und Geschichten unter den Tuareg bestehen, ist trotz der
+Versicherung der Tuareg sehr zweifelhaft. Einer der intelligentesten
+Tuareg, Si Otman ben Bikri, hat wiederholentlich sowohl gegen Duveyrier als
+auch gegen mich dies geäussert, er hatte sogar Duveyrier versprochen, ein
+solches Buch später nach Algier zu bringen oder doch einzuschicken, aber
+bis jetzt hat Si Otman sein Versprechen nicht erfüllt, obschon er nach
+seinem Begegnen mit Henry Duveyrier wiederholentlich in Algier gewesen ist.
+Das Eigenthümliche bei den berberischen Buchstaben, sie so schreiben zu
+können, dass sie bald nach rechts, bald nach links offen sind, bald diese,
+bald jene Seite offen haben, dass man von oben nach unten, von rechts nach
+links, oder von links nach rechts schreiben kann, muss eine so grosse
+Verwirrung herbeiführen, dass die Existenz ganzer Bücher in berberischer
+Schrift kaum glaublich erscheint.
+
+Was die Berber am entschiedensten von den Arabern trennt, ist eben die
+Sprache, denn obschon die Berber natürlich viele Worte aus der arabischen
+Sprache aufgenommen haben, wie die marokkanischen Araber solche dem
+Berberischen entlehnten, unterscheidet sich im Grunde das Berberische
+derart vom Arabischen, dass die Sprachforscher, welche sich mit dem
+Berberischen beschäftigt haben, und unter diesen vorzugsweise H.A.
+Hannoteau, nicht wagen, es den semitischen Sprachen beizuzählen. Ja, in der
+jüngsten Zeit war der französische General Faidherbe, welcher ebenfalls
+sich viel mit dem Berberischen beschäftigt hat, geneigt, Berber und ihre
+Sprache für die Arier zu vindiciren. Spätere genauere Untersuchungen,
+namentlich wenn alle verschiedenen Dialekte der Berber bekannt sind, werden
+hoffentlich zu einem Resultate führen, ebenso wird man sodann wohl
+erfahren, ob im Berberischen Wörter vorhanden sind, welche auf andere
+ältere Sprachen zurückführen.
+
+Unterscheiden sich nun Araber und Berber so sehr durch die Sprache, so sind
+die übrigen Unterschiede äusserst gering. Derselbe Körperbau auf dem
+Flachlande wie im Gebirge (wegen der vielen Wanderungen), d.h. schlanker,
+sehnigter Wuchs mit stark ausgeprägtem Muskelbau, gebräuntem Teint,
+kaukasischer Gesichtsbildung, stark gebogener Nase, schwarzen feurigen
+Augen, schwarzem schlichtem Haare, spitzem Kinne, etwas stark
+hervortretenden Bakenknochen, spärlichem Bartwuchse--alles dies haben
+Berber und Araber gemein. Allerdings sind im Allgemeinen die
+Gebirgsbewohner heller, aber das gilt sowohl für die berberischen Bewohner
+des Rif-Gebirges, wie für die arabische Bevölkerung der Gebirge der
+Andjera-Landschaft. Bei den Frauen beider Völker muss allerdings auffallen,
+dass das Weib des Arabers durchschnittlich kleiner sein dürfte, als das des
+Berbers. Im Uebrigen sind auch sie nicht äusserlich zu unterscheiden. Man
+kann von beiden sagen, dass sehr früh entwickelt, sie in der Jugend hübsche
+volle Formen haben, meist regelmässige Gesichtszüge besitzen, aber schnell
+alternd und durch unzulängliche Nahrung äusserst mager werdend, sie im
+Alter wegen ihrer überflüssigen Hautfalten die hässlichsten Hexen werden.
+
+Hervorzuheben ist, dass bei den Berbern die Stellung der Frauen eine
+bedeutend hervorragendere ist als bei den Arabern. Indess ist das Lied der
+meisten Reisenden, als sei die Frau bei den Arabern weiter nichts als eine
+Magd, ein blosses Werkzeug, ein auf oberflächlicher Anschauung beruhendes.
+Bei dem Araber ebensogut wie bei uns schwingt die Frau den Pantoffel. Liegt
+der Mann die grösste Zeit des Jahres auf der Bärenhaut, so hat das seinen
+Grund darin, weil eben für ihn keine häusliche Beschäftigung vorhanden ist.
+Oder soll etwa der Mann das Wasser für den täglichen Bedarf holen, soll der
+Mann den Mühlstein drehen, oder das Korn zu Mehl zerreiben, oder ist es
+Sache des Mannes das Kind auf dem Rücken zu tragen, oder Reisig zum Feuer
+zu holen oder Kuskussu zuzubereiten, und die heimkehrenden Heerden zu
+melken? Sind nicht dergleichen Geschäfte in der ganzen Welt Sache der Frau.
+Für einen europäischen Reisenden muss es allerdings hart erscheinen, wenn
+er den ganzen Tag den Mann ausgestreckt liegen oder am Boden hocken sieht,
+während die Frau sich abmüht, oft stundenweit das Wasser herbeischleppt und
+dann mühsam stundenlang den Stein dreht, um Mehl zu gewinnen. Kommt aber
+die Zeit der Arbeit für den Mann heran, dann ist der Berber sowohl wie der
+Araber bei der Hand: das Feld wird von den Männern bestellt, das Einheimsen
+des Getreides besorgen die Männer, ebenso die Abwartung der Gärten, wo
+solche vorhanden sind, das Hüten der Heerde, das Abschlachten des Viehes,
+kurz alle schwerere Arbeit, wie sie eben auch bei anderen Völkern von der
+stärkeren Hälfte verrichtet wird.
+
+Die hervorragende Stellung der Frauen bei den Berbern datirt jedenfalls
+noch aus den vormohammedanischen Zeiten. Denn Mohammed, obschon ein so
+grosser Verehrer von Frauen, dass er sich nicht scheute manchmal ins Gehege
+seines Nächsten einzudringen[23], hat im Ganzen den gläubigen Frauen eine
+etwas stiefmütterliche Stellung angewiesen. Indess haben die Berberinnen,
+obschon auch sie Mislemata wurden, ihren Rang beizubehalten gewusst. Bei
+manchen berberischen Triben offenbart sich dies in der Erbfolge, wo nicht
+der älteste Sohn nachfolgt, sondern der Sohn der ältesten Tochter oder der
+Schwester. Ja, in einigen Stämmen kann sogar eine Frau herrschen. Südlich
+vom eigentlichen Marokko fand ich mitten unter Berbern, dass die Sauya
+Karsas, eine religiöse Corporation, und eine geistliche Oberbehörde für den
+ganzen Gehr-Fluss nicht vom allerdings vorhandenen männlichen Chef Namens
+Sidi Mohammed ben Aly befehligt wurde, sondern dass factisch seine Frau,
+eine gewisse Lella-Diehleda, die geistlichen Angelegenheiten besorgte. In
+allen wichtigen Sachen hat die Berberfrau mitzureden, und mehr wie bei
+anderen Völkern fügen sich die Männer dem Ausspruche der Frauen.
+
+ [Fußnote 23: Siehe darüber die 33. Sure des Koran, worin Mohammed die
+ Vorwürfe, die man ihm darüber machte, seinen Sklaven Said gezwungen
+ zu haben, ihm seine Frau abzutreten, damit zurückwies, dass er für
+ sich allein, den anderen Gläubigen voraus, göttliche Natur, d.h.
+ Unfehlbarkeit beanspruchte.]
+
+Die mohammedanische Religion hat aber in jeder Beziehung dazu beigetragen,
+die Verschiedenartigkeiten der Sitten und Gebräuche nicht nur zwischen
+Arabern und Berbern auszugleichen, sondern auch die Eigenthümlichkeiten der
+einzelnen Stämme unter sich zu verwischen. Es soll hier nur die Rede sein
+von den Bewohnern des Landes, welche allein treu und wahr ihre alten
+Ueberlieferungen beibehalten haben. Die Landbevölkerung[24] gegen die
+Städtebevölkerung gehalten, ist in Marokko so überwiegend, dass wenn man
+von jener spricht, damit der Kern des Volkes bezeichnet wird.
+
+ [Fußnote 24: Jackson in seinem Account of Marokko kommt freilich zu
+ dem Resultate von 895,600 Einw. für die Städte und von diesen hat er
+ Fes mit 380,000, Marokko mit 27,000 und Mickenes mit 11,000 Einw.]
+
+Vor allem muss daher bemerkt werden, dass nur Einweiberei in Marokko
+herrscht, sowohl bei den Arabern als auch bei den Berbern; die wenigen
+Ausnahmefälle, wo ein reicher oder hochgestellter Araber sich einen Harem
+hält, kommen kaum in Betracht, und ein Berber, mag er eine noch so hohe
+Stellung einnehmen, noch so reich sein, heirathet _nie_ mehr als Eine
+Frau. Freilich durch die Religion begünstigt kommen häufig genug
+Scheidungen vor, was dann oft zu unerquicklichen Verhältnissen führt: ein
+Mann trennt sich nachdem er schon ein Kind mit der Frau gehabt von dieser,
+heirathet wieder, die Frau auch; sie zeugt mit dem neuen Mann nochmals ein
+Kind, wird abermals verstossen, heirathet vielleicht zum dritten Male und
+hat dann manchmal drei Familien Kinder gegeben. Es ist äusserst selten,
+dass sich ein unverheiratetes Mädchen einem Manne hingiebt, auch Ehebruch
+kommt fast nie vor. Desto ungebundener leben die Frauen, welche Wittwen
+sind, diese glauben ihrer Sittlichkeit, namentlich wenn sie merken, dass
+die Hoffnung auf Wiederverheirathung vorbei ist, "keine Schranken"
+auferlegen zu müssen. Ueberhaupt zeichnen sich Mädchen und Frauen in
+Marokko durch unanständige Gangart aus. Es scheint sich dies von den
+Araberfrauen den Berberweibern mitgetheilt zu haben (vielleicht ist es aber
+auch diesen eigenthümlich), denn alle semitischen Frauen scheinen an einer
+unanständigen Allure Gefallen zu haben. Schon Jesaias Cap. 3, 16. wirft den
+israelitischen Frauen ihren buhlerischen und herausfordernden Gang vor,
+ebenso Mohammed im Koran Sure 24. den arabischen Frauen.
+
+Es ist hier nicht der Ort die Ceremonien einer Verheirathung zu schildern,
+mehr oder weniger gleichen sich alle bei den Mohammedanern, und oft genug
+sind sie beschrieben worden. Hervorgehoben soll aber werden, dass in der
+Regel die Heirath eine zwischen Eltern oder Verwandten für die betreffenden
+Personen abgemachte Sache ist, doch auch häufig genug Liebesheirathen
+vorkommen. Es hat dies seinen Grund darin, weil alle Frauen und jungen
+Mädchen (ich spreche immer von der Landbevölkerung) unverschleiert gehen,
+mithin hat der Freier Gelegenheit seine Zukünftige kennen zu lernen. Solche
+Liebesheirathen gelten meist für Lebzeiten, während die Ehebündnisse,
+welche aus Convention geschlossen sind, gemeiniglich keine Dauer haben. Ein
+eigentlicher Kauf der Frauen, obschon die meisten Reisenden sich so
+ausdrücken, findet nicht statt; der betreffende Bräutigam erlegt nur dem
+zukünftigen Schwiegervater die Geldsumme, welcher dieser für die
+Anschaffung der Kleidungsstücke und Schmucksachen seiner Tochter nöthig
+hat, der gewöhnliche Preis hierfür ist auf 60 französische Thaler normirt.
+Giebt die Frau Grund zur Scheidung, oder aber beantragt sie die Scheidung,
+so muss das Geld zurückbezahlt werden, verstösst aber der Mann seine Frau,
+so bleibt sie Eigenthümerin ihrer Sachen und ihr Vater behält obendrein das
+Geld.
+
+Beschneidung ist durchweg eingeführt, doch giebt es einige
+_Berberstämme_, welche sie nicht üben. In Marokko hält man die
+Beschneidung als nicht unbedingt erforderlich für den Islam. Die
+Berberstämme, welche nicht Beschneidung üben, leben sowohl im Rif-Gebirge,
+als auf den Gehängen der nördlichen Seite des Atlas. Ueberhaupt haben die
+Berber Eigenthümlichkeiten bewahrt, die bei den Arabern nicht zu finden
+sind, so essen _sämmtliche_ Rif-Bewohner das wilde Schwein trotz des
+Koran-Verbotes. Alle Berber rechnen nach Sonnenmonaten und haben dafür die
+alten von den Christen herrührenden Benennungen; ja südlich vom Atlas haben
+auch die dort hausenden Araber diese Zeitrechnung angenommen.
+
+Das Leben in der Familie ist ein patriarchalisches und man hält
+ausserordentliche Stücke auf Verwandtschaft und Sippe; eigenthümliche
+Familien-Namen nach unserem modernen Sinne haben weder Araber noch Berber,
+Familien-Namen werden nur von der ganzen Sippschaft oder dem Stamme
+geführt, z.B. die grosse Familie der Beni Hassan in Marokko, die von einem
+gewissen Hassan abstammen. Oder bei den Berbern die zu einem grossen Stamme
+herangewachsene Familie der Beni Mtir[25], welche von einem gewissen Mtir
+abstammen. In diesen Stämmen setzt dann Jeder den Namen seines Vaters,
+manchmal auch den seines Grossvaters und Urgrossvaters hinzu (äusserst
+selten den der Mutter), z.B. Mohammed ben Abdallah ben Yussuf, d.h.
+Mohammed Sohn Abdallah's, Sohn Yussuf's. Will er aber noch näher sich
+bezeichnen, so sagt er z.B. "von den uled Hassan". Letzteres ist
+gewissermassen der Familien- oder Zunamen. Bei den Arabern haben wir fast
+nur biblische und koranische Namen, sowohl bei den Männern als Frauen. Die
+beliebtesten in Marokko sind Mohammed (mit den verschiedenen Variationen),
+Abdallah, Mussa, Isssa [Issa] oder Aïssa, Edris, Said, Bu-Bekr und Ssalem.
+Die Frauen findet man fast unabänderlich Fathma, Aischa oder Mariam
+benannt. Die Berber haben sich auch hierin apart gehalten und fahren fort
+heidnische oder berberische Namen zu führen, z.B. Humo, Buko, Rocho, Atta
+etc.[26], obschon natürlich arabische Namen vorwalten.
+
+ [Fußnote 25: Was "Uled und Beni", d.h. Söhne, Abkömmlinge bei den
+ Arabern bedeutet, drücken sonst in der Regel die Berber durch das
+ Wort "ait" aus.]
+
+ [Fußnote 26: Berberische Frauennamen liegen mir gerade nicht vor.]
+
+Eine eigentliche Erziehung wird den Kindern nicht gegeben, die ganz jungen
+Kinder bleiben circa zwei Jahre auf dem Rücken ihrer Mütter, welche
+dieselben wenigstens zwei Jahre stillen. Allerdings hat jeder Tschar (Dorf
+aus Häusern), jeder Duar (Dorf aus Zelten), jeder Ksor (Dorf einer Oase)
+seinen Thaleb oder gar Faki, der die Schule leitet, aber die Meisten
+bringen es kaum dazu die zum Beten nothwendigen Korancapitel auswendig zu
+lernen, geschweige dass sie sich ans Lesen und Schreiben wagten. Aber jeder
+Marokkaner weiss doch das erste Capitel des Koran auswendig, wenn auch die
+meisten besonders unter den Berbern den Sinn der Verse nicht kennen.
+
+Beim Heranwachsen stehen die Töchter den Müttern in der häuslichen
+Beschäftigung bei, während die männliche Jugend zuerst zum Hüten des Viehes
+verwandt wird, in der Pflanzzeit den Acker mit bestellen helfen muss, und
+schliesslich nach einer kurzen Arbeitszeit im Jahre, die liebe lange Zeit
+mit Nichtsthun hinbringt. Obschon überall Taback und Haschisch in Gebrauch
+und namentlich letzterer ganz allgemein ist, kann man kaum sagen, dass der
+Marokkaner einen unmässigen Gebrauch davon macht. Der Taback wird auf alle
+drei Arten genommen, man findet Stämme, wo geraucht wird, andere welche
+kauen, und das Schnupfen ist ganz allgemein, namentlich machen die
+Gelehrten Gebrauch davon. Haschisch wird in Marokko entweder geraucht oder
+pulverisirt mit Wasser hinuntergeschluckt. Der Gebrauch des Opium ist mit
+Ausnahme der Städte, und der Oase Tuat, nicht eingebürgert. Desto
+allgemeiner ist in der Weinlesezeit und kurz nachher der Genuss des Weines.
+Marokko ist ein an Weinreben ungemein reiches Land, namentlich producirt
+der kleine Atlas, die Provinz Andjera, die Gegenden von Uesan, Fes und
+Mikenes derart viele und gute Weintrauben, dass die Leute von selbst darauf
+fallen mussten Wein zu bereiten. In allen diesen Gegenden sind denn auch
+viele Leute Weintrinker, ohne Unterschied ob sie Araber oder Berber sind.
+Aber unmässig wie Araber und Berber immer beim Essen und Trinken sind,
+sobald dies in Hülle und Fülle vorhanden ist, haben sie ihre Weintrinkezeit
+nur für einige Wochen. Der schlecht zubereitete Wein, man gewinnt ihn
+mittelst Kochen, würde sich auch wohl nicht lange halten. Die Marokkaner
+thun ihn in grössere oder kleinere irdene Gefässe, manchmal antik wie eine
+Amphore geformt, die enge Oeffnung wird mit Thon zugeklebt. Reiche Leute
+und Schürfa[27], welche ihn längere Zeit bewahren wollen, giessen oben auf
+den Wein eine Schicht Oel und sodann wird die Krugöffnung mit Thon
+verkittet. Von Geschmack ist der Wein nicht übel, das Aussehen desselben
+aber meist trübe. Es ist gefährlich zur Zeit der Lese durch jene Gegenden
+zu reisen, weil ein grosser Theil der Bevölkerung dann stets betrunken ist,
+und da, je roher ein Mensch ist, die Intoxicationsäusserungen des Rausches
+auch um so unmanierlicher sind und oft viehisch ausarten, so vermeidet
+derjenige, der die Gegenden nicht unumgänglich besuchen _muss_,
+dieselben.
+
+ [Fußnote 27: Die Schürfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds sind die
+ hauptsächlichsten Weintrinker.]
+
+Ueberhaupt zeichnet sich das ganze marokkanische Volk durch eine gewisse
+Rohheit und durch wenig edle Gefühle und wenig sanfte Neigung aus. Bei den
+Berbern namentlich am Nord-Abhange des Atlas streift die Rohheit sogar an's
+Thierische. Ich wusste nicht, wofür ich es halten sollte, ob für kindliche
+Unschuld, mit der junge und erwachsene Mädchen den Spielen vollkommen
+nackter Jünglinge zusahen, oder ob es ein rohes Interesse war. Der
+entsetzlich verdummende Einfluss der mohammedanischen Religion, der
+Fanatismus, die _eitle Anmassung nur den eigenen Glauben für den
+richtigen_ zu halten, schliessen aber auch jede Besserung aus.
+
+Wie unmanierlich ist die Art und Weise zu essen! So wie man zur Zeit
+Abrahams ass, so wie die Juden in Palästina, aus Einer Schüssel am Boden
+hockend, assen, so isst noch heute der Marokkaner. Morgens nach
+Sonnenaufgang wird nur saure Milch mit hineingebrocktem Brode, oder eine
+mässige Suppe genommen. Die zweite Mahlzeit ist gegen Mittag: Bröde d.h.
+eine Art von Mehlkuchen, welche auf eisernen Platten oder erhitzten Steinen
+gebacken sind, heisse Butter (in diese tippt man die Brodstücken und
+verfährt recht haushälterisch; nur die Reichen geben harte Butter) bilden
+dies zweite Mahl, zu dem auch wohl noch Datteln, oder im Sommer andere
+Früchte, wie die Jahreszeit und die Gegend sie bietet, gegeben werden.
+Abends nach Sonnenuntergang ist die Hauptmahlzeit, welche aus Kuskussu
+besteht. Aber Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein, kommt dies Gericht auf die
+Erde (auf den Tisch kann ich nicht sagen, da der Marokkaner ein solches
+Möbel nicht kennt) und mittelst der Hand, die Marokkaner kennen noch nicht
+den Gebrauch der Messer und Gabeln, wird das Gericht rasch in den Magen
+befördert. Auch der Gebrauch der Löffel ist nicht überall eingebürgert. Am
+atlantischen Ocean vom Cap Spartel südlich bis nach der Mündung des Sus,
+vielleicht noch weiter südlich, bedienen sich sämmtliche Leute statt eines
+Löffels einer austerartigen Muschel, wie sie der Ocean dort an den Strand
+wirft. Die Männer essen getrennt von den Frauen, diese essen mit den
+Kindern des Hauses. Selbst bei den Berbern hat der Islam dies durchzusetzen
+gewusst. Oder sollten auch die Berber schon _vor_ der Einführung des
+Islam ohne ihre Frauen ihre Mahlzeiten eingenommen haben? Fleisch wird von
+den Bewohnern auf dem Lande nur bei Gelegenheit eines Festes gegessen und
+auch dann nur in geringer Quantität. Wenn nicht manchmal ein Stück Wild
+erlegt wird, bekommt manche arme Familie oft jahrelang kein Fleisch zu
+sehen, und wenn nicht der Genuss von Eiern, von Butter und Milch die
+animalische Kost ersetzte, könnte man mit Recht sagen, die Marokkaner sind
+der Mehrzahl nach Vegetarianer. Der in den marokkanischen Städten so sehr
+beliebte Thee wird auf dem Lande nur noch bei vereinzelten Vornehmen und
+Reichen gefunden; das allgemeine Getränk ist Wasser. Nirgends kennt man in
+Marokko die Bereitung von Busa oder Lakby, d.h. ersteres ein gegohrenes
+Getränk aus Getreide, letzteres der den Palmen abgezapfte Saft. Es würde
+den Marokkanern ein grosses Verbrechen sein, eine Dattelpalme derart für
+das Tragen der Früchte unbrauchbar zu machen oder gar zu tödten. Ebenso ist
+in den marokkanischen Oasen, sowohl in den grossen wie in den kleinen, der
+Lackby vollkommen unbekannt, und dennoch giebt es in der ganzen Sahara
+keine Oasen, die sich an Palmenreichthum, und auch was die Güte der Palmen
+anbetrifft, mit den marokkanischen Oasen messen können. Der Gebrauch die
+Palmen anzuzapfen beginnt erst in den südlich von Tunesien gelegenen Oasen.
+
+Indessen müssen wir doch auch einer guten Eigenschaft der Marokkaner
+gedenken, der Gastfreundschaft, welche ohne Prunk, ohne Ceremonie als etwas
+Selbstverständliches in Marokko überall geübt wird. In den meisten Duar, in
+fast allen Tschar's giebt es eigene Häuser oder Zelte, Dar und Gitun el
+Diaf genannt, welche für die Reisenden bestimmt sind. Der Fremde hat
+dagegen keinerlei Verpflichtung. Kommt er zu einem Duar und hat sich
+glücklich durch die kläffenden und bissigen Hunde hindurchgearbeitet, so
+weisen ihm die Leute nach dem Gastzelte. Man bringt Früchte, wenn sie die
+Jahreszeit und Gegend bietet, sonst Brod oder Datteln, und wenn Abends die
+Zeit des Hauptmahls ist, werden die Fremden _zuerst_ bedient. In
+einigen Gegenden besteht die Sitte, dass die einzelnen Familien tageweise
+der Reihe nach die Fremden zu verpflegen haben, in anderen kommen Abends
+die Familienväter mit vollen Schüsseln in das Fremdenzelt und das Mahl wird
+gemeinschaftlich verzehrt. In anderen Gegenden existirt ein Gemeindefond
+zur Speisung der Fremden, oder eine Sauya, d.h. eine religiöse
+Genossenschaft besorgt dies Geschäft. Nie wird dafür irgend eine Vergütung
+vom Fremdling beansprucht. Im Gegentheil, wird man nicht ordentlich
+verpflegt, so hat man das Recht Beschwerde zu führen. Natürlich wird man
+bei dieser Gelegenheit von Allen über Alles ausgefragt, denn Zurückhaltung
+und Schweigsamkeit kennt in dieser Beziehung der Marokkaner nicht. Die
+grosse Gastfreundschaft erklärt sich nun zum Theil dadurch, dass sie auf
+Gegenseitigkeit beruht: der, welcher heute Gastgeber ist, beansprucht
+vielleicht am nächsten Tage von einem Anderen freie Bewirthung. Es verdient
+hervorgehoben zu werden, dass die arabischen Stämme bedeutend liberaler
+sind, als die berberischen.
+
+Barth und von Maltzan haben ausgesprochen, dass in Nordafrika je weiter
+nach dem _Westen_, desto kriegerischer und muthiger die Bewohner seien
+und dass man in Marokko den grössten Sinn der Unabhängigkeit träfe. Es
+scheint mir dies nur in sofern richtig zu sein, als man die Eigenschaft der
+Freiheitsliebe, den kriegerischen Sinn stärker bei den Gebirgsvölkern
+ausgeprägt findet. Die Bewohner der Cyrenaica sind heute noch ebenso
+freiheitsdurstig und unabhängig wie die Rif-Bewohner in Marokko, bis jetzt
+sind sie von den Türken noch nicht vollkommen unterworfen. Die Bewohner des
+Gorian-Grebirges in Tripolitanien sind bedeutend kriegerischer, als die
+_westlich_ davon wohnenden Stämme. Das Djurdjura-Gebirge oder die
+grosse Kabylie wurde zu _allerletzt_ von den Franzosen unterworfen,
+nachdem schon jahrelang der ganze _Westen_ von Algerien, d.h. die
+Provinz Oran unterworfen war. Endlich sind die im äussersten Westen von
+Marokko wohnenden Stämme, die der Schauya, Abda und Dukala die
+geknechtetsten von allen, und seit Jahren wissen sie nicht mehr was
+Freiheit und Unabhängigkeit ist.
+
+Die Bevölkerung von Marokko hat keinen eigentlichen Adel in unserem Sinn.
+Die vornehmste Classe sind die Schürfa, d.h. Abkömmlinge Mohammeds,
+selbstverständlich sind diese arabischen Stammes. Da sie sich unglaublich
+vermehrt haben, giebt es ganze Ortschaften, die fast nur aus Schürfa
+bestehen; man erkennt sie daran, dass sie vor dem Namen das Prädicat "Sidi"
+oder "Mulei", d.h. "mein Herr" führen. Die gegenwärtige Dynastie von
+Marokko besteht aus Schürfa. Das Sherifthum ist _nicht_ erblich durch
+die Frau heirathet z.B. ein gewöhnlicher Marokkaner eine Sherifa, so sind
+die Kinder keine Schürfa. Aber ein Sherif kann eine Frau aus jedem Stande
+nehmen und die aus der Ehe entspringenden Kinder werden alle Schürfa. Sogar
+eines Sherifs Heirath mit einer Christin oder Jüdin, (die in ihrer Religion
+verbleiben können) oder mit einer Negerin (eine solche muss aber den Islam
+angenommen haben) hat auf das Sherifthum der Kinder keinen vernichtenden
+Einfluss, ebenso sind die im Concubinate erzeugten Kinder vollkommen
+gleichberechtigt mit den in gültiger Ehe erzeugten.
+
+Die Schürfa werden überall in Marokko als eine besonders bevorzugte
+Menschenclasse angesehen. Sie haben das Recht, andere Leute zu insultiren,
+ohne dass man mit gleichen Waffen antworten darf. Der Mohammedaner schimpft
+_dann_ am stärksten, wenn er Beleidigungen auf die Vorfahren oder
+Eltern des zu Beschimpfenden häuft. Der Sherif darf zu einem Nicht-Sherif
+sagen "Allah rhinal buk" odes [oder] "Allah rhinal djeddek", "Gott
+verfluche deinen Vater", "Gott verfluche deinen Grossvater". Der
+Nicht-Sherif darf dies nicht erwidern, denn den Vorfahr oder Vater eines
+Nachkommen des Propheten beleidigen, wäre ein Verbrechen gegen die
+Religion. Er hat aber das Recht, die Person des Sherif selbst zu schimpfen,
+und gegen ein "Allah rhinalek" "Gott verfluche Dich" kann in einem solchen
+Falle als Entgegnung, der Sherif nicht klagen. Ich habe selbst oft
+Gelegenheit gehabt, so zu antworten; wenn in Uesan die jungen Schürfa sich
+darin gefielen, meinen Grossvater und Vater zu verfluchen und zu
+verbrennen, verbrannte und verfluchte ich sie selbst in meiner Antwort:
+"Allah iharkikum"--"Allah rhinalkum"[28], dagegen konnten sie nichts
+machen. Entschieden aber glaubten sie stets einen Sieg über mich
+davongetragen zu haben, da ich ihren Eltern und Vorfahren nichts nachsagen
+durfte.
+
+ [Fußnote 28: Gott soll euch verbrennen, Gott verfluche euch!]
+
+Die sogenannten Marabutin, heilige Personen oder Nachkommen solcher
+Heiligen, stehen in Marokko in bedeutend geringerem Ansehen, sie werden zu
+sehr von den Schürfa verdunkelt. Selbst Chefs grosser Stämme, in deren
+Familien seit langer Zeit Kaid oder Schichthum nebst Reichthümern und Macht
+erblich sind, verschwinden an der Seite der Schürfa.
+
+Ueber die geistige Begabung der Marokkaner lässt sich wenig sagen.
+Hervorragende Männer hat die Neuzeit nicht hervorgebracht, und bei der
+Verdummung, welche die Religion herbeigeführt hat und worin das Volk zu
+erhalten, der Sultan und die Grossen ihr Interesse sahen, wird hierin auch
+aus ihnen selbst heraus keine Abhülfe kommen. Kunst und Handwerke findet
+man nur noch in den Städten und auch da kümmerlich genug. Edlerer Regungen
+ist der Marokkaner kaum fähig; das Gute zu lieben und zu thun blos um des
+Guten willen, das kennt man fast bei diesen Leuten nicht. Höchstens
+schwingt sich der Marokkaner auf den Standpunkt, deshalb gut zu handeln,
+weil es die Religion vorschreibt, weil er sonst der zukünftigen Freuden des
+Paradieses verlustig ginge, oder sich wohl gar die Strafen der Hölle
+zuziehen könne.
+
+Indess ist die Unmoralität beim Volke lange nicht so schlimm wie in den
+Städten. Ausschweifungen, eheliche Ueberschreitungen oder andere Laster
+hört man im Volke fast nie vorkommen. Diebstahl, Lug und Betrug kommen zwar
+oft genug vor, namentlich einer Tribe gegen die andere, indess wird dies
+kaum als sündhaft betrachtet. Lügen ist überhaupt den Arabern und Berbern
+so eigen, dass es wohl kaum ein Individuum giebt, das die Wahrheit spricht.
+Und professionsmässige Lüge hat wohl immer Betrug und Diebstahl im Gefolge.
+Das Faustrecht, der Raub und Mord sind in all den Theilen des Landes, die
+nicht von der Armee des Sultans erreicht werden können, an der
+Tagesordnung, und Niemand findet auch etwas Ausserordentliches darin. Dass
+der Gastfreund den Marokkanern eine geheiligte Person sei, ist eine Farce,
+in vielen Gegenden respectiren die Bewohner nicht einmal die Schürfa.
+
+Soll ich einen Vergleich wagen zwischen Berbern und Arabern, so möchte ich
+sagen, die Zukunft gehört den ersteren. Bis jetzt haben die Araber der
+Neuzeit sich der Civilisation am wenigsten geneigt gezeigt, sie sind die
+echten Römlinge des Islams und mit Stolz bekennen sie sich als die Träger
+und Stützen dieser fanatischen Religion. Der Berber ist in dieser Beziehung
+bescheidener, er hängt weniger an Religion, und die Leute lassen sich
+weniger von der Religion beherrschen. In Algerien haben denn auch die
+Franzosen schon die Erfahrung gemacht, dass die Berber weit empfänglicher
+für Civilisation sind, _als die nur für und durch ihre Religion lebenden
+Araber_.
+
+Was die Juden in Marokko anbetrifft, so habe ich an anderen Orten
+Gelegenheit, von ihrer miserabelen Stellung gegenüber den Mohammedanern zu
+sprechen. Zum Theil sind sie direct aus Palästina hergewandert, zum Theil
+aus Europa zurück vertrieben. Ich glaube nicht, wie einige Schriftsteller
+annehmen, dass von den jetzt noch im grossen Atlas und in den Oasen der
+grossen Wüste existirenden Judengemeinden, diese Abkömmlinge[29] der
+Ureinwohner Nordafrikas also Berber ihrer Herkunft nach sind. Wenn man auch
+annimmt, dass Berber vor der arabischen Invasion zum Theil das
+Christenthum, zum Theil das Judenthum angenommen hatten, so mussten höchst
+wahrscheinlich Christen und Juden den Islam annehmen. Man behauptet, diese
+eben erwähnten Juden haben gleiches Aeussere, gleiche Sitten und Gebräuche
+mit den Berbern. Es ist das ein Irrthum. Ich habe jüdische Gemeinden des
+grossen Atlas und fast sämmtliche jüdische Ortschaften der Draa- und
+Tafilet-Oasen besucht, aber immer gefunden, dass sie sich auszeichneten von
+der sie umgebenden mohammedanisch-berberischen Bevölkerung, sowohl in der
+Sprache, als auch durch anderen Körperbau, andere Gesichtsbildung und
+Sitten. Im Allgemeinen sind die Juden schöner und kräftiger als die Araber,
+aber der entsetzliche Schmutz, den sie zur Schau tragen, die nachlässige
+und ärmliche Kleidung, der sie sich bedienen müssen, entstellt sie mehr als
+es unter anderen Umständen der Fall sein würde. Die Jüdinnen namentlich
+zeichnen sich durch Schönheit der Körperformen und reizende Gesichtszüge
+aus, müssen dafür aber auch oft genug, sind sie in der Nähe eines Grossen
+und Vornehmen, in dessen Harem wandern.
+
+ [Fußnote 29: Die Angaben von Richardson und Davidson über die frei im
+ Atlas lebenden Juden, die berechtigt seien Waffen zu tragen, beruhen
+ auf trügerischer Information. Aus _eigener_ Anschauung weiss ich,
+ dass die Juden im Atlas und in den grossen Oasen der Sahara ebenso
+ miserabel leben, wie nur in Fes oder irgend einer anderen Stadt des
+ Landes.]
+
+Die direct von Palästina hergekommenen Juden finden sich auf dem Atlas und
+in der Sahara, auch in den Städten Uesan, Fes, Tesa, Udjda giebt es deren.
+Sie reden kein Spanisch, sondern nur Arabisch und in rein berberischen
+Gegenden Schellah oder Tamasirht.
+
+Aber eigenthümlich! Der Jude scheint nirgends die Landessprache erlernen zu
+können. Wir wissen alle, dass der echte Jude in Deutschland gleich an
+seiner lispelnden Sprache zu erkennen ist, ebenso die Juden aller übrigen
+europäischen Länder, die stets die Sprache des Landes anders sprechen als
+die christlichen Bewohner. So auch in Nordafrika. Selbst wenn nicht durch
+Tracht und Physiognomie verschieden von dem Araber, würde man unter
+Hunderten den Juden gleich an der Sprache herauskennen. Nichts lächerlicher
+als einen Juden arabisch schmunzeln zu hören, und die unter den Berbern
+ansässigen Israeliten, die berberisch sprechen, schmunzeln das Tamasirht,
+wie der Jude überhaupt in allen Sprachen schmunzelt.
+
+Man wird wohl kaum übertreiben, wenn man die Zahl der in Marokko lebenden
+Juden auf circa 200,000 Seelen angiebt. Der grösste Zuschub von Aussen trat
+1492 bei der Vertreibung aus Spanien ein, dazu kamen 1496 die aus Portugal
+vertriebenen Juden. Aber früher schon hatten andere europäische Länder ihr
+Contingent gestellt, 1342 fand in Italien eine Judenvertreibung, 1350 in
+den Niederlanden und 1403 in England und Frankreich statt[30]. Alle diese
+unglücklichen Israeliten fanden in Nordafrika und vorzugsweise in Marokko
+eine Zuflucht. Und wie unglücklich und gedrückt ihre Stellung auch dort
+ist, bis auf den heutigen Tag haben sie ausgehalten und sich vermehrt.
+
+ [Fußnote 30: Don Serafin Calderon, Cuadro geografico de Marrueccos,
+ Madrid 1844.]
+
+Auch die schwarze Race ist in Marokko vertreten und zwar sind es
+vorzugsweise Haussa-, Sonrhai- und Bambara-Neger, die man antrifft. Sie
+haben dazu beigetragen, das arabische Element kräftig zu durchsetzen,
+obschon auf dem Lande die Mischung mit den Schwarzen seltener ist als in
+den Städten. Es ist weniger im arabischen _Volke_ Sitte eine Negerin
+zu nehmen, als bei den _Grossen_. Die ganze Familie des Sultans, alle
+ersten Familien der Schürfa haben heute eben so viel Negerblut in ihren
+Adern als rein arabisches. Die Berber mischen sich nie mit den Schwarzen,
+sie würden glauben sich dadurch zu degradiren. Als Sklaven werden die
+Schwarzen in Marokko gut behandelt und fast immer nach kürzerer oder
+längerer Zeit in Freiheit gesetzt. Die Zahl der Schwarzen in Marokko,
+welche stets durch neue Zufuhren aus Centralafrika erneuert wird, dürfte
+sich auf circa 50,000 beziffern.
+
+Die in Marokko sich aufhaltenden Renegaten verdienen kaum einer Erwähnung.
+Es ist meist der Abschaum der menschlichen Gesellschaft,
+Galeerensträflinge, die aus den spanischen Praesidos von Ceuta, Melilla,
+Alhucanas und Peñon de la Gomera entflohen sind. Und die Aussicht auf
+Begnadigung ist ihnen dadurch, dass sie die mohammedanische Religion
+angenommen haben, vollkommen abgeschnitten, sie würde auch nutzlos für sie
+sein, da sie im Falle einer Begnadigung, _dem Rächerarm der allliebenden
+katholischen Kirche anheimfallen würden_. Die katholische
+alleinseligmachende Religion in Spanien und die mohammedanische
+alleinseligmachende Religion in Marokko stehen sich noch ebenso feindlich
+gegen einander, wie zur Zeit Ferdinand des Katholischen.
+
+Es mögen einige Hundert Renegaten in Marokko sein, fast alle Spanier, mit
+Ausnahme von drei oder vier Franzosen; alle sind verheirathet, die meisten
+sind Soldaten und alle leben in einer sehr verachteten Stellung. Selbst die
+Kinder und Nachkommen solcher Oeludj[31] haben noch zu leiden von der
+tiefverachteten Stellung, die ihre Eltern einnahmen.
+
+ [Fußnote 31: Oeludj pl. von Oeldj heisst man in Marokko den
+ ehemaligen christlichen Sklaven und ebenso auch die Renegaten.]
+
+Europäer, oder wie die Marokkaner sie nennen: Christen, trifft man nur in
+den Häfen. Im Ganzen beträgt ihre Zahl jetzt wohl 2000; sie zeigt also eine
+grosse Zunahme gegen früher. Tanger und Mogador haben das grösste
+Contingent aufzuweisen. In den übrigen Küstenstädten, wie Tetuan,
+L'Araisch, Rbat, Darbeida, Dar-Djedida und Saffi findet man nur einzelne
+Familien. Die Häfen von Sla, Asamor und Agadir haben _keine europäische
+Bevölkerung_.
+
+Ueber Zu- oder Abnahme der Bevölkerung in Marokko liegen natürlich keine
+Angaben vor. Was die Städte anbetrifft, so hat in der neuesten Zeit Fes
+durch Cholera bedeutend an der Einwohnerzahl verloren. Dass die Stadt
+Marokko ehedem viel bedeutender bevölkert war als jetzt, dass ein Gleiches
+in Mikenes, Luxor (Alcassar) und Tarudant der Fall gewesen ist, habe ich
+selbst beobachten können. Die grossen Gärten innerhalb der Stadtmauern, die
+vielen leerstehenden Häuser, meistens schon Ruinen, endlich die grosse
+Anzahl unbenutzter Moscheen, zu gross für die jetzige Population, deuten
+darauf hin, dass die Bevölkerung dieser Städte bedeutend abgenommen hat.
+Zunahme sehen wir nur in den Hafenstädten, namentlich in denen, welche
+hauptsächlich den Handel mit dem Auslande vermitteln; aber auch hier ist
+die Zunahme mehr unter der fremden, europäischen Bevölkerung zu bemerken,
+als unter den Eingeborenen. Viele Hafenstädte, welche ehemals bewohnt
+waren, sind in der Neuzeit sogar gänzlich entvölkert und verlassen worden.
+
+Ebenso kann auf dem Lande von einer merklichen Zunahme der Einwohner nicht
+die Rede sein; es kann sein, dass einzelne Triben sich vermehren, durch
+locale Einflüsse begünstigt, während aber andere dafür sich vermindern oder
+ganz aussterben. Constante Zunahme der Bevölkerung und fast möchte ich
+sagen Uebervölkerung findet man nur in den Sahara-Oasen, namentlich im Draa
+und Tafilet. Es scheint, dass diese gesegneten Inseln, wie sie Treibhäuser
+für Pflanzen sind, auch ebenso günstig auf die Menschen einwirken. Dazu
+kommt, dass in den grossen Oasen eine verhältnissmässig grosse Sicherheit
+des Lebens und Eigenthums ist, dass Kriege und Raubzüge dort seltener sind,
+und Beraubungen und Vexationen durch die marokkanische Regierung dort nicht
+vorkommen.
+
+Hauptgründe aber der Abnahme der Bevölkerung Marokko's (höchstens kann man
+sagen, dass diese bleibt wie sie ist) sind vor allem mangelhafte Nahrung.
+Die Faulheit und Sorglosigkeit der Bewohner ist derart; dass trotz des
+reichen und jungfräulichen Bodens oft Missernten erzielt werden. Nicht zur
+rechten Zeit eingetretener Regen, Hagelwetter oder Heuschrecken führen
+häufig Hungersnoth herbei. Vorräthe anlegen kennt der Marokkaner nicht.
+Aber selbst bei reichlichen Ernten, in Jahren, wo Marokko Getreide
+ausführen kann, ist die Nahrung wegen der Einförmigkeit keine die
+Gesundheit fördernde. Wie schon angeführt worden ist, kommt beim
+Landbewohner das ganze Jahr keine Fleischkost vor. Unmässigkeit, wenn
+Nahrung reichlich vorhanden ist, hat dann Krankheit im Gefolge. Das
+weibliche Geschlecht entkräftet sich durch zu langes Säugen der Kinder.
+Fortwährende Kriege und Raubzüge fordern Opfer unter den kräftigsten
+Männern. Die willkürliche Regierung, die dem Volke den letzten Blutstropfen
+aussaugende mohammedanische _Geistlichkeit_, endlich die grassirenden
+Krankheiten, alles dieses sind Ursachen, welche auf die Entwickelung des
+marokkanischen Volkes hemmend und hindernd einwirken.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+4. Die Religion
+
+ * * * * *
+
+Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und richtig
+erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion stellen; ein
+Christ wird über jede andere Religion immer, fasst er dieselbe von seinem
+_christlichen_ Standpunkte auf, ein falsches Urtheil voller
+Vorurtheile abgeben; eben so wenig genügt es, die Religion, über welche ein
+Urtheil abgegeben werden soll, zur eigenen zu machen (obschon, um in das
+Wesen derselben einzudringen, dies vollkommen nothwendig ist), sondern muss
+nachdem das geschehen, wieder heraustreten, um für die Kritik ohne Fessel
+dazustehen.
+
+In allen Ländern ist die Religion der Grund des moralischen Volkszustandes,
+und derjenige, welcher Länder durchforscht und in das Leben des Volkes der
+Länder eindringen will, muss daher vor allem sich angelegen sein lassen,
+die Religion des Landes einer eingehenden Betrachtung zu unterwerfen.
+
+Von den drei für semitische Völker gemachten Religionen hat keine so
+gewirkt, das freie Denken, die _bewusste_ Vernunft einzuschränken, wie
+der Islam. Und rechnen wir die Inquisitionszeiten, die Verbrennungen der
+Hexenprocesse ab, hat keine der semitischen Religionen so viele
+Menschenopfer gekostet, als die mohammedanische. Auch ihr ist ureigen,
+unter der Firma der Nächstenliebe, unter der Maske religiöser Heuchelei
+jede Freiheit des Gedankens als Sünde hinzustellen; ihr ist ureigen, nur
+die _eigene Anschauung_ des Propheten oder Macher der Religion als
+allein wahr hinzustellen und den _Glauben_ zum unumstösslichen
+_Gesetz_ erhoben zu haben.
+
+Der Grund der mohammedanischen Religion liegt in dem Satze: "Es giebt nur
+Einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter." Wir sehen hier ausdrücklich,
+dass, wie in den anderen beiden semitischen Religionen, die Einheit Gottes
+vor allen Dingen betont wird, aber ohne den Glauben, dass Mohammed
+"Gesandter"[32] Gottes ist, gilt die ganze Lehre nichts.
+
+ [Fußnote 32: Gesandter ist wohl zu unterscheiden von Prophet, deren
+ die Mohammedaner viele anerkennen, ein Prophet aber wie Moses oder
+ Jesus bekommt nie den Beinamen "Gesandter".]
+
+Mohammed, von einem als Beduinen gekleideten Engel gefragt: "worin besteht
+das Wesen des Islam?"--antwortete: "zu bezeugen, es giebt nur einen Gott
+und ich bin sein Gesandter; die Stunden des Gebets innehalten, Almosen
+geben, den Monat Ramadhan beobachten, und wenn man es kann, nach Mekka
+pilgern."--"Das ist es," erwiederte der Engel Gabriel, indem er sich zu
+erkennen gab.
+
+Mit der christlichen Religion hat die mohammedanische das gemein, dass sie
+die _unbedingteste_ Herrschaft über alle Menschen anstrebt, wenn aber
+jene Herrschaft der christlichen Kirche erst im Mittelalter verloren ging
+durch die Reformation oder Revolution eines Luther[33], so sehen wir in der
+mohammedanischen Kirche schon 755 ein Schisma. Es bildet sich nach der
+Verlegung des Kalifats von Damaskus nach Bagdad ein eigenes vollkommen
+unabhängiges _westliches_ Kalifat, welches im Anfange in Cordova
+seinen Sitz hatte. Ausser den vielen anderen Religionssecten und Parteien,
+welche dann den Islam spalteten, wir erwähnen nur der Kharegisten, der
+Kadarienser, der Asarakiten, der Safriensen, sind in der
+_rechtgläubigen_ mohammedanischen Welt heute diese beiden Kalifate
+noch zu erkennen.
+
+ [Fußnote 33: Die krankhafte Anstrengung des Papstthums, diese
+ Herrschaft bei den Katholiken jetzt wieder herzustellen, darf,
+ wenigstens was die germanischen Völker anbetrifft, als verfehlt und
+ zu spät angesehen werden.]
+
+Der Sultan der Türkei erkennt sich als den rechtmässigen Nachfolger des
+Kalifats von Bagdad und Damaskus, und da dies Kalifat überhaupt nie als
+gleichberechtigt bestehend das westliche Kalifat von Spanien und den
+Maghreb anerkannt hat, so glaubt er der Alleinherrscher aller Mohammedaner
+zu sein. Es versteht sich von selbst, dass eben so wenig wie Protestanten,
+Griechen und andere christliche Bekenner von Rom für _rechtmässige_
+Christen gehalten werden, auch die übrigen Bekenner des Islam, die
+Schiiten, Aliden, Choms, für rechtgläubige Mohammedaner angesehen werden.
+
+Der Sultan von Marokko als Nachfolger des Kalifats von Cordova erkennt aber
+keineswegs die Oberherrschaft des Sultans der Türkei an, und eben so wie
+die Kalifen von Spanien ihre Unabhängigkeit von den Abassiden aufrecht zu
+erhalten wussten, hat _nie_ irgend ein marokkanischer Herrscher des
+Sultans der Türkei Oberherrlichkeit anerkannt. Im Gegentheil, die jetzige
+Dynastie der Kaiser von Marokko, die sogenannte _zweite_ Dynastie der
+Schürfa, proclamirt laut und feierlich, dass sie die allein rechtmässigen
+Herrscher _aller_ Gläubigen seien, eben weil sie Abkömmlinge Mohammeds
+sind. Der Sultan von Marokko betrachtet den Sultan von Constantinopel als
+einen Usurpator, der nicht einmal arabisches Blut, geschweige das "unseres
+gnädigen Herrn Mohammed" in seinen Adern habe.
+
+Der echte Marokkaner, wenn er auch das arabische Volk als das bevorzugte,
+das von Gott auserwählte und besonders beschützte betrachtet, erkennt
+keineswegs _Nationen_ an. Für ihn giebt es nur Mohammedaner, oder wie
+er selbst in römischer Ueberhebung sagt, "Rechtgläubige Moslemin", Juden,
+Christen und Ungläubige. Zu den letzteren rechnet er alle solche, die kein
+"Buch", d. h. die keine göttliche Offenbarung bekommen haben.
+
+Da nun aber von solchen, die ein "Buch" haben, im Koran nur die Juden und
+Christen erwähnt sind, so werden die Wedas der Inder, die Kings (Bücher des
+Confucius) der Chinesen und andere als nicht vorhanden betrachtet, und in
+Marokko gar hat man die Vorstellung, dass die durch "Tausend und eine
+Nacht" bekannten Länder Hind (Indien) und Sind (China) ausschliesslich den
+Islam bekennen.
+
+Von den vier rechtmässigen und gleichberechtigten Bekennern des Islam, den
+Hanbaliten, Schaffëiten, Hanefiten und Malekiten, huldigen die Marokkaner
+wie in Afrika _alle_ Mohammedaner mit Ausnahme der Aegypter, dem
+malekitischen Systeme. Für diejenigen, welche weniger mit dem
+Mohammedanismus bekannt sind, führe ich hier an, dass man schon gleich nach
+dem Tode des Propheten einzusehen angefangen hatte, dass der Koran
+unmöglich allein allen religiösen Anforderungen, allen Rechtsfragen
+entsprechen konnte. Im Anfange der mohammedanischen Religion begnügte man
+sich damit, zweifelhafte Fälle durch Mohammed selbst oder seine Jünger
+entscheiden zu lassen. Nach des Propheten Tode, nach dem seiner Jünger,
+sammelte man dann die mündlichen Ueberlieferungen; es ist das die Sunnah,
+welche im ersten Jahrhundert nach der Hedjra entstand.
+
+Da nun aber noch keineswegs Koran und Sunnah ein regelmässiges System
+boten, so fühlte man die Notwendigkeit, für Theologie und Jurisprudenz
+einen solchen festen Anhalt zu bilden, und vier Schriftgelehrte unternahmen
+diese Arbeit. Jeder lieferte eine Abhandlung über die religiösen
+Ceremonien, über die Grundsätze, wonach der Moslim sein häusliches Leben
+einzurichten hat, und sie sonderten die Scheria, d. h. das von Gott selbst
+gegebene unabänderliche Gesetz, von dem, welches nach dem Willen und
+Gutdünken der Menschen abgeändert werden kann. Die Abhandlungen dieser vier
+Schriftgelehrten, obschon sie in vielen äusserlichen Sachen von einander
+abwichen, wurden alle als orthodox anerkannt und sie bekamen den Namen nach
+ihren Urhebern.
+
+Der _Malekitische Ritus_ nun (Malek ben Anas wurde 712 in Medina
+geboren, woselbst er 795 starb) verdrängte im Westen von Afrika gegen das
+Ende des achten Jahrhunderts den Hanefitischen Ritus, und dieser hat sich
+dort bis auf unsere Zeit erhalten. Neben Malek und hauptsächlich als bester
+Erklärer der Malekitischen Schriften gilt das Werk von Chalil ben Ischak
+ben Jacob, der 1422 starb, und aus einer Menge anderer Schriften über
+Malekitischen Ritus seine Werke zusammengesetzt hat. Sehr hoch gehalten
+werden in Marokko auch die Schriften des Buchari, der 200 Jahre nach
+Mohammeds Tode schon die Ueberlieferungen sichtete und von 7275 für wahr
+gehaltenen und 2000 zweifelhaften mehr als über 2000 falsche ausstiess.
+
+Der Unterschied der Malekiten von den übrigen drei rechtgläubigen Parteien
+beruht nur auf Aeusserlichkeiten, so namentlich in der Verrichtung bei den
+Ablutionen, in den Bewegungen beim Gebet, endlich hat Malek vor seinen
+gelehrten Collegen den Vorzug, dass er denen, die seine Religionsregeln
+befolgen, entschiedene Erleichterungen gewährt.
+
+Das Sultanat von Marokko als solches wurde gegründet nach dem Untergange
+des Königreichs von Granada am 2. Januar 1492, als Ferdinand auf der
+Alhambra die Fahne von Castilien und des heiligen Jacob aufziehen konnte.
+Das westliche Kalifat war nun begraben, aber als Erben desselben
+betrachteten sich von dem Augenblicke an die Sultane von Marokko. Wenn dann
+noch später bis zur eigentlichen Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien
+ein inniger Zusammenhang mit den afrikanischen Glaubensgenossen blieb, so
+hatte doch jeder politische Zusammenhang, wie früher schon oft, seit 1492
+gänzlich zu existiren aufgehört. Marokko selbst hatte auch freilich nicht
+die Grenzen, welche es jezt [jetzt] inne hat, seine Ausdehnung wechselte je
+nach der Macht der regierenden Sultane. Einzelne dehnten ihre Oberhoheit
+durch die Sahara bis Timbuctu und Senegambien hin aus, und Mascara und
+Tlemçen haben häufig genug die Oberherrlichkeit derselben anerkannt.
+Oftmals aber regierten drei Könige oder Sultane neben einander, daher die
+Namen Königreich Fes, Tafilet, Marokko. Nie aber, wir betonen es,
+namentlich weil _jetzt_ die Pforte auch die Souveränetät über Marokko
+beanspruchen zu wollen scheint, ist im eigentlichen Marokko, d. h. westlich
+von der Muluya, irgend wie oder irgend wo ein türkischer Pascha als Regent
+seines Herrn, des Sultans der Türken, gesehen worden.
+
+Im Allgemeinen sind die Begriffe des Volkes von der mohammedanischen
+Religion äusserst oberflächlich und verworren. Der gemeine Mann giebt sich
+auch gar keine Mühe, in das Wesen des Islam einzudringen, und was die Faki
+und die Tholba, d. h. die Doctoren und Schrifgelehrten [Schriftgelehrten],
+anbetrifft, so sind diese in Marokko auf einer bedeutend tiefer stehenden
+Stufe der Gelehrsamkeit, als in den meisten anderen Ländern, wo der Islam
+herrscht.
+
+Die Lehre von der _Prädestination_ zieht sich auch in Marokko durch
+die ganze religiöse Anschauung hin: "Es stand geschrieben," dass an dem
+Tage der und der sterben muss, "es stand geschrieben," dass der und der das
+Verbrechen beging etc. Es würde indess lebensgefährlich sein, einem Thaleb
+zu sagen: Da Gott _allmächtig_ ist und _Alles_ erschaffen hat, so
+hat er doch auch den Teufel geschaffen; oder, der Teufel als gefallener
+Engel hat doch nur mit _Wissen_ und _Willen_ Gottes fallen
+können. Man würde in Gefahr sein, verbrannt zu werden, wenn man einem Faki
+sagte: Da Gott _Alles_ geschaffen hat, so muss er doch auch das
+_Böse_, die _Sünde_, geschaffen haben; wie erklärst Du das mit
+der _Allgute_ Gottes, Gottes, welcher doch nur der Inbegriff _alles
+Guten_ sein soll? Ein marokkanischer Geistlicher würde nicht antworten
+"mit unerforschlichen Geheimnissen", die wir nicht zu ergründen vermögen,
+sondern gleich mit "Feuer und Schwert".
+
+Gott mit "hundert guten Eigenschaften", als "grösster", "allbarmherziger",
+"allmitleidiger", denkt sich der marokkanische Mohammedaner als ein
+persönliches Wesen. Obschon der Name Gottes "Allah" immer mit besonderer
+Betonung und recht sonor ausgesprochen wird, so hat doch das _häufige_
+Anrufen desselben eine völlige Missachtung nicht nur des Namens, sondern
+Gottes selbst herbeigeführt. Die eigene Lehre Mohammed's trägt Schuld
+daran. Während die jüdischen Lehrer vor allen Dingen darauf hielten, den
+Namen Gottes so wenig wie möglich im Munde zu führen, "Du sollst den Namen
+des Herrn, Deines Gottes, nicht unnützlich führen; denn der Herr wird den
+nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht", und die Israeliten
+hierin so weit gingen, dass der Name Jehovah nur von den Priestern im
+Tempel ausgesprochen werden durfte, und man für Gott Eloah oder Adonai, d.
+h. "Herr" im gewöhnlichen Leben, sagte, lehrte die mohammedanische
+Religion, es ist _verdienstvoll_, den Namen Gottes _so viel als
+möglich_ auszusprechen.
+
+Bei aussergewöhnlichen Versammlungen von Religionsgenossenschaften kann man
+daher sehen, wie manchmal die Versammelten mit nichts Anderm sich
+beschäftigen, als wiegend mit dem Körper den Takt zu geben, und jedesmal
+das Wort "Allah" auszusprechen. Eine Versammlung der religiösen
+Genossenschaft der Mulei Thaib in Rhadames, der ich dort beiwohnte,
+behauptete, am selben Abend das Wort "Allah" 70,000 Mal ausgerufen zu
+haben. Wenn dies nun auch nicht genau dem Worte nach genommen werden muss,
+denn die Zahlen in grösseren Zusammensetzungen sind überhaupt den
+Marokkanern ziemlich unbekannte Grössen, so kann ich doch versichern, dass
+ich sicherlich eine nachhaltige Heiserkeit würde davon getragen haben, wenn
+ich mit gleicher Regelmässigkeit und Vehemenz eben so oft Allah
+mitgeschrien hätte.
+
+Allah wird deshalb eigentlich weder geliebt, noch gefürchtet und kaum
+verehrt, denn wenn auch das Chotba-Gebet Freitags wie die täglichen Gebete
+an Gott gerichtet sind, so wendet sich doch der Marokkaner, um irgend eine
+Gunst zu erlangen, um irgend etwas durchzusetzen, an irgend Jemand sonst,
+nur nicht an Gott.
+
+Wie hat es aber auch anders sein können? Es liegt dem Menschen so nahe,
+dass er das, was er immer zur Hand hat, was er täglich braucht, anfängt
+nicht zu beachten, und die Nichtbeachtung ist immer der erste Schritt zur
+Verachtung. Und in Marokko wird das Geringste, das unbedeutendste Geschäft,
+ja Dinge, die nach den Gesetzen aller Menschen sündhaft sind, um nicht noch
+mehr zu sagen, mit der Anrufung Gottes "Bi ism' Allah, im Namen Gottes"
+begonnen. Mit dieser Redensart steht der Marokkaner auf, ergreift seine
+Kleidungsstücke, falls er sich derselben ausnahmsweise Nachte entledigt
+hätte, unternimmt Waschungen, betritt die Strasse, geht damit zur Arbeit,
+prügelt damit seine Lehrlinge durch, ohrfeigt seine Gattin, empfängt damit
+ein Almosen, ersticht damit seinen Feind, schwört damit einen falschen Eid,
+betritt damit die Moschee, legt sich damit schlafen, um in der Regel damit
+auch seinen letzten Hauch von sich zu geben.
+
+Die Vorstellung, welche man sich von Engeln macht, ist im Wesentlichen der
+der anderen semitischen Lehre nachgebildet. Die Engel haben einen feinen
+und reinen Körper; sie essen und trinken nicht, sind geschlechtslos und
+werden als specielle Diener Gottes betrachtet. Die Befehle Gottes, der
+unumschränkter Gebieter des Weltalls ist, werden durch die Engel
+vermittelt. So beginnt die 35. Sure[34]: "Lob und Preis sei Gott, dem
+Schöpfer des Himmels und der Erde, der die Engel zu seinen Boten macht, so
+da ausgestattet sind mit je zwei, drei und vier Paar Flügeln." Als
+vornehmster wird _Gabriel_ betrachtet, der manchmal auch als "Geist
+Gottes" erwähnt ist; _Michael_, der Engel der Offenbarung,
+_Azariel_ der Todesengel, _Israful_ der Engel der Auferstehung.
+Man glaubt sodann an Geister, _Djenun_ (Plural von Djin), welche als
+aus gröberer Materie gemacht gedacht werden und am jüngsten Tage einem
+Gerichte unterliegen.
+
+ [Fußnote 34: Der Koran von Dr. Ullmann. Bielefeld.]
+
+Man kann nicht sagen, dass in Marokko ein _Teufelcultus_ bestände, und
+als ob man sich überhaupt etwas aus dem Teufel mache. Er wird nicht so oft
+in den Mund genommen, wie Allah, und ist dem zufolge den dortigen
+Mohammedanern ziemlich zur Nebensache geworden. Wie bei den meisten
+Völkern, wird auch hier dem Teufel Alles in die Schuhe geschoben und
+_"Allah rhinal Schitan, Gott verfluche den Teufel!"_ kann man täglich
+hören. Stösst einer aus Versehen an, schneidet sich einer in den Finger,
+fällt einer zur Erde, zerbricht aus Versehen ein Gefäss, beschmutzt durch
+eigene Unvorsichtigkeit sein Gewand, so wird unabänderlicherweise der
+Teufel verflucht. Als eigenthümlich beobachtete ich, dass, sobald _ein
+Esel_ seine musikalischen Töne ausstösst, es zum guten Ton gehört, sich
+mit Abscheu wegzuwenden und "Gott verfluche den Teufel" auszurufen. Der
+Teufel wird _Iblis_ oder _Schitan_ genannt, und nach der Meinung
+der Mohammedaner wird er deshalb als gefallener Engel angesehen, weil er
+sich weigerte, Adam anzubeten[35].
+
+ [Fußnote 35: An anderen Orten und Surat 2 im Koran: "Darauf sagten
+ wir zu den Engeln: Fallet vor dem Adam nieder, und sie thaten so,
+ nur der hochmüthige Teufel weigerte sich, er war ungläubig."]
+
+Als Lohn wird den Menschen nach dem irdischen Tode ein Aufenthalt entweder
+im _Paradiese_ oder in der _Hölle_ zu Theil. Indess kommen die
+Abgeschiedenen keineswegs sofort dorthin; sondern erst _nach_ dem
+jüngsten Gericht. Höst[36] sagt S. 197, und dieser Glaube ist auch heute
+noch in Marokko: "Wenn ein Maure gestorben ist, so glauben die Anderen,
+dass er gleich im Grabe von zwei Engeln befragt wird, die sie Munkir und
+Nakir nennen; und wenn er dann als ein echter Moslim zu ihrer Zufriedenheit
+antwortet, so ruhet der Leib ungestört bis zum Gerichtstage; wo nicht, so
+schlagen sie ihn mit eisernen Keulen an die Schläfe, und er wird von
+giftigen Thieren gebissen und übel behandelt. _Die Seelen der Märtyrer
+verbleiben im Halse der grünen Vögel des Paradieses_ bis an den Tag des
+Gerichts; aber die anderen rechtgläubigen Seelen, die durch den Engel
+Azariel mit Gelindigkeit vom Körper getrennt werden, halten sich um die
+Gräber herum auf, ob sie gleich gehen könnten, wohin sie wollen. Für
+diejenigen Seelen hingegen, die verdammt werden, wissen sie keinen Platz,
+denn weder Himmel noch Erde will sie annehmen."
+
+ [Fußnote 36: Nachrichten von Marokko und Fes, Ton G. Höst.
+ Kopenhagen 1781.]
+
+Endlich naht der _jüngste_ Tag, dessen Ankunft durch "Zeichen"
+angekündigt wird. So soll am Abend vorher die Sonne aufgehen, der zwölfte
+Imam, der Mehedi verkündet aufs Neue und zuletzt den Islam, und Jesus
+Christus, die Lehre Mohammed's bekennend, erscheint aufs Neue. Nach dem
+Glauben der Mohammedaner haben sowohl Moses als auch Christus den wahren
+Islam gepredigt, nur wir Christen und die Juden haben unsere, respective
+ihre Bücher gefälscht. Die Mohammedaner verweisen auf verschiedene Stellen
+des Alten und Neuen Testaments, von denen sie glauben, dieselben enthielten
+eine Weissagung, einen Bezug auf Mohammed.
+
+Die Trompete erschallt, die Sonne wird verfinstert, die Sterne fallen zur
+Erde, es herrscht Chaos. Ein zweiter Trompetenstoss ertönt, und Alles auf
+Erden, was Leben hat, stirbt. Ein 40 Jahre anhaltender Regen soll zum neuen
+Keimen und Leben rufen, und dann werden die Engel Gabriel, Michael und
+Israful zuerst erweckt (an anderen Koranstellen lässt Mohammed sie nicht
+sterben, wie überhaupt die grössten Widersprüche herrschen). _Letzterer
+sammelt die Seelen in seiner Trompete_, und beim letzten Schall
+entfliegen sie derselben, um den Raum zwischen Erde und Himmel auszufüllen.
+Die Länge des jüngsten Gerichtstages wird im Koran verschieden, im 30.
+Capitel zu 1000, im 70. Capitel zu 50,000 Jahren angegeben.
+
+Nachdem die Menschen von den Engeln Munkir und Gabriel gefragt sind, wiegt
+Gabriel in einer Waage, die so gross ist, dass sie Himmel und Erde zugleich
+enthalten kann, die Thaten der Menschen. Ueberwiegen die guten Thaten auch
+nur _Ein Haar_ die bösen, so ist der Eingang in das Paradies
+gesichert. Ein Mohammedaner, der einem andern Unrecht gethan hat, muss
+übrigens einen Theil seiner guten Thaten demselben abgeben, hat er gar
+keine, so übernimmt er dafür des Anderen Sünden. Obschon die Verdammung an
+vielen Stellen als eine _ewige_ geschildert wird, so glaubt man doch
+nach anderen Andeutungen, wenigstens für die Rechtgläubigen auf eine
+_zeitweise_ Strafe rechnen zu können, "nachdem die Haut 1000 Jahre
+lang zu Kohle verbrannt ist".
+
+Bei der _Auferstehung_ sind die Frommen bekleidet mit Leinwand, die
+Gottlosen erstehen nackt, und jene, welche unrechtmässig Reichthümer
+erworben haben, werden als Schweine auferstehen; die, welche Zinsen nehmen,
+werden Kopf und Füsse verkehrt tragen. Um einer solchen Strafe zu entgehen,
+leiht man in Marokko nie auf Zinsen, aber man umgeht das unentgeltliche
+Darleihen dadurch, dass man z.B. 100 Metkal ausleiht, aber gleich zur
+Bedingung macht, nach so und zo [so] langer Zeit das _verdoppelte_
+oder _verdreifachte_ Capital zurückzubekommen. Nur so konnte ich mir
+selbst später am Tsadsee vom Mohammedaner Mohammed Sfaxi 200
+Maria-Theresia-Thaler verschaffen; es war Bedingung, 400
+zurückzuerstatten; Zeit war hierbei nicht angegeben, aber man verlangte
+Zahlung auf Sicht in Tripolis, und da die Karavane gleich darauf abging
+nach dieser Stadt und etwa neun Monate Zeit gebrauchte, so konnte der
+Darleiher gewiss zufrieden sein.--Die ungerechten Richter, die Mörder,
+Diebe etc., Alle werden in eigenen Gestalten erscheinen, um ihre Strafe
+anzutreten. Das Gericht wird lange dauern und Gott wird in Person
+richten, Mohammed wird Fürbitter sein, Adam, Noah, Abraham und Jesus
+weisen das Amt der Fürbitte von sich. Auch die Engel, die Geister und
+die Thiere werden zur Rechenschaft gezogen.
+
+Die Auferstandenen haben, um in den für sie bestimmten Aufenthalt zu
+kommen, die _Siratbrücke_ zu passiren, die so fein wie ein Haar und so
+schneidig wie ein Messer ist; die frommen Seelen kommen mit telegraphischer
+Geschwindigkeit hinüber, die Gottlosen stürzen in die Tiefe.
+
+Ehe man ins Paradies gelangt, kommt man zu einer _Mauer_, welche Hölle
+und Paradies trennt. Diese Mauer wird zugleich als neutrales Gebiet
+betrachtet und dient als Aufenthalt für Solche, die gleichviel Gutes und
+Böses, oder überhaupt weder Böses noch Gutes gethan haben.
+
+Das mohammedanische _Paradies_ mit den rieselnden Bächen von Milch und
+Honig, den schwarzäugigen Huris, deren Leib aus duftendem Bisam besteht,
+dem Weine, der nicht berauscht, und den 80,000 Sklaven, die jeder
+Rechtgläubige zur Verfügung hat, ist hinlänglich bekannt, und der
+Marokkaner schmückt sich nach seiner Art die Versprechungen, die ihm
+Mohammed im Koran davon gemacht hat, noch mehr aus. So wird er dort immer
+seine Haschischpfeife haben, und der Haschisch wird ihn nicht schlaftrunken
+machen; er wird nicht schwarzäugige Huris als Dienerinnen haben, sondern
+_blauäugige, blondlockige Engländerinnen_, welche nach der Meinung der
+Marokkaner diesen Vorzug verdienen. Das Paradies befindet sich über den
+sieben Himmeln, unmittelbar unter dem Throne Gottes; was aber räumlich
+_über_ Gott selbst ist, darüber nachzudenken ist dem Marokkaner nicht
+erlaubt.
+
+Nach der Beschreibung der die Hölle vom Paradiese trennenden Mauer sollte
+man denken, dass dieses letztere sich auf gleichem Niveau befände mit der
+Hölle. Aber wie bei den übrigen semitischen Religionen und wie bei fast
+allen Völkern ist mit der _Hölle_ der Begriff des "Tiefen,
+Unterirdischen" verbunden. Deshalb sagt man auch, die Bösen _fallen_
+von der Siratbrücke. Man stellt sich sodann die _Hölle mit sieben
+Stockwerken_ vor; im obersten wohnen jene Mohammedaner, die auf Fürbitte
+des Herrn Mohammed nach einigen tausend Jahren Eintritt ins Paradies
+bekommen können. Es ist sodann ein Aufenthalt für die Christen, für die
+Juden, für Sabäer, Magier, Ungläubige überhaupt vorhanden. In das unterste
+Stockwerk werden die Heuchler kommen, d.h. Solche, die äusserlich eine
+Religion, vornehmlich die mohammedanische, bekannten, aber innerlich nicht
+daran glaubten. Die Qualen der Hölle werden eben so erfinderisch
+beschrieben, wie bei den übrigen Völkern, so dass es eine wahre Lust ist,
+sich daneben den _allbarmherzigen_ Gott zu denken, wie er im Paradiese
+in seiner ewig _allgütigen_ und _allmitleidigen_ Natur auf diese
+_seine_ Geschöpfe hinabschaut, ohne dass es ihm einfällt in seinem
+unerforschlichen Rathschlusse, die von ihm verhängten und nach seiner
+Vorherbestimmung (nach der Lehre Mohammed's ist ja Alles vorherbestimmt)
+erfolgten Qualen zu lindern oder gar zu beendigen.
+
+_Feuer_ spielt natürlich eine Hauptrolle in der Hölle; die Anzüge sind
+von Feuer, in den Eingeweiden brennt Feuer, Feuer verkohlt die Haut,
+Feuerschuhe bekleiden die Füsse; ebenso heisses Wasser (22. Cap.). "Es soll
+auf ihre Köpfe gegossen werden, wodurch sich ihre Eingeweide und ihre Haut
+auflösen." Genug von den Freuden des mohammedanischen Paradieses und den
+Leiden der mohammedanischen Hölle.
+
+Unter dem Schutze des Grossscherifs von Uesan, der mir ein unwandelbarer
+Freund war, wagte ich einst, einem Thaleb, der mit glühenden Farben die
+Köstlichkeiten des Paradieses der Gläubigen mir ausmalte, zu erwiedern:
+"wenn aber Ihr Marokkaner Alle Anspruch macht, ins Paradies zu kommen, so
+will ich lieber nach dem Orte kommen, der den Christen angewiesen wird." Da
+mein Beschützer zu lachen anfing, lachten Alle pflichtschuldigst über die
+Abfertigung, die der Thaleb erhalten hatte, mit. Ich konnte mir damals in
+Uesan eine solche Aeusserung erlauben, weil ich nach den Worten Mohammed's
+als _übergetretener_ Christ den Vortritt vor den übrigen Moslemin
+hatte. Wenn Mohammed von Vortritt spricht, meint er darunter den in das
+Paradies.
+
+Folgendes ist die unwandelbare Lehre, wie sie von Gott durch die Propheten
+den Menschen vermittelt worden ist; sind Juden und Christen später von
+diesem Islam abgewichen und haben die Bücher verfälscht, so war es die
+Hauptaufgabe Mohammed's, die reine Lehre wieder herzustellen. Mohammed
+lässt verschiedene Offenbarungen zu seit der Erschaffung der Welt, und
+unter den Propheten giebt es verschiedene Rangstufen. Zu den ersten gehören
+Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus. Es kommen sodann Patriarchen und
+Propheten, welche vollkommen heilig und sündlos auf Erden lebten. Nach der
+Meinung der Marokkaner giebt es 104 heilige Schriften[37], von denen auf
+Adam 10, auf Seth 50, auf Edris oder Enoch 30, auf Abraham 10, auf Moses 1,
+auf David 1, auf Jesus 1 und auf Mohammed 1 kommen. Bis auf die vier
+letzten sind alle anderen verloren gegangen, und bis auf das letzte, den
+Koran, die drei noch übrig gebliebenen gefälscht. Damit der Koran nicht
+gefälscht werde, darf er nur _geschrieben_ und in arabischer Sprache
+verbreitet werden. Ein gedruckter Koran ist daher in Marokko schlecht
+angesehen; gleichwohl machte ich dem Grossscherif einen solchen sowie ein
+Altes und Neues Testament in arabischer Sprache zum Geschenk, und er nahm
+sie gern an. Aus demselbsn [demselben] Grunde, d.h. um den Koran verstehen
+zu können, müssen aller _nichtarabischen_ Völker Schriftgelehrte
+Arabisch lernen. Ein Versuch, den die Marokkaner selbst machten, den Koran
+ins _Berberische_ zu übersetzen, da die überwiegende Mehrzahl der
+Marokkaner Berber sind, scheiterte vollkommen an dem Fanatismus der
+arabischen Tholba; die schon übersetzten Exemplare wurden verbrannt.
+
+ [Fußnote 37: Siehe Jackson, Account of Marocco, p. 197.]
+
+Unter den Propheten erkennt Mohammed Jesu den ersten Platz zu; er glaubt,
+dass Jesus der Sohn Mariä sei und dass diese auf wunderbare Weise empfangen
+habe. Er glaubt weiter, dass die Juden Jesum nicht kreuzigten, sondern eine
+andere Person unterschoben. Die Auferstehung und die Höllenfahrt werden
+also vollkommen von den Mohammedanern geleugnet. Indess glauben sie, dass
+Jesus lebendig gen Himmel empor gestiegen sei; und ebenfalls wird er, wie
+schon erwähnt, zum jüngsten Gericht zurück erwartet.--
+
+Ein Haupterforderniss ist das _Gebet_; aber kein Gebet ist gültig,
+wenn nicht vorher eine Abwaschung des Körpers, d.h. eine bestimmte
+Ceremonie, vorgenommen worden ist. Man unterscheidet in Marokko wie
+überhaupt bei den Mohammedanern die _grosse Abwaschung_, el odho el
+kebir[38]; die _kleine_, el odho el sserhir; _die Abwaschung mit
+Sand_, el timum, und das blosse _Fingiren des Waschens_, el chofin.
+Diese Abwaschung wird in verschiedener Weise bei den vier rechtgläubigen
+Riten vorgenommen, aber nach einer der vorgeschriebenen Normen _muss_
+die Ablution verrichtet werden. Würde man z.B. zuerst das _linke_ Auge
+auswaschen, wenn es erforderlich ist, dass vorher das rechte gewaschen
+werden soll, dann ist die ganze Ablution _batal_, d.h. umsonst, und es
+kann nicht gebetet werden. Würde man z.B. um den Mund auszuspülen, dies mit
+der linken statt mit der vorgeschriebenen rechten Hand thun, so _taugt
+die ganze Ablution_ nichts. Jeder Körpertheil kommt nach
+_vorgeschriebener_ Ordnung an die Reihe, und je nachdem wird die
+_rechte_ oder _linke_ Hand zum Abwaschen benutzt. Die grosse
+Abwaschung unterscheidet sich von der kleinen dadurch, dass man bei jener
+den _ganzen_ Körper einer Reinigung unterzieht, bei dieser indess nur
+die Theile des Körpers abwäscht, welche man, ohne sich der Kleidungsstücke
+zu entledigen, einer Wäsche unterziehen kann. Bei der Waschung mit Sand
+reibt man sich natürlich nicht buchstäblich mit Sand ab, sondern legt die
+Hände auf den reinen Erdboden und _fingirt_ die Waschung. Auch hier
+muss streng die _Reihenfolge_ der abzuwaschenden Theile inne gehalten
+werden. Bei _unreinem_ Boden und wenn kein Wasser vorhanden ist,
+berührt man irgend einen Gegenstand, eine Wand, einen Stein, und fingirt
+dann die Ablution; es ist dies was man _el chofin_ nennt. Malek, der
+überhaupt duldsamer als die übrigen drei mohammedanischen Gelehrten ist,
+erlaubt auch das _timum_ und _el chofin_ da, wo _Wasser_
+vorhanden ist; deshalb findet man in den meisten marokkanischen Moscheen,
+namentlich in allen Djemen der Oasen, _Steine_, welche umfasst werden,
+nach welcher Umfassung sodann die Ablution vor sich geht.
+
+ [Fußnote 38: Höst S. 204 sagt: Die grosse Abwaschung heisst Ergasel.
+ Es ist dies ein Irrthum; Ergasel bedeutet jede beliebige Abwaschung,
+ aber keine _religiöse_; wenigstens habe ich in Marokko dies Wort nie
+ in diesem Sinne gebrauchen hören, obschon ich selbst täglich die
+ Ceremonien mitzumachen hatte.]
+
+Das Gebet der Marokkaner ist keineswegs ein solches nach dem Sinne solcher
+Christen, welche darunter vorzugsweise einen freien Herzenserguss, einen
+selbständigen Gedankenausfluss, eine aus eigenem Herzen entspringende Bitte
+an Gott sehen, sondern vielmehr ein bestimmt auswendig Gelerntes, und eine
+mit _bestimmt_ vorgeschriebenen Ceremonien verknüpfte Handlung. Es
+kann daher bei den Marokkanern nach christlicher Auffassung von keinem
+eigentlichen Gebet die Rede sein, sondern nur von Gebets_übungen_, von
+Gebetsceremonien; und so muss man es wohl für alle Mohammedaner auffassen,
+indem die dabei vorkommenden Ceremonien und Verbeugungen für Alle
+_bestimmt vorgeschrieben_ sind. Fehlt eine dieser Ceremonien, würde
+man z.B. sich statt nach Mekka nach einer andern Richtung wenden, oder
+würde man es unterlassen; sich nach der und der Stelle zu Boden zu werfen,
+so ist das Gebet ungültig; es steigt dann nicht zu Gott auf.
+
+Man unterscheidet das _Morgengebet, essebah_, das _Mittagsgebet,
+eldhohor_, das _Nachmittagsgebet, elassar_, das _Abendgebet, el
+maghreb_, und das _Nachtgebet, elascha_. Die so häufige
+Wiederholung der Gebetsübungen ist im Anfange des Islam auf zähen
+Widerstand gestossen, später gewöhnte man sich daran, so wie sich der
+Soldat an Disciplin gewöhnt. Und dadurch, dass Mohammed überall das Beten
+erlaubt, und das Gebet auf der Strasse oder im freien Felde für ebenso
+verdienstvoll gilt, als das in der Moschee, und vom Gebet im "stillen
+Kämmerlein" im Koran nirgends die Rede ist, dadurch hat sich nach und nach
+ein Pharisäismus in die mohammedanische Religion eingeschlichen, der
+anderen Leuten ganz ungeheuerlich vorkommen muss. Namentlich in Marokko hat
+sich _unter dem Systeme der Unfehlbarkeit des Sultans_ eine
+entsetzliche Scheinheiligkeit und Heuchelei aller Classen bemächtigt. Der
+gewöhnlichste Marokkaner versteht es, sich beim Beten derart den Schein der
+Andacht, der Heiligkeit zu geben, er weiss seiner Stimme derart einen
+näselnden Ton, einen feierlichen Klang beizulegen, er wendet derart seine
+Augen gen Himmel und scheint überhaupt so sehr seinen ganzen Körper dem
+nichtigen, irdischen Dasein zu entrücken, dass man glauben sollte, er
+zerflösse vor Heiligkeit. Und doch ist er nichts weniger als fromm; die
+Worte, die er an Allah richtet, versteht er kaum, falls er nicht sehr
+gebildet ist. Das koranische Arabisch unterscheidet sich vom Neuarabischen
+und namentlich vom Magrhebinischen eben so sehr, wie das Lateinische von
+den neueren romanischen Sprachen. Man hält in Marokko darauf, beim Beten
+_gesehen_ zu werden, man hält in Marokko auch darauf, recht _laut
+die vorgeschriebenen_ Worte auszusprechen, damit man ja, falls man
+übersehen wird, gehört werde. Da es nicht nöthig ist, genau die Zeit des
+Gebetes inne zu halten, die Gebete aber nachgeholt werden müssen, so trifft
+man allerorts, auf allen Plätzen, auf allen Strassen, in allen Moscheen
+Leute, die ihre Gebetsübungen verrichten. Besucht man einen Marokkaner, so
+kann man sicher sein, dass unter hundert neunundneunzig den Gast einen
+Augenblick zu warten bitten, "damit ein nachzuholendes Gebet erst
+verrichtet werde." Man will damit documentiren, dass man fromm sei! Recht
+eifrige Leute, namentlich Brüder einer religiösen Innung, pflegen ausser
+den vorgeschriebenen Gebetsceremonien noch andere zu bestimmten Tageszeiten
+abzuhalten, z. B. vor dem Morgengebet das Morgenrothgebet _Fedjer_; um
+die Zeit des _Dhaha_, d.h. zwischen dem Morgen- und Mittagsgebete, das
+Dhahagebet; das _eschefah-_ und _uter-_Gebet nach dem _el
+ascha_ etc.
+
+In den Städten wird von den Thürmen der Moschee die Gebetsstunde durch
+Aufziehen einer weissen am Freitage zum Chotbagebet einer
+_dunkelblauen_ Fahne angekündigt, ausserdem ruft der _Muden_ von
+den Thürmen zum Gebet auf. Auch dieser Aufruf ist bestimmt vorgeschrieben
+und beginnt nach Osten, um durch Süden, Westen und Norden wieder gen Osten
+beendigt zu werden. Die Worte lauten: "Gott ist der Grösste, Gott ist der
+Grösste, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, es giebt nur
+Einen Gott, Mohammed ist sein Gesandter, Mohammed ist sein Gesandter[39];
+kommt zum Gebet, kommt zum Gebet, kommt in den Tempel, kommt in den Tempel,
+Gott ist der Grösste, Gott ist der Grösste, es giebt nur Einen Gott!"
+
+ [Fußnote 39: Vor dem Morgengebet werden die Worte "das Gebet ist
+ besser als der Schlaf" eingeschaltet.]
+
+_Das Gebet selbst_ zerfällt in Anrufung, verschiedene Rikats und
+Gruss[40] und wird folgendermassen bei den Malekiten abgehalten:
+
+ [Fußnote 40: Siehe Ali Bey el Abassi, Voyage en Afrique etc. I, p.
+ 153.]
+
+_Die Anrufung_: Körper gerade und beide Hände erhoben bis zur Höhe der
+Ohren, "Gott ist der Grösste!"
+
+Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die Hände fallen herab, und man
+sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis dem Weltenherrn, dem
+Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen,
+und zu Dir wollen wir flehen, auf dass Du uns führest den rechten Weg, den
+Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über
+welche Du zürnest, und nicht den der Irrenden."--Es folgt jetzt ein
+Koranvers, z.B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und
+ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich."
+
+Zweite Position: Man verbeugt sich, die Hände auf die Knie stützend, und
+ruft: "Gott ist der Grösste!" Dritte Position, sich wieder aufrichtend:
+"Gott hört, wenn man ihn lobt." Vierte Position, niederknieend berührt man
+mit beiden Händen, mit der Stirn und Nasenspitze die Erde und ruft: "Gott
+ist der Grösste!" Fünfte Position: Man setzt sich auf die zurückliegenden
+Waden, legt die Hände auf die Schenkel und ruft: "Gott ist der Grösste!"
+Sechste Position: Man berührt abermals mit Händen, Stirn und Nasenspitze
+den Boden und ruft: "Gott ist der Grösste!" Siebente Position: Man richtet
+sich auf und ruft stehend! "Gott ist der Grösste!"
+
+_Zweites Rikat_: Die ersten sechs Stellungen werden wiederholt, nach
+der sechsten bleibt man sitzen und spricht: "Die Nachtwachen sind für Gott,
+wie auch die Gebete und Almosen; Gruss und Friede sei Dir, o Prophet
+Gottes; Gottes Mitleid und Segen ruhe auf Dir. Heil und Friede komme auf
+uns und alle Diener Gottes, die gerecht und tugendhaft sind. Ich bezeuge,
+es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, dass Mohammed sein Diener und
+Gesandter ist!" Hat das Gebet nur zwei Rikats, so fügt man noch hinzu,
+indem man in derselben Stellung bleibt und dabei immer den rechten
+Zeigefinger kreisförmig bewegt: "Und ich bezeuge, Er war es, der Mohammed
+zu Sich rief, und ich bezeuge die Existenz des Paradieses, die der Hölle,
+die des Sirat (Brücke), die der Wage und die des ewigen Glückes, welches
+denen gewährt werden soll, welche nicht zweifeln und die wahrhaftig Gott
+aus dem Grabe erwecken wird. O, mein Gott, giesse Deinen Segen auf Mohammed
+und Mohammed's Nachkommen aus, wie Du Deinen Segen auf Abraham ausgegossen
+hast; segne Mohammed und die von Mohammed Stammenden, wie Du Abraham und
+die von Abraham Stammenden gesegnet hast. Die Gnade, das Lob und die
+Erhebung zum Kuhme sind in Dir und bei Dir."
+
+_Der Gruss und Schluss_: Man bleibt sitzen, wendet das Gesicht erst
+links, dann rechts, erhebt etwas die Finger beider auf den Schenkeln
+ruhenden Hände und ruft: "Friede sei mit Euch!"
+
+Fedjer und Esebah haben zwei, Dhohor und l'Asser vier, Magrheb drei,
+l'Ascha vier, l'Eschefa und l'Uter drei Rikats. Recht fromme Leute,
+namentlich solche, die sich gern beten sehen und hören lassen, die sich den
+Ruf eines "Heiligen" erwerben wollen, machen ausserdem fünf, sechs und noch
+mehr Rikats.
+
+Der Freitagsgottesdienst, das Chotbagebet, wird in der Regel eine Stunde
+nach Mittag verrichtet. Nach vorhergegangener Ablution geht Jeder in die
+Moschee und betet für sich ein aus zwei Rikats bestehendes Gebet und setzt
+sich. Es dauert nicht lange, so erscheint ein Fakih, besteigt den Mimbr,
+ein Gerüst, ähnlich einer Treppe, und beginnt mit näselnder Stimme eine Art
+Predigt _abzulesen_. In seiner Rechten hat er einen langen Stock, aber
+auch nur in diesem Augenblicke des Treppenbesteigens, denn sobald er
+dieselbe verlässt, wird der der Moschee zugehörende übrigens werthlose
+Stock in eine Ecke gestellt. Die Fakihs und Tholba (Schriftgelehrten) der
+Marokkaner unterscheiden sich keineswegs in der Kleidung von ihren übrigen
+Glaubensgenossen. Da überhaupt Jeder, der lesen und schreiben kann,
+_Thaleb_, Jeder, der den Koran lesen und interpretiren kann,
+_Fakih_, d.h. _Doctor_ ist, so halten die Tholba und Fakih, die
+sich speciell mit der Bedienung der Moscheen befassen, es nicht für
+nothwendig, sich durch besondere, z.B. _schwarze Tracht_
+auszuzeichnen; sie würden es auch nicht wagen, da in Marokko sich Jeder
+wenigstens eben so fromm und von Gott geliebt glaubt, als sein Nächster,
+_innerlich_ sogar Jeder sich wohl für am frömmsten hält. Es mag
+anderen unbefangenen Menschen dies unglaublich vorkommen, aber die
+fanatische Dummheit in Marokko ist so gross, dass man der festen
+Ueberzeugung lebt, jedwede Sünde begehen zu können, wenn man nur mit dem
+Munde bereut und mit dem Munde durch Gebete seine Reue kund thut.
+
+Wirkliche Gebete, d. h. improvisirte, selbstgemachte, von Herzen kommende
+Anreden an Gott, meistens Wünsche und Bitten enthaltend, giebt es auch.
+Erfleht der Marokkaner etwas, so hält er beide Hände zumal offen gen
+Himmel, als ob er etwas empfangen wollte; auf dieselbe Art wird auch der
+Segen erfleht. Selbst ein Scherif, d. h. ein Abkömmling Mohammed's,
+erflehet den Segen für sich oder für die Menge derart, d. h. die Hand offen
+haltend. Der Mohammedaner würde es als grosse Sünde ansehen, wenn ein
+Mensch sich vermässe, die Hand umzudrehen, um den Segen zu ertheilen, wie
+es bei den Christen Sitte ist.
+
+Aber "das Gebet führt nur halbwegs zu Gott, die Fasten fuhren uns vor die
+Thore seines Palastes und das Almosen verschafft uns Einlass."
+
+Es giebt verschiedene den Mohammedanern vorgeschriebene _Fasttage_, in
+Marokko werden sie indess nur von aussergewöhnlich fromm sein wollenden
+Leuten gehalten, jeder aber ist verpflichtet, den ganzen Monat Ramadhan zu
+fasten: _Bruch wird mit dem Tode bestraft_. Sobald der Neumond von
+zwei des Lesens und Schreibens kundigen Leuten in einem Orte gesehen
+worden, ist für _den_ Ort der Ramadhan angegangen. Da nun manchmal der
+Himmel an einigen Stellen bewölkt ist, so treten dort die Fasten einen Tag
+später ein; da die Marokkaner wie überhaupt die Mohammedaner, _was das
+Religiöse anbetrifft_, nach Mondsmonaten rechnen, so muss, falls
+_immer_ der Himmel bewölkt bliebe, nach Ablauf von 30 Tagen des
+vorhergehenden Monats der 31. der erste Tag des Rhamadhan sein.
+
+Von Morgens bis Abends, d.h. sobald man in der Morgen- oder Abenddämmerung
+einen weissen von einem blauen Faden unterscheiden kann, ist sodann jeder
+materielle Genuss untersagt. Nicht nur dass man nicht essen, trinken,
+rauchen oder schnupfen darf, muss auch in dieser Zeit der Umgang mit
+Frauen, überhaupt jeder Sinnengenuss gemieden werden. Ja in Marokko geht
+man so weit, das Riechen an eine Blume, das Ergötzen des Auges an einer
+schönen Landschaft und das Anhören von Musik für Sünde zu erklären. In
+diesem Monat erhielt Mohammed den Koran vom Himmel, und zwar am 27. des
+Monats. Diese Nacht wird daher besonders gefeiert. Es giebt Einzelne, die
+sich derart kasteien, dass sie Tag und Nacht in der Djemma bleiben, sich
+Nachts nur etwas Brot und Wasser bringen lassen. Solche Heilige nennt man
+Elatkaf. Man kann sich denken, dass namentlich in der ersten Zeit des
+Ramadhan, wo der Magen sich noch nicht an eine solche Ordnung gewöhnt hat,
+diese ganze Lebensweise Einfluss auf das Gemüth des Menschen hat.
+Streitigkeiten, Processe, Prügeleien und Ehescheidungen sind immer am
+häufigsten in der ersten Hälfte des Ramadhan.
+
+Der Reiche entbehrt übrigens gar nichts, er führt nur eine umgekehrte
+Lebensweise; denn Nachts entschädigt er sich durch Essen und Trinken
+reichlich. Nachts sind überhaupt alle Genüsse erlaubt, indess pflegen
+manche Schnapstrinker während des Ramadhan sich geistiger Getränke zu
+enthalten; Opiumesser, Haschisch- und Tabacksraucher können, übrigens ohne
+dass man Anstoss daran nimmt, ihren Leidenschaften fröhnen. Nachts dürfen
+auch Hochzeiten im Ramadhan gefeiert werden, obschon auch dies selten
+vorkommt. Die Moscheen sind um die Zeit hell erleuchtet, die Buden und
+Gewölbe in den Strassen ebenfalls, die Kaffeehäuser stark besucht; überall
+hört man ausgelassenen Lärm, und besonders in der Nacht des 27. Ramadhan.
+
+Bricht einer aus Versehen den Ramadhan, d.h. er wäre z.B. ins Wasser
+gefallen und hätte dabei einen Schluck Wasser getrunken, so muss er
+nachfasten. Es brauchen den Ramadhan nicht zu halten schwangere Frauen,
+solche, die säugen, Kinder unter 13 Jahren, alte Leute, Kranke und
+Reisende. Ebenfalls ausgenommen sind die Wahnsinnigen. Kranke und Reisende
+sind verpflichtet, die Fasten nachzuholen, was aber in der Regel
+unterbleibt. Früher wurde der Anfang und das Ende der täglichen Fasten
+durch Hornsignale von den Thürmen der Djemma dem Volke mitgetheilt, heute
+geschieht dies in den meisten marokkanischen Städten wie im Orient durch
+einen Kanonenschuss.
+
+Im zweiten Capitel des Koran heisst es an verschiedenen Stellen, wo vom
+Almosen die Rede ist: "O, Ihr Gläubigen, gebet Almosen von den Gütern, die
+Ihr erwerbet, und von dem, was wir aus der Erde Schooss wachsen lassen;
+suchet aber nicht das Schlechteste zum Almosen aus, solches, was Ihr wohl
+selbst nicht annehmet, es sei denn, Ihr werdet getäuscht." Und etwas weiter
+hin: "Machet Ihr Eure Almosen bekannt, so ist's gut, doch wenn Ihr das, was
+Ihr den Armen gebet, verheimlicht, so ist es besser; dies wird Euch von
+allem Bösen befreien. Gott kennt, was Ihr thut! Was Ihr den Armen Gutes
+thut, wird Euch einst belohnt etc." Diese und sehr viele andere Stellen des
+Koran (fast in jedem Capitel ist die Rede davon) zeigen, wie grosses
+Gewicht Mohammed auf die Mildthätigkeit legte, und wenn der unparteiische
+Mensch auch Vieles in der Lehre Mohammed's findet, was gegen die allgemein
+von civilisirten Völkern angenommenen Sitten verstösst, so muss man ihm
+dies hingegen hoch anrechnen. Norm ist in Marokko, den zehnten Theil aller
+der Güter den Armen abzugeben, welche von Ländereien hervorgebracht, oder
+aus Waaren erlöst sind, die man über ein Jahr im Besitz hat. Viehheerden
+gehören ebenfalls hierher. Dieser Zehnte wird vom Sultan von Marokko
+eingefordert. Die Armen bekommen nichts davon, wenn nicht dahin zu rechnen
+ist, dass der Sultan den Schürfa (Scherifen) von Tafilet und Mekka jährlich
+Geschenke macht, aber diese Schürfa sind keineswegs hülfsbedürftig. Man
+nennt diese Almosen _el-aschor_. Eine andere Art Almosen wird
+_Sakat_ genannt und besteht darin, dass man am ersten Tage des Monats
+Schual am Feste des _aid el sserir_ vor Sonnenaufgang den Armen je
+nach seinen Kräften Gerste, Weizen, Datteln etc. zum Geschenk macht, damit
+auch sie das Fest würdig begehen können. Die gewöhnliche Art, Almosen zu
+geben, _Ssadakat_ genannt, besteht, wie bei uns, in täglichen Gaben,
+die man Hülfsbedürftigen und Bettlern giebt, welche den Vorübergehenden im
+Namen irgend eines Heiligen anrufen, oder auch selbst von Haus zu Haus
+gehen.
+
+Das letzte Erforderniss des Islam, _das Pilgern nach Mekka_, ist nicht
+unumgänglich nothwendig und wird in Marokko im Ganzen selten ausgeführt.
+Die Pilger bekommen nach vollführter Wallfahrt den Titel _el Hadj_,
+d.h. Pilger, und sind dann sehr geachtet. Man kann übrigens für Geld einen
+Andern für sich pilgern lassen; so lassen die Sultane von Marokko stets für
+sich einen andern Mann nach Mekka wallfahrten. Stirbt ein reicher Mann, ehe
+er Mekka gesehen, so miethen die Nachkommen bisweilen einen Mann, der
+nachträglich das Geschäft für Geld besorgen muss. Manchmal bemächtigt sich
+unter diesem Vorwande der Kaid oder Bascha eines grossen Theils der
+Hinterlassenschaft eines reichen Mannes, um von _Amtswegen_ das
+nachträgliche Pilgern besorgen zu lassen.
+
+Die grossen _Karawanen_, welche ehemals von Fes aus nach Mekka
+fortzogen, haben jetzt ganz aufgehört, nur in Tafilet sammelt sich noch ein
+Häuflein, um den weiten beschwerlichen Marsch durch die Sahara, wobei fast
+immer die Hälfte zu Grunde geht (ein solcher Tod auf der Pilgerschaft ist
+aber sehr verdienstvoll und verschafft directen Eintritt ins Paradies),
+zurückzulegen. Jetzt fahren die meisten Marokkaner mit Dampfschiffen nach
+Djedda, und allmälig gewöhnt man sich daran, eine solche Wallfahrt mit
+Dampf für eben so heilig und verdienstvoll zu halten, als eine zu Fuss
+zurückgelegte. Es würde hier zu weit führen, die endlosen Ceremonien einer
+solchen Wallfahrt zu beschreiben, uns genüge diese kurze
+Auseinandersetzung. Wir wollen noch weiter in Marokko selbst die
+Entwickelung der mohammedanischen Religion verfolgen.
+
+Was die _religiösen Festtage_, die Feiertage Marokko's, anbetrifft, so
+gelten im Allgemeinen dieselben Regeln, wie in den übrigen mohammedanischen
+Ländern. Indess ist nirgends Zwang, irgendwie an einem Feiertage die Arbeit
+einzustellen, oder Handel und Wandel zu beschränken. So sehen wir
+namentlich, dass Freitags, welcher Tag bei dem Mohammedaner dem Sabath der
+Juden, dem Sonntage der Christen entspricht, Niemand daran denkt, irgend
+wie seine Arbeit einzustellen, seinen Verkaufsladen zu schliessen, oder
+sonst seine tagtägliche Beschäftigung zu unterlassen. Nur während der Zeit
+des Chotbagebetes liegt Alles still in den Städten, weil jeder Städter aus
+_eigenem Antriebe_[41], dann auch weil das Gesetz es erheischt, diesem
+Gebete in der Djemma beiwohnt.
+
+ [Fußnote 41: Aus eigenem Antriebe, d.h. wer ohne Grund Freitags das
+ Chotbagebet zweimal hinter einander versäumt, muss der Djemma, zu
+ der er gehört, Strafe zahlen; dies gilt natürlich nur für Städter.]
+
+Die Feste religiöser Art, welche in Marokko gefeiert werden, sind im Monat
+Rebi-el-ual das Geburtsfest Mohammed's, _Mulud_ genannt, am 12. des
+genannten Monats. Dies Fest dauert sieben Tage, aber nur der erste Tag wird
+durch einen besondern Gottesdienst in der Djemma gefeiert. Gefastet wird
+nicht, aber viel Musik gemacht, Pulver verschwendet und Phantasia geritten.
+
+Das kleine Fest, _aid el sserir_, beendigt den Fastenmonat Ramadhan;
+es findet vom 1. bis zum 7. Schual statt. Bei diesem Feste werden, wie
+schon erwähnt, grosse Almosen gegeben, und man hält sodann ein grosses
+öffentliches Gebet im Freien. Zu dem Ende hat jede Stadt in Marokko
+ausserhalb des Weichbildes einen gemauerten, weiss angekalkten Gebetsplatz,
+_Emssala_ genannt. Eine 5 bis 6 Fuss hohe crenelirte Mauer, 20 Schritt
+lang, hat in der Mitte einen steinernen _Mimbr_, d. h. eine Treppe,
+die für den Fakih, der die Predigt hält, bestimmt ist. Darf man Ali Bey
+Glauben schenken, so wohnte er einem solchen Gottesdienste bei, wo zu
+gleicher Zeit 250,000 Menschen sich vor Gott zur Erde beugten; es war dies
+in Fes zur Zeit der Regierung des Sultans Sliman. Ich wohnte in Uesan einem
+solchen religiösen Feste zweimal bei; der Grossscherif, Sidi-el-Hadj
+Abd-es-Ssalam, war die Hauptperson dabei; im Ganzen mochten 20,000
+Menschen anwesend sein. _Nach der Predigt_ und nach dem Gebete war
+ein grosses _lab-el-barudh_, d. h. ein _Pferdewettrennen_ mit
+Flintenschüssen. Dies Fest findet am 1. Schual statt; die übrigen sechs
+Tage zeichnen sich nur dadurch aus, dass man aussergewöhnlich grosse
+Quantitäten Nahrung zu sich nimmt und dem süssen Nichtsthun huldigt.
+
+Am 10. Dulhaja ist das grosse Fest oder _aid el kebir_ zur Erinnerung
+des Opfers Abraham's; zugleich ist es jetzt für die, welche nicht nach
+Mekka pilgern, eine Mitfeier des dort stattfindenden grossen Festes.
+Dasselbe dauert drei Tage. Man verrichtet zuerst sein Gebet in der Moschee
+und geht sodann nach Hause, um ein Schaf zu opfern, d. h. zu schlachten und
+zu verspeisen. In nicht reichen Familien hält man für genügend, ein Schaf
+für Alle zu schlachten, in reichen Familien aber opfert jedes männliche
+Mitglied ein Thier. Der ganz arme Mann holt sich sein Viertel bei dem
+Reichen, kurz, an dem Tage ist Niemand ohne Fleischkost in Marokko. Höst
+meint, dass an jenem Tage in Fes 40,000, in Maraksch 20,000 Schafe
+geschlachtet werden, und nach der Zahl zu urtheilen, die in Uesan geopfert
+wurden (Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam z. B. liess von einem seiner Duar 500
+Schafe zum Opfern bloss für seinen Haushalt nach Uesan kommen), möchte ich
+glauben, dass jene Zahlen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen seien. An
+diesem Tage werden dem Sultan ebenfalls grosse Geschenke gemacht, von jeder
+Stadt und jeder Ortschaft. Die beiden folgenden Tage zeichnen sich
+ebenfalls durch Schmausereien aus, und Unverdaulichkeit, allgemeines
+Kranksein und Unfähigkeit, irgend etwas zu thun, sind immer Folge dieser
+Feier, namentlich für solche, die so wenig an animalische Kost gewöhnt
+sind, wie die Marokkaner.
+
+Ein halb religiöses, halb weltliches Fest ist das _aid el tholba_, das
+Fest der Schriftgelehrten. Es findet im Frühjahr zur Zeit der Tag- und
+Nachtgleiche statt; sämmtliche Tholba und Fakih ziehen zur Stadt hinaus und
+lagern während einer Woche unter Zelten. Obschon Koranlesen und Beten der
+ursprüngliche Zweck dabei sein soll, konnte ich davon in der heiligen Stadt
+Uesan, aber vielleicht gerade _weil_ Uesan eine heilige Stadt ist,
+nichts merken; im Gegentheil, bei Tage beschäftigten sich die Doctoren und
+Schriftgelehrten damit, Almosen zu empfangen in Gestalt von Geld, Thee,
+Zucker, Lebensmitteln aller Art und leckeren Gerichten, welche die
+andächtigen Frauen aus der Stadt heraussandten. Inzwischen wurde enorm
+gegessen, und wenn Abends profane Blicke der Bauern aus der Umgegend nicht
+zu befürchten waren, gab man sich fleissig dem Wein und Schnaps hin. War am
+andern Morgen ein Doctor oder Schriftgelehrter durch Trunkenheit oder
+Katzenjammer unfähig, sich irgend wie vernünftig mit Almosen bringenden
+Leuten aus dem Gebirge und der fernen Umgegend zu unterhalten, so _wuchs
+sein Ruf_, man glaubte, er habe sich durch Nachtwachen derart in einen
+überreizten und heiligen Zustand versetzt, dass er dem gewöhnlichen
+Erdenleben entrückt sei.
+
+Wir haben oben bemerkt, dass in Marokko nur rechtgläubige Mohammedaner
+malekitischen Bekenntnisses sind, denn die wenigen _Choms_ (eine nicht
+den vier orthodoxen Secten huldigende fünfte Partei) im Gebirge sind kaum
+erwähnenswerth. Aber in dieser malekitischen Sekte haben sich nun wieder
+zahlreiche _religiöse Genossenschaften_ gebildet, religiöse Innungen,
+so dass man fast sagen kann, ein jeder Marokkaner gehört einer solchen an.
+
+In gewisser Beziehung haben solche religiöse Verbindungen Aehnlichkeit mit
+den christlichen, besonders insofern, als ihnen speciell eine gewisse
+Verpflichtung obliegt, gewisse Privatgesetze gemein sind, Viele noch
+besondere additionelle Gebete verrichten, gewisse Fasten halten, mancher
+Speise insbesondere sich enthalten. Sie unterscheiden sich aber am
+deutlichsten von christlich-religiösen Genossenschaften dadurch, dass jedes
+Mitglied einer solchen Innung[42] verheirathet ist, weil Mohammed das
+Heirathen an und für sich als verdienstlich und gut hinstellt. Leute unter
+den Mohammedanern, die nicht verheirathet sind, werden daher unter allen
+Umständen verächtlich angesehen.
+
+ [Fußnote 42: Mir wurde in ganz Marokko nur von einer religiösen
+ Genossenschaft Kunde gegeben, deren Mitglieder _unverheiratet_ sein
+ mussten, diese nannten sich _Fokra el mulei Abd Allah el Scherif_ in
+ Uesan. Diese Brüderschaft war äusserst schwach, die Mitglieder waren
+ alle gelehrt und (dem Anscheine nach) sittenreine Leute. _Leo_, Bd.
+ I, S. 251, Ausgabe von Loosbach, spricht aber von den sogenannten
+ Romiti (Marabuten), welche ebenfalls nicht heirathen dürfen, aber
+ deren Lebenswandel nach seiner Beschreibung eben nicht sehr
+ erfreulich und tugendhaft gewesen sein soll.]
+
+Die verschiedenen religiösen Genossenschaften zu beschreiben werde ich
+andernorts Gelegenheit haben, hier genüge, dass die vornehmste religiöse
+Innung die der _Muley Thaib_ in Uesan ist, die ausgebreitetste im
+ganzen Nordwesten von Afrika. Es kommt sodann die Corporation der _Sidi
+Hammed ben Nasser_ mit dem Centralsitze von Tamagrut in der Draa-Oase;
+die der _Sidi Abd-es-Ssalam-ben-Mschisch_ mit der Hauptstadt Sauya, im
+Djebel Habib, südöstlich von Tanger; die von _Sidi Mussa_ in Karsas,
+und viele andere. Ohne religiöses Centrum, Sauya[43], sodann ist der Orden
+der _Aissauin_, d. h. der Jesuitenorden, zu erwähnen. Da wir gleich
+auf letztere etwas näher eingehen wollen, erwähne ich nur, dass alle
+übrigen religiösen Genossenschaften als alleinigen Zweck haben, _sich die
+Menschen zu unterwerfen und dieselben auszubeuten_. Indem sie vorgeben,
+dass wer ihrem Orden beitrete, d. h. die und die Ceremonie mitmache, dies
+oder jenes Gebet ausserdem verrichte, an die Fürbitte dieses oder jenes
+Heiligen besonders glaube, den oder jenen Festtag extra halte und, worauf
+es besonders ankommt, freiwillige oder bestimmte Gaben der Sauya oder dem
+Oberhaupte darbiete, suchen sie sich mehr oder minder der Herrschaft über
+die Geldbeutel und damit über die Leute selbst zu bemächtigen. Aeusserlich
+unterscheiden sich die Genossen einer religiösen Innung von denen einer
+andern nicht, höchstens findet man einen Unterschied im Rosenkranz. Die
+Mohammedaner haben mit den Katholiken gemein die Hantirung eines
+Rosenkranzes, der aus hundert Perlen besteht. Die Mohammedaner beten
+freilich nicht bei jeder der Hand entgleitenden Kugel ein Ave oder
+Paternoster, sondern rufen bloss Gott an (es ist vorhin gesagt, wie
+verdienstvoll es ist, den Namen Gottes auszusprechen), bei jeder Perle z.
+B. "Gott ist gross" oder "Gott ist allbarmherzig" etc. Als Unterschied von
+übrigen religiösen Orden haben die Brüder des Mulei Thaib einen grossen
+Messingring am Rosenkranz, die des Sidi Hussa in Karsas eine grosse Perle
+von Bernstein, und andere ähnliche Abzeichen.
+
+ [Fußnote 43: Das Wort _Sauya_ bedeutet Kloster, Pilgerort, Schule,
+ Asyl zusammengenommen. Da aber, wie schon gesagt, die Mitglieder
+ einer religiösen Genossenschaft fast immer verheirathet sind, so hat
+ eine Sauya ein ganz anderes Aussehen als ein Kloster. Wichtigkeit
+ haben Sauya besonders, wenn sie Centralstelle eines religiösen
+ Ordens sind, wenn sie todte oder lebendige Heilige haben, wenn sie
+ durch Tradition ein unverletzliches Asylrecht besitzen. Letzteres
+ wird aber dennoch manchmal durch die _Unfehlbarkeit_ irgend eines
+ Sultans, _dem ja keine Ueberlieferung heilig ist_, gebrochen.]
+
+Die vorhin erwähnten _Aissauin_ oder Brüder vom Orden Jesu (Aissa
+heisst Jesus) sind eine der merkwürdigsten Verbindungen. Sie haben kein
+bestimmtes _lebendes_ Oberhaupt, keine bestimmten Ordensregeln, keine
+Sauya, sie leben nur vom Aberglauben und dadurch, dass sie die
+Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen täuschen. Ihren Namen haben sie vom
+Propheten Jesus angenommen, den sie auch als geistiges, unsichtbares
+Oberhaupt anerkennen, und sie behaupten auch, ihre Wunderkraft von ihm
+ererbt zu haben. Sie fussen dabei auf die Worte Mohammed's im Koran, "dass
+ihm (d. h. Mohammed) die Gabe, Wunder zu thun, nicht verliehen gewesen sei,
+dass aber Jesus sie gehabt habe." Die Aissauin sind sehr zahlreich, und
+nicht nur in Marokko zu finden, sondern in der ganzen mohammedanischen
+Welt.
+
+Manchmal sind die Kunststücke, welche ihre wunderthätige Heiligkeit darthun
+sollen, sehr einfacher Art, z. B. dass sie einen Scorpion in die Hand
+nehmen, Schlangen auf dem Körper herumkriechen lassen; manchmal aber erregt
+es Entsetzen, wenn man sieht, wie diese Leute Schlangen lebendig verzehren,
+zerhackte Nägel, gestossenes Glas, scharfkantige Steine und glühende Kohlen
+hinunterschlucken, wie sie unter Anrufung von "Gott und Jesus" ihren Körper
+wund schlagen, dass er blutrünstig wird (ähnlich wie die Flagellanten der
+Christen etc.), und ausserdem nicht nur gegen ihren _eigenen_ Körper
+Verbrechen begehen, sondern oft _öffentlich_ und _ungestraft_
+gegen die Sittlichkeit mit anderen Menschen und Thieren sich versündigen,
+dass dergleichen in anderen Ländern als Wahnsinn bezeichnet, oder wollte
+man es berichten, als erlogen betrachtet würde. Ich unterlasse es deshalb,
+Beispiele ihrer religiösen Tugend, die ich selbst gesehen, anzuführen,
+verweise dafür auf Leo Africanus I, S. 253 oder Lempriere's Reise durch
+Marokko und auf fast alle anderen Schriftsteller, welche über Marokko
+berichtet haben.
+
+Wie in der christlichen Kirche, so hat sich auch im Mohammedanismus ein
+_Heiligenstand_ entwickelt und namentlich in Marokko steht derselbe in
+Blüthe. Die mohammedanische Religion spricht aber nicht durch ein
+bestimmtes Organ, wie z. B. bei den Christen durch den Papst, heilig; ein
+solches hat die gesammte mohammedanische Religion überhaupt nicht, sondern
+in einzelnen mohammedanischen Ländern, wie Marokko, wo der Sultan Papst,
+der Papst Sultan ist, besorgt es das ganze Volk, welches nie Heilige genug
+haben kann. Die mohammedanische Religion hat nun den Vortheil, dass
+Menschen schon bei Lebzeiten heilig gehalten oder gesprochen werden, und da
+jeder Mohammedaner heirathet, _so ist die Erblichkeit in das Heiligsein
+gekommen_, d. h. die Nachkommen eines solchen Heiligen werden auch als
+heilig betrachtet. Ja, im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies so
+eigenthümlich herausgestaltet, dass die Heiligkeit nicht nur erblich,
+sondern _wachsend_ geworden ist, derart, dass der Nachkomme eines
+Heiligen stets für heiliger gehalten wird, als er selbst. So sehen wir,
+dass z. B. in Uesan der directeste Sprössling Mohammed's jetzt für viel
+heiliger und unfehlbarer gehalten wird, als Mohammed selbst.
+
+Wenn meistens bei Christen und anderen der Glaube obwaltet, es sei um
+Mohammedaner zu werden, unumgänglich die Beschneidung nothwendig, so ist
+dies irrthümlich. Im Koran ist für den Moslim die Beschneidung nicht
+gesetzlich gemacht, und so giebt es denn, namentlich unter den
+Berberstämmen Marokko's, verschiedene, welche _nie die Beschneidung bei
+sich eingeführt haben_. Trotzdem zweifelt Niemand an dem Islam dieser
+Stämme. Ueberdies wird die Circumcision erst im siebenten oder achten
+Lebensjahr vorgenommen, und falls die Beschneidung _wesentlich_ zum
+Islam gehörte, wären sodann Kinder, die jenes Alter nicht hätten, keine
+Mohammedaner. Es werden nur Knaben in Marokko beschnitten.
+
+Ziehen wir schliesslich einen Vergleich, so finden wir, dass gleiche Lehren
+und gleicher Glaube auf das Volk dieselbe Wirkung haben. Die
+_Unfehlbarkeit eines Einzelnen_, die in Marokko schon seit der
+Regierung des Sultans Yussuf Ben Taschfin's besteht, hat die grenzenloseste
+Dummheit des Volkes, den kolossalsten Aberglauben, die grösste
+Scheinheiligkeit und den Ruin der Nation und des Landes zur Folge gehabt.
+So hat auch in der jüdischen, der ersten semitischen Religion, die
+Unfehlbarkeit der Bundeslade, des Hohenpriesters, Jerusalems, d. h. das
+starre, eiserne Festhalten eines überlebten Grundsatzes Scheinheiligkeit,
+Aberglauben, Heuchelei, Selbstüberschätzung und dann den Ruin des Volkes
+zur Folge gehabt. Und bei den Christen sehen wir, dass das feste Anklammern
+an abgelebte Ideen, das Wiederaufrichten vorweltlicher Lehren, der
+eingebildete Wahn, den allein seligmachenden Glauben zu besitzen, oder die
+allein unfehlbare Oberkirchenbehörde zu sein, schliesslich zur
+"Unfehlbarkeit" eines einzelnen Menschen selbst führte.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+5. Krankheiten und deren Behandlung.
+
+ * * * * *
+
+Eine der ersten Ursachen, weshalb die Bevölkerung in Marokko so wenig
+zunehmend ist, vielmehr stationär bleibt, sind die vielen im Lande
+herrschenden Krankheiten, und die schlechte und unrationelle Behandlung
+derselben. Ein Land, dessen Bewohner eben nur "Jenseits-Candidaten" sind,
+falls es sich um Unglücksfälle handelt, die ihr gewöhnlicher durch die
+mohammedanische Religion erstickter Geist nicht ergründen kann, das Volk
+eines solches Land _muss_ zu Grunde gehen. Und in Marokko wird eine
+jede Krankheit als eine Heimsuchung "Allah's" bezeichnet, und die besten
+Mittel dagegen sind "Gebetsübungen" und "Amulette."
+
+Von den Lehren der grossen Doctoren, welche einst in Spanien und Marokko
+gelebt, ist heut zu Tage keine Spur mehr vorhanden. Man müsste ihre Werke
+herausholen aus den Bibliotheken Fes' oder Uesan's, um nur den Namen
+derselben zu erfahren.
+
+Kein marokkanischer Arzt, geschweige ein gewöhnlicher Marokkaner weiss,
+dass Abu-el-Kassem-Calif-ben-Abbes (Albucasis) ihr Landsmann ist, dass er
+der Erfinder der Lithotomie[44] war.
+
+ [Fußnote 44: Portal, Histoire de Panatomie et de la chirurgie.]
+
+Der im Dienste des marokkanischen Sultans (Yussuf [Yussuf] ben Taschfin
+gewesene Arzt Aven-Zoar (Abu-Meruan-ben-Abd-el-Malek-b-Sohr), der es wagte
+gegen die Vorurtheile seiner Zeit, Chirurgie und Medicin zu vereinigen,
+welcher zuerst die Idee der Bronchotomie hatte, ist in Marokko verschollen.
+Weder der ältere noch jüngere (Aven-Zoar's Sohn), der gleichfalls Arzt war,
+sind auch nur dem Namen nach bekannt. Verschollen ist der noch berühmtere
+Arzt und Philosoph Averoës (Abu-Uld-Mohammed-ben-Rosch), ein Schüler des
+älteren Aven-Zoar, welcher unter des Sultans Almansor Regierung nach
+Marokko berufen wurde und dort starb. Kein Grabstein, kein Andenken solch
+berühmter Männer ist im Lande zu finden, und wenn die Marokkaner kein
+Gedächtniss haben für so berühmte Männer, welche einst unter ihnen lebten,
+wie ist es da zu verwundern, dass auch von anderen minder berühmten jede
+Spur ausgelöscht ist.
+
+Die heutigen Aerzte von Marokko verdienen in jeder Beziehung die
+untergeordnete Stellung, die sie einnehmen. Nur dann stehen sie in Ansehen,
+wenn sie zu gleicher Zeit Tholba, d. h. Schriftgelehrte oder Faki, d. h.
+Doctoren der Theologie sind. Und noch höher ist ihr Einfluss und ihr Ruf
+verbreitet, wenn sie zugleich Schürfa, d. h. Abkömmlinge Mohammed's sind.
+In dieser Eigenschaft liegt zugleich, der Meinung des Marokkaners nach,
+ärztliche Natur. Und so sieht man denn auch häufig genug Leute zu einem
+Scherif kommen, um seine Hülfe gegen irgend eine Krankheit zu erflehen, sei
+es nun, dass diese in einem Gebete oder Segen, in einem Amulet, oder
+geschriebenen geheimnissvollen Zauberspruche, oder auch in wirklicher
+medicinischer Substanz besteht.
+
+Solche Leute, die sich nur mit Ausübung innerer Heilkunde beschäftigen,
+ohne Thaleb, Faki oder Scherif zu sein, giebt es daher sehr wenige in
+Marokko, eher schon stösst man auf Chirurgen von Profession, die es durch
+Uebung in irgend einem Zweige der Wundarzneikunde zu einem mehr oder
+weniger verdienten Rufe gebracht haben.
+
+Meinen grossen ärztlichen Ruf in Marokko verdankte ich denn auch nicht dem
+Umstände, dass ich Medicin studirt hatte, oder Militärarzt des Sultans,
+später sogar dessen Leibarzt war, sondern es hatte das seinen Grund darin,
+dass ich vorher Christ gewesen war. Nach dem Glauben der Mohammedaner ist
+Jesus der grösste Arzt gewesen, und sie meinen, er habe den Christen eine
+Menge wunderthätiger Heilmittel hinterlassen. So wurden denn oft zu mir die
+verzweifeltesten Fälle gebracht. "Der Sohn des Jesus (uld ben Aissa) wird
+uns schon helfen können," meinten sie. Ebenso giebt es nirgends eigentliche
+Apotheken oder Pharmacien. Der Arzt bereitet immer selbst seine Arzneien
+und giebt sie dann dem Kranken. Ist er unbekannt und die erkrankte
+Persönlichkeit eine einflussreiche, so muss er unabänderlich von der Arznei
+vorher kosten, oft sogar die Hälfte geniessen. So hatte ich die
+Unannehmlichkeit, mich eines Tages mit dem Bascha von Fes, Ben-Thaleb
+purgiren zu müssen. Derselbe hatte ein Abführungsmittel verlangt, ich
+brachte ihm eine Schale mit aufgelöstem Bittersalz, aber um sicher zu sein
+nicht vergiftet zu werden, musste ich die Hälfte vor seinen Augen
+austrinken; vorher davon unterrichtet, hatte ich die Dose stark genug
+gemacht, um für uns beide eine Wirkung zu erzielen, im entgegengesetzten
+Falle würde mein Ruf gelitten haben.
+
+Indem wir hier nur die am häufigsten in Marokko vorkommenden Krankheiten
+vorführen, beginnen wir mit der, welche am verbreitetsten ist, so
+verallgemeinert, dass heute fast keine Familie in Marokko nördlich vom
+Atlas existirt, welche von dieser Krankheit unberührt geblieben wäre:
+Syphilis.
+
+Unter Syphilis verstehen die Marokkaner vom Ulcus syphiliticum an alle jene
+Krankheiten, welche wir als Syphilis universalis, constitutionelle Syphilis
+und ihre Producte bezeichnen. Der Marokkaner nennt diese Krankheit "die
+grosse," Mrd-el-kebir, oder die "Frauenkrankheit," Mrd-el-nssauïn. Einzelne
+Formen, z.B. das Ulcus syphiliticum nennt er Grah, ohne aber diese, wie
+andere syphilitische Erscheinungen, z.B. Bubonen, Ulcerationen im Schlunde,
+Ausschläge herpetischer Art, für Syphilis zu halten; ebensowenig rechnet
+der Marokkaner zum Mrd-el-kebir die Krankheiten der Harnröhre und Scheide.
+Also unseren secundären und tertiären Erscheinungen entspricht das
+Mrd-el-kebir, um so mehr tritt dies heraus, als selbst nicht sichtbare,
+sondern nur fühlbare Erscheinungen, die nächtlichen Knochenschmerzen
+(satar) von dem Marokkaner zum Mrd-el-kebir gerechnet werden.
+
+Es giebt in der That fast kein Individuum in Marokko, das sein Leben ohne
+diese Krankheit zubrächte. Leo[45] schon meint, dass nicht der zehnte Theil
+der Einwohner der Berberei dieser Seuche entgehe. Leo behauptet ferner,
+diese Krankheit sei ehedem nicht in Afrika bekannt gewesen, selbst nicht
+dem Namen nach; er sagt: "sie fing dort zu der Zeit, als König Ferdinand
+(der Katholische) die Juden aus Spanien verjagt hatte, an; viele von
+denselben waren angesiechet, und das Gift steckte die wollüstigen Mauren,
+die mit Jüdinnen nach ihrer Ankunft in Afrika zu vertraut umgingen, auch
+an, und griff nach und nach so um sich, dass wohl keine Familie in der
+Berberei gefunden wird, die das Uebel nicht gehabt hätte, oder noch hätte.
+Sie halten es für unleugbar, dass es aus Spanien herkomme, und nennen es
+folglich auch die spanische Krankheit." Wie dem nun auch sein mag, ob diese
+Krankheit in Marokko erst nach der Judenvertreibung aus Spanien bekannt
+wurde, oder schon _vorher_ grassirte, heute ist sie unter dem Namen
+"spanische Krankheit" in Marokko _nicht_ bekannt. Aber Alle, die in
+Marokko gewesen sind, constatiren das _allgemeine_ Verkommen. So sagt
+Jackson in seinem Account p. 190: "they call it the _great disease_
+and it had now spread itself into so many varieties, that I am persuaded,
+there is scarcely a moor in Barbary who has not more or less of the virus
+in his blood."
+
+ [Fußnote 45: Leo Africanus, Uebersetzung von Lorsbach.]
+
+Es giebt wohl keine Form der syphilitischen Krankheit, welche in Marokko
+unbekannt wäre, und da sie keine gründlichen Heilverfahren dagegen in
+Anwendung bringen, so wird dies Uebel erblich durch ganze Triben
+fortgesetzt. Häufig genug hört man ein Individuum sagen, "mein Vater war
+ganz gesund, und ohne Ursache bin ich vom Mrd-el-kebir befallen," forscht
+man aber nach, so erfahrt man bald, dass mütterlicherseits oder von
+grosselterlicher Seite her die Krankheit existirte und bei den Eltern nur
+latent war oder so schwach auftrat, dass sie nicht beachtet wurde.
+
+Als Mittel gegen den Mrd-el-kebir wenden die Marokkaner mit bestem Erfolg
+die heissen Schwefelquellen von Ain-Sidi-Yussuf an. Da ich nicht selbst
+jenes bei Fes gelegene, wahrscheinlich das zu den Römerzeiten schon unter
+dem Namen Aquae Dacicae bekannte Bad besucht habe, so kann ich weder über
+die Temperatur noch über die Bestandtheile desselben berichten. Nach den
+Aussagen der Araber ist aber unzweifelhaft Schwefel Hauptbestandteil und
+ist das Wasser so heiss, dass darin Badende das Bassin, welches die
+eigentliche Quelle enthält, nicht betreten können, dort soll das Wasser
+fast siedend sein. Die Badebassins befinden sich in einiger Entfernung
+davon, nachdem das Wasser auf Umwegen eine Abkühlung erhalten hat. Die das
+Wasser Gebrauchenden baden in grossen gemeinschaftlichen Bassins, Frauen
+von den Männern getrennt.
+
+Eine Kur dauert mit täglichem Baden, wobei mau oft stundenlang im Bassin
+hockt, so lange bis man geheilt ist, oder die Unwirksamkeit glaubt erprobt
+zu haben. Jahrelanges Baden ist nichts Seltenes, und weniger als eine
+dreimonatelange Kur wird wohl nie versucht. Die Marokkaner trinken das nach
+faulen Eiern riechende Wasser nicht. Man kann sich denken, welche Vollheit
+immer in Ain-Sidi-Yussuf ist, indess campiren alle Leute, für
+Badeeinrichtung ist nämlich gar nicht gesorgt und auf einem wöchentlich
+Einmal abgehaltenen Markte ebendaselbst, werden die Lebensmittel und
+Vorräthe eingekauft. Eine besondere Diät wird bei der Kur nicht beobachtet,
+was bei der einfachen marokkanischen Kost auch nicht nothwendig ist.
+
+Vom Gebrauche dieser Bäder habe ich die überraschendsten Erfolge gesehen,
+manchmal nach kurzem (d.h. nach 5-6monatlichem, täglichem, meist
+zweimaligem Baden, wobei die Leute behaupteten, jedesmal zwei Stunden im
+Bade zugebracht zu haben), manchmal nach längerem Gebrauche. Indess ist
+dies Bad wie alle Schwefelbäder kein specifisches Mittel und nicht nur
+kamen oft genug Rückfalle, Wiederausbruch der Syphilis vor, sondern sehr
+oft zeigt sich das Bad vollkommen wirkungslos. Der Marokkaner sagt
+natürlich nie, dass das Wasser des Bades die Heilung bewirkt: Sidi Yussuf
+oder dessen Segen bewirken die Genesung.
+
+Mercur wird äusserst selten gebraucht, und fast nur in den Städten. Man
+kennt dort, wo europäische Apotheken sind, die einfache Mercurialsalbe und
+macht örtliche Einreibungen. Auch Juden in den Städten des _inneren_
+Landes präpariren und verkaufen Ung. mercuriale cinerum. Am häufigsten wird
+das Quecksilber angewandt, indem man es in seiner wahren Gestalt in eine
+stark erhitzte Pfanne schüttet und dann die Quecksilberdämpfe einathmet.
+Aber wenn auch manchmal sowohl von den örtlichen Einreibungen, wie von den
+Inhalationen Besserung erfolgt, so unterliegen dann aber die Meisten den
+Folgen der Mercurialvergiftung. Jod und seine Verbindungen sind gänzlich
+unbekannt. Am gebräuchlichsten ist noch die Sarsaparilla, nicht nur das
+Decoct der Wurzel, sondern auch diese selbst im pulverisirten Zustande wird
+genossen. Aber nur Wenige in Marokko sind im Stande, eine durchgreifende
+Kur mit diesem für dortige Verhältnisse recht kostspieligen Medicament,
+welches die Portugiesen importiren, machen zu können. Man hält sodann
+ausserordentlich viel auf Ortsveränderung, Diät und Schwitzen, d.h.
+Ortsveränderung wird nur insofern gepriesen, als die Leute dabei in
+heissere Gegenden gehen, meist südlich vom Atlas. Die dann erfolgende
+grössere Transpiration soll manchmal Heilung bewirken. Entziehung der
+Nahrung bringt indess nach den Aussagen der Marokkaner nur Stillstand der
+Krankheit herbei. Jackson erzählt, dass zur Zeit, als er in Agadir war, der
+dortige Bascha, Namens Hayane, seine schwarzen Soldaten dadurch von der
+Krankheit heilte, dass er sie schwere Lasten bergauf tragen liess, welches
+eine mächtige Schweissbildung hervorbrachte. Innerlich giebt man an einigen
+Orten auch eine Abkochung der Rinde von Coloquinthen (Cucumis colocynthis).
+Dieses drastische Purgirmittel soll das Gift des Mrd-el-kebir aus dem
+Körper entfernen, aber nie habe ich gehört, dass es irgend gewirkt hätte.
+
+Ebenfalls giebt man diese Decoction gegen blennorrhoïsche Affectionen, in
+der Regel aber werden diese durch eine Abkochung von Melonenkernen
+behandelt, welches unschuldige Mittel innerlich gegeben wird. Injectionen
+bei dieser Krankheit werden nie angewandt. Es braucht kaum gesagt zu
+werden, dass nebenher Amulette und Zaubersprüche hier wie bei _allen_
+Krankheiten in Anwendung sind. Kleine Zettelchen mit Koran- oder anderen
+Sprüchen werden in die Kleidungsstücke oder in kleine lederne Säckchen
+genäht und diese umgehangen, oder ein solches beschriebenes Papierchen wird
+in einer Tasse mit Wasser abgewaschen und dies dem Patienten zu trinken
+gegeben, oder endlich das Amulet selbst wird als Medicin hinabgeschluckt;
+man denke sich, welche Wirkung es haben muss, wenn der Kranke einen
+Koran-Spruch gegessen hat.
+
+Fälle von constitutioneller Syphilis, die ich selbst behandelte mittelst
+Jodkali und Mercur, hatten die überraschendsten Erfolge. Aeusserlich wandte
+ich die Inunctions-Kur, innerlich Jodkali an, mit 0,5 anfangend, bis zu 3
+oder 4 Gr. auf einmal täglich, in Wasser gelöst, gegeben. Aus Mangel an
+Medicamenten musste ich indess auch bald zu den Amuletten greifen.
+
+Intermittirende Fieber[46] kommen in den Niederungen längs der Flüsse, in
+den sumpfigen Ebenen beständig und zu jeder Jahreszeit vor. Der Marokkaner
+wird ebenso gut davon befallen wie der Europäer, und das krankhafte
+Aussehen von Kindern und Frauen der Rharb-Provinzen deuten genug an, dass
+diese hauptsächlich dieser Krankheit unterliegen. Der Grund liegt darin,
+dass der Mann durch häufigen Ortswechsel seine Gesundheit leichter wieder
+herstellen kann. Meist ist das Fieber das gewöhnliche, alle 48 Stunden
+auftretende, sehr häufig beobachtet man auch Febr. quartanae, und die damit
+Behafteten werden ihr Fieber fast nie wieder los. Man kennt in Marokko den
+Segen des Chinin nicht, das erste Mittel, zu dem man greift (ausser den
+Amuletten und Zaubersprüchen), ist eine starke Purganz, die aber natürlich
+keine Heilung bewirkt. In den marokkanischen Städten, namentlich in den
+Hafenstädten, hat man in letzterer Zeit angefangen trotz des hohen Preises
+Chinin zu kaufen.
+
+ [Fußnote 46: Fieber: el Homma.]
+
+Weit verbreitet sind Leberleiden und Gelbsucht[47], gegen welche man das
+Kraut des Kümmel (Cuminum cyminum L.) anwendet, arabisch Schemssuria
+genannt; als gerühmtes Mittel wird dagegen auch Schih (Art. odorif.)
+genommen. Häufige Magenbeschwerden, Folgen grosser Unmässigkeiten, die
+namentlich nach den Festlichkeiten beobachtet werden, und alle die
+Krankheiten, wie Rheumatismus, Gicht, Kopfschmerz[48], halbseitiger
+Kopfschmerz, der oft beobachtet wird, alle Arten von Entzündungen, versucht
+man durch äusserliches Bestreichen mit heissem Eisen zu heilen. Gegen
+Durchfall, Ruhr, Dysenterie wendet man Gummi arabicum, in Substanz
+gegessen, dann eine Pflanze "Kebbar" (Capparis spinosa) an, deren Holz
+gestampft und abgekocht wird, endlich auch rohes Opium.
+
+ [Fußnote 47: Gelbsucht, Bu-Sfor, d.h. wörtlich: Vater des Gelben.]
+
+ [Fußnote 48: Alle diese Krankheiten, welche bei uns mit Schmerz
+ endigen (arabisch udja), drückt der Marokkaner ebenso aus, z.B.
+ Kopfschmerz udja el ras u.s.w.]
+
+Es ist unglaublich, wie besondere Freunde die Marokkaner von der Feuerkur,
+überhaupt von allen recht schmerzhaften Heilverfahren sind. In Fes giebt es
+daher auch eigene Special-Feuerärzte. Man sieht sie auf der Hauptstrasse,
+welche Neu-Fes mit Alt-Fes verbindet, auf dem Boden hocken. Vor sich haben
+sie einen kleinen eisernen Topf mit einem Rost darin, worauf sich ein gut
+unterhaltenes Kohlenfeuer befindet. Nebenan steht ein Körbchen mit
+Holzkohlen, daneben liegt auch ein Ziegenschlauch, der zum Anblasen dient.
+Ein Kranker erscheint, er hat Nachts ohne Zelt zubringen müssen, es hat
+geregnet, und Folge davon war, dass er sich einen Hexenschuss geholt. Er
+präsentirt sich beim berühmten Feuerdoctor Si-Edris, um so berühmter, da er
+lesen kann, Thaleb ist: ein dicker neben ihm liegender Foliant, einziges
+Buch, das er besitzt, bezeugt es. Trotzdem Doctor Si-Edris nur das eine
+Buch besitzt, hat er es, obschon er sechzig Jahre alt ist, noch nicht ganz
+durchgelesen. Ist es so schwer zu verstehen? Keineswegs! Aber das hat seine
+Gründe, erstens hat Doctor Edris es im Lesen keineswegs zu einer grossen
+Fertigkeit gebracht, er verfährt dabei so rasch wie bei uns ein sechs- oder
+siebenjähriges Kind, sodann ist der Inhalt des Buches, wenn auch für den
+Mohammedaner sehr gewichtig und zu wissen nothwendig, doch äusserst
+langweilig. Das Buch enthält nämlich von hinten bis vorn nichts Anderes als
+die Phrase: "Lah illaha il Allah Mohammed resul ul Lah", oder: "es giebt
+mir einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter"[49].
+
+ [Fußnote 49: Als die Spanier die Stadt Tetuan einnahmen, fiel ihnen
+ ein Buch in die Hand, welches von Anfang bis Ende nur die Worte
+ "Gottlob", "Hamd-al-Lahi" enthielt.]
+
+Mittlerweile hat unser Specialarzt mehrere Eisenstäbe, zwei Fuss lang und
+mit sonderbaren Knöpfen, Haken und anderen Formen am heisszumachenden Ende
+versehen, in das vor ihm stehende Feuer geschoben. Mit dem Schlauche facht
+er die Gluth besser an, endlich ist das Eisen weiss. Der Kranke hat sich
+unterdessen auf den Bauch gelegt, seine Kleidungsstücke in die Höhe
+schiebend, und die Vorbeigehenden, welche sehen, dass einer "das Feuer
+bekommen" soll, bilden einen dichten Haufen. Der wichtige Augenblick ist
+da, der Doctor ergreift ein Eisen und mit dem Ausrufe "Bi ism Allah" macht
+er bedächtig mit demselben auf dem Rücken und der Kreuzgegend einige
+Striche, es zischt und ein unangenehmer Geruch von verbrannter Haut zieht
+den Umstehenden in die Nase. Der Patient zeigt bei dieser Operation, welche
+Si-Edris mit wundervoller Langsamkeit vornimmt, weil er glaubt zu grosse
+Eile schade seinem Ansehen, die grösste Ausdauer und Standhaftigkeit, er
+beisst die Zähne zusammen und allein die stark ausbrechenden
+Schweisstropfen verrathen seinen Schmerz.
+
+Wie vernichtet bleibt er nach beendeter Operation eine Zeit lang auf dem
+Boden liegen, aber keine Klage berührt das Ohr der Umstehenden, die den
+Rosenkranz durch die Finger laufen lassen und mit den Lippen Gott und
+Mohammed preisen. Aber was geschieht? Der Patient, der wohlhabend sein
+muss, dreht seinen Kopf: "Si-Edris, Si-Edris," ruft er.--"Malk, was willst
+du?" ist die kurze Antwort des berühmten Arztes.--"Masal-en-nar, noch ein
+Feuer!--" "Mlech attini haki, gut, gieb mir mein Honorar",[50] erwiedert
+der Doctor. Unter Seufzen und Aechzen holt der Kranke aus irgend einer
+Falte eines Kleides eine Mosona (ungefähr einen viertel Groschen), reicht
+sie dem Doctor und die Feuerkur beginnt aufs Neue. Si-Edris lässt sich wie
+alle marokkanischen Aerzte immer im Voraus sein Honorar zahlen; sein
+grosser Ruf hat ihn übrigens übermüthig gemacht, er lässt nicht mit sich
+dingen. Während alle anderen Aerzte und auch die Feuerdoctoren, immer mit
+sich handeln lassen, thut dies Si-Edris nicht, von dem festen Preise: für
+ein einmaliges Feuer eine Mosona zu nehmen, ist er seit Jahren nicht
+herabgekommen.
+
+ [Fußnote 50: Wörtlich: gieb mir mein Recht.]
+
+Der grosse Ruf, dessen sich als Heilmittel in Marokko das Feuer erfreut,
+liegt eben darin, dass in vielen Fällen recht gute Erfolge erzielt werden.
+
+Aber welche Revolution brachte ich unter Fes' Aerzte, als sich auf ein Mal
+das Gerücht verbreitete, ich habe "en-nar-bird" _kaltes Feuer_ und der
+Segen des kalten Feuers sei bedeutend grösser. Ich fürchtete, da, alle
+Patienten zu mir kamen, um sich mit _kaltem Feuer_[51] brennen zu
+lassen, dass meine Collegen irgend etwas gegen mich unternehmen würden, und
+obschon ich noch Vorrath von _Höllenstein_ hatte, gab ich vor, das
+kalte Feuer sei zu Ende, und schickte von da an alle Kranke, die sich
+brennen lassen wollten, zu meinen würdigen Collegen.
+
+ [Fußnote 51: Lapis infernalis.]
+
+Ebenso erzielte ich später mit spanischem Fliegenpflaster wenn nicht
+Erfolge, so doch das grösste Renommé. Der Marokkaner liebt es sich selbst
+zu quälen mit starken Mitteln, und wenn ein Zugpflaster nach
+vierundzwanzigstündigem Liegen auf dem Rücken, auf dem Bauche oder auf dem
+Kopfe (der Marokkaner trägt den Kopf ganz glatt rasirt) eine mächtige mit
+Wasser gefüllte Blase bildete, war er zufrieden, einerlei ob er geheilt war
+oder nicht. Merkwürdig genug, obschon überall in Marokko die spanische
+Fliege[52] käuflich zu haben ist, so kennt der Marokkaner die _guten_
+medicinischen Eigenschaften derselben nicht. Sie dient nur dazu Begierden
+anzustacheln, indem Cantharidenpulver mit anderen Gewürzen und Haschisch
+durch Honig oder Zucker zu einer Paste verbunden wird, Madjun genannt,
+welche sie angeblich gegen Impotenz einnehmen oder auch um die Potenz zu
+erhöhen. Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, welch' entsetzliche Folgen oft
+aus dem Genuss dieses Madjun entspringen.
+
+ [Fußnote 52: In den sumpfigen Niederungen von L'Areisch kommt die
+ spanische Fliege häufig vor.]
+
+Lungenkrankheiten, namentlich Tuberculose sind in Marokko fast ganz
+unbekannt, leichtere Affectionen dieser Art werden nur durch Amulette
+geheilt, d.h. man lässt die Natur walten.
+
+Ein allgemeines Uebel ist noch Wassersucht in ihren verschiedenen
+Vorkommnissen. Die Ursache dazu liegt wohl zum Theil in der mangelhaften
+Kleidung, wo bei plötzlich eintretender Kälte oder schnell wechselnder
+Witterung, die Hautausdünstungen nicht mehr regelrecht vor sich gehen
+können und Unterdrückung des Schweisses stattfindet. Zum Theil ist, und
+dies gilt namentlich von den Städtern, durch die vielen heissen Bäder die
+Haut äusserst empfindlich geworden. Syphilitische Einflüsse mögen zur
+Häufigkeit der Hydropsie auch noch mit beitragen. Viele Eingeborene
+schreiben auch einer bestimmten Oertlichkeit und deren Trinkwasser die
+Ursache zu; so steht das Trinkwasser von Tanger im Rufe, Wassersucht zu
+erzeugen, ob mit Recht, lasse ich dahin gestellt sein. Vernünftig genug
+wendet man in diesem Falle Purgantien an, ohne indess allein mit diesen
+eine Heilung herbeiführen zu können. Diuretica sind nicht gebräuchlich.
+Ebensowenig ist die Paracentese bekannt.
+
+Eine Abzapfung, die ich in Tafilet bei einer alten Frau mit einer
+gewöhnlichen Schusterahle und eigends dazu angefertigten Cannule aus Blech
+machte, hatte den besten Erfolg: mehrere Moschee-Eimer Flüssigkeit würden
+abgezapft, und ich galt als der erste Arzt der Welt. Als ich ein Jahr
+später den Ort wieder besuchte, hatte indess eine neue Wasseransammlung die
+Frau getödtet. Da die Einwohner aber nur Gedächtniss für den
+augenblicklichen, für sie überraschenden Erfolg bewahrt zu haben schienen,
+so war ich dort nach wie vor als ein wahrer Wunderdoctor von Kranken aller
+Art überlaufen, so dass ich wirklich froh war, als ich dem Orte für immer
+Lebewohl sagen konnte.
+
+Die levantische Pest, die in früherer Zeit oft genug in Marokko auftrat,
+wahrscheinlich eingeschleppt durch die Mekka-Pilger, und welche der
+Marokkaner mit dem bezeichnenden Worte "er ist befallen", oder "davon
+betroffen" "medrub" ausdrückt, scheint jetzt seit Langem nicht mehr
+beobachtet worden zu sein. Die letzte bedeutende durchs ganze Land
+verbreitete Pest war im Jahre 1799, im April dieses Jahres starben daran
+zuerst Leute in Fes und die Krankheit soll derart gewüthet haben, dass
+allein in dieser Stadt 65000(?) Menschen, wenn man Jackson trauen darf,
+gestorben sind. Wenn aber eine solche Seuche auftritt, erniedrigt sich der
+dünkelhafte Mohammedaner soweit, dass er demüthig den "Rabiner" bittet, in
+den Medressen der Juden öffentliche Gebete zum Aufhören der Krankheit
+abzuhalten, und gemeinsam durchziehen Mohammedaner und Juden die Strassen,
+um Gott und die Heiligen um Schonung zu bitten. Der Jude muss hinterher
+allerdings büssen, der glaubensstolze Mohammedaner erinnert sich, dass er
+sich so weit erniedrigte, mit Juden gemeinschaftliche Sache gemacht zu
+haben, und wehe dem Juden, der sich dann unter Mohammedaner wagt. Mittel
+sind keine in Gebrauch, man kennt nur das resignirte Sichdreingeben.
+
+Merkwürdigerweise kommt Typhus nur selten und an bestimmte Oertlichkeiten
+gebunden, Hundswuth aber nie vor. Typhus, Ruhr, Dysenterien, die der
+Marokkaner kaum von einander unterscheidet, werden stets mit Olivenöl,
+innerlich getrunken, behandelt. Fehlt das Oel, so wird es durch ungesalzene
+flüssige Butter ersetzt. Man zwingt den Kranken, Oel hinabzutrinken bis zu
+zwei Flaschen des Tags. Wirklich habe ich nach diesem Mittel manchmal
+Heilung eintreten sehen; wage aber nicht zu sagen, ob es die Natur oder das
+Oel waren, welche Heilung bewerkstelligt hatten.
+
+Dass die Hundswuth bei den Hunden in Marokko noch nie beobachtet worden,
+ist wieder eine Bestätigung, dass rohes Fleisch fressende Hunde nicht
+spontan von dieser Krankheit befallen werden.
+
+In neuerer Zeit ist mehrfach Cholera in Marokko beobachtet worden, so noch
+im Jahre 1860, wo sie in verschiedenen Städten des Innern zahlreiche Opfer
+forderte. Der Marokkaner hat keinen Namen für diese Krankheit und man sagte
+mir, es sei eine Art vom medrub (Pest). Man begnügt sich damit, sobald man
+von der Krankheit befallen ist, zu sagen: "Gott ist der Grösste" oder "es
+stand geschrieben".
+
+Gemüths- und Geisteskrankheiten kommen in Marokko selten vor: im ganzen
+Lande ist nur ein Gebäude, um Tobsüchtige aufzunehmen. Leichte Fälle von
+Gemüthskranken lässt man frei umherlaufen, sie werden als Heilige verehrt.
+Und die Tobsüchtigen, d.h. solche, welche ihre Mitmenschen schädigen,
+werden, sind sie in oder in der Nähe der Hauptstadt in ein eigenes Gebäude
+in Fes eingesperrt, von einer medicinischen Behandlung ist aber nicht die
+Rede; das Haus ist weiter nichts als ein Gefängniss für jene Unglücklichen.
+
+Die durchnarbten Gesichter der Marokkaner allein geben hinlänglich
+Zeugniss, wie mächtig in diesem Lande zu Zeiten die Blattern (Djidri
+genannt) herrschen. Für diese hat man nur Amulette in Gebrauch.
+
+Prophylaktisch übrigens kennen die Marokkaner die Kuhpockenimpfung, welche
+Heilart, wie die Marokkaner behaupten, ihre arabischen Vorfahren schon von
+ihrer Heimathsinsel mit hergebracht haben. Die Vaccination wird leider in
+Marokko gar nicht regelmässig vorgenommen, der Mohammedaner ist viel zu
+sehr Fatalist, als dass er, ohne dazu gezwungen zu sein, aus freiem
+Antriebe zu einem solchen Schutzmittel greifen sollte. In den arabischen
+Triben, wo man vaccinirt, wird folgendes Verfahren angewandt: Mit einer
+geschärften Kante eines Feuersteins werden die Zwischenräume der Finger an
+deren Wurzeln geritzt, gewöhnlich nimmt man nur die rechte Hand, weil die
+linke an und für sich als unrein gilt. Die Lymphe wird direct von der Kuh
+genommen, und man hat Acht, dieselbe wohl einzureiben. Uebertragen der
+Lymphe von dem Menschen auf den Menschen kennt man nicht.
+
+Wie in früheren Jahren die Pest öfter in Marokko und zwar bedeutend
+allgemeiner auftrat, so auch der Aussatz. Lepra orientalis, bekannt in
+Marokko unter dem Namen Djidam, kommt in den nördlichen Theilen von Marokko
+fast gar nicht vor. Allerdings begegnet man in Fes, Mikenes und anderen
+nördlichen Städten Leuten mit Elephantiasis; ob aber diese Krankheit immer
+Folge des Aussatzes ist, wage ich nicht zu behaupten. Die mit Elephantiasis
+Behafteten leben überdies nicht abgesondert von der übrigen Menschheit,
+sondern verheirathen sich mit Gesunden. Meistens aber wird dann beobachtet,
+dass von den Kindern einer solchen Ehe, eines oder das andere angeborene
+Elephantiasis besitzt.
+
+Die Leprösen dürfen aber nur unter sich heirathen, sie dürfen keine Stadt
+bewohnen, sondern müssen sich immer im Freien aufhalten.[53] Da Niemand
+etwas von ihnen kaufen würde, treiben sie kein Handwerk oder Gewerbe, sie
+leben von den Almosen ihrer Mitmenschen. Man findet sie einzeln oder in
+Familien am Wege, schon von Weitem rufen sie dem Vorbeikommenden "Medjdum",
+d.h. ein mit Aussatz Behafteter, zu, stellen ein Tellerchen an den Weg und
+das Almosen in Geld oder in Lebensmitteln wird hinein geworfen. Einzelne
+grössere aussätzige Familien besitzen sogar Heerden und ackern.
+
+ [Fußnote 53: Bei der Stadt Marokko ist ein eigenes Dorf für
+ Aussätzige und die Insassen dieses Dorfes heirathen freilich nur
+ unter sich, im Verkehr haben sie übrigens die grösste Freiheit mit
+ den übrigen Bewohnern.]
+
+Was das Aeussere dieser ausgestossenen Menschen anbetrifft, so zeigen sie
+manchmal über den ganzen Körper die widerlichsten weissen Flecke, anderen
+fehlen einige Partien, die Nase, die Ohren, Augen, noch andere zeigen
+Jauchen absondernde Wunden, von wulstiger und verdickter Haut umgeben,
+Krusten und hart anzufühlende Beulen bedecken oft den ganzen Körper. Oft
+aber ist bei einem Aussätzigen von alle dem nichts zu sehen, man bemerkt
+keine einzige der angegebenen Erscheinungen, er hat äusserlich vollkommen
+das Aussehen eines gesunden Menschen.
+
+Nach der Meinung der Marokkaner verursacht der Genuss des Arganöls (Oel vom
+Baume des Elaeodendron Argan, der auf den westlichen Abhängen des grossen
+Atlas wächst) diese Krankheit oder begünstigt dieselbe. Ob dies der Fall
+ist, wage ich nicht zu bestätigen. Die in Mogador und Asfi lebenden
+Europäer haben nichts von einer solchen Wirkung dieses Oels gemerkt; und
+was dagegen spricht, ist das, dass in der Provinz Abda und Schiadma, wo
+doch hauptsächlich der Arganbaum wächst, gar keine Lepröse anzutreffen
+sind, während andererseits in Haha, wo ebenfalls der Argan vorkommt, die
+meisten Aussätzigen anzutreffen sind. Auffallend ist, dass die Kranken als
+Linderung ihrer Schmerzen innerlich einen Absud der Arganblätter nehmen,
+und auch äusserlich auf offene Wunden zerstampfte Arganblätter legen. Ein
+Teig aus Henne-Blättern[54] mit Erde gemischt wird ebenfalls zu Verband bei
+den offenen Geschwüren gebraucht.
+
+ [Fußnote 54: Lawsonia inermis, L.]
+
+Krätze kommt überall vor, aber weniger, als man bei dem entsetzlichen
+Schmutze, an dem diese Völker Gefallen finden, denken sollte. Aus Krätze
+wird nicht viel Wesen gemacht, und Heilung wird erzielt durch kräftige
+Einreibung von brauner Schmierseife und Sand; Schmierseife wird überall in
+Marokko fabricirt, zu halben Theilen von beiden eingerieben, habe ich
+selbst Heilung bei verschiedenen Fällen erfolgen sehen.
+
+Eine ungleich widerlichere Krankheit und äusserst verbreitet ist der
+Kopfgrind. Meistens sind die Knaben damit behaftet, im Alter von zwanzig
+Jahren verliert er sich von selbst. Ob die Tinea in Marokko Folge des
+Rasirens ist (jeder männliche Marokkaner trägt den Kopf von frühester
+Jugend an, rasirt), ist wohl anzunehmen. Der Reiz, der dadurch entsteht bei
+ganz jungen Kindern, monatlich und noch öfter mit halbscharfem Messer die
+Haare dicht über der Wurzel zu entfernen, oft abzureissen, kann wohl
+Veranlassung zu einer solchen Krankheit geben. Bei den Mädchen beobachtet
+man Grind sehr selten. Man braucht gegen diese Krankheit gar nichts, und
+sie ist so allgemein, dass Niemand in der Gesellschaft eines Grindigen
+Abscheu oder Ekel empfindet. Nach dem zwanzigsten Jahre sind die Meisten
+der Mühe, ihren Kopf zu rasiren, überhoben, da die Krankheit im Kindesalter
+sie ihrer sämmtlichen Haare beraubt hat.
+
+Von Parasiten kommen nur Kopf- und Kleiderläuse vor, beide haften an jeder
+Frau, während die männliche Bevölkerung nur den Pediculus vestimenti[55]
+cultivirt, da sie in der Regel kein Kopfhaar hat, diejenige männliche
+Jugend indess, welche einen Zopf trägt, hat auch Kopfläuse. Der Pedic.
+pubis ist nirgends anzutreffen, weil sich Alle, sowohl die männliche als
+die weibliche Bevölkerung, diejenigen Partien des Körpers, wo derselbe
+vorzukommen pflegt, rasirt erhalten.
+
+ [Fußnote 55: Von dem Pedic. vestimenti existiren in Marokko mehrere
+ Arten.]
+
+Wurmkrankheiten sind selbstverständlich auch im Lande. Obschon die
+Lebensweise und Nahrung sehr förderlich für diese Entozoen sein muss, hört
+man doch selten darüber klagen. Spul- und Madenwürmer, eine häufige
+Erscheinung, werden behandelt durch eine Abkochung von Sater (Thymian[56])
+und Kelil (Rosmarin[57]), denen noch andere starkduftende Kräuter zugesetzt
+werden. Aber auch durch eine Decoction der Wurzel der Rtemwurzel (Genista
+Saharae). Genannte beide bilden indess Hauptbestandteile. Taenia Solium,
+der auch vorkommt, wird (nach den Aussagen der marokkanischen Collegen)
+erfolgreich derart behandelt, dass man zuerst eine Portion Haschisch
+(Cannabis ind.) geniesst und später, wenn der Wurm berauscht ist, ihn durch
+irgend ein Purgirmittel abtreibt. Als Dose wurde angegeben ein Esslöffel
+voll pulverisirten und gedorrten Haschichkrautes [Haschischkrautes] [58],
+und als Abführungsmittel haben sie eine Zusammensetzung aus Sennesblättern
+(wächst wild im südlichen Marokko), Schwefel und Aloës, welches innerlich
+gegeben wird. Der Guineawurm kommt äusserst selten vor, und dann nur von
+Schwarzen aus dem Süden eingeschleppt. Die Behandlung desselben, sowie sie
+von den Schwarzen in Centralafrika practicirt wird, ist in Marokko nicht
+bekannt.
+
+ [Fußnote 56: Thymus hyrtus, Willd.]
+
+ [Fußnote 57: Rosmarinus offic.]
+
+ [Fußnote 58: Allerdings eine starke Dosis.]
+
+Nicht nur der ungeheure Schmutz, in dem sich alle nordafrikanischen Völker
+gefallen, sondern auch Oertlichkeiten und Klima haben Augenkrankheiten von
+je her in Marokko begünstigt. Und je mehr man nach dem Süden kommt, desto
+häufiger werden dieselben, bis man in den Oasen der grossen Sahara die
+Bevölkerung derart von Augenleiden aller Art afficirt findet, dass ein
+Individuum mit beiden gesunden Augen schon zu _Ausnahmen_ gehört. Wie
+der Staub auch sein mag, ob ihn der Gebli oder Samum aufwirbelt, ob er im
+Norden mehr mit animalischen oder vegetabilischen Atomen, im Süden des
+Atlas mit anorganischen, mikroskopisch kleinen Theilen geschwängert ist,
+immer wirkt er gleich schädlich auf die Augen.
+
+Es hat dies zur Folge, dass Hornhautkrankheiten alltägliche Erscheinungen
+sind. Chronische Hornhautentzündung nennt der Marokkaner Bu Tillis, d.h.
+den Vater des Schleiers. Manchmal heilen sie derartige Fälle im Entstehen
+dadurch, dass sie Feuer im Nacken, an den Schläfen, hinter den Ohren
+örtlich anwenden. Meist aber enden alle Augenkrankheiten mit Erblinden.
+Citronensaft und Wasser gemischt und in die Augen getröpfelt, wird häufig
+genug angewandt. Auch Antimon (Kohöl) ist in vielen Gegenden Gebrauch; es
+wird dies im Atlas gefundene Metall, dessen sich alle Frauen nicht nur
+Marokko's, sondern ganz Nordafrika's als Schönheitsmittel bedienen, und das
+auch unsere Theaterdamen, um den Glanz der Augen zu erhöhen, anwenden, oft
+mit Erfolg gebraucht. Man bestreicht mit Kohöl die Augenlider, mittelst
+eines feinen Holzspatels und unzweifelhaft hat dies Mittel gute
+Präservativeigenschaften bei dort herrschenden Augenkrankheiten. Als
+Arzneimittel wird es deshalb auch vielfach von den Männern gebraucht. Die
+Wirksamkeit des Spiesglanzes als Präservativmittel erhellt schon daraus,
+dass bei weitem mehr Männer von Augenkrankheiten betroffen werden als
+Frauen. Als äusserstes Mittel gegen Augenkrankheiten[59] führe ich noch an,
+dass in einigen Orten pulverisirter Pfeffer in die Augen geblasen wird.
+
+ [Fußnote 59: Ich bediene mich dieses allgemeinen Ausdrucks, da der
+ Marokkaner nicht unterscheidet, ob die Hornhaut, die Lider, der
+ Augapfel, die Liderhaut etc. erkrankt ist, sondern alles dies
+ Augenkrankheit, Mrd-el-aiun, nennt.]
+
+Von inneren Mitteln gegen Augenkrankheiten ist natürlich keine Spur
+vorhanden, als ich einige Male versuchte durch Calomel, innerlich gegeben,
+oder durch Purgantien Ableitungen herbeizuführen, wurde mir ernstlich
+gesagt, mit solchen Mitteln aufzuhören: "nicht der Bauch sei erkrankt,
+sondern die Augen".
+
+Schwarzer und grauer Staar sind unter einer Bevölkerung, bei der fast jedes
+Individuum augenkrank ist, nichts Seltenes, und merkwürdig genug, giebt es
+in Marokko einige Familien, die sich damit beschäftigen, Staaroperationen
+und zwar mit Erfolg auszuüben. Diese Familien sind vorzugsweise auf dem
+_grossen_ Atlas ansässig, die Fähigkeit den Staar zu stechen geht vom
+Vater auf den Sohn über, der natürlich bei jenem in die Lehre geht. Die
+beiden Doctoren-Staarstecher, die ich kennen lernte, waren Berber ihrer
+Abkunft nach. Ohne sich mit anderen Krankheiten zu beschäftigen,
+verschmähten sie es sogar, andere Augenkrankheiten als Staarerblindungen in
+Behandlung zu nehmen. Sie machten für dortige Verhältnisse gute Geschäfte
+und man würde sie wirklich als gute Specialärzte haben hinstellen können,
+wenn sie die Fähigkeit gehabt hätten, irgend wie eine Diagnose zu stellen,
+geschweige von einer Prognose zu reden. Aber da kam es oft genug vor, dass
+irgend eine andere Krankheit der inneren Theile des Auges, wohl gar Gutta
+serena mit Gutta opaca verwechselt wurde. Da ich nicht selbst der Operation
+eines Staares beigewohnt habe, so kann ich nur anführen, dass mittelst
+eines glattgeschliffenen nadelförmigen Instruments der Einstich, nach
+Aussage der Staardoctoren, _seitwärts_ gemacht wird, dass nach der
+Beschreibung sodann die Linse zerstückelt wird, um später resorbirt zu
+werden. Eine Extraction oder Depression der Linse war offenbar diesen
+Leuten nicht bekannt.
+
+Sehen wir, wenn es auf eine chirurgische Operation ankommt, wie bei der
+Staarstechung, die Heilkunde auf einer bedeutend höheren Stufe als bei
+_inneren_ Krankheiten, so ist das im Allgemeinen in der Chirurgie auch
+der Fall. Es ist dies auch ganz natürlich. Bei Verwundungen, bei äusseren
+Verletzungen kennt auch der gewöhnliche Mensch gemeiniglich die
+_Ursache_, er kann es dann bedeutend leichter unternehmen, eine
+Heilung zu versuchen. Und nicht nur in ganz uncivilisirten Ländern, oder in
+halbcivilisirten wie Marokko, auch in den am weitesten in der Cultur
+vorgeschrittenen findet man, dass die Chirurgie auf einer höheren Stufe
+steht als die Heilkunde innerer Krankheiten.
+
+Reine Hiebwunden, die durch das fast überall geübte Faustrecht so häufig
+unter den Bewohnern Marokko's vorkommen, werden entweder mit einem Teig
+verbunden, der aus Henne (Lawsonia inermis) und Chobis (Malva parviflora)
+geknetet wird, oder man verbindet die Wunden mit geschmolzener salzloser
+Butter, in welche vorher, sobald die Butter siedend ist, ein Säckchen mit
+Schih (Artemisia odorif.) getaucht worden ist. Hierdurch bekommt die Butter
+einen starken aromatischen Gehalt, nimmt einen fast Kölnischem Wasser
+gleichenden Geruch an, der später selbst nicht vom übelstriechenden Eiter
+verdrängt wird. Wunden auf diese Art behandelt, nehmen fast immer einen
+guten Verlauf. In vielen Gegenden verbindet man die Wunden mit Rinderkoth,
+namentlich nomadisirende Stämme glauben an die Heilkraft der verdauten
+Kräuter.
+
+Verwundungen, welche die Knochen verletzen, einerlei ob sie durch Kugeln
+oder Hiebwunden herrühren, werden auf gleiche Art rationell behandelt. Ist
+eine vollkommene Knochenzerschmetterung vorhanden, so wird ein
+_fester_ Verband angelegt, um die Heilung der zerschmetterten Knochen
+mittels Callusbildung herbeizuführen. Man kümmert sich nicht um
+Herausziehen der Knochensplitter oder Kugelstücken[60], so schnell wie
+möglich wird der Verband angelegt. Eine aus Ziegen- oder Schafleder
+bestehende Binde, die ihren Halt durch kleine Rohrstäbchen, die
+hineingenäht werden, bekommt, wird um die verletzten Theile gelegt und das
+Ganze dann mit Thon umkleistert. Ein solcher Verband soll nach den Regeln
+der dortigen Chirurgie 28 Tage liegen bleiben. Das einzige Misslingen bei
+diesem Verbande liegt darin, dass nicht gehörig für Eiterabfluss gesorgt
+wird, und dadurch für den Patienten oft missliche Zustände eintreten.
+
+ [Fußnote 60: Man ladet meistens mit zerhacktem Blei.]
+
+Fracturen werden ebenfalls durch festen Verband geheilt, ohne dass man aber
+vorher einrichtet. Natürlich werden dabei meist schiefe Heilungen erzielt,
+und oftmals sieht man Röhrenknochen die Weichtheile durchbohren, und es
+entstehen dann für immer offene Wunden. Nie fällt es ein irgend wie zu
+amputiren. Der Marokkaner hält das für sündhaft. Die durch die
+Gerechtigkeit abgehauenen Hände oder Füsse werden sorgfältig vergraben,
+weil sie sonst am Auferstehungstage fehlen könnten, und die Stümpfe werden
+in siedende Butter oder kochendes Oel getaucht, um die Blutung zu stillen.
+Verrenkungen einrichten kennt man nicht, so dass gewöhnliche Folge eine
+schmerzhafte Entzündung mit oft bösem Ausgang ist. Natürlich ist selbst bei
+schwersten Verwundungen von einer inneren Behandlung nie die Rede, aber
+Amulette, Zaubersprüche u. dergl. m. sind auch hier an der Tagesordnung.
+
+Was die Geburtshülfe anbetrifft, so ist es schwer darüber nur das Geringste
+anzugeben, da nur Frauen als Beistand geduldet werden. Die Wendung sowie
+die Zange sind unbekannt, einzelne Praktiken, die mir erzählt wurden, sind
+zu abgeschmackt, als dass ich sie hier wiedergeben sollte. Nur so viel kann
+ich bezeugen, dass einst meine Hauswirthin in einer kleinen Oase der Wüste,
+Nachts mit einem Kinde niederkam und am andern Morgen trotzdem ihre
+gewöhnliche Beschäftigung verrichtete.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+6. Uesan el Dar Demona.
+
+ * * * * *
+
+Es giebt Bücher genug, die über Marokko handeln, und keine Geographie
+älteren oder neueren Ursprungs unterlässt es, irgend ein Capitel diesem
+Reiche zu widmen; aber wie Afrika im Allgemeinen noch heute ein Terra
+incognita für uns ist, so ist von all den Staaten, welche an den Küsten
+liegen, namentlich an den Küsten des Mittelmeers, kein Land so wenig
+bekannt wie Marokko und von allen Städten in Marokko ist Uesan die
+unbekannteste. So sehen wir denn auch, dass ein Hemsö, Ali Bey, Richardson
+und Renou nur ganz oberflächlich des Ortes Uesan im Vorübergehen erwähnen.
+
+Ali Bey verlegt Uesan auf den 24° 42' 29" N. Br. und 7° 55' 10" L. von
+Paris, Renou, der die Breite gelten lässt, glaubt aber Uesan die Länge von
+7° 58' geben zu müssen. Dieselbe Position finden wir auch auf Petermanns
+trefflichen Karten von Marokko[61]. Bis genauere Messungen an Ort und
+Stelle angestellt sind, können wir uns auch einstweilen recht gut daran
+halten. Die Stadt Uesan liegt etwa 900 Fuss über dem Meeresspiegel, erfreut
+sich also unter diesen Breiten eines äusserst günstigen Klimas.
+
+ [Fußnote 61: Mittheilungen, Jahrg. 1865.]
+
+Vortheilhafter wird die Lage noch dadurch, dass die Stadt am Fusse des
+mächtigen und zweigipfligen Berges Bu-Hellöl aufgebaut ist. Dieser
+herrliche Berg, dessen ganze Nordseite von der Stadt an bis zum Gipfel zum
+Theil mit Oliven, zum Theil mit immergrünen Eichen und Wachholder bewaldet
+ist, hält wirksam die heissen Südwinde ab, während er zugleich den
+regentragenden Nord- und Nordwestwinden einen Damm entgegensetzt.
+
+Der ganze Gebirgscomplex, der sich um Uesan herumzieht, steht im innigen
+Zusammenhange mit dem sogenannten kleinen Atlas. Ersteigt man den
+Bu-Hellöl, so sieht man über die Rharbebenen hinweg die blauen Fluthen des
+atlantischen Oceans, während andererseits nach Norden und Osten der Blick
+eine vollkommen zusammenhängende Gebirgslandschaft vor sich hat bis zu den
+zackigen Berggipfeln, der Habib, der Srual, der Schischauun und in erster
+Nähe der Erhona.
+
+Es scheint, dass Uesan von einem Nachkommen Mulei Edris, Namens Mulei
+Abd-Allah Scherif, etwa um das Jahr 900 n. Chr. als Sauya gestiftet
+wurde. Da nun Edris der Gründer der Stadt Fes als der directeste
+Nachkömmling des Propheten angesehen wird, so ist seine männliche
+Nachfolge in erster Linie noch heute in demselben Ansehen. Aus diesem
+Grunde sind die Schürfa von Uesan, d.h. die Edrisiten, bedeutend
+heiliger gehalten als die übrigen von Mulei Ali stammenden, wozu die
+Familie des Sultans gehört.
+
+Dennoch haben aber diese Vorrechte genug, und was der kaiserlichen Familie
+an Heiligkeit directer Abkunft abgeht, ersetzt sie eben dadurch dass sie
+die regierende ist. Bei den Mohammedanern nun ist aber das Heiligsein ganz
+anders als bei uns Christen.
+
+Mein seltsamer Anzug, halb christlich, halb mohammedanisch, hatte rasch
+einen Haufen Neugieriger herbeigezogen, mein Begleiter und ich wurden
+umdrängt und befragt, wer ich sei, was ich wolle, woher ich komme, wohin
+ich wolle u. dergl. unverschämte Fragen mehr. Es ist vollkommen falsch,
+wenn man glaubt der Mohammedaner sei schweigsam, ernst und nicht neugierig;
+in Afrika habe ich überall das Gegentheil erfahren. Manchmal freilich mag
+der Vornehme, der Mann vom "grossen Zelte," sich gegen Christen so
+zurückhaltend benehmen, aber nie gegen seines Gleichen. Und man erinnere
+sich, dass ich als Mohammedaner reiste.
+
+Nachdem die Neugier befriedigt und nachdem namentlich die Menge beruhigt
+war über meinen Glauben, d.h. nachdem ich auf ihre Aufforderungen zum
+"Bezeugen" mehrere Male "es giebt nur Einen Gott und Mohammed ist sein
+Gesandter" geantwortet hatte, sagten sie aus, "Sidi" befände sich mit den
+Schürfa und Tholba im Rharsa es Ssultan, so hiess man Garten und Gartenhaus
+des Grossscherifs.
+
+Man kann sich denken, mit welcher Spannung ich der ersten Zusammenkunft mit
+diesem Manne, der in den Augen der meisten Marokkaner höher als Gott, ja
+höher als der Prophet gehalten wird, entgegen sah.
+
+Meine Begleiter und ich gingen also nach seinem Landsitze, der sich bald,
+er liegt nur ca. 5 Minuten ausserhalb der Stadt, unseren Blicken zeigte.
+Wie erstaunt war ich, ein Haus halb im neuitalienischen, halb im maurischen
+Style zu erblicken. Dort ist Sidna,[62] sagte man mir. Aus den Fenstern des
+oberen Stockes sah ich eine Menge Neugieriger herabgucken, vorne stand ein
+junger Mann in französischer Capitäns-Uniform mit dem Degen an der Seite,
+ein langes Fernrohr in der Hand. Jetzt rasch durch ein hohes gewölbtes
+Steinthor in den Garten tretend, befanden wir uns bald vor der Hauptthür,
+welche direct auf eine enge und so niedrig gebaute Treppe ging, dass jeder
+nur etwas grosse Mann sich bücken musste, um hinaufzuschreiten. Oben
+angekommen, riefen uns mehrere uniformirte Sklaven ein "Okaf" (Halt)
+entgegen, das aber gleich vom lauten "sihd" (marokk. Ausruf, bedeutend
+"tritt näher") des Grossscherifs übertönt wurde.
+
+ [Fußnote 62: Der Titel Sidna, d.h. "unser Herr," kommt eigentlich nur
+ dem Sultan zu. Jeder Scherif hat den Titel sidi oder mulei, was
+ "mein Herr" bedeutet Tholba, d.h. Schriftgelehrte, Standespersonen,
+ Beamte, haben den Titel "sid," was Herr bedeutet. Der Plural von
+ mulei, muleina, wird nur Gott und dem Propheten gegeben.]
+
+Mein Begleiter prosternirte sich, küsste die gelben Stiefel
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's, und berichtete dann über mich. Ich selbst
+begnügte mich, seine dargebotene Hand (der Grossscherif sass auf einem
+Teppich in einer Ecke des Zimmers) zu ergreifen, und sodann führte ich
+die meine an Stirn und Mund. Unter der Zeit hatte ich Musse, ihn und
+seine Umgebung zu betrachten.
+
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam-ben-el-Arbi-ben-Ali-ben-Hammed-ben-Mohamméd-ben-
+Thaib[63], wie sein ganzer Titel lautet, war (1861) etwa 31 Jahre alt; von
+fast zu hoher Statur, wurde das Ebenmaass seines Körpers durch eine
+angenehme Wohlbeleibtheit hergestellt. Sein Teint ist stark gebräunt, und
+auch etwas dick aufgeworfene Lippen deuteten auf Negerblut, wie denn in der
+That seine Mutter aus Haussa stammte. Eine gerade Nase, ein feurig
+schwarzes Auge, im Ganzen ein längliches Gesicht, so präsentirte sich der
+Mann, dem von fast der ganzen mohammedanischen Welt eine abgöttische
+Verehrung gezollt wird. Seine Bekleidung bestand in einer weiten
+skendrinischen[64] rothen Tuchhose, einem französichen [französischen]
+Waffenrock mit französischen Epauletten, auf dem Kopfe hatte er einen
+tunesischen Tarbusch mit schwerer goldener Troddel. An der Seite trug er
+einen äusserst schön gearbeiteten Degen, wie ich später erfuhr, ein
+Geschenk vom General Prim.
+
+ [Fußnote 63: In seinen Briefen titulirt sich Abd-es-Ssalam bis zum
+ Grossvater, Thaib, seines Urgrossvaters Hammed hinauf, weil Mulei
+ Thaib der Erneuerer der religiösen Gesellschaft der Thaib gewesen
+ ist, in ganz Nord-Afrika die allergrösste religiöse Genossenschaft.
+ Seines marokkanischen Ahnen Mulei Edris, oder des Gründers der Sauya
+ Uesan, Mulei Abd Allah Scherif, wird in den Briefen nicht Erwähnung
+ gethan.]
+
+ [Fußnote 64: Skendrinischen = Alexandrinischen.]
+
+Eine goldene Schärpe, die er um hatte, enthielt zugleich einen Revolver vom
+System Lefaucheux, der überdies mittelst einer rothseidenen Schnur um den
+Hals befestigt war. "Merkwürdig," dachte ich, "den Mohammedanern ist durch
+den Koran verboten, Gold und Seide auf ihren Kleidern zu tragen, und nun
+sehe ich den directesten Sprössling des Propheten damit überladen.["] Die
+übrigen Anwesenden bestanden zum Theil aus nahen Anverwandten, also
+ebenfalls Abkömmlingen Mohammed's, dann aus Tholba, endlich aus vielen
+Fremden von vornehmer und geringer Herkunft. Ueberdies ging es ohne
+Unterlass aus und ein, da ging kein Mann oder keine Frau aus dem Gebirge
+vorbei (das Gartenhaus lag an einer sehr frequenten Strasse), ohne rasch
+heraufzuspringen, um den Grossscherif zu küssen und um einige Mosonat[65]
+niederzulegen. Da kamen Processionen von Ferne, um den uld en nebbi (Sohn
+des Propheten) zu besuchen, von diesen wurde nur der "Emkadem" (geistige
+Vorsteher und Hauptgeldeinsammler) vorgelassen, die anderen aber
+einstweilen fortgeschickt, um in die für Fremdenaufnahme eingerichteten
+weiten Hallen der Sauya in Uesan einquartiert zu werden und um später en
+bloc den Segen zu empfangen.
+
+ [Fußnote 65: Mosona, eine imaginäre marokkanische Münze, besteht aus
+ 6 flus, pl. von fls. Ein fls. ist ungefähr gleich einem
+ französischen Centime.]
+
+Sidi winkte; gleich darauf brachte ein kleiner uniformirter Neger Namens
+Zamba eine silberne Platte, darauf stand ein silberner Theetopf, eine
+Schale mit grossen Stücken Zucker, eine Theebüchse, und, ausser den sechs
+üblichen kleinen Theetassen, ein Glas, woraus Sidi seinen Thee nehmen
+sollte. Alles dieses wurde vor den Sidi zunächstsitzenden Scherif, einen
+schon älteren Mann, Namens Sidi el Hadj Abd-Allah, gesetzt, und dann ging
+die Bereitung des Thees vor sich.
+
+Der Hadj Abd-Allah nahm eine tüchtige Hand voll grünen Thees, warf ihn in
+den Topf, während ein anderer kleiner Neger, Ssalem, schon das siedende
+Wasser in Bereitschaft hielt; der erste geringe Aufguss diente nur dazu,
+den Thee zu reinigen. Sodann wurde eine tüchtige Portion Zucker in den Topf
+geworfen, und nun derselbe mit kochendem Wasser gefüllt. Unter der Zeit
+hatte der Hadj auch schon einige aromatische Kräuter in Bereitschaft, als
+Minze, Wermuth und Luisa, die noch obendrein hineingeworfen wurden. Nach
+einiger Zeit wurde sodann für Sidi ein Glas gefüllt, nachdem jedoch vorher
+der Hadj Abd-Allah mehrere Male durch Kosten sich überzeugt, dass der Thee
+genug gezuckert sei. Sodann wurden die übrigen sechs Tassen gefüllt, und
+sie den Gästen von den beiden kleinen Sklaven präsentirt; da wohl 30 Leute
+anwesend sein mochten, ohne die vielen Besucher, die ab- und zugingen, die
+meisten auch drei Tassen tranken, wie es die Sitte erheischt, so kann man
+sich denken, dass es ziemlich lange dauerte, ehe Alle, da nur sechs Tassen
+vorhanden waren, befriedigt wurden. Es versteht sich von selbst, dass die
+Theekanne verschiedene Male wieder nachgefüllt wurde.
+
+Unter der Zeit wurden die verschiedensten Gespräche geführt, Sidi wollte
+vor allem von den politischen Zuständen in Europa unterrichtet sein, und
+ich merkte, dass es ihn ärgerte, dass einige ältere Schürfa mich fragten,
+wann, wo und wie ich zum Islam übergetreten, ob ich auch vollkommen
+überzeugt sei, dass die mohammedanische Religion besser sei als die
+jüdische und christliche, ob ich auch ordentlich "bezeugen" könne etc.
+
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam, der wohl merkte, wie unangenehm mir solche
+Fragen sein mussten, sprang auf und winkte zu folgen. Alle erhoben sich, da
+er aber auf mich speciell gedeutet hatte, so blieb die ganze Versammlung im
+Zimmer und setzte sich wieder, während er und ich, begleitet von seinen
+beiden Günstlingen und einigen Dienern, die einen Teppich, ein Fernrohr,
+Doppelflinte etc. trugen, in den Garten hinabgingen.
+
+Diese beiden Günstlinge, Ibrahim und Ali, die den ganzen Tag nicht von der
+Seite des Grossscherifs wichen, waren Ssalami[66], d.h. jüdische Renegaten!
+Der eine, aus Fes gebürtig, war Schriftgelehrter, und aus freiem Antrieb
+übergetreten, Ali aber, aus Uesan gebürtig, war, wegen Diebstahls verfolgt,
+in die Sauya geflüchtet, und hatte sich dann, um der Strafe zu entgehen,
+mohammedanisirt. Beide trugen französische Capitäns-Uniform mit weiten
+Hosen und rothem Tarbusch. Sie waren beide verheirathet und wohnten sogar
+beide im Hause von Sidi, der ihnen je einen Flügel abgesondert angewiesen
+hatte. Sie waren zu der Zeit die Personen, die Sidi gar nicht entbehren
+konnte, Alles ging durch ihre Hände.
+
+ [Fußnote 66: Ein vom Judenthum zum Islam Uebertretender bekommt in
+ Marokko den Namen Ssalami, d.h. Gläubiger, ein vom Christenthum
+ Uebertretender bat den Namen Oeldj, d.h. wörtlich christlicher
+ Sklave.]
+
+Im Garten angekommen, gefiel sich Sidi darin, mir seine europäischen
+Einrichtungen zu zeigen; hier war auf einem Bassin ein Schiffchen mit
+Rädern, eine Nachahmung der europäischen Dampfschiffe, dort kostbare Blumen
+aus Europa und Amerika, Gewächse feinerer Art, wie sie im übrigen Marokko
+unbekannt sind, zwischen denen künstliche Springbrunnen auf verschiedenste
+Art Wasserstrahlen auswarfen, sogar eine kleine Eisenbahn mit Wagen, welche
+durch ein Radwerk in Bewegung gesetzt wurde.
+
+"Der Sultan, die Grossen und auch die Schürfa," fing Sidi an, "wollen
+nichts vom Fortschritt wissen, deshalb sind wir auch von den Spaniern
+geschlagen; wenn ich nur könnte, ich würde Alles einführen wie es bei den
+Christen ist, d.h. vor allem eine feste Gesetzgebung und regelmässiges
+Militair."--"Aber, wenn du nur willst, Sidi," erwiederte ich, "so wird der
+Sultan auch wollen und müssen."--"Der Sultan und ich sind beide vom Volk
+abhängig, und dass ich mich christlich kleide, was doch die Türken jetzt
+auch thun, nimmt man gewaltig übel." Unter diesen Gesprächen waren wir
+durch einen blühenden Rosengarten, wo Jasmin und die köstlich duftende
+Verbena Luisa mit Heliotropen und Veilchen ihre Wohlgerüche der Luft
+spendeten, zu einem prächtigen Orangenhain gekommen. "Diesen ganzen Garten
+hat mir der Sultan geschenkt," sagte Sidi, "oder eigentlich
+zurückgeschenkt, denn mein Grossvater, Ali, schenkte ihn seinem Vater."
+Nach dem Orangengarten kamen ausgedehnte Olivenpflanzungen, wir drangen bis
+dahin durch, kehrten dann zurück, wo wir die Schürfa und Tholba noch im
+Zimmer versammelt fanden.
+
+Gleich nach der Rückkehr Sidi's stellten sich Sklaven ein mit Schüsseln auf
+dem Kopf. Alles nahm Platz, da wurde zuerst eine Maida (kleiner Tisch) vor
+Sidi gestellt, und, nachdem Sklaven ein messingenes Becken und eine Kanne
+gebracht, die Hände abgewaschen. Ein Handtuch, vielleicht hatte es schon
+einmal als Hemd gedient, war für Alle zum Abtrocknen bereit. Es bildeten
+sich Gruppen: Sidi ass aus einer Schüssel mit 5 oder 6 Schürfa, hier sass
+wieder eine Gruppe, dort eine andere, ich selbst wurde eingeladen, an der
+Schüssel der beiden Günstlinge Ali und Ibrahim, zu der ausserdem noch zwei
+Vettern von Sidi zugezogen waren, theilzunehmen. Man ass, mit Ausnahme des
+Tisches, an dem Sidi sass, mit grosser Hast, um ja nicht zu kurz zu kommen.
+Die Speisen waren gut, gebratenes Fleisch, gebratene Hühner, und bei jeder
+Schüssel lagen fünf oder sechs Brode, die vorher gebrochen wurden. So,
+dachte ich, ass man zur Zeit Jesu aus einer Schüssel und mit den Händen.
+
+Sidi, der in Frankreich gewesen, konnte es nicht lassen ein paar Mal
+herüberzusehen: "Mustafa (diesen Namen hatte ich angenommen), hast du schon
+oft mit der Hand gegessen?" fragte er. "Gott erbarm dich!" rief ein
+graubärtiger Scherif, "essen denn die Christenhunde nicht mit der Hand?"
+"Nein," erwiederte der Grossscherif, "als ich auf der französischen
+Fregatte nach Mekka reiste, ass ich mit einer Gabel." "Gott sei meinem
+Vater gnädig," erwiederte jener, "unser Herr Mohammed hat mit der rechten
+Hand gegessen, Mohammad ist der Liebling Gottes, und der Segen Gottes ruht
+auf seinen Nachkommen." Sidi, wohl um ein religiöses Gespräch
+abzuschneiden, rief einen Sklaven, gab ihm ein saftiges Stück Fleisch, das
+er vom Knochen abgelöst hatte: "gieb das Mustafa." Von dem Augenblick, d.h.
+seitdem ich aus der Hand Sidi's einen Bissen erhalten hatte, wurde ich als
+sein erklärter Günstling angesehen.
+
+Nach beendetem Essen wurde Kaffee herumgereicht, und nachdem man noch eine
+Zeitlang gesessen und darauf in Gemeinschaft das l'Asser Gebet abgehalten
+war, befahl Sidi sein Pferd. Er bestieg einen ausgezeichneten Fuchs, die
+beiden Günstlinge Ali und Ibrahim hatten nicht minder schöne Pferde zur
+Verfügung, und nun ging's heimwärts. Vor den Thoren des Gartens lauerten
+Haufen von Menschen, alte und junge, Männer und Weiber, die sich bemühten,
+seinen Fuss oder den Saum des Burnus zu berühren, oder auch nur sein Pferd,
+denn diesem wird dadurch, dass der Sohn des Propheten es besteigt,
+ebenfalls eine Heiligkeit mitgetheilt, und man kann den Segen herausziehen.
+
+
+Einige von den Schürfa bestiegen ebenfalls Pferde oder Maulthiere, die
+meisten folgten zu Fuss. Unter ihnen war ich; einer der Emkadem[67] Sidi's
+hatte sich meiner Hand bemächtigt, als ob ich nicht allein gehen könnte,
+oder um ja ein von Sidi ihm anvertrautes Gut nicht zu verlieren: "ich soll
+für dich sorgen," sagte er, und so betraten wir Uesan el Dar Demana.
+
+ [Fußnote 67: Emkadem, Verwalter oder Intendant.]
+
+Eine enge Strasse führte uns gleich in die eigentliche Sauya, d.h. das
+heilige Viertel, das Sidi bewohnt, welches von der übrigen Stadt durch
+Mauern und Thore geschieden ist. Denn wenn auch die ganze Stadt (Uesan el
+dar demana heisst: Uesan das Haus der Zuflucht) ein geheiligtes Asyl ist,
+so ist doch speciell das Stadtquartier, welches Sidi bewohnt, heilig und
+unverletzlich. In diesem Quartier, gleich unterhalb seiner Hauptwohnung,
+bekam ich im "Rheat"[68] einen Pavillon als Wohnung angewiesen, der
+einstmals reizend gewesen sein musste, jetzt aber etwas vernachlässigt
+aussah.
+
+ [Fußnote 68: Rheat heisst eigentlich Blumengarten, Blumenterrasse.]
+
+Dieser Rheat war zur Zeit Sidi-el-Hadj-el-Arbiis, des Vaters des jetzigen
+Grossscherifs, ein üppiger Garten gewesen; künstlich vom Djebel Bu Hellöl
+hergeleitete Wasser tränkten die Orangen- und Granatbäume, hübsche Veranden
+und Kubben im reinsten maurischen Style erbaut, aufs prächtigste geschmückt
+mit Stucco-Arabesken, mit echten Slaedj[69] von Fes, standen an den
+schönsten Punkten, und von einer jeden hatte man eine unvergleichliche
+Aussicht auf die gegenüberliegende Gebirgslandschaft. Sie dienten dazu, die
+zahlreichen Pilger aufzunehmen, eine einzelne Kubba enthielt manchmal
+hundert solcher frommer Leute, die monatelang auf mühevollste Art gereist
+waren, um Uesan und den Sohn des Propheten zu sehen: hier auf den Terrassen
+der Kubben, im Schatten der Arkaden einer Veranda ruhten sie aus von ihren
+entbehrungsvollen Wegen, sie schauten auf das Bild zu ihren Füssen, sie
+bewunderten die Bauten, vor allem aber priesen sie Gott, dass er ihnen die
+Gnade erzeigt habe, Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam sehen zu können, dass er
+ihnen die Gunst gewährt habe, seine Nahrung geniessen zu können, denn alle
+Pilger, mochten auch 1000 vorhanden sein, werden zweimal täglich aus der
+Küche Sidi's gespeist.
+
+ [Fußnote 69: Slaedj sind kleine Fliesen von Thon verschiedenfarbig
+ glasirt, man benutzt sie um den Fussboden damit zu belegen.]
+
+Zwischen dem Rheat und dem Hauptgebäude befindet sich eine grosse
+Djema[70], die auch Freitags zum Chotba benutzt wird; ein freier Platz, auf
+dem die Pferde Sidi's angebunden stehen, führte dann aufs Hauptgebäude.
+Dies zeigt nach aussen die Thür, welche zu den Küchenräumen führt, eine
+Schule, worin die Söhne Sidi's mit vielen anderen Altersgenossen ihren
+täglichen Unterricht erhalten, und eine andere sehr niedrige Thür, welche
+zur eigentlichen Wohnung des Grossscherifs führte.
+
+ [Fußnote 70: Marokkanischer Ausdruck für Moschee.]
+
+Man kommt zuerst in einen von zwei Orangenbäumen beschatteten Hof, auf
+diesen Hof öffnen sich eine Veranda und eine reizende Kubba[71], deren eine
+Seite ebenfalls nach dem Hofe zu offen war. In diesen Räumlichkeiten
+empfängt Sidi, und namentlich nach dem Freitagsgebet findet hier immer ein
+grosses Essen statt, woran, alle die Theil nehmen, die mit Sidi
+gemeinschaftlich das Chotba-Gebet verrichtet haben. Das eigentliche
+Wohngebäude, welches an diesen Hof stösst, besteht aus mehreren
+Abtheilungen. Zuerst kommen verschiedene Zimmer, zu denen man mittelst
+einer niedrigen Thür und einer Treppe hinangelangt und welche die
+Bibliothek Sidi's enthalten, dann folgen einige auf europäische Art
+eingerichtete. Ausser seinen beiden kleinen Söhnen, seinen Günstlingen, Ali
+und Ibrahim, und einigen Sklaven, die Nachts vor seiner Thür schlafen, hat
+der Grossscherif diese Zimmer von Niemand betreten lassen, für seine
+Frauen, für seine nächsten Verwandten sind sie ein vollkommenes Harem. Da
+ich die Beschreibung der Zimmer gegeben habe, brauche ich wohl kaum zu
+sagen, dass es mir ebenfalls vergönnt war, sie zu betreten: ich musste
+mehrere Male auf einem Harmonium spielen, welches in einem dieser Zimmer
+seinen Platz hat. Von diesen Räumen gelangt man in die Häuser seiner
+Frauen: das Harem. Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam hatte im Anfang der sechziger
+Jahre drei rechtmässige Frauen.
+
+ [Fußnote 71: Mit dem Worte Kubba bezeichnet man eine viereckige
+ Räumlichkeit mit gewölbtem oder nach oben spitz zulaufendem Dache.]
+
+Mittelst eines Thores gelangt man aus dieser Sauya in die eigentliche Stadt
+Uesan; eine enge Strasse windet sich den Berg hinan, überall kleine Läden,
+hier findet man siedende Sfindj (in Oel gebackene Kuchen), dort werden
+Kiftah (Leber und Fleischstückchen) über Kohlenfeuer geröstet, hier werden
+Fische gebacken, dort liegen flache Brode aus: es ist dies die
+Garküchenstrasse, sie geht allmälig in die Gasse der Oelhändler über,
+welche zugleich Butter und braune Schmierseife (diese wird in Marokko
+bereitet), eingemachte Oliven und Chlea (in Butter eingeschmortes Fleisch)
+verkaufen. Grosse Thorwege der auf die Strasse mündenden Häuser zeigen uns
+Fonduks (marokkanische Gasthöfe), und die zahlreichen Esel, Maulthiere und
+Kameele, die man im Innern erblickt, sagen, dass hier viel Leben und
+Treiben herrscht.
+
+So ist es auch in der That! Die grossen Schaaren von Pilgern, welche
+täglich in Uesan zusammenströmen, ziehen viele Kaufleute herbei. Die
+Pilger, die in der Sauya eine dreitägige Gastfreundschaft geniessen,
+bleiben oft noch länger, sie haben Waaren oder Kleinigkeiten zum Verkauf
+mitgebracht, andererseits wollen sie Uesaner Gegenstände erhandeln. Man
+kann sich denken, dass Alles was von Uesan kommt für besonders gut gilt,
+die Frau zu Hause will Brod vom "dar demana" haben, oder ein Stück Zeug,
+der Sohn muss eine hölzerne Schreibtafel vom ssuk es Uesan (Markt von
+Uesan) haben, dann prägt er sich die Koransprüche viel leichter ein, der
+Grossvater muss einen neuen Rosenkranz von Mulei Thaib haben und die echten
+werden nur in Uesan verkauft.
+
+Zahlreiche kleine Kaffeehäuser, mit heimlichen Zimmerchen, wo "Kif"[72]
+geraucht wird, liegen allerorts zerstreut und meist an den schönsten
+Punkten der Stadt, welche übrigens, wohin man sieht, über paradiesische
+Gegenden das Auge schweifen lässt. Viele dieser Kaffeehäuser, wie überhaupt
+die meisten Buden, gehören Sidi zu, der sie vermithet oder auch an seine
+Günstlinge temporär zum Ausnutzen überlässt.
+
+ [Fußnote 72: Kif heisst eigentlich Ruhe, Wohlergehen, wird aber von
+ den Marokkanern auf das Kraut Cannabis indica übertragen, welches
+ jene Ruhe, mit der ein starker Rausch verbunden ist, hervorbringt.]
+
+In einigen dieser Kaffeehäuser wird sogar zur Traubenzeit Wein, und fast zu
+allen Zeiten Schnaps, der von Gibraltar her importirt wird, verkauft. Denn
+auch hierin offenbart Uesan seine Aehnlichkeit mit andern religiösen
+Städten, dass es ein Ort der Laster und Schwelgerei ist. Wie häufig sah ich
+Schürfa, die nächsten Anverwandten Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalams in einem
+total betrunkenen Zustande. Aber ebensowenig wie die grössten
+Ausschweifungen, die gröbsten Verstösse gegen Sitte und Religion, je Rom
+den Charakter einer heiligen Stadt genommen haben, ebensowenig leidet der
+Ruf Uesans darunter. Der Grossscherif selbst hat bei Lebzeiten seines
+Vaters der Flasche fleissig zugesprochen, und ob er nicht noch manchmal im
+Innersten seines Hauses, an der Seite seiner Günstlinge dem Bacchus opfert,
+wer wollte darauf mit Gewissheit Nein sagen? Oeffentlich freilich ist er
+jetzt die Enthaltsamkeit selbst, er raucht nicht, er schnupft nicht, er
+nimmt weder Kif noch Opium (beides, obschon ebenso religionswidrig wie
+Weintrinken, wird in Marokko keineswegs für sehr sündhaft gehalten),
+kurzum, äusserlich lebt er sehr streng nach den Vorschriften des Islam, wie
+duldsam er aber ist, geht daraus hervor, dass er, sobald ich mit ihm und
+seinen Günstlingen allein war, uns erlaubte, in seiner Gegenwart zu
+rauchen.
+
+Kommt man noch weiter in die Stadt, so hat man die Kessaria vor sich, d.h.
+die Strassen, wo Kleidungsstücke Tuche, Baumwollenzeuge und Wollfabrikate
+verkauft werden. Hier sieht man auch jene schönen in ganz Marokko bekannten
+Djelaba Uesania ausbieten, Ueberwürfe aus feinster weisser Wolle gewebt.
+Man durchschreitet die Atharia, d.h. die Strassen, wo Gewürze, Essenzen und
+Kramwaaren feil geboten werden, und befindet sich nun vis à vis der grossen
+Moschee von Mulei Abd-Allah Scherif.
+
+Diese Djemma ist eine der berühmtesten im ganzen marokkanischen Reiche,
+hier liegt der Gründer Uesans, der Stifter der Sauya, die heute dar demana,
+d.h. Zufluchtsort fürs ganze Reich[73] ist, begraben. Wie alle
+marokkanischen Moscheen bildet ein grosser Hofraum, dann verschiedene
+Säulenreihen, deren Gallerien man Schiffe nennen kann, die architektonische
+Anordnung. Ausser Mulei Abd-Allah liegt der Hadj el Arbi, der Vater des
+jetzigen Grossscherifs, in der Moschee begraben. Ein kostbarer Sarkophag
+mit Tuch überhangen, birgt in einer Nebencapelle die irdischen Reste dieses
+grossen Heiligen. In der That war kein Abkömmling des Propheten so
+wunderthätig wie der Vater Sidi's, namentlich soll er die Gabe gehabt
+haben, die Fruchtbarkeit der Weiber zu vermehren. Er selbst hatte freilich
+nur einen Sohn, den jetzigen Grossscherif, der ihm im späten Lebensalter
+von einer Sklavin geboren wurde.
+
+ [Fußnote 73: Häufig entfliehen Leute ans den Gefängnissen des
+ Sultans, gelingt es ihnen Uesan zu erreichen, wo sie sich entweder
+ in das Grabgewölbe eines Heiligen flüchten, oder zu den Füssen des
+ Pferdes des Grossscherifs legen, so werden sie immer begnadigt.
+ Schwere Verbrecher dürfen aber die Sauya nicht mehr verlassen, sonst
+ sind sie vogelfrei.]
+
+Wie gross aber von jeher Macht und Ansehn der Schürfa von Uesan gewesen
+ist, geht am besten aus einer Beschreibung von Ali Bey hervor T.I. p. 269:
+Je parlerai ici des deux plus grands saints qui existent maintenant dans
+l'empire de Maroc: l'un est Sidi Ali Ben-Hamet qui réside à Wazen (dies ist
+der Grossvater Sidi's und Wazen ist englische Schreibart für Uesan) etc.
+Ferner p. 270: J'ai déjà remarqué que ce don de sainteté était héréditaire
+dans certaines familles (A. Bey bestätigt hier meine oben angeführte
+Thatsache von der mohammedanischen erblichen Heiligkeit). Le père de Sidi
+Ali était un grand saint, Ali l'est à présent et son fils aîné commence à
+l'être aussi.
+
+Ausser diesen Hauptstadttheilen sind dann noch verschiedene Strassen, wo
+Handwerke betrieben werden: hier werden gelbe Pantoffeln, dort rothe
+Frauenschuhe verfertigt, hier arbeiten Sattler, dort sind Schmiede, hier
+wird gedrechselt, dort wird geschneidert; überall halten sie die
+verschiedenen Handwerke beisammen. Auch eine Mälha, d.h. ein Judenquartier,
+giebt es, und warum auch nicht, hatte nicht Rom auch sein Ghetto? Es giebt
+keine marokkanische Stadt, ja es giebt keine marokkanische Oase in der
+Sahara, wo nicht Juden wären[74].
+
+ [Fußnote 74: In Tuat, welches politisch zu Marokko gerechnet wird,
+ sind allerdings keine Juden, Tuat aber liegt geographisch ausserhalb
+ Marokko's, es gehört seiner Lage nach zu Algerien.]
+
+In Uesan unter dem milden Scepter Sidi's lebten die Juden ziemlich
+erträglich, aber in anderen Städten Marokko's Israelit sein, heisst die
+Hölle hier auf Erden haben. Dennoch dürfen sie auch in Uesan keinen rothen
+Tarbusch tragen, sondern nur einen schwarzen, sie dürfen die Oeffnung des
+Burnus nicht wie die Muselmanen nach vorn tragen, sondern müssen dieselbe
+auf der Seite haben, sie dürfen keine gelbe oder rothe Pantoffeln, sondern
+nur schwarze und auch diese nur in ihren Häusern und in der Mälha tragen.
+Sie müssen, sobald sie einem Gläubigen begegnen, links ausweichen, endlich
+sind ihnen verschiedene Strassen, wie bei der Hauptmoschee oder bei den
+Grabstätten der Heiligen vorbei, gänzlich untersagt. Sie dürfen ausserdem
+in den Städten und Oertern nie ein Pferd besteigen und müssen jeden
+Mohammedaner mit "Sidi," d.h. "mein Herr," anreden. Man könnte Seiten
+vollschreiben, wollte man all die Vexationen, die Erniedrigungen und
+Demüthigungen, welchen die Juden in Marokko unterworfen sind, aufschreiben.
+
+v. Augustin[75] sagt p. 129: "Auf dem Markte müssen sich die armen Juden
+die empörendsten Erpressungen von den Marokkanern gefallen lassen, und
+unter ihren Bedrückern stehen obenan die Garden des Sultans, welche sich
+alle möglichen Frechheiten erlauben. Nicht selten reisst ein solcher
+Halbmensch dem Juden eine Waare aus den Händen, welche dieser eben einem
+Käufer vorzeigt, und hat dieser selbst nicht die feste Absicht sie zu
+kaufen und wehrt sich gegen solche Eingriffe, so schreitet jener
+unbekümmert und laut lachend mit seinem Raube fort, trotz des
+Jammergeschreies, welches ihm von dem Beraubten nachtönt, welcher aber
+dennoch seine Bude nicht verlassen darf, um den Räuber zu verfolgen, weil
+sie sonst in wenigen Augenblicken rein ausgeplündert wäre. Wagte er es
+aber, sich thatsächlich zu widersetzen, so kann er sich versichert halten,
+halbtodt geschlagen zu werden, oder man führt ihn zum Kadi, wo er Unrecht
+bekommen muss, da kein Jude einen Mohammedaner schlagen darf."
+
+ [Fußnote 75: Marokko in seinen geographischen etc. Zuständen, von
+ Frhrn. v. Augustin, Pesth 1845.]
+
+Man kann die Bevölkerung von Uesan auf 10,000 Einwohner rechnen, wenn man
+die der Dörfer Rmel und Kascherin, die mit Uesan zusammenhängend sind,
+hinzurechnet. Von diesen sind etwa 800 bis 1000 Juden. An manchen Tagen
+vermehrt sich die Bevölkerung um einige 1000 Pilger, namentlich zur Zeit
+der grossen Feste.
+
+Die Tendenz des jetzigen Sultans von Marokko, Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rahman,
+ist darauf aus, den Einfluss der Schürfa so viel wie möglich
+einzuschränken, und so hat er es denn auch durchgesetzt, dass gegenwärtig
+ein Kaid und einige Maghaseni (Reiter von der regelmässigen Cavallerie des
+Sultans, die in Friedenszeiten auch zu Polizeidienst gebraucht werden),
+welche die Regierung des Sultans repräsentiren sollen, in Uesan wohnen. Ihr
+Einfluss ist aber gleich Null, und sie selbst sind angewiesen, in wichtigen
+Sachen die Entscheidung Sidi's einzuholen. Wie einflussreich beim
+marokkanischen Gouvernement der Grossscherif von Uesan ist, geht allein
+schon daraus hervor, dass kein marokkanischer Kaiser anerkannt wird, wenn
+er vorher nicht gewissermassen die Weihe vom Grossscherif von Uesan
+erhalten hat. Als nach dem Tode des Sultans Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Hischam
+verschiedene Bewerber um den Thron von Fes auftraten, und namentlich der
+älteste Sohn des Sultan Sliman, ein gewisser Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Sliman,
+mit viel grösseren Rechten zur Nachfolge hervortrat, verdankte Sidi
+Mohammed seine rasche Besteigung des Thrones nur dem Umstände, dass
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam ihm nach Mekines entgegen reiste und durch seine
+Anerkennung (er stieg von seinem Pferde und führte das edle Ross dem Sultan
+zu Fuss entgegen, der es bestieg und dann sein Pferd dem Grossscherif zum
+Geschenk machte) alle Mitbewerber aus dem Felde schlug.
+
+Der Einfluss des Grossscherifs ist indess nicht bloss deshalb so gross,
+weil er der directe Nachkomme Mohammeds, sondern weil er der reichste Mann
+im ganzen Kaiserreich Marokko ist. Es giebt in Marokko keinen Tschar,
+keinen Dnar, keinen Ksor[76], in dem der Grossscherif nicht eine
+Filialsauya oder einen Emkadem hätte. Die Emkadem sind angewiesen, in ihren
+Sprengeln jährlich Geld zu sammeln, das, wie der Peterspfennig nach Rom, in
+die Gasse Sidi's nach Uesan fliesst. In der ganzen Provinz Oran, in der
+Oase Tuat sind fast alle Mohammedaner "Fkra," d.h. "Anhänger" Mulei Thaib's
+von Uesan. Der reelle Einfluss geht bis Rhadames im Osten, bis Timbuktu im
+Süden. Aber selbst in Alexandrien, in Aegypten, in Mekka, in Arabien, sind
+Sauya des Grossscherifs von Uesan.
+
+ [Fußnote 76: Ksor, Ortschaften in den Oasen.]
+
+Um den Glauben der Mohammedaner, d.h. die Opferwilligkeit, wach zu halten,
+werden jährlich zahlreiche Schürfa, die nächsten Verwandten Sidi's in die
+ganze mohammedanische Welt geschickt, um die Wunder und Herrlichkeit Uesans
+zu verkünden. Sidi beklagte sich bitter, dass die Franzosen in letzter Zeit
+den Schürfa von Uesan verboten hatten, in Algerien ihre Rundreisen zu
+machen. Es hat dies aber seinen guten Grund, zum Theil wollen damit die
+Franzosen verhüten, dass so viel Geld ausser Landes geht, zum Theil aber
+hatten die Schürfa sich in Politik gemischt, die Gläubigen gegen ihre
+ketzerischen Herren aufgereizt, was die algerische Regierung sich natürlich
+nicht gefallen lassen konnte.
+
+Während der ganzen Zeit meines Aufenthalts erfreute ich mich der grössten
+Zuneigung und Gastfreundschaft des Grossscherifs.
+
+Ich musste fast den ganzen Tag mit ihm zubringen, von Morgens früh, wo er
+mich rufen liess, Kaffee mit ihm und seinen Günstlingen zu trinken, bis
+Abends, wo er sich in seine Wohnung zurückzog. Wenn ich manchmal Zeuge war,
+wie er im selben Augenblicke den Leuten, die soeben ihr Geld, ihre
+Kostbarkeiten ihm geopfert hatten, mit ernstester Miene den Segen
+ertheilte, und dann, sobald sie den Rücken gekehrt hatten, sich über sie
+lustig machte, auch wohl sagte: "was für Thoren sind diese Leute, mir ihr
+Geld zu bringen", so dachte ich den aufgeklärtesten Mann vor mir zu haben,
+andererseits sah ich aber so viele Thatsachen, wo er von seiner eigenen
+Macht, von seinem besseren "Sein" überzeugt war, dass es mir schwer wurde,
+diese Widersprüche zu erklären.
+
+Aber Alles dient in Uesan dazu, von Jugend auf dem Grossscherif
+einzuprägen, dass nicht nur die Mohammedaner, die vor Gott allein
+Gläubigen, sondern dass unter den Mohammedanern die Araber (der Koran darf
+z.B. bei allen mohammedanischen Völkern nur arabisch gelehrt werden) das
+auserwählte Volk sind, dass im auserwählten Volk die Schürfa als Nachkommen
+Mohammeds den vorzüglichsten Platz einnehmen, und dass unter den Schürfa
+wieder der directeste Nachkomme der von Gott am meisten Bevorzugte ist. In
+dieser Art und unter dieser Auffassung wird der Sohn Sidi's erzogen.
+Dieser, Namens Sidi-el-Arbi, entwickelte denn auch zu der Zeit schon ganz
+den Stolz und Eigendünkel, den eine solche Lehre hervorbringen muss. Dass
+trotzdem bei Sidi sowohl als auch, wie es den Anschein hatte, bei seinem
+ältesten Sohne, Sidi-el-Arbi, Herzensgüte und eine gewisse Bescheidenheit
+nicht unterdrückt werden konnte, ist wohl darin zu suchen, dass immer
+fremdes Blut in die Familie kommt, wie denn Sidi's Mutter, wie schon
+gesagt, eine Haussa ist. Es beruht dies auf dem Gesetz der Erblichkeit,
+denn während Hochmuth, Eigendünkel etc. väterlicherseits mitgebracht wird,
+können andererseits die Eigenschaften, welche von mütterlicher Seite in die
+Familie kommen, nicht unterdrückt werden.
+
+Dass aber der spanische Krieg auch keineswegs nachhaltend civilisatorisch
+auf den Grossscherifs wirkte, sah ich daraus, dass er, als ich später
+wieder Uesan besuchte, seine christliche Militairuniform abgelegt hatte,
+und dafür sich mit einer Djelaba wie die übrigen Schürfa kleidete. Er
+mochte, wohl recht haben; auf meine Frage nach dem Beweggrund, erwiederte
+er: sein Ansehen leide, und er müsse, um die Gelder reichlich fliessen zu
+machen, dem Volke in seinen Vorurtheilen nachgeben.
+
+Die Haltung des Grossscherifs hat aber natürlich auf das ganze Leben und
+Treiben in Uesan den grössten Einfluss. Und wenn wir auch Fortschritte in
+Tanger und Mogador constatiren können, wo die grössere Frequenz mit Europa
+neben Hotels in ersterer Stadt sogar Dampffabriken ins Leben gerufen hat,
+wo man angefangen hat, den Christen heute mit den Gläubigen eine
+gleichberechtigte Stellung einzuräumen, so braucht man solche Fortschritte
+von Uesan nicht zu fürchten. Sollte es einem Europäer heute gelingen, nach
+dieser heiligen Stadt hinzukommen, er kann sicher sein, Uesan el dar demana
+so zu finden, wie es geschildert ist, d.h. auf demselben Standpunkte der
+Bildung, auf dem es sich seit Jahrhunderten schon befunden hat: man glaubt
+sich ins volle Mittelalter zurückversetzt.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+7. Eintritt in marokkanische Dienste.
+
+ * * * * *
+
+Ich blieb nicht lange in Uesan, trotzdem "Sidi" wollte, ich sollte ganz bei
+ihm bleiben; als er dann aber mich fest zum Weitergehen entschlossen sah,
+stellte er auf liebenswürdige Art ein Maulthier zur Disposition, und
+empfahl mich einem Kaufmann aus Uesan, der ebenfalls nach Fes reisen
+wollte. Abends vorher, ehe ich Uesan verliess, musste ich im Hause dieses
+Kaufmanns zubringen, um die Zeit nicht zu verschlafen; der Hadj Hammed, so
+heisst der Mann, war ein grosser Freund von Musik und hatte als
+Abschiedsfest verschiedene Freunde geladen, die auch alle musikalisch
+waren. Man kann sagen, dass eine Art Soirée musicale abgehalten wurde, denn
+Hadj Kassem, ein alter graubärtiger Musikus aus Lxor, berühmt in Marokko
+wegen seiner Spielfertigkeit auf dem Alut, wie Liszt bei uns auf dem
+Klavier, war auch zugegen, andererseits war sein Schüler, ein Neger Ssalem,
+ein fast ebenso bedeutender Künstler auf der Violine wie weiland Paganini,
+auch anwesend. Man denke aber ja nicht in Marokko an Flügel, Klaviere,
+Harmonium oder dergleichen, denn wenn auch Sidi sich solche Instrumente
+hatte kommen lassen, wenn auch beim Sultan dergleichen zu finden sein
+möchten, so kennt das Volk sie nicht. Ich glaube kaum, dass das
+marokkanische Volk für unsere Musik Verständniss haben würde; wenn es
+musikalisch denken könnte, wenn es überhaupt ein Urtheil abgeben könnte,
+würde es vielleicht unsere Musik mit "Zukunftsmusik" bezeichnen.
+
+Ich konnte an dem Abend sämmtliche Instrumente, deren sich die Marokkaner
+bedienen, kennen lernen. Eingebürgert von europäischen Instrumenten hat man
+Guitarre, Violine und Violoncell, welch letzteres in Marokko als Bass
+dient. Ausser diesen hat man ähnliche abenteuerlicher Art, und im Lande
+selbst angefertigte Instrumente![77] Da ist das Saiteninstrument "Alut",
+eine Art Guitarre, nur mit gewölbtem Boden, es hat auf den vier Saiten die
+Laute g, e, a, d. Da ist ein Streichinstrument mit zwei Saiten, "Erbab"
+genannt, von dem der Hals auch hohl und resonirend ist, es hat die
+Grundlaute d, a; der Fiedelbogen dazu besteht aus einem Bogen so gross wie
+eine Hand, und die Streiche dazwischen haben nur eine Spannung von etwa 4
+bis 5 Zoll. Endlich hat man noch eine grössere Art "Kuitra" mit drei
+Saiten, dem Cello entsprechend, mit den Tönen d, h, g. Als Blasinstrumente
+besitzen die Marokkaner das "Schebab", eine kurze Flöte mit verschiedenen
+Löchern; die "Rheita", ein kleines Instrument mit clarinetartigen Tönen,
+endlich eine grosse Posaune, "El-Bamut" genannt. Trommeln verschiedener
+Form und Grösse, Schellen u. dgl. vervollständigen die Liste der
+Instrumente. Dass ein Unterschied in der Anwendung der Instrumente Seitens
+der Araber, Juden und Neger bestände, wie Höst bemerkt haben will, ist mir
+nie aufgefallen. Von allen Instrumenten ist die "Rheita" allein das,
+welches einen angenehmen Ton hervorbringt. Unsere europäischen Instrumente,
+Violine, Guitarre u.s.w. werden von ihnen auf ohrzerreissende Art
+behandelt. Das eigentliche Nationalinstrument der Marokkaner ist aber die
+"Gimbri", ein kleines zweisaitiges Instrument, eine Guitarre oder Violine
+im Kleinen. Der Resonanzkasten ist gemeiniglich nicht grosser als 4 oder 5
+Zoll Durchmesser, irgend eine trockne Kürbisschale oder auch ein aus Holz
+geschnitztes Becken ist gut dazu, ein Stück dünnes Leder oder Pergament
+wird darüber gespannt, ein Stiel daran befestigt und die Saiten aufgezogen.
+Jeder verfertigt es selbst, meist ist e und a Grundton. Die "Gimbri" wird
+nicht gestrichen, aber auch nicht einfach mit den Fingern geknipst, sondern
+man bedient sich dazu eines Hölzchens, wie bei uns es die Klavierstimmer
+haben, um über die Saiten dieses Instrumentes zu fahren. Bei grösseren
+Concerten findet übrigens die Gimbri keine Anwendung.
+
+ [Fußnote 77: Siehe Höst p. 260, der Abbildungen von verschiedenen
+ marokkanischen Instrumenten giebt.]
+
+Wenn _uns_ nun aber auch Alles wie Katzenmusik vorkommt, so muss man
+doch keineswegs glauben, dass die Marokkaner ganz ohne musikalisches Gefühl
+sind, nur sind eben ihre Empfindungen für Musik anders als unsere. Was für
+uns Harmonie und Consonanz ist, hören sie als Dissonanz, ohne aber deshalb
+in ihrer eignen Musik gewisser Regeln zu entbehren.
+
+Der Abend ging angenehm hin; hatte ich auch keinen musikalischen Genuss, so
+war doch Alles neu. Mit dem Spielen der Stücke war immer Gesang verbunden.
+Und auffallend war es mir, dass je mehr Jemand näselte oder Fisteltöne
+hervorbrachte, er desto mehr bewundert wurde.
+
+Früh am andern Morgen wurde aufgesessen, ich ritt ein gutes Maulthier. Wie
+Spanien ist Marokko das Land der Maulthiere, die meist braun oder grau von
+Farbe sind. Die guten Maulthiere sind theurer als die guten Pferde, aber
+nicht so theuer wie die besten Pferde. Man kann schon für 30 bis 40
+französische (Fünffranken-) Thaler ein gutes Pferd kaufen, aber unter 60
+bis 80 Thaler kein starkes gutes Maulthier bekommen. Edle Pferde, wie sie
+der Sultan besitzt oder vornehme Schürfa und Kaids, werden aber selbst in
+Marokko bis 1000 Thaler geschätzt. Dies ist die Summe, welche mir als die
+höchste angegeben wurde.
+
+Zu Pferde oder Maulthier braucht man von Uesan nach Fes anderthalb Tage,
+aber da die Hitze jetzt immer grösser wurde, die Wege sehr schlecht waren,
+und weil Hadj Hammed unterwegs allerlei Geschäfte abzuschliessen hatte,
+brauchten wir drei Tage. Er machte Einkäufe, oder auch bekam hier ein
+Töpfchen mit Butter, dort einige Eier zum Geschenk, was zur Folge hatte,
+dass zuerst sein, dann auch mein Maulthier so beladen war, dass wir beide
+zu Fuss gehen mussten. Man kann sich einen Begriff von der Macht und dem
+Reichthum Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's machen, wenn ich anführe, dass fast
+alles Land bis dicht vor Fes _sein persönliches Eigenthum_ ist.
+Dennoch glaube ich kaum, dass er viel baares Vermögen besitzt, da die
+grosse Zahl der Pilger, welche in Uesan auf liberalste Weise bewirthet
+werden, wieder Alles verausgaben macht.
+
+Die ganze Gegend, welche man durchzieht, ist gebirgig und aufs reichste
+angebaut, Getreidefelder von Weizen und Gerste wechseln ab mit
+Olivenwaldungen, Gärten bestanden mit Orangen, Granaten, Aprikosen,
+Pfirsichen, Quitten, Mandeln, Feigen und Weinreben, lachen am Wege. Man hat
+zwei bedeutende Wasser zu überschreiten, den Ued Uerga, ungefähr auf halbem
+Wege zwischen Uesan und Fes, circa sieben Stunden von letzterer Stadt
+entfernt, und den Sebu. Beide waren so bedeutend angeschwollen, dass wir
+mit einer Fähre übersetzen mussten. Die Fähren waren ebenfalls Eigenthum
+des Grossscherifs von Uesan.
+
+Abends 5 Uhr des dritten Tages waren wir endlich vor Fes, der Hauptstadt
+des Landes. Mich überwältigte fast der Anblick der ausgedehnten
+Häusermasse, aus denen hier und da hohe Sma (Minarets) hervorragten. Wir,
+zogen rasch durch die lange Strasse dahin und ich wurde derart zur
+"Mhalla", d.h. der Zeltlagerung der Soldaten geführt. Für einen Obersten
+der Armee, Hadj Asus, hatte ich ein Empfehlungsschreiben des Grossscherifs.
+Nicht nur wurde ich gut aufgenommen, sondern Hadj Asus, dessen Zeltgenosse
+und Gast ich bleiben musste, versprach mir schon für den folgenden Tag eine
+Anstellung.
+
+Am andern Tage war grosse Revue vor dem Sultan; die ganze regelmässige
+Armee, circa 4000 Mann, musste in ziemlich guter Ordnung vor dem unter
+einem Baldachin sitzenden Sultan vorbeidefiliren; sobald eine Abtheilung in
+unmittelbare Nähe des Sultans kam, riefen sämmtliche Soldaten "Allah ibark
+amar Sidna", "der Herr segne die Seele unseres gnädigen Herrn". Die
+Anführer selbst präsentirten die Säbel, prosternirten sich und küssten den
+Boden. Sobald die Abtheilung des Hadj Asus herankam, defilirt und gerufen,
+und dann Hadj Asus seinen Gruss verrichtet hatte, wurde er in die Nähe des
+unbeweglich dasitzenden Sultans gerufen. Ursache war, dass ich mich seinem
+Zuge angeschlossen hatte, und mit Offizieren und Soldaten den Parademarsch
+mitmachte. Natürlich musste meine Erscheinung Aufsehen erregen, denn ich
+hatte einen ziemlich langen schwarzen Ueberrock an, der bis auf die Kniee
+reichte, darunter guckte die Unterhose kaum hervor, gelbe, recht abgenutzte
+Pantoffeln und ein rother Fes, das war meine übrige Bekleidung. Hadj Asus
+kam freudestrahlend zurück.
+
+Der Sultan hatte sich in der That über meine Persönlichkeit informirt; Hadj
+Asus hatte ihm gesagt, ich sei zum Islam übergetreten, habe vom
+Grossscherif eine Empfehlung gebracht und wünsche in die Armee als Arzt
+einzutreten: ein "Achiar" (Fi el cheir, d.h. das ist gut) war die Antwort
+des Sultans gewesen, und Hadj Asus war den ganzen Tag über ausser sich über
+das Glück, vom Sultan angeredet worden zu sein.
+
+Nach der Parade wurde ich sodann dem Kriegsminister vorgestellt, einem
+Schwarzen, Si Abd-Allah genannt, der besondere Meldungen unter einem
+schirmartigen Zelte sitzend entgegennahm. Er war sehr zufriedengestellt
+über meine Antworten und sagte, dass ich am folgenden Tage meine Anstellung
+zu erwarten habe. Am folgenden Tage wurde ich denn auch benachrichtigt, ich
+sei zum obersten Arzte der ganzen Armee seiner Majestät ernannt.
+
+Als Obliegenheit wurde mir bezeichnet, alle Soldaten, die sich krank
+meldeten, zu untersuchen und zu behandeln. Die Medicamente hatten sie von
+mir zu bekommen, mussten aber dafür zahlen, da mir überhaupt von der
+Regierung auch keine zur Disposition gestellt wurden. Mein Gehalt war
+täglich auf 2-1/2 Unzen angesetzt, ungefähr 3 bis 4 Groschen. So klein das
+nun auch klingt, so sind doch die Verhältnisse in Marokko derart, dass man
+damit recht gut existiren konnte, zumal mir volle Freiheit blieb,
+Privatpraxis zu treiben, wo und soviel ich wollte. Man kümmerte sich
+überdies nicht viel um mich. Mein Quartier hatte ich vorläufig beim Hadj
+Asus behalten; wenn ich aber den ganzen Tag von der "Mhalla" abwesend war,
+fragte Niemand danach. Ich sollte ein Pferd, Maulthiere, Diener zur
+Disposition erhalten, habe dieselben doch nie bekommen. Meine Nahrung hatte
+ich mir selbst zu beschaffen, es war das freilich meine wenigste Sorge,
+heute war ich Gast bei diesem, morgen bei jenem. Wenn gerade keine
+Hungersnoth in Marokko ist, hat ein lediger Mann dafür nicht zu sorgen.
+
+Nach einigen Tagen liess der Baschagouverneur von Fes, Ben-Thaleb, mich
+rufen. Er hatte von der Ankunft eines europäischen Arztes gehört, und
+selbst an chronischem Asthma leidend, bat er mich ihn zu behandeln, zu
+gleicher Zeit aber auch bei ihm Wohnung zu nehmen. Ich nahm diesen
+Vorschlag mit Freuden an. Hadj Asus hatte nichts dagegen, dass ich beim
+Bascha wohnte; dieser, einer der reichsten und einflussreichsten Beamten
+des ganzen Kaiserreiches, hatte wohl Anspruch auf seine Rücksicht.
+
+Um die Zeit kam denn auch Joachim Gatell, der vorhin erwähnte Spanier, der
+den Namen Smaël angenommen hatte, nach Fes. Er wurde Si-Mohammed-Chodja,
+einem andern Commandanten der regelmässigen Truppe zugetheilt, und erhielt
+bald darauf ein selbstständiges Commando über die Artillerie. Später
+sollten wir genauer mit einander bekannt werden, als es jetzt der Fall war.
+Denn der Sultan hatte nach Verlauf von ungefähr vier Wochen Befehl zum
+Aufbruche gegeben. Es war die Zeit des Residenzwechsels gekommen und der
+Sultan beschloss, das Hoflager und die "Mhalla" nach Mikenes zu verlegen.
+Natürlich durfte ich nun auch nicht in Fes bleiben, da alle Truppen mit
+Ausnahme derer, welche den beiden Gouverneuren beigegeben waren, mit dem
+Sultan fort mussten.
+
+Schwer würde es sein, ein richtiges Bild von diesem eigenthümlichen
+Ausmarsche zu entwerfen. Alles lief bunt durcheinander. Da waren die
+sogenannten regelmässigen Soldaten, in Begleitung ihrer Weiber (fast jeder
+Soldat ist verheirathet), Kinder und Sklaven. Kaufleute drängten sich
+dazwischen, hier bot einer Brod feil, hier Zwiebeln, dort hatte ein anderer
+ein Brettchen mit verschiedenen Fächern und Schachteln darauf; eine
+ambulante Gewürzkrambude, Zimmt, Pfeffer, Nelken u. dgl. war da zu haben.
+Hier bot einer Fleisch, dort Fische feil. Und da kam der Sultan selbst
+daher, ein grosser glänzender Haufe, die Minister, die höchsten Beamten des
+Landes umgaben ihn, ein langer, langer Tross beladener Maulthiere und
+Kameele folgte. Dann der Harem, über hundert Frauen und junge Mädchen,
+dicht verschleiert auf Maulthieren daherreitend, diese allein eine
+geschlossene Masse bildend, denn auf schnellen Pferden hielten die Eunuchen
+diese Lieblingsweiber des Herrschers zusammen. Es war dies gewissermassen
+der ambulante Harem des Sultans, die schönsten, jüngsten und fettesten
+Frauenzimmer der vier Harems von Fes, Mikenes, Arbat und Maraksch, meist
+Kinder von 12 bis 15 Jahren. Endlich kam die grosse Abtheilung der
+Maghaseni, der unregelmässigen jedoch besoldeten Cavallerie; es mochten
+wohl 10000 Pferde zugegen sein. Man denke sich nun diesen Menschen- und
+Thierknäuel ohne Ordnung und einheitliche Leitung in Bewegung, der eine
+schnell, der andere langsam, der hier marschirend, der dort, dieser hier
+laufend, jener langsam seinen Weg fortsetzend, wie ein Jeder es eben für
+gut fand.
+
+Als wir, ich befand mich unter den Ersten, Mikenes erreichten, war der
+ganze Weg zwischen Fes und Mikenes noch mit Menschen und Thieren
+überschwemmt, denn als die ersteren in letzterer Stadt eintrafen, waren
+noch lange nicht alle von Fes aufgebrochen. Zwei Tage dauerte es, bis die
+ganze Armee, vielleicht in allem etwa 40,000 Menschen, eingetroffen waren,
+und das Terrain zwischen beiden Städten ist derart eben und schön, derart
+ohne alle Hindernisse, dass man fortwährend mit mehreren Armeen, fast
+möchte ich sagen im Frontmarsche von einer Stadt zur andern marschiren
+kann. Die Armee lagerte an der Aussenseite der Stadt, der Sultan selbst
+bezog sein Palais.
+
+Was mich anbetrifft, gebunden, da zu sein, wo die Armee ist, hatte ich
+andererseits Freiheit genug, wohnen zu können wo ich wollte, und miethete
+deshalb in einem Funduk der Stadt ein Zimmer zum Wohnen, während ich
+andererseits ein "Hanut", Bude, in der belebtesten Strasse in Gemeinschaft
+mit einem Franzosen, Namens Abd-Allah bezog. Ich prakticirte oder hielt ein
+Polyclinicum ab. Meine Medicamente bestanden wie die der marokkanischen
+Aerzte aus einem grossen Kohlenbecken, mit Eisenstäben zum Weissglühen, aus
+grossen Töpfen mit Salben, Kampheröl, Brechpulver, Abführungsmitteln und
+verschiedenen unschädlichen gefärbten Mehlpulversorten für Hypochonder und
+hysterische Kranke. Und was nie und nirgends in Marokko gesehen war: ich
+hatte ein grosses Aushängeschild; darauf hatte Smaël (Joachim Gatell) mit
+grossen und schönen Buchstaben gemalt: "Mustafa nemsaui tobib ua djrahti",
+d.h. Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt. Es ist kaum zu glauben, welch
+Aufsehen es erregte in einem Lande, wo die Annoncen, Anzeigen,
+Aushängeschilde noch nicht etwa in der Kindheit liegen, sondern wo sie noch
+gar nicht geboren sind, ein solches Schild zu führen. Von Morgens früh bis
+Abends spät stand Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Männer und Weiber vor
+der Bude, und buchstabirten (lesen kann Niemand in Marokko, aber
+buchstabiren können alle Städter) die langen arabischen Buchstaben, welche
+zwei grosse Bogen Papier einnahmen. Der Erfolg war vollständig.
+
+Ich hatte vorhin erwähnt, dass ich mich mit einem Franzosen Namens
+Abd-Allah zusammengethan hatte, weil ich allein nicht die Miethe für die
+Bude von Anfang an zu Stande bringen konnte. Dieser Franzose, ein
+ehemaliger Spahisoffizier, war vor ungefähr zwanzig Jahren mit der Casse
+seiner Compagnie nach Marokko entflohen, hatte bei dem vorletzten Sultan
+Muley-Abd-er-Rahman gute Aufnahme gefunden, sein Geld (wie er selbst
+angab 20,000 Franken) mit liederlichen Dirnen in Saus und Braus, aber in
+einigen Jahren durchgebracht. Hernach hatte er sich dem Hofe
+angeschlossen, hatte natürlich geheirathet und lebte nun von
+mechanischen Fertigkeiten. So behauptete er, der Introducteur des
+soufflets in Marokko zu sein, und seine damalige Beschäftigung bestand
+darin, neue Püster anzufertigen, alte auszubessern. Von Zeit zu Zeit
+pflegte er nach irgend einem Hafenplatz zu gehen, von wo er sich neue
+Vorräthe holte. Ohne besonderes Wissen, trotzdem er darauf pochte,
+französischer Offizier gewesen zu sein, war er ein harmloser Mensch, was
+man nicht immer von den übrigen Renegaten sagen kann. Er war übrigens
+vollkommen durch seinen langen Aufenthalt in Marokko marokkanisirt, und
+liess den Rosenkranz auf ebenso scheinheilige Art und Weise durch die
+Finger gleiten, wie der beste Thaleb oder Faki es nur kann.
+
+Aber sonderbar genug sah unsere Bude aus, auf der einen Seite arbeitete der
+Franzose Püster, auf der andern Seite quacksalberte ich, denn so muss ich,
+wenn ich aufrichtig sein will, meine ärztliche Praxis in Marokko nennen.
+
+Das ausgehängte Plakat, dann überhaupt die Ankunft eines europäischen
+Arztes, hatten indess viel Lärm gemacht, und der Ruf davon war bis zu den
+Ohren des ersten Ministers, Si-Thaib-Bu-Aschrin, gedrungen. Eines Abends
+kamen einige seiner Diener und ergriffen meine Hand; ich hatte kaum noch
+Zeit, den Franzosen Abd-Allah zu bitten, als Dolmetsch mit zu kommen, und
+fort ging's. Wir trafen Si-Thaib gerade beim Nachtmahl mit mehreren anderen
+Beamten des Hofes, die seine Gäste waren. Im äussersten Winkel des Zimmers
+spielten drei Musikanten auf einer Rheita, Kuitra und Erbab. Si-Thaib lud
+uns beide gleich ein, mit an die Maida (kleiner flacher Tisch) zu rücken,
+aber Abd-Allah dankte für sich und mich, und wir zogen uns, während die
+hohen Würdenträger von einer Schüssel zur andern übergingen, in ein
+Nebenzimmer zurück, und bald darauf brachten uns Sklaven die angebrochenen
+Schüsseln, worin allerdings noch reichliche und recht gut zubereitete
+Speisen sich befanden, die mir aber widerlich zu berühren waren, weil jene
+Würdenträger, so hoch sie nun auch in Marokko sein mögen, mit ihren kaum
+gewaschenen Händen darin herum gerührt hatten. Anstandshalber _musste_
+ich aber einige Bissen von jeder Schüssel nehmen, und dabei nicht
+vergessen, die Grossmuth Si-Thaib's und die Güte der Speisen zu preisen.
+Abd-Allah sagte mir dann auch, es würde sehr unschicklich gewesen sein,
+hätten wir die Einladung Si-Thaib's, mit ihm zu essen, angenommen, er würde
+aber jetzt über unsere Bescheidenheit und unser Savoir-vivre hoch erfreut
+sein.
+
+Das Zimmer, worin Si-Thaib sich aufhielt, war eine sogenannte Mensa,
+d.h. ein Gemach im ersten Stocke. Lang, wie alle marokkanischen Zimmer,
+war es elegant möblirt, d.h. durch das Zimmer zog sich ein weicher
+Beni-Snassen-Teppich, und der hohen ogivischen Thür gegenüber waren noch
+andere Teppiche auf diesem. Hierauf lagen sodann wollene Matratzen und
+Kissen. Mehrere Lampen von Messing, alterthümlich gestaltet, hingen von
+der Decke des Zimmers und auch einige silberne Leuchter mit
+Stearinkerzen brannten in den Nischen. Der Plafond des Zimmers war bunt
+bemalt, und an den Wänden desselben Arabesken in Gyps.
+
+Als auch wir abgegessen hatten, wurden wir ins Zimmer gerufen und durften
+am Thee theilnehmen, der nur in kleinen aus sehr feinem Porzellan
+bestehenden Tässchen herumgereicht wurde. Si-Thaib hielt mir sodann seine
+Füsse hin und fragte mich, was Krankes daran sei. Abd-Allah, der Franzose,
+hatte mir vorher schon mitgetheilt, der Minister leide an Podagra ich hatte
+also eine leichte Mühe, ihm seine Krankheitserscheinungen zu sagen. Dennoch
+befühlte ich die Füsse vorher genau, fragte nach einigen anderen Umständen,
+um der ganzen Sache mehr Ansehen zu geben, und als ich ihm dann
+schliesslich sagte, er hätte die Ministerkrankheit (mrd el uïsirat wird in
+Marokko das Podagra genannt), war er höchst erfreut, dass ich seiner
+Meinung nach aus blossen äusseren Kennzeichen seine Krankheit erkannt
+hatte.--Er fragte mich sodann, ob ich Anhänger der heissen oder der kalten
+Mittel sei (nach Meinung der Marokkaner haben die Medicamente entweder
+erhitzende oder abkühlende Eigenschaften), und als ich mich für die ersten
+erklärte, fand ich, dass ich auch darin seinen Geschmack getroffen hatte.
+
+Si-Thaib entliess uns huldvollst und fügte beim Abschied hinzu, ich solle
+am andern Tage eine seiner Wohnungen beziehen, um ihn an seinem Podagra zu
+behandeln. Aber es sollte anders kommen, schon am folgenden Tage früh kamen
+Maghaseni vom Dar es Ssultan (Palast des Sultans) mit der Weisung, rasch
+dahin zu kommen; kaum liess man mir Zeit, die Pantoffeln anzuziehen und den
+Burnus umzuhängen. Dort angekommen, erklärte mir ein Beamter des Sultans,
+Ben Thaleb, der Gouverneur von Alt-Fes, habe an den Sultan geschrieben, ob
+ich nicht zurückkehren dürfe, um ihn zu behandeln, der Kaiser habe diese
+Bitte gewährt und ich habe auf der Stelle abzureisen. Mein Protest, nach
+Hause zurückkehren zu müssen, um meine Sachen zu holen, um die Medicamente
+mitzunehmen, um den Bekannten Lebewohl zu sagen, alles das half
+nichts; die Antwort war immer: "der Sultan hat gesagt, du solltest
+_gleich_ abreisen, also _musst_ du auch _gleich_ abreisen". Ein
+gesatteltes Maulthier stand bereit, ein Maghaseni zu Pferde war als
+Begleiter da, und so musste ich fort, wie ein Packet ohne eigenen Willen.
+Da der Sultan befohlen hatte, selben Abends noch in Fes anzukommen, wurde
+scharf geritten, und vor Sonnenuntergange war die Hauptstadt erreicht und
+bald darauf war ich wieder beim Gouverneur der Alt-Stadt.
+
+Ich hatte indess einen guten Tausch gemacht, Ben-Thaleb sorgte dafür,
+einen Dolmetsch kommen zu lassen, einen eingeborenen Algeriner Thaleb,
+Namens Si-Abd-Allah, der leidlich gut Französisch verstand, ich bekam
+eine gute Wohnung, Pferde, Maulthiere, Diener zur Disposition; Essen und
+der dazu gehörende Thee wurden vom Bascha geschickt, und ich hatte dafür
+weiter keine Verpflichtung, als mich täglich eine oder zwei Stunden mit
+dem Bascha zu unterhalten. Dass ich bei diesem mehrmonatlichen
+Aufenthalt in Fes hinlänglich Gelegenheit hatte, die Stadt kennen zu
+lernen, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+8. Die Hauptstadt Fes
+
+ * * * * *
+
+Die Hauptstadt des Sultans von Marokko ist nur von wenigen Europäern
+besucht worden, ebenso dürftig sind die Nachrichten, welche Augenzeugen
+davon gegeben haben. Am ausführlichsten, fast weitschweifig, handelt Leo
+von Fes, nächst ihm giebt eine auf eigener Anschauung beruhende
+Beschreibung der spanische General Badia (Ali Bey-el-Abassi). Alle anderen
+Berichte über Fes beruhen nur auf Kundschaft und Hörensagen.
+
+Ob der Ort, wo heute Fes steht, von den Römern bewohnt war, ist nach so
+wenigen Untersuchungen schwer zu entscheiden, aber höchst wahrscheinlich.
+Die Lage ist so ausgezeichnet, so für eine Stadt in jeder Beziehung
+anlockend, dass eine so günstige Position den Alten gewiss nicht entgangen
+ist. Ueberdies haben wir in der Nähe Punkte, welche wir mit Sicherheit als
+von den Römern bewohnte kennen. Wir erkennen die Stadt Volubilis im
+heutigen Serone, eine Stadt, die zur Zeit Leo's Gualili oder Walili hiess,
+und von der er sagt, dass sie ausser dem Grabmale vom älteren Edris nur
+drei oder vier Häuser habe. Heute nun ist Walili oder, wie sie jetzt
+genannt wird, Serone, ein Städtchen von 4-5000 Einwohnern, und das Grabmal
+Mulei Edris-el-Kebir, wie der Vater des Gründers der Stadt Fes genannt
+wird, ist noch immer ein berühmter Wallfahrtsort. Wir haben sodann in den
+Aquae Dacicae einen sicheren Anhaltepunkt in der Nähe von Fes; können wir
+uns genau auf das Itinerarium Antonini verlassen, so würden wir nicht
+anstehen, Fes das alte Volubilis zu nennen, denn die Entfernung, 16 Mill.,
+stimmt genau mit den berühmten heissen Schwefelquellen von Ain
+Sidi-Yussuf[78], die sich nördlich zu West von Fes befinden. Die Aquae
+Dacicae sollen nach dem Itinerarium Antonini 16 Mill. nördlich von
+Volubilis gelegen sein. Die alten Aquae Dacicae, jetzt Ain-Sidi-Yussuf
+genannt, sind heute noch die berühmtesten Thermalen von Marokko.
+
+ [Fußnote 78: ain = Quelle.]
+
+Die heutige Stadt Fes wurde nach Leo im Jahr 185 der Hedschra von Edris
+gegründet, dieser war ein naher Verwandter von Harun-al-Raschid und ein
+noch näherer von Mohammed selbst, denn Edris war Enkel von Ali, dem
+Schwiegersohn Mohammed's. Edris' Vater selbst ist jener
+Edris-ben-Abd-Allah, der aus Jemen gekommen war und sich in Walili
+niedergelassen hatte, sein Sohn wurde ihm erst nach seinem Tode von
+einer gothischen Sklavin geboren. Renou giebt an, Edris habe die Stadt
+793 n. Chr. gegründet, welches Jahr mit dem 177. Jahre der Mohammedaner
+correspondirt Marmol lässt Fes an Jahre 793 n. Chr. erbaut werden,
+stimmt aber irrthümlicher Weise dieses Jahr mit dem 185. Jahre der
+Hedschra. Während noch Andere für das Gründungsjahr von Fes 808 n. Chr.
+ansetzen, verlegt Dapper es auf das Jahr 801 n. Chr. Es geht hieraus
+hervor, dass wir nicht ganz mit Bestimmtheit das Jahr angeben können,
+sondern uns damit begnügen müssen, zu wissen, dass die Stadt gegen das
+Ende des 8. oder im Anfange des 9. Jahrhunderts gegründet wurde.
+
+Ebenso unbestimmt sind die Angaben, woher der Name Fes kommt. Leo leitet
+den Namen davon her, weil bei den ersten Grabstichen die Gründer Gold,
+Silber (Fodda oder Fedda) gefunden hätten; Andere meinen, die Stadt habe
+den Namen vom Flüsschen gleichen Namens, was die Stadt durchschneidet, noch
+Andere leiten den Namen der Stadt von Fes her, was im Arabischen eine
+"Hacke" bedeutet. Was die Schreibart anbetrifft, so finden wir ebensowenig
+Uebereinstimmung; Einige schreiben Fes, Andere Fas, noch Andere Fez, und
+doch dürfte Fes die alleinig richtige sein, wenn wir die arabische Schreib-
+und Aussprechungsweise zu Grunde legen.
+
+Fes liegt nach Ali Bey auf dem 34° 6' 3" nördl. Breite, dem 7° 18' 30"
+östl. Länge von Paris, und da bis jetzt keine anderen Bestimmungen
+vorliegen, so müssen wir diese festhalten.
+
+Es herrscht eine grosse Confusion über die örtliche Lage von Fes. So sagt
+Leo: "Die Stadt besteht fast ganz aus Bergen und Hügeln; nur der mittelste
+Theil ist eben, und Berge sind auf allen vier Seiten." Ali Bey: "Die Stadt
+Fes ist auf den Abhängen verschiedener Hügel gelegen, welche die Stadt von
+allen Seiten, mit Ausnahme von Norden her, umgeben." Thatsache ist, dass
+Fes, als Ganzes betrachtet, denn die Stadt besteht aus zwei vollkommen
+getrennten Städten, von allen Seiten, mit Ausnahme vom Süden her, von
+Bergen umschlossen ist. Ebenso werden die die Stadt durchziehenden Gewässer
+unter verschiedenen Namen aufgeführt, und es hat dies zum Theil seinen
+Grund darin, dass die Araber in sehr vielen Fällen für einen und denselben
+Fluss verschiedene Benennungen haben, je nach seiner Quelle, nach seinem
+mittleren oder unteren Laufe. So hat denn das kleine Flüsschen, welches
+südwestlich von Fes etwa 20 Kilometer entfernt entspringt, zuerst den Namen
+Ras-el-ma, ändert aber den Namen, sobald es die Stadt erreicht, in Ued-Fes
+um; es verbindet sich dieses Flüsschen mit einem stärkeren, aus Südost
+kommenden Flusse zwischen Neu- und Alt-Fes, und beide durchströmen nun die
+Stadt ebenfalls unter dem Namen Ued Fes, um später Ued Sebu genannt zu
+werden. Der grössere Fluss, der von Süd-Süd-Ost in Neu-Fes eindringt,
+heisst aber oberhalb der Stadt, wie ich auf meiner zweiten Reise in Marokko
+constatiren konnte, ebenfalls Ued Sebu. Wenn noch andere Namen aufgeführt
+werden für diese Wässer, als von Renou Oued el Kant'ra (Brückenfluss), von
+dem Renou glaubt, es sei dies der von Edris genannte Fluss Ued S'enhâdja,
+oder von Graberg von Hemsö Vad-el-Gieuhari und Vad-Matrusin, oder von
+Marmol Ouad-el-Djouhour (Perlenfluss), so muss ich gestehen, dass diese
+Namen mir während meines Aufenthalts in Fes nicht bekannt geworden sind.
+
+Die Stadt präsentirt sich also derart, dass sie fast mit von Norden nach
+Süden (mit etwas von Nordwest nach Südwest geneigter) gerichteter Achse
+gelegen ist und aus zwei Städten besteht, Fes-el-bali[79], Alt-Fes, und
+Fes-el-djedid, Neu-Fes. Beide Städte aber liegen keineswegs dicht neben
+einander, sondern sind durch eine zwei Kilometer lange Strasse, aufs
+dichteste von Häusern bestanden, verbunden, so dass es, von oben gesehen,
+das Aussehen hat wie zwei getrennte Städte, welche communiciren durch eine
+eng gebaute Strasse. Alt-Fes bildet den nördlichen Theil und ist mit
+Ausnahme von Süden her von Bergen umschlossen, zum Theil namentlich nach
+Osten zu an die Bergwand hinaufgebaut, Neu-Fes bildet den südlichen
+Stadttheil und liegt vollkommen in einer Ebene. Nördlich von Neu-Fes
+verbinden sich der Sebu und das von Ras-el-ma[80] kommende Wässerchen, um
+Alt-Fes zu durchfliessen, Alt-Fes wird so in zwei Hälften getheilt, durch
+sechs steinerne Brücken mit einander verbunden, die westliche Seite ist die
+kleinere. Beide Städte sind mit 30-40 Fuss hohen Mauern umgeben, welche von
+etwa 500 zu 500 Schritt mit viereckigen hervorspringenden Thürmen versehen
+sind. Die Mauern sind an der Basis zwei Meter und mehr dick, verjüngen sich
+nach oben zu einem Meter, und haben auf der Zinne einen Umgang, geschützt
+durch eine etwa 5 Fuss hohe und 1-2 Fuss dicke crenelirte Mauer. Die Thürme
+selbst sind eingerichtet, Geschütze aufnehmen zu können.
+
+ [Fußnote 79: Fes-el-bali sollte eigentlich Fes-el-kedim heissen, denn
+ das Wort kedim entspricht genau unserm "alt", während "bali" mehr
+ das "abgenützt" in sich schliesst.]
+
+ [Fußnote 80: Ras-el-ma heisst eigentlich weiter nichts als Kopf des
+ Wassers d.h. Quelle.]
+
+Die Mauer von Alt-Fes sowie die Thürme befinden sich in äusserst
+mangelhalftem Zustande, die von Neu-Fes ist besser erhalten, und ist an
+manchen Stellen eine doppelte, so namentlich nach Südwesten und Süden zu,
+wo die äussere Mauer ausserdem 80 Fuss hohe Thürme hat.
+
+Die Mauern sowohl wie die Thürme sind aus einer gegossenen oder vielmehr
+gestampften Masse aufgeführt, welche zwischen Brettern eingestampft wird
+und an der Luft, mit Kalk und Cement vermischt, eine grosse Härte erlangt.
+Die Ecken, Bogen, Seiten der Thore sind indess aus behauenen Steinen
+hergestellt, denn die Masse, so widerstandsfähig sie im grossen Ganzen auch
+ist, so leicht zerbröckelt sie doch an den Ecken und Kanten. Aus eben
+dieser Masse sind auch die meisten grossen Gebäude hergestellt, viele aber
+auch aus im Feuer gebrannten Ziegeln; gerundete Dachziegel endlich sind das
+Material, das man zur Bedeckung der Moscheen genommen hat; die Wohnhäuser
+verlangen solche nicht, da alle platte Dächer haben.
+
+Wenn auf diese Art die Stadt gegen Landesfeinde vollkommen geschützt
+erscheint--denn so sehr die Mauern auch Verfall drohen, würden sie dennoch
+Schutz gegen regellose Angriffe gewähren--, so wenig haltbar würde sich Fes
+einem Angriffe irgend einer europäischen Macht gegenüber zeigen. Selbst die
+beiden Forts ausserhalb der Stadt tragen nichts zum Schutze gegen einen
+Angriff von aussen her bei, weil sie selbst von anderen Anhöhen von
+nächster Nähe aus beherrscht sind. Das eine dieser Forts liegt im Südosten
+der Stadt auf einer Anhöhe und ist ein mit vier Bastionen versehenes
+Viereck, offenbar von ehemaligen europäischen Renegaten nach Vauban'schem
+System recht gut angelegt. Im Westen der Stadt auf der nächsten Anhöhe
+befindet sich eine Lunette, diese letztere, nach der Stadt zu in ihrer
+Kehlseite nur durch Pallisaden geschlossen, ist wie das vorhin erwähnte
+Quadrilatär aus behauenen Steinen erbaut, und beide sind überdies mit
+tiefen Gräben versehen. Ob diese Steine, welche grosse Quadern aus
+Sandstein sind, eigens zu diesen Bauten gehauen worden sind oder von alten
+Römerwerken herstammen, konnte ich nicht erfahren; wäre letzteres der Fall,
+so wäre das ein Beweis mehr, an der jetzigen Stelle von Fes eine alte
+Römerniederlassung, vielleicht Volubilis, suchen zu müssen. Keines der
+beiden Forts hatte Kanonen im Jahr 1861/62, und beide waren auch ohne jede
+Bewachung.
+
+Die Stadt Fes wird in 18 Quartiere getheilt, von denen zwei auf die
+Neustadt, die übrigen auf Alt-Fes kommen, davon hat Alt-Fes sieben Thore,
+inclusive des nach der Neustadt zu führenden, während Neu-Fes nur drei hat,
+von denen das eine auf Alt-Fes gerichtet ist. Der Länge nach wird die Stadt
+von einer Strasse durchschnitten, welche hinlänglich breit ist, denn
+überall können vier oder fünf Menschen neben einander gehen, oft auch noch
+mehr. Die Gässchen aber, die sich von dieser Hauptstrasse in die
+verschiedenen Quartiere hinschlängeln, sind äusserst schmal, manchmal so
+eng, dass zwei sich Begegnende sich an einander vorbeidrücken müssen. Es
+sind dann zahlreiche Plätze vorhanden, aber kein einziger mit Ausnahme des
+grossen Platzes in Neu-Fes, der sich vor dem Palaste des Sultans befindet,
+welcher mehr als 500 Menschen aufnehmen könnte, wenn sie dichtgedrängt bei
+einander stehen. Hierdurch erlangt die Stadt ein äusserst düsteres
+Aussehen, was noch dadurch vermehrt wird, dass kein einziges Haus nach der
+Strassenseite Fenster hat, und fast alle zwei oder drei Stockwerke hoch
+sind.
+
+Ein grosser Uebelstand ist auch der, dass man gar keine Pflasterung in Fes
+kennt, man ist im Sommer einem entsetzlichen Staube ausgesetzt und hat im
+Winter die grösste Mühe, durch den tiefen Schmutz fortzukommen. Gegen
+diesen haben allerdings die Bewohner eine eigene Art Holzschuhe erfunden
+mit 2-3 Zoll hohen Absätzen unter dem Hacken und den Fussspitzen, aber oft
+reichen selbst diese nicht aus. Auch in Tunis, wo ähnliche Verhältnisse
+während der nassen Jahreszeit sind, hat man diese Holzunterschuhe, die
+unter dem gewöhnlichen Schuhzeuge befestigt werden, und wie alt ihr
+Gebrauch ist, geht daraus hervor, dass schon Leo ihrer erwähnt.
+
+Das Innere der Häuser ist oft sehr hübsch eingerichtet, obgleich man
+natürlich an Möbel, wie sie bei uns in Gebrauch sind, nicht denken muss.
+Der Marokkaner will gar keinen Fortschritt, so wie seine Väter gelebt
+haben, will auch er leben, und Neuerungen einführen, ist die grösste Sünde.
+So sind denn auch alle Einrichtungen so, wie sie vor Hunderten von Jahren
+gewesen sind. Gelangt man durch eine starke, meist dick mit Eisen
+beschlagene Thür durch einen umgebogenen Gang[81] in das innere einer
+Wohnung, so kommt man zuerst auf einen mehr oder weniger grossen nach oben
+offenen Hofraum, der meist viereckig von Form ist. Bei Reichen und Armen
+ist dieser Raum gepflastert, oft mit Marmorfliessen (weche [welche] von
+Spanien und Portugal kommen), meist aber mit Sleadj. Es sind dies kleine
+Fliesse mit bunt glasirter Farbe, und da sie in allerlei Formen hergestellt
+werden, sternartig, dreieckig, viereckig etc., so legen die Erbauer die
+hübschesten Muster damit zusammen. Eine einzelne Sleadj ist nicht grosser
+als 1-2 Zoll Seitenlänge; man verfertigt sie in Fes selbst. Auch die
+Zimmerböden sind meist aufs reizendste mit diesen Sleadj ausgelegt.
+
+ [Fußnote 81: Ein gerader Gang darf von der Strasse nicht ins Innere
+ des Hauses führen, weil sonst, bliebe ja einmal aus Versehen die
+ Hausthür offen stehen, der Blick eines Fremden in den Hofraum fallen
+ könnte.]
+
+In der Mitte des Haushofes befindet sich ein springender oder jedenfalls
+fliessender Quell, auch in der ärmsten Wohnung fehlt er nicht. Bei den
+Reichen befinden sich zu dem Ende meist hübsche Marmorbecken, welche
+ebenfalls aus Europa bezogen werden, im Hofe. Die Vertheilung des Wassers
+in der Stadt ist nämlich so ausgezeichnet, dass Canäle weit oberhalb der
+Stadt von den Flüssen abgeleitet sind, und so auch die höchsten Stadttheile
+mit reinem Wasser versorgen. In Neu-Fes hat man an einem Canal sogar grosse
+Räder erbaut, welche, wie in Italien die Bewässerungsräder, mittelst ihrer
+eigenen vom Wasser bewirkten Umdrehung Wasser auf die Höhe schaffen. Nach
+Leo sollen diese Wasserräder schon 100 Jahre vor seiner Ankunft in Fes
+gewesen sein und von einem Genueser herrühren.
+
+Ebenso gut ist für die Abführung der Unreinigkeiten aus den Häusern
+gesorgt, das lebendige Wasser führt allen Unrath mittelst kleiner
+unterirdischer Canäle in den Ued Fes[82].
+
+ [Fußnote 82: Leo giebt an: es seien über 150 öffentliche Latrinen in
+ Fes, und sämmtliche wurden durch fliessendes Wasser von selbst
+ reingehalten. Ob so viele in Fes sind, kann ich nicht behaupten,
+ jedenfalls wird, da man in allen marokkanischen Städten, auch in den
+ Oasen, öffentliche Latrinen findet, auch wohl in Fes dafür gesorgt
+ sein. Man findet sie übrigens nicht nur mit Moscheen verbunden,
+ sondern häufig auch ganz unabhängig von solchen.]
+
+Die Zimmer der Häuser, von denen sich in der Regel drei oder vier auf den
+Hofraum öffnen, sind stets sehr lang, sehr hoch, aber auch nie breiter, als
+dass ein grosser Mensch der Breite nach darin liegen kann. Grosse und hohe
+Thüren, wie immer mit hufeisenförmigen Bogen führen zu den Zimmern; im
+Sommer und bei gutem Wetter sind sie offen, im Winter verschlossen, und man
+gelangt durch eine kleine Thür, eine Art Schlüpfthür (Poterne), welche sich
+in jeder grossen befindet, ins Zimmer. An beiden Seiten der Thür sind
+manchmal kleine viereckige, oder auch ogivische stark vergitterte Fenster,
+Glasscheiben hat man erst in letzter Zeit angefangen einzuführen, Möbel
+nach unserem Sinne sind nirgends vorbanden. Bei den Reichen findet man
+Teppiche, Wollmatratzen, feine Matten, und auch die Wände der Zimmer 3-4
+Fuss hoch mit hübschen Matten ausgeschlagen; auch manchmal Betten an den
+Enden der Zimmer auf europäischen Bettstellen, aber diese werden mehr als
+Luxus, als Schmuck betrachtet, es würde nie Jemandem einfallen, darin zu
+schlafen.
+
+Die Wände der Zimmer sind weiss ausgekalkt, aber unterhalb des Plafond
+laufen manchmal Arabesken herum, oft in Form von Koransprüchen.
+
+Die Plafonds der Zimmer sind bunt bemalt, oft azur mit Gold, oft aber auch
+mit Holzschnitzerei bedeckt oder mit Holzstückchen ausgelegt. In den Wänden
+sind häufig nischenartige Vertiefungen angebracht, welche als Schränke
+dienen; ebenso findet man bei der wohlhabenden Classe Holzschränke, oft aus
+sehr hübschen Holzschnitzwerken gearbeitet, oder mit Perlmutterstückchen,
+Elfenbein oder Ebenholzstückchen ausgelegt.
+
+Während im Hofe rings um die inneren Wände ein durch steinerne Säulen
+getragener Bogengang läuft, der zugleich Schatten gegen die senkrechte
+Sonne gewährt, dient dieser Bogengang für das zweite Stockwerk als
+Vorplatz, von dem aus man in die Zimmer gelangt; und ist noch ein drittes
+Stockwerk vorhanden, so gehen die Gallerien ebenfalls höher. Die oberen
+Zimmer unterscheiden sich in der Anordnung durch nichts von den unteren;
+ganz oben auf dem platten Dache, welches aus gestampfter und cementirter
+Erdmasse besteht, befindet sich manchmal noch ein Zimmer, Mensa genannt;
+hier geben die Frauen vorzugsweise ihre Gesellschaften. Der Zugang nach
+oben geschieht mittelst Treppen, die immer sehr schmal, und, wenn im Innern
+des Hauses, niedrig angelegt sind; aber so sehr man darauf sieht, den Raum
+in Breite und Höhe bei der Treppe zu beschränken, so wenig sieht man
+darauf, die Absätze selbst kurz zu machen; im Gegentheil, diese sind so
+hoch, dass manchmal ein ausserordentlicher Kraftaufwand erforderlich wird,
+um einen Absatz zu ersteigen.
+
+Von aussen werden die Häuser bisweilen durch anstrebende Pfeiler verstärkt
+oder durch Bogengänge auseinandergehalten; es trägt dies keineswegs dazu
+bei, die ohnehin schon schmalen Gassen passirbarer zu machen, und wo man ja
+einmal eine etwas breitere Strasse antrifft, kann man sicher sein, dass die
+Anwohner dies derart durch Ueberbauen der zweiten und dritten Etage benutzt
+haben, dass die breiteren Strassen hiedurch fast zu den dunkelsten gemacht
+sind.
+
+Nachts werden nicht nur die Stadtthore geschlossen, sondern auch die Thore,
+welche die verschiedenen Quartiere von einander trennen, und da die
+Quartiere gemeiniglich durch mehrere Strassen mit einander communiciren, so
+kann man sich denken, wie viele Thore alle Abende verschlossen werden
+müssen. Man sagt: es sei dies eine Sicherheitsmassregel, und hauptsächlich
+sei dieselbe gegen Diebe gerichtet. In der That wird dadurch alle
+Communication Nachts aufgehoben; nach dem l'Ascha (das letzte Gebet) ist es
+unmöglich, aus seiner Strasse oder seinem Quartier herauszukommen. Während
+des Chotba-Gebetes am Freitag werden ebenfalls alle Thore abgeschlossen,
+nicht nur in Fes, sondern in allen Städten Marokko's, ja im ganzen Rharb
+(die arabischen Geographen rechnen alles Land westlich vom Nil zum Rharb,
+d.h. dem Westen, alles östlich davon zum Schirg, d.h. dem Osten) herrscht
+diese Sitte, wie ich später in Rhadames, Tripolis, Bengasi, Tunis und
+anderen Städten zu erfahren Gelegenheit hatte. Es soll dies deshalb
+geschehen, weil einer alten Sage zu Folge sich um die Zeit des
+Chotba-Gebetes die Christen der mohammedanischen Städte bemächtigen
+würden. Wahrscheinlich ist es aber ein alter Brauch der Regierungen, die
+sich dann mit ihrer ganzen Macht in den Moscheen befinden und sich so
+gegen ihr eigenes Volk sichern wollen.
+
+An öffentlichen Gebäuden der Stadt sind die Paläste des Sultans, die
+Moscheen, die Funduks, Bäder und Grabstätten hervorzuheben.
+
+Der grosse Palast des Sultans nimmt den ganzen südwestlichen Theil von
+Neu-Fes ein; von dem Innern dieses Gebäudes kann ich nur wenig
+berichten, da ich hier nicht dem Leser die übertriebenen Beschreibungen
+der Bewohner von Fes wiedergeben mag, die mehr nach Fabeln aus 1001
+Nacht klingen, als auf Wirklichkeit beruhen. Grossartige Ruinen deuten
+allerdings auf einstige grossartige Bauten hin, aber _alle_ Bauten der
+Mohammedaner haben das Eigenthümliche, dass sie meist schon _gleich_
+nach dem Entstehen ein ruinenhaftes Aussehen bekommen. Der Palast
+besteht eigentlich aus weiter nichts als vielen grossen mit Arkaden
+versehenen Höfen mit Springbrunnen, auf welche sich die Zimmer öffnen,
+Pferdeställe, Bedientenstuben, Wachtzimmer, Empfangshöfe--diar el
+meshuar genannt--wechseln damit ab. An der südöstlichen Ecke, durch hohe
+Mauern von den übrigen Theilen des Palais getrennt, befindet sich das
+Harem, welches Platz für mehr als 1000 Frauen hat. Zwischen der
+kaiserlichen Wohnung und der südwestlichen Stadtmauer befindet sich ein
+grosser Garten, in welchen ich mehrere Male Zutritt bekam. Man findet
+hier fast alle feineren europäischen Gemüse, auch Blumenkohl,
+Artischocken und dgl. Von langen geraden Gängen durchschnitten, sind
+diese an den Seiten eingefasst von Beeten mit Rosen, Jasmin und Luisa,
+und fast alle Wege sind zu Tunnels und Laubengängen umgeschaffen, wo die
+rankenden Weinreben kühlenden Schatten gewähren. Eine kleine Veranda,
+vor einem Theil des Palais gelegen--und davor ein besonderes
+abgeschlossenes Gärtchen, worin nur Blumen gezogen werden, dienen zum
+Privatgebrauche des Kaisers.
+
+Ein zweiter Palast des Sultans ist zwischen Neu- und Alt-Fes gelegen und
+hat den etwas sonderbaren Namen Bu-Djelud[83]. Es ist dies, abgesehen von
+dem halbverfallenen Aussehen, ein hübsches Gebäude, und,
+eigenthümlicherweise im Renaissancestyl, vermischt mit maurischer
+Architektur errichtet, was wohl daher rührt, dass europäische Renegaten die
+Erbauer waren. Es gelang mir leider nicht (da der Sultan in Mikenes war),
+in das Innere zu kommen; ebenso war mir auch der Garten verschlossen,
+welcher damit verbunden ist, und dessen herrliche Baumgruppen, aus denen
+schlanke Palmen hervorragten, ich oft im Vorübergehen bewunderte. Dieser
+Garten war den Damen des Harems reservirt.
+
+ [Fußnote 83: Bu-Djelud heisst Vater der Felle; wahrscheinlich befand
+ sich hier am Flusse--denn dieser Palast liegt hart am Ued-Sebu--eine
+ Gerberei. Eine ähnlich sonderbare Benennung hat ja auch der Palast
+ der französischen Herrscher in Paris: Tuilerie.]
+
+Eine halbe Stunde von Neu-Fes entfernt, nach dem Süden zu, befindet sich
+eine sultanatliche Wohnung, von einem äusserst grossen und mit hoher Mauer
+umringten Garten umgeben; in diesem Gebäude hält sich der Sultan manchmal
+auf, um die Sommerfrische zu geniessen; zum Theil wohnen sodann die
+Minister, die Grossen des Reichs, die Gouverneure der Provinzen, welche zum
+Besuch anwesend sind, mit in dem weitläufigen Gebäude, zum Theil campiren
+sie in ihren Zelten ausserhalb des Gartens.
+
+Zwischen diesem Landsitz in Neu-Fes ist auch gewöhnlich die Mhalla, d.h.
+der Lagerplatz des Heeres. Dieses muss immer da sein, wo der Sultan sich
+aufhält; und da in Neu-Fes für die Truppen, welche der Sultan immer um sich
+hat, nicht hinlänglich Platz ist, so campiren sie hier unter Zelten. Von
+Weitem gesehen, sieht dieses Zeltlager, inmitten der grünen Wiesen,
+durchschlängelt vom Ued-Fes, sehr malerisch aus, aber im Innern herrscht
+die grösste Unreinlichkeit und Verwirrung.
+
+Die stehende Macht des Sultans bestand 1862 aus etwa 4000 Infanteristen,
+welche aufs bunteste costümirt sind. Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman,
+jetziger Sultan und derselbe, dem zu Lebzeiten seines Vaters eine so
+empfindliche Niederlage durch den Marschall Bugeaud bei Isly[84]
+beigebracht wurde, war im Feldzuge gegen die Spanier nicht glücklicher
+gewesen. Indess hatte er so viel Einsehen bekommen, dass er begriff, mit
+seinen regellosen Schaaren nicht gegen europäische Streitkräfte kämpfen zu
+können.
+
+ [Fußnote 84: Am 14. August 1844. Der jetzige Sultan entkam seiner
+ Gefangennahme nur dadurch, dass er beim Eindringen der Franzosen in
+ sein Zelt dieses mit dem Säbel schlitzte, und aufs Pferd sich
+ schwingend, von diesem aus dem Bereich der Feinde getragen wurde.]
+
+Er glaubte nun ein regelmässiges stehendes Heer zu haben, wenn er Leute auf
+europäische Art uniformiren liess, und so sah man hier Uniformstücke
+sämmtlicher Nationen, gemeinsam ist allen nur der rothe Fes und die gelben
+Pantoffeln; auch hatte man angefangen, kurze bis an die Knie gehende Hosen
+einzuführen, da es den Berbern und Arabern unmöglich schien, lange Hosen zu
+tragen. Diese Infanterie ist in vier Theile oder Bataillone getheilt, je
+von einem "Agha" commandirt, untergetheilt sind sie wieder in vier
+Abtheilungen, denen ein Kaid (Hauptmann) vorsteht, und noch kleinere
+Abtheilungen werden von Califat-el-kaid (Lieutenants) und Mkadem
+(Unterofficier) commandirt. Die Mannschaft selbst besteht aus Berbern,
+Arabern, Negern und spanischen Renegaten, welche letztere Sträflinge von
+Ceuta, Penon oder Mellila her desertiren. Diese Renegaten sind vorzugsweise
+Hornisten, Tamboure oder bei der Capelle angestellt. Denn da die englische
+Regierung die Instrumente geschenkt hat, so hat der Sultan eine Capelle
+einrichten lassen, welche aber auf noch viel haarsträubendere Art deutsche
+Walzer oder italienische Stücke zum Besten giebt, als die türkischen
+Regimenter. Die Capelle hat 24 Mitglieder, während der Hornisten und
+Tamboure für jede Compagnie je zwei vorhanden sind. Die Trommeln sind
+ähnlich wie die des deutschen Heeres, die Hörner sind gleich denen der
+Engländer.
+
+Die Bewaffnung besteht aus alten französischen Steinschlossgewehren, fast
+alle mit der Jahreszahl 1813. Der Sultan, hat diese im Preise von 40 Fr.
+das Stück kaufen lassen (er hätte dafür auch Zündnadeln bekommen können),
+aber die Zwischenhändler haben ihr Profitchen dabei gemacht. Das Commando
+geschieht in türkischer Sprache, was den Uebelstand für den Soldaten hat,
+dass derselbe das Commando nur mechanisch verstehen lernt. Jede Compagnie
+hat eine Fahne, jedes Bataillon (ich nenne so die vom "Agha" commandirte
+Atheilung [Abtheilung]) eine etwas grössere, die Farben der Fahnen sind
+roth, gelb, blau, je nachdem der Chef Vorliebe für diese oder jene Farbe
+hat.
+
+Der gemeine Soldat bekommt sechs Mosonat Löhnung, und muss sich hierfür
+Alles halten, was bei den billigen Verhältnissen in Marokko auch recht gut
+angeht, zumal die Kleidung vom Sultan geliefert wird. Die höheren Stellen
+sind allerdings nicht besonders bezahlt, so bekommt ein Agha,
+Bataillonschef, nur ein Metcal täglich (= 40 Mosonat oder etwa = 2 Francs).
+Da diese aber ausser den Pferderationen Korn, Aecker und Vieh vom Sultan
+bekommen, überdies die Gelder der beurlaubten Soldaten zum grössten Theil
+in ihre Tasche fliessen, so stehen sie sich nicht schlecht. Denn von 1000
+Mann, die ein Agha commandirt, sind höchstens 800 zur Stelle, die 200
+fehlenden werden aber geführt, und der Sold davon täglich vom "Amin el
+Lascari," d.h. dem Zahlmeister, bezogen.
+
+Man kann sich einen Begriff von dieser regelmässigen Armee, welche aus den
+grössten Taugenichtsen des ganzen Reiches zusammengesetzt ist, machen, wenn
+ich einige kurze Personalnotizen der Befehlshaber, mit denen ich bekannt
+wurde, hier gebe.
+
+Der Agha des einen Bataillons war ehedem ein Verkäufer von roher Seide und
+Seidengarn in Fes, Namens Hadj-Asus, er verdankte seine Stellung bloss dem
+Umstande, dass er Hadj, d.h. Pilger nach Mekka war. Marokko, welches so
+weit von Mekka entfernt liegt, hat verhältnissmässig nur wenig Pilger
+aufzuweisen, und obgleich die Dampfer jetzt die frommen Gläubigen auf
+erstaunlich billige Weise von Tanger nach Alexandria und von da nach Djedda
+schaffen, so hat dadurch keineswegs die Zahl der Pilger zugenommen, weil
+eine Dampfschifffahrt nicht als so verdienstlich angesehen wird[85] wie
+eine Pilgerfahrt zu Fusse. Und die grosse Landpilgerkarawane, welche früher
+jährlich von Fes, Maraksch und Tafilet abging, hat für die ersten beiden
+Orte zu existiren aufgehört.
+
+ [Fußnote 85: Eine Dampfwallfahrt bei den Christen wird ebenfalls
+ bedeutend geringer angerechnet, als wenn man den Wallfahrtsort auf
+ Erbsen rutschend erreicht, wir dürfen uns also keineswegs hierin
+ über die Mohammedaner wundern oder gar lustig machen.]
+
+Der zweite Agha, ein gewisser Si-Hammuda, geborener Algeriner, hat sich
+dadurch seine Stellung erworben, weil er ein französischer Proscribirter
+ist; seinem Stande nach schwang er, ehe der Sultan das Schwert ihm in die
+Hand gab, die Elle. Der dritte Agha, ein gewisser Si-Mohammed-Chodja, ein
+geborener Tunesier, weiss wohl selbst nicht, wie er zum Militärstande
+gekommen ist, er ist von Haus aus Thaleb, d.h. Schriftgelehrter. Der vierte
+und letzte Agha ist ein gewisser Ben-Kadur; von Haus aus Kaid einer
+Bergtribe, sind diesem letzteren wenigstens nicht kriegerische
+Eigenschaften abzusprechen, aber vom eigentlichen europäischen Militärwesen
+hat er ebensowenig einen Begriff wie die übrigen. Ich könnte, da ich
+Gelegenheit hatte, alle Kaids kennen zu lernen, so fortfahren, aber dies
+wird genügen.
+
+Indess sei noch erwähnt, dass zwei wirkliche französische Officiere,
+Eingeborne der Tirailleurs indigènes, es nie weiter bringen konnten als zum
+Lieutenant, weil sie im Verdachte standen Christen zu sein, während ein
+anderer, ein "Sussi", Herumstreicher (Eingeborne aus der Provinz Sus),
+gleich zum Hauptmann oder Kaid ernannt wurde. Da diese Ernennung während
+meiner Anwesenheit in Fes erfolgte, so kann ich hier anführen, dass sie aus
+dem Grunde geschah, weil dieser "Sussi" vor den Augen des Sultans in
+Seiltänzerkunststücken sich ausgezeichnet hatte. Er hatte ehedem einer
+Gesellschaft angehört, wie sie häufig aus dem Sus kommen, und mit dieser
+nicht nur die ganze mohammedanische Welt, sondern auch ganz Europa
+durchzogen; so behauptete er auch in Deutschland gewesen zu sein, und da er
+mir mehrere Städte Deutschlands mit Namen nennen konnte, musste ich es wohl
+glauben, denn welcher andere Marokkaner hätte eine deutsche Stadt
+namentlich gekannt; das geographische Wissen der grössten marokkanischen
+Gelehrten, soweit es Europa betrifft, beschränkt sich auf Baris (Paris),
+Lundres (London), Manta (Malta), Blad Andalus (Spanien), Bortugan
+(Portugal), Musgu (Russland), Nemsa (Deutschland) und Stambul
+(Konstantinopel). Kann ein Thaleb oder Faki der Reihe nach diese Namen
+auskramen, so glaubt er wenigstens ein Humboldt oder Ritter zu sein.
+
+Manövrirt wird denn auch nie mit dieser oben geschilderten "regelmässigen"
+Truppe, und die Exercitien beschränken sich auf Parademärsche, auf ssalam
+dur (präsentirt das Gewehr) und einige andere Griffe. Ein grosser
+Uebelstand ist, dass die meisten Soldaten verheirathet sind und Kinder
+haben, viele auch Sklaven besitzen, kurz man kann sagen, dass der Sultan
+mit seiner bunt nach aller Herren Länder Art uniformirten Truppe sich
+keineswegs eine regelmässige Armee oder nur den Kern dazu geschaffen hat.
+Aber die seit Jahrhunderten bestehende Unfehlbarkeit des Sultans hat dazu
+geführt, dass diese Persönlichkeiten anfangen sich selbst für unfehlbar zu
+halten, und der Sultan glaubt in der That mit der Ernennung irgend eines
+Menschen zum Bataillonschef wirklich dadurch einen tüchtigen Chef gemacht
+zu haben.
+
+Besser ist die Cavallerie organisirt (nach Sir Drummond Hay 16000 Mann
+stark), weil sie auf einheimische Verhältnisse basirt ist. Die
+Cavalleristen bekommen zwei Mosonat täglich mehr, als die Infanteristen,
+haben aber dafür ihre Pferde zu unterhalten. Sie sind eingetheilt in kleine
+Truppen von 50-60 Pferden, welche einem Kaid untergeben sind. Das Commando
+ist hier arabisch. Der Cavallerist hat eine lange Steinschlossflinte und
+einen ziemlich geraden Säbel als Bewaffnung; wer sich selbst 1 oder 2
+Pistolen anschafft, glaubt dann aufs vollkommenste ausgerüstet zu sein. Der
+Säbel wird an einer seidenen oder baumwollenen Schnur von der rechten
+Schulter zur linken Seite herabhängend getragen. Die Sättel sind jene mit
+hohen Lehnen nach hinten, mit hohem Knaufe nach vorne versehenen und
+allgemein unter Arabern und Berbern gebräuchlichen. Von Exercitien und
+Manövern ist bei der Cavallerie noch weniger die Rede, die ganze Kunst des
+Cavalleristen beschränkt sich darauf, im schnellsten Laufe das Pferd
+fortzureiten und während des Rittes die Flinte abzufeuern. Da die grossen
+Steigbügel sehr kurz hängen und so eingerichtet sind, dass der ganze Fuss
+darin Platz hat, so _stehen_ beim schnellen Reiten meistens die
+Cavalleristen. Auf diese Art wird auch der Angriff gemacht, man saust mit
+Windeseile heran, schiesst ohne zu zielen das Gewehr ab, und das dann von
+selbst wendende Pferd trägt den Angreifer zurück. Die Cavallerie hat nur
+Hengste.
+
+Seit dem Kriege mit Spanien hat der Sultan von Marokko auch Feldartillerie
+angeschafft, aber eben so unglücklich berathen wie in Beschaffung seiner
+Uniformstücke, hat er wohl kein einziges Geschütz, welches dem andern
+gleich wäre. Die Artilleristen, welche diese Kanonen zu bedienen haben,
+sind fast alle spanische Renegaten; auch einen Franzosen fand ich dort, der
+Hauptmann war, und einen Deutschen, der in der Heimath Maurergeselle
+gewesen, die Kelle mit der Kanone vertauscht und von Sidi Mohammed, dem
+Hakem el mumenin (Beherrscher der Gläubigen), dem er verschiedene Arbeiten
+in seinem Palais aufgemauert hatte, zum Kaid el Tobdjieh, d.h. zum
+Artillerie-Hauptmann war ernannt worden. Ich brauche wohl kaum
+hinzuzufügen, dass alle diese Renegaten dort verheirathet sind, mithin
+factisch und für immer sich zu marokkanischen Bürgern erklärt haben. Einem
+einzigen Europäer gelang es jedoch, sich eine achtenswerthe Stellung in
+Marokko zu erringen. Freilich war auch dieser nur zum Schein Mohammedaner
+geworden, und, zugleich mit mir die Hauptstadt Fes betretend, hat er jetzt
+seit langem Marokko den Rücken gekehrt. Es ist dies der Spanier Joachim
+Gatell, der in Marokko den Namen Ismael angenommen hatte. Da in seiner
+Beschreibung "L'ouad Noun et el Tekna" eine interessante Schilderung des
+marokkanischen Kriegslebens enthalten ist, so lasse ich sie hier übersetzt
+aus den Bulletins de la Société de Geographie de Paris folgen.
+
+Auf der 279. Seite erzählt Gatell: "Im Jahr 1861 war so eben der Krieg
+zwischen Spanien und Marokko beendet. Die Erzählungen, welche man zu der
+Zeit vom marokkanischen Volke machte, von den Sitten, vom Muthe, den
+barbarischen Gebräuchen, dem Fanatismus der Bewohner, erregten in mir die
+Idee in das Innere des Landes einzudringen, trotz der Fährlichkeiten, denen
+ich dabei ausgesetzt sein konnte. Ich reiste also nach Fes ab, wo sich der
+Hof befand, und, um besser meine Absicht zu erreichen, trat ich in die
+regelmässige Armee des Sultans. Obschon ich nur äusserst wenig vom
+Waffenhandwerk verstand, wurde ich gleich zum Officier befördert." Nach
+einer Schilderung der Campagne gegen die Beni Hassen, wobei Gatell zum Chef
+der "Garde-Artillerie" des Sultans ernannt wurde, fährt er fort die
+Expedition gegen die Rhamena zu schildern: "Wir hatten 29 Stück, einen
+Mörser eingeschlossen; aus den Magazinen von Arbat nahmen wir 55 Centner
+Pulver in Fässern, und ausserdem eine Menge fertiger Munition in Kisten
+mit, und fingen so an die Aufständischen zu verfolgen.["] Ein Theil der
+Seragua-Kabylen vereinigte sich so eben mit den Rhamena, nichts desto
+weniger ging auch jetzt die kaiserliche Armee mit marokkanischer Würde und
+Langsamkeit vorwärts: es schien, als wenn wir einen Spaziergang im
+Sonnenschein zu machen, keineswegs aber den Feind anzugreifen hätten. Die
+Hauptstadt war bedroht, aber um eine solche Kleinigkeit kümmern sich dort
+die Leute nicht. "--Wir werden zeitig genug ankommen, und wenn nicht, so
+ist es Gottes Wille. Die marokkanische Majestät darf nie Eile zeigen, oder
+auch nur den Anschein haben sich zu sehr um den Gang der Ereignisse zu
+kümmern." Gatell erzählt sodann, wie man nicht den Bewohnern den Krieg
+machte, sondern den Getreidefeldern, welche angezündet wurden, und als sie
+endlich vier Stunden von Marokko im Angesichte der Rhamena waren, die
+Aufständischen auseinandergesprengt wurden; hiebei feuerte die Artillerie
+15 Schüsse ab und warf 8 Bomben.
+
+Was die sogenannte schwarze Garde des Sultans von Marokko anbetrifft, die
+"Buchari," die unter den früheren Kaisern, namentlich unter Mulei Ismael
+eine so grosse Rolle spielte, so ist dieselbe heute sehr
+zusammengeschmolzen; kaum einige hundert Mann stark, dient sie jetzt nur zu
+Prunkaufzügen, und scheint gegen den Feind nicht mehr verwendet zu werden,
+wenigstens nahmen die Buchari am Kriege gegen Spanien keinen Antheil. Dem
+ganzen Heere steht ein Schwarzer, Namens Abd-Allah, als Kriegsminister vor,
+er hat das Verdienst ehemals als Sklave mit dem jetzigen Sultan auferzogen
+worden zu sein. Unter ihm stehen verschiedene "Amin," welche für die
+geldlichen und sonstigen Angelegenheiten der Armee zu sorgen haben. Nach
+diesem Besuche bei der Armee wenden wir uns wieder zur Stadt Fes zurück.
+
+Von den übrigen erwähnenswerthen Gebäuden haben wir nur zwei Moscheen zu
+nennen. Es ist dies zunächst die Djemma Karubin (die den Cherubim gewidmete
+Moschee). Diese Moschee ist wohl die grösste in ganz Nordafrika. Die
+Bewohner Fes' behaupten, sie ruhe auf mehr als 360 Säulen, ja Einige
+sprachen von 800; ich konnte mich natürlich nicht daran machen sie zu
+zählen, aber wenn man von dem Hofe der Moschee ins Innere sieht, glaubt man
+einen Wald von Säulen vor sich zu haben. Wenn man der Beschreibung von Leo
+trauen darf, so hat die Djemma 31 grosse Thore, das Dach ruht auf 38 Bogen
+der Länge und 20 Bogen der Breite nach; es würde dies schon über 900 Säulen
+ergeben. Ali Bey giebt 300 Säulen an.
+
+Die Moschee Karubin liegt ziemlich im Mittelpunkt von Alt-Fes, und ist wie
+fast alle Moscheen derart gebaut, dass sie aus einem grossen, von hohen
+Mauern und Arkaden umgebenen Hofraum und aus einem bedeckten Theile
+besteht, der eigentlichen Moschee. Ganz aus überkalkten Ziegeln erbaut, ist
+das Dach, oder vielmehr sind die Dachreihen ebenfalls mit Ziegeln à cheval
+gedeckt, und nicht glatt. Das ziemlich hohe Minerat ist, wie überall in
+Marokko, äusserst plump und vierseitig aufgeführt. Im Hofe des Gebäudes
+springen aus zwei reizenden und grossartigen Marmorfontainen
+Wasserstrahlen, überhaupt sind die Wasseranlagen, die kleinen Häuschen,
+worin die vor dem Gebete nothwendigen Ablutionen verrichtet werden,
+ausgezeichnet und zahlreich.
+
+Der verdeckte Theil der Moschee hat wie alle diese Gebäude vollkommen
+nackte gegypste Wände, der ganze Fussboden ist aber zum Theil mit kostbaren
+Teppichen, und überall wenigstens mit feinen Matten belegt. Auch an den
+Wänden und um die Säulen ziehen sich halbmannshoch hübsche Strohmatten
+hinauf. Wie in allen Moscheen des Rharb ist an und in der östlichen Wand
+die Nische, welche die Gebetsrichtung "Kibla" angiebt. Gleich links davon
+ist eine Treppe, von welcher herab Freitags das Chotba-Gebet abgelesen
+wird. Der erste Priester der Moschee tritt nach einem kurzen Gebet, mit
+einem langen Stock in der rechten Hand versehen, auf die dritte Stufe (die
+Treppe enthält fünf oder sechs Stufen), und liest dann mit einförmiger
+Stimme das Freitagsgebet ab, der Schluss ist immer von einem Gebete für den
+jemaligen Regenten begleitet; im ganzen Rharb, d.h. Marokko, und
+auch in den südalgerischen Ortschaften bezieht sich das Gebet auf
+Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman, im Osten aber, incl. Tunis und Aegypten, auf
+Abd-ul-Asis-Chan. Ob die Mohammedaner in Algerien, wie früher für den
+Türkensultan, heute noch für denselben Fürsten den Segen herabflehen,
+oder für den jemaligen französischen Regenten, kann ich nicht sagen.
+
+Die Moschee Karubin hat das Eigenthümliche, dass _mehrere_ Mimber oder
+Gebetstreppen vorhanden sind. Freitags zum Chotba-Gebet wird allerdings nur
+die eine links von der Gebetsnische befindliche benutzt, aber die übrigen
+dienen als Lehrstühle, von denen aus zu sonstiger Zeit den Gläubigen
+gepredigt und gelehrt wird. Wenn aber Ali Bey meint, nur die Karubin, habe
+den Vorzug eine besondere Abtheilung für Frauen zu haben, und es sei dies
+zu verwundern, weil Mohammed den Frauen im Paradiese keinen Platz zuerkannt
+habe, so kann ich entgegnen, dass die Frauen in allen Moscheen Zutritt
+haben. Für gewöhnlich gehen die mohammedanischen Frauen allerdings Behuf
+des Gebetes nicht in die Moschee, keineswegs aber ist den Frauen die
+Moschee verboten, ebensowenig wie den Frauen das Mekka-Pilgern verboten
+ist. Es ist ein Irrthum zu glauben Mohammed habe den Frauen das Paradies
+verschlossen, in der 17. Sure heisst es wörtlich[86]: "die in Geduld
+ausharren, werden wir mit herrlichem Lohn ihr Thun belohnen. Wer
+rechtschaffen handelt, _sei es Mann oder Frau_, und sonst gläubig ist,
+wollen wir ein _glückliches Leben_ geben, und ausserdem noch mit
+_herrlichem Lohn_ sein Thun vergelten." Und an vielen anderen Stellen
+im Koran, namentlich noch in der 13. Sure erwähnt Mohammed der Frauen als
+Theilnehmer der zukünftigen Paradiesesfreuden.
+
+ [Fußnote 86: Uebersetzung des Koran von Dr. Ullmann, Bielefeld,
+ 1867.]
+
+Was die Architektur der grossen Karubin anbetrifft, so ist dieselbe
+keineswegs eine schöne zu nennen. Zumal von aussen, wo dies grosse Gebäude
+eingepfercht zwischen Buden und Häusern sich befindet, nimmt es sich höchst
+unvortheilhaft aus, überdies lassen sich immer nur einzelne Partien, da wo
+Thore sind, überblicken. Aber selbst wenn die Karubin frei stände, würde
+sie sehr unharmonisch aussehen, da die einzelnen Theile in gar keinem
+Verhältniss zum Ganzen stehen. Die Höhe der Moschee, die Höhe der Säulen,
+etwa 20 Fuss hoch, ist viel zu gering zur kolossalen Baute, um einen guten
+Anblick zu gewähren. Der Hof würde einen vorteilhaften Eindruck machen,
+erhöht durch die beiden herrlich skulptirten Marmorfontainen (diese sind
+nach den Aussagen der Bewohner von Fes von europäischen Renegaten
+gemeisselt), wenn nicht hier dieselben Missverhältnisse zu Tage träten.
+Dazu kommt noch, dass der Mohammedaner, und namentlich der Araber, der
+geschworenste Feind von Symmetrie ist. Hier stehen zwei Säulen 8 Fuss, dort
+7 Fuss auseinander, hier ist eine Säule 21 Fuss hoch, dort 20 oder 22 Fuss.
+Hier ist eine einfache, dort eine Doppelsäule, hier hat eine Säule, dort
+keine ein Capitäl. Dazu sieht das Ganze so gedrückt aus, als wenn Alles
+halb in den Boden hinein versunken wäre.
+
+Es ist in keiner Zeichnung bis heute den Arabern gelungen etwas
+Symmetrisches zu schaffen, und im Grossen wie im Kleinen, in der Baukunst,
+in der Weberei, in ihren Arabesken, in ihren Holzschnitzereien, in ihrer
+Plafondirung, in ihrer Parquetirung, überall tritt uns die
+Unregelmässigkeit störend entgegen. Es giebt keinen einzigen von Arabern
+gewebten Teppich, dessen Muster so wie es angefangen zu Ende geführt ist,
+es giebt kein Zelt, welches aus gleichmässig gewebten Stücken vollendet
+ist, ein arabischer Haik (d.h. Tuch) hat sicher, falls an der einen Seite 3
+Streifen als Einfassung sind, an der anderen 2 oder 4, es giebt keine Thür,
+die eine vollkommen durchgeführte Holzschnitzerei aufzuweisen hätte, und es
+giebt keinen einzigen Bau, der einen vollkommen durchgeführten Plan
+erkennen liesse. Ich kann, nicht umhin hier anzuführen, dass wir da, wo die
+Araber allein gebaut haben, nirgends ein vollkommen schönes Product der
+sogenannten maurischen Architektur vorfinden. An der ganzen Nordküste von
+Afrika finden wir nirgends eine Baute, die sich durch vollkommene Schönheit
+auszeichnete, in ihrem eigenen Vaterlande noch weniger. Aus den Abbildungen
+von Niebuhr ersehen wir, dass die Moscheen von Mekka und Medina plumpe,
+rohe Gebäude sind. Vollkommen schöne maurische Gebäude finden wir nur da,
+wo die Araber mit Christen untermischt sesshaft waren: in Spanien und
+Syrien. Möglicherweise mögen christliche Architekten, christliche
+Handwerker und Sklaven mehr ihre Hand dabei im Spiele gehabt haben, als wir
+heute wissen. Es könnte nach vier- oder fünfhundert Jahren mit den
+Prachtbauten, die von Mohammed Ali Pascha bis auf Ismael Pascha in Aegypten
+errichtet werden, ebenso ergehen, d.h. kämen unsere Nachkommen nach einer
+solchen Spanne Zeit nach Aegypten, so würden sie sagen, dass die Aegypter
+unserer Tage es wohl verstanden hätten, in der maurischen Architektur
+Prachtbauten zu errichten. Heute aber haben wir glücklicherweise feste und
+tägliche geschichtliche Aufzeichnungen, wir wissen, dass die Moscheen und
+Paläste in Aegypten, die in diesem Jahrhundert dort erbaut wurden, nicht
+von Arabern oder Aegyptern herrühren, sondern von europäischen Architekten
+und Handwerkern errichtet worden sind; ich nenne unter ersteren bloss Hrn.
+Franz von Darmstadt und den verewigten v. Diebitsch von Berlin.
+
+Mit der Karubin ist ein Gebäude verbunden, welches die ziemlich bedeutende
+Bibliothek, natürlich nur aus Manuscripten zusammengesetzt, enthält; nach
+einer oberflächlichen Schätzung, die ich machte, sind wenigstens
+fünftausend Bände vorhanden. Der ganze Bücherschatz befindet sich übrigens
+in einem sehr verwahrlosten Zustande, und es ist ein Wunder, dass Staub und
+Motten nicht schon grössere Verwüstungen angerichtet haben. Es ist ziemlich
+leicht Bücher von der Bibliothek zum Lesen zu bekommen, auch ist es
+gestattet Abschriften zu nehmen (natürlich nur den Gläubigen), es ist aber
+streng untersagt, irgendwie ein Buch zu entlehnen, um es mit nach Hause zu
+nehmen, und da die dortigen Bibliotheken mit unseren Einrichtungen,
+Katalogen, Scheinen und dergleichen nicht bekannt sind, ist diese Massregel
+sehr nothwendig.
+
+Es wird heutzutage noch immer in der Karubin gelehrt, obgleich von der
+einst so berühmten Schule nur noch ein schwacher Schatten übrig ist. Man
+legt den Koran aus, d.h. disputirt über äussere Kleinigkeiten, denn am
+eigentlichen Dogma darf nicht gerüttelt werden; wer nur im Geringsten
+zweifelte an irgend einem Glaubenssatze, würde gleich als Ketzer
+beschuldigt werden, würde des Abfalls vom Islam geziehen werden, und da in
+Marokko noch wie ehedem bei uns für dergleichen Zweifler die Todesstrafe
+blüht, so hütet sich wohl Jeder irgendwie an einem Worte des Buches,
+welches vom Himmel herabgekommen ist, zu rütteln. Dagegen hört man die
+gelehrtesten Erklärungen über Formen und Aeusserlichkeiten, z.B. ob
+Mohammed am Feste nach dem ersten Ramadhan ein _schwarzes_ oder
+_weisses_ Lamm geopfert habe, wie gross die Hölle sei, ob im Paradiese
+auch die und die Speise würde verabreicht werden, und dergleichen
+Albernheiten mehr. Es werden sodann die vier Species gelehrt, aber nur auf
+nothdürftige Art und Weise; ich bemerke hiebei, dass der Marokkaner, mit
+Ausnahme der Addition, bei dem Abziehen, Vervielfältigen und Theilen ganz
+andere Verfahren in Anwendung bringt, als wie wir sie in unseren Schulen zu
+erlernen pflegen. Auch geographischer Unterricht wird ertheilt, oder soll
+vielmehr gelehrt werden, denn in einem Lande, wo man von Erdbeschreibung so
+wenig Kenntniss hat, dass man die Vorstellung hegt, Portugal sei grösser
+als Frankreich, sieht es gewiss traurig mit der Kenntniss der Erde aus. So
+glauben denn auch die Marokkaner, dass ihr Land das grösste und ihr Volk
+das erste und mächtigste der Welt sei.
+
+Auch Astronomie wird getrieben, aber nur in Verbindung mit Astrologie.
+Einige der gelehrten Marokkaner stehen auf dem Ptolemäischen Standpunkte,
+sie haben eine Idee von den grossen Planeten; dass die Erde sich um die
+Sonne dreht, darf übrigens nicht gelehrt werden, wenn man sich überhaupt zu
+einer solchen Vorstellung emporschwingen könnnte [könnte], es steht das im
+Widerspruch mit dem Koran. Es giebt sodann Geschichtslehre und im ganzen
+kann man dieser Lehrabtheilung noch den grössten Beifall zollen. Ich hörte
+interessante Vorlesungen derart mit an, welche die Geschichte der Araber im
+Bled Andalus (Spanien) zum Gegenstand hatten. Endlich ist eine Abtheilung
+für Djerumia, d.h. arabische Grammatik vorhanden, die aber auch aus dem
+Gewöhnlichen nicht herauskommt.
+
+Alle diese Fächer werden in der Karubin selbst gelehrt, so dass man hier zu
+jeder Tageszeit auf Lehrer und Schüler stösst. Die Lehrer sind aus dem
+Fonds der Moschee besoldet und zum Theil die Schüler auch, alle haben
+wenigstens freies Logis und freie Kost. Die Karubin wird für eine der
+reichsten Moscheen gehalten, ein Drittel der Läden oder Gewölbe in Fes
+gehören ihr zu, die Aecker und Gärten sind zahlreich, und wenn manchmal
+auch die früheren Machthaber von Fes sich aller Einkünfte der Moschee und
+ihrer Güter bemächtigten, so machten dafür andere dies doppelt wieder gut.
+Die mohammedanische Geistlichkeit hat ebenso gut einsehen gelernt wie
+andere, dass die Macht der Geistlichkeit auf _Geld und Grundbesitz_
+beruhe, und, eigenthümlich genug, obschon auch Mohammed lehrt wie Jesus
+Christus, "ihr sollt kein Gold und Silber in euren Taschen tragen," "ihr
+sollt dem Mammon nicht dienen," sehen wir, dass die mohammedanische
+Geistlichkeit nicht weniger darauf bedacht ist Schätze anzusammeln, um zu
+Macht zu kommen, als die aller anderen Religionen.
+
+Wie reich die Karubin schon zur Zeit Leo's war, geht aus seiner
+Beschreibung hervor: "die tägliche Einnahme macht 200 Ducaten [87] aus, in
+der Nacht zündet man 900 Lampen an, ausserdem giebt es grosse Leuchter, von
+denen jeder Platz für 1500 Lampen hat etc." Jene grossen Leuchter müssen
+wohl im Laufe der Zeit verschwunden sein; aus christlichen Glocken, wie Leo
+erzählt, geschmolzen, dienten sie einem Sultan vielleicht später dazu, in
+Kanonen umgegossen zu werden. Die zahlreichen übrigen Oellämpchen und
+grossen Krsytallkronleuchter [Krystallkronleuchter] sind aber noch
+vorhanden. In einem anstossenden Zimmer befinden sich noch verschiedene
+grosse Uhren, Compasse, Magnete u. dergl., ohne dass ich eigentlich wüsste,
+dass man sich dieser Sachen bediene.
+
+ [Fußnote 87: "Ducaten" in der deutschen Uebersetzung Leo's von
+ Lorsbach, ist wohl dahin zu verstehen, dass Ducaten = einem Metkal,
+ also ungefähr = 1 Fr. 25 C. ist, aber immerhin würde die tägliche
+ Summe 250 Fr. für damalige Zeit eine grosse Summe sein.]
+
+Die andere Moschee, welche wegen ihrer eigenthümlichen Bauart einerseits,
+dann wegen ihrer Berühmtheit als Asyl zu nennen ist, ist die, welche den
+Namen und die irdischen Reste des Gründers der Stadt trägt, die Djemma el
+Mulei Edris. Sie ist dicht bei der vorigen gelegen, nur durch eine schmale
+Gasse davon getrennt. Sie zeigt sich eigentlich auch nur von dieser Gasse,
+Bab es ssinsla[88], Kettenthor genannt, mit einem grossartigen und hübschen
+Portale in Hufeisenform, alle anderen Seiten sind ummauert. Die Mulei Edris
+Moschee unterscheidet sich dadurch von allen übrigen kirchlichen Gebäuden
+Marokko's, dass sie keinen Hof hat, denn eine kleine Arkadenreihe ist
+offenbar erst später angelegt. Es deutet dies auf das hohe Alterthum des
+Gebäudes hin, wobei man die Nachahmung des christlichen Tempels noch
+wahrnehmen kann.
+
+ [Fußnote 88: Bab es ssinssla oder ssilsla = Kette, weil sie mit einer
+ eisernen Kette querüber abgeschlossen ist, jedoch so dass man zu
+ Fusse an beiden Seiten vorbeigehen kann. Aber hier in dieser
+ heiligen Strasse, bei dem Portale Mulei Edris' vorbei, darf kein
+ Jude (Christen kommen ja ohnedies nicht nach Fes) sich zu zeigen
+ wagen, Tod oder sein Uebertritt zum Islam würde unmittelbare Folge
+ einer Ueberschreitung des Verbotes sein. Aber auch Gläubige dürfen
+ in dieser Strasse nicht rauchen oder sich dem Opium- und
+ Haschisch-Genusse hingeben.]
+
+Das Hauptgebäude, welches auf einen kleinen von Arkaden eingeschlossenen
+Vorhof folgt, besteht in einem einzigen nach Osten gerichteten Schiffe;
+fast viereckig von Form, ohne Säulen wird das Ganze von einem sehr hohen
+achteckigen Dache bedeckt, welches inwendig aus Holzskulpturen besteht,
+dessen äussere Seite jedoch Ziegel zeigt. Diese Dachziegeln sind bei allen
+monumentalen Gebäuden immer selber Art und auf selbe Art gelegt, wie in
+Italien und Spanien. Dicht bei der Kibla-Nische befindet sich das prächtige
+Grabmal Mulei Edris', dessen kostbare Tuchdecken alle Jahre erneuert
+werden. Das Innere der Moschee enthält ausserdem viel Gold und Silber,
+Geräthe, Offranden, was eigentlich gegen die Satzungen des Koran streitet.
+Auch an der Aussenwand der Djemma el Mulei Edris befindet sich eine
+silberne Tafel mit massiv goldenen und erhabenen Buchstaben, welche eine
+Legende der Erbauung der Moschee enthält. Diese Tafel ist, um der Witterung
+vollkommen widerstehen zu können, unter Glas.
+
+Die Moschee, welche Asyl ist, d.h. wo geflüchtete Verbrecher vor der
+Verfolgung weltlicher Gerechtigkeit sicher sind, ist ausserdem Sauya.
+Freilich ist mit dieser Sauya kein religiöser Orden verbunden, der
+eigentliche religiöse Orden Mulei Edris befindet sich in Uesan, aber sonst
+hat sie nicht nur Einrichtungen, um Pilger zu beherbergen und zu bewirthen,
+sondern auch eine grossartige Schule ist damit verbunden.
+
+Alle übrigen Moscheen von Fes, obschon noch sehr grosse vorhanden, so
+namentlich eine von Mulei Sliman in Neu-Fes errichtete, sind gegen diese
+beiden gehalten kaum der Beschreibung werth. Es befinden sich im ganzen
+jetzt in Fes eilf Moscheen, in welchen Freitags das Chotba-Gebet gehalten
+wird, welchen man also gewissermassen den Rang unserer christlichen
+Pfarrkirchen zuerkennen könnte. Im übrigen giebt es aber noch eine sehr
+grosse Anzahl Moscheen, manche grösser an Umfang als jene, worin Chotba
+gelesen werden, obschon die Zahl von 700, welche Leo anführt, heute nicht
+mehr existirt und auch wohl zu seiner Zeit übertrieben war.
+
+Ebenso existiren heute nicht jene zwei Collegien für Studenten, von denen
+Leo so grossartige Berichte giebt; ausser den Lehrstühlen an der Karubin
+hat Fes nur niedrige Schulen, Medressa, worin den Schülern nothdürftig und
+mechanisch lesen und schreiben gelehrt wird. Solcher Schulen giebt es eine
+grosse Anzahl, vielleicht über hundert.
+
+Hospitäler hat Leo auch aufgeführt, es sind dies aber keine Hospitäler nach
+unserem Sinne, d.h. Krankenhäuser, sondern vielmehr Hospitäler (Gasthäuser)
+im wahren Sinne des Wortes. Schon die Beschreibung, die Leo davon giebt,
+deutet darauf hin, dass man es zu seiner Zeit ebenso wenig mit Hospitälern
+oder Lazarethen nach unserem Sinne zu thun hatte. Es sind dies Stifte, wo
+Pilger, Reisende, müde Wanderer ausruhen können, und während einer gewissen
+Zeit unentgeltlich Kost und Logis erhalten. Es war dieser Brauch, in den
+Städten solche Stifte zu haben, nicht nur in mohammedanischen Ländern
+heimisch, sondern zur Zeit, als das Gasthofleben noch nicht so ausgebildet
+war wie jetzt, auch in allen christlichen Ländern zu finden. In vielen
+europäischen Städten existiren noch jetzt solche Einrichtungen, z.B. in
+Savoyen, in Frankreich und Italien. Eigentliche Hospitäler, d.h.
+Krankenhäuser, giebt es in Fes nicht.
+
+Indess besitzt Fes eine Anstalt, wie sie keine andere Stadt Marokko's
+aufzuweisen hat; eine Irrenanstalt oder vielmehr ein Narrenhaus. Man denke
+sich aber keineswegs eine Anstalt, welche Heilung oder Wohlbehagen dieser
+unglücklichen Geschöpfe im Auge hätte, mit dergleichen Versuchen plagt sich
+der Mohammedaner nicht. Man findet in diesem Gebäude, in dem zur Zeit als
+ich es besuchte etwa 30 Individuen sein mochten, nur Tobsüchtige oder Irre,
+die durch ihr Wesen dem Nebenmenschen sich gefährlich gemacht haben;
+gutmüthige Narren, Idioten u.s.w. lässt man ruhig laufen, ebenso die
+religiös Wahnsinnigen, die noch obendrein als Heilige verehrt werden.
+
+Der Zustand in diesem Narrenhause ist ein entsetzlicher, und es gleicht
+dasselbe mehr einer Gefängnisshöhle als sonst einem Gebäude. In langen
+Zimmern, worin auf dem blossen Steinboden im grössten Schmutze
+halbverhungerte Gestalten mit dicken eisernen Ketten an die Wände
+festgemauert sind, fast alle nackt, ohne jegliche Pflege und Sorgfalt,
+verbleiben diese Unglücklichen hier, um die Welt nie wieder zu betreten.
+Die Anstalt selbst wird durch Vermächtnisse unterhalten.
+
+Erwähnt zu werden verdienen sodann die vielen Bäder, welche zum Theil
+Privaten gehören, zum Theil Eigenthum der Regierung oder der Moscheen sind.
+Eingerichtet sind sie wie alle warmen Bäder im Orient, in Aegypten oder den
+übrigen Berberstädten, so dass ich eine specielle Beschreibung nicht für
+nothwendig halte. Der Luxus der algerinischen oder ägyptischen Bäder ist
+hier aber nicht bekannt, Handtücher zum Abtrocknen werden nicht gereicht,
+dafür sind sie aber auch so billig, dass selbst der Aermste sich häufig den
+Genuss einer gründlichen Reinigung gewähren kann. Die Bäder geringster
+Sorte kosten nur 3 Flus, die theuersten nicht ganz 2 Mosonat.
+
+Gasthäuser oder Fenaduk (pl. von Funduk) giebt es zweierlei Art in Fes. Es
+möchte auffallen, dass bei der Anwesenheit von Sauyat bei der Einrichtung
+der eben erwähnten Hospizen, ausserdem noch Gasthöfe nothwendig sind,
+namentlich wenn man in Erwägung zieht, dass der Marokkaner der gastfreieste
+Mensch der Welt ist. Und dennoch ist dem so. Die Gastfreiheit ist auf dem
+Land eine fast möcht' ich sagen unbegrenzte; aber in den Städten, wo
+täglich ein so grosser Zusammenfluss von Fremden ist, wird sie natürlich
+nicht geübt. In den Sauyat und Hospizen ist es Regel, einen Fremden nicht
+länger als drei Tage zu behalten. Man hat also, um die Fremden, welche
+einen längeren Aufenthalt nehmen wollen, zu beherbergen, Gasthöfe
+einrichten müssen. Die grosse Zahl solcher Gebäude spricht für den grossen
+Fremdenverkehr in Fes, obschon die Zahl von 200, die Leo angiebt, wohl
+übertrieben ist.
+
+Es giebt Fenaduk, welche gebaut sind, Menschen und Vieh zu beherbergen, und
+solche die nur Platz für Menschen und allenfalls für ihre Waaren haben.
+Erstere haben in der Regel eine entsetzliche Einrichtung. Ein grosser,
+meist viereckiger und ungepflasterter Hofraum, wo sich Pferde mit Kameelen,
+Maulthiere mit Eseln um den Platz streiten, wird von allen Seiten von
+kleinen Zimmern umgeben, die nur Zugang und Licht durch eine kleine
+niedrige Thür bekommen. Meist sind diese Zimmer selbst nicht grösser, als
+dass man ausgestreckt darin liegen kann. Von Aufwartung ist natürlich keine
+Rede, der Neuangekommene muss, hat er überhaupt Sinn für Reinlichkeit, den
+Schmutz, den sein Vorgänger als Andenken im Zimmer zurückgelassen
+hat, eigenhändig hinauskehren. Ein Portier, der meist kauadji
+(Kaffee-Ausschenker) ist, steht dem Ganzen vor, oft ist er Besitzer, oft
+Verwalter, oft bloss Miether. Die Gebühren stehen natürlich mit der
+schlechten Einrichtung im Einklange, für ein Zimmer zahlt man
+durchschnittlich täglich nur eine Mosona, für ein Thier ebenso viel.
+
+Viel besser sind die Fenaduk eingerichtet, wo man nur Reisende aufnimmt,
+die ohne Thiere sind. Diese sind meistens mitten in der Stadt gelegen,
+einige sogar in der eigentlichen Kesseria, dem Handelscentrum, der "Börse"
+könnte man fast sagen, von Fes. Grosse mehrstöckige Gebäude, sind die
+Zimmer dieser Gasthöfe geräumig, haben oft, ausser der Thür nach dem Hofe
+oder nach den Gallerien zu, noch vergitterte Fensteröffnungen. Die Zimmer
+sind gut ausgeweisst, der Fussboden mit "Slaedj" belegt, sonst aber ist von
+Möbeln natürlich nichts zu finden; aber der bemittelte oder reiche Kaufmann
+hat auch sein ganzes Meublement bei sich: eine gute Matratze, ein Teppich,
+einige Matten und Kisten vervollständigen dasselbe. Es fehlt auch der
+grosse Messingteller, ssenia, nicht mit dem Theetopf aus Britannia-Metall
+und sechs kleinen Theetassen. Ein Bochradj, d.h. ein Kessel zum Sieden des
+Wassers, ist auch unentbehrlich. Die Miethe von solchen Zimmern variirt von
+vier Mosonat bis zu sechs und mehr per Tag. Die Kaffeebuden, welche sich am
+Eingang oder im Innern eines solchen Funduk befinden, gehören zu den
+besten.
+
+Solche Wirthshäuser, wie Leo sie beschreibt, als von unanständigen Wirthen,
+sog. el kahuate bewohnt, wo auch lüderliche Weibspersonen sich
+herumtreiben, giebt es jetzt in Fes nicht mehr, vor den Thoren ist
+allerdings ein Viertel, welches in dieser Hinsicht in schlechtem Rufe
+steht; eigentliche Prostitution aber findet man überhaupt in Marokko nur in
+Mikenes.
+
+Dagegen giebt es zahlreiche Kaffeehäuser, wo Kif, d.h. das getrocknete
+Kraut vom indischen Hanfe (Can. indica) geraucht und gegessen wird, auch
+Opium wird in diesen Kaffeehäusern gegessen; die Sitte des
+_Opiumrauchens_ kennt man im Rharb nicht. Die Polizei oder Regierung
+thut gegen diese schädlichen Genüsse nichts, wie denn auch Haschisch und
+Opium mit Taback zusammen nur von solchen Kaufleuten in der Stadt verkauft
+wird, die sich dazu einen Schein von der Regierung gekauft haben. Es
+herrscht also--denn nicht nur in Fes ist dies der Fall, sondern in allen
+binnenländischen marokkanischen Städten--für die Städte eine Art Taback-,
+Opium- und Haschisch-Regie.
+
+Anständige Leute hüten sich indess wohl, in solche Kaffeehäuser zu gehen,
+obschon fast Jeder in Fes dem Genüsse des Haschisch fröhnt, aber nur
+heimlich und im Innern der Wohnung. Desto strenger ist dagegen der Verkauf
+von Schnaps und Wein verboten, obschon beides in Fes für Geld und gute
+Worte zu haben ist; ersterer wird von den Juden destillirt aus Feigen,
+Rosinen oder Datteln, wird wohl auch von Gibraltar her eingeschmuggelt;
+letzterer wird in der Lesezeit von Juden sowohl wie von Mohammedanern
+bereitet.
+
+Es würde zu weit führen, wollten wir alle Handwerke, Industrien,
+Manufacturen und Handelszweige einzeln aufführen. Es genügt, wenn wir hier
+vorzugsweise das nennen, wodurch Fes heut excellirt, und wenn wir
+hervorheben, dass selbst heute Fes noch immer den ersten Rang unter allen
+Handelsstädten vom ganzen Rharb einnimmt.
+
+Um letzteres zu erhärten, führe ich nur an, dass mir während meines
+Aufenthaltes in Fes manchmal Facturen gezeigt wurden, von französischen,
+englischen oder spanischen Handlungshäusern herstammend, die sich auf
+50,000 Frcs. beliefen. Man kann in der That also wohl behaupten, dass Fes
+auch Engros-Handel besitzt, wie es denn wirklich vornehme Kaufleute genug
+dort giebt, welche mit Marseille, Gibraltar, Cadix oder Lissabon
+Auseinandersetzungen haben, welche die eben angeführte Summe jährlich noch
+übersteigen. Es versteht sich von selbst, dass dieser Handel meist durch
+Vermittlung abgeschlossen wird; aber auch oft genug kommt es vor, dass ein
+Fessi auf der Pilgerfahrt nach Mekka Station in Marseille macht, dass er in
+Gibraltar längeren Aufenthalt hat, ja ich lernte Kaufleute in Fes kennen,
+die direct, bloss um Waaren zu kaufen oder um Handelsbeziehungen
+anzuknüpfen, eine Reise nach Cadix oder Lissabon unternommen hatten.
+
+Alle diejenigen, welche in den berberischen Staaten gewesen sind, welche
+sich in den leichter zugänglichen Städten Bengasi, Tripolis, Sfax, Tunis
+und anderen Orten aufgehalten haben, wissen, wie gross das Vertrauen
+europäischer Kaufleute ist; den Eingebornen werden oft Waaren von sehr
+bedeutendem Werth auf Credit verabfolgt. Man borgt selbst Kaufleuten aus
+dem fernen Innern, wo jede Reclamation, falls man betrogen würde, unmöglich
+wäre. Und doch kommt es sehr selten vor, dass irgend Jemand sich eines
+Betrugs schuldig macht. Von Timbuctu, Kano, Bornu, Mursuk und Rhadames
+sehen wir Kaufleute auf Credit in Tunis, Tripolis oder Kairo Waaren
+entnehmen; sie ziehen damit in ihre Heimath, jahrelang bleiben sie manchmal
+verschollen, aber nachdem sie ihre Waaren verkauft haben, laufen immer
+Gegenwaaren oder Gelder ein, und der europäische Kaufmann wird befriedigt.
+
+So machen es die Fessi auch; die Waaren, welche sie sich en gros von Europa
+holen, bestehen vorzugsweise in roher und verarbeiteter Seide, in
+Baumwollenstoffen, Tuchen, Papier, Waffen, d.h. langen Flinten und Säbeln,
+Pulver, Thee, Zucker, Droguen und Gewürzen. Es giebt überhaupt jetzt fast
+keinen Artikel, den man in Fes nicht fände.
+
+Die Engros-Händler haben ihre Waaren bei sich im Hause, die meisten aber
+haben zugleich ein Hanut, d.h. ein Verkaufsgewölbe, wo sie entweder selbst
+verkaufen oder verkaufen lassen. Der Punkt, wo der Haupthandelssitz ist,
+heisst die Kessaria; derselbe liegt im Centrum von Alt-Fes, dicht bei der
+Karubin- und Mulei-Edris-Moschee, die zum Theil von der Kessaria umgeben
+sind.
+
+Leo will das Wort Kessaria vom lateinischen Caesar ableiten; zur Zeit der
+römischen Herrschaft hätten in den mauritanischen Städten einige ummauerte
+Centren bestanden, damit die kaiserlichen Beamten hier ihre Zolle erhöben,
+und wo zu gleicher Zeit dann die innewohnenden Kaufleute die Verpflichtung
+gehabt hätten, mit ihren eigenen Gütern das Eigenthum der kaiserlichen
+Regierung zu beschützen. Man findet übrigens den Ausdruck Kessaria als
+Marktplatz in allen Städten Nordafrika's.
+
+In dieser Kessaria finden wir alle feineren und vorzugsweise die von Europa
+kommenden Waaren. Die Kessaria besteht aus einem grossen Complex von nicht
+für Thiere zugänglichen Strassen, zum Theil durch Häuser, zum Theil aber
+auch nur durch Gewölbe gebildet. Alle Strassen sind überdacht. Wir haben
+hier Gänge mit Buden wo Specereien, andere wo Essenzen, andere wo Thee und
+Zucker[89], andere wo Porzellan, d.h. vorzugsweise Vasen, Gläser, Tassen
+und Teller, andere wo Tuche, andere wo Seidenstoffe, andere wo Lederwaaren
+verkauft werden. Auch Uhrläden, zwei oder drei, ja sogar eine Pharmacie ist
+vorhanden, wenn man so eine Ansammlung fast aller Medicamente, worunter
+auch Chinin, Tartarus stib. und Ipecacuanha, nennen kann. Ein gewisser
+Djaffar hat sich diese Medicamente von Lissabon geholt, und ein
+Verzeichniss in portugiesischer Sprache zeigt zugleich die zu gebende Dose
+an und die Krankheit, wogegen die Medicin gegeben wird.
+
+ [Fußnote 89: Thee und Zucker wird in ganz Marokko als eine
+ zusammenhängende Waare verkauft, wenigstens hält es sehr schwer Thee
+ allein zu bekommen. Auf ein halbes Pfund Thee werden fünf Pfund
+ Zucker gerechnet. Der Thee selbst, von Engländern importirt, ist von
+ der grünen Sorte und schlechter Qualität.]
+
+Tritt man aus der Kessaria heraus, so kommt man ins eigentliche
+industrielle Leben hinein. Hier eine lange Reihe von Buden, wo gelbe, rothe
+und buntfarbige Pantoffel verarbeitet werden, dort dicht dabei Gerber,
+welche das buntgefärbte weiche Corduan, Marocain- und Saffian-Leder
+verkaufen. Zeigt schon der Name an, dass zuerst die Kunst, das Schaf- und
+Ziegenleder zu jener schönen Weiche, mit der grössten Zähigkeit verbunden,
+zuzubereiten, von den Mohammedanern in Cordova erfunden wurde, später aber
+die berühmtesten Gerbereien in Marokko selbst und noch später in Saffi
+(Asfi) sich befanden, so scheinen heute die schönsten Leder in Fes bereitet
+zu werden, wenigstens sind in ganz Nordafrika die Leder von Fes als die
+feinsten und dauerhaftesten gerühmt.
+
+Aber man kommt nicht gleich aus der Kessaria in die labyrinthischen
+Handwerkerstrassen, man hat, wenigstens auf dem Wege nach Neu-Fes hin,
+zuerst die Blumenbuden zu durchwandern, und es bilden die Blumen einen
+hübschen Uebergang von der Industrie zum Handel. Es ist eigenthümlich,
+welche Vorliebe von jeher die Bewohner von Fes vor den übrigen Marokkanern
+für Blumen gehabt zu haben scheinen, wie denn auch die Cultur derselben in
+Gärten überall hervortritt.
+
+Das Haus, welches der Bascha-Gouverneur von Fes mir als Aufenthalt
+angewiesen hatte, lag am Abhange der östlichen Hügel. Von einem Arme des
+Ued Fes durchflossen, waren ausser Orangen, Feigen, Oliven, Aprikosen,
+Pfirsichen und Granaten, überall blühende Rosenstöcke, grosse Büsche
+Jasmin, Nelken, Veilchen und stark duftende Kräuter.
+
+Diese findet man denn auch vorzugsweise in der Blumenabtheilung, hier sind
+Jasmin, Basilik, Nelken, Hyazinthen, Rosen, Narcissen, Pfefferminze,
+Absinth, Thymian, Majoran, dort sind ganze Blumenbouquets, Meschmum en nuar
+genannt, zu haben. Gemüse und Obstbuden schliessen sich daran.
+
+Von solchen Gewerken, worin Fes noch heute vorzugsweise glänzt, nenne ich
+ferner die Töpferwaaren. Grosse Schüsseln, kleine Leuchter und Lampen und
+dergleichen Gegenstände werden aus einem porcellanartigen Thone sehr schön
+hergestellt. Nach Art unserer alten deutschen Thonwaaren sind sie mit
+groben blauen Figuren bemalt und glasirt.
+
+Hieran schliessend, erwähne ich der "Slaedj," kleine Fliesen von bunten
+Farben, die ebenfalls in Fes fabricirt werden. Wenn einst die
+Waffenschmiede in diesen Ländern berühmt waren, so sieht man jetzt in den
+Gewölben nur europäische Fabrikate ausgestellt. Ebenso haben die früher so
+bekannten rothen Mützen (daher der Name "Fes," den wir jetzt noch den
+rothen Mützen geben) sich nicht auf ihrer einstigen Höhe halten können,
+nicht nur die von Tunis sind jetzt bedeutend besser, sondern selbst in
+Livorno werden sie billiger und schöner hergestellt. Besonders hervorheben
+müssen wir sodann die Manufacturwaaren von seidenen Schärpen, 3-4 Fuss
+breit, 40-50 Fuss lang; es sind diese seidenen von Gold durchwirkten Stoffe
+das Kostbarste, was Fes auf den mohammedanischen Markt bringt, und
+heutzutage das Einzige, worin es unübertroffen dasteht.
+
+Von allen übrigen Handwerken finden wir in Fes nichts, was die Stadt
+vorzugsweise auszeichnete, aber alle sind in so grosser Menge vertreten,
+dass man auf den ersten Blick sieht, es wird hier nicht bloss für die
+Bedürfnisse der Stadt gearbeitet, sondern für das ganze Land.
+
+Die lange Strasse, welche Alt-Fes mit Neu-Fes verbindet, ist denn auch
+weiter nichts als ein Bazar, und es herrscht hier natürlich die grösste
+Frequenz, nicht nur weil alle Leute vorzugsweise diesen verhältnissmässig
+breiten Weg benutzen, um von einer zur andern Stadt zu kommen, sondern auch
+weil ein Hauptkarawanenweg hier durchführt, auf dem sich beständig lange
+Reihen von beladenen Kameelen, Maulthieren und Eseln fortbewegen. Verfolgt
+man diesen Weg weiter nach Neu-Fes hinein, so findet man sich gleich darauf
+vor dem ummauerten Stadttheile der Juden, der Melha. Die Juden aber dürfen
+_nur_ in Neu-Fes und hier abgesondert von den Gläubigen in einem
+ummauerten Viertel, das gleich an das kaiserliche Palais stösst, wohnen.
+Und sie sind gern hier, denn so sehr sie auch den Vexationen und
+Erpressungen der Regierung des Sultans ausgesetzt sind, so haben sie doch
+längst einsehen gelernt, dass es besser ist unter dem Schutze selbst der
+despotischsten Herrschaft zu wohnen, als der Willkür eines dummen und
+fanatischen Volkes preisgegeben zu sein. Im Judenviertel herrscht übrigens,
+was Handel und Wandel, was Industrie und Handwerke anbetrifft, eben das
+geschäftliche und rege Treiben, wie in der Kessaria und den Strassen von
+Alt-Fes.
+
+Vorzugsweise sieht man Gold- und Silberarbeiten in den Händen der Juden,
+die Nadeln, welche dazu dienen, das Haar der Frauen oder ihre Kleider zu
+befestigen, Fingerringe, Arm- und Fussbänder (auch die marokkanischen
+Frauen tragen oberhalb der Knöchel schwere kupferne oder silberne Ringe)
+werden fast ausschliesslich von den Juden hergestellt. Ebenso ist die
+Secca, d.h. Münze, nur von den Juden bedient. Es ist dies ein ziemlich
+ansehnliches Gebäude, welches Theil des Palastes des Sultans ist und
+unmittelbar an die Melha anstösst.
+
+An einheimischen Münzen haben die Marokkaner jetzt nur den Fls (pl. flus),
+eine kleine Kupfermünze, welcher auf einer Seite das Salomon'sche Siegel,
+d.h. das bayerische Bierzeichen (zwei durcheinandergehende Dreiecke), und
+auf der anderen Seite Jahreszahl und Prägungsort (auch in Tetuan befindet
+sich eine Münze) zeigt, dann zwei Flus-Stücke, udjein genannt, ebenfalls
+geprägt. Sechs Flus bilden die imaginäre Münze, Mosona genannt: eine Mosona
+giebt es nicht geprägt. Sie ist ungefähr gleich einem Sou.
+
+Vier Mosonat bilden sodann eine Okia, d.h. Unze, ebenfalls nur ein
+Ausdruck, aber acht Mosonat oder zwei Unzen ist die kleinste, und 10
+Mosonat oder 2-1/2 Unzen die grösste _geprägte_ Silbermünze. 10 Unzen
+bilden die imaginäre Münze Metkal. Und die einzige _geprägte_
+Goldmünze, Bendki genannt, besteht aus 2-1/2 Metkal. Im übrigen gelten die
+französischen und die spanischen Silbermünzen im ganzen Lande, und
+französisches, spanisches und englisches Geld überall nördlich vom Atlas.
+Der einst so beliebte spanische Bu-Medfa-Thaler, so genannt von den beiden
+Herkulessäulen, welche die Marokkaner für Kanonen halten, ist fast ganz aus
+dem Handel verschwunden, dagegen hat der französische fünf Francs-Thaler
+Platz gegriffen. Frankreich lässt für Marokko auch silberne 20
+Centimes-Stücke schlagen[90], welche in Marokko im Werthe einer Unze
+cursiren. Der österreichische Maria-Theresien-Thaler, der sonst in ganz
+Afrika ohne Nebenbuhler herrscht, wird in Marokko äusserst selten
+gefunden.
+
+ [Fußnote 90: Wenigstens muss man so annehmen, da man in Frankreich
+ selbst die 20 Cent.-Stücke fast gar nicht sieht, hingegen in Marokko
+ sie äusserst zahlreich und von allen Jahrgängen vertreten findet.]
+
+Die Maasse und Gewichte sind in Marokko fast für jede Stadt
+_verschieden_, für die Länge hat man die Elle, Draa mit Brüchen als
+Unterabtheilung, dann Zoll, für das Gewicht das Pfund, Unze, Metkal
+(letzteres für Goldstaub) für flüssige und trockene Sachen, endlich
+verschiedene Maasse.
+
+Administrirt wird die Stadt von zwei Gouverneuren, von denen der eine den
+Titel "Bascha" hat und Alt-Fes vorsteht, während der andere "Kaid" genannt
+wird und über Neu-Fes herrscht. Es scheint hieraus hervorzugehen,
+einestheils dass die Regierung des Sultans beide Städte als vollkommen
+getrennt betrachtet, und andererseits Neu-Fes mehr als eine Festung
+angesehen, während Alt-Fes als wichtiger gehalten wird, dadurch dass man es
+von einem Bascha administriren lässt. In den Wohnungen des Bascha und Kaid
+wird zu gleicher Zeit täglich Recht gesprochen. Der Kadi jeder Stadt findet
+sich dort täglich ein, und alle Rechtsfälle werden auf der Stelle zur
+Entscheidung gebracht. Es kann sodann an den Bascha oder Kaid appellirt
+werden, und von diesen an den Grosswessier oder Sultan selbst.
+
+Es kommt gar nicht selten vor, dass Kläger sich von dem Kadi an den Bascha
+und von diesem an den Sultan wenden. Gegen Stockstrafe oder Knutenhiebe
+wird fast nie remonstrirt, wohl aber gegen Geldbusse. Der Kadi and Bascha
+haben Strafvermögen in unbegrenztem Masse, indess werden selten Knutenhiebe
+über 300 an der Zahl ausgetheilt, die Geldbussen aber so hoch wie möglich
+hinaufgetrieben. Grösserer Diebstahl hat immer das Abhacken zuerst der
+linken, dann beim Rückfall das der rechten Hand zur Folge. Hat man keine
+Hände mehr zum Abschlagen, so kommen die Füsse an die Reihe, oft bei
+grossen Diebstählen oder gravirenden Umständen werden auch gleich die Füsse
+abgehauen. So wurden einem Landbewohner, der im Sommer, als ich mich in Fes
+befand, ein Pferd des Sultans gestohlen hatte, der rechte Fuss und die
+linke Hand abgehackt. Das aus der Altstadt nach Neu-Fes zu führende Thor
+hat immer eine Menge solcher Trophäen auszuweisen, auch Köpfe von
+hingerichteten Verbrechern haben hier ihren Ausstellungsort, während meiner
+Anwesenheit in Fes sah ich indess keinen Kopf ausgestellt.
+
+Das Recht wird übrigens vollkommen willkürlich gesprochen, und Bestechungen
+sind an der Tagesordnung.
+
+In Neu-Fes war in den ersten sechziger Jahren ein Schwarzer, ein ehemaliger
+Sklave Namens Faradji Kaid. Dieser hatte schon seit mehr als 50 Jahren
+diesen Posten inne, und galt als ein Phänomen. Er hatte unter Sultan Sliman
+die Stelle bekommen, sie unter Abd-er-Rhaman behauptet, und war auch von
+Sidi Mohammed, dem jetzigen Sultan, bestätigt worden. Im ersten Jahre der
+Regierung des jetzigen Kaisers wurde Faradji verläumdet, man machte den
+Sultan auf seine ungeheuren Reichthümer aufmerksam, man deutete darauf hin,
+dass Faradji, der doch ehemals nur Sklave gewesen, diese grossen
+Reichthümer wohl nur durch Erpressung, Bestechung oder gar dadurch, dass er
+sich am Eigenthum des Sultans selbst vergriffen, habe erwerben können. Der
+Sultan liess Faradji kommen, und befahl ihm, da er gehört habe Faradji habe
+_fremdes_ Eigenthum, er überdies ja als ehemaliger Sklave nichts
+besessen habe, das fremde Eigenthum, und namentlich das was ihm, dem
+Sultan, zukomme, von seinem zu sondern. Der schlaue Faradji erwiederte
+nichts, ging in den Pferdestall des Sultans, entledigte sich seiner
+Kleidungsstücke, zog einen alten wollenen Kittel über, und fing an den
+Stall zu kehren. Der Sultan fragte einige Zeit später nach Faradji, und war
+erstaunt als derselbe im ärmlichsten Anzüge vor ihm erschein. Befragt,
+warum dies, erwiederte er: "Ja Herr, Du befahlst meine Habe von der
+Deinigen zu trennen! Als ich von Deinem Grossoheim Mulei Sliman gekauft
+wurde, hatte ich nichts als diesen wollenen Sklavenkittel, den ich zum
+Andenken meiner Herkunft aufbewahrt habe, und auch dieser gehört ja, streng
+genommen, nicht einmal mir, wie konnte ich also mein Eigenthum von Deinem
+trennen, bin ich nicht noch immer Dein Sklave? Lass von Deinem Diener alles
+nehmen, alles was ich verwaltete, ist Dein rechtmässiges Eigenthum."
+
+Man kann sich denken, dass der auf diese Art die Grossmuth des Sultans
+anrufende Faradji leichtes Spiel hatte, in der That umarmte ihn Sidi
+Mohammed, und Faradji wurde aufs neue in seine Kaidwürde eingesetzt, und
+ihm alle seine Güter gelassen. Als der Sultan von Neu-Fes nach Mikenes
+übersiedelte, besuchte ich mehreremal Faradji, er war immer sehr freundlich
+und zuvorkommend, pflegte den ganzen Morgen, auf einem Teppich sitzend, vor
+dem Magazin (es ist dies der officielle Ausdruck für das Palais des
+Sultans, und bedeutet zugleich die ganze Regierung) zuzubringen. Faradji
+war ein stattlicher schwarzer Greis mit intelligenten Gesichtszügen und
+schönem, wenn auch nur spärlichem weissem Barte. Seiner eigenen Meinung
+nach war er 1863 neunzig Jahre alt, was wohl eher zu wenig als zu viel sein
+dürfte, da er schon unter Sultan Sliman[91], also zur Zeit als Ali Bey
+Marokko besuchte, Kaid war.
+
+ [Fußnote 91: Die jetzige Dynastie in Marokko wird die der Filali
+ genannt, weil der Gründer Mulei Ali ans Tafilet (der Bewohner
+ Tafilets heisst ein Filali) stammt. Dessen Sohn Mulei Mohammed wurde
+ von seinem Bruder Mulei Arschid vom Throne gestürzt, und dieser, der
+ von 1664-1672 regierte, war nach Jussuf ben Taschfin der mächtigste
+ Monarch. Die Grausamkeit dieses Sultans wurde von den raffinirten
+ Grausamkeiten Mulei Ismaëls, der sein Bruder war und ihm 1672
+ folgte, noch übertroffen. Ismaël, jetzt einer der grössten Heiligen
+ von Marokko, regierte bis 1727. Nach ihm folgte Mulei Ahmed Dehabi,
+ vierter Sohn Ismaëls, regierte jedoch nur bis 1729; sein Bruder
+ Mulei-Abd-Allah folgte bis 1757, und nach ihm kam sein Sohn Sidi
+ Mohammed, der bis 1790 regierte und im Jahre 1760 Mogador gründete.
+ Die beiden folgenden Söhne, Mulei Mohammed Mahdi el Tisid und Mulei
+ Haschem regierten nach einander zusammen nur zwei Jahre. Mulei
+ Sliman behauptete sodann den Thron von 1792-1822, und nach ihm
+ regierte Mulei Abd-er-Rhaman ben Hischam bis 1859, und dessen
+ zweiter Sohn, Sidi Mohammed, behauptet heute noch den Thron.]
+
+Si Mohammed ben Thaleb, der Bascha von Alt-Fes, dessen Gast ich während der
+ganzen Zeit meines Aufenthalts in Fes war, hatte freilich ein ganz anderes
+Schicksal. Er war ein Mann von rechtlichem Charakter und vollkommen
+vorurteilsfrei, was in Marokko viel sagen will; ich finde in meinem
+Tagebuch sogar die Notiz: "Ben Thaleb war der einzige wirklich ehrliche und
+durchaus rechtliche Mensch, den ich in Marokko kennen lernte." Gebürtig aus
+Ain Tifa, einem Orte etwa einen Tagemarsch südöstlich von der Stadt
+Marakisch gelegen, war er fast unabhängiger Herrscher über eine dortige
+Berbertribe, welche seiner eigenen Aussage nach sieben Hauptstämme
+umfasste. Mächtig und reich (er verkaufte jährlich für etwa 200,000 Fr.
+Mandeln nach Ssuera), wäre er gewiss lieber in seiner Stellung als
+Berberchef geblieben, wie er überhaupt nie fröhlicher und vergnügter war,
+als wenn seine Stammgenossen, Berber von der Heimath, ihn in Fes besuchten
+und er mit ihnen Schellah oder Tamashirt reden konnte. Aufstände, wie sie
+so häufig in Marokko vorkommen, verwickelten seine Berberstämme im Jahre
+1846 gegen die kaiserliche Regierung; Ben Thaleb selbst betheiligte sich
+jedoch nicht daran, sondern hielt mit seiner ganzen Familie zum Sultan. Der
+Aufstand endete, wie in der Regel, mit der Niederlage der Rebellen, der
+Sultan Abd-er-Rhaman aber, um einen so mächtigen Stamm für immer an sein
+Haus zu ketten, ernannte ihren Schich Ben Thaleb zum Bascha-Gouverneur von
+Fes, welche Stelle als die erste nach dem Uïsirat (Ministerium) im ganzen
+Reich betrachtet wird. Der Berberstamm wurde durch eine so schmeichelhafte
+Auszeichnung, die seinem Chef widerfuhr, vollkommen zum Sultan
+hinübergezogen, und auch Ben Thaleb schien diesen Platz, der mehr als jeder
+andere abwirft, zuerst nicht ungern angenommen zu haben.
+
+Indess schon zu Lebzeiten Mulei-Abd-er-Rhaman's war Ben Thaleb wiederholt
+um seinen Abschied eingekommen, er hatte in Erfahrung gebracht, dass ein
+Gouverneur von Alt-Fes, der reichsten Stadt des Landes, nie eines
+natürlichen Todes stürbe. In Marokko haben nämlich die Beamten eine ganz
+andere Stellung als bei uns. Nicht dass sie vom Staate, wie denn dort Staat
+und Sultan noch eins sind, oder vom Herrscher Gehalt bekommen, müssen sie
+im Gegentheil der Regierung, oder der Casse des Sultans, Gelder abliefern.
+Sie können allerdings dafür von ihren Schutzbefohlenen so viel erpressen,
+wie sie wollen. Da nun jeder Beamte darauf ausgeht, seinen Säckel zu
+füllen, ausserdem aber grosse Summen dem Sultan abzuführen hat, so kann man
+sich denken, wie schlecht das Volk dabei fährt, und meistens sind
+Uebersteuerungen und willkürliche Erpressungen die Ursachen der so häufigen
+Revolten. Es ist dieses System auch andererseits Ursache der schlechten
+Cultur des Bodens; abgesehen davon, dass weder Berber noch Semiten je etwas
+im Ackerbau geleistet haben, giebt sich kein Mensch Mühe, den Boden so
+ergiebig wie möglich zu machen, weil er weiss, dass die Erzeugnisse der
+Regierung verfallen sind. Ebenso ist der Handel dadurch gelähmt, der reiche
+Kaufmann von Fes sieht mit Bangen dem Tage entgegen, wo die Regierung sich
+seiner Ersparnisse bemächtigt, und es giebt deshalb auch in keiner Stadt,
+in keinem Ort Jemand, der nicht seinen geheimen Schatz hätte, der in der
+Regel vergraben ist.
+
+Der Bascha ben Thaleb regierte im Jahre, als ich Fes betrat, die Stadt seit
+13 Jahren. Da er seinen Abschied auch von Sidi Mohammed nicht bekommen
+konnte, tröstete er sich mit den Gedanken, diesem bei seinem
+Regierungsantritt den wichtigsten Dienst geleistet zu haben, und rechnete
+auf seine Erkenntlichkeit.
+
+Wie bei jedem Kaiserwechsel, so waren auch bei dem Tode
+Mulei-Abd-er-Rhaman's grosse Unruhen und Fehden um die Nachfolge
+ausgebrochen. Es war vor allen der älteste Sohn des Sultan Sliman,
+Namens Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman, der mit Hülfe der Franzosen
+hoffte, den Thron seines Vaters wieder zu gewinnen, aber trotzdem er
+seinen Sohn Hülfe bittend an den gerade mit der Niederwerfung der Beni
+Snassen beschäftigten französischen General Martimprey schickte, konnte
+er nicht aufkommen. Da war ferner der erste Sohn des verstorbenen
+Sultans und älterer Bruder des jetzt regierenden, auch er wurde aus dem
+Felde geschlagen, und wurde wie der ersterwähnte nach Tafilet
+verbannt[92]. Der jetzt regierende Sultan Sidi Mohammed verdankte seine
+schnelle Installirung hauptsächlich dem Umstande, dass sich Sidi el
+Hadj-Abd-es-Ssalam von Uesan für ihn erklärte, dass er schon bei
+Lebzeiten des Vaters Califa, d.h. Stellvertreter des Sultans gewesen und
+grosse Schätze angesammelt hatte, und dass sich Ben Thaleb, der
+Gouverneur von Fes, sofort zu seiner Partei bekannte.
+
+ [Fußnote 92: Beide Prinzen, die ich dort kennen lernte im Jahre 1863,
+ lebten in freiwilliger Verbannung, obschon man in Marokko behauptet,
+ die Regierung habe sie dorthin verbannt. Die Lage ist aber derart,
+ dass, wenn der Sultan seines Bruders und Vetters habhaft werden
+ könnte, er sie sicher würde hinrichten lassen.]
+
+Der Bascha von Alt-Fes hatte indess gar nicht so leichtes Spiel, denn wenn
+auch Faradji, der Gouverneur von Neu-Fes, des jetzigen Sultans Panier
+ergriff, so hatte dieser mit seinen wenigen Soldaten genug zu thun, um das
+Palais des Sultans und Neu-Fes vor Plünderung und Angriff zu schützen. Ben
+Thaleb hatte aber ausser einem Dutzend Maghaseni (Reiter) nur von seinen
+eigenen, mit Flinten bewaffneten Berbern vielleicht 50 Mann zur Verfügung.
+Der jetzige Sultan war mit der Armee noch fern von der Hauptstadt.
+
+Eines der wichtigsten Quartiere der Stadt, das der Djemma Mulei Edris,
+vorzugsweise von Schürfa (Abkömmlingen Mohammed's) bewohnt, empörte sich
+nun sofort nach dem Tode Abd-er-Khaman's und rief den ältesten Sohn des
+Sultan Sliman zum Nachfolger aus. Aber sie hatten nicht auf Ben Thaleb's
+eiserne Energie gerechnet: er liess fast vom ganzen Quartiere die
+erwachsenen Männer decimiren, die Häuser der vornehmsten Schürfa wurden dem
+Boden gleich gemacht, und alles was am Leben blieb, wurde seines Eigenthums
+beraubt. Diejenigen nun, welche wissen was es heisst, einen Scherif in
+Marokko beleidigen, strafen oder gar tödten, können sich denken, welche
+Aufregung dieses Verfahren Ben Thalebs hervorrief, der nicht einmal Araber,
+geschweige Scherif, sondern nur ein Brebber[93] war. Aber der Berber-Schich
+war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen, andererseits vertheilte
+er den anderen Quartieren der Stadt je 2000 Metkal, ein ganz artiges
+Sümmchen für 17 Quartiere. So brachte er durch Strenge und Güte es dahin,
+dass Fes den jetzigen Sultan gleich anerkannte, und als der Vetter des
+Sultans mit seinem Heere vor die Hauptstadt rückte, wurde er von den
+Bewohnern von Fes, an deren Spitze Faradji und Ben Thaleb standen,
+feindselig empfangen; er musste fliehen, als Sidi Mohammed herbeirückte,
+diesem wurden die Thore geöffnet, und damit hatte Marokko einen Sultan,
+
+ [Fußnote 93: Bezeichnung für Berber in Marokko. Man sieht hieraus,
+ dass der Araber den Wahn, den Mohammed lehrte, das arabische Volk
+ sei besser als jedes andere, noch immer aufrecht erhalten. Es trug
+ dies wesentlich zum Untergange des arabischen Volkes bei, wie denn
+ auch die Juden den Dünkel das auserwählte Volk Gottes zu sein
+ schwer genug haben büssen müssen.]
+
+Als Gast des Bascha's bezog ich mit meinem Dolmetsch, welcher Hauptmann der
+regelmässigen Armee des Sultans war, ein Zimmer, welches zur Privatmoschee
+des Bascha's gehörte, welche gleich neben seiner Amtswohnung gelegen ist.
+Mit zunehmender Wärme wurde der Aufenthalt in diesem Zimmer bald
+unerträglich, und als eines Tages der Bascha fragte, wie ich mit meiner
+Behandlung zufrieden sei, machte ich ihn auf die unerträgliche Hitze
+aufmerksam. Er rief einen seiner Diener und fragte ihn, welche Wohnung in
+der Nähe der seinigen auf der Stelle zu haben sei; dieser bezeichnete einen
+reizenden Sommersitz, welcher, obschon in der Stadt gelegen, einen hübschen
+Garten habe, vom Fes-Flusse durchzogen würde, an die Wohnung des Bascha
+anstiesse, "aber, fügte er hinzu, der Scherif, dem es gehört, hat seinen
+Sommeraufenthalt schon darin genommen." "Geh' auf der Stelle und sage ihm,
+ich brauche seine Wohnung," war des Bascha's kurze Antwort "Und du
+Mustafa,"[94] fuhr er fort, "kannst heute noch umziehen, und wirst nun
+gewiss zufrieden sein." Der Scherif schien indess nicht grosse Eile zu
+haben; vielleicht glaubte er auch, weil er Scherif (Abkömmling Mohammed's)
+sei, dem Befehle trotzen zu können. Kurz, als ich am folgenden Tage Ben
+Thaleb besuchte und er sich nach meiner Wohnung erkundigte, musste ich
+gestehen ich sei, weil der Eigenthümer sich noch immer in seinem Hause
+befände, noch in meinem Moschee-Zimmer. Aber kaum liess der Bascha mich
+vollenden; ein Diener wurde gerufen, er bekam Befehl, auf der Stelle den
+Scherif mit seinem beweglichen Eigenthum auf die Strasse zu setzen; so
+geschah es, und an demselben Tage konnte ich einziehen. Es würde nichts
+genützt haben, hätte ich zartfühlend gegen diesen Befehl, den Eigenthümer
+aus seinem Besitze zu vertreiben, protestiren wollen, Niemand würde ein
+solches Benehmen verstanden haben, da das _unfehlbare Benehmen_, d.h.
+willkürliches Betragen, sich vom Sultan auch auf seine Beamten übertragen
+hat.
+
+ [Fußnote 94: Es war dies mein in Marokko angenommener Name.]
+
+Folgendes nun wirft auch Licht auf das summarische Gerichtsverfahren in
+Marokko und Fes überhaupt, und ich schreibe die hier folgenden Zeilen
+wörtlich aus meinem damals geführten Notizbuch ab.
+
+Das neue Haus, welches ich bezog, hat ein Stockwerk und ist nicht nach Art
+der Wohnhäuser in Fes eingerichtet, sondern nach anderen Regeln erbaut.
+Mitten im Garten liegend, fliesst unter dem Hause der kleine Ued Fes, der
+hier in den Garten tritt und in einer 4' tiefen und 6' breiten gemauerten
+Rinne läuft, bis er an eine dem Hause gegenüberliegende Veranda kommt, und
+unter dieser in einen andern Garten tritt. Das Haus selbst hat unten eine
+geräumige Veranda, einen Salon und ein Zimmer, das alkovenartig (eine Art
+von Kubba) hinten angebaut ist; oben sind drei Zimmer, die wir unbewohnt
+liessen; ebenso wurde das platte Dach selten benutzt. Der mir als Dolmetsch
+beigegebene Offizier schlief mit mir im hintern alkovenartigen Zimmer; in
+der einzigen Thür, welche zum Salon führte, schliefen drei Diener zwei
+andere in der Veranda, und zwei waren in der gegenüberliegenden Veranda, wo
+wir der Bequemlichkeit halber auch unsere Pferde stehen hatten. So bewacht,
+dachten wir nicht im entferntesten an Diebstahl, zudem in Fes Nachts, weil
+die einzelnen Quartiere, wie früher schon erwähnt ist, abgeschlossen sind,
+die grosse Communication ganz aufgehoben ist.
+
+Eines Abends hatten wir, der Kaid oder Hauptmann und ich, auf unserem
+Teppich liegend, spät Abends Thee getrunken, beim silbernen Mondschein, am
+Rande des vorbeiplätschernden Flüsschens, unter duftenden Orangenbäumen
+hatten wir die Zeit vergessen, und der Muden ilul (das erste Avertissement
+zum Gebet wird im Sommer schon um 1 Uhr Morgens von den Minarets gegeben)
+ertönte, als wir schlafen gingen. Wir mochten kaum eine halbe Stunde
+geschlafen haben, als einer der Diener "Sserakin, Sserakin" (Diebe, Diebe)
+rief. Alle liefen wir hinaus mit Gewehren bewaffnet, aber nichts war zu
+finden. Wie hätte aber auch ein Dieb herein und so schnell hinauskommen
+können: an drei Seiten hatte der Garten fast 20 Fuss hohe Mauern, und die
+vierte Seite führte mittelst einer senkrechten, etwa 30 Fuss hohen
+Mauerwand in einen anderen Garten, unmöglich konnte er hier
+hinuntergesprungen sein. Indess fanden wir, nach unserer Behausung
+zurückgekehrt, dass wirklich ein Dieb dagewesen sein musste, es fehlten von
+meinen Kleidungsstücken, die ich abgelegt hatte, Hosen, Pantoffeln, dann
+der Turban des Hauptmanns, ferner ein erst Tags zuvor angebrochener Hut
+Zucker, endlich unser ganzes Theeservice, Eigenthum des Bascha's. Eine
+genauere Untersuchung ergab, dass der Dieb unter der Gartenthür sich
+durchgewühlt, und wahrscheinlich schon mehrere Gänge gemacht hatte.
+
+Auf unsere am anderen Morgen erfolgte Anzeige wurden von Ben Thaleb
+sämmtliche umwohnenden Bürger verhaftet, sie mussten die Sachen in
+Gemeinschaft ersetzen, ausserdem ein jeder 20 "Real" (so nennt man die
+französischen fünf Francs-Stücke) Caution erlegen, bis der Dieb von ihnen
+selbst ermittelt wäre. Mit Erlegung der 20 Reals erlangten sie zwar ihre
+Freiheit wieder, aber ich glaube kaum, dass sie je wieder zu ihrem Gelde
+gekommen sind, sollte es ihnen auch gelungen sein den Dieb zu ermitteln.
+Ich bemerke hiebei, dass ich einige Jahre später in Leptis magna von der
+türkischen Behörde eine ganz ähnliche Justiz üben sah, als einem meiner
+Diener aus dem Zelt ein Revolver Nachts gestohlen wurde.
+
+Ausser den beiden Gouverneuren der Stadt giebt es sodann Vorsteher der
+einzelnen Quartiere, Vorsteher der Moscheen, Einsammler der Gelder,
+Marktvögte, einen Marktkaid der Kessaria, und einen Marktkaid des grossen,
+einmal in der Woche ausserhalb der Stadt abgehaltenen Marktes. Die
+Marktvögte und der Marktkaid haben hauptsächlich die Obliegenheit
+Streitigkeiten zu schlichten und Ordnung zu halten. An jedem Thore findet
+man einen Kaid el Bab, der die Thore zu öffnen und zu schliessen, sowie den
+Zoll zu erheben hat, es ist sodann eine Hauptzollamt in der Stadt, endlich
+sind als Behörden noch die Zunftmeister zu nennen, da jedes Handwerk zu
+einer Zunft verbunden ist, welcher ein Meister, der den Titel Kebir hat,
+vorsteht.
+
+Die nächste Umgebung der Stadt zeigt im Norden, Osten und Westen die
+blühendsten Gärten, die man sich nur denken kann, im Südwesten sind
+Vorstädte; fast vor allen Thoren ziehen sich Gräberreihen und Gottesäcker
+hin, von denen einige äusserlich recht stattlich aussehende grössere
+Grabmonumente aufzuweisen haben. Indess liegt in diesen kaiserlichen
+Grabmonumenten eine gewisse Einförmigkeit, alle haben viereckige Form,
+darüber eine achteckige oder viereckige oder auch ganz runde Bedachung. Im
+Innern findet man in der Regel einen Sarkophag, oft mit Tuch überzogen, oft
+aber auch nur aus einem hölzernen Gestell bestehend. Neben einem solchen
+Hauptgrabe findet man manchmal zwei bis sechs und noch mehre kleinere
+einfache Gräber; entweder waren es Kinder der hier begrabenen Fürsten oder
+manchmal auch Vornehme und Grosse des Landes, die gegen hohe Geldsummen das
+Recht erwarben, sich an der Seite ihres Sultans begraben lassen zu können.
+Von der jetzt _regierenden_ Dynastie ist niemand in oder ausserhalb
+Fes' beerdigt, sie hat ihre Grabstätten in Mikenes.
+
+Ein grosser und für uns Europäer fast unerträglicher Uebelstand ist, dass
+dicht vor den Thoren sich verwesende Berge, oft 50 Fuss hoch, von crepirten
+Thieren befinden; seit Jahrhunderten ist es Brauch, jedes todte Vieh, allen
+Unrath vor die Thore der Stadt zu bringen, aber so dicht an den Wegen sind
+diese verpestenden Hügel errichtet, dass es eine Qual ist, aus der Stadt
+heraus und in dieselbe hinein zu kommen.
+
+Der die Stadt beherrschende Berg, der im Norden und Nordwesten sich um
+dieselbe herumzieht, heisst Djebel-Ssala, er hat vielleicht 1000 Meter
+absolute Höhe. Unter dem Vorwande, Kräuter für Bascha Ben Thaleb suchen zu
+wollen, bekam ich eines Tages Erlaubniss hinauf zu reiten; durch einen
+breiten Gürtel lachender Feigen- und Orangengärten, wo ausserdem Pfirsiche,
+Aprikosen, Granaten, Wein und Kirschen gezogen werden, gelangt man in
+Oelwaldungen, das zweite Drittel ist von immergrünen Eichen, von Lentisken
+und anderen das Laub nicht verlierenden Bäumen bestanden, das letzte
+Drittel hat nur Buschwerk und Zwergpalmen. Oben auf dem Berge, von dem aus
+man eine prächtige Uebersicht über die Stadt, über die Ebene bis zum
+grossen Atlas und über das nach Westen sich ziehende Serone-Gebirge hat,
+traf ich einen Einsiedler, Sidi Mussa, schon seit 50 Jahren in einer Höhle
+auf dem Ssala-Berge lebend. Im Rufe grosser Heiligkeit, lebt er von den
+Gaben der Pilger, hat aber ausserdem eine grosse Bienenzucht. Auf dem
+Plateau des Ssala-Berges sind mehrere Quellen und sogar Gärten und
+Ackerbau.
+
+Was die Bevölkerung von Fes anbetrifft, welche wir auf 100,000 Seelen
+schätzen können und die vor der Cholera im Jahre 1859 wohl noch 20,000 mehr
+betrug, so besteht dieselbe vorzugsweise aus Arabern und Berbern.
+
+Während aber auf dem Lande die Mischung von Berbern und Arabern bedeutend
+seltener ist, kommt sie in den Städten häufiger vor, indess doch nicht der
+Art, dass man sagen könnte, ein Volk habe das andere absorbirt. Aeusserlich
+unterscheiden sich die Bewohner von Fes, wie die der übrigen Städte von den
+Landbewohnern durch grosse Weisse der Haut, es hat dies aber einzig seinen
+Grund darin, dass sie fast nie der Sonne ausgesetzt sind, da selbst, wenn
+sie auf die Strassen gehen, diese so eng sind, dass sie nur auf kurze Zeit
+von der Sonne beschienen werden. Der Grund der häufigen Corpulenz bei den
+Männern ist denn auch nur darin zu suchen, dass sie wenig Uebung, wenig
+Bewegung bei verhältnissmässig kräftiger Kost haben. Im allgemeinen sind
+trotz des sehr hellen Teint die Leute von Fes sehr hässlich, namentlich
+häufig findet man wulstige Lippen und krauses, obschon langes Haar.
+Negerblut ist hier unverkennbar, wie denn überhaupt in ganz Marokko viel
+Negerblut unter die Arabern gekommen ist. Fes vor den übrigen Städten des
+Landes zeichnet sich noch dadurch aus, dass mit den arabischen und
+berberischen Elementen sich stark das jüdische gemischt hat. Nicht etwa
+durch freiwillige Heirathen, sondern dadurch, dass hübsche Jüdinnen
+gezwungen werden, in den Harem des Sultans oder eines Grossen des Reichs zu
+treten oder durch gezwungene Uebertritte, durch Kinderraub; so pflegen denn
+auch die übrigen Bewohner des Landes von den Familien in Fes zu sagen: die
+Hälfte derselben habe jüdisches Blut in ihren Adern.
+
+Die Zahl der Juden in Fes, welche, wie alle marokkanischen, zum Theil
+direct von Palästina eingewandert, zum Theil von Spanien zurückvertrieben
+sind, mag sich auf 8-10,000 belaufen. Sie leben hier ebenso unglückselig
+wie in den übrigen marokkanischen Städten. Der verstorbene Sultan
+Abd-er-Rhaman glaubte es durchsetzen zu können, den Juden eine Art
+Emancipation zu verschaffen, und gestattete den Juden gleiche Tracht mit
+den Moslemin. Der erste Unglückliche, der es wagte seine Melha (den
+Juden-Ghetto) mit rothem Fes, mit gelben Pantoffeln zu verlassen, kehrte
+nie zurück: er wurde gesteinigt. Der Sultan hatte, trotz seiner
+Unfehlbarkeit, nicht die Macht den religiös-fanatischen Wuthausbruch
+seiner Unterthanen zu dämpfen.
+
+Der religiöse Fanatismus, der ja allen semitischen Religionen innewohnt,
+ist überhaupt eine der schlimmen Seiten der Bewohner von Fes. Wie oft habe
+ich selbst mich von irgend einem Lumpen auf der Strasse angehalten gesehen,
+der mir mit den Worten "Scha had," d.h. bezeuge, den Weg vertrat, und er
+und die sich rasch ansammelnde Menge liessen mich sicher nicht eher
+passiren, als bis ich "Lah il Laha il Allah" gesagt hatte, bekanntlich die
+Glaubensformel der Mohammedaner.
+
+Die Tracht der Bewohner von Fes ist die der übrigen Städter, d.h. es kann
+hier nur von der Kleidung der Reichen die Rede sein, da ein Armer nur
+seinen Haik, d.h. ein langes weiss wollenes Umschlagetuch und ein
+cattunenes Hemd darunter zum Anziehen hat, sonst aber barfuss und barhaupt
+daherkommt. Im Winter wird freilich der wollene Burnus darüber gezogen, der
+manchmal aus schwarzer, manchmal aus weisser Wolle besteht.
+
+Der Anzug des wohlhabenden Bewohners von Fes ist indess viel reichhaltiger.
+Auf dem Kopf trägt er einen hohen spitz zulaufenden rothen Fes, Saschia
+genannt, um den ein weisser Turban, Rasa, gewickelt wird. Ueber ein langes
+weissbaumwollenes Hemd, Camis, vervollständigen eine Tuchweste mit vielen
+Knöpfen, und bis oben eng anschliessend und zugeknöpft, Ssodria, dann ein
+Tuchkaftan aus schreienden Farben und eine weite Hose, Ssrual, den Anzug,
+gelbe Pantoffel bilden die Fussbekleidung. Die meisten Jünglinge und Männer
+tragen Fingerringe aus Silber mit werthlosen Steinen, einige haben Ringe
+mit Steinen, welche man im Wasser auflösen kann (nach der Aussage des
+Besitzers), und welche Auflösung alsdann ein Mittel gegen Vergiftung ist.
+Einen solchen Ring besass Ben Thaleb auch, dennoch entging er nicht seinem
+Tode.
+
+Sehr unangenehm ist die entsetzliche Unreinlichkeit, welche überall
+herrscht; die Kleider werden nie gewechselt, sondern, wenn einmal
+angezogen, immer Tag und Nacht, so lange auf dem Körper getragen, bis man
+neue Kleidungsstücke anschafft. Allerdings spricht Leo von grossen
+öffentlichen Waschanstalten in Fes; ich konnte leider solche zu meiner Zeit
+nicht mehr constatiren. Der reiche Bewohner kauft sich einmal, wohl auch
+zweimal, im Jahr einen neuen Anzug, bei Gelegenheit eines grossen Festes.
+Das altgewordene bekommen sodann die Kinder, Verwandten, Diener, oder auch
+arme Freunde zum Weitertragen. Der Arme kauft sich, nachdem er lange darauf
+gespart hat, einen Anzug, legt ihn dann aber nie wieder ab, bis er absolut
+unbrauchbar geworden ist. Freilich findet _einmal_ im Jahr eine grosse
+Kleiderreinigung, eine allgemeine Wäsche, statt: am Tage vor dem
+aid-el-kebir, dem grossen Bairain der Türken. Da an diesem Tag Jeder
+geputzt erscheint, wer es kann sich ein neues Kleid kauft, und wer
+nicht, doch darauf hält so rein als möglich zu erscheinen, so sehen wir
+denn am Tage vor dem aid-el-kebir alle Welt, Jung und Alt, Männer und
+Frauen den Wasserplätzen zueilen; man entledigt sich der Kleidungsstücke
+und wie besessen tanzt und springt Jeder auf seinem Zeuge herum, um mit
+den Füssen den jahrelangen Schmutz herauszustampfen: eine einfache
+Handwäsche würde dazu nicht genügen.
+
+Die Nationalspeise der Fessi ist ebenfalls Kuskussu--ein Mehlgericht,
+welches aus geperltem Weizen- oder Gerstenmehl bereitet und mittelst Dampf
+gekocht wird. Der nahe Sebu liefert indess ausgezeichnete Fische, die man
+in einer gepfefferten und durch Tomaten rothgefärbten Oelsauce stets fertig
+auf dem Marktplatze bekommen kann. Hammel-, Ziegen- und Schaffleisch ist
+gleichfalls billig zu haben, und in Fes wird wohl mehr animalische Nahrung
+consumirt, als im ganzen übrigen Lande, die Städte ausgeschlossen,
+zusammen.
+
+Wie alle Marokkaner, sind auch die Fessi grosse Liebhaber von Thee, der vor
+dem Essen gereicht wird; die Manier zu essen ist aber eben so unsauber bei
+den vornehmsten Fessi, wie im ganzen Lande. Mehrere Personen hocken um eine
+irdene Schüssel, die in einem niedrigen Tischchen, etwa zwei Zoll hoch,
+Maida genannt, aufgetragen wird. Alles kauert auf der Erde, in solcher
+Stellung, wie Jeder sie nehmen will; nachdem ein Sklave oder einer der
+Gesellschaft Wasser zum Abwaschen der Hände herumgereicht hat, spült man
+sodann diese ab, und ein _gemeinsames_ Handtuch bei den Reichen dient
+zum Trocknen, bei Unbemittelten trocknet man sich einfach die Hände mit dem
+Zipfel seines Burnus. Dann, auf ein gegebenes Zeichen, greift mit dem Worte
+"Bi' Ssm' Allah" (Im Namen Gottes) ein Jeder mit der Rechten in die
+Schüssel, um den erhaschten Bissen zum Munde zu führen. Alle befleissigen
+sich einer ausserordentlichen Eile, um nicht zu kurz zu kommen, nur bei
+sehr Reichen wird langsam gegessen, weil da mehrere Schüsseln folgen. Es
+gehört übrigens zum guten Ton für die Frauen, Diener und Kinder, oder auch
+für die herumlungernden Armen, Anstandsbrocken in der Schüssel zu lassen.
+Eine grosse Auszeichnung aber ist es jedenfalls für einen Fremden, wenn der
+Wirth selbst mit seiner schmutzigen Hand in die Schüssel fahrt, einen
+Lockina, d.h. Bissen oder Mundvoll, hervorholt und ihn dem Gast in den Mund
+schiebt. Obschon ich nicht lange Zeit brauchte um mich an diese Art des
+Essens zu gewöhnen, denn Hunger überwindet Alles, so hatte ich doch längere
+Zeit nöthig zu lernen _geschickt_ und _anständig_ zu essen, denn
+es gehört Geschicklichkeit dazu die oft halb flüssigen Bissen mit Eleganz
+an den Mund zu befördern, namentlich, wenn man nicht zu kurz kommen will.
+
+Ein Trunk Wasser, eine abermalige oberflächliche Handabspülung und ein nie
+unterlassenes "Hamd ul Lah" (Lob sei Gott) beschliesst jedes Mahl.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+9. Mikenes und Heimreise nach Uesan.
+
+ * * * * *
+
+Ben Thaleb hatte geglaubt, auf die Dankbarkeit des Sultans rechnen zu
+können, der seine Thronbesteigung gewissermassen ihm zum Theil verdankte.
+Verschiedene Male war Ben Thaleb um seinen Abschied eingekommen, er hatte
+nun seit mehr als 13 Jahren der reichsten Stadt des Landes vorgestanden.
+Vielleicht hoch in den Fünfzigen, hoffte er seine letzten Lebensjahre ruhig
+in seiner Heimath, inmitten seiner treuen Berbertribe beschliessen zu
+können. Da starb er eines Tags, plötzlich, ohne vorher auch nur ernstlich
+unwohl gewesen zu sein.
+
+Dem Sultan musste der Tod des Bascha's äusserst erwünscht sein. Er hatte
+gerade jetzt Kriegsentschädigung zu zahlen. Spanien verlangte für
+Zurückziehung der Truppen aus Tetuan 23 Millionen spanische Thaler. Woher
+das Geld nehmen? Den grossen Schatz, der in Mikenes sein soll, wollte oder
+konnte er nicht anbrechen. Wie froh musste der Sultan sein, dass Ben Thaleb
+in diesem Augenblick ihm den Gefallen that, zu sterben; er war somit Erbe
+seines ganzen baaren Vermögens geworden.
+
+Sobald der Tod Ben Thaleb's ruchbar geworden war, kamen seine Diener,
+Sklaven und Maghaseni vor meine Wohnung unter dem drohenden Geschrei, ich
+habe den Bascha vergiftet, und man müsse mich tödten. Glücklicher Weise für
+mich war der älteste Sohn des Bascha's da, um mich zu beschützen. Noch am
+Abend vorher waren wir bei seinem Vater, dem Bascha, gemeinsam zum Thee
+gewesen, derselbe hatte, genesen von einem leichten Unwohlsein, noch am
+Abend einen Ochsen, als Opfer und Geschenk an die Moschee Mulei Edris
+geschickt, und noch am selben Abend äusserte sich der Bascha in Gegenwart
+dieses Sohnes, dass Mustafa (mein angenommener Name) stets sein volles
+Vertrauen gehabt habe, und dass ich ihn bei seinem leichten Unwohlsein
+stets zur Zufriedenheit behandelt habe. "Und," fügte er hinzu, als ob er
+ein Vorgefühl seines nahen Todes habe, "wenn Gott mein Dasein verkürzen
+sollte, so beschütze Mustafa, der mein Gast gewesen ist."
+
+Eingedenk der Worte seines Vaters, trieb Si-Hammadi (so hiess der Sohn)
+seine Leute auseinander, und schon nach zwei Tagen befahl er, mit ihm nach
+Mikenes zu reisen, zum Sultan. So sagte ich denn Fes Lebewohl, um es nie
+wieder zu betreten.
+
+Si-Hammadi, von einer glänzenden Suite umgeben, dann mein Dolmetsch
+Si-Mustafa und ich mit unserem Tross, endlich eine Reihe von wenigstens
+200, mit schweren Kisten bepackten Maulthieren und vielleicht 100
+Kamelen ebenso beladen, von Maghaseni escortirt, das war unsere
+Karavane. Ich wusste nicht, was aus diesem gleichartig gepackten Zuge
+machen, seine Gepäckthiere hatte Si-Hammadi ausserdem noch, bis ich
+erfuhr, dass dies das vom Bascha hinterlassene Baarvermögen sei,
+ungefähr zwei Millionen spanische und französische Thaler. Die Summe
+mochte nicht übertrieben sein, in Anbetracht, dass ein Maulthier mit
+leichter Mühe hundert Pfund Silber = 2000 französische Thaler, ein Kamel
+aber ohne Beschwerde das Dreifache tragen konnte. Ohne Anhalt erreichten
+wir in einem Tage das nahe Mikenes.
+
+In Mikenes angekommen, verabschiedete ich mich von Si-Hammadi und nahm im
+Funduk el Attarich in der Stadt Logis, ging Abends noch ins Lager hinaus,
+um meine militärischen Bekannten zu begrüssen, welche sich ebenso sehr
+wunderten, mich jetzt plötzlich wieder zu sehen, als sie vorher erstaunt
+gewesen waren, eines Morgens mein Hanut mit dem schönen Aushängeschild ohne
+Arzt zu finden, und erst später nach und nach inne wurden, ich sei auf
+allerhöchsten Befehl nach Fes zurückgeschickt worden.
+
+Anderen Tages machte ich bei dem Grosswessier einen Besuch, er war schon
+von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte, als ob ich selbst nichts dabei
+zu sagen hätte, schon Befehl gegeben, für mich Zimmer einzurichten, in
+einem Hause, welches neben dem seinigen lag. Ich hatte Abends vorher Ismael
+(Joachim Gatell) im Lager gesehen, wie kläglich er dort unter den
+thierischen Soldaten die Zeit verbrachte, und war daher froh, mich von der
+Armee fern halten zu können. Die mir von Si-Thaib zur Verfügung gestellte
+Wohnung war neu und geräumig und ich lud Ismael ein, dieselbe zu theilen.
+Da er dies Anerbieten gern annahm, hatten wir beide jetzt eine angenehme
+Zeit vor uns, wir konnten unsere Erlebnisse und Enttäuschungen uns
+mittheilen, wieder einmal europäisch denken und fühlen. So viel merkte ich
+wohl, dass Ismael von seiner Lage noch weniger erbaut war, wie ich, der ich
+fern von den marokkanischen Soldaten gelebt hatte.
+
+Aber auch sein Unangenehmes hatte der Aufenthalt bei Si-Thaib für mich. Der
+erste Minister hatte nicht aus Uneigennützigkeit mir seine Wohnung
+angeboten, sondern nur um mich zur Hand haben, Krankenwärterdienste bei ihm
+zu verrichten. Jeden Mittag, wenn, er vom Maghasen (Palais des Sultans und
+Sitz der Regierung) zurückkam, wurde ich gerufen. Ich hatte dann die
+unangenehme Pflicht, ihm seine kranken Füsse mit Kampherspiritus zu reiben.
+Nur auf diese Art glaubte er Linderung in seinen Podograschmerzen zu haben,
+versprach sich sogar Heilung davon. Und dies Geschäft war keineswegs ein
+angenehmes, beim Beginn der Operation unterhielt er mich meist über
+Politik, wobei er die verrücktesten Ansichten auskramte, auch Religion
+wurde aufgetischt, nach einer halben Stunde pflegte er zurückgelehnt auf
+seiner Matratze einzuschlafen. Ich durfte aber nicht etwa das Reiben
+einstellen, sonst erwachte er sogleich und befahl fortzufahren; oft habe
+ich mit dieser Verrichtung zwei bis drei Stunden zubringen müssen.
+
+Si-Hammadi, der Sohn des Bascha's von Fes, hatte dann bei Ablieferung der
+Gelder einen so günstigen Bericht über mich gemacht, dass ich eines Tags
+durch die Botschaft überrascht wurde, ich sei zum Leibarzt des Sultans
+ernannt und habe von jetzt an alle Tage die Frauen des Sultans zu
+behandeln. Vorher beschenkte mich Si-Hammadi noch mit einem meergrünen
+Tuchanzug, grosse Auszeichnung als Belohnung für die Dienste bei seinem
+Vater.
+
+Es kamen nun jeden Morgen zwei Maghaseni aus dem Harem, um mich zu rufen.
+Dort angekommen, nahm mich der Oberste der Eunuchen, Herr Kampher, in
+Empfang und bald darauf wurde ich in ein Vorgemach geführt, wo ich die
+Damen vorfand, welche sich behandeln lassen wollten. Im Anfange wollten
+sich die Frauen nicht entschleiern, als ich aber darauf bestand, ging Herr
+Kampher, der sowie einige andere Eunuchen als Herr Moschus[95], Herr Atr'
+urdi (Rosenessenz) etc., natürlich immer zugegen war, ins Harem zurück,
+meldete dies dem Sultan, kam aber dann mit dem Bescheid: "Unser Herr
+(Sidna) sagt, da du ja doch nur ein Rumi und eben erst übergetretener
+Christenhund bist, brauchen sich die Frauen deinetwegen nicht zu geniren."
+Somit fielen die Umschlagetücher (eigentliche Schleier werden weder in
+Marokko, noch sonst wo von mohammedanischen Frauen zum Verdecken des
+Gesichtes benutzt) und ich hatte alle Tage Gelegenheit, die Reize der
+Frauen des Sultans bewundern zu können. Man glaube übrigens nur nicht, dass
+irgendwie besondere Schönheiten im Harem wären, oder diese müssten sich
+nicht gezeigt haben, meistens waren es sehr junge Geschöpfe mit recht
+vollen Formen. Die oft kostbaren Anzüge und die vielen Schmucksachen waren
+mit Schmutz überladen, and in der Regel an den Kleidern irgend etwas
+zerrissen. Die meisten schienen nur aus Neugier zu kommen, um den
+"Christenhund" zu sehen. Alle aber, abgesehen von ihrem albernen und
+läppischen Wesen, waren recht freundlich und hätte ich nicht die Vorsicht
+gebraucht, Herrn Kampher zu sagen, die und die, nachdem sie zwei oder drei
+Mal zur Visite gekommen war, nicht wieder vorzuführen, so wäre wohl nach
+einiger Zeit der ganze Harem herausgekommen. Sie schienen das Krankmelden
+als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten, eine ernstlich Kranke habe
+ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes nicht gesehen. Ich hütete mich
+denn auch sehr, irgend wie selbst Medicin zu geben, obschon mir jetzt die
+dem Sultan von der Königin Victoria geschenkte Arzneikiste zur Verfügung
+stand. Ich beschränkte mich auf diätetische Anordnungen und culinarische
+Recepte, die oft grosse Heiterkeit hervorriefen, aber, wie mir Herr Kampher
+sagte, immer streng befolgt wurden, da die Marokkaner jedem Extraessen
+(d.h. alles was nicht Kuskussu ist) irgend eine besondere Heilkraft
+beilegen.
+
+ [Fußnote 95: Alle Eunuchen haben stets stark duftende, aromatische
+ Namen.]
+
+Von meinem Gehalt hatte ich seit meiner Reise nach Fes nichts mehr zu sehen
+bekommen, wahrscheinlich regalirte sich Hadj Asus damit, auch nach der
+Ernennung zum Leibarzte war von meiner Gehaltsauszahlung oder Erhöhung
+desselben keine Rede. Allerdings sagte mir Si-Thaib mehrere Male, ich solle
+nur zum Amin (Schatzmeister) des Sultans gehen, der Sultan habe Befehl
+gegeben, ich solle jetzt täglich 5 Unzen Silber, also ca. 8 Sgr. beziehen,
+ich enthielt mich aber dessen. Des Hofes war ich so müde, dass ich nur
+daran dachte, wie ich fortkommen könne. Ueberdies fehlte es nicht an Geld,
+die Grossen des Reiches glaubten alle verpflichtet zu sein, weil ich Arzt
+des Sultans war, sich von mir behandeln zu lassen, und irgend ein
+Bittsteller, der bei Si-Thaib erschien, kam sicher auch um sich von mir
+behandeln zu lassen. Und weil er glaubte, ich gehöre mit zum Hause des
+Ministers, hielt er sich verpflichtet, auch mir ein Geschenk zu machen;
+indem er Medicin dafür verlangte, meinte er auf diese Art zwei Fliegen mit
+einer Klappe zu fangen.
+
+Ich war daher so beschäftigt, dass ich nur die Abende für mich hatte, bekam
+daher von Mikenes wenig zu sehen. Freitags hatte ich jedoch Zeit, eine oder
+die andere Moschee zu besuchen, die, welche den Namen Mulei Ismael hat, ist
+jetzt die berühmteste, und da der "blutdürstige Hund" Mulei Ismael längst
+einer der berühmtesten Heiligen von Marokko geworden ist, hat die Moschee,
+in der sich das Grabmal Mulei Ismaels, Mulei Sliman's, Mulei
+Abd-er-Rhaman's und noch anderer Sultane dieser Dynastie befindet,
+Asylrecht erhalten. Die Berühmtheit dieser Moschee als Asyl Verbrecher
+gegen das Gesetz zu schützen, scheint durch die Leichen der eben
+genannten Herrscher Marokko's fast eben so gross geworden zu sein, wie
+die der heiligen Moschee Mulei Edris Serone, und die des Mulei Edris in
+Fes.
+
+Eines Tages war ich Zeuge, dass verschiedene Artilleristen, welche wegen
+nicht erhaltener Löhnung revoltirt hatten, in die Djemma Mulei Ismael's
+flüchteten. Sie blieben dort mehrere Tage, sogar während eines
+Freitag-Gebetes, an welchem Tage der Sultan selbst in dieser Moschee das
+Chotba zu hören pflegt, und erst die positive Zusage vollkommener
+Straflosigkeit machte sie aus ihrem Zufluchtsorte hervorkommen. Ob diese
+später gehalten worden ist, weiss ich nicht, glaube es aber, da dem
+Sultan natürlich daran liegt, die Heiligkeit des Ortes, worin seine
+Vorfahren begraben liegen, aufrecht zu erhalten und zu erhöhen.
+
+Die Zahl der Einwohner wird von allen Schriftstellern über Marokko
+verschieden angegeben, Höst nennt über 10,000 Einwohner, Hemsö 56,000 Ew.,
+Leo 6000 Feuerstellen, Marmol 8000 Ew., Diezo de Torres 5000 Ew., Jackson
+110,000 Ew. Das Wahre dürfte auch hier in der Mitte liegen, wenn man eine
+ungefähre Zahl von 40,000-50,000 Seelen annimmt. Marmol, Höst und Hemsö
+haben das alte Silda des Ptolemaeus in Mikenes sehen wollen. Nach
+Walsin-Esterhazy[96] wurde Mikenes von einer Abtheilung der Znata, der
+Meknâca, gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts gegründet. Der eigentliche
+Gründer der Stadt war aber Mulei Ismael, der hier beständig residirte,
+und unter dem sie ihre Berühmtheit erlangte und von der Zeit eine der
+vier Residenzen des Reiches geblieben ist. Einige Stunden südwärts vom
+Abhange des Berges Mulei Edris Serone gelegen, hat die Stadt die
+reizendsten Gärten, die man sich denken kann. Schon Leo hebt die
+kernlosen (?) Granaten und wohlriechenden Quitten hervor, und dass die
+Stadt einen grossen Oliven-Reichthum hat, bekundet das Beiwort
+Meknas-el-situna, d.h. das olivenreiche. Zum Theil liegen die Gärten
+innerhalb der Mauer.
+
+ [Fußnote 96: Siehe: Renou pag. 254.]
+
+Das heisst die eigentliche Stadt mit der Kasbah und dem Palais des Sultans,
+ist durch eine sehr gut erhaltene, von hohen viereckigen Thürmen flankirte
+Mauer umgeben, und innerhalb dieser hohen Mauer befindet sich auch der
+prächtige Garten des Sultans. Dann zieht sich eine Stunde entfernt eine
+andere, niedrigere, an manchen Stellen zwiefache Mauer um die Stadt, um die
+nächsten Gärten zu schützen.
+
+Mikenes hat fast durchweg eine Bevölkerung, die in irgend einer Beziehung
+zum Hofe oder zum Heere steht. Die von Hemsö angeführte und dem Leo
+nachgeschriebene grosse Eifersucht der Männer auf ihre Frauen dürfte wohl
+nicht grösser sein, als in den anderen marokkanischen Städten, besonders
+schön fand ich die Frauen nicht. Mikenes ist die einzige Stadt in Marokko,
+wo öffentliche Prostitutionshäuser sind. Im Uebrigen sind die Strassen
+gerader, reinlicher, die Häuser in einem besseren Zustande, als in irgend
+einer anderen Stadt des Reiches. Sogar der Palast des Sultans zeichnet sich
+dadurch aus, obschon der Theil, den Mulei Ismael mit Marmorsäulen, die er
+von Livorno und Genua kommen liess, schmückte, in Ruinen liegt. Diese
+schönen Monolithen liegen als Zeugen jüngst vergangener Grösse im Staube.
+Kein anderes Gebäude zeichnet sich irgendwie aus, selbst die Moschee Mulei
+Ismaels, welche doch Begräbnissstelle der jetzigen Dynastie ist, liegt halb
+in Verfall. Die Stadt wird durch eine ausgezeichnete Wasserleitung mit
+Wasser versorgt, irre ich nicht, von einem in den Ued Bet gehenden Bache
+aus, der nordwärts von der Stadt entspringt.
+
+Erwähnen muss ich eines Abstechers nach Mulei Edris Serone, einer ungefähr
+3 Stunden nördlich von Mikenes gelegenen Stadt; indess kann ich von diesem
+reizend gelegenen Orte nichts weiter anführen, als was ich bei Beschreibung
+der Stadt Fes schon mitgetheilt habe. Trotzdem ich Leibarzt des Sultans
+war, im Hause des ersten Ministers wohnte, alle Gebräuche und Sitten der
+Mohammedaner aufs Genaueste mitmachte, war ich dennoch immer mit
+misstrauischen Augen angesehen. Nach irgend einer Oertlichkeit direct
+fragen, ging schon gar nicht. Man würde gleich gesagt haben, ich sei ein
+Spion.
+
+Glücklicher Weise trat ein Ereigniss ein, was mich aus des Sultans Dienste
+befreite, eine englische Gesandtschaft wurde in Aussicht gestellt, und nach
+einigen Wochen traf auch Sir Drummond Hay mit zahlreichem Gefolge und
+escortirt von einer starken Abtheilung Maghaseni in Mikenes ein. Man kann
+sich denken, wie gross meine Freude war. Seit über einem Jahre, so viel
+Zeit war nun verflossen, hatte ich nichts von Europa gehört, hatte weder
+einen Brief noch eine Zeitung gehabt, und erhielt nun auf einmal Bücher,
+Zeitungen, und konnte mich mit gebildeten Herren unterhalten. Im Anfange
+hatte ich grosse Schwierigkeit zu Sir Drummond Hay zu gelangen, da die
+marokkanische Regierung den strengsten Befehl ausgegeben hatte, keinen
+Renegaten auf die Gesandtschaft zuzulassen. Nur durch eine List verschaffte
+ich mir Einlass, indem ich Si-Tbaib sagte: ich müsse seiner Krankheit wegen
+mit dem der englischen Gesandtschaft beigegebenen Arzte sprechen. Das wurde
+bewilligt und ich durfte dann, von meinem ehemaligen Dolmetsch begleitet,
+die Gesandtschaft betreten.
+
+Sir Drummond bewohnte eines der schönsten Häuser der Stadt, worin es sogar
+an europäischen Möbeln nicht fehlte, da der Sultan alle dergleichen
+Utensilien besitzt, sie aber für seine Person nicht gebraucht. Ueberhaupt
+wurde die Gesandtschaft mit einer Zuvorkommenheit und Artigkeit behandelt,
+wie sie Sir Drummond Hay, dem eigentlichen geheimen Herrscher von Marokko,
+zukommt. Auf den Strassen, vom Volke, überall wo die Gesandtschaft sich
+zeigte, wurde sie aufs respectvollste begrüsst. So gut wie der Sultan,
+fühlt das Volk, dass nur England eine wirkliche Hülfe gegen die Spanier und
+Franzosen ist. Es versteht sich von selbst, dass Sir Drummond sich mit
+aller Freiheit bewegen konnte, ebenso die übrigen Herren der Gesandtschaft.
+
+Was mich anbetrifft, so gab mir Sir Drummond ein Schreiben (arabisch
+ausgefertigt) und sagte mir, dasselbe durch den ersten Minister dem Sultan
+vorzeigen zu lassen. In diesem Schreiben war betont, die marokkanische
+Regierung solle mich nicht mit den übrigen Renegaten verwechseln und mir
+meine Freiheit wiedergeben. Das Blättchen Papier wirkte Wunder. Als
+Si-Thaib mir dasselbe nach einigen Tagen wieder einhändigte, fügte er
+hinzu, der Sultan habe das Blatt gelesen, und gesagt, ich könne thun was
+ich wollte, sei vollkommen frei, Mikenes zu verlassen, ja ich dürfe
+überall im "Rharb" reisen und mich aufhalten, wo ich es für gut fände.
+Wer war froher als ich. Jetzt aber war auch der Wunsch das eigentliche
+Land Marokko zu durchreisen, erst recht wachgerufen, und namentlich
+fühlte ich einen starken Trieb von nun an weiter in das Innere Afrika's
+einzudringen. Aber ich war mir nun auch erst recht bewusst geworden, wie
+viel noch abging, solche gefährliche Reisen ohne Mittel ausführen zu
+können. Wenn auch einestheils gerade diese Mittellosigkeit ein grosser
+Schutzbrief für mich war, so hatte ich andererseits im Arabischen wenige
+Fortschritte bis dahin gemacht. Der Umstand, dass ich fortwährend einen
+Dolmetsch zur Seite gehabt, machte, dass ich kaum mehr von dieser
+Sprache verstand als beim Beginn meiner Reise. Auch war ich mit den
+Sitten und Gebräuchen des eigentlichen Volkes noch zu wenig vertraut.
+Ebenso wenig wie man diese z.B. in London was das englische Volk, in
+Berlin was das deutsche Volk anbetrifft, in Erfahrung bringen kann, zu
+dem Ende vielmehr das eigentliche Land selbst besuchen muss, ebenso
+wenig ist dies in Marokko in der Hauptstadt der Fall, und bislang war
+ich eigentlich nur in Fes und Mikenes gewesen.
+
+Ich beschloss nun nach der heiligen Stadt Uesan zurückzukehren. Wo konnte
+ich besser Sitten, Gewohnheiten und auch die Sprache des Volkes kennen
+lernen, als in dieser grossen Pilgerstadt, wo täglich Hunderte, oft
+Tausende von Pilgern aus ganz Nordafrika, ja oft noch von weiter her
+zusammenströmen. Und es traf sich nun sehr glücklich für mich, dass gerade
+zwei von den nächsten Anverwandten des Grossscherifs in Mikenes waren.
+Diese hatten in der Besoffenheit einen Maghaseni des Sultans ums Leben
+gebracht, und waren selbst nach Mikenes gekommen, um sich deshalb beim
+Kaiser zu entschuldigen. Sie wurden nicht nur nicht gerügt oder gar
+bestraft für ihre im Trunk begangene Handlung, sondern der Sultan
+betrachtete es als einen besonderen Act der Höflichkeit, dass solche
+heilige Leute und noch dazu wirkliche Vettern des Grossscherifs, keinen
+Anstand nahmen, sich wegen einer solchen Kleinigkeit bei ihm selbst zu
+entschuldigen, und im Grunde genommen sah er es wohl nur für einen Vorwand
+an, Geschenke von ihm zu bekommen. Die erhielten sie denn auch beide. Sidi
+Mohammed ben Abd-Allah und sein Bruder, Sidi Thami, verliessen reich
+beschenkt die kaiserliche Residenz.
+
+Si Thaib Bu Aschrin hatte die Güte mir einen Brief für die beiden Schürfa
+zu geben, welche direct nach Uesan zurückreisen wollten. Und so sagte ich
+denn dem Hofe des Sultans Lebewohl, nur Trauer empfindend, dass Ismael
+(Joachim Gatell), der die ganze Zeit bei mir gewohnt hatte, jetzt wieder
+ins Lager zurück musste, und da er nicht, wie ich, die Protection der
+englischen Gesandtschaft genoss, nicht daran denken durfte, so bald seine
+Befreiung zu bekommen.
+
+Den folgenden Morgen begab ich mich mit meinem Gepäck zur Wohnung der
+Schürfa, und bald war Alles gepackt und wir sattelfest. Sidi Mohammed, ein
+fetter junger Mann von dreissig Jahren, und sein einige Jahre jüngerer
+Bruder, Sidi Thami, waren noch von zwei alten Schürfa begleitet und hatten
+mindestens 30 Diener als Gefolge. Wir verliessen gegen 8 Uhr Morgens
+Mikenes durch das Nordthor, zogen den Bergen entgegen, indem wir die Stadt
+Serone etwas östlich liegen liessen. Die Reisen zu Pferde oder Maulthier
+sind in Marokko keineswegs unangenehm, die mit hohen Lehnen versehenen
+Sättel, vorn mit einem Knauf, worauf man die Hände legen, die grossen
+Steigbügel, in welche man den ganzen Fuss schieben kann, lassen die
+Ermüdung weit später erfolgen, als bei europäischem Reitzeuge. Freilich
+muss ein Europäer sich die Mühe nehmen, den Sattel durch wollene Decken
+etwas zu polstern, denn wenn sich die Härte desselben schon ertragen
+liesse, ist er doch sehr uneben, was auf die Dauer unbequem ist.
+
+Wir waren ohne Rast den ganzen Tag unterwegs, da Sidi Mohammed Ben
+Abd-Allah wohl besonderen Grund haben musste so schnell zu reisen, denn
+sonst pflegen die Grossen in Marokko nur, kleine Tagemärsche zu machen.
+Als ich mich in der Höhe der Berge von Mulei Edris etwas entfernte von
+unserer Karawane, wurde ich der Gegenstand einer Ovation, die in der
+Nähe wohnenden Leute, die von der Durchkunft von Schürfa von Uesan
+gehört hatten, wohl im Glauben ich sei auch ein Scherif, kamen
+haufenweise herbei, mir die Hand und den Saum der Djilaba küssend. Sie
+verlangten auch das Foetha (Segen), das ich glücklicherweise auswendig
+wusste. Hoffentlich haben sie eben soviel Nutzen von meinem Segen
+gehabt, als von dem eines wirklichen Scherifs! Aber wenn sie es gewusst
+hätten, ich sei ein zum Islam Uebergetretener, wie würden sie mich
+verflucht haben. Gut, dass wir in den Zeiten leben, wo Fluch und Segen
+von Menschen gesprochen, den Zauber ihrer Allmacht verloren haben.
+
+Bei Sonnenuntergang hielten wir bei einem dem Grossscherif von Uesan
+gehörenden Duar (Zeltdorf). Da ich kein Zelt hatte, luden die beiden
+Schürfa mich ein, das ihrige mit zu theilen. Das Zelt eines Grossen von
+Marokko zeichnet sich durch Geräumigkeit aus. Aus starkem weiss und
+blaugestreiften Leinenzeug bestehend, ist es inwendig weiss und mit
+verschiedenartig zusammengenähtem bunter Tuch gefüttert. Meist von nur
+einer Stange getragen, kann die rund ums Zelt gehende gerade aufstrebende
+Seitenumfassung abgenommen werden, was namentlich bei Sonnenschein und
+grosser Hitze eine grosse Annehmlichkeit gewährt, da das Dach des Zeltes,
+gewissermassen ein grosser Schirm, frei stehen bleibt und dem kühlenden
+Winde der Durchlass offen steht.--Ich war froh, als der Koch der Schürfa
+sogleich ein Mahl auftrug, da ich den ganzen Tag nichts genossen hatte, als
+ein Stückchen Brod und Trauben. Gegen Mitternacht kam denn auch der Mul' el
+Duar oder Dorfvorsteher, mehrere Schüsseln voll Kuskussu verschiedener Art,
+und andere mit gebratenem Fleisch wurden niedergesetzt. Meine Müdigkeit war
+indess so gross, dass ich vorzog weiter zu schlafen, trotz der wiederholten
+Aufforderungen am Mahle theilzunehmen.
+
+Frisch gestärkt erweckte man mich am anderen Morgen mit einer Tasse Kaffee
+(die Schürfa von Uesan trinken auch Kaffee) und sodann kam wieder ein
+reichliches Mahl der Leute des Zeltdorfes, welche dafür mit Thee bewirthet
+wurden. Wie am vorhergegangenen Tage war die Gegend hügelig, wohlangebaut
+und zahlreiche Duar deuteten auf eine verhältnissmässig dichte Bevölkerung.
+Bald nach dem Aufbruche am zweiten Tage passirten wir die Flüsse Sebu und
+Uarga, letzteren etwas oberhalb der Stelle, wo er in den Sebu einfällt.
+Ueberall wie am ersten Tage waren die Schürfa der Gegenstand der grössten
+Verehrung, im ganzen Lande gelten die Schürfa Uesan's als die grössten
+Heiligen. Die Sitte will es, dass ein Vornehmer nie seinen Einzug Abends
+hält, so wurde denn auch an dem Tage schon um 5 Uhr Nachmittags Halt
+gemacht in einem Duar, der Sidi Abd-Allah selbst gehörte. Nur noch einige
+Stunden am anderen Morgen, und wir hatten den Berg Bu-Hallöl vor uns, an
+dessen anderer Seite Uesan gelegen ist.
+
+Sobald wir den Berg umgangen, kamen uns die Verwandten und Bekannten der
+Schürfa entgegen, die durch den jüngeren Bruder, der am Abend vorher noch
+die Stadt erreicht hatte, waren benachrichtigt worden. Sidi Thami hatte
+auch dem Grossscherif schon meine Zurückkunft mitgetheilt.
+
+Ich konnte indess nicht direct nach der Wohnung des Grossscherifs gehen, da
+ich vorher bei Sidi Abd-Allah frühstücken musste. Ein naher Verwandter von
+Sidi el Hadj Abd es Ssalam, ist er, was Reichthum und Macht anbetrifft, von
+den Uesaner Schürfa der dritte, denn Sidi Mohammed ben Akdjebar, obschon
+entfernterer Linie, hat nach dem Grossscherif den grössten Einfluss und den
+grössten Reichthum. Die übrigen Schürfa, fast die ganze Stadt besteht aus
+Abkömmlingen Mohammed's, haben in Uesan selbst gerade keinen Einfluss, da
+ihrer zu viele sind.
+
+Gleich darauf ging ich dann, nachdem ich meinen meergrünen Anzug angelegt
+hatte, zum Grossscherif, den ich von einer zahlreichen Menge umgeben in
+seinem Landhause antraf. Aufs freundlichste aufgenommen, liess er sogleich
+eine Wohnung für mich einrichten, und mich ein über das andere Mal
+willkommen heissend, sagte er, ich solle mich von nun an ganz wie zu seinem
+Hause gehörig betrachten.
+
+Ehe ich nun meine Erlebnisse in Uesan schildere, möchte ich Einiges über
+die derzeitigen politischen Zustände in Marokko sagen, und knüpfe daran
+zugleich einige Worte über die sonstige und jetzige Stellung der
+christlichen Consuln.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+10. Politische Zustände
+
+ * * * * *
+
+Marokko hat eine Regierung so despotisch und tyrannisch eingerichtet, wie
+man sie eben nur da findet, wo zu gleicher Zeit geistige und weltliche
+Herrschaft in _einer_ Person vereint ist, und der Grund zu diesem
+absolutesten Despotismus liegt doch keineswegs im Charakter des arabischen
+oder berberischen Volkes, einzig und allein die _mohammedanische
+Religion_ ist Schuld daran.
+
+In allen Ländern, auf welche sich der Islam ausgedehnt hat, ist es ähnlich.
+In der Türkei, in Persien, in Aegypten, in Tunis, überall die absoluteste
+monarchische Herrschaft, ja sogar in Centralafrika hat die mohammedanische
+Religion in den Staaten, von denen sie Besitz ergriffen hat, dem jeweiligen
+Fürsten unbeschränkte Macht verliehen, so in Uadai, Bornu, Sokoto und
+Gando.
+
+_Vor_ dem Islam lebten die Araber in kleinen Triben unter
+patriarchalischen Herrschern, und wenn die Berber Nordafrika's es zuweilen
+vermochten, sich zu Königreichen zu vereinigen, so war dennoch die
+Gemeindeabtheilung, kleine von einander unabhängige Republiken, ihre
+Urregierungsform. So finden wir in Nordafrika die Araber und Berber noch
+da, wo sie sich unabhängig von den grossen Staaten zu erhalten gewusst
+haben.
+
+Nach der Entstehung des Islam folgte es von selbst, die politische
+Autorität mit der des obersten Priesters in einer Person zu vereinigen.
+Nach unten giebt es im Mohammedanismus keine Hierarchie, keine
+Priesterkaste, keine privilegirten Menschen, mit Ausnahme derer, welche
+Mohammed selbst als bevorzugt bezeichnete: das sind seine eigenen
+Nachkommen.
+
+Freilich die vollkommene Unbeschränktheit, wie sie jetzt die Sultane von
+Marokko gemessen, "absolute Unfehlbarkeit," kam erst dann zu Stande, als im
+Anfange des 16. Jahrhunderts Sultane aus der Familie der Schürfa auf den
+marokkanischen Thron kamen. Seit der Zeit hat im eigenen Lande der
+Marokkaner die Macht und _Unfehlbarkeit_ der Herrscher immer mehr
+zugenommen, das Wohl, die Bildung und der Fleiss des Volkes aber von dem
+Augenblick an auf merkwürdige Weise abgenommen.
+
+Der Sultan von Marokko nennt sich "Beherrscher" oder auch "Fürst der
+Gläubigen," Hakem el mumenin, oder will er politisch als Herr des Landes
+sich bezeichnen, schreibt er Mul' el Rharb el Djoani[97].
+
+ [Fußnote 97: Alle anderen Titel, wie z.B. bei Lempiere: "Emperor of
+ Africa" (die Marokkaner wissen gar nicht was Afrika ist), "emperor
+ of Marokko, King of Fes, Suz and Gago, Lord of Dara and Guinea and
+ great Sherif of Mohamet" (?), sind Erfindungen der Europäer selbst.]
+
+Von seinen Unterthanen wird er "Sidna," unser Herr, oder auch "Sultan,"
+"Sultana," Sultan, unser Sultan genannt. Andere Ansprachen sind nicht
+üblich. Seine erste Frau, die nicht nothwendig ein weiblicher Scherif zu
+sein braucht, hat den Titel Lella-Kebira, und gebiert sie einen
+Thronfolger, so hat sie für immer das Recht den Harem zu regieren und bei
+der Wahl der übrigen Weiber eine gewichtige Stimme. Der älteste Sohn
+bekommt den Titel Sidi el Kebir oder Mulei el Kebir, denn Sidi und Mulei im
+Singular wird immer gleichbedeutend gebraucht, während Muleina, der Plural,
+nur auf den Propheten angewendet wird. Wie alle Mohammedaner, hat der
+Sultan gleichzeitig nur vier rechtmässige Frauen, die nach Belieben
+fortgeschickt oder erneuert werden; wie viele unrechtmässige, d.h. nicht
+angetraute junge Mädchen und Frauen in den vier Harems sind, weiss der
+Sultan, _trotz seiner Unfehlbarkeit_ wohl selbst nicht.
+
+Ein Gesetz über Erbfolge giebt es bei den Mohammedanern nicht, also
+existirt darin auch keine Regel für Marokko. Der augenblicklich auf dem
+Thron sitzende Fürst ist der zweite Sohn des verstorbenen Sultans, und
+dieser selbst war Neffe seines Vorgängers. Er heisst Sidi Mohammed ben
+Abd-er-Rhaman und ist im Jahre 1805 geboren. Wenn schon unter seinen
+Vorgängern, Sultan Sliman und Abd-er-Rhaman, Vieles anders am
+marokkanischen Hof geworden ist, so wechselte noch mehr unter der
+Regierung des jetzigen Herrschers, und trotzdem dieser nicht wie sein
+Vater Gelegenheit gehabt hat, mit Europäern auf gleichem Fuss zu
+verkehren und sie so besser kennen zu lernen, schätzt doch gerade Sidi
+Mohammed mehr als einer seiner Vorgänger die Christen. Der Vater
+Mohammed's war nämlich vor seiner Thronbesteigung Bascha in Mogador
+gewesen, hatte dort viel mit den Consuln verkehrt und somit europäische
+Gewohnheiten und Gebräuche kennen gelernt. Sidi Mohammed war aber
+fortwährend Bascha von der Stadt Marokko gewesen, ehe er Sultan ward.
+
+Die Regenten von Marokko haben keinen eigentlichen Divan oder Midjelis, und
+die Etikette am Hofe ist äusserst streng. Es giebt aber gewisse Leute, die
+den Vorzug haben, sich setzen zu dürfen, z.B. die Prinzen, Gouverneure der
+Provinzen, vornehme Schürfa, während die gewöhnlichen Sterblichen vor dem
+Kaiser nur hocken oder knieen dürfen. Vorgelassene Bittsteller dürfen nur
+von weitem ihr Anliegen vorbringen in knieender Stellung, und nachdem sie
+vorher den Erdboden geküsst haben. In Gegenwart des Sultans darf das Wort
+"gestorben" nicht ausgesprochen werden, damit er nie an den Tod erinnert
+werde. Man umschreibt dies, z.B. mit: er hat seine Bestimmung erfüllt,
+ebenso darf nie die Zahl "fünf" vor dem Sultan ausgesprochen werden, man
+sagt dafür "4 und 1" oder "3 und 2". Dieser sonderbare Brauch[98] erklärt
+sich wohl daraus, weil fünf die Zahl der Finger das Symbol der Hand, der
+despotischen Macht ist. In allen mohammedanischen Landen wird man auch
+häufig an den Häusern eine rothangemalte Hand oder einfach den Abdruck
+einer Hand oder mehrerer finden, man glaubt dadurch Gewalt und Einbruch
+abhalten zu können, das Haus wird hiemit unter die unsichtbare Macht einer
+starken Hand gestellt.
+
+ [Fußnote 98: S. Jackson, Account]
+
+Spricht man in Gegenwart des Sultans von einem Juden, so wird vorher
+"Verzeihung" gebeten, "Haschak," weil die Juden für unrein gehalten werden.
+Früher galt das auch von den Christen, aber schon unter Abd-er-Rhaman kam
+diese Unsitte ab. Es versteht sich von selbst, dass Niemand mit Pantoffeln
+vor dem Sultan erscheint, doch haben die hohen Beamten die Erlaubniss, ihre
+gelben ledernen Stiefelchen anbehalten zu dürfen. Decorationen giebt es in
+Marokko nicht, indess dachte man im Jahre 1864 daran, einen Orden zu
+stiften, den vom Sultan Salomon (dem jüdischen König). Modelle waren
+angefertigt, ähnlich wie die, welche König Theodor von Abessinien hatte
+machen lassen. Die grösste Auszeichnung, die der Sultan von Marokko
+gewährt, ist die, wenn er selbst seines Burnus sich entledigt, und ihn
+einem der Anwesenden schenkt. Vornehme Personen werden zum Handkusse
+zugelassen, seine Kinder, seine Brüder und die allernächsten Günstlinge
+dürfen auch die _innere_ Fläche der Hand küssen[99].
+
+ [Fußnote 99: S. Aly Bei el Abassi.]
+
+Der vom Sultan gemachte Aufwand ist verhältnissmässig gering und besteht
+hauptsächlich in schönen Waffen, herrlichen Pferden und einem grossen
+Harem, bewacht von einer glänzend gekleideten Schaar von Eunuchen. Die
+einflussreiche Stellung, welche diese unglücklichen Geschöpfe unter den
+früheren marokkanischen Fürsten hatten, hat indess jetzt ganz aufgehört und
+beschränkt sich lediglich darauf, unbeschränkt in dem Theile des Palastes
+zu herrschen, in den auser [außer] dem Sultan keine Mannsperson eintreten
+darf. Aehnlich gekleidet wie die marokkanischen Maghaseni oder Reiter,
+haben sämmtliche Eunuchen silbergestickte Leibgürtel. Alle haben einen
+stark riechenden duftenden Namen; so hiess in Mikenes der Eunuchenoberst
+"Kaid Kampher", andere hiessen Moschus, Amber, Thymian etc. Ein Theil des
+Harems ist stets mit dem Sultan unterwegs, dieser besteht aus den
+Lieblingsfrauen, Quintessenz der vier Harem von Fes, Mikenes, Rbat und
+Marokko. Marschirt der Sultan, so hat er zwei grosse Zelte, ein jedes
+umgeben von einer äusseren vom Hauptzelte unabhängigen Zeltwand. Beide
+Zelte sind durch einen Zeltgang verbunden: das eine bewohnt der Sultan, das
+andere ist für die Frauen. Im äusseren Umgang des für die Frauen bestimmten
+Zeltes halten sich die Eunuchen auf.
+
+Die Regierung des jetzigen Sultans besteht aus dem ersten Minister, der vom
+Volke Uisir el Kebir genannt wird, sonst aber den Titel "Ketab el uamer",
+Schreiber des Fürsten, hat. Dieser ist der allmächtigste Mann im Reiche,
+ehemaliger Lehrer des Sultans, und sein Einfluss, namentlich in allen
+äusseren Angelegenheiten, ist entscheidend; sein Name ist
+Si-Thaïb-Bu-Aschrin-el-Djemeni. Der unmittelbare Verkehr mit den
+europäischen Consuln findet in Tanger statt, durch den dortigen
+Gouverneur, der den Titel Uisir-el-uasitha hat, und der seine
+Instructionen in dieser Beziehung vom Uisir-el-Kebir oder auch direct
+vom Sultan bekommt.
+
+In allen despotischen Staaten, und vorzugsweise in
+mohammedanisch-despotischen Staaten, wird manchmal der niedrigste und
+dümmste Mann durch eine Laune des _unfehlbaren_ Herrschers zum obersten
+Posten hinaufgehoben. Wer sollte sich dem auch widersetzen? In Marokko
+Niemand; allerdings giebt es fast allmächtige Kaids, unabhängig in ihren
+Provinzen regierend; allerdings giebt es die Classe der Schürfa, der
+Abkömmlinge Mohammeds, die sich wohl erdreisten, fern vom Sultan in
+Gegenwart des ganzen Volkes zu sagen: "Ich bin auch Scherif, und der
+Sultan hat kein besseres Blut in seinen Adern als ich;" allerdings ist
+da der Grossscherif von Uesan, der sagt, er stamme directer von
+Mohammed, als der Sultan selbst, und dieser allein wagt auch manchmal zu
+trotzen--aber sonst ist Niemand im Lande, der in Gegenwart des
+unfehlbaren Herrschers nicht von seiner eigenen Nichtigkeit und
+Unbedeutendheit überzeugt wäre.
+
+So ist denn auch der zweitmächtigste Mann im Reiche, Si-Mussa, den ich
+gewissermaßen "Minister des kaiserlichen Hauses" tituliren möchte, weiter
+nichts, als ein ehemaliger Sklave, ein Neger von Haussa. Er hat nur das
+Verdienst, mit dem jetzigen Sultan aufgewachsen zu sein, und leitet
+augenblicklich alle inneren Palast-Affairen. Sein Bruder, Si-Abd-Allah,
+ebenfalls ein Haussa-Neger und ehemaliger Sklave, ist dermalen
+Kriegsminister.
+
+Wichtiger Posten am Hofe von Marokko ist der des Mschuar. Der Kaid el
+Mschuar hat das Amt, Bittende, Fremde, Besuchende dem Sultan vorzuführen.
+Da man nur ausnahmsweise, um vom Sultan empfangen zu werden, sein Gesuch
+durch einen andern Minister anbringen lassen kann, ist dieser Posten sehr
+einträglich, folglich auch einflussreich. Denn jedes derartige Gesuch muss
+erst durch ein Geschenk, angemessen nach dem Reichthum des Petenten,
+unterstützt sein. Ebenso werden Consuln, wenn sie in Gesandtschaft zum
+Sultan kommen, oder auch in Rbat in gewöhnlicher Audienz empfangen werden,
+durch den Kaid el Mschuar eingeführt. Wie viele Plackereien damit für
+Europäer verbunden sind, wie vom Kaid el Mschuar abwärts Jeder, der ein
+Aemtchen hat, seinen Fremden auszubeuten bestrebt ist, davon hat Maltzan
+eine anziehende Schilderung gegeben.
+
+Der, welchen man in Marokko den Minister des Innern nennen könnte, der aber
+zugleich auch Gross-Siegelbewahrer ist, der Mul-el-taba oder Kaid-el-taba,
+ist derzeit auch eine vollkommen aus dem Staub, oder, wie der Marokkaner
+sich viel kräftiger ausdrückt, aus dem Dr. ... "Sebel" heraufgekommene
+Persönlichkeit. Der Mul-el-Taba beräth mit dem Sultan die Besetzung der
+Kaid- oder Gouverneurstellen in den Provinzen und Städten.
+
+Es giebt keinen eigentlichen Schatzmeister in Marokko, oder gar einen
+Finanzminister, denn den Schlüssel zur Hauptcasse, welche in Mikenes sein
+soll, hat der Sultan selbst. Dass eine Hauptabtheilung des dortigen
+Palastes, von aussen einen vollkommen viereckigen steinernen Würfel
+darstellend, "el dar-el chasna," oder "bit el mel", Schatzhaus heisst, kann
+ich aus eigener Anschauung bestätigen; anscheinend hat dieses massive
+Gebäude von aussen gar keinen Zugang, indess liegt eine Seite nach dem
+Harem zu, von wo aus der Eingang wohl sein wird. Die Marokkaner behaupten,
+der Zugang zum Schatz sei unterirdisch vermittelst eines Tunnels. Das
+Innere wird beschrieben als eine ausgemauerte Höhlung, in deren Innerem
+wieder ein gemauertes Gemach enthalten sei[100]. Alles dies ist wohl Fabel,
+denn Niemand, auch nicht der Kaid-etsard oder Schatzmeister, hat wohl je
+einen Blick ins Innere gethan. Ebenso sind die Summen, welche im Schatzhaus
+angehäuft liegen sollen, wohl lange nicht so bedeutend, als Manche
+herausgerechnet haben. Französische Schriftsteller haben die Ersparnisse
+der marokkanischen Regenten auf 300 Millionen Franken, ja auf eine
+Milliarde veranschlagt, ohne zu bedenken, dass das, was der eine Sultan
+zurückgelegt hatte, oft vom folgenden, der durch Usurpation und
+Gewaltmittel auf den Thron kam, in einem Tage der Plünderung preisgegeben
+wurde. Als z.B. an Spanien jene 22 Millionen spanische Thaler
+Kriegsentschädigung gezahlt werden mussten, fand es sich, dass der
+Staatsschatz leer war. Oder durfte und wollte der Sultan ihn nicht
+angreifen? Das Nichtvorhandensein des Geldes ist das Wahrscheinlichere.
+
+ [Fußnote 100: S. Höst p. 221, der die Höbe des damaligen Schatzes auf
+ 50 Millionen Thaler angiebt.]
+
+Eine kirchliche Behörde giebt es in Marokko nicht, der Sultan als unfehlbar
+vereinigt Papst, Cultusministerium oder oberste Synode, wie man bei den
+Christen dergleichen Einrichtungen nennt, in seiner Person.
+
+Ich unterlasse es, auf niedere Aemter am Hofe von Marokko einzugehen, werde
+jedoch einige derselben, wie sie jetzt noch existiren, erwähnen: den
+Mundkoch Mul' el tabach, den Sonnenschirmträger Mul' el schemsia,
+Säbelträger Mul' el skin, den Theeservirer Mul' el atei, Speiseträger Mul'
+el taam. Alle diese Aemter werden meist von Sklaven versehen, viele aber
+auch, und es giebt derer noch fünfzig, von freien weissen Leuten. Für die
+kleinste Handthierung ist ein besonderer Angestellter vorhanden, z.B. für
+den, der die Pantoffel des Sultans umdreht, damit er sie beim Anziehen
+gleich wieder fussgerecht vor sich hat. Um den Steigbügel zu halten, um
+eine Schale mit Wasser zu bringen, um die ausgetrunkene Theetasse in
+Empfang zu nehmen, um die Serviette zu reichen, um das Waschbecken zu
+präsentiren, für jeden kleinen Dienst hat der Sultan einen besonderen
+Angestellten. Man glaube aber nicht, dass alle diese Leute besoldet sind.
+Ziemlich gute Kleidung, oft die, welche der Sultan oder die Prinzen
+abgelegt haben, und die sieh von der fürstlichen Tracht durch nichts
+unterscheidet, als durch grössere Fadenscheinigkeit--dann Nahrung, das ist
+Alles, was dieses Heer von Bedienten und Beamten bekommt. Aber keineswegs
+sind sie deshalb ohne Geld, von Jedem, der nach Hofe kommt, wissen sie
+etwas zu erpressen; gehen sie in die Stadt auf die Märkte, so entlocken sie
+bald hier einem unglücklichen Juden, dort einem leichtgläubigen Landmann
+eine Mosona, wer würde der Bitte oder der Drohung eines Ssahab sidna
+widerstehen? Es ist das officieller Name aller Beamten und Diener. Der
+erste Minister des Sultans, wie sein letzter Sklave, schämt sich dieses
+Titels nicht, was wiederum seinen Grund daher hat, weil in den Augen des
+Sultans der höchste Beamte keinen grösseren Werth hat als der letzte
+Sklave. Vor der marokkanischen Unfehlbarkeit verfällt mit derselben
+Leichtigkeit das Haupt des rechtschaffensten Beamten dem Schwert, wie das
+eines Verbrechers, der es wirklich verdient hat. Eigentlich kann daher
+Unfehlbarkeit nur in einem solchen Lande vollkommen blühen und existiren
+wie in Marokko, d.h. in einem Lande, wo das Gesetz nichts gilt, sondern
+Alles sich der Laune eines schwachköpfigen Fanatikers fügen muss.
+
+Es giebt kein höchstes Justizamt in Marokko; vom Kadi einer einzelnen
+Provinz oder einer Stadt, oder eines kleinen Ortes kann nur an den Uisir
+oder an den Sultan appellirt werden, welche letztere nach ihrem Gutdünken
+das gefällte Urtheil bestätigen oder verwerfen.
+
+Die einzelnen Provinzen und Ortschaften werden manchmal von Kaids und
+Schichs regiert, die direct, wenn es sich um Provinzen und um grössere
+Städte handelt, vom Sultan ernannt werden. So wie wir auf den meisten
+Karten die verschiedenen Provinzen abgegrenzt finden, existiren sie in
+administrativer und gerichtlicher Beziehung nicht. Die Kaid stehen einem
+Kaidat vor, das manchmal aus einer Stadt mit verschiedenen Triben oder
+Dörfern besteht. Oft ist ein Kaid direct vom Sultan abhängig, oft hat ein
+Kaid oder Schich 40 oder gar 100 Kaids, die unter ihm stehen. Ein Kaid hat
+manchmal nur einen Duar[101], einen Tschar[102], eine Tribe zu commandiren,
+manchmal deren 20, 50 und noch mehr. Ein Kaid commandirt z.B. vielleicht zu
+einer Zeit die beiden Rhabprovinzen mit den Triben darin, oder wie zur Zeit
+des jetzt regierenden Sultans sind sie getheilt, und werden von zwei Kaids
+regiert. Der Titel "Kaid" ist der allein officielle, sowohl für die Beamten
+einer grossen Provinz, wie für die einer kleinen Ortschaft. Gleichbedeutend
+ist der Name "Schich", den man vorzugsweise in den Gegenden von
+überwiegender Berber-Bevölkerung antrifft. Der Titel "Bascha" wird nur
+einzelnen besonders hervorragenden Gouverneuren, z.B. dem von Alt-Fes,
+verliehen. Der Titel "Chalifa" schliesst immer eine Stellvertretung in
+sich, so hat z.B. der älteste Sohn des Sultans unter der Regierung des
+jetzigen Kaisers, sobald dieser nach Marokko übersiedelt, den Titel
+"Chalifa von Fes" als seines Vaters Stellvertreter. Kehrt der Sultan nach
+Fes zurück, hat einer der Brüder des Sultans, Mulei Ali, in der Hauptstadt
+Marokko den Titel "Chalifa". Es ist dies die einzige Erinnerung daran, dass
+ehemals Fes und Marokko getrennte Königreiche waren.
+
+ [Fußnote 101: Zeltdorf.]
+
+ [Fußnote 102: Bergdorf aus Häusern.]
+
+Es würde unmöglich sein, genau die Grenzen der verschiedenen Provinzen
+Marokko's angeben zu wollen, da überhaupt je nach den Launen der Regierung
+heute eine Provinz vergrössert, morgen verkleinert oder gar entzwei
+geschnitten wird, heute eine Tribe dieser, morgen jener Provinz einverleibt
+wird, manchmal mit den Provinzen eine geographische Bezeichnung für immer
+verbunden ist, manchmal auch nicht.
+
+Auf der Abdachung des Atlas nach dem Mittelmeer und Ocean, umfasst von der
+Gebirgskette, welche zwischen Cap Gehr und Cap el Deir hinzieht, haben wir
+im Norden die Andjera und Rif-Provinz, südlich von Andjera die beiden
+Rharb-Provinzen, und dann längs des Oceans von Norden Beni-Hassen, Schauya,
+Dukala, Abda, Schiadma und Haha. Südlich vom Rif die Hiaina, und südlich
+von der Hiaina die Provinz Fes. Auf den Stufen des Atlas liegen östlich von
+Haha die Ahmar und die Erhammena, dann Maroksch (District der gleichnamigen
+Stadt), und nördlich von Maroksch, Temsena und östlich Scheragna. Diese
+soeben aufgeführten Districte, die aber keineswegs alle eine besondere
+Regierung haben, und deren Grenzen nicht genau bestimmt sind, dürften die
+Benennungen für die bezeichneten Oertlichkeiten sein. In denselben, sind
+indessen Districte enthalten, die ebenso gut den Namen Provinz führen
+könnten. Die östliche Partie des Garet, welche Provinz westlich mit dem Rif
+zusammenhängt, ist in den letzten Jahren als Beni-Snassen bekannt geworden,
+ein eigener politisch begrenzter District, mit eigenem Kaid. Südlich von
+der Provinz Fes, von Scheragna, Maroksch und Erhammena sind Atias aufwärts
+noch die verschiedensten Districte bis zum Kamme des Gebirges, aber die
+Namen derselben zum Theil unbekannt, zum Theil wissen wir nicht mit
+derselben Sicherheit anzugeben, wohin sie setzen. Von Fes in südöstlicher
+Richtung könnte ich constatiren den District der Beni Mtir und der Beni
+Mgill.
+
+Südlich vom Cap Gehr längs des Oceans sind die Provinzen Sus und Nun (mit
+Tekna), der Staat des Sidi Hischam existirt nicht mehr[103]. Die Provinz
+Draa kommt natürlich nur soweit hier in Geltung, als sie bewohnt ist, das
+ist bis zum Umbug des Flusses nach Westen. Es folgt sodann östlich vom Draa
+Tafilet mit seinen verschiedenen Districten, und nordöstlich von Tafilet
+die verschiedenen kleinen Oasen am südöstlichen Atlasabhange, die
+bedeutendste davon ist Figig. Endlich die südöstlichste Provinz von Marokko
+ist Tuat.
+
+ [Fußnote 103: Per Name "Dschesula" oder, wie Renou auf seiner Karte
+ hat, Gezoula, existirt nirgends südlich vom Atlas, vielleicht soll
+ er auf den Karten bloss die Gaetuler der Alten in Erinnerung
+ bringen.]
+
+Ueber die Einnahmen und Ausgaben des Sultans von Marokko lässt sich nichts
+Bestimmtes sagen, da keine Staatsbücher darüber existiren, die Einkünfte
+dem Zufall unterworfen und der Laune der einzelnen Kaids anheimgegeben
+sind, oft auch andere Umstände eintreten, die ganz unvorhergesehen sind.
+
+Im Jahre 1778 veranschlagte Höst, auf Koustroup fussend, die Einnahme auf
+eine Million Piaster[104], hervorgegangen aus Zoll, Schutzgeldern,
+Thorsteuern, Judenabgaben, Monopolen, Miethen, Strassenzöllen und
+ausländischen Geschenken, letztere figuriren allein mit 250,000 Piastern.
+An Ausgaben giebt er nur 300,000 an, so dass 700,000 Piaster für den Schatz
+geblieben wären. Da der zu der Zeit regierende Sultan im Jahr 1778 zwei und
+zwanzig Jahre regierte, meint Höst den Schatz in der Bit el mel auf 13
+Millionen Piaster veranschlagen zu können.
+
+ [Fußnote 104: Ein spanischer Piaster ungefähr 1 Thlr. 13 Sgr.]
+
+Im Jahr 1821 giebt Hemsö die Einkünfte auf 2,600,000 Thaler an, darunter an
+Geschenken für 225,000 Thaler. Die Ausgaben berechnet er auf 990,000
+Thaler, und wie Höst schliessend, dass Sultan Soliman seit seiner
+Thronbesteigung im Jahre 1793 jährlich eine Ersparniss von 1,600,000 Thaler
+gemacht habe, meinte er, müsse in der Bit ei mel nach einer Regierung von
+34 Jahren zum mindestens die Summe von 50 Millionen Thaler sein.
+
+Neuere Nachrichten liegen über den Staatshaushalt nicht, vor, denn Jules
+Duval in der Revue des deux Mondes von 1859 hat einfach von Hemsö
+abgeschrieben, die Zahlen für die neuesten ausgegeben, ohne der Quelle
+dabei auch nur zu gedenken; ebenso wenig verdienen Calderons Angaben
+Glauben.
+
+Auch über Gesammtausfuhr und Einfuhr, über Handel und Wandel liegen keine
+statistischen Nachrichten vor. Ueber verschiedene Häfen besitzen wir in
+dieser Beziehung gar kein Material. Agadir mit sehr bedeutender Importation
+von Naturalien aus Sudan, der Sahara, Nun, Draa und Sus hat, wie Asamor,
+keine Consuln irgend eines Staates. Und Asamor ist eine der bedeutendsten
+Städte. Aus einzelnen Häfen jedoch liegen über ein- und ausgelaufene
+Schiffe, Tonnengehalt, Aus- und Einfuhrartikel, Nationalität der Schiffe
+etc. genaue Angaben vor[105].
+
+ [Fußnote 105: Siehe Richardson Vol II, p. 316.]
+
+Serafin Calderon schätzt den Gesammtwerth des Handels auf 50,000,000
+Thaler. England vermittle davon zwei Drittel, das dritte vertheile sich auf
+Spanier, Portugiesen, Franzosen, Belgier etc. Beaumier giebt die
+Handelsbewegung von Marokko mit einem jährlichen Mittel von etwa 40
+Millionen Franken an, und was die Wichtigkeit der daran theilnehmenden
+Häfen anbetrifft, stellt er Mogador mit 5/8 voran, während L'Araisch,
+Tanger, Rbat, Casablanca und Masagan je mit 1/8, und Tetuan und Saffy mit
+je 1/16 im gleichen Verhältniss daran Theil nehmen[106].
+
+ [Fußnote 106: Siehe Beaumier, Déscription sommaire de Maroc, p. 31.]
+
+Obschon nun verschiedene Tractate mit den christlichen Nationen geschlossen
+sind über Zoll bei Einfuhr und Ausfuhr, so hebt sie der Sultan manchmal
+ohne besonderen Grund auf, weshalb sollte er auch nicht? Braucht er, der
+unfehlbare Herrscher der Gläubigen, Sklave seines Wortes zu sein? ist er
+nicht Herr und uneingeschränkter Gebieter aller Leute, die im Rharb sich
+aufhalten, folglich auch der Christen, so lange wie sie dort wohnen? Giebt
+es überhaupt einen Fürsten, der sich mit ihm messen kann? Freilich regiert
+der Sultan von Stambul die andere Hälfte[107] der Gläubigen, aber das ist
+von Gott so geschrieben. Freilich schlugen die Franzosen bei Isly den jetzt
+regierenden Sultan aufs Haupt, aber das war auch Mektub Allah (von Gott
+geschrieben); freilich nahmen die Spanier Tetuan, aber auch das war Mektub
+Allah; einige alte Wahrsager sagen sogar, die Christen werden einst in
+Mulei Edris (Fes) einrücken, und man antwortet in Marokko: "Gott verfluche
+sie, aber vielleicht ist es _geschrieben_."
+
+ [Fußnote 107: Anschauungsweise der Marokkaner.]
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+11. Consulatswesen.
+
+ * * * * *
+
+Kein einziger Staat auf der ganzen Erde hat sich so in seiner
+Abgeschlossenheit zu erhalten gewusst wie Marokko. Während die Türkei schon
+seit langer Zeit in diplomatischem Verkehr mit allen europäischen Mächten
+steht, in allen europäischen Ländern Gesandte und Consuln unterhält;
+während China, wenn es auch noch keine Agenten in Europa hat, doch
+fortwährend in diplomatischer Verbindung mit den christlichen Mächten steht
+und das Reich der Mitte jetzt den Europäern geöffnet ist, bleibt der
+äusserste Westen, el-Rharb-el-Djoani, geheimnissvoll verschlossen.
+
+Weder die Schlacht von Isly oder des Prinzen von Joinville Bombardement von
+Tanger und Mogador, noch die Einnahme von Tetuan haben vermocht, irgendwie
+eine Veränderung herbeizuführen. Mit Ausnahme einer einzigen Macht,
+Englands, sind die Beziehungen Marokko's zu allen übrigen Mächten förmlich
+und kalt; sie beschränken sich eigentlich auf Differenzen der Mohammedaner
+und Christen in den marokkanischen Hafenstädten.
+
+Es haben indess früher wohl bessere Zeiten existirt, wir wissen, dass nach
+den heftigsten Feindseligkeiten der Christen mit den Mohammedanern Spaniens
+und Marokko's Pausen eintraten, in welchen beide vereint den Wissenschaften
+oblagen. Die erste Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien, endlich die
+letzte im Jahre 1609, legte Grund zu jenem unauslöschlichen Hasse, den die
+Norwestafrikaner [Nordwestafrikaner] von nun an gegen alles Christliche
+kund geben. Dazu kamen auf den Thron von Marokko neue Dynastien, die erste
+der Filali oder Schürfa, dann zu Anfang des 17. Jahrhunderts die zweite
+Dynastie der Schürfa.
+
+Marokko wetteiferte um diese Zeit mit den übrigen Raubstaaten im Capern
+christlicher Schiffe, keine Macht war sicher, und hatte je ein europäisches
+Schiff das Unglück an der gefährlichen Küste, die sich von der Strasse
+Gibraltars bis zur Sahara hinerstreckt, zu stranden, so waren das Schiff
+und was es enthielt unbedingt Beute der umwohnenden Völker, die Bemannung
+aber wurde gemordet, verstümmelt, geschändet, im besten Fall aber ins
+Innere geschleppt, um dort als Sklaven mittelst härtester Arbeit das Leben
+zu fristen.
+
+Und haben diese Verhältnisse vielleicht Besserung erfahren? Keineswegs!
+Allerdings hat schon Sultan Soliman, oder Sliman, wie ihn die Marokkaner
+nennen, die Aufhebung der christlichen Sklaven decretirt, und erleidet
+jetzt ein Schiff irgendwo an der marokkanischen Küste Schiffbruch, so wird
+die Mannschaft nicht mehr verkauft, sondern gemeiniglich nach langen Leiden
+ausgeliefert. Werden unter der Zeit einige davon gemordet, werden, falls
+Frauenzimmer dabei sind, diese nicht respectirt, so hat das noch nie Folgen
+gehabt. Eigenthum wird aber auch heutigen Tages noch nie geachtet; der
+Schiffsladung beraubt, des persönlichen Eigenthums bestohlen, so werden die
+armen Verunglückten dem betreffenden Consul überhändigt. Sicher verlangt
+der mit der Uebergabe Betraute vom christlichen Consul noch ein bedeutendes
+Geschenk, möglicherweise wird auch noch eine Rechnung für Verpflegung
+eingereicht. Und die Consuln zahlen und danken.
+
+Im selben Jahr 1852, als der englische Admiral Napier marokkanische
+Unbilden, gegen englische Unterthanen begangen, rächen wollte, aber nur
+unnützerweise seine Flotte angesichts der marokkanischen Küste spazieren
+führte, im selben Jahre wurde die preussische Brigg Flora an der Rifküste
+geplündert. Vier Jahre später wurde Prinz Adalbert von Preussen, der
+jetzige Admiral des Deutschen Reiches, an der nämlichen Küste beim
+Wassereinnehmen verrätherisch angegriffen und verwundet. Marokko hat nie
+Satisfaction dafür gegeben, gegen Preussen liess es sich durch den
+schwedischen General-Consul damit entschuldigen (wie mir später der
+marokkanische Grosswessier Si Thaib Bu Aschrin selbst bestätigte): der
+Sultan habe keine Gewalt über die Rif-Bewohner, und lehne daher jede
+Verantwortung für dergleichen Acte ab, und mit England wurden die guten
+Beziehungen dadurch wieder hergestellt, dass das stolze Königreich dem
+Sultan Geschenke machte.
+
+Um die Politik Englands zu verstehen, müssen wir bis zum Jahr 1684
+zurückgehen, zu welcher Zeit England die Stadt Tanger, welche Karl II. von
+seiner portugiesischen Gemahlin Katharina zwanzig Jahre früher bekommen
+hatte, freiwillig aufgab. Dieser unkluge Streich, einen Stützungspunkt am
+Eingange des Mittelmeers freiwillig zu verlassen, wurde für die englische
+Regierung dadurch neutralisirt, dass schon 20 Jahre später der kaiserliche
+Feldmarschall Prinz Georg von Hessen-Darmstadt Gibraltar für England
+eroberte, und Grossbritannien ist seitdem im stetigen Besitze dieser Veste
+geblieben.
+
+War es nun in früheren Zeiten England hauptsächlich darum zu thun, mittelst
+Gibraltars die dortige Meerenge beherrschen zu können, dort am Eingange des
+Mittelmeeres einen sichern Punkt für eine Kriegsflotte zu besitzen, so hat
+die Dampfschifffahrt hierin eine vollständige Veränderung hervorgerufen.
+Seitdem ein Dampfschiff in einer Stunde 15, ja ausnahmsweise 20 Knoten
+zurücklegen kann, beherrscht der Fels von Gibraltar die Meerenge nicht
+mehr. Ueberdies lässt sich mit den weittragendsten Kanonen die ganze
+Passage bis zum afrikanischen Ufer nicht bestreichen. Für England aber wird
+Gibraltar immer Wichtigkeit behalten wegen der Nähe von Marokko und als
+Sammelplatz für eine Flotte. Aber weit wichtiger in dieser Beziehung würde
+für England der Besitz von Ceuta sein. Was die Lage dieses Ortes
+anbetrifft, so ist sie ebenso günstig wie die von Gibraltar, in Beziehung
+zu Marokko aber bedeutend günstiger. Und insofern ist es wohl zu verstehen,
+dass in jüngster Zeit immer wieder das Gerücht auftauchte, England
+beabsichtige Gibraltar gegen Ceuta auszutauschen.
+
+Das Interesse nun, welches England an Marokko bindet, liegt zum Theil
+darin, weil der englische Handel, die englischen Producte fast
+ausschliesslich den marokkanischen Markt beherrschen, dann in Eifersucht
+gegen fremde Mächte, vorzugsweise Spanien und Frankreich. Und diese
+Eifersucht entspringt hauptsächlich wieder daraus, dass England fürchtet
+von eben diesen Mächten vom marokkanischen Markte verdrängt zu werden. Wir
+wollen nicht zurückgreifen, und daran erinnern, wie England der Staat war,
+der die Eingeborenen Algeriens und namentlich Abd-el-Kader thatsächlich
+gegen Frankreich unterstützte, wir wollen bei den letzten Ereignissen
+stehen bleiben.
+
+Als am 25. März 1860 Mulei Abbes und O'Donnell Frieden schlossen, hatte
+bald darauf der spanische General Kos de Olano, von seinen Soldaten
+Abschied nehmend, vollkommen Recht zu sagen: "Wir haben einen für uns
+neuen, ja einzigen Krieg in seiner Art beendigt, in welchem, nach meinem
+Urtheile, wir bei jeder Action siegreich gewesen sind, aber dennoch die
+Campagne verloren haben."
+
+Olano hatte vollkommen Recht so zu sagen, denn gewonnen haben die Spanier
+in diesem Feldzuge nichts. Das Versprechen Agadir abzutreten ist nicht
+gehalten worden, im Gegentheil, im Jahr 1862 konnte ich mich überzeugen,
+dass der Sultan Sidi Mohammed aufs eifrigste damit beschäftigt war, diesen
+Ort, der früher nur mangelhaft befestigt war, durch neue und gut
+ausgeführte Befestigungen zu schützen. Eine Mission in Fes und Mikenes
+einzurichten, daran haben die Spanier bis jetzt nicht denken können,
+trotzdem, dass auch dies beim Friedensschluss verabredet war. Tetuan musste
+wieder herausgegeben werden, und die Kriegskosten sind noch lange nicht
+bezahlt, und werden es auch, wenn es so fort geht, nach eigener spanischer
+Berechnung in hundert Jahren noch nicht sein.
+
+Und wer brachte diesen für Spanien so ungünstigen Frieden zuwege? Wer
+verhinderte die Spanier von Tetuan nach Tanger zu marschiren, wer
+verhinderte das Bombardement von Tanger, Mogador und anderen marokkanischen
+Hafenplätzen? Nur England! Sidi el Hadj Abd es Ssalam, Grossscherif von
+Uesan, erzählte mir sogar ein Jahr später, dass englische Soldaten als
+Marokkaner verkleidet, an den Batterien in Tanger gestanden haben, um die
+Kanonen zu bedienen, falls die Spanier dennoch einen Angriff wagen würden.
+Natürlich kann ich nicht einstehen für die Wahrheit dieser Aussage, sie
+bekundet aber, wie innigen Antheil England derzeit an Marokko nimmt.
+
+Die ersten regelmässigen Beziehungen Spaniens mit Marokko fanden im Jahr
+1767 und 1798 statt. Wie die übrigen christlichen Nationen verstand auch
+Spanien sich zu einem jährlichen Tribut, der sich indess nur auf etwa 1000
+Thlr. belief. Freilich mussten bei einem jeden Consulatswechsel 12,000
+Thlr. extra bezahlt werden. Spanien betonte übrigens in dem 1798
+abgeschlossenen Vertrage, die Geschenke nur deshalb leisten zu wollen,
+damit die in Mikenes, Marokko, L'Araisch und Tanger bestehenden Klöster
+ohne Hinderniss ihre Religion ausüben könnten. Die Klöster im Innern waren
+hauptsächlich errichtet, christliche Sklaven freizukaufen und ihnen in
+Krankheit Beistand zu leisten, namentlich auch sie in der christlichen
+Religion zu stärken und zu erhalten. Höst in seinem 1781 erschienenen Werke
+erwähnt noch dieser Klöster. Aber da der religiöse Fanatismus in Marokko
+bis jetzt immer noch wachsend gewesen ist, sah sich Spanien genöthigt,
+schon Ende des vorigen Jahrhunderts die Klöster von Mikenes und Marokko
+aufzuheben; das von L'Araisch wurde 1822 geschlossen.
+
+Augenblicklich lebt der spanische Generalconsul in Tanger mit der Regierung
+von Marokko auf gutem Fusse, spanische Agenten theilen mit denen des
+Sultans sämmtliche Hafeneinkünfte aller Häfen, damit Spanien so zu seiner
+Kriegskostenentschädigung komme.
+
+Der einzige Staat, der es verschmäht hat, je Verbindung mit Marokko
+anzuknüpfen oder gar Tribut zu zahlen, ist Russland, und eigenthümlich,
+Russland ist in Marokko am meisten gefürchtet, den Namen "Muscu" spricht
+jeder Marokkaner mit einer gemessenen ehrfurchtsvollen Scheu aus.
+
+Frankreich behauptet[108], schon 1577 Consuln in Fes gehabt zu haben, ob
+dem so ist, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Die ersten
+diplomatischen Beziehungen waren der Vertrag vom 3. Sept. 1630, vom 17. und
+24. Sept. 1631, vom 16. Jan. 1635 und vom 29. Jan. 1682[109], endlich 1693
+zur Zeit Louis XIV. Letzterer trat erst 1767 in Kraft. Frankreich bezahlte
+keine bestimmte jährliche Summe, aber die jährlichen Geschenke giebt Hemsö
+auf mehr als 100,000 Thlr. an.
+
+ [Fußnote 108: Jules Duval, Rev. des deux mondes 1859.]
+
+ [Fußnote 109: Du Mont, Corps diplomatique t. V. VI. u. VII.]
+
+Von dem ersten Tage der Eroberung Algeriens an hat Frankreich beständig mit
+Marokko auf dem qui vive gestanden. Die Schlacht von Isly, durch den jetzt
+regierenden Sultan Sidi Mohammed verloren, das Bombardement von Mogador und
+Tanger haben keineswegs dazu beigetragen, die Franzosen beliebt zu machen.
+1844 als Friede und ein neuer Vertrag geschlossen wurde, konnte
+Abd-er-Rhaman sich nicht dazu verstehen, den französischen Gesandten in
+Fes zu empfangen, er ging eigens zu dem Ende nach Rbat.
+
+Seit der Zeit hat Frankreich keine ernste Streitigkeiten mit Marokko
+gehabt, die Expedition gegen die Beni-Snassen war lokal und geschah mit
+Genehmigung des Sultans, andere Differenzen, z.B. manchmal Auslieferungen
+algerinischer Verbrecher und Revolteure, wurden immer dadurch beigelegt,
+dass Marokko wo es nur konnte aufs schnellste Frankreichs Wünsche erfüllte.
+Denn England wird in Marokko geliebt, Spanien gehasst, aber Frankreich
+gefürchtet. Das ist die eigene Aussage des marokkanischen ersten Ministers.
+
+Obgleich England nicht zu den Mächten gehört, welche die ältesten Tractate
+mit Marokko geschlossen haben, so sehen wir doch schon, dass zur Zeit der
+Regierung der Königin Elisabeth englischer Handel sich an der
+marokkanischen Küste entwickelte. Am 2. Januar 1718 wurde der erste[110]
+und unter Georg II. und Sultan Mulei Hammed el Dahabi im Juni 1729 ein
+zweiter Vertrag geschlossen. Von den Sultanen Sidi Mohammed 1760, von Mulei
+Yasid 1790, und von Mulei Sliman 1809 wurde dieser Vertrag bestätigt[111].
+Denn die Sultane von Marokko anerkennen die Acte ihrer Vorgänger nur, wenn
+sie dieselben ausdrücklich bestätigt und erneuert haben, namentlich solche
+mit den christlichen Mächten. Ein Hauptgrund zu einem solchen Verfahren
+ist, dass bei einer Vertragserneuerung die betreffenden Staaten bedeutende
+Geschenke an den Sultan und seine Regierung zu machen haben. In einer 1815
+vom englischen Parlament veröffentlichten Liste ersehen wir, dass Marokko
+mit einer jährlichen Liste von 16,177 Pfd. St. von 1797 bis 1814 figurirt
+als Kriegsunterstützung[112]. Ausserdem hat die grossbritannische Legation
+in Marokko über jährliche 10,000 Piaster zu Geschenken zu verfügen, und
+versorgt zum Theil Marokko gratis mit Munition[113] und Waffen wegen der
+Erlaubniss, nach Gibraltar Vieh und Getreide so viel es braucht ausführen
+zu können.
+
+ [Fußnote 110: Du Mont, Corps diplom. T. VIII.]
+
+ [Fußnote 111: Gråberg di Hemsö, p. 232.]
+
+ [Fußnote 112: Revue des deux mondes 1844. Maroc, ses moeurs et
+ ressources.]
+
+ [Fußnote 113: S. Calderon.]
+
+Die grössten Erfolge verdankt England jedoch seinem jetzigen Repräsentanten
+in Marokko, Sir Drummond Hay. Um Männer zu haben, die genau mit den Sitten
+und mit der Sprache des Volkes bekannt sind, hat England zu seinen
+Vertretern in Marokko nur solche Leute genommen, die dort im Lande geboren
+sind. So auch Sir Drummond, der wie kein anderer das Land kennt, und mit
+Hoch und Niedrig umzugehen weiss. Am 9. December 1859 schloss Sir Drummond
+mit Abd-er-Rhaman einen neuen Handelsvertrag, und traf Bestimmungen, von
+denen alle christlichen Mächte profitiren sollten. Indess beanspruchte im
+Vertrage von 1861, der, was das Commercielle anbetrifft, revidirt wurde,
+England für sich eine Ausnahmestellung.
+
+So heisst es z.B., Englands Consuln dürfen residiren, in welchem Hafen oder
+in welcher Stadt[114] es Grossbritannien für gut findet, während für die
+Consuln der übrigen Mächte nur die Hafen erwähnt sind. Andererseits ist
+anzuerkennen, dass England in diesem Vertrage zum erstenmal für alle
+europäischen Agenten das Recht erlangte, die Fahne da aufzuhissen, wo man
+es wollte, und nicht bloss wie früher im "unreinen Ghetto" der Juden. Und
+vor allen Dingen ist hervorzuheben, dass England den Protestanten volle
+Freiheit bei Ausübung ihres Cultus zusicherte. Im Jahre 1862 war Sir
+Drummond selbst in Mikenes während eben der Zeit wie ich dort war, und ich
+konnte mich selbst überzeugen, wie allmächtig sein Einfluss, mithin der
+Englands in Marokko ist, und irre ich nicht, so hat Drummond Hay im Jahre
+1867 sogar in Fes den Sultan besucht. Derjenige, der weiss, wie sehr
+schwierig es ist, mit den marokkanischen Monarchen in Person zu verkehren,
+namentlich in einer der Hauptstädte des Landes selbst, wird ermessen
+können, welch grosses Zutrauen der derzeitige Sultan zum jetzigen
+grossbritannischen Consul hat.
+
+ [Fußnote 114: Um Marokko nicht zu verletzen, würde übrigens England
+ wohl nie darauf bestehen, im Innern des Landes Consuln zu halten.]
+
+Aber die englische Regierung, die weiss, dass solchen Völkern hauptsächlich
+durch Glanz, Reichthum und Macht imponirt wird, hat in Tanger ein
+Consulatsgebäude herstellen lassen, das seiner Zeit mehr als 70,000 Thaler
+kostete, der Generalconsul und Ministerresident bezieht einen Gehalt von
+mindestens 50,000 Francs; ausserdem stehen dem englischen Minister zur
+Seite ein bezahlter Viceconsul, ein Arzt, Prediger, verschiedene
+Dolmetsche, Cavassen und Diener, alle gleichfalls hoch besoldet. In
+Mogador, Asfi, Darbeida, Dar-Djedida, Rbat, L'Araisch, Arsila und Tetuan
+unterhält England ebenfalls bezahlte Consulate, Viceconsulate und
+Agenturen.
+
+Im Anfang der 60er Jahre vertrat England ausserdem das Königreich Dänemark,
+Oesterreich und die deutschen Hansestädte.
+
+Die Hanseatischen Städte zahlten auch Tribut. 1750 musste Hamburg 50
+Lafetten liefern, ausserdem 300 Centner Pulver etc.[115].
+
+ [Fußnote 115: Pacy, La piraterie musulmane, Revue africaine. 1858.]
+
+Am 18. Juni 1753 (Höst, p. 284) schloss Dänemark einen Tractat mit Marokko;
+da die meisten älteren Tractate ähnlicher Art sind, heben wir daraus
+hervor: § 6 und 10. Jeder Däne kann im Lande reisen und hat Sicherheit (?).
+Keine andere Nation ist der dänischen bevorzugt. § 9. Kein dänisches
+schiffbrüchiges Schiff darf beraubt, oder die Mannschaft davon misshandelt
+werden (?). Kein Maure darf den Dänen zwingen, seine Waare unter dem Werthe
+zu verkaufen. Kein Matrose darf mit Gewalt von einem dänischen Schiffe
+genommen werden. § 12. Wenn ein dänisches Schiff einige von seinen in einem
+marokkanischen Hafen bereits verzollten Waaren nach einem anderen Hafen in
+Marokko bringen möchte, so soll kein Zoll aufs neue von den an Bord
+befindlichen Waaren erlegt werden, die anderwärts hin bestimmt sind. Von
+Munition und Schiffsbaumaterialien wird kein Zoll bezahlt.--Dänemark
+bezahlte dafür (Hemsö p. 235) jährlich 25,000 Thaler, und auserdem
+[ausserdem] für die Erlaubniss, eine Handelscompagnie an der Küste von Sla
+bis Asfi anzulegen, ein Annuum von 50,000 Thlrn.
+
+Im Jahre 1844 hat Dänemark erst aufgehört Tribut an Marokko zu zahlen,
+während Schweden, welches im Jahr 1763 den ersten Vertrag mit Marokko
+unterzeichnete, hierfür dem Sultan einen jährlichen Tribut von 20,000
+Thalern gab. Vorher bestanden die Geschenke Schwedens in Naturalien: Holz,
+Tauwerk, Munition etc. 1771 unter Gustav III. wurde ein neuer Vertrag
+vereinbart, wonach Schweden jährlich zweimal einen Gesandten mit Geschenken
+zu schicken hatte, aber 1803 derselbe alte Vertrag wieder erneuert, wonach
+Schweden 20,000 Thaler leistete, und noch die Demüthigung erfuhr, dass
+dieses Geschenk _öffentlich_ durch den Consul überreicht werden
+musste. Unter Bernadotte wurde der Tribut dann gänzlich aufgehoben; der
+schwedische Generalconsul hatte die Annuität von 20,000 Thalern eines
+Jahres zum Bau eines Consulatsgebäudes[116] benutzt, und später die Zahlung
+nicht weiter geleistet. Zur Zeit, als ich in Marokko anwesend war, vertrat
+Schweden und Norwegen zugleich Preussen.
+
+ [Fußnote 116: Siehe von Maltzan: "Drei Jahre im Nordwesten von
+ Afrika."]
+
+Oesterreich, das sich jetzt auch durch England vertreten lässt, schloss,
+nachdem der Kaiser Rudolph II. im Anfange des 17. Jahrhunderts einen
+Gesandten an Sultan Abu Fers geschickt hatte, einen Vertrag mittelst des
+Engländers Shirley; im Jahre 1783 am 17. April, also ungefähr 150 Jahre
+später (Schweighover, Staatsverfassung von Marokko und Fes), erneuerte es
+den Vertrag. Zu der Zeit hatte Sidi Mohammed einen Gesandten an Joseph II.
+geschickt, Namens Mohammed Abd-el-Malek, der mit dem Rath von Jenisch den
+Vertrag erneuerte und besiegelte. Im Jahre 1815 verpflichtete sich Kaiser
+Franz gegen Marokko für Venedig einen jährlichen Tribut von 10,000 Sequinen
+zu zahlen, wozu sich 1765 die Republik verpflichtet hatte. Im selben Jahre
+jedoch brach Oesterreich jede Verbindung mit Marokko ab, und hörte, wohl
+von allen europäischen Staaten der erste, auf, Tribut zu zahlen.
+Oesterreich verwies seine Unterthanen an Spanien. Die vielen Vexationen,
+die Sultan Abd-er-Rhaman aber gegen Oesterreicher ausübte, zwangen diesen
+Staat zu einer militärischen Demonstration. 1829 bombardirte der
+österreichische Admiral Bandierra einige Küstenstädte, aber ohne grossen
+Erfolg. Unter Dänemarks Vermittelung kam am 12. Februar 1830 ein Vertrag
+mit Marokko zu Stande, von dem nur bekannnt [bekannt] ist, dass Oesterreich
+sich nicht zu Geschenken oder Tribut verpflichtete. Die Vertretung blieb
+Dänemark und später England überlassen.
+
+Mit dem Sultan Sliman hatte im Jahr 1817 Preussen versucht ebenfalls einen
+Vertrag abzuschliessen, der aber nicht zu Stande kam, und seit der Zeit
+blieb, wie angeführt, die Vertretung dieses Landes Schweden überlassen. Im
+Anfange dieses Jahrhunderts hatte denn auch Hamburg versucht, einen Vertrag
+zu Stande zu bringen, da ein Hamburger Artikel früher wie auch jetzt
+(wenigstens dem Namen nach), nämlich weisser Kattun, "Amburgese" genannt,
+sehr gesucht war; auch dieser kam nicht zu Stande; Hamburg liess sich dann
+später durch Portugal vertreten, und zuletzt mit den übrigen Hansestädten
+durch England.
+
+1825 schloss Sardinien mit Marokko einen Vertrag und verpflichtete sich,
+bei jedesmaliger Erneuerung des Consulats 25,000 Frcs. in Geschenken zu
+erlegen.
+
+Die durch die kleinen italienischen Staaten abgeschlossenen Verträge, von
+Sardinien (und vordem von Genua), von Toscana, vom Königreich beider
+Sicilien, wurden 1859 durch einen neu zwischen Gesammt-Italien und Marokko
+vereinbarten Tractat aufgehoben. Mau hat im letzten Jahre von Differenzen
+gehört, die zwischen Marokko und Italien ausgebrochen waren. Italien hat
+ebenfalls ein Generalconsulat in Tanger, und in den meisten Hafenplätzen
+Agenturen.
+
+Die Niederlande, die am frühesten mit Marokko in Rapport waren, der erste
+Vertrag wurde am 5. Mai 1684, dann später einer 1692 am 18. Juli (von Du
+Mont, t. VII.) geschlossen, zahlten jährlich dem Sultan 15,000 Thaler.
+Schon 1604 hatte Sultan Abu Fers einen Gesandten nach Holland geschickt,
+der dort starb. Im Jahr 1815 schickte Wilhelm, König der Niederlande,
+eigens einen General nach Marokko, um dem Sultan zu notificiren, er sei
+nicht mehr tributär. Die Holländer, heute durch England vertreten, besitzen
+eines der schönsten Consulatsgebäude in Tanger.
+
+Portugal unterhält wie England, Frankreich und Spanien einen Generalconsul
+und Ministerresidenten. Seitdem 1769 der Sultan Mohammed Masagan den
+Portugiesen genommen hat, sind die Beziehungen gut gewesen. Und Portugal
+ist der einzige Staat, von dem man sagen kann, Marokko behandle ihn auf
+gleichem Fuss, denn die jährlichen Geschenke, welche der Sultan von Marokko
+an den König von Portugal schickt, sind allerdings nicht so werthvoll, wie
+die, welche er empfängt, deuten aber doch die Achtung vor der
+portugiesischen Macht an.
+
+Selbst die Vereinigten Staaten von Nordamerika konnten dem Tribute nicht
+entgehen, den fast alle christlichen Staaten die Feigheit begingen, Marokko
+jährlich zu entrichten. 1795 wurde mit Mulei Sliman ein Vertrag auf 50
+Jahre geschlossen, also bis 1845; in diesem verpflichteten sich die
+Amerikaner zwar nicht zu einer bestimmten jährlichen Summe, indess die
+Zwangsgeschenke betrugen alle Jahre ungefähr 15,000 Thaler. 1845 wurde eine
+neue, diesmal für Amerika günstigere Uebereinkunft getroffen. Amerika hat
+in Tanger ein Generalconsulat.
+
+Brasilien und einige kleinere amerikanische Staaten haben ebenfalls in
+Tanger und den übrigen marokkanischen Hafenorten Vertretung.
+
+Heute ist die Stellung der europäischen Consuln in Marokko eine ganz
+verschiedene, aber dennoch ist die Macht derselben weit entfernt von der,
+welche die christlichen Consuln in der Türkei haben. Für das Innere gelten
+auch heute alle Verträge und Bestimmungen nicht, sobald sie Europäer
+betreffen; das Ansehen eines europäischen Consuls ist im Innern gleich
+Null. Tribut zahlt heute kein einziges Consulat mehr, aber die mehr als
+königlichen Geschenke, die vor und nach namentlich England und Spanien an
+Marokko geleistet haben, habe ich selbst bewundern können; und so erfordert
+es ausserordentliche Klugheit und Gewandtheit für einen Consul mit den
+Marokkanern zu verkehren. Wenn Fälle wie ehedem auch wohl nicht mehr
+vorkommen, wo europäische Consuln willkürlich auf ein Schiff gepackt und
+fortgeschickt wurden[117], falls sie den Marokkanern nicht gefallen, so
+verweigerte doch 1842 der Sultan dem französischen Consul Pelissier in
+Mogador das Exequatur, bloss weil es Sr. marrokkanischen Majestät so
+gefiel. Leon Roche musste von Tanger abberufen werden, weil er zu genau die
+marokkanischen Interessen und Zustände kannte, und England und Marokko dies
+nicht dulden wollten. Nach 1844 ist zwar Frankreich ganz anders
+aufgetreten.
+
+ [Fußnote 117: Die marokkanische Regierung kann dies heute schon
+ deshalb nicht mehr, weil sie kein einziges Schiff zur Disposition
+ hat.]
+
+Was Marokko selbst anbetrifft, so hat es nie daran gedacht sich im Auslande
+vertreten zu lassen, oder aus eigenem Antriebe diplomatische und
+commercielle Verbindungen mit fremden Mächten anzuknüpfen. Die
+verschiedenen Gesandtschaften, welche die Regenten Marokko's nach Europa
+schickten, hatten alle nur den Zweck Geschenke flüssig zu machen und Gelder
+zu erpressen. Eine möchten wir ausnehmen: die von Mulei Abbes, Bruder des
+jetzigen Sultans, nach Spanien im Jahre 1860/61. Sie hatte natürlich nicht
+im Auge Gelder oder Geschenke zu bekommen, es handelte sich darum eine
+Ermässigung der Entschädigungsgelder für Marokko zu erlangen, und auch
+diese wurde nicht aus freiem Antriebe entsandt. Spanien hatte ausdrücklich
+erklärt über diesen Gegenstand nur mit dem Bruder des Sultans im eigenen
+Lande verhandeln zu wollen. Und Marokko erlitt die Demüthigung, dass,
+nachdem man Mulei Abbes durch Spanien spazieren geführt hatte, kein Deut
+von den Kosten erlassen wurde.
+
+An Consuln besitzt Marokko nur einen[118]. Es ist dies der Hadj Said
+Guesno, der in Gibraltar gewissermassen das ganze Consulatswesen seines
+Monarchen gegenüber den Christen repräsentirt. Was für eine Art dieser
+Consul ist, davon kann sich der Leser am besten einen Begriff machen aus
+dem Briefe eines Freundes in Gibraltar, datirt vom 18. Mai 1871: "Mein
+marokkanischer College, ein Ex-Slave, jetzt Pantoffelnfabrikant und schwarz
+wie ein Teufel, würde sehr staunen, wenn ich fragen würde, ob er mir einige
+Aufklärungen geben könnte über diesen oder jenen Stamm, ob er arabischen
+oder berberischen Ursprungs sei--er würde mich gar nicht verstehen, erstens
+weil er über solche Dinge wohl nie nachgedacht hat, und zweitens weil sich
+sein ganzes Sinnen und Trachten auf seine gelben Pantoffeln
+concentrirt[119]."
+
+ [Fußnote 118: Der ehemals in Genua residirende marokkanische Consul
+ existirt dort seit Jahren nicht mehr.]
+
+ [Fußnote 119: Ich hatte diesen Freund gebeten, mir vom marokkanischen
+ Consul einige Noten über marokkanische Stämme zu erbitten.]
+
+Dies ist der einzige würdige Repräsentant seiner unfehlbaren marokkanischen
+Majestät im Auslande.
+
+Es tritt nun noch die Frage auf, wäre es wünschenswerth für das _deutsche
+Reich_ eine Vertretung in Marokko zu haben? Wir müssen dies auf alle
+Fälle bejahen. Unsere politischen Interessen sind in Marokko so ziemlich
+identisch mit denen Englands, das ausserdem seine wichtigen commerciellen
+Angelegenheiten zu wahren hat. Wir stimmen insofern mit den Ansichten
+Englands vollkommen überein, dass Frankreich seine Herrschaft nicht auf
+Marokko ausdehne. Allein schon die Nähe der französischen Colonie macht es
+für uns nothwendig in Marokko Vertreter zu haben.
+
+Da natürlich eine Consulatseinsetzung in Marokko nicht so ohne weiteres vor
+sich gehen kann, so müssten vor allen Dingen erst Unterhandlungen
+angeknüpft werden, entweder vermittelst eines schon in Marokko bestehenden
+und anerkannten Consulats oder direct mit der Regierung des Sultans. Wählt
+man das erstere, so würde jedenfalls das grossbritannische Generalconsulat
+am geeignetsten sein, es ist die Persönlichkeit Sir Drummond Hay's, des
+englischen Ministers, die in Marokko beliebteste und geachtetste. Wählt man
+den Weg einer directen Verständigung, so würde jedenfalls das Beste sein
+den Zeitpunkt abzuwarten, wo der Sultan, der ganze Hof und die Regierung
+sich in Rbat befinden, dort den Abgesandten des deutschen Reiches durch
+einige Kriegsschiffe hinbegleiten zu lassen, damit dadurch zugleich Marokko
+eine _sichtbare_ Vorstellung von der Macht unseres Landes bekäme.
+Natürlich müsste mit der Anknüpfung diplomatischer Beziehungen ein Geschenk
+verbunden sein, aber einige 1000 Chassepots, dem Sultan gegeben, würde ein
+ebenso angenehmes Geschenk für ihn wie ein für uns erpriessliches
+[erspriessliches] sein.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+12. Aufenthalt beim Großscherif von Uesan.
+
+ * * * * *
+
+Ein volles Jahr verlebte ich nun in Uesan unter, im Ganzen genommen,
+angenehmen Verhältnissen. Und die Zeit verbrachte ich hauptsächlich damit,
+recht viel unter die Leute zu gehen, um mich mit ihren Eigenthümlichkeiten
+vertraut zu machen. Dabei fehlte es keineswegs an Unterhaltung, Gatell
+hatte mir einen Theil seiner Bücher geliehen, so dass, wenn ich allein war,
+ich durch Lectüre meinen Geist auffrischen konnte.
+
+Ueberdies wurde der Aufenthalt in Uesan durch verschiedene kleinere Touren
+unterbrochen, die ich theils allein, theils in Gesellschaft des
+Grossscherifs machte. So unternahm ich von hier einen Abstecher nach L'xor,
+um einige Medicamente zu kaufen, die in Uesan, wo man nur mit Amuletten
+heilt, nicht zu haben waren. Merkwürdigerweise schien, was seine Person und
+seine Familie anbetraf, Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam nicht sehr an die
+Wunderkraft seiner Unfehlbarkeit zu glauben, da ich mehrere Male sowohl ihm
+selbst als auch seinen beiden kleinen Söhnen Medicin verabfolgen musste.
+Der Grossscherif hatte so viel Zutrauen zu mir, dass er nicht das vorherige
+Kosten der Medicamente verlangte.
+
+Es fiel in später Herbstzeit ein Besuch, den der Grossscherif dem Sultan in
+Arbat machte, wohin er von Mikenes übergesiedelt war, und auf welcher Reise
+ich ihn begleitete. Und gerade auf Reisen wird das Ansehen und der Einfluss
+des Grossscherifs am anschaulichsten. Man hat keine Idee davon, wie weit in
+Marokko der Menschencultus getrieben wird. Sidi-el-Hady Abd-es-Ssalam reist
+entweder zu Pferde oder in einer Tragbahre, die fast wie eine verschlossene
+vergitterte Kiste aussieht, und die so niedrig ist, dass man nur darin
+liegen kann. Zwei Maulthiere, von denen eines vorne, das andere hinten
+geht, tragen die Bahre. Es würde vergeblich sein, die Zahl der sich
+herandrängenden Leute schätzen zu wollen, das ganze Land scheint
+herbeizuströmen, aus weitester Ferne kommen ganze Stämme an den Weg, den
+der Grossscherif durchzieht. Man sucht ihn selbst zu berühren, oder die
+Tragbahre, das Pferd oder irgend einen anderen dem Grossscherif gehörenden
+Gegenstand. Man glaubt aus einer solchen Berührung den göttlichen Segen
+ziehen zu können. Oft genügen die bewaffneten Diener nicht, mit der flachen
+Klinge den andringenden Haufen fern zu halten, und es müssen dann förmliche
+Angriffe gemacht werden, die Leute auseinander zu treiben.
+
+Die Gouverneure der Provinzen, die durchzogen werden, nahen sich immer
+schon von weitem ehrerbietig, und natürlich nie mit leeren Händen, sie
+betrachten es als eine besondere Gunst, wenn Sidi bei ihnen absteigt, um
+ein Mahl einzunehmen, oder wenn er gar in der Nähe ihrer Residenz seine
+Zelte aufschlägt.
+
+Der Grossscherif reist immer nur in kleinen Etappen, und mit einem
+zahlreichen Gefolge, welches nie aus geringerer Zahl als hundert Personen
+zusammengesetzt ist. Alle einflussreichen Schürfa, die nächsten Verwandten,
+seine Tholba (Schriftgelehrten) müssen mit. Alle haben, ausser dass jeder
+beritten ist, Maulthiere für ihr Gepäck und ihre Zelte, welche vom
+Grossscherif gestellt werden. Dieser Lagertrain marschirt immer voraus, so
+dass man, wenn man ankommt, das Lager schon aufgeschlagen findet. Der
+Grossscherif selbst hat für seine Person drei grosse Zelte, eins, in dem er
+die Nacht zubringt, eins zum Empfang bestimmt, und eins, worin er nur seine
+nächsten Freunde empfängt.
+
+Sobald er installirt ist, d.h. auf den weichen Teppichen, welche die
+Beni-Snassen[120] verfertigen, und von denen ein einziger 4 Centner
+(eine Kameelladung) wiegt, Platz genommen hat, kommen aus Nah und Fern
+die Bittenden. Hier bringt einer ein Schaf, und verlangt, dass seiner
+Frau ein Sohn geboren werden soll, dort bringt einer Korn, und fleht um
+Segen für seinen Acker, da fragt einer ob er sein Pferd verkaufen soll,
+ob er Glück dabei habe, das und das Haus zu kaufen; hier will ein
+Blinder sehend gemacht werden. Der Grossscherif hilft Allen, und je mehr
+die Bittsteller Geld und Gaben bringen, desto wirksamer ist der Segen.
+
+ [Fußnote 120: Berbervolk an der Oranischen Grenze.]
+
+Manchmal kommen die komischesten Scenen dabei vor. So einstmals als ich mit
+dem Grossscherif im festverschlossenen Zelte sass, die Diener und Sklaven
+aber strengen Befehl hatten, Niemand ans Zelt herankommen zu lassen, sie
+jedoch dem andrängenden Publikum nicht gewachsen sein mochten, rissen
+plötzlich die Gurten, das Zelt wurde gewaltsam geöffnet, und herein wälzte
+sich der Haufen: alte schmutzige Weiber, starkriechende Kinder, Männer und
+Greise, alle fielen über mich her und bedeckten mich mit ihren fanatischen
+Küssen. Im Halbdunkel hatten sie mich als auf dem Teppich sitzend (der
+Grossscherif sass in dem Augenblick auf einem Stuhl) für den Abkömmling
+Mohammed's genommen. Und während ich unter Geschrei und Streiten ihnen klar
+zu machen suchte, ich sei nicht der Grossscherif, sass dieser auf seinem
+Stuhle, lachte aus vollem Herzen und rief: "Mustafa hennin", d.h.
+Wohlbekomm's. Ich musste nachher eine Extrareinigung mit mir und meinem
+Anzüge vornehmen, um die greulichen und fühlbaren Andenken dieser heiligen
+Umarmungen loszuwerden.
+
+In Arbat blieben wir nur wenige Tage, nahmen indem wir auf dem Hinwege den
+Weg durch das Gebiet der Beni-Hassen genommen hatten, den Rückweg längs des
+Meeres bis zur Mündung des Ssebu. Von hier gingen wir stromaufwärts bis
+fast zu dem Punkte, wo der Ordom-Fluss den Ssebu vergrössert, und von da
+aus direct nordwärts nach der Karia ben Auda. Die Karia ben Auda, eine Art
+befestigter Häuserhaufen, liegt an den westlichsten Vorbergen der südlich
+von Uesan streichenden Berge, die Karia selbst jedoch in vollkommener
+Ebene. Sie ist Residenz des Bascha's vom Rharb-el-fukani oder dem oberen
+Westen, wie diese Statthalterschaft heisst, dicht um die Karia liegen noch
+die von hohen Cactushecken umgebenen Dörfer. Die Häuser sind wie im ganzen
+Rharb von Steinen und Lehm gebaut und mit Strohdächern gedeckt, so dass man
+von Weitem ein deutsches Dorf zu sehen glaubt. Der vorzügliche Reichthum
+des Landes besteht in Viehheerden, hier wie in Beni-Hassen vorzugsweise in
+grossen Rinderheerden; Schafe und Ziegen hingegen werden in diesen
+Provinzen verhältnissmässig in geringerer Zahl gezüchtet. Die
+marokkanischen Rinder halten aber keineswegs einen Vergleich auch nur mit
+den schlechtesten in Europa aus. Klein von Statur giebt eine marokkanische
+Kuh kaum mehr Milch als eine gute europäische Ziege. Der Grund davon ist
+die Sorglosigkeit, mit der überhaupt die Viehzucht in Marokko betrieben
+wird, und dann auch die mangelhafte Nahrung im Winter. Es fallt keinem
+Marokkaner ein, daran zu denken Vorrath von Heu zu machen, wie denn
+überhaupt Wiesen zum Heumachen nirgends existiren. Natürlich giebt es hier
+und da längs der Flüsse, dann auch in den feuchten Niederungen namentlich
+der Kharbprovinzen und Beni-Hassen ausgezeichnete Wiesen und Wiesengründe,
+aber das Gras wird nur grün benutzt, und ist, ohne dass Jemand daran denkt
+es zu mähen oder zu schneiden, Mitte Juli verbrannt von der Alles
+austrocknenden Sonne. Im Winter sind daher Rinder und auch Schafe und
+Ziegen auf die vertrockneten, kraftlosen Kräuter angewiesen, welche sie
+draussen finden. Für die Pferde dient im Winter Stroh von Gerste oder
+Weizen.
+
+Wir waren kaum Angesichts der Karia, als der Kaid Abd-el-Kerim, von seinen
+Brüdern begleitet, auf uns zugesprengt kam, und uns zu einem Frühstück
+einlud. Das konnte nicht ausgeschlagen werden, und so zog der ganze Tross
+nach seiner Wohnung, wo wir ein reichliches Mahl schon vorbereitet fanden.
+Und der Kaid, der den Titel Bascha hat, bat Sidi so inständig einen Tag zu
+bleiben, dass Befehl gegeben wurde, Zelte zu schlagen.
+
+Es waren dies förmliche Essschlachttage, denn je höher man in Marokko einen
+Gast ehren will, desto mehr Speisen setzt man ihm vor. Abends kam der Kaid
+ins Zelt des Grossscherifs, wo er nun gleichfalls mit vielen Schüsseln
+bewirthet wurde, aber kaum war er fort, als er eine noch grössere Anzahl
+Gerichte zurück schickte, und am anderen Morgen, als wir eben unser
+reichliches Frühstück genossen hatten, kam auch schon der Kaid, um uns zu
+einem, zweiten Mahle abzuholen, ausschlagen durfte man nicht, kurz während
+der Zeit unseres dortigen Aufenthaltes hatte der Magen kaum eine Stunde
+Ruhe. Als wir uns verabschiedeten, legte der Kaid dem Grossscherif noch
+einen Beutel mit 5000 Frcs. zu Füssen, wofür er natürlich einen recht
+langen Segen erhielt.
+
+So langweilig, was Natur anbetrifft, die Gegend in den Rharb- und
+Beni-Hassen-Districten ist, wo Ebenen von Zwergpalmen, Lentisken und
+Lotusbüschen bestanden mit Kornfeldern und Wiesen wechseln und
+allerdings das Bild des fruchtbarsten Bodens zeigen, aber auf die Dauer
+einförmig erscheinen, so sehr ändert sich dies, wenn man das Gebirge
+erreicht. Gewiss giebt es keine romantischere Umgegend, als die der
+heiligen Stadt Uesan. Die dicht bewachsenen Berge der nächsten Umgebung,
+im Hintergründe die zackigen Felsen der Rifberge, die strotzende
+Fruchtbarkeit des Bodens, der dem Auge überall das saftigste Grün der
+verschiedenen Bäume und Stauden bietet, wie sie überhaupt die Länder um
+das Mittelmeer in so grosser Mannichfaltigkeit hervorbringen, alles dies
+verursacht, dass die Zeit und wenn auch der Weg beschwerlich und
+ermüdend ist, rasch verläuft.
+
+Gegen Mittag wurde im Westen der Stadt Halt gemacht, da der Einzug am
+anderen Tage stattfinden sollte. Aber Abends hatten wir schon viel Besuch
+von Uesan, unter anderen kamen auch die kleinen Söhne des Grossscherifs,
+von denen der eine 9, der andere 7 Jahre haben mochte, mit ihrem Lehrer
+herangeritten, so dass der Abend recht munter und vergnügt verbracht wurde.
+
+Vor Sonnenaufgang am folgenden Tage weckten mich schon die Flintenschüsse
+und die schrecklichen Klänge der unvermeidlichen Musik, es war dies nur die
+Einleitung zur statthabenden Feierlichkeit. Nachdem wir in aller Eile den
+Kaffee (ich genoss immer die Auszeichnung zum Kaffee in des Grossscherifs
+Zelt gerufen zu werden, sowie ich dort auch mit essen musste) getrunken und
+gefrühstückt, stiegen wir zu Pferde und unter knatterndem Feuer, dem Lärm
+der Musikanten, dem Lululu der Weiber setzte sich der Zug in Bewegung. Aber
+obschon wir nur eine Stunde von der Stadt entfernt waren, erreichten wir
+dieselbe erst gegen Mittag. Alle Augenblick kam eine neue Musikbande mit
+ihren abscheulichen Instrumenten und es wurde Halt gemacht, oder es kamen
+mit Flinten bewaffnete Abtheilungen, und gaben eine Salve dicht vor den
+Füssen des Grossscherifs, man bildete Kreise und dann, wie die Teufel
+herumspringend, schossen sie ihre Flinten in den Boden und warfen sie
+darauf hoch in die Lütt, um sie hernach geschickt wieder aufzufangen.
+Reiter organisirten sich, und im gestreckten Galopp auf uns losjagend,
+schossen sie dicht vor uns die Flinten ab und schwenkten dann mit ihren
+Pferden zu beiden Seiten auseinander. Ich war froh, als wir endlich die
+Stadt erreichten, aber hier war uns das Entsetzlichste noch vorbehalten,
+gewissermassen der Triumphbogen, durch den der Grossscherif den Einzug in
+seine getreue und heilige Stadt Uesan halten sollte.
+
+Es nahten sich ungefähr zwanzig der Secte der Aissauin. Unter zitternden
+convulsivischen Bewegungen, unter einförmigen Tönen: "Allah, Allah" tanzten
+sie heran; jeder hatte eine Lanze, einige waren ganz nackt, andere hatten
+nur die unentbehrlichsten Lumpen um. Die Lanze trugen sie in der einen
+Hand, in der anderen einen Rosenkranz. Die Verwundungen, welche sie sich
+selbst beigebracht hatten, verursachten, dass der ganze Körper mit Blut
+bedeckt war, einige schlugen sich auf die Nase, dass das Blut in Strömen
+herausschoss, andere schlitzten sich die Lippen zu Ehren Sidi's, andere
+zerkrazten sich die Brust und Gesicht, Gott zu Ehren und um dem
+Grossscherif, dem Abkömmling des "Liebling Gottes", ihre Hingebung zu
+bezeugen. Dabei steigerte sich ihr Allah, Allah zu einem wahren Geheul,
+einigen traten die Augen aus dem Kopfe, sie schienen wahnsinnig zu werden,
+andere schäumten, die von Gott am meisten Inspirirten wollten sich vor die
+Füsse des Pferdes des Grossscherifs werfen, um überritten zu werden, nur
+ein schneller Spornstich drückte rasch das Pferd in die Menge, welche dicht
+zu beiden Seiten war. Ich sah, wie es auch dem Grossscherif schauderte, und
+er war wohl eben so froh als ich, als die eigentliche Sauya, das
+Allerheiligste von Uesan, erreicht war.
+
+Auch der Winter wurde nicht unangenehm verbracht; ob schon die Spitzen der
+Rif-Berge alle mit dickem Schnee überzogen, merkte man in Uesan nicht viel
+von der Kälte. Eine Einrichtung zum Heizen hat natürlich Niemand, bei
+grosser Kälte, d.h. wenn das Thermometer Morgens auf +6 oder +4° R.
+herabsinkt, oder gar wohl einmal unter Null ist (es soll vorkommen, ich
+habe es indess nicht erlebt), lässt man sich ein Becken mit glühenden
+Kohlen ins Zimmer bringen. Und diesmal war der Winter so milde, dass die
+Gesellschaft, welche der Grossscherif täglich bei sich empfing, in einer
+Art von Veranda seines Hauses empfangen wurde, keineswegs aber in einem
+geschlossenen Zimmer.
+
+Bald darauf, im Januar 1862, trat ein anderes Ereigniss ein, welches
+abermals eine Reise des Grossscherifs nothwendig machte, und weil es
+charakteristisch für die politisch-socialen Zustände des Landes ist,
+verdient, hier erzählt zu werden. Es hatte sich eine Art von Gegen-Sultan
+gebildet.
+
+Man erfuhr zuerst in Uesan gerüchtweise von einem Marabut oder Heiligen,
+der in der Nähe der Stadt sich aufhielt, und vorgab alle Kranke gesund
+machen zu können; er predigte zugleich den heiligen Krieg gegen die
+Ungläubigen (der Krieg gegen Spanien hatte den alten Fanatismus der
+Gläubigen gegen die Christen recht wieder ins Leben gerufen) und
+proclamirte die Stunde des Sultans habe geschlagen, es würde ein neuer
+kommen, der bestimmt sei die gesunkene Macht der Gläubigen wieder
+aufzulichten, und der mit erneuerter Kraft und Herrlichkeit den Islam der
+ganzen Welt auferlegen werde. Es strömte ihm natürlich viel Volks zu, da
+der spanisch-marokkanische Krieg Räuber und Strolche genug herangebildet
+hatte, und überdies, je unwahrscheinlicher eine Prophezeiung ist, sie um so
+leichter bei den Marokkanern gläubige Anhänger findet, namentlich wenn den
+Leidenschaften und religiösen Eitelkeiten des Volkes geschmeichelt wird.
+
+Der Grossscherif verhielt sich äusserst ruhig bei diesem Treiben, da seiner
+Macht und seinem Einfluss kein Abbruch geschehen konnte, weil der
+Weltverbesserer kein Scherif seiner Herkunft war, nicht einmal ein Thaleb,
+d.h. ein der Schrift kundiger Mann. Nach einigen Wochen, während der Zeit
+Sidi Djellul (er hatte sich den Scheriftitel angemasst) einen Haufen von
+einigen Tausenden von Taugenichtsen um sich versammelt hatte, beging er
+indess die Frechheit, dem Grossscherif einen Brief zu schreiben, d.h.
+schreiben zu lassen, ihm zu sagen, er (Sidi Djellul) sei der Mann der
+Stunde (mul' el uogt, d.h. der erwartete Messias), der Grossscherif habe
+sich Angesichts dieses Briefes zu ihm zu begeben, und in Gemeinschaft
+wollten sie sodann gegen den Sultan und die grossen Städte ziehen.
+Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam würdigte ihn natürlich keiner Antwort; sandte
+aber sofort an den Sultan einen Courier, um ihn auf die Gefahr dieses
+Abenteurers aufmerksam zu machen.
+
+Mittlerweile wuchs der Anhang Sidi Djellul's in grossen Proportionen. Seine
+Genossen lebten von Raub und Plündern, und grössere Raubzüge stellte er in
+Aussicht: "Die grossen Städte, wie Fes, Mikenes, müssten ganz verschwinden,
+die Bewohner hätten ihr Geld durch Handel mit den Christen gewonnen, daher
+sei es ein gutes Werk sich dieser in den Städten angehäuften Schätze zu
+bemächtigen."--Merkwürdigerweise rührte sich nach mehreren Wochen die
+Regierung noch immer nicht, denn es hält ungemein schwer, den Sultan zu
+irgend einem entscheidenden Schritt zu bringen.
+
+Im Anfange Februar desselben Jahres wagte er sich schon an befestigte
+Punkte; mit seinem ganzen Anhang, von denen einige mit Flinten, die meisten
+aber nur mit Knütteln und Lanzen bewaffnet waren, zog er gegen die
+Karia-ben-Auda, und nach einer dreitägigen stürmischen Belagerung
+bemächtigte er sich derselben mit Gewalt, und enthauptete denselben
+Bascha Abd-el-Kerim, der vor Kurzem dem Grossscherif eine so grossartige
+Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die 16 oder 20 Mann Maghaseni, eine
+ebenso grosse Anzahl Diener des Bascha's wurden ebenfalls ermordet, die
+Bewohner der um die Karia gelegenen Dörfer entflohen zum Theil nach
+Uesan, zum Theil gingen sie zu Sidi Djellul über.
+
+Der Bascha wurde übrigens vom Volke kaum betrauert, seine Habsucht und
+Grausamkeit hatten ihn zum Feinde aller deren gemacht, denen er als
+Gouverneur vorstand. Was Sidi Djellul anbetrifft, so stieg nach der
+Einnahme der Karia sein Einfluss von Tage zu Tage, und obschon er durch den
+Bascha, der sich in der Karia hinter hohen Mauern gut vertheidigt
+hatte[121], einigen Verlust erlitten hatte, so behauptete das
+leichtgläubige Volk, alle die mit Sidi Djellul zögen seien kugelfest, und
+namentlich er selbst unverwundbar. Während 14 Tagen schwelgten die Räuber
+sodann auf der Karia, ihr Chef erliess Proclamationen, worin er verkündete
+mit allen Baschas so verfahren zu wollen, und namentlich auch mit dem
+Sultan.
+
+ [Fußnote 121: Er musste sogar Revolver und Lefaucheux'sche Flinten
+ gehabt haben, da der Grossscherif später von Leuten mehrere
+ derartige Waffen geschenkt bekam, und die als in der Karia gefunden
+ bezeichnet wurden.]
+
+Endlich rührte sich der Sultan; sein Bruder Mulei Arschid hatte Befehl
+bekommen mit 1000 Mann Soldaten, ebenso vielen Reitern und 4 Kanonen über
+Media, an der Mündung des Ssebu gelegen, nach der Karia zu marschiren, und
+Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam war gebeten worden zum Heere zu stossen, um
+durch seine Anwesenheit der Sache des Sultans in den Augen des Volkes
+grösseres moralisches Gewicht zu geben. Der Grossscherif leistete der Bitte
+des Sultans Folge und mit grossem und kriegerischem Trosse wurde auf die
+Karia-el-Abessi marschirt, die wir in zwei Tagemärschen erreichten, am
+selben Tage, an welchem von der anderen Seite der Bruder des Sultans, Mulei
+Arschid anlangte. Der Eindruck, den das Erscheinen des Grossscherifs
+hervorbrachte, war ein ausserordentlicher. Die ganze Rharbprovinz war im
+offenen Aufruhr gewesen, Mulei Arschid hatte sich von Media nur mit Gewalt
+einen Weg bis zur Karia-el-Abessi bahnen können. Wir selbst aber waren dort
+ohne auf irgend feindselige Leute zu stossen angekommen, und die Leute,
+welche zurückgeblieben waren, sagten aus: Sidi Djellul habe sich mit seinem
+Anhang durch die Berge nach Sidi Kassem, einem südlich gelegenen Orte,
+geflüchtet. Mit Ausnahme derer, die keine Heimath hatten und fest zu Sidi
+Djellul standen, war damit der eigentliche Aufstand gedämpft; d.h. die
+beiden Rharbprovinzen waren durch die Anwesenheit des Grossscherifs bei der
+Armee Mulei Archid's vollkommen beruhigt und hatten sich ohne weitere
+Zwangsmassregeln unterworfen.
+
+Merkwürdigerweise wurde nun aber Sidi Djellul nicht durch einen raschen
+Marsch auf Sidi Kassem beunruhigt und er selbst mit seinen Anhängern
+vernichtet oder gefangen gebracht. Wir lagerten bis Mitte März ruhig bei
+der Karia-el-Abessi. Aber der Anhang Sidi Djellul's verlor sich nun immer
+mehr, freilich hatte er auch den Ort Sidi Kassem noch überrumpeln und
+plündern können, die Behörde war mit den meisten Bewohnern schon vorher
+geflohen, es war dies aber sein letztes Heldenstück. Von fast Allen
+verlassen, versuchte er es das Grabmal von Mulei Edris el Akbar in Serone
+zu erreichen, wo er eine sichere Zufluchtsstätte gefunden haben würde. Aber
+gleich beim Eintritt in die Stadt, wurde er erkannt und von den Schürfa
+gefangen genommen. Diese, ohne weitere Umstände, enthaupteten ihn,
+schnitten dem Rumpfe Hände und Füsse ab, und diese Trophäen wurden dem
+Sultan geschickt. Sidi Mohammed, der Sultan, befahl den Rumpf ans Stadtthor
+von Serone zu nageln, der Kopf wurde zur Ausstellung nach Maraksch
+geschickt, und die übrigen Extremitäten den anderen Städten zur Ausstellung
+überlassen. Die Schürfa aber, die eigenmächtig getödtet hatten, bekamen vom
+Sultan ein Geschenk von 3000 Mitcal (c. 5000 frcs.), ein für Marokko sehr
+ansehnliches Geldgeschenk. Von seinen Parteigängern wurden viele gefangen
+genommen, einfach enthauptet, einige aber auch, die etwas Vermögen hatten,
+eingekerkert, um erst ihrer Habe beraubt zu werden. So endete der Versuch
+eines Marokkaners den Thron des Sultans umzustürzen und eine andere
+Regierung einzusetzen. Nicht immer aber sind solche Revolten ohne Frucht
+geblieben, namentlich wenn der Empörer ein Scherif war, und am Hofe selbst
+schon Ansehen hatte, endete oft genug eine aus ebenso kleinen Anfängen
+entsprungene Revolution damit, dass der regierende Sultan das Feld räumen
+musste, oft sogar das Leben verlor.
+
+Uebrigens war damit das Land keineswegs ganz beruhigt, die Hiaina, die
+Beni-Hassen, die Rifprovinzen waren in Gährung, man wusste nicht ob die
+Rifbewohner das Gebiet um Melilla abtreten wollten; der zu dem Ende vom
+Sultan an die Gebirgsstämme entsandte Scherif von Uesan, Sidi Mohammed ben
+Akdjebar, kehrte unverrichteter Sache zurück.
+
+Endlich verliessen wir mit der Armee die Karia-el-Abessi, und in östlicher
+Richtung marschirend, zogen wir über den Ued-Teine und den Ued-Ardat, und
+campirten an einem Orte Had genannt. Hier blieben wir wiederum einige Tage
+liegen, und marschirten dann längs des Ardatstroms aufwärts, um bei einem
+Orte Arba zu campiren. Das Wort Arba bedeutet Mittwoch, und an dem Orte
+wird Mittwochs Markt abgehalten. In ganz Marokko stösst man überall auf
+Oertlichkeiten, die manchmal ohne alle Bewohner, die Bezeichnung Had
+Sonntag, Tnein Montag, Tleta Dienstag, Arba Mittwoch, Chamis Donnerstag,
+Djemma Freitag und Sebt Samstag führen. Solche Oertlichkeiten dienen als
+Marktplätze, und es giebt ihrer Hunderte im ganzen marokkanischen Reich.
+
+Das Land war in dieser Gegend durchaus gewellt, überall gut angebaut, und
+das Erdreich, schwarzer Humus, sehr fruchtbar. Wie man an den Ufern der
+Flüsse sehen konnte, hat die Humusschicht meistens eine Dicke von 5-6
+Meter. Von hier aus zogen wir nach einigen Tagen nach dem Ued-Uarga und
+lagerten südlich, Angesichts der Bergkette der Uled-Aissa. Das Lager war
+hier in reizender Gegend aufgeschlagen, die schönen Ufer des Flusses, von
+20 Fuss hohen Oleanderstauden und Tamarisken dicht bestanden, die Gebirge
+mit zahlreichen Dörfern, die aus ihren Oliven- und Feigengärten
+herauslugten, im Südosten der eigenthümlich geformte Berg Mulei Busta,
+geben der ganzen Landschaft eine grosse Abwechselung. Aber der Ramadhan war
+angebrochen, und da wir im Lager waren, musste ich natürlich aufs strengste
+die vorgeschriebenen Fasten mitmachen, was bei der grossen Hitze, wir waren
+jetzt Ende April, keineswegs angenehm war.
+
+Endlich kam ein Danksagebrief vom Sultan an den Grossscherif, wir
+verabschiedeten uns von Mulei Arschid und erreichten, rasch heimwärts
+ziehend, in anderthalb Tagen Uesan. Mulei Arschid aber vereinigte sich mit
+dem Sultan, der von Arbat aus mit der ganzen übrigen Armee gegen die
+Beni-Hassen ins Feld gerückt war. Da wir ganz unerwartet in Uesan
+eintrafen, so war natürlich auch kein Empfang.
+
+Nachdem der Ramadhan vorüber, das Aid-el-Sserir mit grossem Gepränge
+gefeiert worden war, und ich mich von den Anstrengungen des mehrere Monate
+dauernden Feldzuges erholt hatte, brach ich von Uesan auf, um Tetuan zu
+besuchen. Reichlich mit Medicamenten versehen und unter dem Titel "ssahab
+Sidi", d.h. Freund, Diener oder Anhänger des Grossscherifs, wollte ich es
+wagen, allein die Gegenden zu durchstreifen, es sollte dies gewissermassen
+als Versuch und Vorbereitung zu meiner Abreise dienen. Ein Spanier, schon
+seit 15 Jahren in Uesan ansässig und dort verheirathet, begleitete
+mich[122].
+
+ [Fußnote 122: Einige Monate später wurde er, als er allein von Uesan
+ ins Gebirge reiste, ermordet.]
+
+Von Uesan aufbrechend, ich hatte ein eigenes Maulthier und einen vom
+Grossscherif geliehenen starken Esel, ging es über Tscheralia nach L'xor,
+und nach einem mehrtägigen Aufenthalt auf dem Westabhange der Rif-Berge,
+welche man von L'xor aus in einigen Stunden erreicht, nordwärts. Vom Orte
+Arba el Aiascha gingen wir nach Had bei Arseila, wo ich mein Maulthier
+verkaufen wollte, da es sich, als nicht besonders stark, schlecht bewährt
+hatte. Aber wegen zu schlechten Wetters, welches uns zwang, einen ganzen
+Tag in einem Duar zuzubringen, war der Markttag des Had verpasst worden,
+und dicht bei dem Sanctuarium Mulei Abd-es-Ssalam ben Mschisch, einer
+berühmten Sauya und sehr besuchtem Wallfahrtsorte vorbeikommend, zogen wir
+dann durchs Gebirge Tetuan entgegen.
+
+Bis jetzt waren wir überall gut aufgenommen worden, aber je näher wir
+Tetuan kamen, desto misstrauischer zeigten sich die Bergbewohner, und eines
+Abends wollten Tholba eines Dorfes, wo wir zu übernachten beschlossen
+hatten, uns nur gegen Erlegung von einigen Metkal Quartier geben, "dann
+würden wir überdies ihres Segens theilhaftig werden." Auf meine
+Erwiederung, der Segen des Grossscherifs von Uesan, dessen Freund ich sei,
+genüge mir, zogen sie sich drohend zurück, indessen schienen sie später
+ihre Gesinnungen geändert zu haben, denn sie brachten ein reichliches
+Nachtessen. Auf dem Wege von Tanger nach Tetuan angekommen, brachten wir
+dann eine Nacht in dem Caravanserai zu, bekannt geworden durch den letzten
+Krieg der Spanier. Hier erblickte ich in den Gebirgsschluchten zum ersten
+Male die deutsche Eiche wild wachsend, welche mir sonst nirgends mehr in
+Marokko aufgestossen ist. Sonst hat man in Marokko in den Ebenen
+vorzugsweise die Korkeiche und auf den Abhängen der Berge die immergrüne
+Eiche und die Cerriseiche.
+
+Im Caravanserai oder Funduk hatten wir für nächtliches Unterkommen, d.h.
+für eine leere Zelle und Hofraum fürs Vieh, einige Mosonat zu zahlen, für
+Geld bekamen wir auch etwas Brod, Milch und einige Eier. Am anderen Morgen
+erreichten wir gegen 10 Uhr die Stadt Tetuan oder Tetaun, wie die
+Marokkaner sie nennen. Die Spanier waren gerade beim Abmarsch, denn Tetuan
+liegt bekanntlich nicht unmittelbar am Meere, so dass die Truppen nicht
+direct eingeschifft werden können. Ich unterlasse es eine Beschreibung
+dieser von reizenden Orangengärten umgebenen Stadt zu geben, sie ist
+hinlänglich aus dem letzten Kriege bekannt.
+
+Nach einigen Tagen Aufenthalt kehrte ich Tetuan den Rücken, und begab mich
+mit einer grossen Karavane nach Tanger. Der Weg wird gewöhnlich in zwei
+Tagen gemacht, wir brauchten indess nur Einen. Sehr belebt war er durch
+heimkehrende Tetauni (Bewohner Tetuans), welche während der spanischen
+Besatzung die Stadt verlassen hatten, und die nun zurückkehrten, um von
+ihren Immobilien wieder Besitz zu nehmen. Nachdem ich sodann in Tanger mein
+Maulthier verkauft hatte, trat ich den Rückweg nach Uesan an, zuerst längs
+des Strandes.
+
+Man muss indess nicht glauben, dass ein eigentlicher Weg längs des Meeres
+läuft, davon ist keine Spur vorhanden. Aber der Strand ist so breit,
+besteht aus so festem Sande, dass er, ausgenommen für Wagen, vollkommen
+eine macadamisirte Chaussee ersetzt. Man muss aber die Ebbezeit wählen,
+weil bei Fluth das Meer bis dicht an die Dünen oder Felsen hinantritt. Man
+kann hier sehen, wie der Atlantische Ocean, dessen breiteste Stelle hier
+ist, selbst nach tagelangen Windstillen, dennoch immer grosse Wellen
+schlägt, und alle Zeit ist die Brandung oder das Rauschen der den Sand
+hinaufrollenden Wellen weit im Innern des Landes zu hören.
+
+Man kann recht gut, längs des Strandes reisend, in einem Tag Arseila
+erreichen, aber wir hatten ein Hinderniss an der Mündung des Ued-Morharha,
+worüber ein ganzer Tag verging. Zu breit und tief an der Mündung, um
+durchwatet werden zu können, hat man für Fahr-Einrichtung gesorgt, das Boot
+aber lag auf der anderen Seite, und kein Fährmann war zu finden oder durch
+Rufen herbeizulocken. Wir zogen, nachdem wir vergeblich versucht hatten,
+hindurch zu schwimmen, flussaufwärts, ohne eine Furt zu finden, auf das
+Bereden der Leute eines Duars kehrten wir um, und diesmal war denn auch der
+Fährmann an Ort und Stelle, und wir wurden hinüberbefördert. Ehe man
+Arseila erreicht, hat man dann noch die Mündung des Ued-Aiascha zu
+passiren.
+
+Arseila, von den Alten Zilia. Zelis und Zilis genannt, wird von einigen
+Schriftstellern, darunter Hemsö, Höst und Barth, Asila genannt. Wenn nun
+aber auch die Herleitung des Namens von Zilis unzweifelhaft ist, so ist
+heute doch nur die Schreibweise mit einem r die einzig richtige, und ist es
+wohl seit Jahrhunderten gewesen, da Leo, Marmol, Lempriere, Jackson und die
+meisten Schriftsteller so schrieben. Ohne Zweifel von den Eingeborenen
+gegründet, später im Besitze der Carthager, der Römer, der Gothen, wurde
+nach Leo Arseila 712 n. Chr. von den Mohammedanern erobert und 200 Jahre
+von ihnen behauptet. Dann sollen die Engländer (nach Leo) eine Zeitlang die
+Stadt besessen haben, und später wieder im Besitze der Mohammedaner wurde
+sie 1471[123] von den Portugiesen erobert und bis zum Jahre 1545 behauptet.
+Seit der Zeit ist die Stadt im Besitze der Marokkaner geblieben.
+
+ [Fußnote 123: Nach Leo 1477.]
+
+Ob das alte Zilis übrigens genau an der Stelle des heutigen Arseila gewesen
+ist, ob es nicht vielmehr an der Mündung des Ued-Aiascha einige hundert
+Schritte weiter im Norden gelegen hat, möchte wohl erst noch festzustellen
+sein. Jedenfalls ist die heutige Stadt so gelegen, dass sie nie besonders
+durch Handel und Wandel blühend gewesen sein kann. Am Strande ziehen sich
+allerdings rechtwinkelig ins Meer hinein Felsblöcke, aber angenommen, sie
+hätten ehemals einen Hafen gebildet, so würde dies Bassin kaum gross genug
+gewesen sein 12-16 Fischerböte aufzunehmen. Ueberdies sind die Blöcke so
+klein, dass sie bei halber Fluth schon vom Wasser bedeckt sind. Die Mündung
+des Ued-Aiascha, wo man ebenfalls Mauerüberreste bemerkt hat, muss in
+früherer Zeit ein guter Hafen gewesen sein. Plinius sagt überdies: "Zilis
+juxta flumen Zilia", welcher Fluss wohl kein anderer sein kann, als der
+ebenerwähnte Aiascha.
+
+Arseila, in der Gegend von Hasbat gelegen, liegt unmittelbar am Meere. Ein
+rechtwinkliges Oblongum, von halbverfallenen Mauern und Thürmen umgeben,
+mit zwei Thoren, von denen das eine nach Norden, das andere nach Osten
+sieht, hat Arseila c. 500 Einwohner mohammedanischer und israelitischer
+Confession. Man findet in Arseila wie in allen Seestädten Marokko's
+zahlreiche Spuren christlicher Herrschaft an den alten Bauwerken. Einige am
+Boden liegende Säulen, ebenso Säulen, die jetzt im Innern der Djemma sind,
+dürften vielleicht römischen Ursprungs sein. Ein Djemma, ein elendes Funduk
+sind die öffentlichen Gebäude, ein marokkanischer Jude versieht das
+englische Consulat. Arseila besitzt nicht einmal Fischernachen, geschweige
+grössere Schiffe. Trotz der nächsten sandigen Umgebung haben die Bewohner
+es verstanden, leidlich gute Gärten anzulegen und Feigen, Melonen, Pasteken
+und die Rebe gedeihen vortrefflich. Aber kein Ort ist so theuer, was
+Lebensmittel anbetrifft, wie Arseila, und selbst Früchte, die in anderen
+Theilen von Marokko fast umsonst zu haben sind, kosten hier
+verhältnissmässig viel Geld.
+
+Die ganze Stadtbevölkerung fanden wir unter Zelten auf einer grünen Wiese
+dicht am Meere gelagert, da der Sultan für sein ganzes Reich eine
+dreitägige Festlichkeit angeordnet hatte aus Freude über den glücklich
+bewältigten Aufstand Sidi Djellul's. Wie der Juden Laubhüttenfest, werden
+alle derartigen Feierlichkeiten der Marokkaner im _Freien_ abgehalten,
+wie ja auch bei den grossen religiösen Festen, Aid el kebir, aid sserir und
+Molud die gottesdienstliche Ceremonie nicht in der Moschee, sondern
+draussen auf freiem Felde celebrirt wird. Zwischen Tanger und L'Araisch
+können auch Christen in christlicher Tracht längs des Meeres reisen, ohne
+befürchten zu müssen belästigt zu werden. So traf denn auch am selben
+Abend, wo wir in Arseila waren, ein spanischer Kaufmann ein (Christen giebt
+es sonst keine im Städtchen), der in eben dem Funduk die Nacht zubrachte,
+welches uns beherbergte.
+
+Von Arseila, das wir am anderen Morgen verliessen, bis L'Araisch hat man
+längs des Meeres, dessen Ufer immer denselben Charakter beibehält, nur
+einen halben Tagemarsch, und man muss, um in die Stadt zu gelangen, die
+Mündung des Ued-Kus übersetzen. Ohne uns aufzuhalten, erreichten wir immer
+durch einen schönen Korkeichenwald reisend, am selben Tage L'xor. Und auch
+hier war kein Aufenthalt für uns, da uns die Kunde wurde Sidi-el-Hadj
+Abd-es-Ssalam beabsichtige eine Reise nach Marokko. Zwei Tage darauf
+waren wir wohlbehalten in Uesan nach einer Abwesenheit von drei Wochen.
+
+Der Grossscherif, der mich wie immer sehr freundlich empfing, sagte mir,
+allerdings habe er eine Einladung vom Sultan erhalten, ihn nach Maraksch zu
+begleiten, aber später habe der Sultan in einem anderen Briefe den Wunsch
+ausgedrückt, nicht zu kommen, da seine Anwesenheit in der Nähe des Rharb,
+dessen Bevölkerung eben erst eine Revolution durchgemacht hätte,
+notwendiger sei, als in Maraksch.
+
+So glaubte ich denn auch, dass die Zeit gekommen sei, mein Geschick von dem
+des Grossscherifs zu trennen, dessen liebenswürdige und uneigennützige
+Gastfreundschaft ich nun seit einem Jahre genoss; zudem fühlte ich, dass
+ich der arabischen Sprache täglich mächtiger wurde, denn hat man die ersten
+Schwierigkeiten überwunden, so ist diese Sprache als Umgangssprache nicht
+schwer. Und wenn man ausgerechnet hat, dass ein europäischer Landmann, ein
+englischer Bauer z.B. in seinen gewöhnlichen Lebensverhältnissen nur ca.
+400 Wörter braucht, mit deren Hülfe er alle seine Ideen seinen Mitmenschen
+mittheilen kann, so hat man sicher in Marokko auch nicht mehr nöthig.
+
+Die ganze Lebensart ist so einfach, der Gegenstände, die der Mensch dort
+nöthig hat, sind so wenige, die Unterhaltung ist so stereotyp und dreht
+sich so ziemlich immer um dieselben Gegenstände, dass, wenn man einmal erst
+mit der Construction der marokkanischen Redeweise vertraut ist, und den
+nöthigen Wörtervorrath im Gedächtniss angesammelt hat, das Reden ganz von
+selbst geht. Hauptsache ist dabei, immer Gott und Prophet im Munde zu
+haben, von Paradies und Hölle zu sprechen, den Teufel nicht zu vergessen,
+und dabei andächtig mit dem Munde murmelnd den Rosenkranz durch die Finger
+gleiten zu lassen. Fällt einem dann auch nicht gleich eine Redewendung ein,
+hat man ein Wort plötzlich vergessen, und sagt statt dessen: "Gott ist der
+Grösste", oder "Mohammed ist der Liebling Gottes", oder "Gott verfluche die
+Christen", so findet das kein Marokkaner, auch wenn diese Redensarten gar
+nicht dahin passen, auffallend, und er wird selbst den Satz ergänzen, oder
+das gesuchte Wort finden.
+
+Ehe ich indess Uesan verliess, bot sich mir Gelegenheit dar, mit einem
+"Emkadem", Intendant, des Grossscherifs nach der kleinen zwischen Fes und
+Udjda gelegenen Stadt Tesa zu reisen; derselbe war abgeschickt worden,
+rückständige Gelder für die Sauya Uesan einzukassiren. Den ersten Tag
+verfolgten wir den von Uesan nach Fes führenden Weg und lagerten am
+Ued-Ssebu an einer Oertlichkeit, Manssuria genannt, welche aus einigen
+Hütten bestand und einem Duar, beides Eigenthum des Grossscherifs.
+Merkwürdig ist diese Gegend dadurch, dass in der Nähe von Manssuria
+ein steinigtes Feld ist, aus dem beständig Schwefeldämpfe und nach
+den Aussagen der Eingeborenen mitunter auch kleine Flammen
+emporsteigen[124]. Es ist dies die mir einzig in Marokko bekannte
+Oertlichkeit, wo vulkanische Erscheinungen heute noch in Thätigkeit
+sind. Am zweiten Tage, im Thale des Ssebu aufwärts gehend, das die
+zahlreichen Krümmungen abgerechnet von Osten herkommt, blieben wir noch
+eine Nacht in einem Tschar (Bergdorf) und erreichten am dritten Tage das
+malerisch am Berge gelegene Städtchen Tesa.
+
+ [Fußnote 124: Vielleicht das Pyrron Pedion, dessen Ptolemaeus in
+ Mauritania Tingitana erwähnt.]
+
+Nach Ali Bey liegt Tesa auf dem 34° 9' 32" N. B. und 6° 15" W. L. v. P. auf
+dem Unken Ufer des Ued-Asfor (gelber Fluss, wie hier der Ssebu heisst),
+jedoch fast eine halbe Stunde von ihm entfernt. Ausserdem wird die Stadt
+vom kleinen Ued-Tesa durchströmt, der vom Süden kommt. In der Lage, d.h.
+am Abhange eines Berges gelegen, hat Tesa eine ausserordentliche
+Aehnlichkeit mit Uesan. Leo giebt der Stadt 5000 Feuerstellen, was
+jedenfalls jetzt viel zu hoch ist, denn sie dürfte kaum mehr als 5000
+Einw. haben, von denen ca. 800 Seelen jüdischen Bekenntnisses sind.
+Hemsö wagt die Vermuthung, dass Tesa das Babba der Alten ist.
+
+Die Stadt, mit einer einfachen Mauer umgeben und einer Kasbah, hat eine
+beständige Garnison von 500 Maghaseni, eine Auszeichnung, die sie nur noch
+mit Udjda theilt, welches eine ebenso grosse Besatzung hat, während in
+allen anderen Städten des Reiches nur ca. 20 Soldaten dem Gouverneur zur
+Verfügung stehen. Die Lage der Stadt, die Nähe der unruhigen Hiaina, und
+der anderen vollkommen unabhängigen Bergvölker im Osten und Süden der Stadt
+machen eine so starke Besatzung sehr nothwendig. Tesa ist Hauptmittelpunkt
+des Handels zwischen Algerien, resp. Tlemçen und Fes. Aber östlich von Tesa
+ist die Gegend so unsicher, dass jede Karavane von einer Abtheilung
+Maghaseni begleitet sein muss. Stark besuchte Karavanenwege führen
+ausserdem von Tesa nach dem Figig und Tafilet. Die Häuser im Innern der
+Stadt bekunden Wohlhabenheit der Einwohner, die grosse Moschee, mit antiken
+monolithischen Säulen im Innern, deutet darauf hin, dass einst die Stadt
+noch bedeutender gewesen ist, als jetzt, und was die Gesundheit der Luft,
+die Reichhaltigkeit der Fruchtbäume und die wunderbar schöne Gegend
+anbetrifft, so kann man nur mit Leo übereinstimmen, der sagt: "Billig
+sollte dieser Ort, wegen der gesunden Luft, die im Winter sowohl als im
+Sommer hier stattfindet, die königliche Residenz sein."
+
+Wir waren in Tesa in der Sauya der Tkra Mulei Thaib abgestiegen, und wurden
+selbstverständlich gut bewirthet. Nach zwei Tagen Aufenthalt, als der
+Emkadem seine Gelder einkassirt hatte, gingen wir auf demselben Wege nach
+Uesan zurück, da der directere aber durch die Hiaina führende Weg nicht
+genug Sicherheit bot, selbst für den Emkadem des Grossscherifs.
+
+In Uesan wieder angekommen, waren meine Tage gezählt; es handelte sich nur
+darum, die Erlaubniss zur Abreise zu bekommen. Ich durfte nicht daran
+denken, dem Grossscherif zu sagen, dass ich ihn für immer verlassen wollte,
+da er sich einmal vollkommen mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ich
+würde immer bei ihm bleiben. So bekam ich denn endlich die Erlaubniss eine
+kleine Reise machen zu dürfen, und sagte der Stadt Uesan für immer (wie ich
+damals glaubte, später kam ich aber doch noch wieder nach Uesan) Lebewohl.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+13. Reise längs des atlantischen Oceans
+
+ * * * * *
+
+Nach Tanger aufbrechend, deponirte ich ein Kästchen mit Papieren bei Sir
+Drummond und zog längs der Küste, denselben Weg bis L'Araisch weiter. Als
+Ausrüstung hatte ich weiter nichts als einen Esel mit zwei Schuari
+(Seitenkörben), welche einige Vorräthe enthielten; ein spanischer Renegat,
+der gewissermassen mein Gefährte, Diener, Eselwärter und Doctorgehülfe war,
+hatte sich angeschlossen. Ehe wir weiter zogen, blieben wir noch einige
+Zeit in der Stadt.
+
+L'Araisch liegt auf der äussersten Seite des linken Ufers des Ued-Kus
+derart, dass eine Seite nach dem Flusse, die andere nach dem Ocean Front
+macht. Ungefähr 4 K.-M. stromaufwärts des Ued-Kus am rechten Ufer lag das
+alte Lya der Punier oder wie es später von den Griechen und Römern genannt
+wurde Lina, ehedem die bedeutendste Niederlassung an dem atlantischen
+Ocean. Etwas weiter stromaufwärts fallt dort der Ued-Maghasen in den Kus.
+
+Die Ruinenstätte ist von Sir Drummond Hay und Barth besucht worden, ohne
+dass jedoch Beide besondere Entdeckungen gemacht hätten, die auch wohl kaum
+ohne Reinigung des Bodens und Ausgrabungen zu machen sind. Von Drummond Hay
+werden die Ruinen Schemmies genannt. Barth will aus den Grundmauern bei der
+Kasbah erkannt haben, dass auch auf dem heutigen Boden der Stadt L'Araisch
+eine alte libysche Stadt gelegen habe, was durch Scylax's Aussage bestätigt
+würde.
+
+Von der von den Alten als in der Mündung des Lixos liegend erwähnten
+Hesperiden-Insel ist heutzutage keine Spur vorhanden. Allerdings taucht bei
+tiefer Ebbe eine etwa 1 K.-M. haltende Sandbank, in der beutelartigen
+Mündung des Flusses auf, und möglicherweise, man braucht nur eine
+allgemeine Senkung der atlantischen Küste anzunehmen, war dies die einst so
+fruchtbare Hesperiden-Insel. Diese Mündung, im Norden durch hohe Sandberge
+geschützt, könnte, wollte man sich die Mühe geben die Barre wegzubaggern,
+zu einem trefflichen Hafen eingerichtet werden. Jetzt können bei Fluth
+höchstens Schiffe von 150 Tonnen Gehalt einlaufen; als wir in L'Araisch
+waren, befanden sich sechs europäische Schiffe im Hafen, ausserdem
+verfaulten am Strande die beiden letzten Kriegsschiffe der Marokkaner, zwei
+elende Brigantinen. Und doch hatte Marokko vor noch nicht hundert Jahren
+die Frechheit, mit seiner elenden Seemacht die ganze Welt herauszufordern.
+
+Der Name L'Araisch ist nach Hemsö entstanden aus dem Worte
+el-araisch-ben-Aras, d.h. der Weinspalier der Beni Aros. Nachdem die
+Stadt wechselsweise im Besitze der Marokkaner und Portugiesen gewesen
+war, bemächtigte sich 1689 nach einer fünfmonatlichen Belagerung Mulei
+Ismaïl derselben. Seit der Zeit ist L'Araisch von den Europäern noch oft
+angegriffen worden, so im Jahre 1785 von den Franzosen, 1829 von den
+Oesterreichern, die dabei der marokkanischen Flotte den Gnadenstoss
+versetzten.
+
+Man bemerkt in L'Araisch an den Gebäuden der Stadt noch deutlich den
+christlichen Einfluss. So ist der hübsche Marktplatz ein regelmässiges
+Rechteck mit gewölbten Arcaden versehen, die Säulen sind Monolithen aus
+Sandstein. Die Hauptmoschee, die ebenfalls nach dem Marktplatze zu Front
+macht, muss eine christliche Kirche gewesen sein, die Façade ist in dem
+sogenannten Jesuitenstyl gehalten. Ausserdem befindet sich noch ein anderes
+stattliches und mehrstöckiges Gebäude, mit hohen schönen Fenstern versehen,
+am Marktplatze. Vielleicht war es ehemals Gouvernementsgebäude, vielleicht
+ein Kloster, denn erst im Jahre 1822 musste eine hier bestehende spanische
+Mission aufgegeben werden. Heute steht das Haus leer und unbenutzt da, und
+der durch die Fenster streichende Wind, und die fressende Atmosphäre wird
+bald das ihrige thun, um das Gebäude zu einer Ruine zu machen.
+
+Ausser recht gut erhaltenen aber widerstandslosen Mauern ist die Stadt
+durch ein mit vier Bastionen versehenes Fort, christlicher Anlage und
+ursprünglich aus gutem Material erbaut, geschützt. Dieses Fort liegt auf
+der westlichsten Spitze der Stadt nach dem Meere zu. Im Inneren dieses
+Forts ist ein Schloss, dessen runde Kuppeln man schon von Weitem sehen
+kann. Das Schloss soll vom Sultan Mulei Yasid erbaut sein. Unterhalb des
+Forts nach dem Hafen zu sind zwei gemauerte Strandbatterien. Nach S.-O. zu
+die Stadt beherrschend, befindet sich die Kasbah, ein Fort von viereckiger
+Form, an den vier Ecken mit sehr scharfwinkligen Bastionen versehen. Die
+Mauern der Kasbah, welche auch wohl eine Baute der Portugiesen oder Spanier
+ist, sind gut erhalten, aber trotz aller Vertheidigungsanstalten wird
+L'Araisch einem Angriffe der Europäer nicht lange Widerstand entgegensetzen
+können, einerlei ob er vom Ocean aus oder vom Lande her unternommen wird.
+Sonst hat L'Araisch keine merkwürdigen Gebäude, wenn nicht eine kleine
+Grabstätte in den Gärten südlich von der Stadt, der Lella-Minana gewidmet,
+einer Sherifa, die dort begraben liegt. Bei Lebzeiten soll sie Wunder
+gethan haben, und auch jetzt noch sollen die in der Grabcapelle der
+Lella-Minana betenden Frauen von Unfruchtbarkeit geheilt werden: zwei
+fromme in der Nähe wohnende Einsiedler öffnen den Frauen gegen eine
+kleine Gabe die Thür zum Grabmal und unterstützen sie im Beten.
+
+Die Stadt hat ca. 5000 Einwohner, von denen wohl 1200 Juden sein mögen,
+welche letztere, wie alle Juden in den Hafenstädten Marokko's, sich der
+spanischen Sprache bedienen. Die wenigen Europäer, vielleicht 30 oder 40
+Individuen stehen unter dem Schutze ihrer Consuln, deren es hier mit
+Ausnahme eines deutschen von allen Nationen giebt.
+
+Der Handel der Stadt ist nicht unbedeutend und umfasst dieselben Artikel,
+die in Tanger zur Aus- und Einfuhr kommen, d.h. ausgeführt werden besonders
+Wolle, Thierhäute, Wachs, Oel, Butter, Früchte: als Mandeln, Orangen,
+Citronen und Feigen, getrocknete Oliven, Eier, Federvieh (anderes Vieh
+auszuführen ist verboten), Getreide und Hülsenfrüchte. In L'Araisch kommt
+noch hinzu die Rinde der Korkeiche, die in Europa verarbeitet wird. Gummi
+und Kupfer wird aus Marokko nach Europa nicht mehr ausgeführt, da man
+Kupfer in Europa und Gummi von Senegal billiger beziehen kann. Blutigel
+werden ebenfalls von L'Araisch ausgeführt, doch mehr noch von Tanger und
+Mogador. Einfuhrartikel sind: Baumwollenstoffe, Tuche, rohe und gefertigte
+Seide, Papier, Waffen, Metalle, wie Eisen, Blei, Quecksilber, Schwefel,
+Alaun, Salpeter, Colonialwaaren, darunter besonders Thee und Zucker, und
+verschiedene Gegenstände, schlechte Schmucksachen, Porzellan und
+Glaswaaren, Spiegel u. dergl. m. Die eben angeführten Gegenstände sind so
+ziemlich in allen Häfen des Landes im Handel dieselben.
+
+Der Weg zwischen L'Araisch und Media oder Mehdia läuft ununterbrochen auf
+einer Sandzunge hin, zwischen dem Meere einerseits, den Sümpfen und
+Landseen andererseits gelegen. Auf der ausgezeichneten Karte von A.
+Petermann, Mittheilungen Jahrgang 1865, Taf. 4, dann auch auf der Karte von
+Renou ist dies recht deutlich zur Anschauung gebracht. Nehrungen und Haffe
+können nur an flachen, sandigen Küsten entstehen, und so ist es ganz
+natürlich, dass, wo die übrigen Bedingungen zur Haff- und Nehrungbildung
+vorhanden sind, diese entstehen. Wie der Sand Product des Meeres ist, so
+sind die Nehrungen, die aus Sand bestehen, immer nur an flachen Küsten mit
+vielem Sande zu beobachten. Es giebt nun Nehrungen, die an beiden Seiten
+noch mit dem Festlande zusammenhängen, oder solche, die am Meere
+durchbrochen sind. Erstere können entstehen dadurch, dass hohe Dünen bei
+ausserordentlichen Fluthen nicht durchbrochen werden, vom Ocean aber Wasser
+durchlassen, welches Wasser dann hinter den parallel mit dem Meere
+laufenden Dünen einen See bildet, oder es sammelt sich landwärts der Dünen
+das Wasser von kleinen Flüssen an, bildet einen See, das Wasser, ist aber
+nicht stark genug, die Nehrung zu durchbrechen, oder auch das Wasser aus
+dem Landsee ergiesst sich unter der Nehrung in den Ocean. Nehrungen werden
+durchbrochen dadurch, dass sich die Flüsse einen Ausgang bahnen, oder durch
+den Ocean selbst, in beiden Fällen sind Haffe hergestellt.
+
+An verschiedenen Stellen von Afrika hat man Nehrungen und Haffe, so vor dem
+Delta des Nil in Aegypten, die bedeutender sind, als unsere deutschen in
+der Ostsee, oder an der Küste von Guinea; die Nehrung an der Küste von
+Marokko zieht sich von L'Araisch bis Rbat hin, hat also eine Länge von fast
+17 deutschen Meilen.
+
+Landeinwärts von der Nehrung ist im Winter ein 2-3 Meilen breiter See, der
+im Sommer zum Sumpf wird, daher im Norden bei Mulei Bu Slemm der Name
+Mordja[125] Ras el Daura, und südlich von Mehdia, Mordja el Mehdia. Gleich
+unmittelbar östlich vom See oder Sumpf stösst jener ausgedehnte
+Korkeichenwald, der nördlich bei L'Araisch beginnend im Süden bei Rbat
+endet.
+
+ [Fußnote 125: Mordja heisst Sumpf]
+
+Zahllose Wasservögel, Enten, Pelicane, Ibisse und andere halten sich hier
+auf, und im Sommer kommen Hyänen, Schakale und Wildschweine aus dem
+Korkeichenwald, um im feuchten Sumpfe zu jagen. Die ganze Nehrung selbst
+ist bewohnt von Arabern. Meistens haben sie ihre Zelte auf der Landseite
+und zwar nie kreisförmig, sondern, als ob sie gewissermassen der langen
+Form der Nehrung sich anpassen wollten, immer in einer langen Reihe
+aufgeschlagen. Die Dünen sind zum Theil gut bewachsen, meist mit Lentisken,
+aber auch Grasfutter für Rind- und Schafheerden ist reichlich vorhanden.
+
+Gewöhnlich legt man den Weg bis Mehdia längs des Wassers in zwei
+Tagemärschen zurück, der grossen Hitze wegen, und weil wir uns häufig damit
+aufhielten, im Ocean zu baden, brauchten wir vier Tage. Ueberall fanden wir
+übrigens ausgezeichnete Gastfreundschaft, und die herrlichen Wassermelonen,
+welche die Nehrung hervorbringt, haben mir nirgends besser gemundet als
+hier. Zwei hübsche Grabstätten sind unmittelbar am Meeresstrande erbaut:
+Mulei Bu Slemm[126], eine Tagereise südlich von L'Araisch, aus mehreren
+Domen bestehend, dann Mulei Hammed bel Cheir, gleich vis-à-vis von Mehdia
+auf einer kleinen Anhöhe. Gegen 3 Uhr Nachmittags am vierten Tage
+erreichten wir Mehdia, am linken Ufer des Sebu gelegen.
+
+ [Fußnote 126: Die meisten Geographen halten Mulei Bu Slemm für das
+ alte Mamora, Mamora antica, und doch glaube ich kaum, dass jemals
+ bei Bu Slemm dieser Ort gestanden hat.]
+
+Um überzusetzen mussten wir aber erst eine ziemlich weite Strecke ca. ein
+K.-M. stromaufwärts gehen, wo sich die Fähre befand, sodann kehrten wir auf
+das linke Ufer zurück und erklommen den Pfad, der auf den steilen 417 Fuss
+(nach Barth) hohen felsigen Hügel führt, auf dem Mehdia liegt. In einem
+sehr schlechten Funduk fanden wir Unterkommen. Mehdia ist ein kleines
+elendes Dorf, von vielleicht zweihundert Einwohnern, wegen seiner
+beherrschenden Lage war es einst wichtig und könnte am schiffbaren Sebu,
+dem Flusse, an dem Fes liegt, leicht wieder zu einer blühenden Stadt
+gemacht werden. Die Mündung des Sebu ist jedoch nicht breiter als
+vielleicht 1000 Schritt, aber sehr tief unmittelbar unterhalb der Stadt.
+Der Sebu ergiesst sich aber nicht in gerader Linie in den Ocean, sondern,
+schief nach Norden geneigt. Eine starke Barre sperrt den Fluss ab.
+
+Als ich von Aussen den Ort besichtigte, fand ich unterhalb desselben ein
+Labyrinth von Mauern, 4 Fuss dick und 20 Fuss hoch aus massiven Steinen
+aufgeführt; ein Netz von viereckig gemauerten Räumen darstellend. Die
+darüber befragten Bewohner wussten keine Auskunft zu geben, aber in Leo
+finden wir vollkommenen Aufschluss darüber:
+
+Von Jacob el Mansor, der von 1184 bis 1199 regierte, erbaut, als
+Vertheidigungsfeste des Eingangs des Sebu, wurde Mehdia später zerstört und
+im Jahre 1515 schickte Don Manuel von Portugal eine Flotte dahin ab, um
+dort eine Festung anzulegen. Kaum im Bau begriffen, kam aber der zu der
+Zeit in Fes regierende Sultan Mohammed ben Oatas mit einem Heere und
+überfiel Soldaten und Arbeiter. Leo, der als Augenzeuge diesem Ueberfalle
+beiwohnte, giebt davon eine ergreifende Schilderung. Die Portugiesen wurden
+alle getödtet, die Schiffe verbrannt. Von 6-7000 Mann Besatzung, durch
+Verrath zur Streckung der Waffen bewogen, wurden die Meisten niedergemacht.
+Aus der Mündung des Sebu soll der König von Fes hernach 400 Kanonen
+herausgefischt haben.
+
+Später, am 6. August 1614, nahmen die Spanier noch einmal Mamora (wie die
+Europäer und auch Leo Mehdia nannten), errichteten ein Fort, welches aber
+am 2?. April 1681 [? unlesbar in der gedruckten Ausgabe] von Mulei Ismail
+überfallen und zerstört wurde. Seit der Zeit ist Mehdia, was es jetzt ist,
+ein elendes Dorf.
+
+Was nun die eben erwähnten Constructionen anbetrifft, so sagt Leo[127]
+davon: "Die Portugiesen fingen gleich nach ihrer Ankunft den Bau an; alle
+Fundamente waren schon gelegt, mit den Mauern und Bastionen war ein Anfang
+gemacht etc." Einen solchen _unfertigen_, nicht aber _zerstörten_
+Eindruck machen denn auch die Bauten bei Mehdia. Was Mamora antica
+anbetrifft, so dürfte dasselbe am anderen Ufer des Sebu zu suchen sein,
+oder vielleicht der Hügel der Stadt, der ebenfalls befestigt war,
+"Alt-Mamora", die am Strande von den Portugiesen errichteten Bauten
+dagegen "Neu-Marmora" gewesen sein. Aber in dem entfernten Mulei Bu
+Slemm Alt-Mamora suchen zu wollen ist vollkommen unstatthaft, weil
+"Mamora" immer einen felsigen Hügel bedeutet in Tamasirht-Sprache, ein
+solcher aber bei Bu Slemm nicht vorhanden ist.
+
+ [Fußnote 127: Uebersetzung von Lorsbach, p. 185.]
+
+Barth fügt noch hinzu, dass keineswegs, wie die meisten Geographen
+anzunehmen geneigt seien, hier Banasa gestanden habe (Hemsö meint, Banasa
+habe gelegen, wo jetzt Mulei Bu Slemm ist, eine Oertlichkeit, die gar
+nichts Einladendes zur Gründung einer Stadt hat), welches eine Binnenstadt
+am oberen Laufe des Sebu gewesen, sondern dass in Mamora die vom Ptolemaeus
+erwähnte Stadt Subur zu erblicken sei. Ich füge noch hinzu, dass im Lande
+bei den Eingebornen der Name Mamora vollkommen unbekannt ist.
+
+Wir blieben in Mehdia nur Nachts, am anderen Morgen früh aufbrechend, waren
+wir Mittags in Sla, setzten gleich über und blieben in Rbat in einem
+Funduk. Der Weg bot nichts Neues, Nehrungformation war auch hier, nur
+müssen die hiesigen Dünen älter sein, denn sie waren nach der Landseite
+dicht mit Eichen, welche eine ausserordentlich zart- und süssschmeckende
+Frucht tragen, bestanden, ausserdem waren Korkeichen, Lentisken und wilde
+Oliven sichtbar.
+
+Die Stadt Sla auf dem rechten Ufer des Bu Rgak oder Bu-Raba[128] gelegen,
+ist ein Ort, welcher von Aussen gesehen das allerregelmässigste Ansehen
+hat. Fast viereckig ist die Stadt von hohen aber widerstandslosen Mauern,
+welche ausserdem viereckige Vertheidigungsthürme haben, umgeben. Mit ca.
+10,000 Einwohnern, dürfen bis auf den heutigen Tag in Sla keine Christen
+und Juden wohnen, der Grund davon ist, dass die Bevölkerung sich
+hauptsächlich aus aus Spanien vertriebenen Mohammedanern bildete, somit den
+glühendsten Hass gegen Juden und Christen bewahrt hat. Am Ende des vorigen
+Jahrhunderts war Sla, das sich den marokkanischen Herrschern gegenüber fast
+als Republik gerirte, der berüchtigtste Seeräubersitz am atlantischen
+Ocean. Im Hafen von Sla und Arbat, oder in der Mündung des Sebu, fanden die
+Piraten vor den verfolgenden Kriegsschiffen der Christen sichere Stätten.
+
+ [Fußnote 128: Buragrag bei Leo und Maltzan.]
+
+Sla ist offenbar, wenn auch nicht genau der Lage nach, doch was den Namen
+anbetrifft, das alte Sala. Ptolemaeus verlegt Sala südöstlich von der
+Mündung des Flusses, also da wo Arbat heute steht. Ebenso Plinius, der Buch
+V, 1 sagt: "Die Stadt Sala am Flusse gl. N. gelegen, schon nahe der Wüste,
+und durch Elephantenheerden, noch mehr aber durch den Stamm der Autolalen
+unsicher gemacht, durch welche der Weg zum Atlasgebirge führt" etc. Dass
+nun Arbat heute nicht den Namen Sla, sondern Arbat hat, erklärt sich wohl
+aus dem Umstände, dass nach der Zerstörung des alten Sala, die neue Stadt
+auf dem rechten Ufer des Bu Raba angelegt wurde, während gegenüber die
+Stadt Rbat um 1190 von Jacub el Mansor neu gegründet wurde, und nach
+Delaporte den Namen Rbat el Ftah, d.h. Wahlstätte des Sieges erhielt. Es
+ist also nicht nöthig um das alte Sala im heutigen Rbat wiederzufinden, wie
+Barth es thut, auf die Grabmäler der Beni-Merin bei der Mssala von Arbat
+hinzuweisen, welchen Ort Barth: "Schaleh", Hemsö: "Scella, Seialla" und
+Marmol: "Mensala" aussprechen hörten. Ich habe an anderen Orten gezeigt,
+dass jede grössere marokkanische Stadt ihr Mssala hat, wo bei grossen
+religiösen Festen die Gebete abgehalten werden[129].
+
+ [Fußnote 129: Maltzan sagt B. IV, p. 129: In der Nähe von Rabat liegt
+ auf demselben Ufer des Flusses ein kleiner Ort esch = Schaleh
+ genannt. Dieser Ort hat eine auffallend grosse Aehnlichkeit mit dem
+ des antiken "Sala". Es sind dies aber weiter nichts als Hütten und
+ Häuser, und Grabmäler um die "Mssala" gebaut, wie das auch bei Fes,
+ Uesan etc. vorkommt.]
+
+Die Stadt Sla ist von ihrem einstigen durch Piraterie erworbenen Reichthum
+sehr heruntergekommen, so dass auch die Häuser der Einwohner, die sich
+Slaui nennen, sehr klein und unansehnlich sind. Als ich mit dem
+Grossscherif in der Stadt war, fand sich kein einziges Gebäude gross genug
+ihn aufzunehmen, wir campirten daher am Strande in unseren Zelten.
+Innerhalb der Mauern ist die Hälfte der Stadt jetzt unbebaut. Die beiden
+Moscheen sind gross und geräumig, aber sonst zeichnen sie sich durch nichts
+weiter aus. Der Markt oder Bazar, Kessarieh, ist überdacht wie in den
+meisten Städten, wie zur Zeit Leo's findet man hier auch heute noch eine
+grosse Kammfabrikation aus Lentiskenholz.
+
+Rbat, sowie es jetzt steht, eine Stadt von ca. 30,000 Einwohnern, hat ein
+fast modernes südeuropäisches Aussehen, namentlich von der Westseite her.
+Hier haben sich hauptsächlich Christen und Juden Häuser gebaut, und
+besonders letztere sind in Rbat zahlreich vertreten, da sie wie auch die
+Christen in Sla nicht wohnen dürfen. In der Mündung des Flusses könnten
+Rbat und Sla einen guten Hafen haben, wenn nicht eine gefährliche Barre auf
+der Rhede wäre, und wenn für eine gehörige Ausbaggerung gesorgt würde.
+Jetzt kann der Hafen nur Schooner und kleine Briggs aufnehmen. Der Handel
+ist indess ziemlich lebhaft, denn eigentlich ist Rbat jetzt der natürliche
+Hafen für Mikenes sowohl, als auch für Fes. Man exportirt hier vorzugsweise
+Oel, Häute und Kork. Als eigne Fabrikation betreibt man in Rbat
+hauptsächlich die Verfertigung wollener Teppiche, an Güte und
+Dauerhaftigkeit kommen sie den syrischen gleich, im Muster und in den
+Farben stehen sie allerdings zurück. Ferner sind Schuhe, Burnusse und
+Matten gerühmt.
+
+Rbat auf dem bedeutend höher gelegenen linken Ufer des Flusses gelegen, hat
+ein Castel auf seiner äussersten nach dem Meere gerichteten Seite, mit
+sogen. bombenfesten Gewölben, und dicht dabei eine ziemlich grosse Djemma
+(Moschee) mit einem sehr hübschen Smah (Minaret). v. Maltzan taxirt den
+Thurm auf 180' und zieht ihn der Giralda von Spanien vor. Dieser Sma-Hassan
+ist wie die Moschee selbst von Sultan Mansor erbaut. Leo sagt von ihm: "Vor
+dem Süderthor liess er auch einen Thurm, dem zu Marokko ähnlich, errichten,
+er hat aber viel breitere Treppen, worauf 3 Pferde nebeneinander
+hinaufkommen können. Ich (Leo) rechne diesen Thurm in Rücksicht auf seine
+Höhe zu den bewundernswürdigen Gebäuden."--Für Marokko, welches in keiner
+einzigen Stadt einen nur irgend bedeutend hohen Minaret hat, ist dieser
+Thurm des Hassan allerdings eine ausnahmsweise hohe Baute, aber im Orient
+trifft man bei den Mohammedanern bei Weitem höhere Minarets.
+
+Der Palast des Sultans ausserhalb der Stadt Rbat im Süden und fast hart am
+Meere gelegen, ein vollkommen neues Gebäude, und irre ich nicht, erst vom
+jetzigen Sultan erbaut, zeichnet sich nur durch Kasernenhaftigkeit aus. Es
+ist ein ziemlich unbedeutendes Gebäude, mit einer Beletage, hat viele
+Fenster, die aber nicht Glasscheiben besitzen, sondern durch hölzerne
+Jalousien verschlagen sind. Vor dem Schlosse nach dem Strande zu befinden
+sich Erdschanzen auf europäische Weise errichtet; einige Kanonen sind
+ebenfalls darin.
+
+Der von Maltzan erwähnte "römische Aquaduct" ausserhalb der Stadt, dessen
+Ruinen noch heute vorhanden sind, ist indess nicht römischen Ursprungs,
+wenn man anders den Aufzeichnungen von Leo Glauben schenken kann. Derselbe
+sagt p. 177: "Weil in der Nähe der Stadt kein sonderlich gutes Wasser war,
+so liess Sultan Mansor eine Wasserleitung von einer Quelle, die ungefähr 12
+Meilen von der Stadt entfernt ist, hier anlegen; sie besteht aus schönen
+Mauern, welche auf Bogen ruhen, gleich denen, die man hier und da in
+Italien, vornehmlich um Rom sieht. Diese Wasserleitung theilet sich in
+viele Theile: einige führen Wasser in die Moscheen, andere in die Schulen,
+andere in die Paläste des Königs, andere in die öffentlichen Brunnen,
+dergleichen für alle Districte der Stadt gemacht wurden. Nach Mansor's Tode
+nahm die Stadt allmälig so ab, dass nicht ein Zehntel mehr übrig ist. Die
+schöne Wasserleitung ist in den Kriegen der Meriniden gegen Mansor's
+Nachfolger zerbrochen worden." So Leo. Ich muss indess bekennen, dass nach
+Besichtigung der Ruinen dieser Wasserleitung ich ebenfalls geneigt bin mit
+Maltzan sie für römischen Ursprungs zu halten, da nirgends anderswo, soviel
+ich das Land habe kennen lernen, die Marokkaner selbst irgend ähnliche
+Bauten aus massiven Quadersteinen errichtet haben.
+
+Heutzutage entbehrt Rbat sehr dieser Wasserleitung, die Einwohner behelfen
+sich zum Theil mit dem Wasser ihrer Cisternen, zum Theil holen sie weither
+ihr Trinkwasser in Schläuchen. Nirgends ist daher auch das Trinkwasser
+theurer als in Rbat. In allen grösseren marokkanischen Städten durchziehen
+Wasserverkäufer mit einem grossen Schlauch auf dem Rücken, in der einen
+Hand eine Glocke, in der anderen einen Becher haltend, die Strassen und
+verkaufen dem Durstigen für einen Fls. den Labetrunk, der dann so bemessen
+ist, dass der Käufer so viel trinken kann, wie er Durst hat. In Rbat aber
+muss ganz genau das Maass inne gehalten werden.
+
+Im Uebrigen hat die Stadt nichts Merkwürdiges, nur will ich nicht
+unterlassen auf die unvergleichlich schönen Gärten aufmerksam zu machen,
+die sich längs des linken hohen Flussufers hinziehen. Was nur das
+glückliche Klima des Mittelmeeres hervorbringt, findet man hier blühen und
+grünen.
+
+Ich blieb nur kurze Zait [Zeit] in Rbat, und durch die lang ausgedehnte
+jetzt leere Stätte der Mhalla (die Armee des Sultans), welche südwärts der
+Stadt sich befand, dahin eilend, zog ich dem Süden weiter entgegen. Ich
+hatte nun vollkommen unbekanntes Land vor mir, bis Rbat, wo ich auch früher
+schon gewesen war, hatte ich fast alles Land kennen gelernt, was im
+Bereiche des "civilisirten Marokko" lag. Einsam ohne Karavanen zogen meine
+Begleiter und ich längs des Strandes dahin, den grauen Esel vor uns
+hertreibend. Der Weg längs des Strandes bleibt auch hier einförmig und
+langweilig. Indess so wenig die Natur bietet, so belebt ist andererseits
+dieser Weg durch Menschen, denn bis Asamor ist hier die Hauptroute von Rbat
+nach Marokko, von Asamor verlässt die Strasse das Meer, um ins Innere sich
+hineinzuziehen.
+
+Längs der Küste ziehen sich eine Menge Kasbahs hin, zum Theil in leidlichem
+Zustande, zum Theil verfallen; sie erinnern lebhaft an die Befestigungen in
+Spanien und Italien, deren Küsten ebenfalls überall mit Thürmen und
+Festungen garnirt sind. In diesen Kasbahs kann der Wanderer Schutz vor
+schlechter Witterung finden, oder übernachten, sonst bieten sie aber in der
+Regel nichts, und die meisten sind ohne Insassen. Wir gingen bis
+Mitternacht und nächtigten sodann in der Kasbah Scharret, am Flüsschen gl.
+N. gelegen. Diese Kasbah bildet zugleich eine Cavalleriekaserne, es
+befanden sich etwa 200 Reiter mit ihren Pferden in derselben. Wir konnten
+von diesen Reitern unser Abendbrod kaufen, eigentliche Kaufleute waren aber
+nicht vorhanden.
+
+Zwischen Rbat und Asamor finden sich eine Menge von kleinen Flüssen, die
+von Osten kommend alle das Meer _mit Wasser_ erreichen, und auch das
+ganze Jahr Wasser halten. So passirten wir am folgenden Tage den
+Ued-Bu-Steka und drei andere kleine Flüsse, und befanden uns Mittags am
+Ued-Mansuria, der an seiner Mündung, zur Fluthzeit, nicht zu passiren
+ist. Nach langem Suchen fanden wir endlich stromaufwärts gehend eine
+Furth, die uns durchliess. Der auf den Karten angegebene Ort Mansuria
+_existirt nicht_. Auf dem linken Ufer des Flüsschens befinden sich die
+Trümmer der Kasbah Mansuria. Der Ort Mansuria soll nach Leo auch nicht
+am Ocean, sondern zwei Meilen stromaufwärts am Flüsschen, das er Guir
+nennt, gelegen sein. Aber schon zu Leo's Zeiten war das genannte
+Städtchen nur noch ein Trümmerhaufe.
+
+Wir gingen selben Tags noch bis zur Mündung des Flusses Ued-el-Milha, an
+dessen linkem Ufer die Kasbah Fidala liegt. Ob Fidala nach der Meinung
+Gosselin's das alte Kerne[130] gewesen sei, wage ich nicht zu entscheiden;
+eine Insel ist in der Mündung des Flusses nicht, wohl aber ist auch hier
+eine Nehrung. Im Innern der sehr geräumigen Kasbah lagerte ein ganzer Stamm
+unter Zelten, aber auch feste Wohnungen waren da. Namentlich zeichnete sich
+die in der Mitte der Burg liegende Djemma durch Sauberkeit der Arbeit und
+gute Conservirung aus. Die Tholba (Schriftgelehrten) luden uns freundlichst
+ein, in derselben die Nacht zuzubringen. Die meisten Häuser, die in Fidala
+sind, liegen in Ruinen, der edle Styl derselben, die Abwesenheit des
+maurischen Schwibbogens an Fenstern und Thüren sagen uns mit Sicherheit,
+dass diese Gebäude von Europäern erbaut wurden. Renou behauptet indess,
+dass Fidala 1773 von Sultan Mohammed gegründet sei. An vielen der Fenster
+waren sogar noch Balcons.
+
+ [Fußnote 130: Kerne möchte eher beim heutigen Agadir zu suchen sein,
+ obgleich auch dort in der Bucht keine kleine Insel sich befindet,
+ aber keineswegs, wie Knötel meint, die Insel im Rio do Ouro sein.]
+
+Am folgenden Morgen passirten wir eine lange über den schmalen Fluss
+Ued-Dir führende Brücke, derselbe soll jedoch manchmal weit austreten.
+Die Gegend bleibt immer dieselbe, rechts das Meer, und links die nicht
+enden wollende Gegend der Provinz oder Landschaft Temsena, nur einmal
+unterbrochen durch den grossen längs der Küste sich hinziehenden Sumpf
+Um-Magnudj. Die gut bevölkerte Gegend bringt hauptsächlich Mais hervor,
+der den Leuten als Hauptnahrung dient, indem sie ganz wie die Italiener
+eine Polenta davon bereiten. Man kann sagen, dass an der ganzen Küste
+von L'Araisch bis Asamor nicht die zu Kuskussu verarbeitete Gerste,
+sondern der Mais oder türkische Weizen die Nationalkost ist. Auch wird
+davon viel nach Spanien und Portugal exportirt.
+
+Am selben Abend noch waren wir in Dar-beida (Weissenstadt und von den
+Spaniern Casa bianca übersetzt), wo wir bald bei einem Kaffeehausbesitzer,
+den ich von Fes her kannte, ein gastliches Unterkommen fanden. Dar-beida
+bildet eine Art befestigten Vierecks, dessen Mauern jedoch ausser Stande
+sind, den geringsten Widerstand gegen Europäer zu leisten. Sowie von
+Masagan und Safi wird auch von hier aus bedeutend exportirt, und
+hauptsächlich sind es Wolle, Oel, Mais, Weizen, Mandeln und Felle, welche
+die Eingeborenen den Europäern zu Markte bringen. Die Einwohnerschaft von
+Dar-el-beida beläuft sich auf ca. 300 [3000] Seelen, unter denen sich
+eine zu den übrigen Hafenstädten Marokko's verhältnissmässig grosse Zahl
+von Europäern befindet. Ich fand es höchst auffallend, dass alle
+Lebensmittel hier so theuer waren, vielleicht ist die Concurrenz der
+Europäer daran Schuld. In der Meeresbucht befanden sich sieben grössere
+europäische Fahrzeuge, im Begriffe, ihre Ladungen einzunehmen. Sie
+kommen meist ohne Waaren an, wenn man anders nicht die Silberthaler
+(spanische und französische) als Importationsartikel rechnen will. Aber
+der Vortheil, den die Europäer auf die eben angeführten
+Exportationsartikel machen, ist ein sehr grosser. Deutschland betheiligt
+sich gar nicht daran. An Merkwürdigkeiten hat die Stadt nichts
+aufzuweisen.
+
+Maltzan nimmt an, dass Dar-beida oder Dar-el-beida die Stadt Anfa Leo's
+sei. Es ist auch wohl nicht daran zu zweifeln, aber Leo's Angaben über die
+Entfernung Anfa's sind höchst ungenau, er sagt: "Anfa ist eine grosse von
+den Römern erbaute Stadt am Ufer des Oceans, ungefähr 60 Meilen vom Atlas
+gegen Norden, ungefähr 60 Meilen von Azemur gegen Osten und ungefähr 40
+Meilen von Rabat gegen Westen gelegen." Leo scheint die Stadt gleich nach
+der Zerstörung derselben durch die Portugiesen besucht zu haben, er fand
+sie ganz verödet und von Einwohnern verlassen. Nach Maltzan wurde sie erst
+1750 von Mulei Ismaïl unter dem Namen Dar-el-beida wieder aufgebaut. Nach
+Renou wiedererbaute sie Sultan Mohammed, was wahrscheinlicher ist, da
+Ismaïl von 1672-1727 regierte. Von Dar-beida nach Asamor brauchte ich zwei
+Tage. Der auf fast allen Karten Marokko's angegebene Ort Mediona, der an
+der Küste liegen soll, existirt dort nicht, wohl aber ca. 3 Meilen
+landeinwärts; Mediona ist weiter nichts als eine von einigen Duar umgebene
+Kasbah.
+
+Endlich war die weite Mündung des Um-Rbea, oder wie man gewöhnlich sagt
+Mrbea erreicht. Der Fluss ist so tief, dass er selbst zur Ebbezeit nie
+durchwatet werden kann, aber eine gute Fähre ist vorhanden, mit der man
+übergesetzt wird. Der Fluss Um-Rbea, vom Atlas entspringend, hat auf seinem
+linken Ufer die bedeutende Stadt Asamor; aber so bedeutend dieselbe ist,
+ich schätze die Einwohnerzahl auf 30,000 [3000] Seelen, so wird ihrer
+selten in den geographischen Handbüchern gedacht. Der Name Asamor
+bedeutet aus der Tamasirht-Sprache übersetzt, die Oelbäume, und
+eigentlich hat die ganze Stadt den Namen Asamor-es-Sidi-Bu-Schaib, d.h.
+die Oelbäume des gnädigen Herrn Bu-Schaib. Ursprünglich war hier nämlich
+weiter nichts als ein Sanctuarium dieses Schaib's, dessen kleine
+"Kubba", in der er begraben liegt, sich noch heute in Asamor befindet
+und die in naher Umgegend als ein grosses Heiligthum gilt. Die
+Zahlenangaben über den Angriff von Asamor durch die Portugiesen sind bei
+Maltzan nicht genau. Erst 1508 begannen die Portugiesen zu belagern,
+jedoch ohne Erfolg, aber im Jahre 1513 wurde die Stadt erobert, zerstört
+und nach einem zweiunddreissigjährigen Besitze von den Christen
+freiwillig aufgegeben[131].
+
+ [Fußnote 131: Siehe darüber Leo, Dapper und Renou.]
+
+Asamor, auf einer ca. 150' hohen Anschwellung des Erdbodens gelegen, wird
+merkwürdigerweise von Arlett mit nur 700 Einwohnern angegeben. Andere aber,
+die doch auch gute Notizen über die Stadt hatten oder auch Asamor selbst
+gesehen haben, sind darüber auch anderer Meinung, so nennt Dapper sie
+"überaus volkreich", Lempriere "ein grosser Ort." Die Sache ist nämlich
+die, dass von allen Häfen, Asamor und Agadir die einzigen sind, wohin
+Europäer selten kommen. In _allen_ marokkanischen Hafenstädten, so
+klein sie auch sein mögen, giebt es Consuln und Consularagenten. So in
+Arseila, in L'Araisch, in Masagan etc., aber in der Stadt Asamor und Agadir
+sind weder christliche Consuln noch Europäer. Allerdings sind in Sala auch
+keine Consuln, aber der Grund liegt mehr in der Nähe von Neu-Sala oder
+Arbat, als in einer anderen Ursache.
+
+So ist denn auch Asamor eine vollkommen marokkanische Stadt, der ganze
+Handel, die Industrie hat etwas urwüchsig Marokkanisches an sich. In dieser
+schönen Flussmündung, welche meilenweit nach oben hin noch salziges
+Meerwasser hinauftreibt, sieht man nie europäische Schiffe. Der ganze
+Handel von Asamor mit dem Binnenlande beruht auf eigner Production und
+Manufactur. Man verfertigt namentlich Haike, Burnusse, Matten, Schuhe und
+Töpfergeschirr. In der Nähe der Stadt ist bedeutender Gemüsebau, aber die
+Früchte werden mehr nach aussen hin, nach Dar-beida und Masagan exportirt,
+als in der Stadt selbst aufgebraucht.
+
+Ich durfte nicht unterlassen "den berühmten Heiligen Mulei Bu-Schaib zu
+besuchen", so sagt man in der That in Marokko, einerlei ob der Heilige noch
+lebt oder todt ist. Man redet dann auch einen solchen Heiligen wenn er
+gestorben ist so an, als ob er noch lebte: "es ssalamu alikum ia Mulei
+Bu-Schaib" etc. Als ich eintrat in den kleinen Grabdom, war denn auch
+das ganze Mausoleum voller Bittsteller, alle umhockten oder Umlagen den
+Sarkophag, d.h. ein hölzernes mit rothem Tuch und reich mit Seide
+gesticktes umhangenes Holzgestell. Den grössten und eigentlichen Segen
+hatten indess nur die Schriftgelehrten des Mulei Bu-Schaib, die von
+jedem Betenden eine Gabe zu erpressen wussten. Als höchst merkwürdig
+fiel mir auf, dass diese Tholba (Schriftgelehrte) durch besondere Tracht
+sich auszuzeichnen suchten von ihren Mitgläubigen, wie die Pharisäer der
+Bibel. Bei den übrigen Marokkanern unterscheidet sich aber, wie schon
+angeführt, der Schriftgelehrte von seinen Mitgläubigen nie durch Tracht,
+und wenn er auch der erste Faki der Djemma Mulei Abd Allah Scherif von
+Uesan wäre. Sowie durch eigne Tracht, so zeichneten sich denn auch diese
+Tholba durch grosse Selbstgefälligkeit und religiöse Eitelkeit aus.
+
+Ehe ich von Asamor aus weiter zog, muss ich eines kurzen Abstechers
+erwähnen, den ich von hier aus mit einer Karavane nach der Stadt Marokko,
+von den Eingebornen Marakesch genannt, machte. Es war nur eine kleine
+Karavane aus lauter Eseltreibern bestehend, welche Töpferwaaren ins
+Innere des Landes führten, dabei bis Marokko wollten, um von dort andere
+Waaren zurückzubringen. In Gesellschaft dieser Leute war es vollkommen
+unmöglich irgendwie nur Aufzeichnungen zu machen. Die Gegend sah zu der
+Zeit sehr traurig aus, da es Herbst war und die ersehnten Regen wollten
+sich nicht einstellen, so dass man hatte glauben können in der Vorwüste zu
+sein. Und doch muss diese Landschaft im Winter und Frühling ein ganz
+verändertes Aussehen haben. Die kahlen Lotusbüsche bekleiden sich dann mit
+frischen hellgrünen Blättern, die einförmige Zwergpalme sendet neue Fächer
+aus der Erde und reift ihre kleinen äusserlich der Weintraube nicht
+unähnlichen Beeren, Zwiebeln und Gräser spriessen aus der Erde und die
+Heerden kehren von den immergrünen Weideplätzen der Atlasstufen zurück.
+
+Wir marschirten den ersten Tag sehr anstrengend, um zur rechten Zeit auf
+dem Markte el Had (Sonntag) zu sein, und noch denselben Tag wieder
+aufbrechend, überzogen wir sodann einen niederen Gebirgszug von Nordwest
+nach Südost streichend, der an der Gegend, wo wir ihn überschritten, den
+Namen Dj. Ssara führte. Sobald man den Kamm dieser Hügel, welche zugleich
+die Wasserscheide zwischen dem Mrbea und Tensift bilden, überschritten hat,
+erblickt man die schneeigen Gipfel des grossen Atlas. Aber so nahe die
+Berge zu sein scheinen, so fern sind sie noch; ehe man nur die Stadt
+Marokko erreicht, hat man noch drei Tagemärsche.
+
+Der Sultan war zu der Zeit mit der ganzen Armee dort; er hatte sich den
+Eintritt in die zweite Hauptstadt seines Landes erkämpfen müssen. Die
+Stämme der Rhammena, südwestlich von Marokko auf den Abhängen des Atlas
+heimisch, hatten sich kurz vor seiner Ankunft empört und hielten die Stadt
+umschlossen. Aber die Rhammena hatten nicht auf die Kanonen des Sultans
+gerechnet, trotzdem sie sich ziemlich hartnäckig bei der Sauya-ben-Sassy
+südlich von der Stadt vertheidigten. Sobald die Kanonen erdröhnten, wurden
+sie leicht bewältigt, und nachdem so und so viel Köpfe waren abgeschnitten
+worden, welche als Warnung an sämmtliche Städte des Reiches vertheilt
+wurden, nachdem sie aller Habe waren beraubt worden, war wieder Ruhe im
+Lande.
+
+Ich blieb nur zwei Tage in Marokko und verliess das Funduk (Gasthaus) nur
+Abends, um nicht Bekannten zu begegnen. Denn trotzdem der Sultan durch
+Vermittelung des englischen Gesandten mir beim Weggange von Mikenes
+freigestellt hatte, im Lande zu bleiben und überall frei hingehen zu
+können, fürchtete ich, falls er erführe, ich sei in Marokko, festgehalten
+zu werden.
+
+Die Stadt Marokko ist nach Beaumier's Beobachtungen mit einem
+holosterischen Barometer 408 Meter über dem Meere gelegen. Die Einwohnezahl
+[Einwohnerzahl] der Stadt ist, sehr wechselnd, je nachdem der Sultan
+anwesend ist oder nicht. Sir Drummond Hay, der zuverlässigste Gewährsmann,
+und der von allen Europäern am besten die Städte des Innern kennen lernte,
+nimmt 70,000 Einwohner an. Zur Zeit, als er dort den Sultan besuchte, ist
+das auch wohl richtig gewesen, in gewöhnlichen Zeiten sind aber wohl nicht
+mehr Bewohner in der Stadt, als wie Maltzan, Beaumier und Lambert annehmen:
+50,000.
+
+Nach Leo und den meisten Geographen soll Marokko von Yussuf-ben-Taschfin
+erbaut sein, Renou, sich auf Cooley stützend, giebt das Jahr 1073 als
+Erbauungsjahr an. Es ist indess wohl genauer, wenn wir mit Sedillot
+festhalten, dass der Feldherr Abu-Bekr, ein Partisan von
+Abd-Allah-ben-Taschfin, einige Jahre früher die Stadt anlegte. Von der
+Bedeutung aber, wie Marokko unter Yussuf, unter seinem Sohne Ali gewesen
+ist, von welcher Epoche Leo sagt, die Stadt habe hunderttausend Häuser
+gehabt, davon hat dieselbe nur den grossen Umfang behalten. Nach Lambert
+sollen die jetzigen Mauern der Stadt, die aus Tabi (d.h. einer Mischung
+aus Thon, Kalk und kleinen Steinchen, welche Masse zwischen Brettern
+gestampft und gepresst wird) bestehen, und die wie die Umfassungsmauern
+aller marokkanischen Städte von Entfernung zu Entfernung flankirende
+Thürme haben, vom Sultan Mohammed ben Abd-Allah (1757-1790), dem
+fähigsten und bedeutendsten marokkanischen Kaiser der Neuzeit, gegründet
+sein.
+
+Ganz entgegengesetzt zu Fes hat die Stadt Marokko mit wenigen Ausnahmen nur
+einstöckige Wohnungen, und an den Seiten der _breiten_ Gassen findet
+man oft grosse Gärten. Nur im Handelscentrum der Stadt verengen die
+engstehenden Häuser die Strassen. Im Uebrigen hat die Stadt ihre Kessaria
+(eine ganz neu erbaute für fremde Artikel ist nach Lambert kürzlich
+hinzugekommen), ihre Ataria, ihre grossen und kleinen Funduks, ihre
+Marktplätze, auf denen der bedeutendste Markt vor der Djemma el Fanah und
+der andere ausserhalb der Stadt vor dem Thore "Chamis" abgehalten werden.
+Auch ein Narrenhaus, Morstan, befindet sich in Marokko mit ähnlicher
+Einrichtung wie in Fes.
+
+An öffentlichen Gebäuden ist die Stadt arm, der Palast des Sultans, obschon
+äusserst umfangreich, zeichnet sich durch nichts aus. Die berühmteste
+Moschee ist die Kutubia, so genannt von den Adulen (Schreibern) und Ketabat
+(Büchern), welche dort, erstere ihr Handwerk treiben, letztere ebenda zu
+kaufen sind. Der hohe Thurm der Kutubia soll nach Lambert ca. 250 Fuss,
+nach Maltzan ca. 210 Fuss hoch sein, und v. Maltzan schätzt die Architektur
+auch dieses Thurmes höher als die der Giralda von Sevilla, welche doch von
+Lübke in seiner Geschichte der Architektur als eines der schönsten
+Baudenkmäler spanisch-maurischer Architektur hervorgehoben wird. Was die
+innere Anordnung der Djemma anbetrifft, so gleicht sie fast der grossen den
+"Erzengeln" gewidmeten Moschee in Fes. Auch hier die grosse Zahl von
+Säulen, die von Spanien hergeholt sein sollen, auch hier die reizenden
+Springbrunnen, die aber oft genug kein Wasser spenden. Denn die einst so
+schönen Wasserleitungen der Stadt, weiche von den Bergen Misfua und Mulei
+Brahim das Wasser der Stadt zuführen, liegen in verwahrlosetstem Zustande.
+Von den übrigen Moscheen ist wenig zu berichten. Das grösste Heiligthum der
+Stadt ist die Sauya des Sidi-bel-Abbes, im Norden der Stadt gelegen.
+Sidi-bel-Abbes ist zugleich der Schutzpatron der Stadt, er liegt dort in
+einer kleinen Kubba begraben. Alle Fremde, namentlich Pilger, werden
+hier unentgeltlich drei Tage lang verpflegt; es versteht sich, dass
+diese Sauya auch Zufluchtsort für Verbrecher und unrechtmässig Verfolgte
+ist.
+
+Das Ghetto der Juden, wie in allen marokkanischen Städten "Milha" genannt,
+d.h. der gesalzene Ort, wird nach Lambert häufig Spasses halber von den
+Mohammedanern "Messus", d.h. der "salzlose Ort" genannt; man schätzt die
+Zahl der Juden auf 6000 Seelen. Moses Montefiori, der im Jahre 1864 in
+Marokko war, um beim Sultan eine verbesserte Lage für seine unglücklichen
+Glaubensgenossen herbeizuführen, hat dies trotz seiner reichen Geschenke
+keineswegs zu Wege bringen können, sie leben dort heute noch in derselben
+unglücklichen und unterdrückten Art, wie bisher. Für die Christen scheint
+aber dort ein Umschwung eingetreten zu sein. Beaumier konnte mit seiner
+Frau, freilich in seiner Eigenschaft als Consul, im Jahre 1868 unbehindert
+die Stadt nach allen Richtungen hin durchziehen, und der schon mehrere Male
+genannte Hr. Lambert bewohnt Marokko seit Jahren. Um dies zu können, muss
+man aber vor allem der Sprache vollkommen mächtig sein, und man muss es
+verstehen, Demüthigungen und Vexationen, ähnlich wie sie von den
+Mohammedanern den Juden täglich auferlegt werden, zu ertragen. Aber
+keineswegs möchte ich doch empfehlen, wie Hr. Lambert das am Ende seines
+der Pariser geographischen Gesellschaft überreichten Berichtes thut: "die
+Touristen einzuladen, statt nach oft besuchten Gegenden zu gehen, nach
+Marokko zu kommen, um Ausflüge in die Umgegend zu machen". Solche sichere
+Zustände herrschen heute im Innern dieses Landes noch nicht[132].
+
+ [Fußnote 132: Die Folge eines solchen französischen Berichtes
+ verursachte auch den Tod von Alexandrine Tinne. Sie berief sich
+ stets auf die zwischen Colonel Mircher und den Tuareg vereinbarten
+ Verträge, als man ihr rieth nicht ins Land der Tuareg zu gehen;
+ Obschon sie wissen musste, dass diese Verträge nur auf dem
+ französischen Papiere existirten, da von Seiten der mächtigen und
+ besitzenden Tuaregfürsten Niemand erschienen war mit Oberst Mircher
+ zu unterhandeln.]
+
+Ausser diesen vereinzelten Christen und den der Zahl nach genannten Juden
+besteht die Bevölkerung von Marokko aus Berbern, Arabern und Schwarzen.
+Letztere, vorzugsweise wie in ganz Marokko aus Haussa- und Bambara-Negern
+zusammengesetzt, fasst man auch hier unter dem Namen Gnaui zusammen, sie
+sind alle Bekenner des Islam, haben aber viele von ihren einheimischen
+Sitten beibehalten. Dadurch, dass man fast mehr Schellah als Arabisch in
+Marokko reden hört, könnte man versucht sein zu glauben, die
+Berberbevölkerung sei überwiegend. Das ist aber nur anscheinend und
+namentlich an den Markttagen, wo die ganze Landbevölkerung in die Stadt
+hereinkommt, der Fall. Der eigentliche Städter ist arabischer Herkunft, hat
+zwar oft viel fremdes Blut, pocht aber darauf, für einen Araber gehalten zu
+werden. Wie in den übrigen Städten Marokko's findet man auch hier viele
+Bewohner aus den übrigen grossen Ortschaften Nordafrika's, die manchmal
+einzelne Jahre lang, andere auch für immer sich fixiren, oder auch noch im
+Alter, nachdem sie ein kleines Vermögen erworben, in die Heimath
+zurückkehren.
+
+Für die Aussätzigen hat man im Norden der Stadt ein eignes Dorf,
+Harrah[133] genannt; diese, die nur unter sich heirathen, dort eine eigene
+Djemma (Gotteshaus) und eigne Medressen (Schulen) haben, deren Vorstände
+ebenfalls Aussätzige sind, dürfen nie die Stadt betreten. Dagegen sieht man
+dieselben den ganzen Tag vor dem Thore "Dukala" herumlungern, um Almosen zu
+erflehen. Es giebt übrigens auch Begüterte unter ihnen, denn sie treiben
+Industrie, haben ihren eignen Grund, auf dem sie ackern und Gärten bebauen,
+und die übrigen Marokkaner scheuen sich nicht, mit ihnen zu handeln; wenn
+aber Lambert sagt, die Furchtlosigkeit vor den Aussätzigen würde so weit
+getrieben, dass die Stadtbewohner mit den Leprösen aus einer Schüssel
+assen, oder in einem Zimmer schliefen, so ist das wohl übertrieben. In
+diesem Harrah giebt es eine Milha für die aussätzigen Juden.
+
+ [Fußnote 133: Mit diesem Worte bezeichnet man in den östlichen
+ Städten Nordafrika's das Judenquartier.]
+
+Der Handel von Marokko ist gegen den von Fes gehalten gering, es fehlt den
+Marokkanern die Geschicklichkeit und der Unternehmungsgeist. Die einst so
+hoch berühmten Gerbereien von Leder (Corduan, Maroquin, Safian) liegen im
+Verfall, allerdings existiren noch ganze Strassen, wo man nur gelbe und
+rothe Leder, oder davon fabricirte Schuhe kaufen kann, aber das schönste
+Leder wird heute in Fes bereitet. Hauptwichtigkeit hat Marokko im Handel
+für die südwärts gelegenen Atlastheile und die grosse Oase des Ued-Draa. So
+beziehen denn auch sämmtliche Arabertriben, die den beschwerlichen Weg über
+den Atlas scheuen, ihre Dattelvorräthe von Marokko, und die Marokkaner
+holen ihren Vorrath vom Draa.
+
+Schon am dritten Tage Morgens verliessen wir die Stadt wieder. Was mich
+anbetrifft, so hatte ich von derselben höchstens ein Bild gewonnen, so wie
+es der jetzige Reisende mit nach Hause bringt, wenn er die Eisenbahn
+verlässt, um sich in irgend einer Stadt am Wege einen Tag lang aufzuhalten.
+Aus eigner Anschauung hatte ich nur die Märkte bei Abend, die Kutubia und
+die Sauya Sidi-bel-Abbes kennen gelernt.
+
+Der Rückweg wurde auf dieselbe Art gemacht, nur für mich auf angenehmere
+Weise, da einige reiche marokkanische Kaufleute sich der Karavane
+angeschlossen hatten, welche Zelte hatten, und die sich ausserdem täglich
+den Luxus einer Tasse Thee erlaubten, und wenn wir in der Nähe eines Duars
+lagerten, dafür sorgten, dass die ganze Karavane auf ihre Kosten Fleisch
+bekam. Es ist sehr häufig, dass in diesem Lande, wo das Alleinreisen mit
+der grössten Gefahr verbunden ist, sehr reiche Kaufleute sich mit
+Maulthierkaravanen zusammenthun, und dass sie unter dem "Aman", Schutz
+einer solchen "Gofla", Karavane weite Reisen zurücklegen.
+
+Wieder angekommen in Asamor, trennten wir uns, der reichere Theil der
+Karavane zog nach dem Norden, der grösste Theil blieb im Ort selbst, oder
+in der Umgegend, und wir beide zogen längs des Oceans weiter, nachdem wir
+noch einige Tage Rast in der Stadt gemacht hatten. Bis zum nächsten Orte el
+Bridja, d.h. kleine Burg, von den Europäern Masagan genannt, ist gerade
+eine deutsche Meile Weges.
+
+El Bridja, ein länglichtes ummauertes Viereck, wird fast nur von Europäern
+und Juden bewohnt, und der Handel, der in Asamor sein sollte, wird hier
+betrieben. Die Mohammedaner begnügen sich damit ausserhalb der Stadtmauer,
+die übrigens halb in Ruinen ist, in Hütten und Zelten zu wohnen. In el
+Bridja, Masagan, oder wie sie drittens von den Gläubigen genannt wird: Dar
+djedida, d.h. Neustadt[134], ist denn auch ein bedeutender Export-Handel,
+den Beaumier auf 1/8 der Gesammtausfuhr vom Lande anschlägt. Ich traf dort
+über 20 europäische Schiffe auf der Rhede, und wie lebhaft der Handel dort
+florirt, geht am besten daraus hervor, dass in diesem kleinen Orte, wo 1864
+sicher nicht mehr als 1000 Einwohner waren, alle europäische Nationen einen
+Vertreter hatten.
+
+ [Fußnote 134: Diese kleine Stadt scheint sich durch den Reichthum an
+ Namen auszuzeichnen, man hört sie auch El-Maduma, d.h. die
+ Zerstörte, nennen.]
+
+Wir verliessen Masagan und wieder längs des Meeres ziehend, kehrten wir
+Nachts bei Arabern in einem Duar (Zeltdorf) gelagert, ein. Ein neues
+Unglück sollte mich hier erreichen, der Spanier mein Begleiter war Nachts
+mit dem Esel aufgebrochen und hatte das Weite gesucht. Er hatte mir nichts
+zurückgelassen, als was ich auf dem Leibe trug, und ein kleines
+Ledertäschchen, welches ich als Kissen unter dem Kopfe hatte, und worin
+glücklicherweise etwas Geld war. Die Hauptsumme aber, alles was ich an
+Kleidung besass, hatte er aufgepackt und war damit verschwunden.--Es wäre
+unnütz gewesen hinterdreinlaufen zu wollen, zumal ich annehmen musste, dass
+die Leute des Zeltdorfes wohl mit ihm im Einverständnisse gehandelt hatten,
+denn ohne ihr Wollen hätte er sich unmöglich Nachts allein aus dem Duar
+entfernen können. "Mktub er Lah", es war von Gott geschrieben, sagte ich
+nach Sitte der Marokkaner, verliess das Zeltdorf, und erreichte ziemlich
+früh Ualidia.
+
+Dies ist jetzt ein kleines Dorf ohne alle Bedeutung, scheint aber früh eine
+ziemlich bedeutende Stadt gewesen zu sein. Ein Theil der Stadtmauern und
+der Thore sind noch vorhanden. An der Küste befindet sich, südlich vom
+Dorfe, der beste Hafen des ganzen marokkanischen Ufers, wenn derselbe auch
+nicht gross ist. Es ist dieser Hafen lagunenartig, haffartig
+eingeschnitten, der Art, dass die davorliegende Nehrung von Felsen gebildet
+ist. In früheren Zeiten soll dieser Hafen auch benutzt worden sein, jetzt
+liegt derselbe unbeachtet und fast unbekannt da. Verschiedene Reisende,
+welche die Küsten Marokko's besucht haben, haben auch auf die
+Vortrefflichkeit des Hafens von Ualidia aufmerksam gemacht, unter ändern
+Frejus.--Nach Jackson wird Ualidia so genannt, weil es vom Sultan Ualid
+erbaut worden ist.
+
+Ich blieb in diesem Orte nur um zu frühstücken, das Essen wurde mir auf
+zuvorkommende Weise von den Schriftgelehrten der Djemma angeboten, und alle
+erflehten auf mich den Segen Allah's herab, um mich für meinen Verlust zu
+trösten, und zugleich verfehlten sie nicht den Vater des Diebes und ihn
+selbst (in Gedanken und mit Worten) zu verbrennen, zu verfluchen und auf
+ewig zu verdammen. Leider bekam ich dadurch meinen Esel nicht wieder, und
+ihr Segen befreite mich auch nicht vom Fieber. So musste ich Nachmittags
+schon wieder Zuflucht in einem Zeltdorfe suchen, da ich von wahren
+Schüttelfrosten befallen wurde. Am anderen Tage früh aufbrechend, erreichte
+ich nach einem für mich recht anstrengenden Tagesmarsch spät Abends Saffi.
+
+Saffi, wie die Europäer die Stadt, Asfi, wie sie die Eingeborenen nennen,
+liegt in einer weiten nach Westen offenen Bucht, deren äusserster Nordpunkt
+vom Cap Cantin gebildet wird. Die Stadt liegt unmittelbar am Ocean, ist von
+Mauern umgeben, besitzt an der Nordseite ausserdem eine Kasbah und hat ca.
+3000 Einwohner, darunter einige Hundert Juden und ca. 50 Christen. Asfi
+wurde 1508 von den Portugiesen erobert, und sie blieben im Besitze der
+Stadt bis 1541, in welchem Jahre sie dieselbe freiwillig aufgaben. Chénier
+führt an mehreren Stellen an, die Portugiesen hätten Asfi 1641 verlassen,
+was aber wohl irrthümlich ist, wenn man anders nicht nachweisen kann, dass
+sie es zum zweiten Male genommen. Das beim Cap Cantin anfangende oder
+endigende Gebirge Dj. Megher tritt, Asfi umgehend, zurück, sendet aber
+kleine Ausläufer bis dicht zur Stadt, dadurch wird die Ufer-Gegend weniger
+einförmig, und das Gebirge selbst muss seines reichen Baumschmuckes halber
+je näher man kommt desto romantischer sein.
+
+Ich fand in Asfi alle Funduks besetzt, fand aber bei einem Juden
+Unterkommen. Mein erster Gang war zum englischen Consul Mr. Carstensen,
+denn so sehr ich sonst auch mied, mit Europäern in Berührung zu kommen, so
+zwang mich andererseits mein Zustand, mich auf alle Fälle wieder in den
+Besitz von Chinin zu setzen. Ich fand selbstverständlich den freundlichsten
+Empfang, nicht nur fand ich das ersehnte Medicament, auch mit einer kleinen
+Geldsumme half Hr. Carstensen (die ich ein Jahr später die Freude hatte,
+ihm persönlich in Tanger zurückerstatten zu können) auf edelmüthige Art
+aus. Ehemaliger dänischer Officier, hatte Mr. Carstensen später in dem
+Krimkriege unter den Engländern Dienste genommen, und war durch
+Verheirathung in die englische Consulatscarrière gekommen. Seine Einladung,
+auf dem Consulate zu logiren, schlug ich indess wohlweislich aus, ebenso
+verführten mich auch nicht die Anerbietungen des französischen Consuls,
+dessen beiden Söhne, obschon Christen, auffallenderweise immer in
+marokkanischer Tracht gingen. Aber das Essen, welches mir Hr. Carstensen
+nach meinem Judenquartier während meines Aufenthaltes schickte, Teller,
+Messer und Gabeln, Servietten und Wein fehlten auch nicht, liess ich mir
+herrlich schmecken. Seit zwei Jahren das erste Mal, dass ich das Essen
+nicht direct mit _den Fingern_ in den Mund zu bringen brauchte.
+
+Ich blieb zwei Tage in dieser regen Handelsstadt, auf welche nach Beaumier
+1/8 des gesammten Seehandels kommt. Auf der Rhede lagen auch hier mehrere
+europäische Kauffahrer.
+
+Der Weg von Asfi bis zum Fluss Tensift ist äusserst beschwerlich; wenn
+Fluth ist, tritt das Wasser nämlich dicht an die Felsen, und über diese
+muss man dann bergauf bergab klettern, da das Gebirge gegen das Meer hin
+sich durch zahllose Rinnsale zerklüftet. Man braucht von der Hauptstadt der
+Landschaft Abda, d.h. von Asfi bis zum Ued-Tensift, der zugleich die Grenze
+der Landschaft Schiadma ist, 6 Wegstunden.
+
+Obschon die Mündung des Tensift sehr breit ist und hohe abschüssige Ufer
+hat, kann man sie zur Zeit der Ebbe durchwaten. Aber die Eingebornen müssen
+zur Hand sein, um die Stelle zu zeigen. Das äusserste rechte Ufer wird
+gebildet durch den südlichen Vorsprung des Megher-Gebirges, welches
+eigentlich mit dem Hadid-Gebirge Eins ist, denn am linken Ufer des Tensift
+zeigen die Gesteinmassen des Dj. Hadid so vollkommene Uebereinstimmung mit
+dem Megher-Gebirge, dass man zur Annahme berechtigt ist, der Ued-Tensift
+habe diesen Gebirgszug durchbrochen, um das Meer zu gewinnen. Einen Ort
+Rabat el Kus, wie er im Maltzan und auf verschiedenen Karten an der Mündung
+des Tensift angegeben ist, fand ich nicht. Hingegen stiess ich (das
+Uebersetzen hatte viel Zeit weggenommen) auf dem linken Ufer auf die kleine
+Sauya Sidi el Hussein, in der ich freundliche Aufnahme fand und nächtigte.
+Höchst romantisch nahmen sich von hier ca. 1 Stunde entfernt, im Osten die
+Ruinen einer alten Burg, Namens Kasbah Hammiduh, aus. Mitten im Walde auf
+schroffem Felsen gelegen, hatte es ehemals wohl die Aufgabe, die Einfahrt
+in den Tensift zu vertheidigen.
+
+Die Gegend wird jetzt immer abwechselnder, tiefe Buchten, welche das Meer
+macht, bewaldete Bergabhänge, entschädigen für den langweiligen Marsch auf
+dem weissen Sande des Strandes. Ich nächtigte noch einmal bei einer
+Grabkapelle Sidi Abd Allah Bettich und erreichte sodann am dritten Tage
+nach meiner Abreise von Asfi am Morgen früh die Stadt Ssuera oder Mogador.
+
+Mogador ist eine Schöpfung neuester Zeit. Ob der Ort Tamusiga des
+Ptolemaeus oder, wie Knötel will, Suriga hier gelegen hat, lasse ich dahin
+gestellt sein. Letzterer meint, der Name Ssuera sei von Suriga abgeleitet.
+So ähnlich nun auch beide Namen sind, so dürfte die Etymologie de Laporte's
+die richtigere sein. Er leitet Ssuera von Ssura Bildniss her, Ssuera würde
+dann kleines Bild bedeuten, und da in Marokko manchmal mit dem arabischen
+Diminutiv etwas Hübsches, Niedliches, verbunden gedacht wird, so würde
+Ssuera "liebliches Bildchen" bedeuten. Diese Herleitung des Wortes Ssuera
+von Ssura hat um so mehr Wahrscheinlichkeit, als die Berber die Stadt
+Tassurt nennen und dies bedeutet in der Berbersprache ebenfalls ein
+hübsches Bildchen.
+
+Der Name Mogador kommt ohne Zweifel vom Grabmal des Heiligen Sidi Mogdal
+oder Mogdur her, dessen Kapelle sich südlich vom jetzigen Orte in nicht
+weiter Ferne befindet. Wenn übrigens die Stadt Mogador erst 1760 vom Sultan
+Mohammed-ben-Abd-Allah gegründet, und wie eine noch am Hafen befindliche
+Inschrift bekundet 1184 (1773 nach J.C.) vollendet wurde, so wissen wir aus
+den Berichten der Väter der Provinz Touraine, dass der Name Mogador, den
+sie auf die vor Mogador liegenden Inseln anwenden, schon bedeutend früher
+vorkommt; ja, man findet Hafen und Insel Mogador schon auf der
+catalanischen Karte von 1375 eingetragen[135].
+
+ [Fußnote 135: Renou p. 43.]
+
+Die Stadt liegt auf einer kurzen, flachen und nach Südwest ins Meer sich
+senkenden Landspitze. Vor der Bucht, welche so gebildet wird, zieht sich
+dann eine grössere Insel hin, und weiter nach Süden und dem Lande näher,
+noch vier kleine Eilande. Die grosse Insel ist durch ein Fort befestigt,
+das aber jetzt nur marokkanische Sträflinge enthält, und seit dem
+Bombardement des Prinzen Joinville am 14. August 1844 nur äusserst
+nothdürftig wieder hergestellt ist. Eine der kleineren flachen Inseln hat
+ebenfalls eine Fortification. Die Stadt, selbst, fast viereckig von Form,
+ist eigentlich nach der Seeseite zu befestigt, denn die Mauern nach der
+Landseite zu, etwa 20' hoch sind kaum 6' dick und aus dem schlechtesten
+Material erbaut. Nach der Wasserseite aber ist die Kasbah mit ca. 30' hohen
+Mauern und Bastionen, und diese Kasbah, worin der Gouverneur, die Consuln,
+vornehme Christen und Juden wohnen, ist auch von der eigentlichen Stadt
+durch eine gleich hohe Mauer getrennt. Diese hat breitere und vollkommen
+gerade Strassen und nur einstöckige Wohnungen, während in der Kasbah die
+Strassen zwar auch gerade, aber eng sind, was noch um so mehr hervortritt,
+weil die Häuser der Kasbah meist mehrere Stock haben. Der Marktplatz des
+Ortes hat Säulengänge, ähnlich wie in L'Araisch.
+
+Die Zahl der Bevölkerung dürfte 10-12000 Seelen incl. der Juden und
+Christen betragen. Dass Mogador, obschon am entferntesten von Europa
+gelegen, bislang von allen marokkanischen Häfen den bedeutendsten Handel
+hatte, verdankt es nicht allein den Anstrengungen der marokkanischen
+Regierung, sondern zum Theil seinem reichen Hinterlande; dann auch weil
+Agadir den Europäern verschlossen worden ist, und somit alle Producte der
+Landschaften südlich vom Atlas, ja von einem Theile des Sudan her, hier
+zusammenströmen. Indess dürfte Tanger, was Werth und Menge der Aus- und
+Einfuhr anbetrifft, wohl bald Mogador überflügeln. Importirt werden hier
+besonders Baumwollenstoffe und Thee aus England, Zucker aus Belgien und
+Frankreich, Tuche, Wachszündhölzchen und Stearinlichte aus Frankreich
+(letztere, sowie auch Salonzündhölzchen, ebenfalls aus Wien), Bretter aus
+Oesterreich, Stahlwaaren und Waffen aus England und Deutschland, endlich
+eine Menge kleinerer Sachen aus Deutschland, welche aber nur durch
+Zwischenhandel dahin gelangen. Exportirt wird Getreide, hauptsächlich
+Weizen, Gerste und Mais, trockne Hülsenfrüchte, besonders Saubohnen,
+Thierfelle, Schafwolle, und an Früchten Mandeln, Datteln, Oliven; aus dem
+Sudan werden Federn und Elfenbein gebracht, Gummi kommt heute in Mogador
+wohl kaum mehr zum Export. Ebenso hat die Sclavenausfuhr von hier, die in
+den dreissiger Jahren auch von deutschen Schiffen unter dem Namen von
+"Ebenholzhandel" stark betrieben wurde, ganz aufgehört.
+
+Mogador hat wirkliche Consuln aller Mächte, mit Ausnahme des Deutschen
+Reiches.
+
+Ich hatte mir in einem Funduk ein leidliches Zimmer zu verschaffen gewusst
+und blieb einige Tage in der Stadt, um meine Gesundheit wieder etwas
+herzustellen. Der englische Consul versorgte mich mit Chinin.
+
+Und dann sagte ich mit Mogador dem letzten Hauche der Civilisation
+Lebewohl; ich wusste, weiter nach dem Süden zu sei kein Christ mehr
+anzutreffen, ich wusste sogar, dass weiter nach dem Süden zu mir die
+arabische Sprache mit Ausnahme in den Städten, nichts mehr nützen
+würde.--Sobald man die Stadt verlässt, befindet man sich in grossen
+Sandpartien neueren Ursprunges, in Dünen, welche in jüngster Zeit aus
+dem Meere ausgeworfen sein müssen. Ich wanderte zum südlichen Thore
+hinaus, ganz ohne Begleitung. Einige, besonders Juden und Christen,
+hatten mir den Weg bis Agadir sehr gefahrvoll vorgestellt; andere,
+Mohammedaner, meinten, ich habe nichts zu fürchten. Nachdem man eine
+halbe Stunde von der Stadt entfernt die Kubba Sidi-Mogdal's passirt hat,
+des Heiligen, welcher der Stadt den Namen gegeben hat, und der besonders
+bei der weiblichen Bevölkerung in grosser Verehrung steht, erreicht man
+zwei halb vom Sande verschlungene Schlösser des Sultans.
+
+Der Weg, der sich Anfangs gen Süden längs des Meeres hinzieht, wendet sich
+bald darauf nach Osten und die Dünen erreichen ihr Ende. Statt dessen kommt
+man in einen dichten 10-12' hohen Binsenwald. Die Bewohner flechten Matten
+und Körbe aus diesen Binsen, die jedoch bei Weitem nicht so dauerhaft sind,
+wie jene aus den Blättern der Zwergpalme oder aus Halfa. Dieser Binsenwald
+ist 3 Stunden breit, dann erreichte ich Mittags eine gut ummauerte Quelle
+mit herrlichem Trinkwasser.
+
+Von hier an nahm nun die Gegend einen ganz anderen Charakter an; wilde
+Oliven, immergrüne Eichen, Lentisken- und Lotusgebüsche wurden immer
+seltener, dagegen trat aber ein Baum, der Argan, welcher in den
+Landschaften von Dukala, Abda, Schiadma nur vereinzelt auftritt, hier
+derart seine Herrschaft an, dass man wohl annehmen muss, diese Landschaft
+Haha, welche die westlichsten Ausläufer des Atlas in sich begreift, sei die
+eigentliche Heimath dieses nützlichen Baumes. Eigenthümlich genug, findet
+sich dieser Argenbaum nur in diesen Gegenden, sonst _nirgendwo_ auf
+der Erde. Der Elaeodendron Argan hat in der Regel die Grösse unserer
+Obstbäume, mit dem Oelbaume hat er aber, obschon andere Reisende ihn damit
+verglichen haben, keine Aehnlichkeit. Das helle saftgrüne Blatt gleicht
+vielmehr den Myrtenblättern. Die Frucht selbst, von der Grösse einer Olive,
+sieht, wenn vollkommen reif, hochgelblich aus und hat einen widerlich
+süssen Geschmack, für Menschen ist sie vollkommen ungeniessbar. Aber desto
+mehr wird sie von den auf den Bergabhängen weidenden Ziegen und Schafen
+aufgesucht. Und da der Baum das ganze Jahr hindurch nach und nach Früchte
+zeitigt, so hat man hier die fettesten und schönsten Heerden. Der braune
+faltenreiche Stein der Frucht, länglich von Gestalt und so gross wie ein
+Aprikosenkern, schliesst einen weissen Kern ein, der äusserst bitter
+schmeckt, aber ein sehr gutes Oel liefert, das in diesen Gegenden allgemein
+von den Eingeborenen zur Speisebereitung benutzt wird. Auch in Mogador wird
+das Oel von den Eingeborenen benutzt, von den Europäern aber nicht. Ich
+selbst habe es natürlich immer essen müssen, und fand, hat man sich erst
+etwas an den eigenthümlich angebrannten oder räucherigen Geschmack gewöhnt,
+das Oel vollkommen geniessbar. Der Arganbaum erreicht bisweilen die Höhe
+und den Umfang, dass seine Stämme als Nutzholz verwerthet werden können.
+Für die Zukunft, d.h. wenn Marokko in den Kreis der Civilisation wird
+gezogen worden sein, dem es sich auf die Dauer ebenso wenig wie ein anderes
+Land wird entziehen können--wird dieser Baum der Landschaft Haha eine
+grosse Rolle spielen. Leider denken jetzt die Eingeborenen so wenig daran,
+materiell ihre Lage zu verbessern, dass sie es verschmähen, die Früchte des
+Arganbaumes, von dem es ausgedehnte und dichte Waldungen giebt, zu sammeln
+und zu Markte zu bringen, sondern es vorziehen, sie meist auf dem Boden
+verfaulen zu lassen.
+
+Ich übernachtete in einer Sauya, wo nur der Thaleb Arabisch verstand, alle
+übrigen, Berber ihrer Nationalität nach, sprechen und verstanden nur
+Schellah. Es war hier das letzte Dorf, wenn man einige Hütten und Zelte,
+die sich um die Sauya herum gruppirt hatten, so nennen will. Denn wenn die
+Gegend schon dadurch einen eigenthümlichen Reiz bekömmt, dass der im
+herrlichsten Grün prangende Arganbaum so vorwiegend sein Reich hier inne
+hat, so wird man andererseits, je weiter man in Haha nach dem Süden zu
+vordringt, durch die eigenthümliche Bauart, durch das merkwürdige Wohnen
+der Eingebornen berührt. Im Norden vom Atlas, im eigentlichen Marokko
+(Rharb el Djoani) wohnen alle Eingeborenen, einerlei ob Berber oder Araber,
+entweder in Häusern aus Stein zu Städten und Dörfern _vereint_, oder
+in Zelten zu Zeltdörfern _vereint. Einzelne_ Wohnungen,
+_einzelne_ Zelte findet man fast nie. Hier ist nun Alles anders. Man
+glaubt sich plötzlich ins Mittelalter zurückversetzt, die kleinen Berge und
+fast jeden Hügel sieht man von einer grossen kastellartigen Burg gekrönt.
+Sei es nun, dass es von jeher diesen Berbern gefallen hat so zu wohnen, sei
+es, dass die grosse Unsicherheit der Gegend, die steten Feindseligkeiten
+der einzelnen Stämme und Familien, ein solches _befestigtes_
+Wehrsystem nothwendig machte, gewiss ist es einzig in seiner Art. Denn die
+Städte, Dörfer, Zeltdörfer oder _unbefestigte einzelne_ Wohnungen
+fehlen ganz und gar. Vier, fünf oder noch mehr Familien bewohnen solche
+kastellartige Schlösser, welche meist viereckig von Form eine Höhe von 20
+bis 30 Fuss haben. Fast alle haben an zwei Ecken hohe flankirende Thürme,
+und fast alle haben oben auf der Umfassungsmauer Zacken. Sie sind aus
+soliden Steinen mit Mörtel aufgeführt, haben einen schmalen Graben,
+besitzen nur Ein Thor, welches in der Regel durch eine Zugbrücke von dem
+umgebenden Terrain erreicht wird.
+
+Im Innern dient der ganze untere Raum, sowie der grosse Hof fürs Vieh, die
+Menschen haben in der zweiten Etage, die einen gewölbten Boden hat, ihre
+Stätte, zu der man mittelst einer Leiter, die man im Nothfalle nach sich
+ziehen kann, hinaufkömmt; jede Familie hat nur ein Zimmer.
+
+Da die hier vom grossen Atlas entspringenden Flüsschen alle nur im Winter
+Wasser fortschwemmen, so haben die Eingeborenen für Cisternen gesorgt, die
+man manchmal am Wege, manchmal an irgend einer Oertlichkeit, die den
+Erbauern günstig schien, eingerichtet findet. Diese Cisternen sind ganz in
+der Art und Weise gebaut, wie die der Römer. Es sind 15 bis 20 Fuss lange,
+5 bis 10 Fuss breite, 20 Fuss tiefe und aus behauenen Steinen ausgemauerte
+Gruben, die oben _überwölbt_ sind. Durch ein kreisrundes Loch wird
+mittelst eines Eimers das Wasser heraufgeholt, welches selbst, aus
+Regengüssen oder aus einem Rinnsale gesammelt, mittelst eines anderen
+Loches hineinfliesst. Cisternen mit mehreren Abtheilungen sind mir nicht zu
+Gesichte gekommen, indess mögen sie auch vielleicht existiren. Einzelne
+dieser Wasserbehälter, und dieses sind die schlechteren, scheinen aus
+verhältnissmässig neuer Zeit herzustammen, die Mehrzahl aber trägt ein sehr
+altes Gepräge an sich.
+
+Am zweiten Tage hielt ich der grossen Strasse (d.h. man muss dabei an
+marokkanische Strassen denken) folgend durchaus südliche Richtung, es ging
+bergauf bergab, denn ich hatte alle die unzähligen, oft breiteren, oft
+schmäleren westlichen Abhänge des Atlas zu übersteigen. Dabei war man
+fortwährend im herrlichsten Arganwald, und hin und wieder tauchten
+Schlösser und Burgen, oder auch nur die hohen Wartthürme derselben vor
+meinen erstaunten Augen auf. Mittags desselben Tages hatte ich noch
+Gelegenheit, in einem solchen Schlosse einer Hochzeit beizuwohnen. Schon
+von Weitem hörte ich durch den Wald die Musik, vorzüglich das Trommeln und
+das Ui-Ui-Ui der alten Weiber. Ich ging dem Lärm nach, und kaum hatte mich
+die lustige Gesellschaft erblickt, als ich mit "Willkommen, Willkommen"
+begrüsst wurde. Die Berber halten es für ein gutes Zeichen, wenn wirkliche
+Fremde von weither zu einer Hochzeit sich einstellen. Man war am zweiten
+Tage; die Braut, das Kind einer fremden Burg, war noch nicht geholt; es
+geschieht das erst am dritten Tage. Dagegen amusirten sich die
+beiderseitigen Anverwandten auf Kosten des Vaters des Bräutigams ungeheure
+Quantitäten von Nahrung zu vertilgen, dabei wurde getanzt (von Sclavinnen,
+mit denen sich die Berber nicht nach Art der Araber vermischen), musicirt
+und allerlei Allotria getrieben. Der Bräutigam selbst, ein junger hübscher
+Mann von etwa 25 Jahren vom Stamme der Ait-Ischar, sass in einem neuen
+Gewande, schweigend auf einer Erhöhung. Mit Ausnahme einiger Redensarten
+verstand Niemand Arabisch, selbst ihr Schriftgelehrter sprach die
+Religions- und Schriftsprache nur sehr mangelhaft. Es war daher sehr schwer
+für mich, mich mit ihnen näher einzulassen. Sie hatten übrigens bald genug
+herausgebracht, dass ich grossen Hunger hatte, und ein reichliches Mahl von
+Kuskussu, von Brod, Butter und Honig half dem ab. Aber wahrscheinlich hatte
+ich der Mahlzeit auf zu berberische oder arabische Weise gehuldigt, d.h.
+meinen Magen überladen (ich hatte seit dem Abend vorher nichts genossen);
+denn kaum hatte ich meine Wanderung südwärts wieder angetreten, als ich vom
+heftigsten Fieber abermals überfallen wurde.
+
+Nur mit Mühe ging es vorwärts, aber da ich mitten im Walde war, musste ich
+Abends ein Unterkommen zu erreichen suchen. Gerade als die Sonne untergehen
+wollte, entdeckte ich ein stattliches Schloss, wanderte den Hügel hinauf,
+und obschon die Leute kein Wort von dem verstanden, was ich wollte, merkten
+sie doch, ich wünsche nur ein Unterkommen, und das gaben sie mir.
+
+Am anderen Morgen befand ich mich bedeutend besser, ich hatte eine grosse
+Gabe Chinin genommen, und das Fieber war endlich gewichen. Der Weg hielt
+dieselbe Richtung, die Berge wurden nun immer wilder und höher, aber die
+Gegend gleich gut bevölkert und reich mit hellgrünen Arganbäumen bewaldet.
+Das leere Bett des Ued-Tamer wurde durchstiegen, der stärkste und längste
+Gebirgsausläufer des Atlas, der Dj. Ait-Uakal (Cap Gher) erreicht, und
+sobald ich den Kamm dieses Höhenzuges überschritten hatte, wandte sich der
+Weg nach Westen und bald darauf hatte ich das Meer erreicht. Es war
+Nachmittags, als ich es endlich zu Wege gebracht hatte, die steile Küste
+hinabzuklimmen, mit grösstem Staunen aber bemerkte ich, wie gleich darauf
+ebenfalls eine Karavane, aus beladenen Eseln und Maulthieren bestehend,
+diesen Weg herabklomm. Hatte ich gewollt, so würde ich wohl noch am selben
+Tage Agadir erreicht haben, aber meine Schwäche nöthigte mich Zuflucht in
+einer dicht am Meere gelegenen Burg zu suchen.
+
+Am anderen Morgen längst des Meeres weiter gehend, erreichte ich gegen 10
+Uhr Fonti, das Dorf, welches am Fusse des Berges gelegen ist, auf dem sich
+Agadir oder Santa-Cruz befindet. Das Dorf Fonti hat seinen Namen von einer
+Quelle, die sich auf dem Berge von Agadir etwas unterhalb der Stadt
+befindet, die Portugiesen nannten die Quelle Fonte, woraus die Eingebornen
+Fonti machten und dies Wort auch auf das Dorf am Strande ausdehnten. Ich
+war anfangs der Meinung diese Oertlichkeit sei die Stadt Agadir, da wegen
+des starken Nebels, welcher die ganze obere Partie des Berges einhüllte,
+nichts von Gebäuden zu erblicken war.
+
+Fonti selbst ist nur ein ärmliches Nest aus kleinen Hütten, ist aber
+dennoch auf gewisse Art befestigt. Nach der Landseite zu wird es durch den
+Berg von Agadir und zwei Mauern, die sich längs des Berges hinaufziehen,
+geschützt, nach der Seeseite war der Ort offen, weil er der Aermlichkeit
+selbst wegen keinen Angriff zu fürchten hatte. Nach dem Kriege mit Spanien
+scheint aber Sultan Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman anderer Meinung
+geworden zu sein.
+
+Irren wir nicht, so existirte ein geheimer Vertrag in den Friedensartikeln,
+wonach die Marokkaner diesen Ort, d.h. Agadir, den Spaniern abtreten
+sollten, oder jedenfalls war die Rede davon, dass die europäischen Mächte
+wieder das Recht haben sollten hier Consuln zu installiren. Aber nach Sitte
+der Marokkaner dachte man nicht daran sein Wort zu halten. Aufs Eifrigste
+war man deshalb beschäftigt den Ort Fonti durch massiv steinerne Batterien
+auf europäische Weise zu befestigen, und leider waren es spanische
+Renegaten, die sich zu diesen Arbeiten hergaben. Auch bei der
+_Quelle_, Fonti wurden neue Batterien errichtet.
+
+Ob nun aber diese Befestigung dennoch hinlänglich sein wird, auch nur ein
+einziges Kanonenboot vom Bombardement und von der Zerstörung der Werke
+abzuhalten, möchte ich bezweifeln. Sonst hat der untere Ort, dessen
+Einwohner ausschliesslich vom Fischfange leben, noch Bedeutung als
+Zollstation, alle Waaren, die aus dem Sus, dem Nun und südlich davon
+gelegenen Districte kommen, müssen hier ihren Eingangszoll zahlen, so dass
+bei Agadir die eigentliche politische Grenze des Kaiserreiches ist. Sobald
+die Sonne die Nebel zertheilte, zeigte sich hoch oben auf dem Berge Agadir,
+und ich machte mich auf, den steilen Berg zu erklimmen.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+14. Reise südlich vom Atlas nach der Oase Draa
+
+ * * * * *
+
+Die eigentliche Stadt liegt auf einem nach allen Seiten fast gleich
+abschüssigen Berge, der eine Höhe von 800 Fuss[136] über dem Meere haben
+mag. Sie bildet ein längliches Viereck, dessen schmale Seite dem Meere
+zugewandt ist. Die hohen krenelirten Mauern sowie die Bastionen, die jene
+unregelmässig flankiren, sind, obgleich in gutem Zustande was das Aeussere
+anbetrifft, doch aus schlechtem Material aufgeführt, so dass sie die Stadt
+fast ohne Widerstand gegen einen Angriff der Europäer lassen würden. Ebenso
+sind die wenigen Kanonen, die sich in den Batterien befinden, ihres Alters
+wegen fast unbrauchbar.
+
+ [Fußnote 136: Nach Arlett 198 Meter.]
+
+Die Stadt Agadir wurde um 1500 von einem portugiesischen Edelmann[137]
+gegründet. Man nannte die Stadt Santa-Cruz, während die Berber den Ort
+Tigimi-Rumi, die Araber ihn Dar-Rumia nannten. Einige Zeit später erwarb
+der König von Portugal die Veste, und liess den Namen Santa-Cruz bestehen.
+Zur Zeit Leo's war der Ort noch im Besitze von Portugal, Leo nannte den Ort
+Gargessem. Im Jahre 1536 wurde die Festung vom Scherif Mulei Ahmed erobert,
+und blieb seitdem immer im Besitze der Marokkaner. Schon 1572 liess Mulei
+Abdallah eine Batterie bei den Quellen "Fonti" errichten.
+
+ [Fußnote 137: Siehe Renou p. 36.]
+
+Der Name Agadir, der offenbar gleich nach Eroberung der Stadt durch die
+Marokkaner gang und gäbe wurde, bedeutet in der Tamasirht-Sprache
+"Umfassungsmauer," auch "Festung". Renou p. 38 fügt noch hinzu: "Da Agadir
+ein generischer Name ist, sollte man noch einen zweiten, um denselben zu
+vervollständigen, erwarten. In der That nennt sich die Stadt, die uns
+angeht, Agadir-n-Ir'ir, die Festung des Ellenbogen, d.h. des Vorgebirges"
+etc. etc.
+
+Was das Innere der Stadt anbetrifft, so sind alle Häuser, ausgenommen das
+der Regierung, welches der Kaid bewohnt, sowie die Djemma, die sich in
+gutem Zustande befindet, halb oder ganz verfallen. Ich glaube die
+Einwohnerzahl schon zu gross anzugeben, wenn ich sie auf 1000 Seelen
+schätze[138]. Gråberg di Hemsö glaubt kaum 600 Einwohner annehmen zu
+dürfen. In neuerer Zeit hat sich der Ort aber etwas gehoben, so dass jetzt
+vielleicht gegen 1000 Menschen in Agadir und Fonti leben mögen.
+
+ [Fußnote 138: Davidson sagt, Agadir habe bloss 47 Muselmanen und 62
+ Juden.]
+
+Der zweimalige Markt, der in der Woche ausserhalb vor dem einzigen Thore
+der Stadt abgehalten wird, führt derselben einigen Handel zu, und es sind
+hauptsächlich die Juden, die für die kleinen Bedürfnisse der Stadt sowohl
+als auch des umliegenden Landes Sorge tragen.
+
+Die Stadt liegt auf der südwestlichsten Seite des Atlas, und während nach
+Osten und Norden hin das Auge Nichts wahrnimmt, als sich übereinander
+häufende Berge, verliert sich nach dem Süden zu die Aussicht in die
+unendliche Ebene, die den Ued-Sus vom Ued-Nun trennt. Der Ued-Sus selbst
+ergiesst sich eine halbe Stunde südlich von der Stadt in die Meeresbucht.
+Diese ist die vortrefflichste von ganz Marokko. Gråberg di Hemsö sagt: "Der
+Hafen von Agadir ist der schönste der ganzen Küste, und der werthvollste
+für den Handel mit Innerafrika, namentlich wenn er in Händen einer
+europäischen Macht sich befände, die denselben sehr leicht erwerben und
+davon immer mehr Vortheile würde ziehen können." So sehr wir mit Hemsö, was
+die Geräumigkeit der Bucht anbetrifft, übereinstimmen, so sehr möchten wir
+bezweifeln, dass es heute leicht sein würde den Hafen käuflich von Marokko
+zu erwerben, obschon auch wir überzeugt sind, dass für den Handel kein
+Hafen erbiebiger [ergiebiger] sein würde als Agadir.
+
+Gleich beim Eintritt in die Stadt wurde ich überrascht, indem ich über dem
+Thore neben einer arabischen Inschrift eine mit lateinischen Buchstaben
+geschriebene bemerkte; ich war so glücklich sie später unbemerkt copiren zu
+können. Sie lautet:
+
+ VREEST . GOD . ENDE
+ EERT DEN KONING
+ 1746.
+
+Man darf wohl annehmen, dass diese Inschrift von einem Renegaten, der
+wahrscheinlich Maurer oder Steinhauer von Profession war, verfertigt wurde.
+
+In Agadir angekommen, begab ich mich zuerst nach einem Kaffeehause, um dort
+nach dem Funduk Erkundigungen einzuziehen; zu meinem Erstaunen erfuhr ich,
+dass ein solches nicht vorhanden sei, und auch dies deutet genugsam die
+Unbedeutendheit des Ortes an. Der Abkömmling eines Spaniers hatte indess
+die Liebenswürdigkeit, mir seine Tischlerwerkstätte als Wohnung anzubieten,
+was ich dankbarlichst annahm. Ausserdem was Kleidung, Gebräuche und Sitten
+anbetrifft ganz Marokkaner geworden, war er der gastfreundlichste Mann, und
+schickte täglich aus seiner Wohnung einige Speisen. Aber ich hatte nicht
+nöthig in dieser Beziehung dem guten Manne zur Last zu fallen, denn der
+Kaid der Stadt sandte mir täglich zu essen oder ich speiste in seiner
+Wohnung.
+
+Derselbe hatte nämlich kaum meine Ankunft in Erfahrung gebracht, als er
+mich rufen liess. Ich glaubte schon, es gälte ein Examen zu bestehen: wer
+ich sei, wes Landes, wohin ich wolle, was ich treibe u. dgl. m.
+
+Aber davon war keine Rede. Der arme Mann war stark erkrankt, und da sollte
+Rath geschafft werden. Glücklich für mich konnte ich Linderung bringen, und
+von dem Augenblicke an war ich in Agadir ein gern gesehener Gast.
+
+Meine eignen Fieberanfälle stellten sich aber wieder ein, wohl
+hervorgerufen durch die starken Nebel, die um diese Jahreszeit täglich dort
+herrschten. Es ist auffallend, wie kalt die Luft in Agadir war, selten
+durchdrang die Sonne den Nebel vor Mittag und die Leute versicherten, dass
+selbst im hohen Sommer diese starken Nebel selten vor Mittag zerstreut
+würden.
+
+Ich blieb sieben Tage in Agadir und konnte mich hinlänglich erholen. Vom
+Verlassen des Ortes, um spazieren zu gehen, konnte nicht die Rede sein, da
+die ganze Gegend äusserst unsicher ist. Unsicherer wird sie noch dadurch,
+dass Schmuggler in den Gebirgsabhängen oberhalb von Agadir ihr Wesen
+treiben. Der Ort Fonti am Meere ist nämlich, wie gesagt, das eigentliche
+Eingangsthor für die directen Karavanen vom Sudan, wenigstens für die,
+welche den Weg über Nun eingeschlagen haben.
+
+Ich schloss mich sodann einer durchpassirenden Karavane an, um mit ihr nach
+Tarudant zu gelangen. Denn wenn man auch von hier noch nicht Wassermangel
+zu befürchten hat, so herrscht das Faustrecht dennoch so sehr, dass es
+gerathen schien in Gesellschaft zu reisen. Gerade am selben Tage hatte ich
+in Fonti noch Gelegenheit mich zu überzeugen, wie wenig fremdes Eigenthum
+respectirt wird: zwei Fremde kamen vollkommen ausgeplündert, sogar ihrer
+sämmtlichen Kleider beraubt in die Stadt geflüchtet. Gewiss ist hier nur
+die reine Raubsucht der Berber der Beweggrund zu solchen Handlungen,
+keineswegs aber Mangel. Man könnte den Rlnema am Ued-Ssaura entschuldigen,
+wenn er ein Räuber ist, weil er in einer der ärmsten Gegenden der Welt
+lebt, aber das Land am Sus ist eins der reichsten in ganz Marokko.
+
+Wir brachen Nachmittags von Fonti auf, und machten Abends nach
+Sonnenuntergang Halt in einem Dorfe; Duar, d.h. Zeltdörfer, findet man in
+diesem Theile südlich vom Atlas nicht, die ganze Bevölkerung ist sesshaft.
+Und gleich hier am ersten Tage unserer Reise sollten wir einen recht
+greiflichen Beweis der Räubereien dieser Völker haben: es wurde uns Nachts
+ein Kameel gestohlen. Wenn man nun bedenkt, dass die Kameele Nachts mit
+fest zusammengebundenen Vorderbeinen im Kreise lagen, so kann man sich
+einen Begriff von der Schlauheit und Kühnheit der Diebe machen. Ich sah das
+Thier forttreiben im schnellsten Galopp, wir machten uns gleich auf, man
+schoss, aber Alles war bei der Dunkelheit der Nacht vergebens. Als am
+anderen Morgen die Eigenthümer der Karavane beim Schich der Oertlichkeit
+klagten, der würdige Mann hiess el-Hadj-el-Arbi, versprach er Alles zu thun
+die Diebe ausfindig zu machen, aber weitere Erfolge wurden nicht erzielt.
+Zum Glück für die Besitzer des verlorenen Kameels waren die anderen Thiere
+stark genug, um die Ladung des verlorenen, die aus 4 Centner Zucker
+bestand, aufnehmen zu können. Mit dem Kameele waren aber 90 Metkal = 170
+Fres. verloren.
+
+Ich wurde nun zum ersten Male recht in das Karavanenleben eingeweiht, das
+einfache Frühstück aus Sesometa (geröstete Gerste, die grob gemahlen in
+Schläuchen mitgeführt wird, man geniesst sie, indem man Salz, Arganöl oder
+Olivenöl zusetzt, ganz arme Leute setzen bloss Wasser zu), das Treiben der
+Kameele, Abends das Brodbacken, oder erreicht man ein gastliches Dorf,
+Bewirthung durch die Bewohnerschaft--das ist der gewöhnliche Gang der
+Sus-Karavanen.
+
+Der Weg, der sich fortwährend in östlicher Richtung hinzieht, und meist dem
+Flusse parallel ist, gehört zu einem der schönsten, was die Reichhaltigkeit
+der Natur anbetrifft, den man sich nur denken kann. Als Lempriere diese
+herrliche Natur durchzog, er giebt die Distanz von Santa-Cruz (Agadir) nach
+Tarudant auf 44 engl. Meilen an, muss er sehr übler Laune gewesen sein. Er
+sagt davon weiter nichts: ich hatte einen schönen, aber langweiligen Weg,
+da wir nichts als Haiden und Waldungen zu durchwandern hatten. Und doch
+kann man diese herrlichen Ebenen nur mit der lombardisch-venetianischen des
+Po vergleichen. Freilich fehlt der mächtige Strom, aber wie entzückend
+schlängelt sich der stets Wasser führende Sus durch die Oliven und
+Orangengärten hin. Und im Norden der stolze Atlas, zeigt er auch nicht so
+hohe schneegipflige Spitzen, wie der Montblanc und andere Riesenberge der
+Schweiz und Tirols, so hatten die Alten doch keineswegs ganz Unrecht das
+kolossale Atlasgebirge als Träger des Himmels zu bezeichnen. Das Thal des
+Flusses ist ein wahrer Garten, ein Dorf, ein Haus neben dem anderen, Oel-,
+Feigen-, Stachelfeigen-, Granaten-, Pfirsich-, Mandel-, Aprikosen-,
+Orangenbäume und Weinreben bilden ein liebliches Durcheinander.
+
+Aber so entzückend die Gegend ist, so unheimlich fallt es auf, dass alle
+Welt nur bis an die Zähne bewaffnet ausgeht. Jeder Mann hat seine lange
+Flinte auf dem Rücken, sehr häufig sieht man hier auch schon Doppelflinten,
+welche vom Senegal hierher dringen: ausserdem hat Jeder seinen krummen
+Dolch mit meist aus Silber gearbeiteter Scheide.
+
+Ich hatte eigentlich die Absicht nach dem Nun-District vorzudringen, aber
+die fortwährenden Fieberanfälle, dann das Verlangen wieder unter
+civilisirte Menschen zu kommen, endlich die Schilderung, die man in Agadir
+von einem gewissen Scherif Sidi-el-Hussein, der in der Sauya
+Sidi-Hammed-ben-Mussa residiren sollte und über dessen Gebiet ich kommen
+müsse, liessen mich davon abstehen. Man erzählte in Agadir die
+scheusslichsten Grausamkeiten von diesem Menschen, der sogar seinen
+eignen Bruder und Sohn hatte köpfen und vor Kurzem noch zwei spanische
+Renegaten hinrichten lassen. Das hinderte natürlich nicht, dass er im
+Rufe der grössten Heiligkeit steht, und gerade um die Zeit, als ich in
+Agadir mich befand, war die Hauptperiode der Wallfahrt nach seiner
+Sauya, man nennt diese Wallfahrtszeit "Mogor". Tausende von Leuten aus
+der ganzen Umgegend zogen nach der Sauya-Sidi-Hammed-ben-Mussa, um dem
+Abkömmling Mohammed's ihre Ersparnisse zu überbringen, wofür sie sodann
+den Segen und Ablass für ihre Sünden bekommen.
+
+Ich vermuthe, dass Sidi-Hammed-ben-Mussa der auf der Petermann'schen Karte
+angegebene Ort Wesan ist oder, wie wir Deutschen ihn schreiben würden,
+Uesan. Denn häufig pflegten die Pilger zu sagen, sie zögen nach Uesan, und
+als ich dann meinte, da hätten sie doch einen weiten Weg, denn Uesan läge
+weiter entfernt und jenseits Fes', erwiederten sie, nicht nach Uesan Mulei
+Thaib's, sondern nach Uesan Sidi-Mohammed-ben-Mussa's wollten sie pilgern.
+Gatell, der nach mir bis zum Nun vordrang, erwähnt dieses Ortes nicht.
+
+Wir hätten sicher am zweiten Tage die Stadt Tarudant erreichen können, da
+wir aber mit Nachforschungen nach dem gestohlenen Kameel viel Zeit
+verbrachten und erst Mittags aufbrachen, übernachteten wir noch ein Mal.
+Und an dem Tage wäre ich selbst fast ausgeplündert oder gar ermordet
+worden. Ich hatte mich etwas von der Karavane entfernt, als auf einmal zwei
+bewaffnete Männer mich anhielten, und während der eine fragte, was es Neues
+in Agadir gäbe, spannte der andere den Hahn seines Gewehres; sie hatten
+unstreitig die Absicht mich auszuplündern, als glücklicherweise zwei Leute
+der Karavane, auch bewaffnet und die ebenfalls zurückgeblieben waren, zu
+mir stiessen und mich so der Gefahr meiner Kleidungsstücke beraubt zu
+werden, überhoben. Zugleich bekam ich einen derben Verweis von ihnen, und
+sie verboten mir, mich wieder von der Karavane zu entfernen, da der Kaid
+von Agadir die Karavane verantwortlich gemacht für meine glückliche
+Ueberkunft nach Tarudant.
+
+Das Gebirge wird immer höher, je weiter man nach Osten vordringt, obgleich
+man fortwährend in der Ebene bleibt. Unendlich viele leere Flussbetten, die
+nur im Frühjahr Wasser schwemmen, ziehen sich vom Atlas in den Sus hinein,
+aber nur ein einziger (auf der Petermann'schen Karte richtig eingetragen)
+einige Stunden westlich von Tarudant hat das ganze Jahr hindurch Wasser.
+Dieser Fluss ist wahrscheinlich der von Gatell erwähnte Ued-Eluar. Zu der
+Zeit, als ich ihn durchwatete, konnte ich seinen Namen nicht erfragen.
+
+Abends machten wir Halt bei einem Hause, das zufälligerweise von Arabern
+bewohnt (die ganze Sus-Gegend hat durchaus Berberbevölkerung) war, die
+wenig oder gar nicht Schellah verstanden. Welch ein Unterschied im
+Empfange! Während uns am Abend vorher, als wir in einem grossen Dorfe
+übernachteten, Niemand etwas zu essen brachte, sondern wir gezwungen waren,
+uns selbst zu beköstigen, versorgte hier der Hausherr die ganze Karavane
+mit Speise auf die freigebigste Art. Und hier hatten wir wieder einen
+Beweis, dass Araber gastfreundlicher als Berber sind.
+
+Am folgenden Morgen waren wir schon vor Sonnenaufgang wieder unterwegs, wir
+hatten heute nur einen halben Marsch zu machen, da wir Mittags in Tarudant
+eintreffen mussten. Rechts auf der linken Flussseite tauchte jetzt auch
+eine Bergkette auf, die, von Nordosten kommend, sich nach Südwesten
+hinzieht. Je näher wir der Stadt kamen, desto angebauter fanden wir die
+Gegend, obgleich vom ganzen Lande, wie überall, kaum der zwölfte Theil des
+Bodens nutzbar gemacht wird. Kurz vor Mittag fragten mich meine Gefährten,
+ob ich die Stadt nicht sähe; auf meine Verneinung zeigte man mir einen
+nahen Palmwald, hinzufügend: das sei die Stadt, aber die Gebäude könne man
+wegen der hohen Palmen und buschigen Olivenbäume nicht sehen. So war es
+auch in der That, fortwährend in einem Oelbaumwald fortmarschirend,
+befanden wir uns plötzlich vor den Thoren, ohne vorher das Geringste von
+den Gebäuden der Stadt wahrgenommen zu haben. Es war gerade Mittag, als wir
+das Stadtthor durchzogen; ich trennte mich hier von den freundlichen Leuten
+der Karavane, um ein Unterkommen zu suchen, und war auch so glücklich in
+einem Funduk ein Zimmerchen zu finden. Die Thür dieser Zelle war aber so
+niedrig, dass ein grosser Jagdhund kaum ohne zu schlüpfen, würde Eingang
+gefunden haben, und wenn ich auch der Länge nach mich ausstrecken konnte,
+so betrug die Breite doch kaum mehr als halbe Körperlänge. Statt der Möbeln
+bestand der Fussboden aus gut gestampftem Lehm.
+
+Tarudant, zwei kleine Tagemärsche vom Ocean, fast am Fusse des südlichen
+Atlasabhanges[139], dessen südliche Vorberge bis fast zur Stadt stossen,
+liegt auf dem rechten Ufer des Sus, ca. eine Stunde vom Flusse selbst
+entfernt. Was die Einwohnerzahl anbetrifft, so vergleicht Renou dieselbe
+mit der von Tanger oder Lxor, Hemsö giebt dieselbe auf ca. 22,000 Seelen
+an, Lempriere, der selbst längere Zeit in Tarudant lebte, spricht sich
+nicht darüber ans. Die Stadt könnte indess wohl 30-40,000 Einwohner haben.
+Nach Renou erlangte die Stadt erst Wichtigkeit im Jahre 1516, zu welcher
+Zeit Schürfa sie neu aufbauten und beträchtlich vergrösserten. Aber auch
+hier machte ich wieder die Erfahrung, wie wenig man sich auf die Aussagen
+der Eingebornen verlassen kann. Man hatte mir Tarudant geschildert als eine
+Stadt, die man nur mit Fes oder Marokko vergleichen könne, sowohl was
+Grösse, als auch was die Einwohnerzahl anbeträfe. Ich fand den Umfang der
+Stadt nun allerdings gross, grösser als den von Fes, reichlich so gross wie
+den von Marokko, jedoch ist fast Alles, was innerhalb der Stadtmauer sich
+befindet, Garten. Diese Stadtmauer, in sehr verfallenem Zustande, hat
+durchschnittlich eine Höhe von 20 Fuss und an der Basis 4 oder 6 Fuss, ihre
+Breite ist oben da, wo sie noch die ursprüngliche Höhe bewahrt hat, 2 Fuss.
+Sie bildet eine unregelmässige Linie, ohne Plan und Kunst angelegt. Alle 50
+Schritte werden die Zickzacke von Thürmen flankirt, die jedoch nicht höher
+als die Mauer selbst sind. Was das Material anbetrifft, aus dem sie sowie
+alle Häuser erbaut sind, so besteht dasselbe aus mit Häckerling gemischtem
+und zwischen zwei Brettern gegossenem Lehm, kann also europäischen
+Geschützen, keinen Widerstand leisten; auch Gräben sind nicht einmal
+vorhanden.
+
+ [Fußnote 139: Leo, Marmol und Lempriere drücken die Entfernung der
+ Stadt vom Atlas in Zahlen aus, ohne bedacht zu haben, dass der Fuss
+ des Gebirges bei Tarudant nicht steil, sondern allmälig sich
+ absenkt, man also auch sagen könnte, Tarudant liege unmittelbar am
+ Fusse des Gebirges.]
+
+Die Stadt ist ein einziger grosser Garten, nur nach dem Centrum drängen
+sich die Häuser, welche meist nur aus einem Erdgeschoss bestehen, mehr
+zusammen, und hier befinden sich auch die Buden und Gewölbe, wo man
+arbeitet und verkauft, hier sind auch die Funduks. Moscheen giebt es eine
+grosse Anzahl, grössere jedoch, die ein Minaret haben, nur fünf. Die
+Hauptmoschee, Djemma-el-Kebira schlechtweg genannt, zeichnet sich durch
+nichts Besonderes aus. Den inneren grossen Hof derselben, in den man
+Orangen gepflanzt hat, umgeben ungemein plumpe Säulen, die eben so
+unförmliche Bogen tragen. Die zweite Hauptmoschee, fast eben so gross, ist
+dachlos, von den übrigen ist keine bedeutend. Ebenso habe ich in der ganzen
+Stadt kein einziges nur etwas geschmackvolles Gebäude gefunden.
+
+Einen eigentlichen besonderen Handelszweig hat die Stadt nicht, man lobt
+die Lederarbeiten und Färbereien. Hauptgewerk ist Kupferschlägerei, indess
+beschränkt sich das bloss auf Kessel, auf kleine Geschirre und Sachen, wie
+sie von den Eingebornen hergestellt werden können. Aber wie ausgedehnt
+diese Manufactur ist, geht am besten daraus hervor, wenn ich anführe, dass
+diese kupfernen Geschirre bis Kuka, Kano und Timbuktu ausgeführt werden.
+Und wie ergiebig müssen erst die Kupferminen in der Nähe von Tarudant sein,
+wenn man bedenkt, auf wie primitive Art die Eingebornen dort eine solche
+Mine ausbeuten. Nach der Aussage der Eingebornen soll nicht nur dies
+Metall, sondern auch Gold, Silber, Eisen und Magneteisenstein in grosser
+Menge vorkommen. Alle übrigen Landesproducte sind wie in Agadir und im
+ganzen Sus-Lande sehr billig. Das Pfund Fleisch wird mit 2 Mosonen bezahlt,
+für eine Mosona erhält man 6-10 Eier und im Frühjahr noch mehrere.
+
+Bei der Beschreibung von Tarudant kann ich nicht unerwähnt lassen, dass die
+einst so berühmten Zuckerplantagen heute nicht mehr existiren. Indess
+findet man in Marmol und Diego de Torres so glaubwürdige Angaben, dass an
+der einstigen Existenz der Zuckercultur nicht gezweifelt werden kann.
+
+Als im 16. Jahrhundert die Dynastie der Schürfa Marokko neu umgestaltete,
+suchten sie vor allen Dingen sich in Tarudant festzusetzen. Es wurde Zucker
+um Tarudant gepflanzt und um einen Ausgangshafen für das Product zu
+gewinnen, unternahm der Scherif Mohammed die Belagerung von Santa Croce,
+damals den Portugiesen gehörend. 1536 war dieser Hafen in den Händen der
+Gläubigen. Ein Slami oder übergetretener Jude hatte unter der Zeit Mühlen
+in Tarudant errichtet und von dem Augenblick an war der Handel mit Zucker,
+wie Marmol als Augenzeuge berichtet, der ergiebigste von allen
+marokkanischen Handelszweigen.
+
+Auch christliche Sklaven wurden nun zur Fabrikation von Zucker verwandt,
+und nicht nur aus Marokko oder aus den Sudanländern kamen Leute nach
+Tarudant, um Zucker zu kaufen, auch Europäer stellten sich ein, sobald sie
+erfuhren, dass man sie gut behandle. Der Ertrag ergab für den Sultan
+jährlich 7500 Metkal, eine für damalige Zeit grosse Summe.
+
+In welcher Zeit der Verfall des Zuckerbaues vor sich ging, habe ich nicht
+ergründen können, vielleicht wurden bei einer der so häufig in Marokko
+stattfindenden Revolten die Zuckergärten zerstört und nachdem nicht wieder
+angebaut. Aber die Erinnerung vom einstigen Zuckerreichthum in der Provinz
+existirt in Marokko heute noch.
+
+Ich musste mehrere Wochen in Tarudant bleiben und überstand während dieser
+Zeit eine förmliche Krankheit, da ich fortwährend von Wechselfiebern
+geschüttelt war.--Den zweiten Tag nach meiner Ankunft liess mich der Kadi
+der Stadt rufen. Er unterwarf mich einem langen Examen, woher ich komme,
+warum ich in Tarudant sei, wohin ich gehen wolle, warum ich Mohammedaner
+geworden sei, u.s.w. Ich glaubte schon, da er immer sehr ernsthaft blieb,
+dass er mich trotz meiner genügenden Antworten, als Sohn eines Christen ins
+Gefängniss senden würde, als er plötzlich die Unterhaltung auf die Medizin
+brachte und ein Mittel gegen Gichtschmerzen von mir verlangte. Zugleich
+wurde Thee servirt und ein gut zubereitetes Frühstück hereingetragen. Das
+Gespräch ging dann hauptsächlich auf die christliche Civilisation über, und
+ich sah mit Erstaunen im Kadi einen dem Fortschritte huldigenden Mann vor
+mir. Nach beendigtem Frühstücke verabschiedete er mich, und sagte, er würde
+mich rufen lassen, damit ich in seiner Gegenwart die Medizin bereite.
+
+Am folgenden Tage gegen Abend musste ich zu ihm gehen, und da ich nichts
+Anderes zu thun wusste, so bereitete ich eine Kamphersalbe und liess ihn
+Einreibungen damit machen. Ich musste wieder Thee mit ihm trinken und zu
+Abend essen; beim Abschiede gab er mir ausserdem einen grossen Korb mit
+Datteln und einen kleineren mit Mandeln, dann eine Schüssel mit süssem
+Backwerke, das sehr gut zubereitet war und sich fast jahrelang hält.
+Obgleich die Datteln und Mandeln von der letzten Ernte und von
+ausgezeichneter Güte waren, so verkaufte ich doch den grössten Theil
+derselben. Ich bekam für das Pfund Mandeln den für dortige Gegend hohen
+Preis von 6 Mosonat; es war Missernte für die Mandeln gewesen, denn in
+guten Jahren erhält man für Eine Mosona mehrere Pfunde.
+
+Am vierten Tage stellte sich mein Fieber heftiger als je ein, ich glaubte
+schon vom Typhus befallen zu sein; acht Tage musste ich meine Höhle hüten.
+Ich nahm die letzte mir übrig gebliebene Dosis Chinin, genoss die ganze
+Zeit hindurch bloss Wasser und Brod und alle Tage einige Granatäpfel, die
+mir der Fundukbesitzer aus seinem Garten brachte.
+
+Mit einer ziemlich grossen Karavane brach ich sodann auf. Sie setzte sich
+aus etwa 20 Mann und 30 Stück beladenen Maulthieren und Eseln zusammen. Die
+Leute selbst waren aus der Oase Draa. Vom Thaleb des Kadi war ich ihnen
+empfohlen und deshalb gut bei ihnen aufgenommen worden. Diese Art Karavanen
+rechnen von Tarudant acht Tagemärsche, welche aber sehr stark sind; das
+Vieh wird dabei von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit der
+grösstmöglichsten Eile vorwärts getrieben. Es war also eine harte Tour für
+mich, da ich von den Fiebern mitgenommen, sehr erschöpft war, und manchmal
+dafür, dass ich mitgenommen wurde, und was Nahrung anbetrifft von den
+Eigenthümern des Viehs freigehalten wurde, das Vieh mit treiben helfen
+musste.
+
+Den ganzen ersten Tag folgten wir dem Ued-Sus, der an beiden Seiten
+lachende Gärten bildet. Rechts und links hatten wir hohe Berge, doch ist
+die Kette im Norden wenigstens noch einmal so hoch, als die nach Südwesten
+streichende, welche überdies nur ein Zweig vom grossen Atlas ist. Gegen
+Mittag, wir marschirten immer in östlicher Richtung, machten wir bei einem
+Dorfe der Beni-Lahia Halt; es wurde dort Markt abgehalten, und die Leute
+unserer Karavane wollten nun noch Getreide einkaufen, um es mit in ihre
+Heimath zu nehmen. Nach beendetem Einkauf ging es weiter. Ich weiss nicht,
+durch welchen Zufall es kam, dass der Theil der Karavane, bei dem ich mich
+befand, von dem anderen sich trennte, kurz, wir verloren den Weg und es
+war, glaube ich, Mitternacht, als wir das Dorf erreichten, wo die Anderen
+seit Abends campirten. Dazu hatten wir elende Wege gehabt, da das ganze
+Land von breiteren und schmäleren Rinnsalen, welche zur Bewässerung des
+Bodens dienen, durchschnitten ist, in der Dunkelheit geriethen wir nun alle
+Augenblick in ein solches Wasser, oder auch ein Esel versank in den Schlamm
+und sein Herausziehen konnte nur mit Mühe und Zeitverlust bewerkstelligt
+werden.
+
+Desto kürzer war der folgende Tagesmarsch, wir mussten sehr bald in einem
+Dorfe Halt machen, weil vor uns zwei Volksstämme sich bekriegten und
+dadurch die Gegend unsicher gemacht war. Sieben Tage mussten wir in diesem
+Orte liegen bleiben, fanden jedoch die gastlichste Aufnahme daselbst. Ich
+war mit vier Anderen in einem grossen Bauernhofe einquartiert und so war
+die ganze Karavane vertheilt. Endlich schienen die feindlichen Parteien
+Frieden gemacht zu haben und wir konnten aufbrechen, der Weg war offen. Wir
+folgten dem Ued-Sus, bis fast an seine Quelle, welcher Landestheil, wie
+überall, den Namen Ras-el-Ued hat, und schlugen von da an eine südöstliche
+Richtung ein.
+
+So scharf markirt der südwestlich vom Atlas sich abzweigende Gebirgszug,
+vom Sus-Thale gesehen, sich ausnimmt, so wenig ist er es in der That, man
+kömmt südöstlich fortgehend in keinen Gebirgszweig, sondern in ein
+zerrissenes Gebirge. Obschon man nun auch aus dem eigentlichen überall
+culturfähigen Lande heraus ist, hat man doch noch die eigentliche Sahara
+nicht erreicht. Allerdings sind die Berge nackt und kahl, aber die Gegend
+ist äusserst abwechselnd, Wasser nicht selten und kleine Oasen auf Schritt
+und Tritt. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir eine Oase, die erste echte
+Palmpflanzung, die ich zu sehen bekam (den Palmen in Marokko und Tarudant
+merkt man gleich an, dass sie eigentlich für den dortigen Boden und das
+Klima noch fremd sind), einige Dörfer lagen darin versteckt. Wir lagerten
+von jetzt an nie mehr im Dorfe, sondern immer im Freien, und suchten dann
+zu dem Ende ein zwischen Felsen liegendes sicheres Versteck auf. Auf diese
+Art marschirten wir 4 Tage immer in südöstlicher Richtung fort. Die Gegend
+bewahrte ihren eigenthümlichen Charakter, nackte, kahle Felsen, von Bergen
+eingeschlossene Ebenen, ohne Vegetation, nur von Steinen bedeckt, hie und
+da eine Oase, welche sich schon von Weitem durch die hohen Palmen
+ankündigte, manchmal auch noch grosse Strecken mit Schih (Artemisia)
+bedeckt, Zeichen, dass wir die eigentliche Sahara noch nicht erreicht
+hatten, solche Bilder waren stets vor unseren Augen.
+
+Am fünften Marschtage kamen wir, nachdem wir verschiedene Ebenen
+durchschritten hatten, an einen Bergpass, wie ich noch nie einen gesehen
+habe, und auch wohl kein ähnlicher auf der Erde existirt. Mit diesem
+Bergpass, oder vielmehr mit dieser Schlucht, die ebenfalls durchschnittlich
+in unserer Marschrichtung war, hatten wir zugleich das eigentliche Gebirge
+hinter uns. Diese Schlucht war etwa 5 Schritt breit, an beiden Seiten von
+senkrechten Marmorwänden gebildet, und in derselben rieselte ein kleiner
+Bach mit reizenden grünen Ufern. Am Austritte der Schlucht gab der Bach
+Veranlassung zu einer Oase. Der Marmor, der sich in der Sonne spiegelte und
+stellenweise so glatt war, als ob er künstlich polirt wäre, glänzte in
+allen möglichen Farben.
+
+Was das Interesse dieser einzigen Schlucht noch erhöhte, war, dass sich am
+Austritte oder am südöstlichen Ende derselben eine kohlensaure Quelle
+befand. Ich glaube, es giebt wohl kaum ein zweites an Kohlensäure so
+reiches Wasser, wie dieses; dicke Blasen steigen fortwährend auf, und beim
+Trinken prickelte es Einem im Munde, als ob man Champagner tränke. Das
+Land, worin sich diese Schlucht und Quelle befindet, heisst Tassanacht, und
+die vom Flüsschen gebildete Oase, Tesna[140]. Die Gegend war hier, wie auch
+sonst fast überall, äusserst metallreich, ich fand auf dem Wege bei Tesna
+offen zu Tage liegend, Antimon-Stücke von 1-1/2 Zoll Dicke, reines,
+unvermischtes Metall.
+
+ [Fußnote 140: Siehe Petermann's Mitteilungen 1865, Tafel 6.]
+
+Die nächsten Tage gingen vorüber, ohne dass sich etwas Besonderes
+ereignete, ich hatte jedoch grosse Mühe, diese anstrengenden Märsche
+mitzumachen, zumal mich eine erschöpfende Diarrhöe, durch die ungewohnte
+Nahrung hervorgerufen, befallen hatte. Die Leute mischten nämlich Mehl mit
+gestampften Datteln zu einem Teige, gossen etwas Oel hinzu, und roh wurde
+dies genossen, oder man ass auch, bloss mit Wasser vermischt, gestampfte
+Datteln. Dazu kam, dass wir manchmal sehr an Durst zu leiden hatten, denn
+die Thiere waren alle übermässig beladen, so dass man für Wasser keinen
+Platz hatte. Die schlimmste Strecke war die letzte. Wir waren noch einen
+guten Tag vom Draa entfernt und lagerten Abends in einem öden Thale. Um den
+Ued-Draa am folgenden Tage früh zu erreichen, brachen wir um Mitternacht
+auf. Unglücklicher Weise waren meine Schuhe gänzlich unbrauchbar geworden,
+die Sohlen waren abgefallen. Ich behalf mich damit, dass mir die Leute aus
+den Lederresten Sandalen zusammenflickten, welche mit Riemen an den Füssen
+befestigt wurden. Ueberhaupt tragen südlich vom Atlas fast alle Leute
+Sandalen. Für Einen, der nicht daran gewöhnt ist, ist es aber ein
+qualvolles Schuhzeug, da die Riemen gleich tief einschneiden. In der
+dunklen Nacht stiess ich nun jeden Augenblick gegen einen Stein, und es
+schien mir eine Ewigkeit bis die Morgenröthe anbrach. Als endlich der Tag
+anfing und wir frühstückten, hatten wir kaum das nöthige Wasser, aber die
+Aussicht, noch wenigstens einen halben Tagemarsch gehen zu müssen, ohne
+Hoffnung einen Brunnen oder Quelle anzutreffen. Gegen Mittag war mein
+Gaumen ganz trocken, und als wir endlich von Weitem die Palmen sahen, mit
+dem lachenden Grün der Orangen, Feigen, Granaten, Pfirsichen und Aprikosen
+darunter, glaubte ich, sie nicht erreichen zu können; erst um 4 Uhr
+Nachmittags waren wir im Dorfe Tanzetta, wo mehrere Leute unserer Karavane
+zu Hause waren. Mein Erstes war, meinen brennenden Durst zu löschen, ich
+trank wenigstens 3 Liter Wasser auf ein Mal.
+
+ * * * * *
+
+
+
+
+15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien.
+
+ * * * * *
+
+Vom ewigen Schnee des Atlas gespeist, hat der Ued-Draa, der längste der
+marokkanischen Ströme, Veranlassung zu einer der schönsten Oasenbildungen
+gegeben, wie man sie überhaupt nur in der Sahara findet. Denn nur da, wo
+überirdisch immer rieselndes Wasser ist, bildet sich so üppige Vegetation
+und gedeihen die Fruchtbäume, die das glückliche Klima des
+Mittelmeerbeckens hervorbringt. Und wenn man nach tagelangen Märschen durch
+die steinigte und vegetationslose brennende Wüste, jenes lachende Grün
+erblickt, wie es sich frisch unter dem schirmenden Dache hochstämmiger
+Palmen entwickelt, dann vergisst man fast die Mühen und Beschwerlichkeiten
+einer Fussreise durch die Wüste, denn man glaubt eine der Inseln der
+Glückseligen erreicht zu haben.
+
+Der bewohnteste und fruchtbare Theil des Ued-Draa ist das vom Gebirge nach
+dem Süden zu laufende Flussthal, sobald der Draa nach dem Westen umbiegt,
+d.h. etwa unter dem 29° N. B. fängt er an unbewohnt und unfruchtbar zu
+werden. Es hat das seinen Grund darin, weil die vom Atlas kommenden
+Gewässer _ständig_ nur bis zu dem Punkte fliessen, den atlantischen
+Ocean aber nur ein Mal im Jahr, nach der _grossen_ Schneeschmelze des
+Gebirges, erreichen. Ist der Draa-Fluss aus dem sonderbar geformten
+Gebirgslande, welches südwärts vom Atlasgebirge, unabhängig von diesem,
+liegt, heraus, dann durchströmt er sein mehr oder weniger breites Thal,
+welches er sich selbst geschaffen hat. Aber auch hier sind die Ufer und
+Bänke des ursprünglichen Flussthales manchmal so hoch, so sonderbar
+geformt, dass man, vom Flussbette aus gesehen, sie für zwei nach Süden
+streichende paralell laufende Gebirge halten könnte. Einmal und zwar
+ziemlich in der Mitte des von Norden nach Süden laufenden Flusses erhebt
+sich aber ein wirklicher Berg, der Sagora, auf dem _linken_ Ufer des
+Ued-Draa. Dass der grosse Debaya weiter nichts ist als ein Sebcha und nur
+zeitweise ein See genannt werden darf, wage ich Renou und Delaporte
+gegenüber aufrecht zu erhalten. Renou sagt p. 180: "ce grand lac d'eau
+clouce est remplie de poissons et les indigènes naviguent dessus et y font
+la pêche d'après Mr. Delaporte."--Ich will nicht in Abrede stellen, dass
+der Debaya sich ein Mal im Jahre mit Wasser füllt, ich will ebenfalls nicht
+bezweifeln, dass er zu der Zeit ohne Fische sei, dass er mit Schiffchen
+befahren werde, aber das dauert nur eine kurze Zeit, vielleicht nur einige
+Wochen; so rasch, so gewaltig die Gewässer vom Atlas herabbrausen, so rasch
+und schnell eilen sie dem Ocean zu. Und wenn diese ausserordentlichen
+Schwemmungen den Debaya nicht mehr erreichen, so trocknet er rasch aus,
+wird Sebcha und zuletzt vielleicht weiter nichts als eine grosse
+Einsenkung.
+
+Es liegen ausserordentlich wenig sichere Nachrichten über die Draa-Gegend
+vor. Freilich als solche wird dieselbe schon im Mittelalter genannt. Aber
+darauf, dass man die Draa Landschaft _nennt_, höchstens noch eine
+Ortschaft derselben notirt, beschränkt sich auch Alles. Leo hebt nur den
+Ort Beni-Sabih hervor, offenbar die grosse von mir besuchte Ortschaft
+Beni-Sbih in der südlichen Provinz Ktaua. Marmol führt die Stadt Quiteoa
+(offenbar Ktaua) an, er nennt auch Tinzeda, welches wohl mein Tanzetta
+ist. Ferner nennt er die Oerter Taragale, Tinzulin (die Provinz Tunsulin
+von mir), Tamegrut, Tabernost, Afra und Timesquit (wohl Mesgeta).
+Delaporte kennt ebenfalls Quiteoa. Mouette nennt einen Berg, den Lafera
+oder den höhlenreichen Berg, Marmol nennt diesen Berg Taragale oder
+Taragalt, und es ist dies jedenfalls der Berg, der mir von den
+Eingebornen als der Dj. Sagora bezeichnet wurde[141]. Es ist das das
+Hauptsächlichste, was vom Draalande bekannt war, denn Caillié streifte
+auch nur die südöstlichste Umbugsecke des Thales, beim Orte Mimmssina.
+
+ [Fußnote 141: Siehe Renou, Empire de Maroc, p. 175 u.f.]
+
+Das Draa-Land zerfällt vom Norden nach dem Süden (ich spreche immer nur von
+dem bewohnten Theile, der sich nach Süden bis zu dem Punkte erstreckt, wo
+der Draa nach dem Westen umbiegend seinen Lauf ändert) in fünf Provinzen:
+die nördlichste Mesgeta, dann Tinsulin oder Tunsulin (Tinjulen), drittens
+Ternetta, viertens Fesuoata und endlich die südlichste und grösste Provinz
+Ktaua. Obschon in der Provinz Ternetta ein Kaid des Sultans residirt, also
+eine Regierung von Marokko aus eingesetzt ist, so existirt dieselbe bloss
+als nominal. Das Ansehen des Kaid und seiner Maghaseni geht wohl nicht über
+seinen Wohnort hinaus. Die ganze Gegend im Draa-Gebiete ist derart, dass
+jede einzelne Ortschaft unabhängig von der anderen ist, und jede Gemeinde
+durch ihren Schich dem die Djemma, (Versammlung der ältesten und
+angesehensten Männer) zur Seite steht, regiert wird. Selbst nicht einmal
+die einzelnen Provinzen haben eine eigene gemeinsame Regierung. Als
+Hauptort oder Hauptstadt des Draa-Landes kann man Tamagrut bezeichnen, aber
+auch nur insofern, als hier eine berühmte religiöse Genossenschaft, eine
+Sauya sich befindet. Aber keineswegs ist Tamagrut eine officielle
+Hauptstadt, auch nicht einmal was Einwohnerzahl anbetrifft die erste. Die
+grösste Ortschaft im Draa-Thale ist die in Ktaua gelegene Stadt Beni-Sbih.
+
+Sämmtliche Ortschaften sind mit einer hohen Thonmauer umgeben, einzelne
+haben auch noch mehr oder weniger breite und tiefe Gräben. Alle haben
+wenigstens eine Moschee, die grösseren auch mehrere. Die Häuser, von
+gestampftem Thon erbaut, haben im Innern einen meist geräumigen Hofraum,
+haben alle ein flaches Dach und meistens ein Erdgeschoss und ein Stockwerk.
+Im Erdgeschoss verwahrt man das Vieh, und oben halten sich die Menschen
+auf. Die Strassen in den Ortschaften sind schmal, staubig und voller
+Unrath, obwohl auch hier wie in Tafilet und Tuat überall öffentliche
+Latrinen zahlreich vorhanden sind. Die Palmgärten, welche alle wohl
+eingefriedigt sind durch hohe Thonmauern, erhalten ihre Berieselung durch
+den ewig strömenden Ued-Draa, und da das Wasser sehr reichlich vorhanden
+ist, so hat man keine Zeitbestimmung über die Vertheilung des Wassers zu
+treffen nöthig gehabt. Die Datteln, welche in der Draa-Oase producirt
+werden, gehören zu den vorzüglichsten der ganzen Sahara, und da sie kein
+anderes Absatzgebiet dafür haben als nach Marokko, das überdies noch von
+Tafilet und Tuat und anderen kleinen Oasen seinen Dattelbedarf bezieht, so
+sind sie äusserst billig, in guten Jahren verkäuft [verkauft] man eine
+Kameelladung (ca. 3 Centner) für einen halben Thaler. Der Getreidebedarf
+muss indess von aussen bezogen werden, das was die Eingebornen bauen,
+reicht nicht hin sie zu ernähren, obschon das ganze Jahr hindurch
+gepflanzt und geerntet wird. Es kommt das deshalb, weil ein groser
+[grosser] Theil der Gärten nur zum Gemüsebau, Kohl, Rüben, Carotten,
+Zwiebeln, Pfeffer, Knoblauch, Tomaten, Melonen etc. verwandt wird, und
+weil die grösste und schönste Provinz, Ktaua, derart von Süssholz
+(Glycirrhiza) überwuchert ist dass dies fast den ganzen fruchtbaren
+Boden unter den Palmen einnimmt.
+
+Das Thierreich bietet nichts Besonderes da, das Schaf ist in den südlichen
+Provinzen von Ternetta an ohne Wolle, Pferde, Esel, Maulthiere und Ziegen
+sind gut und von derselben Art wie in Marokko, Rinder sind sehr selten. Von
+Vögeln hat man wild die Taube, Sperlinge, Schwalben, dann einen reizenden
+kleinen Vogel, ebenfalls zu den Sperlingen gehörend, aber mit buntem
+Gefieder und hübscher Stimme. Die Eingebornen nennen ihn Marabut (der
+Heilige) und man findet ihn frei, aber zahm in jedem Hause, jeder Oase
+südlich vom grossen Atlas.
+
+Was die Bevölkerung anbetrifft, deren Zahl auf 250,000[142] Seelen sich
+belaufen kann, so nennt man sie Draui. Der Mehrzahl nach sind sie Berber:
+die Araber, vornehmlich Schürfa, leben nur vereinzelt in Ksors. Zu erwähnen
+sind noch die in Palmhütten lebenden Beni-Mhammed, reine Araber ihrer
+Abkunft nach, sie sind durchs ganze Draa-Thal zerstreut in kleinen
+Gemeinschaften von wenigen Familien anzutreffen. Auch einige Berberstämme
+haben diese Art des Wohnens in Palmhütten. Während die Araber, welche diese
+Oase bewohnen, vorzugsweise Schürfa, Marabutin und vom Stamme der
+Beni-Mhammed sind, gehören die Berber fast alle der grossen Fraction der
+Ait-Atta an.
+
+ [Fußnote 142: In Petermann's Mittheilungen ist die Zahl der
+ Bevölkerung in meinem Berichte zu 25,000 angegeben: ein
+ Schreibfehler meines Manuscriptes.]
+
+Der Neger, der natürlich auch zahlreich vertreten ist, hat auf die
+_grosse_ Menge der Bevölkerung wenig Einfluss gehabt, aber der
+Draaberber, wenn er es auch nicht liebt, sich mit dem Schwarzen zu
+vermischen, hat doch unmerklich Negerblut aufgenommen, dann haben Sonne und
+Staub das Ihrige dazu beigetragen der Hautfarbe eine dunkle Färbung zu
+gehen. Die Schwarzen, welche man im Draa antrifft, sind meistens von Haussa
+und Bambara, auch Sonrhai-Neger sind nicht selten.
+
+Die in einigen Ksors ansässigen Juden leben hier nicht in derselben
+unterdrückten und ausgestossenen Weise wie im übrigen Marokko, obschon sie
+auch hier sich manche Vexationen gefallen lassen müssen. Sie sind hier
+weniger dem Handel zugethan, vertreten hingegen mehr den eigentlichen
+Handwerkerstand. Büchsenschmiederei, Blechschlägerei, Tischlerarbeit,
+Schneiderei und Schusterei sind ihre hauptsächlichsten Beschäftigungen. Und
+eben weil sie durch diese Handwerke den Draa-Bewohnern unentbehrlich
+geworden sind, werden sie weniger gequält. Nach dem heiligen Ort Tamagrut
+dürfen sie indess nicht hinkommen, nicht einmal den dort _ausserhalb_
+der Stadt abgehaltenen Wochenmarkt besuchen. Aber damit sie die Strenge
+dieser Maassregel weniger fühlen, hat man doch die Rücksicht gehabt, den
+Markttag für Tamagrut auf einen Samstag zu verlegen, Tag, wo es den Juden
+ohne das untersagt ist zu handeln und zu verkaufen.
+
+Ausser der Sprache bemerkt man, was das Aeussere (abgesehen natürlich von
+den Schwarzen) anbetrifft, zwischen den Draui keinen Unterschied, wäre
+dieser nicht, würde man glauben, das Land sei von einem Volke bewohnt. Die
+Lebensweise der Bewohner ist äusserst einfach. Morgens wird eine dünne
+heisse und stark gepfefferte Mehlsuppe mit Datteln gegessen, Mittags und
+Nachmittags Datteln, wozu die Reichen ungesalzene Butter nehmen, auch
+Buttermilch dazu trinken, während der Arme bloss Wasser zum Trunk hat, und
+Abends ist Kuskussu die allgemein übliche Kost. So lebt der Draui täglich
+und Jahr aus Jahr ein.
+
+Tanzetta, Ort wo ich zuerst ankam, ist wie alle Ortschaften durch eine hohe
+Mauer umgeben und befestigt. Nördlich dicht dabei liegt der nur von Schürfa
+(Abkömmlinge Mohammed's) bewohnte Ort Alt-Tanzetta, und ausserhalb von
+Alt-Tanzetta ist eine Milha (Judenviertel). Eine halbe Stunde südlich
+von Tanzetta liegt der grosse Ort Sauya-Sidi-Barca, und dicht dabei
+erhebt sich der sonderbar geformte und unter den Draa-Bewohnern sehr
+berühmte Berg Sagora, berühmt, weil er eine Höhle enthält, in welcher in
+der Vorzeit die Christen einen grossen Schatz verborgen hätten, den bis
+jetzt noch Niemand gehoben. Der Sagora bildet gerade die Mitte des
+Draa-Landes oder Draa-Thales (d.h. des von Nord nach Süd laufenden
+Stromtheiles), und er ist ein wirklicher Berg, nicht nur eine Erhöhung
+des Ufers.
+
+Nach einem Aufenthalte von acht Tagen brach ich von Tanzetta nach dem Süden
+auf, um nach dem berühmten Hauptorte, dem heiligen Tamagrut, Oertlichkeit,
+die nur eine kleine Tagereise südlich von Tanzetta liegt, zu kommen. Ich
+hatte Begleitung, was mir schon deshalb lieb war, da ich mich mit der
+berberischen Bevölkerung gar nicht verständlich machen konnte. Da eine
+ausserordentliche Hitze herrschte, machten wir den Weg in zwei Tagen, und
+blieben am ersten Tage in einem grossen Ksor, von Berbern bewohnt, Namens
+Alaudra. Der Weg folgte nicht den Krümmungen des Flusses, sondern lief
+gerade südwärts, und so befanden wir uns bald in steiniger Wüste, bald in
+einem lachenden Thale. Mittags erreichten wir am anderen Tage Tamagrut, das
+sich nur durch seine Grösse, und dadurch, dass ein beständiger Markt darin
+gehalten wird, von den übrigen Ortschaften unterscheidet. Die Sauya, nach
+Sidi-Hammed-ben-Nasser genannt, ist eine der grössten, die ich gesehen
+habe.
+
+Sidi-Hammed-ben-Nasser war ein berühmter Heiliger, aber kein Nachkomme
+Mohammed's. Dafür hatte Allah ihm die Gabe verliehen, in der eignen Sprache
+der Thiere mit den Thieren sich unterhalten zu können (nach dem Glauben der
+Marokkaner konnte das vor ihm nur Sultan Salomon, dann Harun al Raschid und
+Djaffer sein Minister); aber leider hat diese grosse Gabe auf seine
+Nachkommen sich nicht vererbt. Wenigstens kann ich constatiren, dass die
+Urenkel weder mit dem Kameele, noch mit dem Pferde oder anderen Thieren
+sich unterhalten konnten.
+
+Ich habe an anderer Stelle entwickelt, dass die Mohammedaner einen grossen
+Vorzug vor uns Christen haben: dass ihre Heiligen schon häufig _bei
+Lebzeiten_ heilig gesprochen werden, dass ihre Heiligen heirathen
+dürfen, dass die Kinder und Nachkommen solcher Heiligen _auch_ für
+heilig erachtet werden, ja, dass das Heiligsein bei den Mohammedanern
+_wachsend_ ist, d.h. dass die Nachkommen solcher Heiligen für heiliger
+erachtet werden, als die Vorfahren selbst.
+
+Aber hat man im Christenthum nicht ganz dasselbe. Sind auch die Päpste
+nicht fleischliche Nachkommen Christi, so folgt doch einer dem anderen als
+geistiger Erbe, und verfolgt man vom ersten Bischof in Rom, die zunehmende
+Macht und Heiligkeit bis zum letzten jetzt regierenden, der sich Gott
+gleich gestellt hat durch seine Unfehlbarkeit, so findet man, dass wir doch
+nicht so sehr hinter der anderen semitischen Schwesterreligion
+zurückstehen. Und ist es in den anderen christlichen Bekenntnissen nicht
+ebenso?
+
+Der derzeitige Besitzer der Sauya, Si-Bu-Bekr, ein Ur-Ur-Enkel des
+erwähnten Heiligen, wurde denn auch für viel heiliger gehalten, als der
+Vorfahr selbst. Seine Familie war übrigens eine, die sich von jeher durch
+Frömmigkeit, durch Gelehrsamkeit in den Schriften, aber auch durch
+Glaubenseifer ausgezeichnet hatte.
+
+Ich begab mich sogleich in die Sauya, wo man mich zu Sidi Bu-Bekr führte.
+Es war gerade die Zeit des öffentlichen Empfanges, der ehrwürdige Greis
+nahm daher bei der Menge der Leute, die von allen Seiten herbeigeströmt
+waren, wenig Notiz von mir, sondern gab bloss Befehl mir ein Zimmer
+anzuweisen. Desto zuvorkommender empfingen mich seine beiden Söhne, ich
+musste mehrere Wochen bei ihnen bleiben und täglich überhäuften sie mich
+mit Aufmerksamkeiten aller Art. Als ich Sidi[143] Bu-Bekr einige Tage
+später meine Aufwartung machte, entschuldigte er sich, dass er mich nicht
+zuvorkommender empfangen, indem er nicht verstanden habe, dass ich von
+Europa (Blad-el-Rumi) käme; er fragte, ob ich mit Allem zufrieden sei, und
+gab seinen Söhnen den Auftrag für mich zu sorgen.
+
+ [Fußnote 143: Im eigentlichen Marokko würde man nur Si, nicht Sidi
+ zu ihm sagen.]
+
+Diese Sauya kam mir gerade wie ein Kloster vor; die grossen von Bogengängen
+umgebenen Höfe, in welche die Zimmerchen oder vielmehr die Zellen münden,
+die von länger verweilenden Reisenden, oder von Studenten und
+Schriftgelehrten, die hier ihren Studien obliegen, bewohnt werden; das
+ewige Beten und Ablesen des Koran, die wallfahrenden Leute, die täglich
+kommen, um das Grab Sidi Hammed-ben-Nasser's zu besuchen, und ihre Gaben,
+die in Geld oder Sachen aller Art bestehen, zu den Füssen des Marabuts
+legen, alles dies erinnert an unsere Klöster, nur ist hier die Prälatur in
+einer Familie erblich, und zwar geht bei den Marabutin die Würde nur auf
+den ältesten Sohn über, während die übrigen Söhne, einmal aus dem
+elterlichen Hause ausgeschieden, in den gewöhnlichen Bürgerstand
+zurücktreten. Bei den Schürfa geht die Würde auf Söhne und Töchter über,
+ist dann nur erblich durch die Söhne.
+
+Ehe ich weiter reiste, begab ich mich nach Ktaua, um einige Notizen über
+den Handel mit dem Sudan zu erhalten. Ktaua, diese grosse selbstständige
+Oase, hat allein für sich gegen 100 Ksors, die von Berbern, oder auch von
+Araber-Schürfa oder vom Stamme der Beni-Mhammed bewohnt sind. Ich ging
+zuerst nach dem grossen Orte Aduafil, ausschliesslich von Schürfa bewohnt.
+Von hier aus wird der hauptsächlichste Handel mit dem Sudan betrieben. Gold
+(in geringer Qualität), Elfenbein, Leder und Sklaven sind die
+hauptsächlichsten Gegenstände, welche man von dorther holt. An eignen
+Producten liefern indess die Draui den Schwarzen Nichts, sie können ihnen
+nur europäische Producte zuführen, denn das Kupfer, welches sich von
+Tarudant aus nach dem Sudan verbreitet, geht wohl zumeist über Tekna und
+Nun. Die Sklaven kauft man im Sudan zu den billigen Preisen von 15-20
+Thaler, junge hübsche und hellfarbige Mädchen sind jedoch theurer. In Fes
+und Marokko werden sie dann mit bedeutendem Gewinne abgesetzt, zu 100 bis
+150 Thaler. Von Aduafil bis Timbuktu brauchen die Karavanen ca. 8 Wochen,
+die längste wasserlose Strecke soll 10 Tage (nach Aussage der Eingebornen,
+jedoch halte ich das für übertrieben) betragen.
+
+Ich blieb in Aduafil 14 Tage, und besuchte von hier aus auch die wichtigen
+Handelsplätze und Märkte Beni-Haiun und Beni-Sbih südlich gelegen. Dann
+begab ich mich nach Beni-Smigin, Ort, der am nördlichsten in Ktaua liegt,
+und nahm die Gelegenheit wahr, mit einer Karavane von hier nach Tafilet zu
+gehen.
+
+Während man auf dem Wege von der Provinz Ternetta nach Tafilet die grosse
+Oase Tessarin antrifft, hat man von Ktaua aus nur wüstes Land. Man braucht
+fünf Tage und hält immer Nordost-Richtung. Die Wüste ist indess auch hier
+nicht aller Vegetation bar, man trifft hin und wieder auf Akazien. Ich war
+froh, als ich am fünften Tage Nachmittags von einer Felsanhöhe die Palmen
+Tafilets erblickte. Vom Orte Beni-Bu-Ali, dem östlichsten Ksor, auf den wir
+trafen, begab ich mich direct nach dem Hauptorte der Oase Abuam, und da ich
+ohne Bekannte war, ging ich direct in die grosse Moschee. Ich hatte mich,
+müde wie ich vom Wege war, schlafen gelegt, fand mich aber unangenehm
+erweckt durch einen Fusstritt. Vor mir stand ein Scherif, er fragte, wer
+ich sei, wie ich hiesse, was ich wolle. Wie gewöhnlich antwortete ich, ich
+sei ein zum Islam übergetretener Deutscher, Namens Mustafa (ich machte nie
+Hehl daraus, dass ich übergetreten sei, und konnte das auch nicht, da ich
+zu der Zeit das Arabische noch sehr mangelhaft sprach). Für uns Deutsche
+haben die Marokkaner das durch die Türken den Arabern zugebrachte und aus
+dem Slavischen entlehnte Wort Nemsi. Aber mit dieser Erklärung war der
+Scherif nicht zufrieden. Wie überhaupt durch die drohende Nähe der
+Franzosen in Algerien, die Filali (Bewohner Tafilets) bedeutend
+misstrauischer gegen Fremde sind, so schien Misstrauen, Glaubenseifer,
+Religionsdünkel und jesuitischer Fanatismus in diesem Scherif personificirt
+zu sein. Die übrigen Tholba wurden herbeigeholt, man wollte einen
+sichtbaren Beweis meines Islams haben, und als sie nach einigem
+Kopfschütteln erklärten, dass man in dieser Beziehung mir nichts vorwerfen
+könne, fingen sie trotzdem an, meine Kleider zu durchsuchen. Und um mein
+Unglück voll zu machen, fanden sie einen alten Pass, den ich aufbewahrt
+hatte.
+
+Mit fanatischem Geheul wurde ich nun von diesen Zeloten nach Rissani, der
+officiellen Hauptstadt, wo der Kaid des Sultans residirt, geschleppt, und
+ich glaubte schon mein letztes Stündchen sei gekommen, denn was ist gegen
+fanatische Glaubenseiferer zu machen. Fortwährend brüllten sie: "er ist ein
+Spion, er ist ein Sendling des christlichen Sultans", womit sie den Kaiser
+Napoleon der Franzosen meinten, "er ist gekommen, um unser Land
+auszukundschaften, zu verrathen und zu verkaufen."--So dumm sind nämlich
+diese fanatischen Leute, wie ja überhaupt Dummheit und Fanatismus immer
+Hand in Hand mit einander gehen, dass sie überzeugt sind, ein einzelner
+Christ könne nur so ohne Weiteres ihr Land verkaufen.
+
+Glücklicherweise aber traf ich im Kaid des Sultans einen Mann, der schon
+irgendwo einen Pass gesehen haben musste, oder doch wusste, welche
+Bewandniss es damit hatte, aber auch er würde wohl kaum den wutschnaubenden
+Volkshaufen haben besänftigen können, wenn nicht zur rechten Zeit ein
+marokkanischer Prinz, nach der Meinung Vieler der rechtmässige Sultan von
+Marokko, herbeigekommen wäre: Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman.
+
+Als nämlich Sultan Sliman gestorben war, folgte nicht sein Sohn, sondern
+sein Neffe Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, und als dieser im Jahre 1859
+starb, hätte nach dem Herkommen der Aelteste der Familie und zwar Mulei
+Abd-er-Rhaman-ben-Sliman folgen müssen. Sultan Abd-er-Rhaman hatte aber bei
+Zeiten dafür gesorgt, dass sein Sohn Sidi Mohammed nachfolgen würde, und in
+der That fand im Herbste 1859 Abd-er-Rhaman-ben-Sliman den Thron besetzt.
+Da er sich bis dahin 16 Jahre in der Sauya Sidi Hamsa's, nördlich von
+Luxabi gelegen, verborgen aufgehalten hatte, um dem Dolche und Gifte seines
+Vetters zu entgehen, brach er Ende 1859, von einigen wenigen Getreuen
+begleitet, auf nach Fes, um sich des Thrones zu bemächtigen. Aber schon
+hatte sich Bascha ben Thaleb und Kaid Faradji von Fes für den jetzigen
+Sultan erklärt, der lange Zeit vorher dort Chalifa gewesen war und sie
+durch reiche Geschenke an sich gezogen hatte. Wenig fehlte, so wäre der
+Sohn Sliman's mit seinen einigen hundert Reitern gefangen genommen.
+
+Dieser Mulei Abd-er-Khaman-ben-Sliman lebte jetzt in Tafilet, und ihm, in
+seiner Eigenschaft als Prinz und seinem unfehlbaren Charakter als
+Scherif--ihm war es ein Leichtes das tobende Volk zu besänftigen. Es
+könnte befremdend erscheinen, dass dieser geächtete und vom Throne
+ausgestossene Prinz so friedlich an der Seite des Kaids des Sultans
+stand, aber man muss bedenken, dass die Regierung von Marokko südlich
+vom Atlas nur eine Scheinregierung ist, und namentlich dieselbe in
+Tafilet gar keine Autorität besitzt.
+
+Der Prinz fasste für mich Freundschaft, und diese wuchs noch, als sich
+herausstellte, dass ich in der Campagne der Franzosen gegen die
+Beni-Snassen 1859 schon seinen ältesten Sohn, der ebenfalls
+Abd-er-Rhaman hiess, kennen gelernt hatte. Derselbe war dahin gekommen,
+um die Hülfe des französischen Generals Martimprey gegen seinen
+Verwandten, der den Thron von Fes usurpirt hatte, anzurufen; Martimprey
+lehnte selbstverständlich jede Einmischung in die inneren
+Angelegenheiten Marokko's ab. Ich blieb längere Zeit bei dieser
+gastfreundlichen Familie, die für gewöhnlich in Marka, Provinz Ertib der
+Oase Tafilet[144], wohnt, und sodann bereitete ich mich vor, meine Reise
+zu vollenden.
+
+ [Fußnote 144: Die Beschreibung von Tafilet ist in "Uebersteigung des
+ Atlas etc.", Bremen Kühtmann, 2te Auflage, und in Petermann's
+ Mittheilungen, Jahrgang 1865.]
+
+Ich hatte im Laufe der Zeit durch Prakticiren wieder einiges Geld
+zusammengebracht, allerdings durch mühsames Sparen, denn die ärztliche
+Praxis muss in Marokko und namentlich in den regierungslosen Theilen ganz
+anders ausgeübt werden, als bei uns. Namentlich muss sich der Arzt, der
+keine starke Sippe oder Verwandtschaft hinter sich hat, wohl hüten, einem
+Patienten eine Medicin zum inneren Gebrauche zu verabfolgen, denn hat er
+das Unglück sodann einen Kranken durch den Tod zu verlieren, so ist
+entweder die Medicin, oder der Arzt die Ursache davon gewesen; andererseits
+hat der Arzt aber von wirklich guter Medicin gar nicht einmal den erhofften
+Erfolg, denn gesundet ein Kranker, dann haben weder die Medicin noch der
+Arzt geholfen, sondern irgend ein Heiliger, auch wohl Mohammed, in
+seltneren Fällen Gott[145], dies Wunder bewirkt. Es ist daher am besten die
+Praxis so auszuüben, wie es landesüblich ist: durch Feuer und Amulette.
+
+ [Fußnote 145: In dieser Beziehung haben die Mohammedaner viel
+ Aehnlichkeit mit den Katholiken: bei einem Wunder denken sie
+ zumeist an einen Heiligen, seltener an ihren Propheten, in den
+ seltensten Fällen an Gott.]
+
+Mit einer Karavane machte ich mich sodann auf den Weg und zwei Tage nach
+unserem Aufbruche von Ertib erreichten wir die nordöstlich davon gelegene
+Oase Budeneb. Wir blieben hier nur einen Tag, und am folgenden Tage Abends
+erreichten wir die Oase Boanan, den ganzen Weg hatten wir ebenfalls in
+nordöstlicher Richtung zurückgelegt. Mit einem Empfehlungsbriefe vom
+obengenannten marokkanischen Prinzen für den Schich der Oase versehen,
+kehrte ich bei ihm ein, und wurde auch gastfreundlich empfangen. Der Schich
+hiess Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah.
+
+Zehn Tage lang war ich sein Gast, und täglich assen wir aus Einer Schüssel.
+Ich hatte dort einen so langen Aufenthalt, weil Thaleb Mohammed der Meinung
+war, ich solle nur mit einer grösseren Karavane weiter reisen, da je näher
+der algerinischen Grenze, desto unsicherer der Weg sei. Zu der Zeit nun
+lebte ich noch in den Illusionen, wie man dieselben so häufig durch Bücher
+solcher Reisenden genährt bekommt, die nur einen oberflächlichen Blick in
+das Leben der Mohammedaner geworfen haben und uns erzählen, wer mit einem
+Muselman aus Einer Schüssel gegessen habe, für heilig und unverletzlich
+gehalten werde. Zu der Zeit glaubte ich noch an die Heiligkeit des
+Gastrechtes. Und hierdurch unvorsichtig gemacht; liess ich eines Tages mein
+Geld sehen. Im Ganzen mochte ich ca. 60 französische Thaler haben. Aber
+auch für einige Thaler marokkanisches Kleingeld war darunter, welches ich
+den Schich bat, gegen französisches umzutauschen, da ich wusste, dass
+ersteres in Algerien keinen Cours hatte.
+
+Thaleb Mohammed wechselte, aber von dem Augenblick an musste er auch schon
+den Entschluss gefasst haben, mich zu ermorden. Jetzt war nicht mehr die
+Rede davon eine Karavane abzuwarten, er meinte nun, mit Hülfe seines
+Dieners, der ganz gut als Führer würde dienen können, könne ich auch ohne
+Karavane die nur zwei Tagemärsche entfernte Oase Knetsa erreichen. Er fügte
+noch hinzu, ich könne mich vollkommen auf seinen Diener verlassen, und der
+Preis für das Führen, 8 Frcs., wurde von mir im Voraus bezahlt.
+
+Mit Freuden war ich auf den Voschlag [Vorschlag] eingegangen, denn nach
+mehr als zweijähriger Anwesenheit unter diesen durch ihre Religion
+verthierten Menschen hatte ich die grösste Sehnsucht wieder unter
+Civilisation zu kommen. Ich fand es auch gar nicht auffällig, als Thaleb
+Mohammed vorschlug, Abends abzureisen, da man in der Sahara ja so häufig
+die Nacht zu Hülfe nimmt, um der Sonne zu entgehen, und um vom Durste
+minder gequält zu werden.
+
+So machten wir uns Abends auf den Weg, der Führer, ein Diener und ich. Es
+hatte sich nämlich vom Draa her ein Pilger an mich angeschlossen, der gegen
+Kost, aber sonst ohne Lohn, in ein Dienstverhältniss zu mir getreten war.
+Nach einem Marsche von etwa 4 Stunden lagerten wir in der Nähe eines
+kleinen Flusses und machten von trocknen Tamarisken-Aesten ein hoch und
+hell loderndes Feuer an, welches der Führer besonders gut im Brennen
+unterhielt, um damit seinem Herrn den Ort zu zeigen, wo wir gelagert wären.
+Mein Diener und ich beim Feuer ausgestreckt, waren bald eingeschlafen,
+ebenso schien der Führer sich der Ruhe hinzugeben. Ausser dass ich eine
+Pistole trug, hatte der Diener und ich keine Waffen, der Führer hatte einen
+Karabiner. Wie lange ich geschlafen, erinnere ich nicht. Als ich erwachte,
+stand der Schich der Oase dicht über mich gebeugt vor mir, die rauchende
+Mündung seiner langen Flinte war noch auf meine Brust gerichtet. Er hatte
+aber nicht, wie er wohl beabsichtigt hatte, mein Herz getroffen, sondern
+nur meinen linken Oberarm zerschmettert; im Begriff mit der Rechten meine
+Pistole zu ergreifen, hieb nun der Schich mit seinem Säbel meine rechte
+Hand auseinander. Von dem Augenblick sank ich auch schon durch das aus dem
+linken Arm in Strömen entquellende Blut, wie todt zusammen. Mein Diener
+rettete sich durch Flucht.
+
+Als ich am folgenden Morgen zu mir kam, fand ich mich allein, mit 9 Wunden,
+denn auch noch, als ich schon bewusstlos dalag, mussten diese Unmenschen,
+um mich ihrer Meinung nach vollkommen zu tödten, auf mich geschossen und
+eingehauen haben. Meine sämmtlichen Sachen, mit Ausnahme der
+blutdurchtränkten Kleider, hatten sie weggenommen. Obgleich das Wasser
+nicht weit von mir entfernt war, konnte ich es nicht erreichen, ich war zu
+entkräftet, um mich zu erheben, ich versuchte mich hinzurollen, Alles
+vergebens, ich litt entsetzlich vom brennenden Durste.
+
+In dieser hülflosen Lage blieb ich zwei Tage und zwei Nächte. Halb war mein
+Zustand wachend, halb ohnmächtig. Ich hatte dann die schrecklichsten
+Visionen. Manchmal glaubte ich Leute zu sehen, und strengte nun alle Kräfte
+an, um sie herbeizurufen, aber immer war es Täuschung. Mit dem Leben hatte
+ich vollkommen abgeschlossen. Hauptsächlich quälte mich die fürchterlichste
+Angst von Hyänen oder Schakalen angefallen und lebendig verzehrt zu werden.
+Denn diese Uebergangsgegend der Sahara ist besonders das Gebiet dieser
+feigen Raubthiere. Ich wäre ihnen eine vollkommen hülflose Beute geworden.
+
+Endlich am dritten Tage kamen zwei Menschen. War es diesmal Wirklichkeit,
+oder wieder Täuschung? Nein, es waren Menschen, sie antworteten auf mein
+schwaches Rufen durch Winken, mit der Stimme. Es waren Marabutin der
+unfernen kleinen Sauya Hadjui. Ihre Freude mich lebend anzutreffen, war
+fast grösser als die meine. Ich stammelte nur "el ma, el ma!" (Wasser).
+Aber, dachte ich dann, ist ihre Freude auch aufrichtig? Sie hatten eiserne
+Hacken auf der Schulter, offenbar in der Absicht mich zu beerdigen, aber
+hauptsächlich waren sie wohl durch den Umstand hergezogen, der jedenfalls
+ruchbar geworden war: nämlich dass man mir meine Kleidungsstücke gelassen
+hatte, für die dortige so sehr arme Gegend immer noch ein sehr kostbarer
+Gegenstand.
+
+Und nun erklärten sie zwar freundlichst mich retten zu wollen, aber sie
+müssten nach dem zwei Stunden entfernten Hadjui zurückkehren, um behuf
+meines Transportes ein Maulthier zu holen. So entfernten sie sich wieder,
+und jetzt durchlebte ich erst die entsetzlichste Zeit.
+
+Diese vier Stunden, die ich jetzt allein zubrachte, kamen mir vor, wie eine
+nie enden wollende Ewigkeit. "Sie haben dich nur verlassen, um dich sterben
+zu lassen, und um, wenn du gestorben bist, sich deiner Kleidungsstücke zu
+bemächtigen", das war der Gedanke, der fortwährend durchgedacht wurde,
+nachdem ich soeben durch einen Trunk Wasser zu etwas erneuertem Leben
+gekommen war. Wie konnte ich überhaupt nach einem solchen Mordversuche noch
+Glauben zu den dortigen Menschen haben.
+
+Da endlich hörte ich Geräusch, ich versuchte den Kopf zu erheben, ich sah
+ein starkes Maulthier, getrieben von mehreren Menschen, sich nähern, meine
+Retter waren wieder da. Mit Vorsicht luden sie mich auf das Thier, was
+keine Kleinigkeit war, da mein linker Arm nur noch an Haut und Muskeln
+hing, meine rechte Hand auseinanderklaffte, mein rechter Oberschenkel
+ebenfalls durchschossen war. Das Bluten hatte schon längst von selbst
+aufgehört, es mussten sich Pfröpfe gebildet oder die Ohnmachten das bewirkt
+haben.
+
+Wie lachte mein Herz, als ich die Palmen von Hadjui auftauchen sah, und
+doch wusste ich nicht, wie ich vor Schmerzen auf dem Maulthiere es würde
+aushalten können. Und die wenigen Palmen, die wenigen armseligen
+Häuser[146] schienen mir ein Paradies zu sein.
+
+ [Fußnote 146: Die Oase Hadjui ist nur eine ganz kleine von circa 100
+ Palmen bestandene Insel, mit etwa 50 Wohnungen.]
+
+Ich wurde nach der Wohnung des Schichs der Oase gebracht. Das Haus
+Sidi-Laschmy's war aber keineswegs gross, es bestand aus einem
+Vorzimmer, Aufenthaltsort für das Maulthier, für einen Esel und zwei
+Ziegen, dann kam ein grösseres Gemach, das als Wohnzimmer für die ganze
+Familie und zugleich als Küche diente. Daran stiess ein kleines Zimmer,
+Vorrathskammer, endlich waren oben zwei Mensa, d.h. Räumlichkeiten, die
+auf dem flachen Dache gebaut waren, und worin die beiden Brüder, denn
+Sidi-Laschmy bewohnte das Haus mit seinem jüngeren Bruder Abd-er-Rhaman,
+mit ihrer resp. Frau schliefen. Man machte mir dicht neben der
+Feuerstelle mein Lager. Mein erster Wunsch war, nachdem ich etwas
+Mehlsuppe genossen hatte, nach einem Messer, und als man ein solches
+brachte, bat ich Sidi-Laschmy, mit einem herzhaften Schnitt meinen
+herabhängenden Arm abzuschneiden.
+
+Aber da kam ich schlecht an. "Das kann bei euch Christen Sitte sein," sagte
+der Marabut, "aber wir schneiden nie ein Glied ab, und da du, der Höchste
+sei gelobt, jetzt rechtgläubig bist, wirst du deinen Arm behalten."
+Mittlerweile hatten sie auch schon aus Ziegenfell eine Binde genäht, in
+welche Stäbe aus Rohr, um dem Ganzen Halt zu geben, eingezogen waren. Diese
+Binde wurde umgelegt, mit Thon umschmiert, und so eine Art festen Verbandes
+hergestellt. Der Arm wurde auf weissen Wüstensand gebettet. Hätte man nicht
+vergessen gehabt, den Verband zu fenstern, so wäre er vollkommen gewesen.
+Die übrigen Wunden wurden einfach mit Baumwolle verbunden, welche von
+Butter, in welche man vorher Artemisia getaucht hatte, um sie aromatisch zu
+machen, durchtränkt war.
+
+Welch' wonniges Gefühl hatte ich Abends, als ich mich unter Dach und Fach
+wusste, zwar hart gebettet, denn ich lag auf Stroh und war nur mit
+Teppichen bedeckt, aber doch in Sicherheit mit der Aussicht wieder
+hergestellt zu werden und noch leben zu können. Man hatte mir meine
+Kleidung vom Leibe geschnitten, um das Blut heraus zu waschen, aber während
+der Zeit befand ich mich in Adam's Kleidern, denn die Leute waren so arm,
+dass sie mir keine anderen verschaffen konnten. Ueberhaupt schien Hadjui
+einer der dürftigsten Oerter zu sein, die Leute der Oase waren aber auch
+die gastfreundlichsten der Welt. Sie waren so arm, dass sie in der ganzen
+Ortschaft nicht einmal Weizen hatten, aber im Glauben, ich dürfe ihre
+schwere Kost aus Gerstenmehl nicht geniessen, wurde für mich auf
+Gemeindekosten Weizen von einer anderen Oase gekauft. Auch Butter wurde für
+mich auf Gemeindekosten geholt, und die jungen Leute mussten dann und wann
+hinaus, um Strausseneier zu suchen, oder wo möglich einen Strauss zu
+erlegen, damit ich animalische Kost bekäme. Es war rührend, wie die jungen
+Mädchen täglich an mein Lager kamen, um mir frisch aufgesprossene Gerste zu
+bringen. In dieser an Grün so armen Gegend, wo Gemüse, wie Rüben, Zwiebeln
+und Kohl zu den feinsten und kostbarsten Gartentrüchten [Gartenfrüchten]
+gerechnet werden, verschmäht man es nicht, das zarte Gras der Gerste zu
+geniessen.--Ja, fast erstickten mich im Anfange die Frauen durch ihre Güte:
+von dem Grundsatze ausgehend, dass der grosse Blutverlust nur durch grosse
+Quantitäten von Nahrung zu ersetzen sei, waren in den ersten Tagen
+beständig zwei Frauen an meiner Seite damit beschäftigt, mir grosse Klumpen
+Kuskussu in den Mund zu schieben, und ich, des Gebrauches meiner beiden
+Hände zu der Zeit beraubt, musste es ruhig geschehen lassen.
+
+Endlich nach langem Schmerzenslager, um so unangenehmer deshalb, weil ich
+keine Kleidungsstücke zum Wechseln hatte, konnte ich das Ende meiner Reise
+antreten. Die Wunden am Körper, an den rechten Hand, der Schuss durchs
+rechte Bein waren geheilt, der zerschossen gewesene linke Arm hatte zwar
+durch Callusbildung um den zerschmetterten Oberarmknochen Festigkeit
+gewonnen, aber die Wunden waren offen und von Zeit zu Zeit eiterten
+Splitter[147] heraus.
+
+ [Fußnote 147: Erst im Jahre 1868 war der Arm vollständig geheilt,
+ nachdem ich stets mit offenen Wunden, die Reise nach dem Tschad-See
+ und die Expedition nach Abessinien damit zurückgelegt hatte.]
+
+Wir nahmen Abschied von einander und Sidi-Laschmy liess es sich nicht
+nehmen, mich bis zur grossen Ortschaft Knetsa zu begleiten. Auf dem Wege
+dahin haben die Beni-Sithe Minen mit Blei und Antimon, die sie bearbeiten.
+Knetsa mit einer Einwohnerschaft von ca. 5000 Seelen ist eine für dortige
+Gegend berühmte Sauya, indess ebenfalls nicht von Schürfa, sondern nur von
+Marabutin gegründet. Die Schichs Sidi Mohammed-ben-Abd-Allah und Sidi
+Ibrahim sind die ansehensten. Da ersterer sich in Fes befand, stieg ich bei
+letzterem ab, für beide hatte ich Empfehlungsschreiben von Mulei
+Abd-er-Rhaman-ben-Sïiman von Tafilet. Merkwürdigerweise hatte mir
+nämlich der Schich Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah von Boanan auf Bitten
+der Marabutin von Hadjui nicht nur meine Empfehlungsbriefe, sondern auch
+einen Theil meines Tagebuches zurückerstattet. Aber hartnäckig den
+Mordanfall läugnend, behauptete er, diese Gegenstände dort gefunden zu
+haben, leider waren Croquis, sowie Notizen über Einwohner, Einwohnerzahl
+der Ortschaften und eine ganze Reihe von Berge-, Flüsse- und Orts-Namen
+unwiederbringlich verloren.
+
+Ich wurde gut in Knetsa aufgenommen, aber auf meine Klage, mich zu
+unterstützen gegen Thaleb Mo-hammed-ben-Abd-Allah, erwiederte Sidi Ibrahim,
+Nichts thun zu können, da sie keine obrigkeitliche Regierung hätten. In der
+That ist in diesen Gegenden von Regierung und Obrigkeit keine Spur
+vorhanden, das Faustrecht in der ganzen primitiven Bedeutung des Wortes
+herrscht überall. Knetsa selbst liegt in einem breiten Ued gleichen Namens,
+der meist oberirdisch ohne Wasser ist, indess stöst [stösst] man in
+geringer Tiefe auf eine Schicht desselben.
+
+Nach einigen Tagen Aufenthalt vernahm ich, dass eine Karavane von Tafilet
+nach Tlemçen den westlich einen Tagemarsch entfernt sich erstreckenden
+Ued-Gehr passiren würde; mit mehreren Gefährten brachen wir also von
+Knetsa auf. Unsere Richtung war den ganzen Tag über westlich, und nach
+einem für mich entsetzlich mühevollen Marsche erreichten wir spät Abends
+den Gehr. Hätten an dem Tage die Gefährten mich nicht unterstützt, so
+wäre ich auf halbem Wege liegen geblieben; mein Schuhzeug war ganz
+zerrissen, meine Kräfte aber so wenig hergestellt, dass ich alle paar
+hundert Schritt ausruhen musste. Und am Gehr angekommen, erfuhr ich, die
+Karavane würde gar nicht nach Tlemçen gehen, sondern nach dem
+Ued-Ssaura. Ich musste also nach Knetsa zurück, aber bald darauf traf
+ich denn auch Leute, die nach der Oase Figig reisen wollten.
+
+Sobald man Tafilet hinter sich hat, hört die eigentliche Sahara auf. Man
+hat alle Tage Wasser, Flüsse, Brunnen und Ortschaften. Aber nirgends hat
+die Gegend einen eigenthümlicheren, wild durch einander gemischten
+Charakter wie hier. Selbst in Abessinien, obschon dort die Berge mächtiger
+und bedeutend höher sind, man aber nur Berge hat, giebt es kaum
+wunderlichere Formen. So sieht man auf dem Wege zwischen Hadjui und Knetsa
+einen Berg, der vollkommen die Gestalt einer Kirche mit daneben stehendem
+Thurm hat, senkrecht aus der Ebene hervorragen. Als ich von Weitem diese
+eigenthümliche Formation erblickte, glaubte ich zuerst, es sei eine alte
+kolossale Baute ehemaliger Christen. Hier ist denn auch die Heimath der
+Antilopen, Gazellen und Strausse, grössere reissende Thiere sind sehr
+selten, Hyänen, Füchse und Schakale häufig.
+
+Man braucht von Knetsa nach Figig drei Tagemärsche, die aber tüchtig
+gemessen sind. Meine Gefährten gingen indess nur bis zum Orte
+Bu-Schar[148], einer kleinen Oase am Flusse gl. N., von den Uled Djerir
+bewohnt. Die Bu-Schar-Oase hat ausserdem noch zwei kleinere Ksors. Ich
+glaubte schon zu einem längeren Aufenthalte verdammt zu sein, als sich
+ein Mann erbot, mich nach Figig bringen zu wollen, gegen den geringen
+Lohn von einem (französischen) Thaler. Er hatte den Empfehlungsbrief des
+Scherif-Prinzen von Tafilet an Schich Humo-ben-Taher von Figig gelesen
+und meinte, der würde den Thaler zahlen. Mit diesem guten Manne, der
+noch dazu einen Schlauch Wasser und einige Lebensmittel trug, brach ich
+auf. Nach zwei harten Tagemärschen sahen wir die dichten Palmwälder der
+Oase Figig vor uns. Es ist dies die letzte Oase nach dem Norden zu,
+deren Datteln noch gesucht werden; alle von hier an nördlich gelegenen
+Oasen produciren wohl noch Datteln, jedoch von geringerer Güte. Renou t.
+IX, p. 120 führt nach Carette noch Figig als eine von "Berbern bewohnte
+Stadt mit 400 bis 500 Häusern oder 2000 bis 2500 Einwohnern" an. Figig
+ist kein Ort oder keine Stadt, sondern eine ziemlich grosse, 3 bis 4
+Stunden im Umfange haltende sehr fruchtbare Oase, mit acht Ksors, die
+alle befestigt sind, und fast fortwährend in Feindseligkeiten mit den
+auswärtigen Ortschaften oder unter sich selbst sind. Der Hauptort heisst
+Snaga, im SO der Oase gelegen, hier residirte auch Schich
+Humo-ben-Taher. Von den anderen Orten kann ich Maise, dann
+Hammam-Tachtani und Hammam-Fukkani (oberes und unteres Bad) nennen. Der
+Name deutet schon an, dass hier Thermalen sind, denn unter Hammam
+versteht der Araber immer "heisses Bad." Es dürfte wohl nicht
+übertrieben sein, wenn wenn [wenn] man die Gesammtbevölkerung der Oase
+Figig auf 10,000 Seelen annimmt. Auch Juden wohnen in Snaga und Maise.
+Die Oase producirt ausser der Dattel sämmtliche Früchte der
+Mittelmeerzone. Der Handel ist sehr lebhaft, Araber-Nomaden, besonders
+aus Algerien bringen Butter, Oel, Felle, Wolle, Schafe, Ziegen und
+Getreide, und holen dafür Pulver, Kleidungsstücke, Datteln, Waffen und
+Sklaven.
+
+ [Fußnote 148: Ort, von Moula-Ah'med auf seiner Pilgerreise erwähnt.
+ S. Renou.]
+
+Leider konnte ich mein Versprechen, dem Führer einen Thaler zu geben, nicht
+halten. Schich Humo-ben-Taher nahm mich zwar sehr freundlich auf, aber
+einen harten Thaler für mich auszugeben, dazu war er nicht zu bewegen.
+Statt dessen rief er den armen Kerl, und ertheilte ihm seinen Segen, er
+meinte der Segen würde besser sein, als Geld. Betrübt schlich der arme Mann
+von dannen, er nahm selbst Abschied von mir ohne Fluch und Verwünschung,
+meinte nur, wenn ich das Geld gehabt hätte, würde ich ihn wohl belohnt
+haben. Und darin hatte er nicht Unrecht, denn als ich später auf meiner
+zweiten Reise in der heiligen Stadt Uesan mit ihm zusammentraf, konnte ich
+ihm reichlich sein mir erwiesenes Gute zurückerstatten.
+
+Von Figig bis zur französischen Grenze hat man noch einen starken
+Tagemarsch, nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Snaga brach ich mit einer
+grossen Karavane von Algerinern auf und mit Isch hat man die Grenze des
+Gebietes, das dem Namen nach zu Marokko gehört, hinter sich, und bald
+darauf ist man auf französischem Grund und Boden.
+
+Ehe ich aber über Ain-Sfran, Schellala etc. und durch zahlreiche Duars
+nomadisirender Araber kommend, Géryville, die südwestlichste von den
+Franzosen besetzte Stadt, erreichte, vergingen noch saure, mit starken
+Anstrengungen verknüpfte Tage.
+
+Mit Géryville aber hatten meine Leiden ein Ende. Herr Burin, Commandant des
+Ortes, dann der dortige Militairarzt, nahmen mich mit der offensten
+Gastfreundlichkeit auf, wochenlang wurde ich dort aufs liebevollste im
+Hospitale der Garnison verpflegt, und bald darauf bekam ich Briefe aus der
+Heimath, mein ältester Bruder Dr. Hermann schickte die Mittel zur
+Weiterreise, und als ich dann, kurze Zeit später, in Algier selbst
+anlangte, brachte nach einigen Tagen der Dampfer eben diesen Bruder, der
+die weite Reise von Bremen nicht gescheut hatte, "den Wiedergefundenen" an
+sein treues Herz zu drücken.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und
+Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***
+
+***** This file should be named 15890-8.txt or 15890-8.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ https://www.gutenberg.org/1/5/8/9/15890/
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+Produced by Magnus Pfeffer, Robert Kropf and the Online
+Distributed Proofreading Team. This file was produced from
+images generously made available by the Bibliothèque
+nationale de France (BnF/Gallica) at http://gallica.bnf.fr.
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+will be renamed.
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+Creating the works from public domain print editions means that no
+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
+copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
+charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
+do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
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+redistribution.
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+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
+located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
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+works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
+1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
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+unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
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+1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
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+that
+
+- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
+
+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
+forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
+Foundation as set forth in Section 3 below.
+
+1.F.
+
+1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
+effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
+public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
+collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
+works, and the medium on which they may be stored, may contain
+"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
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+LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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+the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+refund. If you received the work electronically, the person or entity
+providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 4.01 Transitional//EN">
+<html>
+<head>
+<meta name="generator" content=
+"HTML Tidy for Windows (vers 1st December 2004), see www.w3.org">
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+"text/html; charset=us-ascii">
+<title>The Project Gutenberg eBook of Mein erster Aufenthalt in
+Marokko, by Gerhard Rohlfs</title>
+<style type="text/css">
+/* leave room for page numbers; */
+body { margin-left: 9%; margin-right: 9%; }
+sup { font-size: 60% }
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+</style>
+</head>
+<body>
+
+
+<pre>
+
+The Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise
+südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: May 24, 2005 [EBook #15890]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***
+
+
+
+
+Produced by Magnus Pfeffer, Robert Kropf and the Online
+Distributed Proofreading Team. This file was produced from
+images generously made available by the Bibliothèque
+nationale de France (BnF/Gallica) at http://gallica.bnf.fr.
+
+
+
+
+
+
+</pre>
+
+<p>
+Transcriber's notes:<br>
+&nbsp;&nbsp;[&nbsp;] Korrektur von Satzfehlern (einschlie&szlig;lich der im Vorwort erw&auml;hnten)<br>
+&nbsp;&nbsp;[&nbsp;] correction of typos (including those wich are mentioned in the preface)
+</p>
+<center>
+<h2>Mein erster Aufenthalt in Marokko<br>
+und<br>
+Reise s&uuml;dlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.</h2>
+</center>
+<center>
+<h3>Von Gerhard Rohlfs.</h3>
+</center>
+<center>
+<h4>BREMEN, 1873.
+<br>
+Verlag von J. K&uuml;htmann's Buchhandlung,
+<br>
+U. L. Fr. Kirchhof 4.
+</h4>
+</center>
+
+<h3>Vorwort.</h3>
+<p>Indem ich dem geneigten Leser die Beschreibung meines ersten
+Aufenthaltes in Marokko &uuml;bergebe, verweise ich dabei auf die
+ausgezeichneten Karten, die seiner Zeit in den Petermann'schen
+Mittheilungen &uuml;ber meine Routen erschienen sind. Ich habe mir
+die gr&ouml;sste M&uuml;he gegeben, durch Vergleichung mit anderen
+Angaben ein ann&auml;hernd genaues Resultat &uuml;ber die
+Einwohnerzahl des Landes und der St&auml;dte zu erlangen, und hoffe
+das Richtige getroffen zu haben, so weit das &uuml;berhaupt durch
+Sch&auml;tzung zu erm&ouml;glichen ist. Sehr bedauerlich ist
+f&uuml;r mich, dass durch einen Schreibfehler in meinem Manuscripte
+die Zahl 25,000 statt 250,000 f&uuml;r die Draabev&ouml;lkerung
+auch in Dr. Behm's geogr. Jahrb&uuml;cher &uuml;bergegangen ist. Im
+vorliegenden Buche bitte ich ausserdem bei Dar beida statt 300
+Einwohner 3000, und bei Asamor statt 30,000 Einwohner 3000 lesen zu
+wollen.</p>
+<p>Weimar, September 1872.</p>
+<p><b>Gerhard Rohlfs.</b></p>
+<h3>Inhalt:</h3>
+<p><b><a href="#K01">1. Ankunft in Marokko</a></b><br>
+<b><a href="#K02">2. Bodengestalt und Klima</a></b><br>
+<b><a href="#K03">3. Bev&ouml;lkerung</a></b><br>
+<b><a href="#K04">4. Religion</a></b><br>
+<b><a href="#K05">5. Krankheiten und deren Behandlung</a></b><br>
+<b><a href="#K06">6. Uesan el Dar Demana</a></b><br>
+<b><a href="#K07">7. Eintritt in marokkanische Dienste</a></b><br>
+<b><a href="#K08">8. Die Hauptstadt Fes</a></b><br>
+<b><a href="#K09">9. Mikenes und Heimreise nach Uesan</a></b><br>
+<b><a href="#K10">10. Politische Zust&auml;nde</a></b><br>
+<b><a href="#K11">11. Consulatswesen</a></b><br>
+<b><a href="#K12">12. Aufenthalt beim Grossscherif von
+Uesan</a></b><br>
+<b><a href="#K13">13. Reise l&auml;ngs des atlantischen
+Oceans</a></b><br>
+<b><a href="#K14">14. Reise s&uuml;dlich vom Atlas nach der Oase
+Draa</a></b><br>
+<b><a href="#K15">15. Die Oase Draa. Mordversuch auf den Reisenden.
+Ankunft in Algerien</a></b></p>
+<h2><a name="K01" id="K01"></a>1. Ankunft in Marokko.</h2>
+<p>Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines
+franz&ouml;sischen Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war
+Nachmittag, als wir beim herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht
+hinausdampften. Die meisten an Bord befindlichen Passagiere
+wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren auch einige, die
+Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten. Der
+gr&ouml;sseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen,
+da mein Geldvorrath &auml;usserst gering war; das Wetter war eben
+so sommerlich, die das Dampfboot f&uuml;hrenden Leute so freundlich
+und zuvorkommend, dass man kaum an die gr&ouml;sseren
+Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.</p>
+<p>Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest
+vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste
+der Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der
+Zeit sprach man in Spanien und Algerien viel von einer
+Reorganisation der marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe
+nach dem Friedensschlusse mit Spanien die Absicht ausgesprochen,
+Reformen einzuf&uuml;hren; man las in den Zeitungen Aufforderungen,
+nach Marokko zu gehen, jeder Europ&auml;er k&ouml;nne dort sein
+Wissen und sein K&ouml;nnen verwerthen. Dies Alles
+besch&auml;ftigte mich, ich machte die sch&ouml;nsten Pl&auml;ne,
+ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu k&ouml;nnen, als ich
+durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war; ich
+glaubte um so eher mich den Verh&auml;ltnissen des Landes
+anschmiegen zu k&ouml;nnen, als ich in Algerien gesucht hatte, mich
+der arabischen Bev&ouml;lkerung zu n&auml;hern und mit der Sitte
+und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt zu machen.</p>
+<p>Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma
+Rassaua) gemacht, um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und
+wieder ging es weiter nach dem Westen, und als es am folgenden
+Morgen tagte, befanden wir uns gerade in gleicher H&ouml;he von
+Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der K&uuml;stenfahrt
+zu geben, von der sich &uuml;berdies &auml;usserst wenig sagen
+l&auml;sst. Nackt, steil und abschreckend fallen die Felsw&auml;nde
+ins Meer hinein. Freilich ist die K&uuml;ste gar nicht so
+einf&ouml;rmig, wie sie sich in einer Entfernung von circa dreissig
+Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir gew&ouml;hnlich hielten,
+auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk unterscheiden;
+aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein St&auml;dtchen
+ist zu erblicken, h&ouml;chstens die einsame Kuppel des Grabmals
+irgend eines Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an
+der K&uuml;ste Menschen hausen.</p>
+<p>H&auml;tte nicht Spanien einige befestigte Punkte,
+Strafanstalten, an dieser K&uuml;ste, sie w&uuml;rde vollkommen
+unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de Velez bekamen wir nach
+einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von
+Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige D&ouml;rfer
+an der K&uuml;ste haben, so sind diese doch so versteckt angelegt,
+dass sie sich dem Auge des Vorbeifahrenden entziehen. Der
+Seer&auml;uber scheut das Licht, er muss Schlupfwinkel haben, und
+die in unmittelbarer N&auml;he des Mittelmeers wohnenden Rifi sind
+nichts Anderes als Seer&auml;uber, und zwar der schlimmsten Art.
+Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben
+dazu auch weder passende Fahrzeuge noch gen&uuml;gende Waffen, aber
+wehe dem Schiffe, das an ihrer K&uuml;ste scheitert, wehe dem
+Boote, welches der Sturm in eine ihrer Buchten treiben sollte.</p>
+<p>Wie ganz anders ist die gegen&uuml;berliegende spanische
+K&uuml;ste, gr&uuml;ne, wein- und olivenumrankte Berge,
+&uuml;berall St&auml;dte, freundliche Villen und D&ouml;rfer,
+kleine Schiffe, die den K&uuml;stenverkehr vermittelm [vermitteln];
+man kann keinen gr&ouml;sseren Gegensatz denken.</p>
+<p>Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die K&uuml;ste, ohne
+sie jedoch ganz aus den Augen zu verlieren, und hielten auf
+Gibraltar, welches noch Nachts erreicht wurde. Bis zum folgenden
+Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde die Meerenge durchschnitten
+und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche Jollen waren gleich
+vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser mir fast
+nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle war
+bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen
+nicht unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines
+Menschen, der einen heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist
+n&auml;mlich die Brandung so stark, dass die B&ouml;te dort nicht
+anlegen k&ouml;nnen. Ich miethete einen kr&auml;ftigen Neger, der
+mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans Land
+trug.</p>
+<p>F&uuml;r einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht
+l&auml;stig, zumal f&uuml;r mich, da mein Pass bekundete, dass ich
+unter englischem Schutze st&auml;nde. Die Dragomanen der
+verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden nach ihrer
+Nationalit&auml;t, und als ich meinen Bremer Pass in die H&auml;nde
+eines vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen
+Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten
+beseitigt. Die Hansest&auml;dte standen dazumal unter
+grossbritanischem Schutze, w&auml;hrend Preussen sich durch
+Schweden vertreten liess.</p>
+<p>Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das H&ocirc;tel de
+France, welches von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein
+reizendes Haus, in &auml;cht maurischem Style. Von einem
+fr&uuml;heren Gouverneur der Stadt erbaut, geh&ouml;rte dasselbe
+jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenth&uuml;mer der
+Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.</p>
+<p>Ausser mir war noch ein Blumenh&auml;ndler dort, der mit dem
+Bruder des Sultans, Mulei el Abbes, Gesch&auml;fte machen wollte,
+und auch hoffte bei den europ&auml;ischen Consuln seine Waare
+absetzen zu k&ouml;nnen, dann ein Spanier, vormals Offizier der
+spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte, wie ich, in
+Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren Monaten in
+Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gr&uuml;nden er die spanische
+Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei
+Tetuan noch so ausgezeichnet hatte, h&auml;tte er in Spanien sicher
+eine Zukunft gehabt. Besch&auml;ftigt mit der Uebersetzung des
+spanischen Artillerie- Reglements ins Arabische, wollte er dies dem
+Sultan pr&auml;sentiren und dann in die marokkanische Armee
+eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el Abbes noch gl&auml;nzende
+Versprechungen gemacht.</p>
+<p>Mein n&auml;chster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir
+Drummond Hay. Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von
+allen Mitteln entbl&ouml;sst, obwohl ich kein einziges
+Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon ich ihm ein
+vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engl&auml;nder war, empfing
+mich Sir Drummond mit liebensw&uuml;rdigster Zuvorkommenheit. Aber
+wie zerstieben meine Tr&auml;ume. Ich erfuhr, dass an eine
+Reorganisation der Zust&auml;nde des Landes nicht gedacht
+w&uuml;rde, dass der religi&ouml;se Fanatismus eher zu- als
+abn&auml;hme, dass, wenn der Sultan f&uuml;r seine Person auch
+vielleicht Reformen in einigen Dingen w&uuml;nsche, der
+Religionshass der Eingeborenen gegen alles Christliche so gross
+sei, dass an Ausf&uuml;hrung nicht gedacht werden k&ouml;nnte.
+Allerdings habe der Sultan eine <i>regelm&auml;ssige</i> Armee
+gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelm&auml;ssig, und
+falls ich auf dem Beschluss best&auml;nde, ins Innere des Landes
+gehen zu wollen, sei vor Allem <i>erforderlich</i>, &auml;usserlich
+den Islam anzunehmen.</p>
+<p>Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zur&uuml;ck. Aber eine Berathung
+mit Gatell, der Reiz des Neuen, das Lockende, v&ouml;llig
+unbekannte Gegenden durchziehen zu k&ouml;nnen, fremde V&ouml;lker
+und Sitten, ihre Sprache und Gebr&auml;uche kennen zu lernen, ein
+Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies
+bewog mich, das Wagniss auszuf&uuml;hren, und nach einer zweiten
+Unterredung mit Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle&mdash;(es
+war dies das <i>einzige</i> Mittel, um ins Innere des Landes Zugang
+zu bekommen)&mdash;<i>&auml;usserlich</i> den Islam annehmen und
+eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans nachsuchen. Unter
+dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte Sir
+Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und
+k&ouml;nne mich so lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei
+el Abbes, den ich versuchte zu besuchen, war indess nicht sichtbar
+f&uuml;r mich, jedesmal kam ich zu ungelegener Zeit.</p>
+<p>Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen
+Vorsatz auszuf&uuml;hren, obschon alle anderen Europ&auml;er
+abriethen. Ich vermied aber so viel wie m&ouml;glich mit ihnen in
+weitere Ber&uuml;hrungen zu kommen, namentlich mied ich das
+spanische Consulat (obschon mir dasselbe sp&auml;ter in Marokko
+viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion
+verd&auml;chtigt zu werden. Denn h&auml;tten die Mohammedaner mich
+nach wie vor mit Christen verkehren sehen, so w&uuml;rden sie es
+gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein &uuml;bergetreten. So
+war ich nur f&uuml;nf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die Stadt
+nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den
+R&uuml;cken gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es
+&uuml;bernommen hatte, mich nach Fes bringen zu wollen.</p>
+<p>Ich hatte meine Sachen auf das Nothd&uuml;rftigste reducirt, ein
+B&uuml;ndelchen mit W&auml;sche war Alles, was ich bei mir hatte,
+nach Landessitte trug ich es an einem Stocke h&auml;ngend auf der
+Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses langes wollenes, mit
+Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe Pantoffeln, dann
+eine spanische M&uuml;tze, worein ich mein letztes Geld&mdash;eine
+englische F&uuml;nf-Pfundnote&mdash;gen&auml;ht hatte, endlich ein
+schwarzer weiter europ&auml;ischer Ueberzug, der als Burnus dienen
+konnte: das war mein Anzug. Ich hatte keine Waffen, ein kleines
+Buch mit Bleistift, um Notizen machen zu k&ouml;nnen, war in der
+Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausr&uuml;stung.</p>
+<p>Gewiss ein Wagest&uuml;ck, unter solchen Umst&auml;nden, mit
+solchen mehr als bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes
+Land eindringen zu wollen! Um so mehr, als ich von der arabischen
+Sprache nur die gew&ouml;hnlichsten Redensarten auswendig wusste
+und weit davon entfernt war, auch nur mangelhaft sprechen zu
+k&ouml;nnen. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut auswendig
+gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es
+sagen, alleiniger Schl&uuml;ssel zum Oeffnen dieser von so
+fanatischer Bev&ouml;lkerung bewohnten Gegenden ist. Diese
+Glaubensformel&mdash;wer h&auml;tte sie nicht schon geh&ouml;rt
+oder gelesen&mdash;lautet: <i>"Lah ilah il allah, Mohammed ressul
+ul Lah,"</i><a href="#F001"><sup>1</sup></a> ausser Gott kein Gott, Mohammed
+ist der Gesandte Gottes.</p>
+<blockquote><a name="F001" id="F001"></a>[Fu&szlig;note 1: Ganz
+genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus, obschon es nach der
+Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein
+m&uuml;sste.]</blockquote>
+<p>Mein Gef&auml;hrte schien vollkommen &uuml;berzeugt, ich sei zum
+Islam &uuml;bergetreten, nur glaube ich, vermuthete er, ich sei
+heimlich entflohen aus irgend einem verborgenen unlauteren Grund,
+vielleicht dachte er auch, dass bei den Christen der Uebertritt von
+einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit dem Tode bestraft
+w&uuml;rde; aber das schien ihm gewiss, dass mein P&auml;ckchen mit
+W&auml;sche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte
+und ich mich damit aus dem Staube machen wolle.
+Nat&uuml;rlicherweise mussten ihm solche Gedanken kommen: ein
+Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich nie mit
+W&auml;sche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan
+w&auml;re.</p>
+<p>Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan
+f&uuml;hrte, weil mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen
+Freund aufsuchen wollte, und bald genug hatten wir die n&auml;chste
+Umgegend Tangers verlassen. Der Weg war nicht belebt, denn es war
+nicht der nach Tetuan f&uuml;hrende Karavanenweg. Aber wie
+entz&uuml;ckend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt
+nicht neu f&uuml;r mich war, wenn auch das Thierreich n&ouml;rdlich
+vom Atlas &uuml;berhaupt wenig bietet, was nicht in den
+&uuml;brigen L&auml;ndern am Mittelmeerbecken zu finden ist, das
+schon Gesehene unter anderen Verh&auml;ltnissen &uuml;bt immer
+einen m&auml;chtigen Zauber aus.</p>
+<p>Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der
+Marokkaner sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der
+langbl&auml;ttrigen Alo&euml;s, Lentisken- und Myrtengeb&uuml;sch,
+Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April ist f&uuml;r Marokko
+die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem Anfang
+Juni entsprechen w&uuml;rde. Die Pracht und F&uuml;lle der Natur
+hat nun keine Grenzen. Der heisse und austrocknende S&uuml;dostwind
+hat seine t&ouml;dtenden Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht
+ausge&uuml;bt. Wie alle G&auml;rten der St&auml;dte Marokko's
+zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus. Und da in
+den unteren Theilen die Bew&auml;sserung gut ist, wird Alles
+gezogen, was man nur in Europa an Gem&uuml;se kennt.</p>
+<p>Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von
+Tetuan kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere
+Europ&auml;er waren, die mich alle baten und beschworen, nicht in
+alleiniger Begleitung eines Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins
+Innere des Gebirges zu gehen. Aber ich liess mich nicht mehr
+bereden, es waren die letzten Christen, die ich f&uuml;r lange Zeit
+zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle nie
+aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge
+nach Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach
+noch ausf&uuml;hrlicher von dieser merkw&uuml;rdigen
+Pers&ouml;nlichkeit die Rede sein soll, beschr&auml;nke ich mich
+darauf, hier anzuf&uuml;hren, dass er der gr&ouml;sste Heilige von
+Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den
+Mohammedanern ungef&auml;hr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst
+bei den ultramontanen Katholiken.</p>
+<p>Durch viele kleine Duar (Zeltd&ouml;rfer) und Tschar
+(H&auml;userd&ouml;rfer) kommend, die alle von h&uuml;bschen
+G&auml;rten umgeben waren, zog ich trotz meiner halbmarokkanischen
+Kleidung &uuml;berall die Blicke der Eingeborenen auf mich, und
+Si-Embark (so nannte sich mein Gef&auml;hrte) hatte genug zu thun,
+die Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt:
+"er geht zu Sidi, ist ein zum Islam &uuml;bergetretener Inglese"
+(Engl&auml;nder), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird
+schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet
+Meinherr) wirkte &uuml;berall wie Zauber. Ich liess es ruhig
+geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engl&auml;nder, die
+M&uuml;he, ihnen auseinanderzusetzen, welcher Nationalit&auml;t ich
+angeh&ouml;re, w&uuml;rde &uuml;berdies bei ihren kindlichen
+geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.</p>
+<p>Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am
+Berge gelegenes D&ouml;rfchen. Alle H&auml;user und Geh&ouml;fte
+waren von hohen Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen
+G&auml;rten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht, und Si-Embark
+wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist Dein ich?
+Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die
+Fragen, die Beide sich unz&auml;hlige Male, nachdem der erste
+<i>"ssalamu alikum"</i> ausgetauscht worden war, wiederholten.
+Dabei k&uuml;ssten sie sich recht herzlich, und allm&auml;hlich,
+als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es schien,
+stereotypen Fragen kam, wurden diese h&auml;ufig untermischt mit
+anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten
+Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die
+Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Nat&uuml;rlich
+wurde die Neugier in Betreff meiner auch gestillt.</p>
+<p>Das Haus, in welches wir sodann gef&uuml;hrt wurden, bestand wie
+alle &uuml;brigen nur aus Einem Zimmer. Die W&auml;nde waren
+auswendig und innen &uuml;berkalkt, der Fussboden war aus
+gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf St&auml;mmen
+aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige
+Th&uuml;r so niedrig, dass ein f&uuml;nfj&auml;hriges Kind
+allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das &auml;ussere Dach,
+&agrave; cheval dar&uuml;ber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein
+Teppich, auf einer Erderh&ouml;hung eine Art Matratze war das ganze
+Ameublement.</p>
+<p>Gegen&uuml;ber dem Hause befanden sich zwei Zelte, f&uuml;r je
+eine Frau, denn das Haus war von zwei Br&uuml;dern bewohnt. Man
+findet es in Marokko &uuml;berhaupt sehr oft, dass zwei
+verheirathete Br&uuml;der Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater
+der beiden Br&uuml;der lebte noch und bewohnte das Haus.&mdash;Der
+ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen
+ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in den Augen
+der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner gestempelt; sie
+riethen mir n&auml;mlich, oder vielmehr befahlen, mein Kopfhaar
+glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen, mir
+eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese
+chinesiche [chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht,
+und Morgens nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das
+Ansehen, welches Mirza-Schaffy f&uuml;r den sch&ouml;nsten Schmuck
+des Mannes h&auml;lt. Der alte Papa hatte selbst das Rasiren
+besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente
+sich dazu seines ganz gew&ouml;hnlichen Messers. Ein F&ouml;tha
+(d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust,
+und nun war ich ihrer Meinung nach vollkommener Muselmann.</p>
+<p>Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das
+sp&auml;ter n&auml;her er&ouml;rtern werde, nicht als zum Islam
+unumg&auml;nglich nothwendig gehalten<a href="#F002"><sup>2</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F002" id="F002"></a>[Fu&szlig;note 2: Siehe
+dar&uuml;ber auch H&ouml;st, S. 208.]</blockquote>
+<p>Nat&uuml;rlich musste ich von nun an alle Gebr&auml;uche, die
+der Islam erfordert, mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der
+Hand aus einer irdenen Sch&uuml;ssel mit dem m&auml;nnlichen
+Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der Bissen zu
+fassen und zum Munde zu f&uuml;hren sei, und Nachts musste ich mich
+bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh f&uuml;r diesmal
+eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer
+kleinen th&ouml;nernen Lampe, ganz &auml;hnlich in Form und Gestalt
+den antiken griechischen und r&ouml;mischen. Ein Klumpen Butter
+wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem
+Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der
+brillanten Gaslampe.</p>
+<p>Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich
+nat&uuml;rlich immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen,
+erreichten wir um "Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger
+nach L'xor (Alcassar) f&uuml;hrende Karavanenstrasse. Eine Uhr
+besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner
+meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den Magenbed&uuml;rfnissen
+und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als
+Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenh&ouml;he oder
+Mittag, und Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen
+Sonnenaufgang und Mittag, endlich zwischen Mittag und
+Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. F&uuml;r alle diese
+Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen<a href="#F003"><sup>3</sup></a>.
+Wenn ich sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so
+denke man dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte
+Chaussee, dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche
+nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt
+ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder
+weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener
+eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft
+zwanzig, ja bis zu f&uuml;nfzig, die sich in einander
+schl&auml;ngeln, so dass das Ganze von der Vogel-Perspective aus
+gesehen, wie ein langgezogenes Netz erscheinen w&uuml;rde.</p>
+<blockquote><a name="F003" id="F003"></a>[Fu&szlig;note 3:
+Sonnenaufgang Seroct el schems, gegen 9 Uhr Morgens Dhaha, Mittag
+nus el nhar, Nachmittags 3 Uhr L'asser, Untergang der Sonne Hebut
+el schems. Diesen Zeiten entsprechen auch die Gebete, doch ist das
+Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]</blockquote>
+<p>Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die
+weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz
+derselben zu erh&ouml;hen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing
+schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verh&auml;ltnisse
+sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der
+Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar
+bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben
+Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob
+die Berber den Pflug <i>vor</i> der arabischen Invasion gekannt
+haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen &uuml;brigen
+V&ouml;lkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach
+Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien
+her&uuml;bergekommen. S&uuml;dlich vom Atlas, in den Oasen der
+Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke
+bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer
+Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre,
+dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich
+f&uuml;r die n&auml;chste Bestellung des Ackers als
+D&uuml;ngungsmittel dienen. In Haufen l&auml;sst man alsdann das
+Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das
+Korn durch Rinder, <i>denen das Maul verbunden ist</i><a href=
+"#F004"><sup>4</sup></a> und die im Kreise herumgetrieben werden,
+ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel
+einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man f&uuml;r den
+n&auml;chsten Gebrauch nicht im Hause beh&auml;lt, wird in grosse
+L&ouml;cher gesch&uuml;ttet. Diese Gruben von birnf&ouml;rmiger
+Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als
+mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf
+Erh&ouml;hungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll
+sich jahrelang darin halten.</p>
+<blockquote><a name="F004" id="F004"></a>[Fu&szlig;note 4:
+H&ouml;st (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es aber
+nur so ausdreschen sehen.]</blockquote>
+<p>Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gew&ouml;hnt,
+war mir der Marsch mit blossen F&uuml;ssen in den d&uuml;nnen
+gelben Pantoffeln &auml;usserst beschwerlich; nach der Sitte der
+Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den
+Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die
+empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und
+schmerzhaft brannte. Gl&uuml;cklicherweise hatte Si-Embark eine
+kleine Rku&aacute;<a href="#F005"><sup>5</sup></a> bei sich, woraus wir
+unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d.
+i. ein Zeltdorf, in dem gen&auml;chtigt wurde. Es war ein Kreis von
+17 Zelten; eins, das sich durch gr&ouml;ssere Feinheit des Stoffes
+auszeichnete, auch ger&auml;umiger als die &uuml;brigen war,
+geh&ouml;rte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit
+Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den
+&uuml;brigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der
+Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht
+&uuml;berdies die Sitte, die Zelte kreisf&ouml;rmig aufzuschlagen;
+viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch
+die Behausungen den &ouml;rtlichen Verh&auml;ltnissen der Gegend
+anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag &uuml;ber gute
+Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten h&auml;tte, und ich ersah
+daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortw&auml;hrend Gott im
+Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter,
+die uns l&auml;cherlich erscheinen werden. Als er mich das Wort
+"rsass", Blei, f&uuml;r Kugel anwenden h&ouml;rte, unterbrach er
+mich rasch und meinte, es sei unanst&auml;ndig, dies Wort, womit
+man Menschen t&ouml;dte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie ich zu
+sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber sp&auml;ter fand ich,
+dass man in Marokko allgemein f&uuml;r Bleikugel das Wort "chfif",
+d.h. "leicht" sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende
+Eigenschaft. Er sagte mir, ich solle nie die Frauen und jungen
+M&auml;dchen ansehen und als Fremder nicht mit ihnen sprechen,
+kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch am
+folgenden Tag daf&uuml;r bezahlt.</p>
+<blockquote><a name="F005" id="F005"></a>[Fu&szlig;note 5:
+Rku&aacute;, kleiner Schlauch, den man selbst tr&auml;gt; Girba,
+Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]</blockquote>
+<p>Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt,
+sondern Si- Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei
+dem er Unterkommen fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher
+zum ersten Male eine einheimische feste Behausung kennen gelernt,
+so war jetzt das Leben und Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen.
+Ich sah jetzt ein, welch ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des
+Islam ziehen w&uuml;rde. H&auml;tte man einen Christen oder auch
+einen unter Gepr&auml;nge reisenden Mohammedaner so ohne Weiteres
+ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie. Auf
+diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige
+Bev&ouml;lkerung selbst lebt&mdash;auf diese Art reisend, durfte
+ich hoffen, genau die Sitten und Gebr&auml;uche der Eingeborenen
+kennen zu lernen. Vor mir war keine Scheu, keine
+Zur&uuml;ckhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann sagen,
+auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und
+unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt
+daf&uuml;r vom Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der
+zudringlichen Fragen, warum ich gekommen, weshalb ich
+&uuml;bergetreten, warum ich nicht heirathe und mich sesshaft mache
+etc. etc., erwehren zu k&ouml;nnen, ausgesagt, ich sei Arzt; aber
+von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen
+Krankheiten Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles
+wollte Mittel und Rathschl&auml;ge vom ehemaligen christlichen Arzt
+haben. Freilich sch&ouml;pfte ich auch hieraus manchen Nutzen, denn
+ebenso gut wie in Europa der Arzt manchmal mehr erf&auml;hrt als
+der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die Marokkaner Vertrauen
+zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten Beweis seiner
+Heilkraft erprobt haben.</p>
+<p>Das Zelt, welches wir f&uuml;r die Nacht bewohnten, war
+dasselbe, worin die ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im
+Allgemeinen sind die Zelte der Marokkaner etwas kleiner als die der
+Algeriner, aber gr&ouml;sser als die der Bewohner von Tripolitanien
+und Cyrenaika. Dies gilt indess nur f&uuml;r die Theile in Marokko,
+die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger stehen, in
+den Gebieten, welche eine unabh&auml;ngige Herrschaft haben,
+besitzen die St&auml;mme ebenso grosse, wenn nicht noch
+gr&ouml;ssere Zelte als die der Triben in Algerien. Man kann mit
+Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte auf den Wohlstand
+Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie bei uns
+urspr&uuml;nglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause",
+"er macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in
+Wirklichkeit zu nehmen ist, so auch in Marokko; "<i>min dar
+kebira</i>", oder "<i>cheima kebira</i>" heisst vom grossen Hause,
+vom grossen Zelte und bedeutet, dass der, auf den es Bezug hat,
+wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt, mithin Reichthum und
+Macht besitzt.</p>
+<p>Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten,
+nicht zu den grossen geh&ouml;rte; in der einen H&auml;lfte
+schliefen Mann und Frau, in der anderen wir und noch zwei
+m&auml;nnliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand war durch die
+im Zelte &uuml;blichen M&ouml;bel gebildet: hohe S&auml;cke mit
+Korn, darauf ein Sattel, Ackerger&auml;th, zwei Flinten, ein
+grosser Schlauch mit Wasser, ein anderer, worin gebuttert wird und
+der nur halb voll zu sein schien<a href="#F006"><sup>6</sup></a>, T&ouml;pfe
+und leere h&ouml;lzerne Sch&uuml;sseln vervollst&auml;ndigten die
+trennende Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine
+Scheidewand gezogen zu sein. Ein kleines F&uuml;llen, welches an
+unserer Seite angebunden war, bekam mehrere Male Nachts
+Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des
+Eigenth&uuml;mers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen
+kurzen Besuch zu machen, wobei sie ungenirt &uuml;ber uns
+wegkletterten. Gl&uuml;cklicherweise sind die Hunde <i>des
+Zeltes</i>, in das man einmal aufgenommen ist, nicht mehr zu
+f&uuml;rchten, es ist, als ob sie den Gastfreund ihres Herrn
+respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts einen
+Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er
+w&uuml;rde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien
+angefallen werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man
+lockt durch faules oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere
+fort, und mit Leichtigkeit kann dann gestohlen werden, da die
+Eingeborenen sich Nachts nur auf die Wachsamkeit ihrer Hunde
+verlassen.</p>
+<blockquote><a name="F006" id="F006"></a>[Fu&szlig;note 6: Man
+giesst mehrere Morgen nach einander die frisch gemolkene Milch in
+einen Ziegenschlauch, und sp&auml;ter wird durch Sch&uuml;tteln die
+Butter erzeugt.]</blockquote>
+<p>Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets
+f&uuml;r die Nacht in den inneren Kreis getrieben und Morgens und
+Abends gemolken. Besitzt ein Einzelner viele Schafe, so werden sie
+in zwei Reihen mit den K&ouml;pfen nach vorn gerichtet,
+durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald ein Schaf
+gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit f&uuml;hren die
+Widder der verschiedenen Heerden furchtbare K&auml;mpfe auf und
+meistens lassen die Besitzer sie gew&auml;hren. Ein jeder der
+K&auml;mpfer geht ungef&auml;hr zehn Schritt zur&uuml;ck, und
+sodann st&uuml;rzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass
+die K&ouml;pfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse
+mit dem Kopfe nach vorw&auml;rts, sie fallen auf die Knie, endlich
+r&auml;umt der eine das Feld, w&auml;hrend der andere laut
+schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das marokkanische Schaf ist
+nicht das fettschw&auml;nzige. Die H&ouml;rner des Schafes sind
+spiralf&ouml;rmig gebogen, der Kopf ist vorn gew&ouml;lbt, die
+Wolle lang und fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das
+spanische Merino entstanden. F&uuml;r Veredlung der Race der Schafe
+wird nat&uuml;rlich in Marokko gar nichts gethan, im Gegentheil
+wundert man sich, dass sie bei so ung&uuml;nstiger Behandlungsweise
+noch so ausgezeichnet gedeihen. Hems&ouml; sch&auml;tzt die Zahl
+der Schafe auf vierzig bis f&uuml;nfundvierzig Millionen. Wo Schafe
+sind, ist gleichzeitig auch Ziegenzucht und
+verh&auml;ltnissm&auml;ssig gedeihen diese besser, weil sie weniger
+Wartung bed&uuml;rfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen
+Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie
+wegen ihrer Felle gesch&auml;tzt. Die Schl&auml;uche zum
+Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann gut, wenn sie aus Ziegen- oder
+Bockfellen bereitet sind. Aber auch das gegerbte Leder, Safian,
+Maroquin, oder das, was heute am bew&auml;hrtesten ist, Fessian und
+das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch zieht
+der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.</p>
+<p>Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der
+&uuml;blichen Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in
+Wasser gekocht und mit Butter gegessen wurden. Wir hatten die
+Absicht, Abends noch die Stadt L'xor zu erreichen. Wie am Tage
+vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich fing bald an, mich
+meiner &uuml;berfl&uuml;ssigen Kleidungsst&uuml;cke zu entledigen,
+auch mein spanisches M&uuml;tzchen wurde dem B&uuml;ndel
+beigef&uuml;gt und daf&uuml;r aus meinem Tuch zum besseren Schutz
+gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war freundlich genug,
+das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu nehmen,
+welches in zwei an beiden Seiten angebundenen K&ouml;rben,
+"Schuari" genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde
+Tleta-Risane erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt
+abgehalten wird; ungef&auml;hr halbwegs zwischen Tanger und L'xor
+gelegen, zeichnet sich dieser Platz sonst durch nichts aus.
+Manchmal soll auch in der N&auml;he ein Duar zu finden sein, zu der
+Zeit sahen wir nur eine leere St&auml;tte, die aber auf den ersten
+Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein
+m&uuml;sste. Hier standen leere H&uuml;tten aus Zweigen, dort waren
+Metzgerpl&auml;tze, und viele Aasgeier und Raben durchw&uuml;hlten
+noch den blutdurchtr&auml;nkten Boden, hier sah man Asche der
+Schmiedewerkst&auml;tte, dort todte Kohlenreste einer
+Gark&uuml;che, aber nirgends war ein Mensch zu sehen.</p>
+<p>Da Wasser in der N&auml;he war und die Sonne ihren h&ouml;chsten
+Stand erreicht hatte, w&uuml;rde gelagert, und nachdem wir etwas
+trockenes Brod gegessen hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen
+Freund aus einem in der N&auml;he lagernden Duar abholen, ich solle
+ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten wir dann nach L'xor gehen.
+Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu scheinen, ihn um mein
+B&uuml;ndelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe ich ihn
+wiedergesehen.</p>
+<p>Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem
+Untergange zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein
+&auml;ngstliches Gef&uuml;hl beschlich mich, so allein auf jetzt
+v&ouml;llig einsamer Strasse weiter zu ziehen, s&auml;mmtlicher
+Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger zur&uuml;ckzukehren,
+aber ich sch&auml;mte mich, nach einer dreit&auml;gigen Reise dort
+und noch dazu unter solchen Verh&auml;ltnissen wieder zu
+erscheinen. Ich nahm noch einen t&uuml;chtigen Trunk Wasser und
+vorw&auml;rts zog ich nach S&uuml;den. Da Si- Embark mir gesagt
+hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu wollen, hoffte ich
+noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung erwies sich als
+falsch.</p>
+<p>Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenth&uuml;mlicher
+Aufzug, halb europ&auml;isch halb marokkanisch gekleidet, erregte
+nat&uuml;rlich das gr&ouml;sste Aufsehen. Hunderte von Menschen
+umdr&auml;ngten mich bald, Kinder l&auml;rmten, schimpften und
+schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war ein
+Gl&uuml;ck f&uuml;r mich. Der P&ouml;belhaufe wollte n&auml;mlich
+nicht glauben, ich sei Moslim, und wenn ich auch nicht Alles
+verstand, was sie mir B&ouml;ses sagten, merkte ich doch so viel,
+dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen in ihre Stadt
+erbaut gewesen w&auml;ren; als aber die Juden, welche spanisch
+verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden
+(adjmia wendet der Marokkaner auf jede fremde Sprache an),
+erkl&auml;rten, ich sei allerdings Christ gewesen, habe aber die
+Religion der Gl&auml;ubigen angenommen, werwandelte [verwandelte]
+sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die Juden nun noch
+hinzuf&uuml;gten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"<a href=
+"#F007"><sup>7</sup></a> zu pilgern, um sp&auml;ter in die Dienste des
+Sultans zu treten, war Jedermann zufrieden.</p>
+<blockquote><a name="F007" id="F007"></a>[Fu&szlig;note 7: Dar
+demana, Haus der Zuflucht, wird Uesan von den frommen
+Gl&auml;ubigen genannt.]</blockquote>
+<p>Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der
+Regierung, die zum Theil in den St&auml;dten Polizeidienst
+versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres ergriff der eine meine Hand
+und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte nicht, der Maghaseni
+rief immerw&auml;hrend: "tkellem el Kaid" (der Kaid l&auml;sst Dich
+rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen
+Aufforderung &uuml;berhaupt Widerstand entgegensetzen k&ouml;nne.
+Die Juden redeten zu, mitzugehen, sie selbst w&uuml;rden f&uuml;r
+mich dolmetschen, ich solle nur keine Furcht haben, der Kaid sei
+ein guter Mann.&mdash;Angekommen im Dar el Maghasen, wie jedes
+Regierungsgeb&auml;ude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man
+das Palais des Sultans oder die Wohnung eines gew&ouml;hnlichen
+Kaid damit meint, wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg
+&uuml;ber hatte mich immer der eine Maghaseni bei der Hand gehalten,
+w&auml;hrend der andere hinten drein ging; erst als wir vor dem
+Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch sp&auml;ter habe ich diese
+Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er
+immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.</p>
+<p>Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee
+erquickte mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann
+er zu fragen, woher ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin
+ich wolle, ob ich verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude
+explicirte Alles. Darauf hielt der Kaid, ich muss ihm diese
+Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine eindringliche Rede, nicht
+ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ w&auml;re ich Alles
+besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich
+sogar, mir ein Pferd zur R&uuml;ckreise nach Tanger zu stellen und
+mich durch einen Maghaseni begleiten zu lassen.</p>
+<p>Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen,
+glaubte ich zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss
+gemordet oder sonst etwas verbrochen, und <i>darf</i> zu den
+Christen nicht zur&uuml;ckkehren." Nach Beendigung des Verh&ouml;rs
+war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes, nach dem
+"Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es
+nat&uuml;rlich als selbstverst&auml;ndlich betrachtet, dass ich bei
+ihm wohne. Aber auch so noch erstreckte sich seine Freundlichkeit
+weiter, er befahl einem Maghaseni und dem Juden, mich nach dem
+genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort auf seine Kosten
+wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Nat&uuml;rlich wird er
+dem Miethsmann des Funduks als Entsch&auml;digung nichts gegeben
+haben, was er &uuml;berdies auch kaum n&ouml;thig hatte, da der
+Name "Funduk el Sultan", d.h. "Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in
+unserem Sinne zu verstehen ist, sondern so viel bedeutet, als
+Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der Regel geh&ouml;ren
+die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend einer
+Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.</p>
+<p>Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen
+Aussprache am n&auml;chsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt
+ungef&auml;hr 10 Minuten vom rechten Ufer des Ued-Kus entfernt,
+nach Ali Bey auf 35&deg; 1' 10" N.&nbsp;B. und 8&deg; 9' 45" W.&nbsp;L.&nbsp;v.&nbsp;P. in
+einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach Leo von
+Almansor<a href="#F008"><sup>8</sup></a> gegr&uuml;ndet sein; da aber Edris
+derselben unter dem Namen Kasr-Abd-el-Kerim erw&auml;hnt, so hat
+wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig bemerkt, nur zur
+Vergr&ouml;sserung der Stadt beigetragen. Die Bev&ouml;lkerung ist
+sehr schwankend, Hems&ouml; nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington
+8000, bei meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf
+30,000 Seelen, mich st&uuml;tzend auf die Anzahl der bewohnten
+H&auml;user, die mir zu 2600 angegeben wurden. Fr&uuml;her muss die
+Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie man aus den vielen Ruinen
+und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenth&uuml;mlich f&uuml;r
+Marokko ist, dass die meisten H&auml;user nicht flach sind, sondern
+spitze, mit Ziegeln gedeckte D&auml;cher haben. Wie wenig
+Ab&auml;nderungen in den Gebr&auml;uchen beim Volke in Marokko vor
+sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo als am Montage
+ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am Montage
+abgehalten wird. Sehr auffallend f&uuml;r alle Besucher der Stadt
+ist die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern,
+wenn die Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die H&auml;user sind
+voll davon, sogar auf den B&auml;umen erblickt man sie. Aeusserst
+g&uuml;nstig als Zwischenstapelplatz der H&auml;fen L'Araisch,
+Arseila und Tanger einerseits, der Binnenst&auml;dte Fes und Uesan
+andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine
+Zukunft vor sich.</p>
+<blockquote><a name="F008" id="F008"></a>[Fu&szlig;note 8: Maltzan
+meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten gelegen sei, welche
+Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben wird, sonst stimmen
+die Entfernungen.]</blockquote>
+<p>Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man
+an Gem&uuml;sen nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt
+der Gem&uuml;sebau in Marokko noch arg danieder. Obschon der
+Marokkaner Gelegenheit hat, in den von Christen cultivirten
+G&auml;rten der Hafenst&auml;dte alle Gem&uuml;se kennen zu lernen,
+kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst
+kaum die Rede sein. Wie gut w&uuml;rde aber Alles hier gedeihen;
+versorgt doch das nahe Algerien unter nicht ganz so g&uuml;nstigen
+klimatischen Verh&auml;ltnissen, wegen geringerer Feuchtigkeit des
+Bodens und der Luft, im Winter fast ganz Europa mit frischen
+Gem&uuml;sen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche Kartoffel hat
+den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden k&ouml;nnen. Mit
+Ausnahme der G&auml;rten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc.
+kennt man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere
+feine Gem&uuml;se. Und selbst dort werden sie keineswegs des
+Nutzens halber gezogen; irgend ein Consul brachte sie vielleicht
+zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen und wundert sich, dass
+die Christen solches Zeug essen.</p>
+<p>Das Gem&uuml;se, was in Marokko gebaut wird, ist bald
+aufgez&auml;hlt. Rothe und gelbe R&uuml;ben, Steckr&uuml;ben,
+grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Knoblauch,
+Kohl findet man fast &uuml;berall, Sellerie und Petersilie
+ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind
+die Melonen, sowohl die gew&ouml;hnlichen wie die Wassermelonen.
+Man sagt, dass die um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen
+des zu feuchten Bodens.</p>
+<p>Gegenstand der gr&ouml;ssten Neugier, blieb ich durch starken
+Regen gezwungen vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich
+an die eigenth&uuml;mlichen Sitten gew&ouml;hnen, "Christ, laufe
+doch nicht immer auf und ab," rief mir ein alter Kaffeetrinker
+eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in Gedanken auf und ab
+ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein Verbrechen sei.
+"Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck auf- und
+abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht
+anst&auml;ndig<a href="#F009"><sup>9</sup></a>." "Gott verfluche Deinen
+Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch gute Lehren
+giebt, hat er doch kein Recht, Dich <i>Christ</i> zu nennen; Gott
+sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen
+Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig
+brennen!"&mdash;"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den
+ungl&auml;ubigen Hund, wie er die H&auml;nde gefaltet hat (ich
+hatte mich auf t&uuml;rkisch niedergesetzt und in Gedanken die
+H&auml;nde gefaltet), gewiss betet er seine s&uuml;ndhaften
+Gebete!" Ich entfaltete rasch meine H&auml;nde, und ein Anderer
+ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von
+Gl&auml;ubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.</p>
+<blockquote><a name="F009" id="F009"></a>[Fu&szlig;note 9: Ich
+&uuml;bersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so,
+eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]</blockquote>
+<p>So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt
+wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch
+dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am
+peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am
+Boden hockend aus einer Sch&uuml;ssel gegessen wird, und Jeder mit
+halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen f&auml;hrt, haben
+alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und
+gleich nach dem Essen <i>laut aufzustossen</i>. "Veizeih's
+[Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit
+seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei
+gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu
+erkennen.</p>
+<p>Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in
+Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise
+nach Uesan fort. Durch die strotzenden G&auml;rten hatten wir bald
+den Ued Kus erreicht, setzten &uuml;ber und gingen auf die Berge
+los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann,
+n&auml;chtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege
+in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns
+als gef&auml;hrlich geschildert, doch sch&uuml;tzte uns der
+Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen
+Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm
+pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.</p>
+<p>Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder H&uuml;gel,
+jeder Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder
+St&auml;dtchen, machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser
+Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt,
+bewirthet, angestaunt von der ganzen Bev&ouml;lkerung, welche wohl
+noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif
+geh&ouml;renden Dorfe aus Zelten wurde &uuml;bernachtet, und am
+anderen Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt,
+das Mekka der Marokkaner.</p>
+<p>Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf
+Bodengestalt, Klima und Bev&ouml;lkerung des ganzen Reiches einen
+Blick.</p>
+<h2><a name="K02" id="K02"></a>2. Bodengestalt und Klima</h2>
+<p>Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich
+Marokko, Rharb el djoani<a href="#F010"><sup>10</sup></a> im Lande selbst
+genannt, ist von allen an das Mittelmeer grenzenden L&auml;ndern
+Nordafrika's eins der am g&uuml;nstigsten gelegenen. Es w&uuml;rde
+zu nichts f&uuml;hren, wollten wir versuchen, die Gr&ouml;sse des
+Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung,
+dass Marokko zwischen den so und so vielten L&auml;ngen- und
+Breitengraden liege, giebt nur ann&auml;hernd einen Begriff und
+wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat und
+Tidikelt, die fast bis zum 26&deg; N.&nbsp;B. nach dem S&uuml;den und
+bis zum 22&deg; O.&nbsp;L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht.
+Halten wir diese letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen
+Strecken w&uuml;sten Terrains, welche zwischen den Oasen und dem
+atlantischen Ocean liegen, hinzu, so k&ouml;nnen wir uns den besten
+Begriff von der Gr&ouml;sse Marokko's machen, wenn wir dann aus der
+Karte ersehen, dass es um ein Drittel gr&ouml;sser ist, als
+Frankreich,<a href="#F011"><sup>11</sup></a> ohne diese Gebiete aber
+ungef&auml;hr mit Deutschland eine gleiche Gr&ouml;sse hat.</p>
+<blockquote><a name="F010" id="F010"></a>[Fu&szlig;note 10: Der
+Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht bekannt und
+gebr&auml;uchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder
+Bled-es-Sidi- Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort
+djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also
+der innere und eigentliche Westen.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F011" id="F011"></a>[Fu&szlig;note 11:
+Kl&ouml;den und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775 Myriam.-Q.-
+M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey und Xavier
+Durrieu 24,379 Lieues car. Gr&aring;berg de Hems&ouml; 219,400
+Q.-M. italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425
+Q.-M. J. Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von
+1778 giebt Tempelmann 6287 Q.-M. f&uuml;r Fes, Tafilet und Marokko
+an.]</blockquote>
+<p>Wenige L&auml;nder von Afrika haben im Verh&auml;ltniss zum
+Binnenlande eine so grosse K&uuml;stenentwickelung. Die
+Gestadel&auml;nge Marokko's am atlantischen Ocean betr&auml;gt
+1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425
+Kilometer, w&auml;hrend die Landgrenze nur eine L&auml;nge von 250
+Kilometer hat.<a href="#F012"><sup>12</sup></a></p>
+<blockquote><a name="F012" id="F012"></a>[Fu&szlig;note 12: Nach
+Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine Berechnungen gezogen
+hat.]</blockquote>
+<p>Was die K&uuml;sten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so
+fallen dieselben im Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit
+unz&auml;hligen Buchten, die aber zu klein sind, um einen guten
+Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug, um den Rif-Piraten
+mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit gegen Sturm
+und st&uuml;rmische Witterung zu gew&auml;hren. Indess fehlen die
+guten Ankerpl&auml;tze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und
+an der K&uuml;ste bei Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe
+vollkommenen Schutz, und noch andere H&auml;fen w&uuml;rden sich
+mit geringen Mitteln herstellen lassen, so namentlich die grosse
+Bucht von Alhucemas, fast gegen&uuml;ber von Malaga, liesse sich
+mit leichter M&uuml;he zu einem pr&auml;chtigen Ankerplatz
+umwandeln.</p>
+<p>An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten
+Bucht, um nur als sichere Rhede betrachtet werden zu k&ouml;nnen;
+der einstige kleine Hafen der Stadt Tanger wurde von den
+Engl&auml;ndern, als sie 1684 Tanger freiwillig den Marokkanern
+&uuml;berliessen, zerst&ouml;rt.</p>
+<p>Die ganze nun folgende l&auml;ngs des atlantischen Oceans in
+s&uuml;dwestlicher Richtung streichende K&uuml;ste ist vollkommen
+flach und sanft das Meer hinabsteigend bis s&uuml;dlich von
+Mogador. Aeusserst gef&auml;hrlich f&uuml;r die Schifffahrt,
+besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in
+einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser.
+Hohe Sandd&uuml;nen hat das Meer an dieser langen K&uuml;ste
+ausgeworfen, die einen eigenth&uuml;mlichen Anblick gew&auml;hren,
+weil sie nach der Landseite, oft auch nach der Seeseite zu nicht
+kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und wahrscheinlich
+durch den Wind beeinflusst, bilden diese f&uuml;nf bis acht Fuss
+hohen Lentiskenb&uuml;sche ein vollkommen den D&uuml;nen glatt
+angepasstes Ganze, als ob sie gleichm&auml;ssig oberhalb derselben
+beschnitten w&auml;ren. Gute H&auml;fen w&uuml;rden allerdings mit
+leichter M&uuml;he herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des
+immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein.
+Andererseits haben fast alle M&uuml;ndungen der gr&ouml;sseren
+Fl&uuml;sse, die wohl gut zu H&auml;fen eingerichtet werden
+k&ouml;nnten, sehr starke Barren.</p>
+<p>Gleich s&uuml;dlich von Mogador, wo die K&uuml;ste von Nord nach
+S&uuml;d bis Agadir l&auml;uft, ist sie schroff ins Meer abfallend.
+Bei Agadir ist offenbar der beste nat&uuml;rliche Ankerplatz, aber
+vollkommene Sicherheit haben auch hier die Seeschiffe nicht. Von
+hier an weiter nach dem S&uuml;den bewahrt die K&uuml;ste wieder
+ihren D&uuml;nencharakter, die Berge treten nicht mehr bis
+unmittelbar an den Ocean hinan.</p>
+<p>An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen
+hat man im Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir;
+westlich von Melilla gelegen, hat diese Landzunge eine L&auml;nge
+von ungef&auml;hr zwanzig Kilometer auf circa sieben Kilometer
+Breite, und die nordwestliche hat noch auf den Seekarten den
+speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel oder Ras
+el kebir<a href="#F013"><sup>13</sup></a> streckt sich nach Europa hin,
+w&auml;hrend die nord&ouml;stliche Landspitze bei Ceuta, Cap
+Almina, unserm Erdtheile noch n&auml;her liegt. An der langen
+atlantischen K&uuml;ste des Landes haben wir nur das Cap Gher,
+nordwestlich von Agadir, zu verzeichnen. Es ist hier der Punkt, wo
+die Haupt-Atlaskette sich ins Meer st&uuml;rzt. Alle &uuml;brigen
+auf den Karten verzeichneten Vorgebirge, wie Cap Blanco und Cap
+Cantin n&ouml;rdlich vom Gher- Vorgebirge, oder Cap Nun
+s&uuml;dlich davon, spielen in der Formation der K&uuml;ste keine
+Rolle.</p>
+<blockquote><a name="F013" id="F013"></a>[Fu&szlig;note 13: Auf den
+Karten auch Ras Idjberdil genannt.]</blockquote>
+<p>Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von
+S&uuml;dwest nach Nordost. Wir w&uuml;rden zu irren glauben, wenn
+wir die Gebirge Algeriens zum grossen Atlas rechnen wollten;
+m&ouml;gen die franz&ouml;sischen Geographen dort immerhin ihre der
+K&uuml;ste parallel laufenden Gebirge als <i>grossen</i> und
+<i>kleinen</i> Atlas bezeichnen, m&ouml;gen die Franzosen f&uuml;r
+die Gebirge Algeriens den Namen Atlas beanspruchen&mdash;wer beide
+L&auml;nder bereist hat, wird finden, dass Algerien nur ausgedehnte
+Hochebenen mit davorliegenden Gebirgsketten besitzt, der
+<i>grosse</i> Atlas ist nur in Marokko, und in dieser Beziehung
+gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den <i>grossen</i> Atlas
+beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el Deir enden
+liessen, oder umgekehrt.</p>
+<p>Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine
+hufeisenf&ouml;rmige Gestalt. Ge&ouml;ffnet nach Nordwesten, ist
+die Spitze seines einen Schenkels das Vorgebirge Ras el Deir, die
+Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der Atlas bildet eine
+Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten, d.h. also
+nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite
+Terrassen allm&auml;lig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem
+S&uuml;dosten zu senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess
+auf ungef&auml;hr 31&deg; N.&nbsp;B., 12&deg; O.&nbsp;L. von Ferro eine
+bedeutende Kette nach S&uuml;d-S&uuml;dwest ab und l&auml;uft
+demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der
+Abzweigungspunkt giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem
+Punkte haben wir &uuml;berhaupt den eigentlichen Knotenpunkt des
+grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses Gebirges. Wie bei den
+Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der h&ouml;chste
+Gebirgspunkt, dieser scheint im S&uuml;dwesten zu liegen, etwa
+s&uuml;dlich von der Stadt Marokko.</p>
+<p>S&uuml;dlich von dieser Stadt haben wir den von Washington
+gemessenen Djebel Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] H&ouml;st
+berichtet von diesem Berge, dass nur Einmal innerhalb eines
+Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee geschmolzen sei, obschon
+Humboldt f&uuml;r diese Breite die Grenze des ewigen Schnees
+h&ouml;her angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade
+hier erwarten sollte, die Schneegrenze h&ouml;her zu finden. Es ist
+also wohl anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig
+gewesen ist. Der Etna z.B. bei einer H&ouml;he von 10,849 Fuss und
+fast 7&deg; n&ouml;rdlicher gelegen, hat nie Schnee im Sommer (das,
+was in einigen Felsspalten liegen bleibt, ist kaum zu rechnen und
+zum Theil k&uuml;nstlich von den Bewohnern Catania's
+zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den
+Aussagen der Bewohner dortiger Gegend verlieren die h&ouml;chsten
+Atlaspunkte den Schnee nie. Bei der Uebersteigung des grossen
+Atlas, die ich selbst sp&auml;ter zwischen Fes und Tafilet, und
+etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausf&uuml;hrte,
+erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur
+ann&auml;hernd richtige Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand
+man bloss Aneroide zu construiren, mit denen man h&ouml;chstens bis
+1000 Meter messen konnte; das meine zeigte nicht einmal so hoch.
+Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe schon auf dem ersten Absatz,
+auf der Terrasse s&uuml;dlich von Fes und Mikenes, zum Gebiete der
+Beni-Mtir geh&ouml;rend, den Dienst versagte, dass ich dann aber,
+mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen
+und Plateaux zu &uuml;berwinden hatte, so glaube ich, dass die
+h&ouml;chste Passh&ouml;he auf dieser Strecke, "Tamarakuit"
+genannt, kaum unter 9000 Fuss sein d&uuml;rfte. Aber wie hoch
+th&uuml;rmten sich daneben und nach allen Seiten hin die schneeigen
+Spitzen des Atlas selbst auf! Sp&auml;teren Zeiten und
+sp&auml;teren Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten
+bleiben.</p>
+<p>Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem
+Osten und S&uuml;den gesandt, im Ganzen h&ouml;rt aber der
+Charakter als Kette nach diesen Richtungen auf: das Gebirge erweist
+sich mehr als ein Gewirr von einzelnen schroffen Felsen und
+zerkl&uuml;fteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist
+erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem
+Djebel Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am
+Mittelmeer zu enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14&deg; O.&nbsp;L. von
+Ferro und 34&deg; 40' N.&nbsp;B. entsendet diese Hauptkette einen Zweig
+gegen Nordwesten; es ist das Rifgebirge, welches an der Strasse von
+Gibraltar sein Ende erreicht. Ausserdem schickt der grosse Atlas
+zahlreiche kleinere Zweige in das von ihm umschlossene Dreieck
+zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die Gebirge bei Uesan,
+die Berge n&ouml;rdlich von Mikenes nur Ausl&auml;ufer des
+n&ouml;rdlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als
+ein Zweig des Atlas ist, w&auml;hrend das sogenannte Djebel el
+Hadid ein directer Zweig des <i>grossen</i> Atlas ist, obschon Leo
+sagt:<a href="#F014"><sup>14</sup></a> "Der Berg Gebel el Hadid genannt,
+geh&ouml;rt nicht zum Atlas; denn er f&auml;ngt gegen Norden am
+Gestade des Oceans an und dehnt sich nach S&uuml;den am Flusse
+Tensift aus." Von den H&ouml;hen des Rif-Gebirges sind nur die vom
+Meere aus gemessenen Punkte bekannt, deren es bis zur H&ouml;he von
+circa 7000 Fuss<a href="#F015"><sup>15</sup></a> giebt; weiter nach dem
+S&uuml;den d&uuml;rften in dieser Kette Berge von noch
+bedeutenderer H&ouml;he sein und diese mindestens dem
+Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.</p>
+<blockquote><a name="F014" id="F014"></a>[Fu&szlig;note 14: Leo,
+Uebersetzung von Lorsmann.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F015" id="F015"></a>[Fu&szlig;note 15:
+Stielers Atlas und Petermanns Mittheilungen, 1865, Taf.
+6.]</blockquote>
+<p>Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von
+Marokko ein Bild gewonnen, so bleibt uns nur &uuml;brig zu sagen,
+dass <i>alles</i> Land von der n&ouml;rdlichen Kante des Atlas bis
+zum atlantischen Ocean und Mittelmeer vollkommen culturf&auml;hig
+ist. Der Ausdruck "Tel" f&uuml;r culturf&auml;higes Land ist in
+Marokko <i>nicht</i> bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede
+davon, existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit
+bedingt. Der einzige Strich n&ouml;rdlich in Marokko, d.h. auf der
+Abdachung nach dem Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des
+vollkommen culturf&auml;higen Landes besitzt, ist das sogenannte
+Angad, s&uuml;dlich vom Gebirge der Beni- Snassen und vom mittleren
+Laufe der Muluya durchzogen. Aber keineswegs ist dieser Boden hier
+w&uuml;stenhaft, steril und vegetationslos, ebensowenig, wie es die
+Hochebenen Algeriens s&uuml;dlich von Sebda, Saida oder Tiaret
+sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und zur
+rechten Zeit erfolgt, sehen wir &uuml;berall den Boden in Acker
+umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem
+ungl&uuml;cklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als
+vollkommene W&uuml;ste verrufen, aber nichts weniger als
+vegetations- und wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der
+m&auml;chtigsten Str&ouml;me Marokko's, ist das nicht schon
+bezeichnend genug?</p>
+<p>Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von
+Nordafrika, welches den breitesten G&uuml;rtel von
+culturf&auml;higem Lande hat, und dies nicht nur n&ouml;rdlich vom
+grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck s&uuml;dlich
+von demselben, durch diesen und seine nach S&uuml;ds&uuml;dwest
+gesandten Zweige eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau
+geeignet.</p>
+<p>Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorw&uuml;ste.
+Wir verstehen f&uuml;r Marokko unter diesem Namen den Raum, der
+sich hinerstreckt vom atlantischen Ocean bis zur Grenze von
+Algerien einerseits, vom S&uuml;dabhange des Atlas bis zu den
+Breiten, welche durch die S&uuml;dpunkte der grossen Oasen gehen,
+andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorw&uuml;ste
+aus, beanspruchen diese Oase im Gegentheil f&uuml;r die
+<i>grosse</i> W&uuml;ste. Auch diese Vorw&uuml;ste, oder, wie die
+Franzosen in Algerien das entsprechende Terrain benennen, "petit
+desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach rechtzeitigem Regen
+sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden sprossen, wo
+vordem der Wanderer jede Cultur f&uuml;r vollkommen unm&ouml;glich
+gehalten haben w&uuml;rde.</p>
+<p>Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die
+Berberstaaten in Bodenformation dasselbe Gepr&auml;ge zeigt, wie
+wir es in den &uuml;brigen um das Mittelmeer gruppirten
+L&auml;ndern finden, so zeigen auch die Fl&uuml;sse Marokko's einen
+Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen L&auml;nder,
+d.h. sie sind nicht unverh&auml;ltnissm&auml;ssig lang, haben
+zahlreiche Kr&uuml;mmungen und eine starke Ver&auml;stelung nach
+der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserl&auml;ufe, ohne
+Nebenfl&uuml;sse, wie sie der &uuml;brige weite Norden von Afrika
+so h&auml;ufig aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im
+Draa, Irharhar und Nil wiedergegeben sehen, giebt es im
+eigentlichen Marokko nicht.</p>
+<p>Einer der bedeutendsten Str&ouml;me von Nordafrika (Nil
+nat&uuml;rlich ausgenommen) unter denen, die dem Mittelmeer
+tribut&auml;r sind, ist die Muluya. Ungef&auml;hr beim
+&ouml;stlichen siebenten L&auml;ngengrad von Ferro auf der Ostseite
+des grossen Atlas entspringend, bekommt die Muluya ausser vielen
+Nebenfl&uuml;ssen ihren Hauptzustrom vom S&uuml;den, dem
+Ued-Scharef, ein Gew&auml;sser, fast so m&auml;chtig, wie die
+Muluya selbst. Dicht bei der algerischen Grenze, etwa 10 Kilometer
+westlich davon, und etwa 10 Kilometer &ouml;stlich von Cap del
+Agua, welches gerade s&uuml;dlich von den spanischen Inseln
+Djafarin liegt, ergiesst sieh die Muluya ins Mittelmeer. Die
+L&auml;nge dieses Stromes auch nur ann&auml;hernd in Zahlen
+ausdr&uuml;cken zu wollen, wie Hems&ouml; das gethan hat, ist
+jetzt, wo noch von Niemandem die Quelle des Flusses erforscht
+wurde, ein vollkommen &uuml;berfl&uuml;ssiger Versuch. Wir wollen
+nur erw&auml;hnen, dass die L&auml;nge der Muluya etwas geringer
+als die des Chelif zu sein scheint, und dass die Muluya
+ungef&auml;hr ein gleiches Gebiet beherrscht wie der spanische
+Fluss Guadalquivir.</p>
+<p>Auf der oceanischen Seite haben wir, von Norden anfangend, den
+Ued Kus<a href="#F016"><sup>16</sup></a> oder el Kus. Dieser Fluss, der die
+fruchtbarsten Ebenen in zahllosen Kr&uuml;mmungen durchzieht, woher
+sein Name, geht bei L'Araisch ins Meer, empf&auml;ngt aber dicht
+vor seiner M&uuml;ndung den Ued el Maghasen, bekannt durch die
+Drei-K&ouml;nigs-Schlacht; beide Fl&uuml;sse kommen vom Rif-Gebirge
+und dessen Ausl&auml;ufern.</p>
+<blockquote><a name="F016" id="F016"></a>[Fu&szlig;note 16: Bei
+Renou Loukous, bei H&ouml;st Luccos, Stieler Aulcos, Jackson el
+koss und Luccos, Maltzan Aulcus.]</blockquote>
+<p>Weiter der K&uuml;ste folgend, kommen wir sodann auf den
+bedeutenden Ued Sseb&uacute;. Mit zwei Armen gleichen Namens, von
+denen der eine vom grossen Atlas anderthalb Grad s&uuml;dlich von
+Fes, der andere aber vom grossen Atlas &ouml;stlich von Tesa
+entspringt, haben diese Arme, welche sich ungef&auml;hr eine Stunde
+n&ouml;rdlich von Fes vereinigen, verschiedene Nebenfl&uuml;sse,
+beide &auml;ndern auch h&auml;ufig den Namen, um den alten
+vielleicht sp&auml;ter wieder aufzunehmen. Von Osten her
+erh&auml;lt sodann nach seiner Conjunction der Sseb&uacute; auf
+seinem rechten Ufer den bedeutenden Uargha vom Rif-Gebirge und vom
+S&uuml;dosten her auf seinem linken Ufer den Bet. Der Sseb&uacute;,
+welcher sich bei Mamora<a href="#F017"><sup>17</sup></a> ins Meer ergiesst,
+w&uuml;rde leicht bis zu dem Punkte, wo sich der Uargha mit ihm
+vereint, schiffbar gemacht werden k&ouml;nnen. Die L&auml;nge
+seines Laufes ist ebenso bedeutend, als die der Muluya.</p>
+<blockquote><a name="F017" id="F017"></a>[Fu&szlig;note 17: Auf den
+meisten Karten so verzeichnet, Ort, der von den Marokkanern Mehdia
+genannt wird.]</blockquote>
+<p>Der von den vorderen Terrassen des grossen Atlas kommende, aber
+unbedeutende Fluss Bu Rhaba<a href="#F018"><sup>18</sup></a>, in
+nordwestlicher Richtung fliessend, ist nur erw&auml;hnenswerth,
+weil an seiner M&uuml;ndung die bedeutenden St&auml;dte Rbat und
+Sla liegen.</p>
+<blockquote><a name="F018" id="F018"></a>[Fu&szlig;note 18: Der auf
+den Karten verzeichnete Name Buragrag d&uuml;rfte falsch sein; die
+Marokkaner nennen ihn Bu Rhaba, Vater des Waldes, d.h. waldreich.
+Bu-Rgag oder Rgig w&uuml;rde heissen der "Vater der Enge", Bu-Rhaba
+"Vater des Geh&ouml;lzes".]</blockquote>
+<p>Der Fluss Um-el-Rbea (Mutter der Kr&auml;uter, oder der
+Kr&auml;uterreiche) entspringt mit einem m&auml;chtigen Ge&auml;ste
+aus dem grossen Atlas, fliesst seiner Hauptrichtung nach nach
+Nordwest, um bei Asamor, einer bedeutenden Stadt, den Ocean zu
+erreichen. Renou nennt ihn den bedeutendsten Fluss vom Norden
+Afrika's (nat&uuml;rlich der Nil immer ausgenommen) und stellt ihn
+auf gleiche Stufe mit der Garonne und Seine. Auch dieser Strom ist
+leicht schiffbar zu machen.</p>
+<p>Merkw&uuml;rdigerweise hat der grosse Tensift, der ebenfalls mit
+vielen Nebenfl&uuml;ssen aus dem Atlas entspringt, an seiner
+M&uuml;ndung, die zwischen Asfi und Mogador liegt, keine
+Besiedelung. Gerade weil er vorher der von jeher bedeutenden Stadt
+Marokko Wasser zuf&uuml;hrt, sollte man denken, an seiner
+M&uuml;ndung auch eine Stadt zu finden. Obgleich von bedeutender
+Breite, kann der Fluss bei Ebbezeit an der M&uuml;ndung durchwatet
+werden.</p>
+<p>Mit Ausnahme der Muluya entspringen alle diese Str&ouml;me am
+Nordwestabhange des Atlas; &uuml;bersteigt man sodann die
+Ausl&auml;ufer dieses Gebirges und das Gerippe, welches im Cap Gher
+endet, so erreicht man die M&uuml;ndung des Sus, ungef&auml;hr
+30&deg; 20' N.&nbsp;B. Der Sus hat fast vollkommen &ouml;stliche
+Herkunft und entspringt in dem Winkel, den der grosse Atlas und der
+von ihm nach Wests&uuml;dwest entsandte Zweig bilden.</p>
+<p>Weiter nach dem S&uuml;den zu kommt sodann, auf den meisten
+Karten verzeichnet, der Ued Nun. Der Name Ued Nun bedeutet aber
+weiter nichts als eine Landschaft oder Provinz, wie wir aus den
+neuesten Forschungen von Gatel ersehen k&ouml;nnen. Der dort
+existirende Strom heisst Ued Asaka, und es ist dies der Fluss,
+dessen Nun-M&uuml;ndung auf den Petermann'schen Karten als Aksabi
+verzeichnet steht, was dasselbe ist.</p>
+<p>Wir haben sodann eines echten W&uuml;stenstromes M&uuml;ndung,
+die des Draa<a href="#F019"><sup>19</sup></a> zu verzeichnen. Mit kleinem
+Ge&auml;ste aus dem grossen Atlas entspringend, ungef&auml;hr unter
+dem 13&deg; O.&nbsp;L. von Ferro geht dieser Strom direct und ohne
+nennenswerthe Nebenfl&uuml;sse zu erhalten bis zum 29&deg; N. L.
+nach S&uuml;den, schl&auml;gt dann aber westliche Richtung ein, um
+unter 28&deg; 10' in den Ocean zu fallen. Dieser lange Lauf, ein
+Sechstel mindestens l&auml;nger, als der des Rheins von der Quelle
+bis zur M&uuml;ndung, hat best&auml;ndig Wasser, auch im Hochsommer
+bis zu dem Punkte, wo der Strom von der S&uuml;drichtung eine
+westliche Richtung einschl&auml;gt. Die Wassermenge, die der Draa
+fortschwemmt, ist in den oberen Theilen des nords&uuml;dlichen
+St&uuml;ckes dennoch nicht bedeutender, als etwa diejenige der
+Spree bei Berlin; sie wird dann am s&uuml;dlichen Ende des von Nord
+nach S&uuml;d fliessenden Theiles, nachdem der Strom sogar mehrere
+Male verschwindet und viel Wasser durch Irrigiren verbraucht ist,
+so gering, dass man diesen grossen Strom, wie er sich zur
+Herbstzeit, kurz vor dem Eintritt der Regenperiode auf dem Atlas
+pr&auml;sentirt, hinsichtlich der Wasserarmuth kaum einen Bach
+nennen kann.</p>
+<blockquote><a name="F019" id="F019"></a>[Fu&szlig;note 19: Wir
+erw&auml;hnen der Ssegiat el Hamra, weil sie auf den meisten Karten
+als <i>Fluss</i> verzeichnet ist, als in die M&uuml;ndung des Draa
+einfliessend. Der Name Ssegiat hat aber immer etwas
+K&uuml;nstliches in sich und Gatel auf seiner Karte verzeichnet sie
+nicht.]</blockquote>
+<p>Dass &uuml;berhaupt noch so viel Wasser bis zum Umbug Jahr aus
+Jahr ein herabk&ouml;mmt, nachdem der heisse Wind der Sahara im
+Fr&uuml;hjahr und im Sommer mit Macht daran gezehrt hat, nachdem
+Tausende von Feldern und G&auml;rten, die sich l&auml;ngs der Ufer
+hinziehen, Tag und Nacht vom Wasser des Draa berieselt werden, das
+eben spricht f&uuml;r die M&ouml;glichkeit der Schneelage des
+Atlas, aus welchem der Fluss gespeist wird.</p>
+<p>Ob aber ein stets S&uuml;sswasser haltender See, der Debaya, auf
+seinem weiteren Laufe nach dem Westen zu vom Draa durchflossen
+wird, m&ouml;chte sehr zu bezweifeln sein. Allerdings sendet gleich
+nach der Regenzeit auf dem Atlas der Draa seine Wasser fort bis zum
+Ocean, aber in der trockenen Jahreszeit trocknet der ganze untere
+Theil des Flusses aus. Nicht weit von dem Orte, wo der See sein
+sollte, sagten mir die Bewohner, ein solcher existire nicht. Ein
+Sebcha, d.h. ein salziger Sumpf, wie ihn Petermann auf seinen
+neuesten Karten verzeichnet hat, k&ouml;nnte indess wohl vorhanden
+sein. Renou spricht sogar dem Debaya eine dreimalige Gr&ouml;sse
+des Genfer Sees zu.</p>
+<p>Als ebenfalls vom S&uuml;dostabhange des Atlas kommend und nach
+der Sahara abfliessend, haben wir dann den Sis zu nennen; ein
+echter W&uuml;stenfluss ohne alle Nebenfl&uuml;sse, und nur in
+seinen ersten zwei Dritteln oberirdisch verlaufend, tr&auml;nkt er
+unterirdisch noch die ganze grosse Oase Tafilet, um s&uuml;dlich
+davon den Salzsumpf Daya el Dama zu bilden, der nach starken
+Regenerg&uuml;ssen zu einem See sich gestaltet. Von Nordwesten her
+hat der Daya el Daura noch Zufl&uuml;sse durch den Ued-Chriss.</p>
+<p>Einen ebenso langen, wenn nicht noch l&auml;ngeren Lauf hat der
+Fluss, der die Oase von Tuat speist, aus verschiedenen Zweigen, von
+denen einige unter dem 33&deg; N.&nbsp;B. entspringen, zusammengesetzt.
+Ich verfolgte den Fluss fast bis zum 26&deg; N.&nbsp;B., ohne dass ich
+bei Taurhirt schon sein s&uuml;dlichstes Ende erreicht h&auml;tte.
+Dieser Fluss, den man l'ued Tuat nennen k&ouml;nnte, setzt sich aus
+dem Ued Gher, Ued Knetsa und einigen minder bedeutenden zusammen,
+erh&auml;lt nach der Vereinigung den Namen Ued Ssaura, und sobald
+er das eigentliche Tuat betritt, den Namen Ued Mssaud. Von Osten
+soll er s&uuml;dlich von Tuat durch den Fluss Acaraba
+verst&auml;rkt werden. Da er schon bei seinem Entspringen aus dem
+Gher und Knetsa gar nicht oberirdisch Wasser h&auml;lt, so ist es
+nicht wahrscheinlich, dass er dem Draa oder dem Ocean zugeht, wie
+Duveyrier meint, ebensowenig aber glaube ich, dass die von mir
+fr&uuml;her mitgetheilte Nachricht der Eingeborenen, der Mssaud
+erg&ouml;sse sich nach sehr starken Anschwellungen bis zum Niger,
+auf Wahrheit beruht.</p>
+<p>Da wir den oben angef&uuml;hrten Debaya vorl&auml;ufig trotz
+Renou nicht als See anzuerkennen brauchen, ja nicht einmal mit
+Bestimmtheit behaupten k&ouml;nnen, ob ein Salzsumpf dort ist, so
+haben wir eigentlich gar keine nennenswerthen Seen in Marokko zu
+verzeichnen, denn der von Leo erw&auml;hnte See unterhalb der
+"gr&uuml;nen Berge", den er mit dem See von Bolsena in der
+N&auml;he von Rom vergleicht, ist nirgends zu finden, es
+m&ouml;chte denn der kleine auf der Beaumier'schen Karte
+verzeichnete Salzsee sein, Zyma genannt, der ungef&auml;hr so gross
+wie der See von Bolsena zu sein scheint. Der einzige von mir
+entdeckte kleine S&uuml;sswassersee, Daya Sidi Ali Mohammed
+genannt, ungef&auml;hr 3 Stunden lang und 1/2 Stunde breit, liegt
+auf der H&ouml;he des grossen Atlas zwischen Fes und Tafilet.</p>
+<p>Erw&auml;hnenswerth ausser dem Daya el Daura, s&uuml;dlich von
+Tafilet ist nur noch der grosse Salzsumpf von Gurara im Norden von
+Tuat, ungef&auml;hr zehn deutsche Meilen lang und an seiner
+dicksten Stelle f&uuml;nf deutsche Meilen breit, endlich der Sigri
+Sebcha (Salzsumpf), ungef&auml;hr zehn Meilen s&uuml;dwestlich von
+Schott el Rharbi gelegen, dessen s&uuml;dwestliche H&auml;lfte nach
+dem Frieden von 1844 zu Marokko, die &ouml;stliche dagegen zu
+Algerien gerechnet wird.</p>
+<p>Ohne Widerrede bef&uuml;rchten zu m&uuml;ssen, kann man
+behaupten, dass Marokko von allen Staaten Nordafrika's das
+gesundeste Klima besitzt. Der Grund davon ist zum Theil in der
+bedeutenden Erhebung des Landes zu suchen, in den erfrischenden
+Winden vom Mittelmeere und vom Ocean, in der Abwesenheit sumpfiger
+Niederungen<a href="#F020"><sup>20</sup></a>, wie man sie in Algerien so
+h&auml;ufig beim Anfange der Besiedelung durch die Franzosen
+antraf; dann in den reichen Waldungen der Stufen des Atlas, welche
+die Hitze mildern und zugleich den Fl&uuml;ssen in Verbindung mit
+dem Schnee der Gipfel im Sommer das Wasser constant erhalten;
+endlich in der Abwesenheit jener Schotts oder flachen Seen und
+S&uuml;mpfe, wie sie Algerien und Tunis von Westen nach Osten
+durchziehen.</p>
+<blockquote><a name="F020" id="F020"></a>[Fu&szlig;note 20: Die
+wenigen S&uuml;mpfe bei L'Araisch kommen zum grossen Ganzen nicht
+in Betracht.]</blockquote>
+<p>Im Allgemeinen kann man sagen, dass in ganz Marokko ein mildes
+warmes Klima herrscht; denn wenn auch die Tekna- und Nun-Gegenden
+mit Rhadames und den s&uuml;dlichsten Oasen Algeriens, was Breite
+anbetrifft, correspondiren, so wirken die constanten Seewinde doch
+so lindernd, dass die Temperatur bedeutend k&uuml;hler ist als in
+diesen Strichen. Und wenn auch die Spitzen der Atlasberge, die wie
+der Milstin mit einer H&ouml;he von 3475 Meter, der Alpenh&ouml;he
+von 2300 Meter entsprechen, oder auch dem Meeresniveau von
+Norderney, wenn diese Berge des Atlas eine mittlere
+Jahres-Temperatur von nur 0&deg; haben, so w&uuml;rden wir nicht
+fehl zu greifen glauben, wenn wir sagen, die Summe der mittleren
+Temperaturen Marokko's w&uuml;rde 18&deg; R. betragen.</p>
+<p>Der Atlas bildet die nat&uuml;rliche Scheide in den
+Temperaturverh&auml;ltnissen. W&auml;hrend n&ouml;rdlich am Atlas
+die Regenmonate im October beginnen und bis Ende Februar anhalten,
+ist der Regenfall s&uuml;dlich vom Atlas nur im Januar und der
+ersten H&auml;lfte des Februar und erstreckt sich landeinw&auml;rts
+etwa bis zum 10. L&auml;ngengrad &ouml;stlich von Ferro, so dass
+die Draa-Provinzen in ihrem s&uuml;dlichen Theile nicht davon
+ber&uuml;hrt werden. In der Oase Tafilet ist Regenfall schon
+&auml;usserst selten, und in Tuat regnet es h&ouml;chstens alle 20
+Jahre ein Mal. Eine Regenlinie w&auml;re also s&uuml;dlich vom
+Atlas etwa so zu ziehen: vom 10&deg; O.&nbsp;L. von Ferro und 29&deg; N.
+B. in schr&auml;ger nord&ouml;stlicher Linie mit dem Atlas parallel
+zu den Figig-Oasen. Der feuchte Niederschlag ist in den
+n&ouml;rdlich vom Atlas gelegenen Theilen sehr bedeutend, ebenso
+auf dem Atlas selbst, s&uuml;dlich davon nur m&auml;ssig.</p>
+<p>In der Zeit von October bis Februar herrschen fast nur
+Nordwestwinde und am wechselvollsten ist der Februar, wo an einem
+Tage sechs bis sieben Mal Winde mit einander k&auml;mpfen. Im
+M&auml;rz sind Nordwinde vorherrschend und dann von diesem Monat an
+bis Ende September Ost, S&uuml;dostwinde und S&uuml;d. An den
+K&uuml;sten des Oceans in den Sommermonaten von 9 Uhr Morgens an
+ein stark k&uuml;hlender Seewind bis Nachmittags, wo der
+S&uuml;dost wieder die Oberhand gewinnt; indess ist dieser Wind so
+k&uuml;hlend, dass Lempiere Recht hat zu sagen: "Mogador, obschon
+sehr s&uuml;dlich gelegen, hat eine ebenso k&uuml;hle Temperatur
+als die gem&auml;ssigten Klimate von Europa." Die S&uuml;dost- und
+S&uuml;dwinde f&uuml;hren oft Heuschreckenschw&auml;rme mit sich,
+so in den Jahren 1778 und 1780. Indess scheint der Atlas ein
+wirksamer Damm gegen diese Eindringlinge zu sein, da sie im Norden
+des Gebirges nur vereinzelt beobachtet werden.</p>
+<p>Bestimmte Beobachtungen f&uuml;r die mittlere Temperatur
+einzelner Orte liegen nur wenige vor. Tanger hat nach Renou eine
+mittlere Temperatur von 18&deg; (Celsius), was aber vielleicht
+2&deg; zu viel sein d&uuml;rfte. F&uuml;r Fes kann man bei einer
+Erhebung von 4-500<a href="#F021"><sup>21</sup></a> Meter + 16-17&deg;
+(Celsius) rechnen. Uesan, welches circa 250 Meter hoch liegt,
+d&uuml;rfte eine mittlere Temperatur von 18&deg; (Celsius) haben.
+In der Stadt Marokko kann die mittlere Temperatur h&ouml;chstens +
+20&deg; (Celsius) sein, da die Datteln nicht reifen, diese brauchen
+mindestens + 22&deg; Durchschnittsw&auml;rme. In Tarudant, wo die
+Datteln schlecht reifen, d&uuml;rften vielleicht + 21&deg;
+Durchschnittsw&auml;rme sein. Hems&ouml; f&uuml;hrt noch an, dass
+im Winter weder in einem Hafen noch in irgend einer Stadt je das
+Thermometer unter + 4&deg; R. sinkt. In Uesan beobachtete ich eines
+Tages im December leichten Schneefall, und die Leute sagten mir, es
+k&auml;me dies allj&auml;hrlich vor, aber der Schnee bleibt nie
+liegen. Aus Gatel's Beobachtungen ist in Tekna das Thermometer in
+dem Wintermonaten December 1864, Januar und Februar 1865
+durchschnittlich um 7 Uhr Morgens + 13&deg; (Celsius) gewesen, "es
+kam nie unter + 6&deg; und stieg nicht h&ouml;her als + 18&deg;
+(Celsius)". In den Monaten September und October beobachtete ich in
+Tuat eine mittlere Temperatur von + 19&deg; vor Sonnenaufgang.
+Diese Oase des Kaiserreichs Marokko w&uuml;rde also ungef&auml;hr
+dieselbe Durchschnitts-Temperatur wie Fesan haben.</p>
+<blockquote><a name="F021" id="F021"></a>[Fu&szlig;note 21: Nach
+Renou; da aber Fes wohl niedriger liegt, wird auch die Temperatur
+wohl um einige Grade h&ouml;her sein.]</blockquote>
+<p>Kleiden wir noch einmal als Ergebniss das marokkanische Klima in
+Worte, so m&ouml;chten wir das anf&uuml;hren, was Hems&ouml; sagt:
+"Il clima di tutta questa regione &egrave; di pi&ugrave; salubri e
+di pi&ugrave; belli di tutta la superficie del globo
+terrestre."</p>
+<h2><a name="K03" id="K03"></a>3. Bev&ouml;lkerung.</h2>
+<p>F&uuml;r ein Land, in dem nie statistische Untersuchungen
+angestellt worden sind, auch nur ann&auml;hernd richtig die Zahl
+der Einwohner angeben zu wollen, ist &auml;usserst schwer, und wenn
+f&uuml;r ganz Afrika in dieser Beziehung die abweichendsten Angaben
+herrschen, so noch speciell f&uuml;r Marokko. W&auml;hrend z.B.
+Jackson die &uuml;bertrieben grosse Zahl von 14,886,600 Einwohnern
+angiebt, hat Kl&ouml;den in seiner neuesten Geographie nur
+2,750,000, w&auml;hrend Daniel 3- 5,000,000 annimmt.</p>
+<p>Durch Vergleich kann man am ersten auf ann&auml;hernde Wahrheit
+kommen, und den besten Vergleich k&ouml;nnen wir machen mit
+Algerien, wo bei &auml;hnlicher Bodenbeschaffenheit und bei fast
+gleichen klimatischen Verh&auml;ltnissen eine ungef&auml;hr gleiche
+<i>Dichtigkeit</i> der Bev&ouml;lkerung besteht, die sich (im Jahre
+1867) auf 2,921,246 Seelen bel&auml;uft. Da nun Marokko mindestens
+noch ein Mal so gross als Algerien ist, ausserdem grosse Oasen
+(Draa, Tafilet und Tuat) besitzt, endlich s&uuml;dlich vom Atlas
+grosse und furchtbare [fruchtbare] Provinzen (Sus und Nun)
+l&auml;ngs des atlantischen Oceans hat, so glauben wir nicht zu
+&uuml;bertreiben, wenn wir die Bev&ouml;lkerung von Marokko auf
+6,500,000 Einwohner sch&auml;tzen.</p>
+<p>Wir k&ouml;nnen jetzt mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen,
+dass, noch ehe die Ph&ouml;nizier nach Nordafrika kamen, noch bevor
+die Libyer oder Numider Nordafrika bev&ouml;lkerten, ein anderes
+Volk dort hauste. Berbr&uuml;gger, Desor u.A. haben die Existenz
+von Dolmen in Algerien nachgewiesen, man findet dolmenartige
+Grabm&auml;ler in Fesan, und dolmenartige H&uuml;gel konnte ich
+wenigstens in Einer Gegend Marokko's constatiren, an einem
+Bergabhange &ouml;stlich von Uesan. Ungef&auml;hr zwei Stunden von
+der Stadt entfernt, f&uuml;hrte uns in Begleitung des Grossscherifs
+eines Tages eine Jagd dorthin. Leider war es bei der dortigen
+Furcht, Gr&auml;ber zu verletzen, und sollten sie selbst von
+Ungl&auml;ubigen herr&uuml;hren, vollkommen unm&ouml;glich, eine
+n&auml;here Untersuchung anzustellen, oder gar die Grabh&uuml;gel
+zu &ouml;ffnen. Ob nun diese Dolmen auf Kelten, Tamhu oder andere
+Ureinwohner zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind, m&uuml;ssen sp&auml;tere
+Zeiten entscheiden; auch Marokko wird den Zeitpunkt erleben, wo es
+dem europ&auml;ischen Forscher gestattet sein wird, frei und
+ungehindert seine Studien dort anzustellen.</p>
+<p>Die Punier legten zahlreiche Colonialst&auml;dte dort an; Hanno
+selbst gr&uuml;ndete bei seiner Umschiffung Hafenpl&auml;tze, von
+denen uns die Namen erhalten sind. Aus den Schriften von
+Ptolem&auml;us und Plinius ersehen wir ziemlich genau, wo die
+einheimischen St&auml;mme&mdash;Mauri, Maurenses,
+Numidae&mdash;alles dies ist nur eine verschiedene Benennung
+f&uuml;r dasselbe Volk&mdash;ihr Gebiet haben. Von diesen sind als
+die haupts&auml;chlichsten die Autolalen, die Sirangen, die
+Mausoler und Mandorer hervorzuheben; alle diese, wie die weiter im
+Innern wohnenden Gaetuler sind das im Norden von Afrika
+einheimische Berbervolk<a href="#F022"><sup>22</sup></a>. R&ouml;mische,
+vandalische und gothische Ber&uuml;hrung mit diesem Volke fand
+statt, hat aber auf den eigentlichen Bewohner Nordafrika's wenig
+Einfluss gehabt, da die Vermischung jener mit den Numidern nur
+ausnahmsweise vor sich ging.</p>
+<blockquote><a name="F022" id="F022"></a>[Fu&szlig;note 22: Siehe
+Mannert und das interessante Schriftchen von
+Kn&ouml;tel.]</blockquote>
+<p>Wichtiger f&uuml;r Nordafrika's Bev&ouml;lkerung, mithin auch
+f&uuml;r Marokko wurde der Einbruch der Araber. Wir haben eine
+zweifache Invasion, die eine direct von Osten kommend, die andere
+weit sp&auml;ter vor sich gehend: die Zur&uuml;ckvertreibung der
+Araber aus Spanien, denn wenn auch nach Spanien gemeinsam Araber
+und Berber unter Mussa und Tarik gezogen waren, so kamen nur Araber
+von dort zur&uuml;ck. Es versteht sich wohl von selbst, dass damit
+nicht gemeint ist, die Berber seien in Spanien
+zur&uuml;ckgeblieben. Die Thatsache erkl&auml;rt sich so, dass
+beide V&ouml;lker dort im fremden Lande in einander aufgingen, in
+Spanien waren sie Angesichts der Christen nur Mohammedaner, und die
+Gemeinsamkeit der Sitten, und namentlich der Religion f&uuml;hrte
+dort rasch die Berber zur Annahme der arabischen Sprache. Der
+Spanier kannte denn auch nur los Moros oder los Mahometanos. Die
+Sesshaftigkeit beider, sowohl der Araber als auch der Berber trug
+noch mehr zu einer Verschmelzung bei, so dass, als s&auml;mmtliche
+Mohammedaner aus Spanien vertrieben wurden, Berber und Araber sich
+selbst nicht mehr unterscheiden konnten; aber die Araber hatten
+verm&ouml;ge ihrer geistigen Ueberlegenheit, verm&ouml;ge der
+Religion, deren Tr&auml;ger sie besonders waren, &auml;usserlich in
+jeder Beziehung die Berber absorbirt.</p>
+<p>Nicht so in Marokko selbst. Bis auf den heutigen Tag hat sich
+dort das Urvolk, die alten Numider, von den Arabern fern und
+unvermischt erhalten. Allerdings kommen wohl in den St&auml;dten
+und gr&ouml;sseren Ortschaften Heirathen zwischen beiden
+V&ouml;lkern vor, auch giebt wohl der Schich einer grossen
+Berbertribe dem Sultan oder einem Grossen des Reiches seine Tochter
+zur Frau, oder sucht sich selbst eine solche unter den
+T&ouml;chtern der Araber, im Ganzen stehen sich aber heute Araber
+und Berber so fremd gegen&uuml;ber, wie zur Zeit der ersten
+Invasion.</p>
+<p>Der Unterschied der meisten Reisenden zwischen reinen Arabern
+und Halbarabern, zwischen Mauren, Mooren etc., ist ein vollkommen
+willk&uuml;rlicher, auf Nichts basirter; ebenso ist der Name
+Beduine in Marokko vollkommen unbekannt, selbst die in den
+Hafenst&auml;dten sesshaften Europ&auml;er wenden den Ausdruck
+nicht an. Die Araber nennen sich in Marokko Arbi, d.h. Araber;
+wollen sie ihr specielles jetziges Heimathsland damit in Verbindung
+bringen, so nennen sie sich (in diesem Falle aber ist es einerlei,
+ob der Redende Araber oder Berber, Jude oder auch Neger ist)
+"Rharbi" oder "Rharbaui" (der vom Westlande), oder auch "min el
+bled es Sidi Mohammed" (vom Lande des Herrn Mohammed). Was die
+Berber anbetrifft, so nennen sie sich "Masigh" oder "Schellah"; das
+Wort "Berber" ist ihnen aber keineswegs unbekannt, namentlich
+s&uuml;dlich vom Atlas. Aber als ob sie sich des Ursprunges des
+Wortes bewusst seien, h&ouml;ren sie sich nicht gerne so bezeichnen
+und nennen <i>sich selbst</i> nie so. Was die Juden anbetrifft, so
+nennen sie sich und werden "Jhudi" genannt. Die Europ&auml;er
+werden "Rumi" oder "Nssara" und die Schwarzen im Allgemeinen
+"Gnaui" und ihre Sprache "Gnauya" genannt. Das Spanische der Juden,
+die verschiedenen Sprachen der Europ&auml;er fasst man im Lande
+unter dem gemeinsamen Namen "el adjmia" zusammen.</p>
+<p>Wir haben es also heute nur mit zwei Hauptv&ouml;lkern in
+Marokko zu thun, mit dem urspr&uuml;nglich in Nordafrika
+einheimischen, dem Berbervolke, und mit dem von Asien her
+eingewanderten, dem Arabervolke. Renou und Jackson, die versucht
+haben, die verschiedenen St&auml;mme aus Triben aufzuz&auml;hlen,
+zum Theil sogar versucht haben, ihnen bestimmte Wohnsitze oder
+Provinzen zuzutheilen, sind indess weit von der Wahrheit entfernt
+geblieben. Der eine f&uuml;hrt einen Stamm als irgendwo sesshaft
+an, wo er vielleicht seiner Zeit war, aber jetzt nicht mehr ist;
+der andere f&uuml;hrt Berber-Triben als Araber auf. So sagt Renou
+in seinem "L'Empire de Maroc", p. 393: "Die Berber bestanden
+urspr&uuml;nglich aus f&uuml;nf Zweigen: S'enb&acirc;dja,
+Ma'smouda, Haou&acirc;ra, Zn&acirc;ta und R'm&acirc;ra oder R'amra;
+aber alle diese Abtheilungen, welche den R&ouml;mern unbekannt
+geblieben sind, hatten viele Unterabtheilungen" etc. Renou
+sch&ouml;pft aber nur aus Leo's Berichten. Wenn dann Renou noch auf
+derselben Seite seines angef&uuml;hrten Werkes sagt:
+"Gegenw&auml;rtig sind die Berber in verschiedene grosse Fractionen
+getheilt, die keineswegs den urspr&uuml;nglichen f&uuml;nf
+Abtheilungen entsprechen. In Marokko sind es die Chevlleuh' und die
+Amazir' etc.", so kann ich versichern, dass man in Marokko von
+dieser Abtheilung nichts weiss. F&uuml;r Algerien nimmt Renou
+sodann "die Kbail und im Aures die Ch&acirc;ou&iuml;a, wovon ein
+Zweig in der marokkanischen Provinz Temsena existirt", in Anspruch.
+Aber was bedeutet denn in Algerien der Name Kbail, Kabyl? Weiter
+nichts als Bergbewohner, und dieselbe Bedeutung hat er in Marokko
+auch; der Einwohner von Uesan, von Fes nennt die umwohnenden Leute
+der Gebirge, <i>einerlei</i>, ob sie Berber oder Araber sind:
+Kbail. Selbst wenn man im Stande w&auml;re, heute mit Genauigkeit
+angeben zu k&ouml;nnen, ein gewisser Stamm habe irgend ein Gebiet
+inne, w&uuml;rde das wohl morgen immer noch der Fall sein? Ich
+selbst konnte in Marokko constatiren, wie ein Stamm den andern
+verdr&auml;ngt. Unter diesen V&ouml;lkern findet heute noch immer
+eine V&ouml;lkerwanderung im Kleinen statt. Ausgebrochene
+Feindseligkeiten, eingetretene D&uuml;rre eines Weideplatzes,
+Heuschreckennoth, oft auch ganz unbedeutende Gr&uuml;nde
+veranlassen ganze St&auml;mme zum Wandern, um sich
+beg&uuml;nstigtere Gegenden aufzusuchen.</p>
+<p>Was Zahl und Ausbreitung beider V&ouml;lker anbetrifft, so
+finden wir in Marokko, dass die Berber nicht nur bedeutend
+zahlreicher, sondern auch &uuml;ber einen viel gr&ouml;sseren Raum
+des Landes verbreitet sind. Ganz rein arabisch sind nur die
+Landschaften Rharb und Beni Hassan s&uuml;dlich davon, endlich
+Andjera und der K&uuml;stensaum vom Cap Espartel bis Mogador. Denn
+selbst die Landschaften Schauya, Dukala und Abda haben theils
+arabische, theils berberische Triben. Mit Ausnahme der grossen
+St&auml;dte und Ortschaften, in denen die Araber &uuml;berall das
+&uuml;berwiegende Element bilden, kommen sie sodann nur noch
+sporadisch vor. So findet man einzelne Arabertriben im grossen
+Atlas, im Nun- und Sus-Gebiete, in der Draa-Oase finden wir
+zahlreiche <i>nur</i> von Arabern bewohnte Ortschaften (sp&auml;ter
+gaben mir die Draa- Bewohner an, dass die n&ouml;rdliche
+H&auml;lfte des Draa-Thales, also von Tanzetta bis zum Atlas,
+<i>ausschliesslich</i> von Arabern bewohnt sei, was ich aber
+bezweifeln m&ouml;chte), ebenso in Tafilet, ausserdem in beiden
+Oasen den grossen in Palmenh&uuml;tten lebenden Araber-Stamm der
+Beni-Mhammed. In Tuat sind die Araber nur ganz vereinzelt, die
+grosse Mehrheit der dortigen Bev&ouml;lkerung ist berberisch. Man
+kann also fast behaupten, dass an Land die Berber vier F&uuml;nftel
+besitzen, gegen ein F&uuml;nftel, welches auf Araber kommt. Der
+Zahl der Bewohner nach d&uuml;rfte das Verh&auml;ltniss so sein,
+dass zwei Drittel Berber, ein Drittel Araber sind.</p>
+<p>Dass die V&ouml;lker, welche eine Zeitlang im heutigen Marokko
+sesshaft gewesen sind, Spuren zur&uuml;ckgelassen haben, ist
+unleugbar. Nur so k&ouml;nnen wir zwischen vorwiegend
+schwarzhaariger und schwarz&auml;ugiger Bev&ouml;lkerung uns die
+hell&auml;ugigen und blondhaarigen Individuen erkl&auml;ren. Indess
+kommen dergleichen Typen bedeutend seltener bei den Arabern vor,
+was sich hinwiederum daraus erkl&auml;ren l&auml;sst, dass nach der
+einmal erfolgten Invasion der Araber, ein Eindringen blonder
+V&ouml;lker in Westafrika nicht mehr stattfand. Es beruht das auf
+dem Princip der Erblichkeit. So sieht man denn auch h&auml;ufig in
+Familien, wo Vater und Mutter beide schwarzhaarig und
+schwarz&auml;ugig sind, hell&auml;ugige und blondhaarige Kinder.
+Vielleicht war irgend einer der Vorfahren dieser Familie ein
+Nichtberber oder Nichtaraber derart ausgestattet gewesen, welche
+Eigenth&uuml;mlichkeit dann sp&auml;ter oder fr&uuml;her, oft
+vereinzelt, oft bei allen Nachkommen wieder hervortritt. Bemerkt
+muss hier werden, dass die sogenannten Kuluglis, Nachkommen der
+Araber und T&uuml;rken, nirgends in Marokko zu finden sind, weil
+eben die T&uuml;rken westlich von Tlemcen oder von der Muluya nie
+ihre Grenzen ausgedehnt haben.</p>
+<p>Was die Sprache der Araber in Marokko anbetrifft, so ist
+bekannt, dass von den vier haupts&auml;chlichsten Dialekten dieser
+Sprache, hier der maghrebinische gesprochen und geschrieben wird.
+Vordem ist aber auch, wie aus M&uuml;nzen und Inschriften
+hervorgeht, Kufisch geschrieben worden. Was das heutige Schreiben
+anbetrifft, so unterscheidet es sich von dem Uebrigen nur darin,
+dass das Qaf oben statt zweier Punkte einen, dass das Fa statt
+eines Punktes <i>oben</i>, einen solchen <i>unten</i> hat. Was die
+Aussprache anbetrifft, so zeichnen sich die Araber in Marokko
+dadurch aus, dass sie fast gar nicht die Vocale aussprechen, oder
+doch so wenig wie m&ouml;glich hervorheben. In der
+gew&ouml;hnlichen Schreibweise der Araber werden die aus Strichen
+und Punkten bestehenden Vocale weggelassen, und fast k&ouml;nnte
+man sagen, dass der marokkanische Araber diese Regel auch in der
+Aussprache anwendet, d.h. das Wort so kurz wie m&ouml;glich
+ausspricht; z.B. in der Redensart: "wie heisst Du, asch ismak",
+sagt der Marokkaner "sch-smk". Nat&uuml;rlich wird f&uuml;r den
+Fremden das Erlernen des Sprechens dadurch au&szlig;erordentlich
+erschwert. Ausserdem hat in Marokko der Araber sich zahlreiche
+berberische und aus romanischen Sprachen herkommende Ausdr&uuml;cke
+zu eigen gemacht, sogar zum Theil auch Constructionen aus diesen
+Sprachen her&uuml;bergenommen, z.B. die romanische Form des
+Genitivs, welche man in Marokko so h&auml;ufig angewendet findet,
+um das Genitivverh&auml;ltniss zwischen zwei Substantiven
+auszudr&uuml;cken.</p>
+<p>Die von den Berbern gesprochene Sprache, "tamasirht" oder
+"schellah" genannt, ist im Grunde, wie aus Sprachvergleichungen
+hervorgeht, eine und dieselbe. Es ist eben die, welche die Tuareg
+temahak im Norden und temaschek im S&uuml;den nennen, und der wir
+in Audjila und noch ferner im &auml;ussersten Osten in der Oase des
+Jupiter Ammon begegnen. Jackson freilich behauptet, dass die
+Sprache der Siuaner eine vollkommen verschiedene sei; heutzutage
+aber wissen wir, dass Marmol vollkommen Recht hat, wenn er sagt,
+dass das Siuahnisch nur Dialekt der weit verbreiteten Berbersprache
+ist. Allerdings sind die Unterschiede der verschiedenen Dialekte
+dieser Sprache &auml;usserst gross, wie das ja auch nicht anders
+sein kann bei einer Sprache, welche &uuml;ber einen Raum verbreitet
+ist, welcher ungef&auml;hr den vierten Theil von Afrika ausmacht.
+Dennoch aber sind sie nicht so gross, um nicht leicht eine
+Verst&auml;ndigung zwischen den verschiedenen, berberisch redenden
+V&ouml;lkern zu erm&ouml;glichen. Kommt der Berber, der im fernen
+Westen am Nun ans&auml;ssig ist, auf seiner Pilgerreise nach Mekka
+zu demjenigen, der in der Oase Siuah wohnt, so ist nach einer
+kurzen Uebung zwischen diesen Leuten gleichen Stammes eine
+Unterhaltung leicht hergestellt, und als vor einigen Jahren mehrere
+Schichs der Tuareg nach Algier zum Besuche kamen, ward es ihnen
+keineswegs schwer, sich mit den Berbern des Djurdjura-Gebirges,
+also mit Leuten, die am Mittelmeere wohnen, zu verst&auml;ndigen.
+Die Berber in Marokko haben und kennen keine Schriftzeichen wie
+ihre Br&uuml;der, die Tuareg. Die einzigen berberischen
+Schriftzeichen, die ich in Marokko vorfand, befinden sich in Tuat,
+und r&uuml;hren jedenfalls von Tuareg her, die fr&uuml;her
+vielleicht weiter nach dem Norden hinauf kamen, als dies heute der
+Fall ist. Ob aber &uuml;berhaupt mit berberischen Lettern
+geschriebene B&uuml;cher oder auch nur l&auml;ngere Gedichte und
+Geschichten unter den Tuareg bestehen, ist trotz der Versicherung
+der Tuareg sehr zweifelhaft. Einer der intelligentesten Tuareg, Si
+Otman ben Bikri, hat wiederholentlich sowohl gegen Duveyrier als
+auch gegen mich dies ge&auml;ussert, er hatte sogar Duveyrier
+versprochen, ein solches Buch sp&auml;ter nach Algier zu bringen
+oder doch einzuschicken, aber bis jetzt hat Si Otman sein
+Versprechen nicht erf&uuml;llt, obschon er nach seinem Begegnen mit
+Henry Duveyrier wiederholentlich in Algier gewesen ist. Das
+Eigenth&uuml;mliche bei den berberischen Buchstaben, sie so
+schreiben zu k&ouml;nnen, dass sie bald nach rechts, bald nach
+links offen sind, bald diese, bald jene Seite offen haben, dass man
+von oben nach unten, von rechts nach links, oder von links nach
+rechts schreiben kann, muss eine so grosse Verwirrung
+herbeif&uuml;hren, dass die Existenz ganzer B&uuml;cher in
+berberischer Schrift kaum glaublich erscheint.</p>
+<p>Was die Berber am entschiedensten von den Arabern trennt, ist
+eben die Sprache, denn obschon die Berber nat&uuml;rlich viele
+Worte aus der arabischen Sprache aufgenommen haben, wie die
+marokkanischen Araber solche dem Berberischen entlehnten,
+unterscheidet sich im Grunde das Berberische derart vom Arabischen,
+dass die Sprachforscher, welche sich mit dem Berberischen
+besch&auml;ftigt haben, und unter diesen vorzugsweise H.A.
+Hannoteau, nicht wagen, es den semitischen Sprachen
+beizuz&auml;hlen. Ja, in der j&uuml;ngsten Zeit war der
+franz&ouml;sische General Faidherbe, welcher ebenfalls sich viel
+mit dem Berberischen besch&auml;ftigt hat, geneigt, Berber und ihre
+Sprache f&uuml;r die Arier zu vindiciren. Sp&auml;tere genauere
+Untersuchungen, namentlich wenn alle verschiedenen Dialekte der
+Berber bekannt sind, werden hoffentlich zu einem Resultate
+f&uuml;hren, ebenso wird man sodann wohl erfahren, ob im
+Berberischen W&ouml;rter vorhanden sind, welche auf andere
+&auml;ltere Sprachen zur&uuml;ckf&uuml;hren.</p>
+<p>Unterscheiden sich nun Araber und Berber so sehr durch die
+Sprache, so sind die &uuml;brigen Unterschiede &auml;usserst
+gering. Derselbe K&ouml;rperbau auf dem Flachlande wie im Gebirge
+(wegen der vielen Wanderungen), d.h. schlanker, sehnigter Wuchs mit
+stark ausgepr&auml;gtem Muskelbau, gebr&auml;untem Teint,
+kaukasischer Gesichtsbildung, stark gebogener Nase, schwarzen
+feurigen Augen, schwarzem schlichtem Haare, spitzem Kinne, etwas
+stark hervortretenden Bakenknochen, sp&auml;rlichem
+Bartwuchse&mdash;alles dies haben Berber und Araber gemein.
+Allerdings sind im Allgemeinen die Gebirgsbewohner heller, aber das
+gilt sowohl f&uuml;r die berberischen Bewohner des Rif-Gebirges,
+wie f&uuml;r die arabische Bev&ouml;lkerung der Gebirge der
+Andjera-Landschaft. Bei den Frauen beider V&ouml;lker muss
+allerdings auffallen, dass das Weib des Arabers durchschnittlich
+kleiner sein d&uuml;rfte, als das des Berbers. Im Uebrigen sind
+auch sie nicht &auml;usserlich zu unterscheiden. Man kann von
+beiden sagen, dass sehr fr&uuml;h entwickelt, sie in der Jugend
+h&uuml;bsche volle Formen haben, meist regelm&auml;ssige
+Gesichtsz&uuml;ge besitzen, aber schnell alternd und durch
+unzul&auml;ngliche Nahrung &auml;usserst mager werdend, sie im
+Alter wegen ihrer &uuml;berfl&uuml;ssigen Hautfalten die
+h&auml;sslichsten Hexen werden.</p>
+<p>Hervorzuheben ist, dass bei den Berbern die Stellung der Frauen
+eine bedeutend hervorragendere ist als bei den Arabern. Indess ist
+das Lied der meisten Reisenden, als sei die Frau bei den Arabern
+weiter nichts als eine Magd, ein blosses Werkzeug, ein auf
+oberfl&auml;chlicher Anschauung beruhendes. Bei dem Araber
+ebensogut wie bei uns schwingt die Frau den Pantoffel. Liegt der
+Mann die gr&ouml;sste Zeit des Jahres auf der B&auml;renhaut, so
+hat das seinen Grund darin, weil eben f&uuml;r ihn keine
+h&auml;usliche Besch&auml;ftigung vorhanden ist. Oder soll etwa der
+Mann das Wasser f&uuml;r den t&auml;glichen Bedarf holen, soll der
+Mann den M&uuml;hlstein drehen, oder das Korn zu Mehl zerreiben,
+oder ist es Sache des Mannes das Kind auf dem R&uuml;cken zu
+tragen, oder Reisig zum Feuer zu holen oder Kuskussu zuzubereiten,
+und die heimkehrenden Heerden zu melken? Sind nicht dergleichen
+Gesch&auml;fte in der ganzen Welt Sache der Frau. F&uuml;r einen
+europ&auml;ischen Reisenden muss es allerdings hart erscheinen,
+wenn er den ganzen Tag den Mann ausgestreckt liegen oder am Boden
+hocken sieht, w&auml;hrend die Frau sich abm&uuml;ht, oft
+stundenweit das Wasser herbeischleppt und dann m&uuml;hsam
+stundenlang den Stein dreht, um Mehl zu gewinnen. Kommt aber die
+Zeit der Arbeit f&uuml;r den Mann heran, dann ist der Berber sowohl
+wie der Araber bei der Hand: das Feld wird von den M&auml;nnern
+bestellt, das Einheimsen des Getreides besorgen die M&auml;nner,
+ebenso die Abwartung der G&auml;rten, wo solche vorhanden sind, das
+H&uuml;ten der Heerde, das Abschlachten des Viehes, kurz alle
+schwerere Arbeit, wie sie eben auch bei anderen V&ouml;lkern von
+der st&auml;rkeren H&auml;lfte verrichtet wird.</p>
+<p>Die hervorragende Stellung der Frauen bei den Berbern datirt
+jedenfalls noch aus den vormohammedanischen Zeiten. Denn Mohammed,
+obschon ein so grosser Verehrer von Frauen, dass er sich nicht
+scheute manchmal ins Gehege seines N&auml;chsten
+einzudringen<a href="#F023"><sup>23</sup></a>, hat im Ganzen den
+gl&auml;ubigen Frauen eine etwas stiefm&uuml;tterliche Stellung
+angewiesen. Indess haben die Berberinnen, obschon auch sie
+Mislemata wurden, ihren Rang beizubehalten gewusst. Bei manchen
+berberischen Triben offenbart sich dies in der Erbfolge, wo nicht
+der &auml;lteste Sohn nachfolgt, sondern der Sohn der &auml;ltesten
+Tochter oder der Schwester. Ja, in einigen St&auml;mmen kann sogar
+eine Frau herrschen. S&uuml;dlich vom eigentlichen Marokko fand ich
+mitten unter Berbern, dass die Sauya Karsas, eine religi&ouml;se
+Corporation, und eine geistliche Oberbeh&ouml;rde f&uuml;r den
+ganzen Gehr-Fluss nicht vom allerdings vorhandenen m&auml;nnlichen
+Chef Namens Sidi Mohammed ben Aly befehligt wurde, sondern dass
+factisch seine Frau, eine gewisse Lella-Diehleda, die geistlichen
+Angelegenheiten besorgte. In allen wichtigen Sachen hat die
+Berberfrau mitzureden, und mehr wie bei anderen V&ouml;lkern
+f&uuml;gen sich die M&auml;nner dem Ausspruche der Frauen.</p>
+<blockquote><a name="F023" id="F023"></a>[Fu&szlig;note 23: Siehe
+dar&uuml;ber die 33. Sure des Koran, worin Mohammed die
+Vorw&uuml;rfe, die man ihm dar&uuml;ber machte, seinen Sklaven Said
+gezwungen zu haben, ihm seine Frau abzutreten, damit
+zur&uuml;ckwies, dass er f&uuml;r sich allein, den anderen
+Gl&auml;ubigen voraus, g&ouml;ttliche Natur, d.h. Unfehlbarkeit
+beanspruchte.]</blockquote>
+<p>Die mohammedanische Religion hat aber in jeder Beziehung dazu
+beigetragen, die Verschiedenartigkeiten der Sitten und
+Gebr&auml;uche nicht nur zwischen Arabern und Berbern
+auszugleichen, sondern auch die Eigenth&uuml;mlichkeiten der
+einzelnen St&auml;mme unter sich zu verwischen. Es soll hier nur
+die Rede sein von den Bewohnern des Landes, welche allein treu und
+wahr ihre alten Ueberlieferungen beibehalten haben. Die
+Landbev&ouml;lkerung<a href="#F024"><sup>24</sup></a> gegen die
+St&auml;dtebev&ouml;lkerung gehalten, ist in Marokko so
+&uuml;berwiegend, dass wenn man von jener spricht, damit der Kern
+des Volkes bezeichnet wird.</p>
+<blockquote><a name="F024" id="F024"></a>[Fu&szlig;note 24: Jackson
+in seinem Account of Marokko kommt freilich zu dem Resultate von
+895,600 Einw. f&uuml;r die St&auml;dte und von diesen hat er Fes
+mit 380,000, Marokko mit 27,000 und Mickenes mit 11,000
+Einw.]</blockquote>
+<p>Vor allem muss daher bemerkt werden, dass nur Einweiberei in
+Marokko herrscht, sowohl bei den Arabern als auch bei den Berbern;
+die wenigen Ausnahmef&auml;lle, wo ein reicher oder hochgestellter
+Araber sich einen Harem h&auml;lt, kommen kaum in Betracht, und ein
+Berber, mag er eine noch so hohe Stellung einnehmen, noch so reich
+sein, heirathet <i>nie</i> mehr als Eine Frau. Freilich durch die
+Religion beg&uuml;nstigt kommen h&auml;ufig genug Scheidungen vor,
+was dann oft zu unerquicklichen Verh&auml;ltnissen f&uuml;hrt: ein
+Mann trennt sich nachdem er schon ein Kind mit der Frau gehabt von
+dieser, heirathet wieder, die Frau auch; sie zeugt mit dem neuen
+Mann nochmals ein Kind, wird abermals verstossen, heirathet
+vielleicht zum dritten Male und hat dann manchmal drei Familien
+Kinder gegeben. Es ist &auml;usserst selten, dass sich ein
+unverheiratetes M&auml;dchen einem Manne hingiebt, auch Ehebruch
+kommt fast nie vor. Desto ungebundener leben die Frauen, welche
+Wittwen sind, diese glauben ihrer Sittlichkeit, namentlich wenn sie
+merken, dass die Hoffnung auf Wiederverheirathung vorbei ist,
+"keine Schranken" auferlegen zu m&uuml;ssen. Ueberhaupt zeichnen
+sich M&auml;dchen und Frauen in Marokko durch unanst&auml;ndige
+Gangart aus. Es scheint sich dies von den Araberfrauen den
+Berberweibern mitgetheilt zu haben (vielleicht ist es aber auch
+diesen eigenth&uuml;mlich), denn alle semitischen Frauen scheinen
+an einer unanst&auml;ndigen Allure Gefallen zu haben. Schon Jesaias
+Cap. 3, 16. wirft den israelitischen Frauen ihren buhlerischen und
+herausfordernden Gang vor, ebenso Mohammed im Koran Sure 24. den
+arabischen Frauen.</p>
+<p>Es ist hier nicht der Ort die Ceremonien einer Verheirathung zu
+schildern, mehr oder weniger gleichen sich alle bei den
+Mohammedanern, und oft genug sind sie beschrieben worden.
+Hervorgehoben soll aber werden, dass in der Regel die Heirath eine
+zwischen Eltern oder Verwandten f&uuml;r die betreffenden Personen
+abgemachte Sache ist, doch auch h&auml;ufig genug Liebesheirathen
+vorkommen. Es hat dies seinen Grund darin, weil alle Frauen und
+jungen M&auml;dchen (ich spreche immer von der
+Landbev&ouml;lkerung) unverschleiert gehen, mithin hat der Freier
+Gelegenheit seine Zuk&uuml;nftige kennen zu lernen. Solche
+Liebesheirathen gelten meist f&uuml;r Lebzeiten, w&auml;hrend die
+Eheb&uuml;ndnisse, welche aus Convention geschlossen sind,
+gemeiniglich keine Dauer haben. Ein eigentlicher Kauf der Frauen,
+obschon die meisten Reisenden sich so ausdr&uuml;cken, findet nicht
+statt; der betreffende Br&auml;utigam erlegt nur dem
+zuk&uuml;nftigen Schwiegervater die Geldsumme, welcher dieser
+f&uuml;r die Anschaffung der Kleidungsst&uuml;cke und Schmucksachen
+seiner Tochter n&ouml;thig hat, der gew&ouml;hnliche Preis
+hierf&uuml;r ist auf 60 franz&ouml;sische Thaler normirt. Giebt die
+Frau Grund zur Scheidung, oder aber beantragt sie die Scheidung, so
+muss das Geld zur&uuml;ckbezahlt werden, verst&ouml;sst aber der
+Mann seine Frau, so bleibt sie Eigenth&uuml;merin ihrer Sachen und
+ihr Vater beh&auml;lt obendrein das Geld.</p>
+<p>Beschneidung ist durchweg eingef&uuml;hrt, doch giebt es einige
+<i>Berberst&auml;mme</i>, welche sie nicht &uuml;ben. In Marokko
+h&auml;lt man die Beschneidung als nicht unbedingt erforderlich
+f&uuml;r den Islam. Die Berberst&auml;mme, welche nicht
+Beschneidung &uuml;ben, leben sowohl im Rif-Gebirge, als auf den
+Geh&auml;ngen der n&ouml;rdlichen Seite des Atlas. Ueberhaupt haben
+die Berber Eigenth&uuml;mlichkeiten bewahrt, die bei den Arabern
+nicht zu finden sind, so essen <i>s&auml;mmtliche</i> Rif-Bewohner
+das wilde Schwein trotz des Koran-Verbotes. Alle Berber rechnen
+nach Sonnenmonaten und haben daf&uuml;r die alten von den Christen
+herr&uuml;hrenden Benennungen; ja s&uuml;dlich vom Atlas haben auch
+die dort hausenden Araber diese Zeitrechnung angenommen.</p>
+<p>Das Leben in der Familie ist ein patriarchalisches und man
+h&auml;lt ausserordentliche St&uuml;cke auf Verwandtschaft und
+Sippe; eigenth&uuml;mliche Familien-Namen nach unserem modernen
+Sinne haben weder Araber noch Berber, Familien-Namen werden nur von
+der ganzen Sippschaft oder dem Stamme gef&uuml;hrt, z.B. die grosse
+Familie der Beni Hassan in Marokko, die von einem gewissen Hassan
+abstammen. Oder bei den Berbern die zu einem grossen Stamme
+herangewachsene Familie der Beni Mtir<a href="#F025"><sup>25</sup></a>,
+welche von einem gewissen Mtir abstammen. In diesen St&auml;mmen
+setzt dann Jeder den Namen seines Vaters, manchmal auch den seines
+Grossvaters und Urgrossvaters hinzu (&auml;usserst selten den der
+Mutter), z.B. Mohammed ben Abdallah ben Yussuf, d.h. Mohammed Sohn
+Abdallah's, Sohn Yussuf's. Will er aber noch n&auml;her sich
+bezeichnen, so sagt er z.B. "von den uled Hassan". Letzteres ist
+gewissermassen der Familien- oder Zunamen. Bei den Arabern haben
+wir fast nur biblische und koranische Namen, sowohl bei den
+M&auml;nnern als Frauen. Die beliebtesten in Marokko sind Mohammed
+(mit den verschiedenen Variationen), Abdallah, Mussa, Isssa [Issa]
+oder A&iuml;ssa, Edris, Said, Bu-Bekr und Ssalem. Die Frauen findet
+man fast unab&auml;nderlich Fathma, Aischa oder Mariam benannt. Die
+Berber haben sich auch hierin apart gehalten und fahren fort
+heidnische oder berberische Namen zu f&uuml;hren, z.B. Humo, Buko,
+Rocho, Atta etc.<a href="#F026"><sup>26</sup></a>, obschon nat&uuml;rlich
+arabische Namen vorwalten.</p>
+<blockquote><a name="F025" id="F025"></a>[Fu&szlig;note 25: Was
+"Uled und Beni", d.h. S&ouml;hne, Abk&ouml;mmlinge bei den Arabern
+bedeutet, dr&uuml;cken sonst in der Regel die Berber durch das Wort
+"ait" aus.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F026" id="F026"></a>[Fu&szlig;note 26:
+Berberische Frauennamen liegen mir gerade nicht vor.]</blockquote>
+<p>Eine eigentliche Erziehung wird den Kindern nicht gegeben, die
+ganz jungen Kinder bleiben circa zwei Jahre auf dem R&uuml;cken
+ihrer M&uuml;tter, welche dieselben wenigstens zwei Jahre stillen.
+Allerdings hat jeder Tschar (Dorf aus H&auml;usern), jeder Duar
+(Dorf aus Zelten), jeder Ksor (Dorf einer Oase) seinen Thaleb oder
+gar Faki, der die Schule leitet, aber die Meisten bringen es kaum
+dazu die zum Beten nothwendigen Korancapitel auswendig zu lernen,
+geschweige dass sie sich ans Lesen und Schreiben wagten. Aber jeder
+Marokkaner weiss doch das erste Capitel des Koran auswendig, wenn
+auch die meisten besonders unter den Berbern den Sinn der Verse
+nicht kennen.</p>
+<p>Beim Heranwachsen stehen die T&ouml;chter den M&uuml;ttern in
+der h&auml;uslichen Besch&auml;ftigung bei, w&auml;hrend die
+m&auml;nnliche Jugend zuerst zum H&uuml;ten des Viehes verwandt
+wird, in der Pflanzzeit den Acker mit bestellen helfen muss, und
+schliesslich nach einer kurzen Arbeitszeit im Jahre, die liebe
+lange Zeit mit Nichtsthun hinbringt. Obschon &uuml;berall Taback
+und Haschisch in Gebrauch und namentlich letzterer ganz allgemein
+ist, kann man kaum sagen, dass der Marokkaner einen unm&auml;ssigen
+Gebrauch davon macht. Der Taback wird auf alle drei Arten genommen,
+man findet St&auml;mme, wo geraucht wird, andere welche kauen, und
+das Schnupfen ist ganz allgemein, namentlich machen die Gelehrten
+Gebrauch davon. Haschisch wird in Marokko entweder geraucht oder
+pulverisirt mit Wasser hinuntergeschluckt. Der Gebrauch des Opium
+ist mit Ausnahme der St&auml;dte, und der Oase Tuat, nicht
+eingeb&uuml;rgert. Desto allgemeiner ist in der Weinlesezeit und
+kurz nachher der Genuss des Weines. Marokko ist ein an Weinreben
+ungemein reiches Land, namentlich producirt der kleine Atlas, die
+Provinz Andjera, die Gegenden von Uesan, Fes und Mikenes derart
+viele und gute Weintrauben, dass die Leute von selbst darauf fallen
+mussten Wein zu bereiten. In allen diesen Gegenden sind denn auch
+viele Leute Weintrinker, ohne Unterschied ob sie Araber oder Berber
+sind. Aber unm&auml;ssig wie Araber und Berber immer beim Essen und
+Trinken sind, sobald dies in H&uuml;lle und F&uuml;lle vorhanden
+ist, haben sie ihre Weintrinkezeit nur f&uuml;r einige Wochen. Der
+schlecht zubereitete Wein, man gewinnt ihn mittelst Kochen,
+w&uuml;rde sich auch wohl nicht lange halten. Die Marokkaner thun
+ihn in gr&ouml;ssere oder kleinere irdene Gef&auml;sse, manchmal
+antik wie eine Amphore geformt, die enge Oeffnung wird mit Thon
+zugeklebt. Reiche Leute und Sch&uuml;rfa<a href="#F027"><sup>27</sup></a>,
+welche ihn l&auml;ngere Zeit bewahren wollen, giessen oben auf den
+Wein eine Schicht Oel und sodann wird die Krug&ouml;ffnung mit Thon
+verkittet. Von Geschmack ist der Wein nicht &uuml;bel, das Aussehen
+desselben aber meist tr&uuml;be. Es ist gef&auml;hrlich zur Zeit
+der Lese durch jene Gegenden zu reisen, weil ein grosser Theil der
+Bev&ouml;lkerung dann stets betrunken ist, und da, je roher ein
+Mensch ist, die Intoxications&auml;usserungen des Rausches auch um
+so unmanierlicher sind und oft viehisch ausarten, so vermeidet
+derjenige, der die Gegenden nicht unumg&auml;nglich besuchen
+<i>muss</i>, dieselben.</p>
+<blockquote><a name="F027" id="F027"></a>[Fu&szlig;note 27: Die
+Sch&uuml;rfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds sind die
+haupts&auml;chlichsten Weintrinker.]</blockquote>
+<p>Ueberhaupt zeichnet sich das ganze marokkanische Volk durch eine
+gewisse Rohheit und durch wenig edle Gef&uuml;hle und wenig sanfte
+Neigung aus. Bei den Berbern namentlich am Nord-Abhange des Atlas
+streift die Rohheit sogar an's Thierische. Ich wusste nicht,
+wof&uuml;r ich es halten sollte, ob f&uuml;r kindliche Unschuld,
+mit der junge und erwachsene M&auml;dchen den Spielen vollkommen
+nackter J&uuml;nglinge zusahen, oder ob es ein rohes Interesse war.
+Der entsetzlich verdummende Einfluss der mohammedanischen Religion,
+der Fanatismus, die <i>eitle Anmassung nur den eigenen Glauben
+f&uuml;r den richtigen</i> zu halten, schliessen aber auch jede
+Besserung aus.</p>
+<p>Wie unmanierlich ist die Art und Weise zu essen! So wie man zur
+Zeit Abrahams ass, so wie die Juden in Pal&auml;stina, aus Einer
+Sch&uuml;ssel am Boden hockend, assen, so isst noch heute der
+Marokkaner. Morgens nach Sonnenaufgang wird nur saure Milch mit
+hineingebrocktem Brode, oder eine m&auml;ssige Suppe genommen. Die
+zweite Mahlzeit ist gegen Mittag: Br&ouml;de d.h. eine Art von
+Mehlkuchen, welche auf eisernen Platten oder erhitzten Steinen
+gebacken sind, heisse Butter (in diese tippt man die
+Brodst&uuml;cken und verf&auml;hrt recht haush&auml;lterisch; nur
+die Reichen geben harte Butter) bilden dies zweite Mahl, zu dem
+auch wohl noch Datteln, oder im Sommer andere Fr&uuml;chte, wie die
+Jahreszeit und die Gegend sie bietet, gegeben werden. Abends nach
+Sonnenuntergang ist die Hauptmahlzeit, welche aus Kuskussu besteht.
+Aber Tag f&uuml;r Tag, Jahr aus Jahr ein, kommt dies Gericht auf
+die Erde (auf den Tisch kann ich nicht sagen, da der Marokkaner ein
+solches M&ouml;bel nicht kennt) und mittelst der Hand, die
+Marokkaner kennen noch nicht den Gebrauch der Messer und Gabeln,
+wird das Gericht rasch in den Magen bef&ouml;rdert. Auch der
+Gebrauch der L&ouml;ffel ist nicht &uuml;berall eingeb&uuml;rgert.
+Am atlantischen Ocean vom Cap Spartel s&uuml;dlich bis nach der
+M&uuml;ndung des Sus, vielleicht noch weiter s&uuml;dlich, bedienen
+sich s&auml;mmtliche Leute statt eines L&ouml;ffels einer
+austerartigen Muschel, wie sie der Ocean dort an den Strand wirft.
+Die M&auml;nner essen getrennt von den Frauen, diese essen mit den
+Kindern des Hauses. Selbst bei den Berbern hat der Islam dies
+durchzusetzen gewusst. Oder sollten auch die Berber schon
+<i>vor</i> der Einf&uuml;hrung des Islam ohne ihre Frauen ihre
+Mahlzeiten eingenommen haben? Fleisch wird von den Bewohnern auf
+dem Lande nur bei Gelegenheit eines Festes gegessen und auch dann
+nur in geringer Quantit&auml;t. Wenn nicht manchmal ein St&uuml;ck
+Wild erlegt wird, bekommt manche arme Familie oft jahrelang kein
+Fleisch zu sehen, und wenn nicht der Genuss von Eiern, von Butter
+und Milch die animalische Kost ersetzte, k&ouml;nnte man mit Recht
+sagen, die Marokkaner sind der Mehrzahl nach Vegetarianer. Der in
+den marokkanischen St&auml;dten so sehr beliebte Thee wird auf dem
+Lande nur noch bei vereinzelten Vornehmen und Reichen gefunden; das
+allgemeine Getr&auml;nk ist Wasser. Nirgends kennt man in Marokko
+die Bereitung von Busa oder Lakby, d.h. ersteres ein gegohrenes
+Getr&auml;nk aus Getreide, letzteres der den Palmen abgezapfte
+Saft. Es w&uuml;rde den Marokkanern ein grosses Verbrechen sein,
+eine Dattelpalme derart f&uuml;r das Tragen der Fr&uuml;chte
+unbrauchbar zu machen oder gar zu t&ouml;dten. Ebenso ist in den
+marokkanischen Oasen, sowohl in den grossen wie in den kleinen, der
+Lackby vollkommen unbekannt, und dennoch giebt es in der ganzen
+Sahara keine Oasen, die sich an Palmenreichthum, und auch was die
+G&uuml;te der Palmen anbetrifft, mit den marokkanischen Oasen
+messen k&ouml;nnen. Der Gebrauch die Palmen anzuzapfen beginnt erst
+in den s&uuml;dlich von Tunesien gelegenen Oasen.</p>
+<p>Indessen m&uuml;ssen wir doch auch einer guten Eigenschaft der
+Marokkaner gedenken, der Gastfreundschaft, welche ohne Prunk, ohne
+Ceremonie als etwas Selbstverst&auml;ndliches in Marokko
+&uuml;berall ge&uuml;bt wird. In den meisten Duar, in fast allen
+Tschar's giebt es eigene H&auml;user oder Zelte, Dar und Gitun el
+Diaf genannt, welche f&uuml;r die Reisenden bestimmt sind. Der
+Fremde hat dagegen keinerlei Verpflichtung. Kommt er zu einem Duar
+und hat sich gl&uuml;cklich durch die kl&auml;ffenden und bissigen
+Hunde hindurchgearbeitet, so weisen ihm die Leute nach dem
+Gastzelte. Man bringt Fr&uuml;chte, wenn sie die Jahreszeit und
+Gegend bietet, sonst Brod oder Datteln, und wenn Abends die Zeit
+des Hauptmahls ist, werden die Fremden <i>zuerst</i> bedient. In
+einigen Gegenden besteht die Sitte, dass die einzelnen Familien
+tageweise der Reihe nach die Fremden zu verpflegen haben, in
+anderen kommen Abends die Familienv&auml;ter mit vollen
+Sch&uuml;sseln in das Fremdenzelt und das Mahl wird
+gemeinschaftlich verzehrt. In anderen Gegenden existirt ein
+Gemeindefond zur Speisung der Fremden, oder eine Sauya, d.h. eine
+religi&ouml;se Genossenschaft besorgt dies Gesch&auml;ft. Nie wird
+daf&uuml;r irgend eine Verg&uuml;tung vom Fremdling beansprucht. Im
+Gegentheil, wird man nicht ordentlich verpflegt, so hat man das
+Recht Beschwerde zu f&uuml;hren. Nat&uuml;rlich wird man bei dieser
+Gelegenheit von Allen &uuml;ber Alles ausgefragt, denn
+Zur&uuml;ckhaltung und Schweigsamkeit kennt in dieser Beziehung der
+Marokkaner nicht. Die grosse Gastfreundschaft erkl&auml;rt sich nun
+zum Theil dadurch, dass sie auf Gegenseitigkeit beruht: der,
+welcher heute Gastgeber ist, beansprucht vielleicht am
+n&auml;chsten Tage von einem Anderen freie Bewirthung. Es verdient
+hervorgehoben zu werden, dass die arabischen St&auml;mme bedeutend
+liberaler sind, als die berberischen.</p>
+<p>Barth und von Maltzan haben ausgesprochen, dass in Nordafrika je
+weiter nach dem <i>Westen</i>, desto kriegerischer und muthiger die
+Bewohner seien und dass man in Marokko den gr&ouml;ssten Sinn der
+Unabh&auml;ngigkeit tr&auml;fe. Es scheint mir dies nur in sofern
+richtig zu sein, als man die Eigenschaft der Freiheitsliebe, den
+kriegerischen Sinn st&auml;rker bei den Gebirgsv&ouml;lkern
+ausgepr&auml;gt findet. Die Bewohner der Cyrenaica sind heute noch
+ebenso freiheitsdurstig und unabh&auml;ngig wie die Rif-Bewohner in
+Marokko, bis jetzt sind sie von den T&uuml;rken noch nicht
+vollkommen unterworfen. Die Bewohner des Gorian-Grebirges in
+Tripolitanien sind bedeutend kriegerischer, als die <i>westlich</i>
+davon wohnenden St&auml;mme. Das Djurdjura-Gebirge oder die grosse
+Kabylie wurde zu <i>allerletzt</i> von den Franzosen unterworfen,
+nachdem schon jahrelang der ganze <i>Westen</i> von Algerien, d.h.
+die Provinz Oran unterworfen war. Endlich sind die im
+&auml;ussersten Westen von Marokko wohnenden St&auml;mme, die der
+Schauya, Abda und Dukala die geknechtetsten von allen, und seit
+Jahren wissen sie nicht mehr was Freiheit und Unabh&auml;ngigkeit
+ist.</p>
+<p>Die Bev&ouml;lkerung von Marokko hat keinen eigentlichen Adel in
+unserem Sinn. Die vornehmste Classe sind die Sch&uuml;rfa, d.h.
+Abk&ouml;mmlinge Mohammeds, selbstverst&auml;ndlich sind diese
+arabischen Stammes. Da sie sich unglaublich vermehrt haben, giebt
+es ganze Ortschaften, die fast nur aus Sch&uuml;rfa bestehen; man
+erkennt sie daran, dass sie vor dem Namen das Pr&auml;dicat "Sidi"
+oder "Mulei", d.h. "mein Herr" f&uuml;hren. Die gegenw&auml;rtige
+Dynastie von Marokko besteht aus Sch&uuml;rfa. Das Sherifthum ist
+<i>nicht</i> erblich durch die Frau heirathet z.B. ein
+gew&ouml;hnlicher Marokkaner eine Sherifa, so sind die Kinder keine
+Sch&uuml;rfa. Aber ein Sherif kann eine Frau aus jedem Stande
+nehmen und die aus der Ehe entspringenden Kinder werden alle
+Sch&uuml;rfa. Sogar eines Sherifs Heirath mit einer Christin oder
+J&uuml;din, (die in ihrer Religion verbleiben k&ouml;nnen) oder mit
+einer Negerin (eine solche muss aber den Islam angenommen haben)
+hat auf das Sherifthum der Kinder keinen vernichtenden Einfluss,
+ebenso sind die im Concubinate erzeugten Kinder vollkommen
+gleichberechtigt mit den in g&uuml;ltiger Ehe erzeugten.</p>
+<p>Die Sch&uuml;rfa werden &uuml;berall in Marokko als eine
+besonders bevorzugte Menschenclasse angesehen. Sie haben das Recht,
+andere Leute zu insultiren, ohne dass man mit gleichen Waffen
+antworten darf. Der Mohammedaner schimpft <i>dann</i> am
+st&auml;rksten, wenn er Beleidigungen auf die Vorfahren oder Eltern
+des zu Beschimpfenden h&auml;uft. Der Sherif darf zu einem
+Nicht-Sherif sagen "Allah rhinal buk" odes [oder] "Allah rhinal
+djeddek", "Gott verfluche deinen Vater", "Gott verfluche deinen
+Grossvater". Der Nicht- Sherif darf dies nicht erwidern, denn den
+Vorfahr oder Vater eines Nachkommen des Propheten beleidigen,
+w&auml;re ein Verbrechen gegen die Religion. Er hat aber das Recht,
+die Person des Sherif selbst zu schimpfen, und gegen ein "Allah
+rhinalek" "Gott verfluche Dich" kann in einem solchen Falle als
+Entgegnung, der Sherif nicht klagen. Ich habe selbst oft
+Gelegenheit gehabt, so zu antworten; wenn in Uesan die jungen
+Sch&uuml;rfa sich darin gefielen, meinen Grossvater und Vater zu
+verfluchen und zu verbrennen, verbrannte und verfluchte ich sie
+selbst in meiner Antwort: "Allah iharkikum"&mdash;"Allah
+rhinalkum"<a href="#F028"><sup>28</sup></a>, dagegen konnten sie nichts
+machen. Entschieden aber glaubten sie stets einen Sieg &uuml;ber
+mich davongetragen zu haben, da ich ihren Eltern und Vorfahren
+nichts nachsagen durfte.</p>
+<blockquote><a name="F028" id="F028"></a>[Fu&szlig;note 28: Gott
+soll euch verbrennen, Gott verfluche euch!]</blockquote>
+<p>Die sogenannten Marabutin, heilige Personen oder Nachkommen
+solcher Heiligen, stehen in Marokko in bedeutend geringerem
+Ansehen, sie werden zu sehr von den Sch&uuml;rfa verdunkelt. Selbst
+Chefs grosser St&auml;mme, in deren Familien seit langer Zeit Kaid
+oder Schichthum nebst Reichth&uuml;mern und Macht erblich sind,
+verschwinden an der Seite der Sch&uuml;rfa.</p>
+<p>Ueber die geistige Begabung der Marokkaner l&auml;sst sich wenig
+sagen. Hervorragende M&auml;nner hat die Neuzeit nicht
+hervorgebracht, und bei der Verdummung, welche die Religion
+herbeigef&uuml;hrt hat und worin das Volk zu erhalten, der Sultan
+und die Grossen ihr Interesse sahen, wird hierin auch aus ihnen
+selbst heraus keine Abh&uuml;lfe kommen. Kunst und Handwerke findet
+man nur noch in den St&auml;dten und auch da k&uuml;mmerlich genug.
+Edlerer Regungen ist der Marokkaner kaum f&auml;hig; das Gute zu
+lieben und zu thun blos um des Guten willen, das kennt man fast bei
+diesen Leuten nicht. H&ouml;chstens schwingt sich der Marokkaner
+auf den Standpunkt, deshalb gut zu handeln, weil es die Religion
+vorschreibt, weil er sonst der zuk&uuml;nftigen Freuden des
+Paradieses verlustig ginge, oder sich wohl gar die Strafen der
+H&ouml;lle zuziehen k&ouml;nne.</p>
+<p>Indess ist die Unmoralit&auml;t beim Volke lange nicht so
+schlimm wie in den St&auml;dten. Ausschweifungen, eheliche
+Ueberschreitungen oder andere Laster h&ouml;rt man im Volke fast
+nie vorkommen. Diebstahl, Lug und Betrug kommen zwar oft genug vor,
+namentlich einer Tribe gegen die andere, indess wird dies kaum als
+s&uuml;ndhaft betrachtet. L&uuml;gen ist &uuml;berhaupt den Arabern
+und Berbern so eigen, dass es wohl kaum ein Individuum giebt, das
+die Wahrheit spricht. Und professionsm&auml;ssige L&uuml;ge hat
+wohl immer Betrug und Diebstahl im Gefolge. Das Faustrecht, der
+Raub und Mord sind in all den Theilen des Landes, die nicht von der
+Armee des Sultans erreicht werden k&ouml;nnen, an der Tagesordnung,
+und Niemand findet auch etwas Ausserordentliches darin. Dass der
+Gastfreund den Marokkanern eine geheiligte Person sei, ist eine
+Farce, in vielen Gegenden respectiren die Bewohner nicht einmal die
+Sch&uuml;rfa.</p>
+<p>Soll ich einen Vergleich wagen zwischen Berbern und Arabern, so
+m&ouml;chte ich sagen, die Zukunft geh&ouml;rt den ersteren. Bis
+jetzt haben die Araber der Neuzeit sich der Civilisation am
+wenigsten geneigt gezeigt, sie sind die echten R&ouml;mlinge des
+Islams und mit Stolz bekennen sie sich als die Tr&auml;ger und
+St&uuml;tzen dieser fanatischen Religion. Der Berber ist in dieser
+Beziehung bescheidener, er h&auml;ngt weniger an Religion, und die
+Leute lassen sich weniger von der Religion beherrschen. In Algerien
+haben denn auch die Franzosen schon die Erfahrung gemacht, dass die
+Berber weit empf&auml;nglicher f&uuml;r Civilisation sind, <i>als
+die nur f&uuml;r und durch ihre Religion lebenden Araber</i>.</p>
+<p>Was die Juden in Marokko anbetrifft, so habe ich an anderen
+Orten Gelegenheit, von ihrer miserabelen Stellung gegen&uuml;ber
+den Mohammedanern zu sprechen. Zum Theil sind sie direct aus
+Pal&auml;stina hergewandert, zum Theil aus Europa zur&uuml;ck
+vertrieben. Ich glaube nicht, wie einige Schriftsteller annehmen,
+dass von den jetzt noch im grossen Atlas und in den Oasen der
+grossen W&uuml;ste existirenden Judengemeinden, diese
+Abk&ouml;mmlinge<a href="#F029"><sup>29</sup></a> der Ureinwohner
+Nordafrikas also Berber ihrer Herkunft nach sind. Wenn man auch
+annimmt, dass Berber vor der arabischen Invasion zum Theil das
+Christenthum, zum Theil das Judenthum angenommen hatten, so mussten
+h&ouml;chst wahrscheinlich Christen und Juden den Islam annehmen.
+Man behauptet, diese eben erw&auml;hnten Juden haben gleiches
+Aeussere, gleiche Sitten und Gebr&auml;uche mit den Berbern. Es ist
+das ein Irrthum. Ich habe j&uuml;dische Gemeinden des grossen Atlas
+und fast s&auml;mmtliche j&uuml;dische Ortschaften der Draa- und
+Tafilet-Oasen besucht, aber immer gefunden, dass sie sich
+auszeichneten von der sie umgebenden mohammedanisch-berberischen
+Bev&ouml;lkerung, sowohl in der Sprache, als auch durch anderen
+K&ouml;rperbau, andere Gesichtsbildung und Sitten. Im Allgemeinen
+sind die Juden sch&ouml;ner und kr&auml;ftiger als die Araber, aber
+der entsetzliche Schmutz, den sie zur Schau tragen, die
+nachl&auml;ssige und &auml;rmliche Kleidung, der sie sich bedienen
+m&uuml;ssen, entstellt sie mehr als es unter anderen Umst&auml;nden
+der Fall sein w&uuml;rde. Die J&uuml;dinnen namentlich zeichnen
+sich durch Sch&ouml;nheit der K&ouml;rperformen und reizende
+Gesichtsz&uuml;ge aus, m&uuml;ssen daf&uuml;r aber auch oft genug,
+sind sie in der N&auml;he eines Grossen und Vornehmen, in dessen
+Harem wandern.</p>
+<blockquote><a name="F029" id="F029"></a>[Fu&szlig;note 29: Die
+Angaben von Richardson und Davidson &uuml;ber die frei im Atlas
+lebenden Juden, die berechtigt seien Waffen zu tragen, beruhen auf
+tr&uuml;gerischer Information. Aus <i>eigener</i> Anschauung weiss
+ich, dass die Juden im Atlas und in den grossen Oasen der Sahara
+ebenso miserabel leben, wie nur in Fes oder irgend einer anderen
+Stadt des Landes.]</blockquote>
+<p>Die direct von Pal&auml;stina hergekommenen Juden finden sich
+auf dem Atlas und in der Sahara, auch in den St&auml;dten Uesan,
+Fes, Tesa, Udjda giebt es deren. Sie reden kein Spanisch, sondern
+nur Arabisch und in rein berberischen Gegenden Schellah oder
+Tamasirht.</p>
+<p>Aber eigenth&uuml;mlich! Der Jude scheint nirgends die
+Landessprache erlernen zu k&ouml;nnen. Wir wissen alle, dass der
+echte Jude in Deutschland gleich an seiner lispelnden Sprache zu
+erkennen ist, ebenso die Juden aller &uuml;brigen europ&auml;ischen
+L&auml;nder, die stets die Sprache des Landes anders sprechen als
+die christlichen Bewohner. So auch in Nordafrika. Selbst wenn nicht
+durch Tracht und Physiognomie verschieden von dem Araber,
+w&uuml;rde man unter Hunderten den Juden gleich an der Sprache
+herauskennen. Nichts l&auml;cherlicher als einen Juden arabisch
+schmunzeln zu h&ouml;ren, und die unter den Berbern ans&auml;ssigen
+Israeliten, die berberisch sprechen, schmunzeln das Tamasirht, wie
+der Jude &uuml;berhaupt in allen Sprachen schmunzelt.</p>
+<p>Man wird wohl kaum &uuml;bertreiben, wenn man die Zahl der in
+Marokko lebenden Juden auf circa 200,000 Seelen angiebt. Der
+gr&ouml;sste Zuschub von Aussen trat 1492 bei der Vertreibung aus
+Spanien ein, dazu kamen 1496 die aus Portugal vertriebenen Juden.
+Aber fr&uuml;her schon hatten andere europ&auml;ische L&auml;nder
+ihr Contingent gestellt, 1342 fand in Italien eine
+Judenvertreibung, 1350 in den Niederlanden und 1403 in England und
+Frankreich statt<a href="#F030"><sup>30</sup></a>. Alle diese
+ungl&uuml;cklichen Israeliten fanden in Nordafrika und vorzugsweise
+in Marokko eine Zuflucht. Und wie ungl&uuml;cklich und
+gedr&uuml;ckt ihre Stellung auch dort ist, bis auf den heutigen Tag
+haben sie ausgehalten und sich vermehrt.</p>
+<blockquote><a name="F030" id="F030"></a>[Fu&szlig;note 30: Don
+Serafin Calderon, Cuadro geografico de Marrueccos, Madrid
+1844.]</blockquote>
+<p>Auch die schwarze Race ist in Marokko vertreten und zwar sind es
+vorzugsweise Haussa-, Sonrhai- und Bambara-Neger, die man antrifft.
+Sie haben dazu beigetragen, das arabische Element kr&auml;ftig zu
+durchsetzen, obschon auf dem Lande die Mischung mit den Schwarzen
+seltener ist als in den St&auml;dten. Es ist weniger im arabischen
+<i>Volke</i> Sitte eine Negerin zu nehmen, als bei den
+<i>Grossen</i>. Die ganze Familie des Sultans, alle ersten Familien
+der Sch&uuml;rfa haben heute eben so viel Negerblut in ihren Adern
+als rein arabisches. Die Berber mischen sich nie mit den Schwarzen,
+sie w&uuml;rden glauben sich dadurch zu degradiren. Als Sklaven
+werden die Schwarzen in Marokko gut behandelt und fast immer nach
+k&uuml;rzerer oder l&auml;ngerer Zeit in Freiheit gesetzt. Die Zahl
+der Schwarzen in Marokko, welche stets durch neue Zufuhren aus
+Centralafrika erneuert wird, d&uuml;rfte sich auf circa 50,000
+beziffern.</p>
+<p>Die in Marokko sich aufhaltenden Renegaten verdienen kaum einer
+Erw&auml;hnung. Es ist meist der Abschaum der menschlichen
+Gesellschaft, Galeerenstr&auml;flinge, die aus den spanischen
+Praesidos von Ceuta, Melilla, Alhucanas und Pe&ntilde;on de la
+Gomera entflohen sind. Und die Aussicht auf Begnadigung ist ihnen
+dadurch, dass sie die mohammedanische Religion angenommen haben,
+vollkommen abgeschnitten, sie w&uuml;rde auch nutzlos f&uuml;r sie
+sein, da sie im Falle einer Begnadigung, <i>dem R&auml;cherarm der
+allliebenden katholischen Kirche anheimfallen w&uuml;rden</i>. Die
+katholische alleinseligmachende Religion in Spanien und die
+mohammedanische alleinseligmachende Religion in Marokko stehen sich
+noch ebenso feindlich gegen einander, wie zur Zeit Ferdinand des
+Katholischen.</p>
+<p>Es m&ouml;gen einige Hundert Renegaten in Marokko sein, fast
+alle Spanier, mit Ausnahme von drei oder vier Franzosen; alle sind
+verheirathet, die meisten sind Soldaten und alle leben in einer
+sehr verachteten Stellung. Selbst die Kinder und Nachkommen solcher
+Oeludj<a href="#F031"><sup>31</sup></a> haben noch zu leiden von der
+tiefverachteten Stellung, die ihre Eltern einnahmen.</p>
+<blockquote><a name="F031" id="F031"></a>[Fu&szlig;note 31: Oeludj
+pl. von Oeldj heisst man in Marokko den ehemaligen christlichen
+Sklaven und ebenso auch die Renegaten.]</blockquote>
+<p>Europ&auml;er, oder wie die Marokkaner sie nennen: Christen,
+trifft man nur in den H&auml;fen. Im Ganzen betr&auml;gt ihre Zahl
+jetzt wohl 2000; sie zeigt also eine grosse Zunahme gegen
+fr&uuml;her. Tanger und Mogador haben das gr&ouml;sste Contingent
+aufzuweisen. In den &uuml;brigen K&uuml;stenst&auml;dten, wie
+Tetuan, L'Araisch, Rbat, Darbeida, Dar-Djedida und Saffi findet man
+nur einzelne Familien. Die H&auml;fen von Sla, Asamor und Agadir
+haben <i>keine europ&auml;ische Bev&ouml;lkerung</i>.</p>
+<p>Ueber Zu- oder Abnahme der Bev&ouml;lkerung in Marokko liegen
+nat&uuml;rlich keine Angaben vor. Was die St&auml;dte anbetrifft,
+so hat in der neuesten Zeit Fes durch Cholera bedeutend an der
+Einwohnerzahl verloren. Dass die Stadt Marokko ehedem viel
+bedeutender bev&ouml;lkert war als jetzt, dass ein Gleiches in
+Mikenes, Luxor (Alcassar) und Tarudant der Fall gewesen ist, habe
+ich selbst beobachten k&ouml;nnen. Die grossen G&auml;rten
+innerhalb der Stadtmauern, die vielen leerstehenden H&auml;user,
+meistens schon Ruinen, endlich die grosse Anzahl unbenutzter
+Moscheen, zu gross f&uuml;r die jetzige Population, deuten darauf
+hin, dass die Bev&ouml;lkerung dieser St&auml;dte bedeutend
+abgenommen hat. Zunahme sehen wir nur in den Hafenst&auml;dten,
+namentlich in denen, welche haupts&auml;chlich den Handel mit dem
+Auslande vermitteln; aber auch hier ist die Zunahme mehr unter der
+fremden, europ&auml;ischen Bev&ouml;lkerung zu bemerken, als unter
+den Eingeborenen. Viele Hafenst&auml;dte, welche ehemals bewohnt
+waren, sind in der Neuzeit sogar g&auml;nzlich entv&ouml;lkert und
+verlassen worden.</p>
+<p>Ebenso kann auf dem Lande von einer merklichen Zunahme der
+Einwohner nicht die Rede sein; es kann sein, dass einzelne Triben
+sich vermehren, durch locale Einfl&uuml;sse beg&uuml;nstigt,
+w&auml;hrend aber andere daf&uuml;r sich vermindern oder ganz
+aussterben. Constante Zunahme der Bev&ouml;lkerung und fast
+m&ouml;chte ich sagen Ueberv&ouml;lkerung findet man nur in den
+Sahara-Oasen, namentlich im Draa und Tafilet. Es scheint, dass
+diese gesegneten Inseln, wie sie Treibh&auml;user f&uuml;r Pflanzen
+sind, auch ebenso g&uuml;nstig auf die Menschen einwirken. Dazu
+kommt, dass in den grossen Oasen eine verh&auml;ltnissm&auml;ssig
+grosse Sicherheit des Lebens und Eigenthums ist, dass Kriege und
+Raubz&uuml;ge dort seltener sind, und Beraubungen und Vexationen
+durch die marokkanische Regierung dort nicht vorkommen.</p>
+<p>Hauptgr&uuml;nde aber der Abnahme der Bev&ouml;lkerung Marokko's
+(h&ouml;chstens kann man sagen, dass diese bleibt wie sie ist) sind
+vor allem mangelhafte Nahrung. Die Faulheit und Sorglosigkeit der
+Bewohner ist derart; dass trotz des reichen und jungfr&auml;ulichen
+Bodens oft Missernten erzielt werden. Nicht zur rechten Zeit
+eingetretener Regen, Hagelwetter oder Heuschrecken f&uuml;hren
+h&auml;ufig Hungersnoth herbei. Vorr&auml;the anlegen kennt der
+Marokkaner nicht. Aber selbst bei reichlichen Ernten, in Jahren, wo
+Marokko Getreide ausf&uuml;hren kann, ist die Nahrung wegen der
+Einf&ouml;rmigkeit keine die Gesundheit f&ouml;rdernde. Wie schon
+angef&uuml;hrt worden ist, kommt beim Landbewohner das ganze Jahr
+keine Fleischkost vor. Unm&auml;ssigkeit, wenn Nahrung reichlich
+vorhanden ist, hat dann Krankheit im Gefolge. Das weibliche
+Geschlecht entkr&auml;ftet sich durch zu langes S&auml;ugen der
+Kinder. Fortw&auml;hrende Kriege und Raubz&uuml;ge fordern Opfer
+unter den kr&auml;ftigsten M&auml;nnern. Die willk&uuml;rliche
+Regierung, die dem Volke den letzten Blutstropfen aussaugende
+mohammedanische <i>Geistlichkeit</i>, endlich die grassirenden
+Krankheiten, alles dieses sind Ursachen, welche auf die
+Entwickelung des marokkanischen Volkes hemmend und hindernd
+einwirken.</p>
+<h2><a name="K04" id="K04"></a>4. Die Religion</h2>
+<p>Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und
+richtig erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion
+stellen; ein Christ wird &uuml;ber jede andere Religion immer,
+fasst er dieselbe von seinem <i>christlichen</i> Standpunkte auf,
+ein falsches Urtheil voller Vorurtheile abgeben; eben so wenig
+gen&uuml;gt es, die Religion, &uuml;ber welche ein Urtheil
+abgegeben werden soll, zur eigenen zu machen (obschon, um in das
+Wesen derselben einzudringen, dies vollkommen nothwendig ist),
+sondern muss nachdem das geschehen, wieder heraustreten, um
+f&uuml;r die Kritik ohne Fessel dazustehen.</p>
+<p>In allen L&auml;ndern ist die Religion der Grund des moralischen
+Volkszustandes, und derjenige, welcher L&auml;nder durchforscht und
+in das Leben des Volkes der L&auml;nder eindringen will, muss daher
+vor allem sich angelegen sein lassen, die Religion des Landes einer
+eingehenden Betrachtung zu unterwerfen.</p>
+<p>Von den drei f&uuml;r semitische V&ouml;lker gemachten
+Religionen hat keine so gewirkt, das freie Denken, die
+<i>bewusste</i> Vernunft einzuschr&auml;nken, wie der Islam. Und
+rechnen wir die Inquisitionszeiten, die Verbrennungen der
+Hexenprocesse ab, hat keine der semitischen Religionen so viele
+Menschenopfer gekostet, als die mohammedanische. Auch ihr ist
+ureigen, unter der Firma der N&auml;chstenliebe, unter der Maske
+religi&ouml;ser Heuchelei jede Freiheit des Gedankens als
+S&uuml;nde hinzustellen; ihr ist ureigen, nur die <i>eigene
+Anschauung</i> des Propheten oder Macher der Religion als allein
+wahr hinzustellen und den <i>Glauben</i> zum unumst&ouml;sslichen
+<i>Gesetz</i> erhoben zu haben.</p>
+<p>Der Grund der mohammedanischen Religion liegt in dem Satze: "Es
+giebt nur Einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter." Wir sehen
+hier ausdr&uuml;cklich, dass, wie in den anderen beiden semitischen
+Religionen, die Einheit Gottes vor allen Dingen betont wird, aber
+ohne den Glauben, dass Mohammed "Gesandter"<a href="#F032"><sup>32</sup></a>
+Gottes ist, gilt die ganze Lehre nichts.</p>
+<blockquote><a name="F032" id="F032"></a>[Fu&szlig;note 32:
+Gesandter ist wohl zu unterscheiden von Prophet, deren die
+Mohammedaner viele anerkennen, ein Prophet aber wie Moses oder
+Jesus bekommt nie den Beinamen "Gesandter".]</blockquote>
+<p>Mohammed, von einem als Beduinen gekleideten Engel gefragt:
+"worin besteht das Wesen des Islam?"&mdash;antwortete: "zu
+bezeugen, es giebt nur einen Gott und ich bin sein Gesandter; die
+Stunden des Gebets innehalten, Almosen geben, den Monat Ramadhan
+beobachten, und wenn man es kann, nach Mekka pilgern."&mdash;"Das
+ist es," erwiederte der Engel Gabriel, indem er sich zu erkennen
+gab.</p>
+<p>Mit der christlichen Religion hat die mohammedanische das
+gemein, dass sie die <i>unbedingteste</i> Herrschaft &uuml;ber alle
+Menschen anstrebt, wenn aber jene Herrschaft der christlichen
+Kirche erst im Mittelalter verloren ging durch die Reformation oder
+Revolution eines Luther<a href="#F033"><sup>33</sup></a>, so sehen wir in
+der mohammedanischen Kirche schon 755 ein Schisma. Es bildet sich
+nach der Verlegung des Kalifats von Damaskus nach Bagdad ein
+eigenes vollkommen unabh&auml;ngiges <i>westliches</i> Kalifat,
+welches im Anfange in Cordova seinen Sitz hatte. Ausser den vielen
+anderen Religionssecten und Parteien, welche dann den Islam
+spalteten, wir erw&auml;hnen nur der Kharegisten, der Kadarienser,
+der Asarakiten, der Safriensen, sind in der
+<i>rechtgl&auml;ubigen</i> mohammedanischen Welt heute diese beiden
+Kalifate noch zu erkennen.</p>
+<blockquote><a name="F033" id="F033"></a>[Fu&szlig;note 33: Die
+krankhafte Anstrengung des Papstthums, diese Herrschaft bei den
+Katholiken jetzt wieder herzustellen, darf, wenigstens was die
+germanischen V&ouml;lker anbetrifft, als verfehlt and zu sp&auml;t
+angesehen werden.]</blockquote>
+<p>Der Sultan der T&uuml;rkei erkennt sich als den
+rechtm&auml;ssigen Nachfolger des Kalifats von Bagdad und Damaskus,
+und da dies Kalifat &uuml;berhaupt nie als gleichberechtigt
+bestehend das westliche Kalifat von Spanien und den Maghreb
+anerkannt hat, so glaubt er der Alleinherrscher aller Mohammedaner
+zu sein. Es versteht sich von selbst, dass eben so wenig wie
+Protestanten, Griechen und andere christliche Bekenner von Rom
+f&uuml;r <i>rechtm&auml;ssige</i> Christen gehalten werden, auch
+die &uuml;brigen Bekenner des Islam, die Schiiten, Aliden, Choms,
+f&uuml;r rechtgl&auml;ubige Mohammedaner angesehen werden.</p>
+<p>Der Sultan von Marokko als Nachfolger des Kalifats von Cordova
+erkennt aber keineswegs die Oberherrschaft des Sultans der
+T&uuml;rkei an, und eben so wie die Kalifen von Spanien ihre
+Unabh&auml;ngigkeit von den Abassiden aufrecht zu erhalten wussten,
+hat <i>nie</i> irgend ein marokkanischer Herrscher des Sultans der
+T&uuml;rkei Oberherrlichkeit anerkannt. Im Gegentheil, die jetzige
+Dynastie der Kaiser von Marokko, die sogenannte <i>zweite</i>
+Dynastie der Sch&uuml;rfa, proclamirt laut und feierlich, dass sie
+die allein rechtm&auml;ssigen Herrscher <i>aller</i> Gl&auml;ubigen
+seien, eben weil sie Abk&ouml;mmlinge Mohammeds sind. Der Sultan
+von Marokko betrachtet den Sultan von Constantinopel als einen
+Usurpator, der nicht einmal arabisches Blut, geschweige das
+"unseres gn&auml;digen Herrn Mohammed" in seinen Adern habe.</p>
+<p>Der echte Marokkaner, wenn er auch das arabische Volk als das
+bevorzugte, das von Gott auserw&auml;hlte und besonders
+besch&uuml;tzte betrachtet, erkennt keineswegs <i>Nationen</i> an.
+F&uuml;r ihn giebt es nur Mohammedaner, oder wie er selbst in
+r&ouml;mischer Ueberhebung sagt, "Rechtgl&auml;ubige Moslemin",
+Juden, Christen und Ungl&auml;ubige. Zu den letzteren rechnet er
+alle solche, die kein "Buch", d. h. die keine g&ouml;ttliche
+Offenbarung bekommen haben.</p>
+<p>Da nun aber von solchen, die ein "Buch" haben, im Koran nur die
+Juden und Christen erw&auml;hnt sind, so werden die Wedas der
+Inder, die Kings (B&uuml;cher des Confucius) der Chinesen und
+andere als nicht vorhanden betrachtet, und in Marokko gar hat man
+die Vorstellung, dass die durch "Tausend und eine Nacht" bekannten
+L&auml;nder Hind (Indien) und Sind (China) ausschliesslich den
+Islam bekennen.</p>
+<p>Von den vier rechtm&auml;ssigen und gleichberechtigten Bekennern
+des Islam, den Hanbaliten, Schaff&euml;iten, Hanefiten und
+Malekiten, huldigen die Marokkaner wie in Afrika <i>alle</i>
+Mohammedaner mit Ausnahme der Aegypter, dem malekitischen Systeme.
+F&uuml;r diejenigen, welche weniger mit dem Mohammedanismus bekannt
+sind, f&uuml;hre ich hier an, dass man schon gleich nach dem Tode
+des Propheten einzusehen angefangen hatte, dass der Koran
+unm&ouml;glich allein allen religi&ouml;sen Anforderungen, allen
+Rechtsfragen entsprechen konnte. Im Anfange der mohammedanischen
+Religion begn&uuml;gte man sich damit, zweifelhafte F&auml;lle
+durch Mohammed selbst oder seine J&uuml;nger entscheiden zu lassen.
+Nach des Propheten Tode, nach dem seiner J&uuml;nger, sammelte man
+dann die m&uuml;ndlichen Ueberlieferungen; es ist das die Sunnah,
+welche im ersten Jahrhundert nach der Hedjra entstand.</p>
+<p>Da nun aber noch keineswegs Koran und Sunnah ein
+regelm&auml;ssiges System boten, so f&uuml;hlte man die
+Notwendigkeit, f&uuml;r Theologie und Jurisprudenz einen solchen
+festen Anhalt zu bilden, und vier Schriftgelehrte unternahmen diese
+Arbeit. Jeder lieferte eine Abhandlung &uuml;ber die
+religi&ouml;sen Ceremonien, &uuml;ber die Grunds&auml;tze, wonach
+der Moslim sein h&auml;usliches Leben einzurichten hat, und sie
+sonderten die Scheria, d. h. das von Gott selbst gegebene
+unab&auml;nderliche Gesetz, von dem, welches nach dem Willen und
+Gutd&uuml;nken der Menschen abge&auml;ndert werden kann. Die
+Abhandlungen dieser vier Schriftgelehrten, obschon sie in vielen
+&auml;usserlichen Sachen von einander abwichen, wurden alle als
+orthodox anerkannt und sie bekamen den Namen nach ihren
+Urhebern.</p>
+<p>Der <i>Malekitische Ritus</i> nun (Malek ben Anas wurde 712 in
+Medina geboren, woselbst er 795 starb) verdr&auml;ngte im Westen
+von Afrika gegen das Ende des achten Jahrhunderts den Hanefitischen
+Ritus, und dieser hat sich dort bis auf unsere Zeit erhalten. Neben
+Malek und haupts&auml;chlich als bester Erkl&auml;rer der
+Malekitischen Schriften gilt das Werk von Chalil ben Ischak ben
+Jacob, der 1422 starb, und aus einer Menge anderer Schriften
+&uuml;ber Malekitischen Ritus seine Werke zusammengesetzt hat. Sehr
+hoch gehalten werden in Marokko auch die Schriften des Buchari, der
+200 Jahre nach Mohammeds Tode schon die Ueberlieferungen sichtete
+und von 7275 f&uuml;r wahr gehaltenen und 2000 zweifelhaften mehr
+als &uuml;ber 2000 falsche ausstiess.</p>
+<p>Der Unterschied der Malekiten von den &uuml;brigen drei
+rechtgl&auml;ubigen Parteien beruht nur auf Aeusserlichkeiten, so
+namentlich in der Verrichtung bei den Ablutionen, in den Bewegungen
+beim Gebet, endlich hat Malek vor seinen gelehrten Collegen den
+Vorzug, dass er denen, die seine Religionsregeln befolgen,
+entschiedene Erleichterungen gew&auml;hrt.</p>
+<p>Das Sultanat von Marokko als solches wurde gegr&uuml;ndet nach
+dem Untergange des K&ouml;nigreichs von Granada am 2. Januar 1492,
+als Ferdinand auf der Alhambra die Fahne von Castilien und des
+heiligen Jacob aufziehen konnte. Das westliche Kalifat war nun
+begraben, aber als Erben desselben betrachteten sich von dem
+Augenblicke an die Sultane von Marokko. Wenn dann noch sp&auml;ter
+bis zur eigentlichen Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien ein
+inniger Zusammenhang mit den afrikanischen Glaubensgenossen blieb,
+so hatte doch jeder politische Zusammenhang, wie fr&uuml;her schon
+oft, seit 1492 g&auml;nzlich zu existiren aufgeh&ouml;rt. Marokko
+selbst hatte auch freilich nicht die Grenzen, welche es jezt
+[jetzt] inne hat, seine Ausdehnung wechselte je nach der Macht der
+regierenden Sultane. Einzelne dehnten ihre Oberhoheit durch die
+Sahara bis Timbuctu und Senegambien hin aus, und Mascara und
+Tlem&ccedil;en haben h&auml;ufig genug die Oberherrlichkeit
+derselben anerkannt. Oftmals aber regierten drei K&ouml;nige oder
+Sultane neben einander, daher die Namen K&ouml;nigreich Fes,
+Tafilet, Marokko. Nie aber, wir betonen es, namentlich weil
+<i>jetzt</i> die Pforte auch die Souver&auml;net&auml;t &uuml;ber
+Marokko beanspruchen zu wollen scheint, ist im eigentlichen
+Marokko, d. h. westlich von der Muluya, irgend wie oder irgend wo
+ein t&uuml;rkischer Pascha als Regent seines Herrn, des Sultans der
+T&uuml;rken, gesehen worden.</p>
+<p>Im Allgemeinen sind die Begriffe des Volkes von der
+mohammedanischen Religion &auml;usserst oberfl&auml;chlich und
+verworren. Der gemeine Mann giebt sich auch gar keine M&uuml;he, in
+das Wesen des Islam einzudringen, und was die Faki und die Tholba,
+d. h. die Doctoren und Schrifgelehrten [Schriftgelehrten],
+anbetrifft, so sind diese in Marokko auf einer bedeutend tiefer
+stehenden Stufe der Gelehrsamkeit, als in den meisten anderen
+L&auml;ndern, wo der Islam herrscht.</p>
+<p>Die Lehre von der <i>Pr&auml;destination</i> zieht sich auch in
+Marokko durch die ganze religi&ouml;se Anschauung hin: "Es stand
+geschrieben," dass an dem Tage der und der sterben muss, "es stand
+geschrieben," dass der und der das Verbrechen beging etc. Es
+w&uuml;rde indess lebensgef&auml;hrlich sein, einem Thaleb zu
+sagen: Da Gott <i>allm&auml;chtig</i> ist und <i>Alles</i>
+erschaffen hat, so hat er doch auch den Teufel geschaffen; oder,
+der Teufel als gefallener Engel hat doch nur mit <i>Wissen</i> und
+<i>Willen</i> Gottes fallen k&ouml;nnen. Man w&uuml;rde in Gefahr
+sein, verbrannt zu werden, wenn man einem Faki sagte: Da Gott
+<i>Alles</i> geschaffen hat, so muss er doch auch das
+<i>B&ouml;se</i>, die <i>S&uuml;nde</i>, geschaffen haben; wie
+erkl&auml;rst Du das mit der <i>Allgute</i> Gottes, Gottes, welcher
+doch nur der Inbegriff <i>alles Guten</i> sein soll? Ein
+marokkanischer Geistlicher w&uuml;rde nicht antworten "mit
+unerforschlichen Geheimnissen", die wir nicht zu ergr&uuml;nden
+verm&ouml;gen, sondern gleich mit "Feuer und Schwert".</p>
+<p>Gott mit "hundert guten Eigenschaften", als "gr&ouml;sster",
+"allbarmherziger", "allmitleidiger", denkt sich der marokkanische
+Mohammedaner als ein pers&ouml;nliches Wesen. Obschon der Name
+Gottes "Allah" immer mit besonderer Betonung und recht sonor
+ausgesprochen wird, so hat doch das <i>h&auml;ufige</i> Anrufen
+desselben eine v&ouml;llige Missachtung nicht nur des Namens,
+sondern Gottes selbst herbeigef&uuml;hrt. Die eigene Lehre
+Mohammed's tr&auml;gt Schuld daran. W&auml;hrend die j&uuml;dischen
+Lehrer vor allen Dingen darauf hielten, den Namen Gottes so wenig
+wie m&ouml;glich im Munde zu f&uuml;hren, "Du sollst den Namen des
+Herrn, Deines Gottes, nicht unn&uuml;tzlich f&uuml;hren; denn der
+Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen
+missbraucht", und die Israeliten hierin so weit gingen, dass der
+Name Jehovah nur von den Priestern im Tempel ausgesprochen werden
+durfte, und man f&uuml;r Gott Eloah oder Adonai, d. h. "Herr" im
+gew&ouml;hnlichen Leben, sagte, lehrte die mohammedanische
+Religion, es ist <i>verdienstvoll</i>, den Namen Gottes <i>so viel
+als m&ouml;glich</i> auszusprechen.</p>
+<p>Bei aussergew&ouml;hnlichen Versammlungen von
+Religionsgenossenschaften kann man daher sehen, wie manchmal die
+Versammelten mit nichts Anderm sich besch&auml;ftigen, als wiegend
+mit dem K&ouml;rper den Takt zu geben, und jedesmal das Wort
+"Allah" auszusprechen. Eine Versammlung der religi&ouml;sen
+Genossenschaft der Mulei Thaib in Rhadames, der ich dort beiwohnte,
+behauptete, am selben Abend das Wort "Allah" 70,000 Mal ausgerufen
+zu haben. Wenn dies nun auch nicht genau dem Worte nach genommen
+werden muss, denn die Zahlen in gr&ouml;sseren Zusammensetzungen
+sind &uuml;berhaupt den Marokkanern ziemlich unbekannte
+Gr&ouml;ssen, so kann ich doch versichern, dass ich sicherlich eine
+nachhaltige Heiserkeit w&uuml;rde davon getragen haben, wenn ich
+mit gleicher Regelm&auml;ssigkeit und Vehemenz eben so oft Allah
+mitgeschrien h&auml;tte.</p>
+<p>Allah wird deshalb eigentlich weder geliebt, noch
+gef&uuml;rchtet und kaum verehrt, denn wenn auch das Chotba-Gebet
+Freitags wie die t&auml;glichen Gebete an Gott gerichtet sind, so
+wendet sich doch der Marokkaner, um irgend eine Gunst zu erlangen,
+um irgend etwas durchzusetzen, an irgend Jemand sonst, nur nicht an
+Gott.</p>
+<p>Wie hat es aber auch anders sein k&ouml;nnen? Es liegt dem
+Menschen so nahe, dass er das, was er immer zur Hand hat, was er
+t&auml;glich braucht, anf&auml;ngt nicht zu beachten, und die
+Nichtbeachtung ist immer der erste Schritt zur Verachtung. Und in
+Marokko wird das Geringste, das unbedeutendste Gesch&auml;ft, ja
+Dinge, die nach den Gesetzen aller Menschen s&uuml;ndhaft sind, um
+nicht noch mehr zu sagen, mit der Anrufung Gottes "Bi ism' Allah,
+im Namen Gottes" begonnen. Mit dieser Redensart steht der
+Marokkaner auf, ergreift seine Kleidungsst&uuml;cke, falls er sich
+derselben ausnahmsweise Nachte entledigt h&auml;tte, unternimmt
+Waschungen, betritt die Strasse, geht damit zur Arbeit,
+pr&uuml;gelt damit seine Lehrlinge durch, ohrfeigt seine Gattin,
+empf&auml;ngt damit ein Almosen, ersticht damit seinen Feind,
+schw&ouml;rt damit einen falschen Eid, betritt damit die Moschee,
+legt sich damit schlafen, um in der Regel damit auch seinen letzten
+Hauch von sich zu geben.</p>
+<p>Die Vorstellung, welche man sich von Engeln macht, ist im
+Wesentlichen der der anderen semitischen Lehre nachgebildet. Die
+Engel haben einen feinen und reinen K&ouml;rper; sie essen und
+trinken nicht, sind geschlechtslos und werden als specielle Diener
+Gottes betrachtet. Die Befehle Gottes, der unumschr&auml;nkter
+Gebieter des Weltalls ist, werden durch die Engel vermittelt. So
+beginnt die 35. Sure<a href="#F034"><sup>34</sup></a>: "Lob und Preis sei
+Gott, dem Sch&ouml;pfer des Himmels und der Erde, der die Engel zu
+seinen Boten macht, so da ausgestattet sind mit je zwei, drei und
+vier Paar Fl&uuml;geln." Als vornehmster wird <i>Gabriel</i>
+betrachtet, der manchmal auch als "Geist Gottes" erw&auml;hnt ist;
+<i>Michael</i>, der Engel der Offenbarung, <i>Azariel</i> der
+Todesengel, <i>Israful</i> der Engel der Auferstehung. Man glaubt
+sodann an Geister, <i>Djenun</i> (Plural von Djin), welche als aus
+gr&ouml;berer Materie gemacht gedacht werden und am j&uuml;ngsten
+Tage einem Gerichte unterliegen.</p>
+<blockquote><a name="F034" id="F034"></a>[Fu&szlig;note 34: Der
+Koran von Dr. Ullmann. Bielefeld.]</blockquote>
+<p>Man kann nicht sagen, dass in Marokko ein <i>Teufelcultus</i>
+best&auml;nde, und als ob man sich &uuml;berhaupt etwas aus dem
+Teufel mache. Er wird nicht so oft in den Mund genommen, wie Allah,
+und ist dem zufolge den dortigen Mohammedanern ziemlich zur
+Nebensache geworden. Wie bei den meisten V&ouml;lkern, wird auch
+hier dem Teufel Alles in die Schuhe geschoben und <i>"Allah rhinal
+Schitan, Gott verfluche den Teufel!"</i> kann man t&auml;glich
+h&ouml;ren. St&ouml;sst einer aus Versehen an, schneidet sich einer
+in den Finger, f&auml;llt einer zur Erde, zerbricht aus Versehen
+ein Gef&auml;ss, beschmutzt durch eigene Unvorsichtigkeit sein
+Gewand, so wird unab&auml;nderlicherweise der Teufel verflucht. Als
+eigenth&uuml;mlich beobachtete ich, dass, sobald <i>ein Esel</i>
+seine musikalischen T&ouml;ne ausst&ouml;sst, es zum guten Ton
+geh&ouml;rt, sich mit Abscheu wegzuwenden und "Gott verfluche den
+Teufel" auszurufen. Der Teufel wird <i>Iblis</i> oder
+<i>Schitan</i> genannt, und nach der Meinung der Mohammedaner wird
+er deshalb als gefallener Engel angesehen, weil er sich weigerte,
+Adam anzubeten<a href="#F035"><sup>35</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F035" id="F035"></a>[Fu&szlig;note 35: An
+anderen Orten und Surat 2 im Koran: "Darauf sagten wir zu den
+Engeln: Fallet vor dem Adam nieder, und sie thaten so, nur der
+hochm&uuml;thige Teufel weigerte sich, er war
+ungl&auml;ubig."]</blockquote>
+<p>Als Lohn wird den Menschen nach dem irdischen Tode ein
+Aufenthalt entweder im <i>Paradiese</i> oder in der
+<i>H&ouml;lle</i> zu Theil. Indess kommen die Abgeschiedenen
+keineswegs sofort dorthin; sondern erst <i>nach</i> dem
+j&uuml;ngsten Gericht. H&ouml;st<a href="#F036"><sup>36</sup></a> sagt S.
+197, und dieser Glaube ist auch heute noch in Marokko: "Wenn ein
+Maure gestorben ist, so glauben die Anderen, dass er gleich im
+Grabe von zwei Engeln befragt wird, die sie Munkir und Nakir
+nennen; und wenn er dann als ein echter Moslim zu ihrer
+Zufriedenheit antwortet, so ruhet der Leib ungest&ouml;rt bis zum
+Gerichtstage; wo nicht, so schlagen sie ihn mit eisernen Keulen an
+die Schl&auml;fe, und er wird von giftigen Thieren gebissen und
+&uuml;bel behandelt. <i>Die Seelen der M&auml;rtyrer verbleiben im
+Halse der gr&uuml;nen V&ouml;gel des Paradieses</i> bis an den Tag
+des Gerichts; aber die anderen rechtgl&auml;ubigen Seelen, die
+durch den Engel Azariel mit Gelindigkeit vom K&ouml;rper getrennt
+werden, halten sich um die Gr&auml;ber herum auf, ob sie gleich
+gehen k&ouml;nnten, wohin sie wollen. F&uuml;r diejenigen Seelen
+hingegen, die verdammt werden, wissen sie keinen Platz, denn weder
+Himmel noch Erde will sie annehmen."</p>
+<blockquote><a name="F036" id="F036"></a>[Fu&szlig;note 36:
+Nachrichten von Marokko und Fes, Ton G. H&ouml;st. Kopenhagen
+1781.]</blockquote>
+<p>Endlich naht der <i>j&uuml;ngste</i> Tag, dessen Ankunft durch
+"Zeichen" angek&uuml;ndigt wird. So soll am Abend vorher die Sonne
+aufgehen, der zw&ouml;lfte Imam, der Mehedi verk&uuml;ndet aufs
+Neue und zuletzt den Islam, und Jesus Christus, die Lehre
+Mohammed's bekennend, erscheint aufs Neue. Nach dem Glauben der
+Mohammedaner haben sowohl Moses als auch Christus den wahren Islam
+gepredigt, nur wir Christen und die Juden haben unsere, respective
+ihre B&uuml;cher gef&auml;lscht. Die Mohammedaner verweisen auf
+verschiedene Stellen des Alten und Neuen Testaments, von denen sie
+glauben, dieselben enthielten eine Weissagung, einen Bezug auf
+Mohammed.</p>
+<p>Die Trompete erschallt, die Sonne wird verfinstert, die Sterne
+fallen zur Erde, es herrscht Chaos. Ein zweiter Trompetenstoss
+ert&ouml;nt, und Alles auf Erden, was Leben hat, stirbt. Ein 40
+Jahre anhaltender Regen soll zum neuen Keimen und Leben rufen, und
+dann werden die Engel Gabriel, Michael und Israful zuerst erweckt
+(an anderen Koranstellen l&auml;sst Mohammed sie nicht sterben, wie
+&uuml;berhaupt die gr&ouml;ssten Widerspr&uuml;che herrschen).
+<i>Letzterer sammelt die Seelen in seiner Trompete</i>, und beim
+letzten Schall entfliegen sie derselben, um den Raum zwischen Erde
+und Himmel auszuf&uuml;llen. Die L&auml;nge des j&uuml;ngsten
+Gerichtstages wird im Koran verschieden, im 30. Capitel zu 1000, im
+70. Capitel zu 50,000 Jahren angegeben.</p>
+<p>Nachdem die Menschen von den Engeln Munkir und Gabriel gefragt
+sind, wiegt Gabriel in einer Waage, die so gross ist, dass sie
+Himmel und Erde zugleich enthalten kann, die Thaten der Menschen.
+Ueberwiegen die guten Thaten auch nur <i>Ein Haar</i> die
+b&ouml;sen, so ist der Eingang in das Paradies gesichert. Ein
+Mohammedaner, der einem andern Unrecht gethan hat, muss
+&uuml;brigens einen Theil seiner guten Thaten demselben abgeben,
+hat er gar keine, so &uuml;bernimmt er daf&uuml;r des Anderen
+S&uuml;nden. Obschon die Verdammung an vielen Stellen als eine
+<i>ewige</i> geschildert wird, so glaubt man doch nach anderen
+Andeutungen, wenigstens f&uuml;r die Rechtgl&auml;ubigen auf eine
+<i>zeitweise</i> Strafe rechnen zu k&ouml;nnen, "nachdem die Haut
+1000 Jahre lang zu Kohle verbrannt ist".</p>
+<p>Bei der <i>Auferstehung</i> sind die Frommen bekleidet mit
+Leinwand, die Gottlosen erstehen nackt, und jene, welche
+unrechtm&auml;ssig Reichth&uuml;mer erworben haben, werden als
+Schweine auferstehen; die, welche Zinsen nehmen, werden Kopf und
+F&uuml;sse verkehrt tragen. Um einer solchen Strafe zu entgehen,
+leiht man in Marokko nie auf Zinsen, aber man umgeht das
+unentgeltliche Darleihen dadurch, dass man z.B. 100 Metkal
+ausleiht, aber gleich zur Bedingung macht, nach so und zo [so]
+langer Zeit das <i>verdoppelte</i> oder <i>verdreifachte</i>
+Capital zur&uuml;ckzubekommen. Nur so konnte ich mir selbst
+sp&auml;ter am Tsadsee vom Mohammedaner Mohammed Sfaxi 200 Maria-
+Theresia-Thaler verschaffen; es war Bedingung, 400
+zur&uuml;ckzuerstatten; Zeit war hierbei nicht angegeben, aber man
+verlangte Zahlung auf Sicht in Tripolis, und da die Karavane gleich
+darauf abging nach dieser Stadt und etwa neun Monate Zeit
+gebrauchte, so konnte der Darleiher gewiss zufrieden
+sein.&mdash;Die ungerechten Richter, die M&ouml;rder, Diebe etc.,
+Alle werden in eigenen Gestalten erscheinen, um ihre Strafe
+anzutreten. Das Gericht wird lange dauern und Gott wird in Person
+richten, Mohammed wird F&uuml;rbitter sein, Adam, Noah, Abraham und
+Jesus weisen das Amt der F&uuml;rbitte von sich. Auch die Engel,
+die Geister und die Thiere werden zur Rechenschaft gezogen.</p>
+<p>Die Auferstandenen haben, um in den f&uuml;r sie bestimmten
+Aufenthalt zu kommen, die <i>Siratbr&uuml;cke</i> zu passiren, die
+so fein wie ein Haar und so schneidig wie ein Messer ist; die
+frommen Seelen kommen mit telegraphischer Geschwindigkeit
+hin&uuml;ber, die Gottlosen st&uuml;rzen in die Tiefe.</p>
+<p>Ehe man ins Paradies gelangt, kommt man zu einer <i>Mauer</i>,
+welche H&ouml;lle und Paradies trennt. Diese Mauer wird zugleich
+als neutrales Gebiet betrachtet und dient als Aufenthalt f&uuml;r
+Solche, die gleichviel Gutes und B&ouml;ses, oder &uuml;berhaupt
+weder B&ouml;ses noch Gutes gethan haben.</p>
+<p>Das mohammedanische <i>Paradies</i> mit den rieselnden
+B&auml;chen von Milch und Honig, den schwarz&auml;ugigen Huris,
+deren Leib aus duftendem Bisam besteht, dem Weine, der nicht
+berauscht, und den 80,000 Sklaven, die jeder Rechtgl&auml;ubige zur
+Verf&uuml;gung hat, ist hinl&auml;nglich bekannt, und der
+Marokkaner schm&uuml;ckt sich nach seiner Art die Versprechungen,
+die ihm Mohammed im Koran davon gemacht hat, noch mehr aus. So wird
+er dort immer seine Haschischpfeife haben, und der Haschisch wird
+ihn nicht schlaftrunken machen; er wird nicht schwarz&auml;ugige
+Huris als Dienerinnen haben, sondern <i>blau&auml;ugige,
+blondlockige Engl&auml;nderinnen</i>, welche nach der Meinung der
+Marokkaner diesen Vorzug verdienen. Das Paradies befindet sich
+&uuml;ber den sieben Himmeln, unmittelbar unter dem Throne Gottes;
+was aber r&auml;umlich <i>&uuml;ber</i> Gott selbst ist,
+dar&uuml;ber nachzudenken ist dem Marokkaner nicht erlaubt.</p>
+<p>Nach der Beschreibung der die H&ouml;lle vom Paradiese
+trennenden Mauer sollte man denken, dass dieses letztere sich auf
+gleichem Niveau bef&auml;nde mit der H&ouml;lle. Aber wie bei den
+&uuml;brigen semitischen Religionen und wie bei fast allen
+V&ouml;lkern ist mit der <i>H&ouml;lle</i> der Begriff des "Tiefen,
+Unterirdischen" verbunden. Deshalb sagt man auch, die B&ouml;sen
+<i>fallen</i> von der Siratbr&uuml;cke. Man stellt sich sodann die
+<i>H&ouml;lle mit sieben Stockwerken</i> vor; im obersten wohnen
+jene Mohammedaner, die auf F&uuml;rbitte des Herrn Mohammed nach
+einigen tausend Jahren Eintritt ins Paradies bekommen k&ouml;nnen.
+Es ist sodann ein Aufenthalt f&uuml;r die Christen, f&uuml;r die
+Juden, f&uuml;r Sab&auml;er, Magier, Ungl&auml;ubige &uuml;berhaupt
+vorhanden. In das unterste Stockwerk werden die Heuchler kommen,
+d.h. Solche, die &auml;usserlich eine Religion, vornehmlich die
+mohammedanische, bekannten, aber innerlich nicht daran glaubten.
+Die Qualen der H&ouml;lle werden eben so erfinderisch beschrieben,
+wie bei den &uuml;brigen V&ouml;lkern, so dass es eine wahre Lust
+ist, sich daneben den <i>allbarmherzigen</i> Gott zu denken, wie er
+im Paradiese in seiner ewig <i>allg&uuml;tigen</i> und
+<i>allmitleidigen</i> Natur auf diese <i>seine</i> Gesch&ouml;pfe
+hinabschaut, ohne dass es ihm einf&auml;llt in seinem
+unerforschlichen Rathschlusse, die von ihm verh&auml;ngten und nach
+seiner Vorherbestimmung (nach der Lehre Mohammed's ist ja Alles
+vorherbestimmt) erfolgten Qualen zu lindern oder gar zu
+beendigen.</p>
+<p><i>Feuer</i> spielt nat&uuml;rlich eine Hauptrolle in der
+H&ouml;lle; die Anz&uuml;ge sind von Feuer, in den Eingeweiden
+brennt Feuer, Feuer verkohlt die Haut, Feuerschuhe bekleiden die
+F&uuml;sse; ebenso heisses Wasser (22. Cap.). "Es soll auf ihre
+K&ouml;pfe gegossen werden, wodurch sich ihre Eingeweide und ihre
+Haut aufl&ouml;sen." Genug von den Freuden des mohammedanischen
+Paradieses und den Leiden der mohammedanischen H&ouml;lle.</p>
+<p>Unter dem Schutze des Grossscherifs von Uesan, der mir ein
+unwandelbarer Freund war, wagte ich einst, einem Thaleb, der mit
+gl&uuml;henden Farben die K&ouml;stlichkeiten des Paradieses der
+Gl&auml;ubigen mir ausmalte, zu erwiedern: "wenn aber Ihr
+Marokkaner Alle Anspruch macht, ins Paradies zu kommen, so will ich
+lieber nach dem Orte kommen, der den Christen angewiesen wird." Da
+mein Besch&uuml;tzer zu lachen anfing, lachten Alle
+pflichtschuldigst &uuml;ber die Abfertigung, die der Thaleb
+erhalten hatte, mit. Ich konnte mir damals in Uesan eine solche
+Aeusserung erlauben, weil ich nach den Worten Mohammed's als
+<i>&uuml;bergetretener</i> Christ den Vortritt vor den &uuml;brigen
+Moslemin hatte. Wenn Mohammed von Vortritt spricht, meint er
+darunter den in das Paradies.</p>
+<p>Folgendes ist die unwandelbare Lehre, wie sie von Gott durch die
+Propheten den Menschen vermittelt worden ist; sind Juden und
+Christen sp&auml;ter von diesem Islam abgewichen und haben die
+B&uuml;cher verf&auml;lscht, so war es die Hauptaufgabe Mohammed's,
+die reine Lehre wieder herzustellen. Mohammed l&auml;sst
+verschiedene Offenbarungen zu seit der Erschaffung der Welt, und
+unter den Propheten giebt es verschiedene Rangstufen. Zu den ersten
+geh&ouml;ren Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus. Es kommen sodann
+Patriarchen und Propheten, welche vollkommen heilig und
+s&uuml;ndlos auf Erden lebten. Nach der Meinung der Marokkaner
+giebt es 104 heilige Schriften<a href="#F037"><sup>37</sup></a>, von denen
+auf Adam 10, auf Seth 50, auf Edris oder Enoch 30, auf Abraham 10,
+auf Moses 1, auf David 1, auf Jesus 1 und auf Mohammed 1 kommen.
+Bis auf die vier letzten sind alle anderen verloren gegangen, und
+bis auf das letzte, den Koran, die drei noch &uuml;brig gebliebenen
+gef&auml;lscht. Damit der Koran nicht gef&auml;lscht werde, darf er
+nur <i>geschrieben</i> und in arabischer Sprache verbreitet werden.
+Ein gedruckter Koran ist daher in Marokko schlecht angesehen;
+gleichwohl machte ich dem Grossscherif einen solchen sowie ein
+Altes und Neues Testament in arabischer Sprache zum Geschenk, und
+er nahm sie gern an. Aus demselbsn [demselben] Grunde, d.h. um den
+Koran verstehen zu k&ouml;nnen, m&uuml;ssen aller
+<i>nichtarabischen</i> V&ouml;lker Schriftgelehrte Arabisch lernen.
+Ein Versuch, den die Marokkaner selbst machten, den Koran ins
+<i>Berberische</i> zu &uuml;bersetzen, da die &uuml;berwiegende
+Mehrzahl der Marokkaner Berber sind, scheiterte vollkommen an dem
+Fanatismus der arabischen Tholba; die schon &uuml;bersetzten
+Exemplare wurden verbrannt.</p>
+<blockquote><a name="F037" id="F037"></a>[Fu&szlig;note 37: Siehe
+Jackson, Account of Marocco, p. 197.]</blockquote>
+<p>Unter den Propheten erkennt Mohammed Jesu den ersten Platz zu;
+er glaubt, dass Jesus der Sohn Mari&auml; sei und dass diese auf
+wunderbare Weise empfangen habe. Er glaubt weiter, dass die Juden
+Jesum nicht kreuzigten, sondern eine andere Person unterschoben.
+Die Auferstehung und die H&ouml;llenfahrt werden also vollkommen
+von den Mohammedanern geleugnet. Indess glauben sie, dass Jesus
+lebendig gen Himmel empor gestiegen sei; und ebenfalls wird er, wie
+schon erw&auml;hnt, zum j&uuml;ngsten Gericht zur&uuml;ck
+erwartet.&mdash;</p>
+<p>Ein Haupterforderniss ist das <i>Gebet</i>; aber kein Gebet ist
+g&uuml;ltig, wenn nicht vorher eine Abwaschung des K&ouml;rpers,
+d.h. eine bestimmte Ceremonie, vorgenommen worden ist. Man
+unterscheidet in Marokko wie &uuml;berhaupt bei den Mohammedanern
+die <i>grosse Abwaschung</i>, el odho el kebir<a href=
+"#F038"><sup>38</sup></a>; die <i>kleine</i>, el odho el sserhir; <i>die
+Abwaschung mit Sand</i>, el timum, und das blosse <i>Fingiren des
+Waschens</i>, el chofin. Diese Abwaschung wird in verschiedener
+Weise bei den vier rechtgl&auml;ubigen Riten vorgenommen, aber nach
+einer der vorgeschriebenen Normen <i>muss</i> die Ablution
+verrichtet werden. W&uuml;rde man z.B. zuerst das <i>linke</i> Auge
+auswaschen, wenn es erforderlich ist, dass vorher das rechte
+gewaschen werden soll, dann ist die ganze Ablution <i>batal</i>,
+d.h. umsonst, und es kann nicht gebetet werden. W&uuml;rde man z.B.
+um den Mund auszusp&uuml;len, dies mit der linken statt mit der
+vorgeschriebenen rechten Hand thun, so <i>taugt die ganze
+Ablution</i> nichts. Jeder K&ouml;rpertheil kommt nach
+<i>vorgeschriebener</i> Ordnung an die Reihe, und je nachdem wird
+die <i>rechte</i> oder <i>linke</i> Hand zum Abwaschen benutzt. Die
+grosse Abwaschung unterscheidet sich von der kleinen dadurch, dass
+man bei jener den <i>ganzen</i> K&ouml;rper einer Reinigung
+unterzieht, bei dieser indess nur die Theile des K&ouml;rpers
+abw&auml;scht, welche man, ohne sich der Kleidungsst&uuml;cke zu
+entledigen, einer W&auml;sche unterziehen kann. Bei der Waschung
+mit Sand reibt man sich nat&uuml;rlich nicht buchst&auml;blich mit
+Sand ab, sondern legt die H&auml;nde auf den reinen Erdboden und
+<i>fingirt</i> die Waschung. Auch hier muss streng die
+<i>Reihenfolge</i> der abzuwaschenden Theile inne gehalten werden.
+Bei <i>unreinem</i> Boden und wenn kein Wasser vorhanden ist,
+ber&uuml;hrt man irgend einen Gegenstand, eine Wand, einen Stein,
+und fingirt dann die Ablution; es ist dies was man <i>el chofin</i>
+nennt. Malek, der &uuml;berhaupt duldsamer als die &uuml;brigen
+drei mohammedanischen Gelehrten ist, erlaubt auch das <i>timum</i>
+und <i>el chofin</i> da, wo <i>Wasser</i> vorhanden ist; deshalb
+findet man in den meisten marokkanischen Moscheen, namentlich in
+allen Djemen der Oasen, <i>Steine</i>, welche umfasst werden, nach
+welcher Umfassung sodann die Ablution vor sich geht.</p>
+<blockquote><a name="F038" id="F038"></a>[Fu&szlig;note 38:
+H&ouml;st S. 204 sagt: Die grosse Abwaschung heisst Ergasel. Es ist
+dies ein Irrthum; Ergasel bedeutet jede beliebige Abwaschung, aber
+keine <i>religi&ouml;se</i>; wenigstens habe ich in Marokko dies
+Wort nie in diesem Sinne gebrauchen h&ouml;ren, obschon ich selbst
+t&auml;glich die Ceremonien mitzumachen hatte.]</blockquote>
+<p>Das Gebet der Marokkaner ist keineswegs ein solches nach dem
+Sinne solcher Christen, welche darunter vorzugsweise einen freien
+Herzenserguss, einen selbst&auml;ndigen Gedankenausfluss, eine aus
+eigenem Herzen entspringende Bitte an Gott sehen, sondern vielmehr
+ein bestimmt auswendig Gelerntes, und eine mit <i>bestimmt</i>
+vorgeschriebenen Ceremonien verkn&uuml;pfte Handlung. Es kann daher
+bei den Marokkanern nach christlicher Auffassung von keinem
+eigentlichen Gebet die Rede sein, sondern nur von
+Gebets<i>&uuml;bungen</i>, von Gebetsceremonien; und so muss man es
+wohl f&uuml;r alle Mohammedaner auffassen, indem die dabei
+vorkommenden Ceremonien und Verbeugungen f&uuml;r Alle <i>bestimmt
+vorgeschrieben</i> sind. Fehlt eine dieser Ceremonien, w&uuml;rde
+man z.B. sich statt nach Mekka nach einer andern Richtung wenden,
+oder w&uuml;rde man es unterlassen; sich nach der und der Stelle zu
+Boden zu werfen, so ist das Gebet ung&uuml;ltig; es steigt dann
+nicht zu Gott auf.</p>
+<p>Man unterscheidet das <i>Morgengebet, essebah</i>, das
+<i>Mittagsgebet, eldhohor</i>, das <i>Nachmittagsgebet,
+elassar</i>, das <i>Abendgebet, el maghreb</i>, und das
+<i>Nachtgebet, elascha</i>. Die so h&auml;ufige Wiederholung der
+Gebets&uuml;bungen ist im Anfange des Islam auf z&auml;hen
+Widerstand gestossen, sp&auml;ter gew&ouml;hnte man sich daran, so
+wie sich der Soldat an Disciplin gew&ouml;hnt. Und dadurch, dass
+Mohammed &uuml;berall das Beten erlaubt, und das Gebet auf der
+Strasse oder im freien Felde f&uuml;r ebenso verdienstvoll gilt,
+als das in der Moschee, und vom Gebet im "stillen K&auml;mmerlein"
+im Koran nirgends die Rede ist, dadurch hat sich nach und nach ein
+Pharis&auml;ismus in die mohammedanische Religion eingeschlichen,
+der anderen Leuten ganz ungeheuerlich vorkommen muss. Namentlich in
+Marokko hat sich <i>unter dem Systeme der Unfehlbarkeit des
+Sultans</i> eine entsetzliche Scheinheiligkeit und Heuchelei aller
+Classen bem&auml;chtigt. Der gew&ouml;hnlichste Marokkaner versteht
+es, sich beim Beten derart den Schein der Andacht, der Heiligkeit
+zu geben, er weiss seiner Stimme derart einen n&auml;selnden Ton,
+einen feierlichen Klang beizulegen, er wendet derart seine Augen
+gen Himmel und scheint &uuml;berhaupt so sehr seinen ganzen
+K&ouml;rper dem nichtigen, irdischen Dasein zu entr&uuml;cken, dass
+man glauben sollte, er zerfl&ouml;sse vor Heiligkeit. Und doch ist
+er nichts weniger als fromm; die Worte, die er an Allah richtet,
+versteht er kaum, falls er nicht sehr gebildet ist. Das koranische
+Arabisch unterscheidet sich vom Neuarabischen und namentlich vom
+Magrhebinischen eben so sehr, wie das Lateinische von den neueren
+romanischen Sprachen. Man h&auml;lt in Marokko darauf, beim Beten
+<i>gesehen</i> zu werden, man h&auml;lt in Marokko auch darauf,
+recht <i>laut die vorgeschriebenen</i> Worte auszusprechen, damit
+man ja, falls man &uuml;bersehen wird, geh&ouml;rt werde. Da es
+nicht n&ouml;thig ist, genau die Zeit des Gebetes inne zu halten,
+die Gebete aber nachgeholt werden m&uuml;ssen, so trifft man
+allerorts, auf allen Pl&auml;tzen, auf allen Strassen, in allen
+Moscheen Leute, die ihre Gebets&uuml;bungen verrichten. Besucht man
+einen Marokkaner, so kann man sicher sein, dass unter hundert
+neunundneunzig den Gast einen Augenblick zu warten bitten, "damit
+ein nachzuholendes Gebet erst verrichtet werde." Man will damit
+documentiren, dass man fromm sei! Recht eifrige Leute, namentlich
+Br&uuml;der einer religi&ouml;sen Innung, pflegen ausser den
+vorgeschriebenen Gebetsceremonien noch andere zu bestimmten
+Tageszeiten abzuhalten, z. B. vor dem Morgengebet das
+Morgenrothgebet <i>Fedjer</i>; um die Zeit des <i>Dhaha</i>, d.h.
+zwischen dem Morgen- und Mittagsgebete, das Dhahagebet; das
+<i>eschefah-</i> und <i>uter-</i>Gebet nach dem <i>el ascha</i>
+etc.</p>
+<p>In den St&auml;dten wird von den Th&uuml;rmen der Moschee die
+Gebetsstunde durch Aufziehen einer weissen am Freitage zum
+Chotbagebet einer <i>dunkelblauen</i> Fahne angek&uuml;ndigt,
+ausserdem ruft der <i>Muden</i> von den Th&uuml;rmen zum Gebet auf.
+Auch dieser Aufruf ist bestimmt vorgeschrieben und beginnt nach
+Osten, um durch S&uuml;den, Westen und Norden wieder gen Osten
+beendigt zu werden. Die Worte lauten: "Gott ist der Gr&ouml;sste,
+Gott ist der Gr&ouml;sste, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott,
+ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, Mohammed ist sein Gesandter,
+Mohammed ist sein Gesandter<a href="#F039"><sup>39</sup></a>; kommt zum
+Gebet, kommt zum Gebet, kommt in den Tempel, kommt in den Tempel,
+Gott ist der Gr&ouml;sste, Gott ist der Gr&ouml;sste, es giebt nur
+Einen Gott!"</p>
+<blockquote><a name="F039" id="F039"></a>[Fu&szlig;note 39: Vor dem
+Morgengebet werden die Worte "das Gebet ist besser als der Schlaf"
+eingeschaltet.]</blockquote>
+<p><i>Das Gebet selbst</i> zerf&auml;llt in Anrufung, verschiedene
+Rikats und Gruss<a href="#F040"><sup>40</sup></a> und wird folgendermassen
+bei den Malekiten abgehalten:</p>
+<blockquote><a name="F040" id="F040"></a>[Fu&szlig;note 40: Siehe
+Ali Bey el Abassi, Voyage en Afrique etc. I, p. 153.]</blockquote>
+<p><i>Die Anrufung</i>: K&ouml;rper gerade und beide H&auml;nde
+erhoben bis zur H&ouml;he der Ohren, "Gott ist der
+Gr&ouml;sste!"</p>
+<p>Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die H&auml;nde fallen
+herab, und man sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis
+dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des
+Gerichts. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf
+dass Du uns f&uuml;hrest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner
+Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, &uuml;ber welche Du
+z&uuml;rnest, und nicht den der Irrenden."&mdash;Es folgt jetzt ein
+Koranvers, z.B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt
+nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich."</p>
+<p>Zweite Position: Man verbeugt sich, die H&auml;nde auf die Knie
+st&uuml;tzend, und ruft: "Gott ist der Gr&ouml;sste!" Dritte
+Position, sich wieder aufrichtend: "Gott h&ouml;rt, wenn man ihn
+lobt." Vierte Position, niederknieend ber&uuml;hrt man mit beiden
+H&auml;nden, mit der Stirn und Nasenspitze die Erde und ruft: "Gott
+ist der Gr&ouml;sste!" F&uuml;nfte Position: Man setzt sich auf die
+zur&uuml;ckliegenden Waden, legt die H&auml;nde auf die Schenkel
+und ruft: "Gott ist der Gr&ouml;sste!" Sechste Position: Man
+ber&uuml;hrt abermals mit H&auml;nden, Stirn und Nasenspitze den
+Boden und ruft: "Gott ist der Gr&ouml;sste!" Siebente Position: Man
+richtet sich auf und ruft stehend! "Gott ist der Gr&ouml;sste!"</p>
+<p><i>Zweites Rikat</i>: Die ersten sechs Stellungen werden
+wiederholt, nach der sechsten bleibt man sitzen und spricht: "Die
+Nachtwachen sind f&uuml;r Gott, wie auch die Gebete und Almosen;
+Gruss und Friede sei Dir, o Prophet Gottes; Gottes Mitleid und
+Segen ruhe auf Dir. Heil und Friede komme auf uns und alle Diener
+Gottes, die gerecht und tugendhaft sind. Ich bezeuge, es giebt nur
+Einen Gott, ich bezeuge, dass Mohammed sein Diener und Gesandter
+ist!" Hat das Gebet nur zwei Rikats, so f&uuml;gt man noch hinzu,
+indem man in derselben Stellung bleibt und dabei immer den rechten
+Zeigefinger kreisf&ouml;rmig bewegt: "Und ich bezeuge, Er war es,
+der Mohammed zu Sich rief, und ich bezeuge die Existenz des
+Paradieses, die der H&ouml;lle, die des Sirat (Br&uuml;cke), die
+der Wage und die des ewigen Gl&uuml;ckes, welches denen
+gew&auml;hrt werden soll, welche nicht zweifeln und die wahrhaftig
+Gott aus dem Grabe erwecken wird. O, mein Gott, giesse Deinen Segen
+auf Mohammed und Mohammed's Nachkommen aus, wie Du Deinen Segen auf
+Abraham ausgegossen hast; segne Mohammed und die von Mohammed
+Stammenden, wie Du Abraham und die von Abraham Stammenden gesegnet
+hast. Die Gnade, das Lob und die Erhebung zum Kuhme sind in Dir und
+bei Dir."</p>
+<p><i>Der Gruss und Schluss</i>: Man bleibt sitzen, wendet das
+Gesicht erst links, dann rechts, erhebt etwas die Finger beider auf
+den Schenkeln ruhenden H&auml;nde und ruft: "Friede sei mit
+Euch!"</p>
+<p>Fedjer und Esebah haben zwei, Dhohor und l'Asser vier, Magrheb
+drei, l'Ascha vier, l'Eschefa und l'Uter drei Rikats. Recht fromme
+Leute, namentlich solche, die sich gern beten sehen und h&ouml;ren
+lassen, die sich den Ruf eines "Heiligen" erwerben wollen, machen
+ausserdem f&uuml;nf, sechs und noch mehr Rikats.</p>
+<p>Der Freitagsgottesdienst, das Chotbagebet, wird in der Regel
+eine Stunde nach Mittag verrichtet. Nach vorhergegangener Ablution
+geht Jeder in die Moschee und betet f&uuml;r sich ein aus zwei
+Rikats bestehendes Gebet und setzt sich. Es dauert nicht lange, so
+erscheint ein Fakih, besteigt den Mimbr, ein Ger&uuml;st,
+&auml;hnlich einer Treppe, und beginnt mit n&auml;selnder Stimme
+eine Art Predigt <i>abzulesen</i>. In seiner Rechten hat er einen
+langen Stock, aber auch nur in diesem Augenblicke des
+Treppenbesteigens, denn sobald er dieselbe verl&auml;sst, wird der
+der Moschee zugeh&ouml;rende &uuml;brigens werthlose Stock in eine
+Ecke gestellt. Die Fakihs und Tholba (Schriftgelehrten) der
+Marokkaner unterscheiden sich keineswegs in der Kleidung von ihren
+&uuml;brigen Glaubensgenossen. Da &uuml;berhaupt Jeder, der lesen
+und schreiben kann, <i>Thaleb</i>, Jeder, der den Koran lesen und
+interpretiren kann, <i>Fakih</i>, d.h. <i>Doctor</i> ist, so halten
+die Tholba und Fakih, die sich speciell mit der Bedienung der
+Moscheen befassen, es nicht f&uuml;r nothwendig, sich durch
+besondere, z.B. <i>schwarze Tracht</i> auszuzeichnen; sie
+w&uuml;rden es auch nicht wagen, da in Marokko sich Jeder
+wenigstens eben so fromm und von Gott geliebt glaubt, als sein
+N&auml;chster, <i>innerlich</i> sogar Jeder sich wohl f&uuml;r am
+fr&ouml;mmsten h&auml;lt. Es mag anderen unbefangenen Menschen dies
+unglaublich vorkommen, aber die fanatische Dummheit in Marokko ist
+so gross, dass man der festen Ueberzeugung lebt, jedwede S&uuml;nde
+begehen zu k&ouml;nnen, wenn man nur mit dem Munde bereut und mit
+dem Munde durch Gebete seine Reue kund thut.</p>
+<p>Wirkliche Gebete, d. h. improvisirte, selbstgemachte, von Herzen
+kommende Anreden an Gott, meistens W&uuml;nsche und Bitten
+enthaltend, giebt es auch. Erfleht der Marokkaner etwas, so
+h&auml;lt er beide H&auml;nde zumal offen gen Himmel, als ob er
+etwas empfangen wollte; auf dieselbe Art wird auch der Segen
+erfleht. Selbst ein Scherif, d. h. ein Abk&ouml;mmling Mohammed's,
+erflehet den Segen f&uuml;r sich oder f&uuml;r die Menge derart, d.
+h. die Hand offen haltend. Der Mohammedaner w&uuml;rde es als
+grosse S&uuml;nde ansehen, wenn ein Mensch sich verm&auml;sse, die
+Hand umzudrehen, um den Segen zu ertheilen, wie es bei den Christen
+Sitte ist.</p>
+<p>Aber "das Gebet f&uuml;hrt nur halbwegs zu Gott, die Fasten
+fuhren uns vor die Thore seines Palastes und das Almosen verschafft
+uns Einlass."</p>
+<p>Es giebt verschiedene den Mohammedanern vorgeschriebene
+<i>Fasttage</i>, in Marokko werden sie indess nur von
+aussergew&ouml;hnlich fromm sein wollenden Leuten gehalten, jeder
+aber ist verpflichtet, den ganzen Monat Ramadhan zu fasten:
+<i>Bruch wird mit dem Tode bestraft</i>. Sobald der Neumond von
+zwei des Lesens und Schreibens kundigen Leuten in einem Orte
+gesehen worden, ist f&uuml;r <i>den</i> Ort der Ramadhan
+angegangen. Da nun manchmal der Himmel an einigen Stellen
+bew&ouml;lkt ist, so treten dort die Fasten einen Tag sp&auml;ter
+ein; da die Marokkaner wie &uuml;berhaupt die Mohammedaner, <i>was
+das Religi&ouml;se anbetrifft</i>, nach Mondsmonaten rechnen, so
+muss, falls <i>immer</i> der Himmel bew&ouml;lkt bliebe, nach
+Ablauf von 30 Tagen des vorhergehenden Monats der 31. der erste Tag
+des Rhamadhan sein.</p>
+<p>Von Morgens bis Abends, d.h. sobald man in der Morgen- oder
+Abendd&auml;mmerung einen weissen von einem blauen Faden
+unterscheiden kann, ist sodann jeder materielle Genuss untersagt.
+Nicht nur dass man nicht essen, trinken, rauchen oder schnupfen
+darf, muss auch in dieser Zeit der Umgang mit Frauen,
+&uuml;berhaupt jeder Sinnengenuss gemieden werden. Ja in Marokko
+geht man so weit, das Riechen an eine Blume, das Erg&ouml;tzen des
+Auges an einer sch&ouml;nen Landschaft und das Anh&ouml;ren von
+Musik f&uuml;r S&uuml;nde zu erkl&auml;ren. In diesem Monat erhielt
+Mohammed den Koran vom Himmel, und zwar am 27. des Monats. Diese
+Nacht wird daher besonders gefeiert. Es giebt Einzelne, die sich
+derart kasteien, dass sie Tag und Nacht in der Djemma bleiben, sich
+Nachts nur etwas Brot und Wasser bringen lassen. Solche Heilige
+nennt man Elatkaf. Man kann sich denken, dass namentlich in der
+ersten Zeit des Ramadhan, wo der Magen sich noch nicht an eine
+solche Ordnung gew&ouml;hnt hat, diese ganze Lebensweise Einfluss
+auf das Gem&uuml;th des Menschen hat. Streitigkeiten, Processe,
+Pr&uuml;geleien und Ehescheidungen sind immer am h&auml;ufigsten in
+der ersten H&auml;lfte des Ramadhan.</p>
+<p>Der Reiche entbehrt &uuml;brigens gar nichts, er f&uuml;hrt nur
+eine umgekehrte Lebensweise; denn Nachts entsch&auml;digt er sich
+durch Essen und Trinken reichlich. Nachts sind &uuml;berhaupt alle
+Gen&uuml;sse erlaubt, indess pflegen manche Schnapstrinker
+w&auml;hrend des Ramadhan sich geistiger Getr&auml;nke zu
+enthalten; Opiumesser, Haschisch- und Tabacksraucher k&ouml;nnen,
+&uuml;brigens ohne dass man Anstoss daran nimmt, ihren
+Leidenschaften fr&ouml;hnen. Nachts d&uuml;rfen auch Hochzeiten im
+Ramadhan gefeiert werden, obschon auch dies selten vorkommt. Die
+Moscheen sind um die Zeit hell erleuchtet, die Buden und
+Gew&ouml;lbe in den Strassen ebenfalls, die Kaffeeh&auml;user stark
+besucht; &uuml;berall h&ouml;rt man ausgelassenen L&auml;rm, und
+besonders in der Nacht des 27. Ramadhan.</p>
+<p>Bricht einer aus Versehen den Ramadhan, d.h. er w&auml;re z.B.
+ins Wasser gefallen und h&auml;tte dabei einen Schluck Wasser
+getrunken, so muss er nachfasten. Es brauchen den Ramadhan nicht zu
+halten schwangere Frauen, solche, die s&auml;ugen, Kinder unter 13
+Jahren, alte Leute, Kranke und Reisende. Ebenfalls ausgenommen sind
+die Wahnsinnigen. Kranke und Reisende sind verpflichtet, die Fasten
+nachzuholen, was aber in der Regel unterbleibt. Fr&uuml;her wurde
+der Anfang und das Ende der t&auml;glichen Fasten durch Hornsignale
+von den Th&uuml;rmen der Djemma dem Volke mitgetheilt, heute
+geschieht dies in den meisten marokkanischen St&auml;dten wie im
+Orient durch einen Kanonenschuss.</p>
+<p>Im zweiten Capitel des Koran heisst es an verschiedenen Stellen,
+wo vom Almosen die Rede ist: "O, Ihr Gl&auml;ubigen, gebet Almosen
+von den G&uuml;tern, die Ihr erwerbet, und von dem, was wir aus der
+Erde Schooss wachsen lassen; suchet aber nicht das Schlechteste zum
+Almosen aus, solches, was Ihr wohl selbst nicht annehmet, es sei
+denn, Ihr werdet get&auml;uscht." Und etwas weiter hin: "Machet Ihr
+Eure Almosen bekannt, so ist's gut, doch wenn Ihr das, was Ihr den
+Armen gebet, verheimlicht, so ist es besser; dies wird Euch von
+allem B&ouml;sen befreien. Gott kennt, was Ihr thut! Was Ihr den
+Armen Gutes thut, wird Euch einst belohnt etc." Diese und sehr
+viele andere Stellen des Koran (fast in jedem Capitel ist die Rede
+davon) zeigen, wie grosses Gewicht Mohammed auf die
+Mildth&auml;tigkeit legte, und wenn der unparteiische Mensch auch
+Vieles in der Lehre Mohammed's findet, was gegen die allgemein von
+civilisirten V&ouml;lkern angenommenen Sitten verst&ouml;sst, so
+muss man ihm dies hingegen hoch anrechnen. Norm ist in Marokko, den
+zehnten Theil aller der G&uuml;ter den Armen abzugeben, welche von
+L&auml;ndereien hervorgebracht, oder aus Waaren erl&ouml;st sind,
+die man &uuml;ber ein Jahr im Besitz hat. Viehheerden geh&ouml;ren
+ebenfalls hierher. Dieser Zehnte wird vom Sultan von Marokko
+eingefordert. Die Armen bekommen nichts davon, wenn nicht dahin zu
+rechnen ist, dass der Sultan den Sch&uuml;rfa (Scherifen) von
+Tafilet und Mekka j&auml;hrlich Geschenke macht, aber diese
+Sch&uuml;rfa sind keineswegs h&uuml;lfsbed&uuml;rftig. Man nennt
+diese Almosen <i>el-aschor</i>. Eine andere Art Almosen wird
+<i>Sakat</i> genannt und besteht darin, dass man am ersten Tage des
+Monats Schual am Feste des <i>aid el sserir</i> vor Sonnenaufgang
+den Armen je nach seinen Kr&auml;ften Gerste, Weizen, Datteln etc.
+zum Geschenk macht, damit auch sie das Fest w&uuml;rdig begehen
+k&ouml;nnen. Die gew&ouml;hnliche Art, Almosen zu geben,
+<i>Ssadakat</i> genannt, besteht, wie bei uns, in t&auml;glichen
+Gaben, die man H&uuml;lfsbed&uuml;rftigen und Bettlern giebt,
+welche den Vor&uuml;bergehenden im Namen irgend eines Heiligen
+anrufen, oder auch selbst von Haus zu Haus gehen.</p>
+<p>Das letzte Erforderniss des Islam, <i>das Pilgern nach
+Mekka</i>, ist nicht unumg&auml;nglich nothwendig und wird in
+Marokko im Ganzen selten ausgef&uuml;hrt. Die Pilger bekommen nach
+vollf&uuml;hrter Wallfahrt den Titel <i>el Hadj</i>, d.h. Pilger,
+und sind dann sehr geachtet. Man kann &uuml;brigens f&uuml;r Geld
+einen Andern f&uuml;r sich pilgern lassen; so lassen die Sultane
+von Marokko stets f&uuml;r sich einen andern Mann nach Mekka
+wallfahrten. Stirbt ein reicher Mann, ehe er Mekka gesehen, so
+miethen die Nachkommen bisweilen einen Mann, der nachtr&auml;glich
+das Gesch&auml;ft f&uuml;r Geld besorgen muss. Manchmal
+bem&auml;chtigt sich unter diesem Vorwande der Kaid oder Bascha
+eines grossen Theils der Hinterlassenschaft eines reichen Mannes,
+um von <i>Amtswegen</i> das nachtr&auml;gliche Pilgern besorgen zu
+lassen.</p>
+<p>Die grossen <i>Karawanen</i>, welche ehemals von Fes aus nach
+Mekka fortzogen, haben jetzt ganz aufgeh&ouml;rt, nur in Tafilet
+sammelt sich noch ein H&auml;uflein, um den weiten beschwerlichen
+Marsch durch die Sahara, wobei fast immer die H&auml;lfte zu Grunde
+geht (ein solcher Tod auf der Pilgerschaft ist aber sehr
+verdienstvoll und verschafft directen Eintritt ins Paradies),
+zur&uuml;ckzulegen. Jetzt fahren die meisten Marokkaner mit
+Dampfschiffen nach Djedda, und allm&auml;lig gew&ouml;hnt man sich
+daran, eine solche Wallfahrt mit Dampf f&uuml;r eben so heilig und
+verdienstvoll zu halten, als eine zu Fuss zur&uuml;ckgelegte. Es
+w&uuml;rde hier zu weit f&uuml;hren, die endlosen Ceremonien einer
+solchen Wallfahrt zu beschreiben, uns gen&uuml;ge diese kurze
+Auseinandersetzung. Wir wollen noch weiter in Marokko selbst die
+Entwickelung der mohammedanischen Religion verfolgen.</p>
+<p>Was die <i>religi&ouml;sen Festtage</i>, die Feiertage
+Marokko's, anbetrifft, so gelten im Allgemeinen dieselben Regeln,
+wie in den &uuml;brigen mohammedanischen L&auml;ndern. Indess ist
+nirgends Zwang, irgendwie an einem Feiertage die Arbeit
+einzustellen, oder Handel und Wandel zu beschr&auml;nken. So sehen
+wir namentlich, dass Freitags, welcher Tag bei dem Mohammedaner dem
+Sabath der Juden, dem Sonntage der Christen entspricht, Niemand
+daran denkt, irgend wie seine Arbeit einzustellen, seinen
+Verkaufsladen zu schliessen, oder sonst seine tagt&auml;gliche
+Besch&auml;ftigung zu unterlassen. Nur w&auml;hrend der Zeit des
+Chotbagebetes liegt Alles still in den St&auml;dten, weil jeder
+St&auml;dter aus <i>eigenem Antriebe</i><a href="#F041"><sup>41</sup></a>,
+dann auch weil das Gesetz es erheischt, diesem Gebete in der Djemma
+beiwohnt.</p>
+<blockquote><a name="F041" id="F041"></a>[Fu&szlig;note 41: Aus
+eigenem Antriebe, d.h. wer ohne Grund Freitags das Chotbagebet
+zweimal hinter einander vers&auml;umt, muss der Djemma, zu der er
+geh&ouml;rt, Strafe zahlen; dies gilt nat&uuml;rlich nur f&uuml;r
+St&auml;dter.]</blockquote>
+<p>Die Feste religi&ouml;ser Art, welche in Marokko gefeiert
+werden, sind im Monat Rebi-el-ual das Geburtsfest Mohammed's,
+<i>Mulud</i> genannt, am 12. des genannten Monats. Dies Fest dauert
+sieben Tage, aber nur der erste Tag wird durch einen besondern
+Gottesdienst in der Djemma gefeiert. Gefastet wird nicht, aber viel
+Musik gemacht, Pulver verschwendet und Phantasia geritten.</p>
+<p>Das kleine Fest, <i>aid el sserir</i>, beendigt den Fastenmonat
+Ramadhan; es findet vom 1. bis zum 7. Schual statt. Bei diesem
+Feste werden, wie schon erw&auml;hnt, grosse Almosen gegeben, und
+man h&auml;lt sodann ein grosses &ouml;ffentliches Gebet im Freien.
+Zu dem Ende hat jede Stadt in Marokko ausserhalb des Weichbildes
+einen gemauerten, weiss angekalkten Gebetsplatz, <i>Emssala</i>
+genannt. Eine 5 bis 6 Fuss hohe crenelirte Mauer, 20 Schritt lang,
+hat in der Mitte einen steinernen <i>Mimbr</i>, d. h. eine Treppe,
+die f&uuml;r den Fakih, der die Predigt h&auml;lt, bestimmt ist.
+Darf man Ali Bey Glauben schenken, so wohnte er einem solchen
+Gottesdienste bei, wo zu gleicher Zeit 250,000 Menschen sich vor
+Gott zur Erde beugten; es war dies in Fes zur Zeit der Regierung
+des Sultans Sliman. Ich wohnte in Uesan einem solchen
+religi&ouml;sen Feste zweimal bei; der Grossscherif, Sidi-el-Hadj
+Abd- es-Ssalam, war die Hauptperson dabei; im Ganzen mochten 20,000
+Menschen anwesend sein. <i>Nach der Predigt</i> und nach dem Gebete
+war ein grosses <i>lab-el-barudh</i>, d. h. ein
+<i>Pferdewettrennen</i> mit Flintensch&uuml;ssen. Dies Fest findet
+am 1. Schual statt; die &uuml;brigen sechs Tage zeichnen sich nur
+dadurch aus, dass man aussergew&ouml;hnlich grosse Quantit&auml;ten
+Nahrung zu sich nimmt und dem s&uuml;ssen Nichtsthun huldigt.</p>
+<p>Am 10. Dulhaja ist das grosse Fest oder <i>aid el kebir</i> zur
+Erinnerung des Opfers Abraham's; zugleich ist es jetzt f&uuml;r
+die, welche nicht nach Mekka pilgern, eine Mitfeier des dort
+stattfindenden grossen Festes. Dasselbe dauert drei Tage. Man
+verrichtet zuerst sein Gebet in der Moschee und geht sodann nach
+Hause, um ein Schaf zu opfern, d. h. zu schlachten und zu
+verspeisen. In nicht reichen Familien h&auml;lt man f&uuml;r
+gen&uuml;gend, ein Schaf f&uuml;r Alle zu schlachten, in reichen
+Familien aber opfert jedes m&auml;nnliche Mitglied ein Thier. Der
+ganz arme Mann holt sich sein Viertel bei dem Reichen, kurz, an dem
+Tage ist Niemand ohne Fleischkost in Marokko. H&ouml;st meint, dass
+an jenem Tage in Fes 40,000, in Maraksch 20,000 Schafe geschlachtet
+werden, und nach der Zahl zu urtheilen, die in Uesan geopfert
+wurden (Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam z. B. liess von einem seiner
+Duar 500 Schafe zum Opfern bloss f&uuml;r seinen Haushalt nach
+Uesan kommen), m&ouml;chte ich glauben, dass jene Zahlen eher zu
+niedrig als zu hoch gegriffen seien. An diesem Tage werden dem
+Sultan ebenfalls grosse Geschenke gemacht, von jeder Stadt und
+jeder Ortschaft. Die beiden folgenden Tage zeichnen sich ebenfalls
+durch Schmausereien aus, und Unverdaulichkeit, allgemeines
+Kranksein und Unf&auml;higkeit, irgend etwas zu thun, sind immer
+Folge dieser Feier, namentlich f&uuml;r solche, die so wenig an
+animalische Kost gew&ouml;hnt sind, wie die Marokkaner.</p>
+<p>Ein halb religi&ouml;ses, halb weltliches Fest ist das <i>aid el
+tholba</i>, das Fest der Schriftgelehrten. Es findet im
+Fr&uuml;hjahr zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche statt;
+s&auml;mmtliche Tholba und Fakih ziehen zur Stadt hinaus und lagern
+w&auml;hrend einer Woche unter Zelten. Obschon Koranlesen und Beten
+der urspr&uuml;ngliche Zweck dabei sein soll, konnte ich davon in
+der heiligen Stadt Uesan, aber vielleicht gerade <i>weil</i> Uesan
+eine heilige Stadt ist, nichts merken; im Gegentheil, bei Tage
+besch&auml;ftigten sich die Doctoren und Schriftgelehrten damit,
+Almosen zu empfangen in Gestalt von Geld, Thee, Zucker,
+Lebensmitteln aller Art und leckeren Gerichten, welche die
+and&auml;chtigen Frauen aus der Stadt heraussandten. Inzwischen
+wurde enorm gegessen, und wenn Abends profane Blicke der Bauern aus
+der Umgegend nicht zu bef&uuml;rchten waren, gab man sich fleissig
+dem Wein und Schnaps hin. War am andern Morgen ein Doctor oder
+Schriftgelehrter durch Trunkenheit oder Katzenjammer unf&auml;hig,
+sich irgend wie vern&uuml;nftig mit Almosen bringenden Leuten aus
+dem Gebirge und der fernen Umgegend zu unterhalten, so <i>wuchs
+sein Ruf</i>, man glaubte, er habe sich durch Nachtwachen derart in
+einen &uuml;berreizten und heiligen Zustand versetzt, dass er dem
+gew&ouml;hnlichen Erdenleben entr&uuml;ckt sei.</p>
+<p>Wir haben oben bemerkt, dass in Marokko nur rechtgl&auml;ubige
+Mohammedaner malekitischen Bekenntnisses sind, denn die wenigen
+<i>Choms</i> (eine nicht den vier orthodoxen Secten huldigende
+f&uuml;nfte Partei) im Gebirge sind kaum erw&auml;hnenswerth. Aber
+in dieser malekitischen Sekte haben sich nun wieder zahlreiche
+<i>religi&ouml;se Genossenschaften</i> gebildet, religi&ouml;se
+Innungen, so dass man fast sagen kann, ein jeder Marokkaner
+geh&ouml;rt einer solchen an.</p>
+<p>In gewisser Beziehung haben solche religi&ouml;se Verbindungen
+Aehnlichkeit mit den christlichen, besonders insofern, als ihnen
+speciell eine gewisse Verpflichtung obliegt, gewisse Privatgesetze
+gemein sind, Viele noch besondere additionelle Gebete verrichten,
+gewisse Fasten halten, mancher Speise insbesondere sich enthalten.
+Sie unterscheiden sich aber am deutlichsten von
+christlich-religi&ouml;sen Genossenschaften dadurch, dass jedes
+Mitglied einer solchen Innung<a href="#F042"><sup>42</sup></a> verheirathet
+ist, weil Mohammed das Heirathen an und f&uuml;r sich als
+verdienstlich und gut hinstellt. Leute unter den Mohammedanern, die
+nicht verheirathet sind, werden daher unter allen Umst&auml;nden
+ver&auml;chtlich angesehen.</p>
+<blockquote><a name="F042" id="F042"></a>[Fu&szlig;note 42: Mir
+wurde in ganz Marokko nur von einer religi&ouml;sen Genossenschaft
+Kunde gegeben, deren Mitglieder <i>unverheiratet</i> sein mussten,
+diese nannten sich <i>Fokra el mulei Abd Allah el Scherif</i> in
+Uesan. Diese Br&uuml;derschaft war &auml;usserst schwach, die
+Mitglieder waren alle gelehrt und (dem Anscheine nach) sittenreine
+Leute. <i>Leo</i>, Bd. I, S. 251, Ausgabe von Loosbach, spricht
+aber von den sogenannten Romiti (Marabuten), welche ebenfalls nicht
+heirathen d&uuml;rfen, aber deren Lebenswandel nach seiner
+Beschreibung eben nicht sehr erfreulich und tugendhaft gewesen sein
+soll.]</blockquote>
+<p>Die verschiedenen religi&ouml;sen Genossenschaften zu
+beschreiben werde ich andernorts Gelegenheit haben, hier
+gen&uuml;ge, dass die vornehmste religi&ouml;se Innung die der
+<i>Muley Thaib</i> in Uesan ist, die ausgebreitetste im ganzen
+Nordwesten von Afrika. Es kommt sodann die Corporation der <i>Sidi
+Hammed ben Nasser</i> mit dem Centralsitze von Tamagrut in der
+Draa-Oase; die der <i>Sidi Abd-es-Ssalam-ben-Mschisch</i> mit der
+Hauptstadt Sauya, im Djebel Habib, s&uuml;d&ouml;stlich von Tanger;
+die von <i>Sidi Mussa</i> in Karsas, und viele andere. Ohne
+religi&ouml;ses Centrum, Sauya<a href="#F043"><sup>43</sup></a>, sodann ist
+der Orden der <i>Aissauin</i>, d. h. der Jesuitenorden, zu
+erw&auml;hnen. Da wir gleich auf letztere etwas n&auml;her eingehen
+wollen, erw&auml;hne ich nur, dass alle &uuml;brigen
+religi&ouml;sen Genossenschaften als alleinigen Zweck haben,
+<i>sich die Menschen zu unterwerfen und dieselben auszubeuten</i>.
+Indem sie vorgeben, dass wer ihrem Orden beitrete, d. h. die und
+die Ceremonie mitmache, dies oder jenes Gebet ausserdem verrichte,
+an die F&uuml;rbitte dieses oder jenes Heiligen besonders glaube,
+den oder jenen Festtag extra halte und, worauf es besonders
+ankommt, freiwillige oder bestimmte Gaben der Sauya oder dem
+Oberhaupte darbiete, suchen sie sich mehr oder minder der
+Herrschaft &uuml;ber die Geldbeutel und damit &uuml;ber die Leute
+selbst zu bem&auml;chtigen. Aeusserlich unterscheiden sich die
+Genossen einer religi&ouml;sen Innung von denen einer andern nicht,
+h&ouml;chstens findet man einen Unterschied im Rosenkranz. Die
+Mohammedaner haben mit den Katholiken gemein die Hantirung eines
+Rosenkranzes, der aus hundert Perlen besteht. Die Mohammedaner
+beten freilich nicht bei jeder der Hand entgleitenden Kugel ein Ave
+oder Paternoster, sondern rufen bloss Gott an (es ist vorhin
+gesagt, wie verdienstvoll es ist, den Namen Gottes auszusprechen),
+bei jeder Perle z. B. "Gott ist gross" oder "Gott ist
+allbarmherzig" etc. Als Unterschied von &uuml;brigen
+religi&ouml;sen Orden haben die Br&uuml;der des Mulei Thaib einen
+grossen Messingring am Rosenkranz, die des Sidi Hussa in Karsas
+eine grosse Perle von Bernstein, und andere &auml;hnliche
+Abzeichen.</p>
+<blockquote><a name="F043" id="F043"></a>[Fu&szlig;note 43: Das
+Wort <i>Sauya</i> bedeutet Kloster, Pilgerort, Schule, Asyl
+zusammengenommen. Da aber, wie schon gesagt, die Mitglieder einer
+religi&ouml;sen Genossenschaft fast immer verheirathet sind, so hat
+eine Sauya ein ganz anderes Aussehen als ein Kloster. Wichtigkeit
+haben Sauya besonders, wenn sie Centralstelle eines religi&ouml;sen
+Ordens sind, wenn sie todte oder lebendige Heilige haben, wenn sie
+durch Tradition ein unverletzliches Asylrecht besitzen. Letzteres
+wird aber dennoch manchmal durch die <i>Unfehlbarkeit</i> irgend
+eines Sultans, <i>dem ja keine Ueberlieferung heilig ist</i>,
+gebrochen.]</blockquote>
+<p>Die vorhin erw&auml;hnten <i>Aissauin</i> oder Br&uuml;der vom
+Orden Jesu (Aissa heisst Jesus) sind eine der merkw&uuml;rdigsten
+Verbindungen. Sie haben kein bestimmtes <i>lebendes</i> Oberhaupt,
+keine bestimmten Ordensregeln, keine Sauya, sie leben nur vom
+Aberglauben und dadurch, dass sie die Leichtgl&auml;ubigkeit ihrer
+Mitmenschen t&auml;uschen. Ihren Namen haben sie vom Propheten
+Jesus angenommen, den sie auch als geistiges, unsichtbares
+Oberhaupt anerkennen, und sie behaupten auch, ihre Wunderkraft von
+ihm ererbt zu haben. Sie fussen dabei auf die Worte Mohammed's im
+Koran, "dass ihm (d. h. Mohammed) die Gabe, Wunder zu thun, nicht
+verliehen gewesen sei, dass aber Jesus sie gehabt habe." Die
+Aissauin sind sehr zahlreich, und nicht nur in Marokko zu finden,
+sondern in der ganzen mohammedanischen Welt.</p>
+<p>Manchmal sind die Kunstst&uuml;cke, welche ihre
+wunderth&auml;tige Heiligkeit darthun sollen, sehr einfacher Art,
+z. B. dass sie einen Scorpion in die Hand nehmen, Schlangen auf dem
+K&ouml;rper herumkriechen lassen; manchmal aber erregt es
+Entsetzen, wenn man sieht, wie diese Leute Schlangen lebendig
+verzehren, zerhackte N&auml;gel, gestossenes Glas, scharfkantige
+Steine und gl&uuml;hende Kohlen hinunterschlucken, wie sie unter
+Anrufung von "Gott und Jesus" ihren K&ouml;rper wund schlagen, dass
+er blutr&uuml;nstig wird (&auml;hnlich wie die Flagellanten der
+Christen etc.), und ausserdem nicht nur gegen ihren <i>eigenen</i>
+K&ouml;rper Verbrechen begehen, sondern oft <i>&ouml;ffentlich</i>
+und <i>ungestraft</i> gegen die Sittlichkeit mit anderen Menschen
+und Thieren sich vers&uuml;ndigen, dass dergleichen in anderen
+L&auml;ndern als Wahnsinn bezeichnet, oder wollte man es berichten,
+als erlogen betrachtet w&uuml;rde. Ich unterlasse es deshalb,
+Beispiele ihrer religi&ouml;sen Tugend, die ich selbst gesehen,
+anzuf&uuml;hren, verweise daf&uuml;r auf Leo Africanus I, S. 253
+oder Lempriere's Reise durch Marokko und auf fast alle anderen
+Schriftsteller, welche &uuml;ber Marokko berichtet haben.</p>
+<p>Wie in der christlichen Kirche, so hat sich auch im
+Mohammedanismus ein <i>Heiligenstand</i> entwickelt und namentlich
+in Marokko steht derselbe in Bl&uuml;the. Die mohammedanische
+Religion spricht aber nicht durch ein bestimmtes Organ, wie z. B.
+bei den Christen durch den Papst, heilig; ein solches hat die
+gesammte mohammedanische Religion &uuml;berhaupt nicht, sondern in
+einzelnen mohammedanischen L&auml;ndern, wie Marokko, wo der Sultan
+Papst, der Papst Sultan ist, besorgt es das ganze Volk, welches nie
+Heilige genug haben kann. Die mohammedanische Religion hat nun den
+Vortheil, dass Menschen schon bei Lebzeiten heilig gehalten oder
+gesprochen werden, und da jeder Mohammedaner heirathet, <i>so ist
+die Erblichkeit in das Heiligsein gekommen</i>, d. h. die
+Nachkommen eines solchen Heiligen werden auch als heilig
+betrachtet. Ja, im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies so
+eigenth&uuml;mlich herausgestaltet, dass die Heiligkeit nicht nur
+erblich, sondern <i>wachsend</i> geworden ist, derart, dass der
+Nachkomme eines Heiligen stets f&uuml;r heiliger gehalten wird, als
+er selbst. So sehen wir, dass z. B. in Uesan der directeste
+Spr&ouml;ssling Mohammed's jetzt f&uuml;r viel heiliger und
+unfehlbarer gehalten wird, als Mohammed selbst.</p>
+<p>Wenn meistens bei Christen und anderen der Glaube obwaltet, es
+sei um Mohammedaner zu werden, unumg&auml;nglich die Beschneidung
+nothwendig, so ist dies irrth&uuml;mlich. Im Koran ist f&uuml;r den
+Moslim die Beschneidung nicht gesetzlich gemacht, und so giebt es
+denn, namentlich unter den Berberst&auml;mmen Marokko's,
+verschiedene, welche <i>nie die Beschneidung bei sich
+eingef&uuml;hrt haben</i>. Trotzdem zweifelt Niemand an dem Islam
+dieser St&auml;mme. Ueberdies wird die Circumcision erst im
+siebenten oder achten Lebensjahr vorgenommen, und falls die
+Beschneidung <i>wesentlich</i> zum Islam geh&ouml;rte, w&auml;ren
+sodann Kinder, die jenes Alter nicht h&auml;tten, keine
+Mohammedaner. Es werden nur Knaben in Marokko beschnitten.</p>
+<p>Ziehen wir schliesslich einen Vergleich, so finden wir, dass
+gleiche Lehren und gleicher Glaube auf das Volk dieselbe Wirkung
+haben. Die <i>Unfehlbarkeit eines Einzelnen</i>, die in Marokko
+schon seit der Regierung des Sultans Yussuf Ben Taschfin's besteht,
+hat die grenzenloseste Dummheit des Volkes, den kolossalsten
+Aberglauben, die gr&ouml;sste Scheinheiligkeit und den Ruin der
+Nation und des Landes zur Folge gehabt. So hat auch in der
+j&uuml;dischen, der ersten semitischen Religion, die Unfehlbarkeit
+der Bundeslade, des Hohenpriesters, Jerusalems, d. h. das starre,
+eiserne Festhalten eines &uuml;berlebten Grundsatzes
+Scheinheiligkeit, Aberglauben, Heuchelei,
+Selbst&uuml;bersch&auml;tzung und dann den Ruin des Volkes zur
+Folge gehabt. Und bei den Christen sehen wir, dass das feste
+Anklammern an abgelebte Ideen, das Wiederaufrichten vorweltlicher
+Lehren, der eingebildete Wahn, den allein seligmachenden Glauben zu
+besitzen, oder die allein unfehlbare Oberkirchenbeh&ouml;rde zu
+sein, schliesslich zur "Unfehlbarkeit" eines einzelnen Menschen
+selbst f&uuml;hrte.</p>
+<h2><a name="K05" id="K05"></a>5. Krankheiten und deren
+Behandlung.</h2>
+<p>Eine der ersten Ursachen, weshalb die Bev&ouml;lkerung in
+Marokko so wenig zunehmend ist, vielmehr station&auml;r bleibt,
+sind die vielen im Lande herrschenden Krankheiten, und die
+schlechte und unrationelle Behandlung derselben. Ein Land, dessen
+Bewohner eben nur "Jenseits-Candidaten" sind, falls es sich um
+Ungl&uuml;cksf&auml;lle handelt, die ihr gew&ouml;hnlicher durch
+die mohammedanische Religion erstickter Geist nicht ergr&uuml;nden
+kann, das Volk eines solches Land <i>muss</i> zu Grunde gehen. Und
+in Marokko wird eine jede Krankheit als eine Heimsuchung "Allah's"
+bezeichnet, und die besten Mittel dagegen sind "Gebets&uuml;bungen"
+und "Amulette."</p>
+<p>Von den Lehren der grossen Doctoren, welche einst in Spanien und
+Marokko gelebt, ist heut zu Tage keine Spur mehr vorhanden. Man
+m&uuml;sste ihre Werke herausholen aus den Bibliotheken Fes' oder
+Uesan's, um nur den Namen derselben zu erfahren.</p>
+<p>Kein marokkanischer Arzt, geschweige ein gew&ouml;hnlicher
+Marokkaner weiss, dass Abu-el-Kassem-Calif-ben-Abbes (Albucasis)
+ihr Landsmann ist, dass er der Erfinder der Lithotomie<a href=
+"#F044"><sup>44</sup></a> war.</p>
+<blockquote><a name="F044" id="F044"></a>[Fu&szlig;note 44: Portal,
+Histoire de Panatomie et de la chirurgie.]</blockquote>
+<p>Der im Dienste des marokkanischen Sultans (Yussuf [Yussuf] ben
+Taschfin gewesene Arzt Aven-Zoar
+(Abu-Meruan-ben-Abd-el-Malek-b-Sohr), der es wagte gegen die
+Vorurtheile seiner Zeit, Chirurgie und Medicin zu vereinigen,
+welcher zuerst die Idee der Bronchotomie hatte, ist in Marokko
+verschollen. Weder der &auml;ltere noch j&uuml;ngere (Aven-Zoar's
+Sohn), der gleichfalls Arzt war, sind auch nur dem Namen nach
+bekannt. Verschollen ist der noch ber&uuml;hmtere Arzt und
+Philosoph Avero&euml;s (Abu-Uld-Mohammed-ben-Rosch), ein
+Sch&uuml;ler des &auml;lteren Aven-Zoar, welcher unter des Sultans
+Almansor Regierung nach Marokko berufen wurde und dort starb. Kein
+Grabstein, kein Andenken solch ber&uuml;hmter M&auml;nner ist im
+Lande zu finden, und wenn die Marokkaner kein Ged&auml;chtniss
+haben f&uuml;r so ber&uuml;hmte M&auml;nner, welche einst unter
+ihnen lebten, wie ist es da zu verwundern, dass auch von anderen
+minder ber&uuml;hmten jede Spur ausgel&ouml;scht ist.</p>
+<p>Die heutigen Aerzte von Marokko verdienen in jeder Beziehung die
+untergeordnete Stellung, die sie einnehmen. Nur dann stehen sie in
+Ansehen, wenn sie zu gleicher Zeit Tholba, d. h. Schriftgelehrte
+oder Faki, d. h. Doctoren der Theologie sind. Und noch h&ouml;her
+ist ihr Einfluss und ihr Ruf verbreitet, wenn sie zugleich
+Sch&uuml;rfa, d. h. Abk&ouml;mmlinge Mohammed's sind. In dieser
+Eigenschaft liegt zugleich, der Meinung des Marokkaners nach,
+&auml;rztliche Natur. Und so sieht man denn auch h&auml;ufig genug
+Leute zu einem Scherif kommen, um seine H&uuml;lfe gegen irgend
+eine Krankheit zu erflehen, sei es nun, dass diese in einem Gebete
+oder Segen, in einem Amulet, oder geschriebenen geheimnissvollen
+Zauberspruche, oder auch in wirklicher medicinischer Substanz
+besteht.</p>
+<p>Solche Leute, die sich nur mit Aus&uuml;bung innerer Heilkunde
+besch&auml;ftigen, ohne Thaleb, Faki oder Scherif zu sein, giebt es
+daher sehr wenige in Marokko, eher schon st&ouml;sst man auf
+Chirurgen von Profession, die es durch Uebung in irgend einem
+Zweige der Wundarzneikunde zu einem mehr oder weniger verdienten
+Rufe gebracht haben.</p>
+<p>Meinen grossen &auml;rztlichen Ruf in Marokko verdankte ich denn
+auch nicht dem Umst&auml;nde, dass ich Medicin studirt hatte, oder
+Milit&auml;rarzt des Sultans, sp&auml;ter sogar dessen Leibarzt
+war, sondern es hatte das seinen Grund darin, dass ich vorher
+Christ gewesen war. Nach dem Glauben der Mohammedaner ist Jesus der
+gr&ouml;sste Arzt gewesen, und sie meinen, er habe den Christen
+eine Menge wunderth&auml;tiger Heilmittel hinterlassen. So wurden
+denn oft zu mir die verzweifeltesten F&auml;lle gebracht. "Der Sohn
+des Jesus (uld ben Aissa) wird uns schon helfen k&ouml;nnen,"
+meinten sie. Ebenso giebt es nirgends eigentliche Apotheken oder
+Pharmacien. Der Arzt bereitet immer selbst seine Arzneien und giebt
+sie dann dem Kranken. Ist er unbekannt und die erkrankte
+Pers&ouml;nlichkeit eine einflussreiche, so muss er
+unab&auml;nderlich von der Arznei vorher kosten, oft sogar die
+H&auml;lfte geniessen. So hatte ich die Unannehmlichkeit, mich
+eines Tages mit dem Bascha von Fes, Ben-Thaleb purgiren zu
+m&uuml;ssen. Derselbe hatte ein Abf&uuml;hrungsmittel verlangt, ich
+brachte ihm eine Schale mit aufgel&ouml;stem Bittersalz, aber um
+sicher zu sein nicht vergiftet zu werden, musste ich die
+H&auml;lfte vor seinen Augen austrinken; vorher davon unterrichtet,
+hatte ich die Dose stark genug gemacht, um f&uuml;r uns beide eine
+Wirkung zu erzielen, im entgegengesetzten Falle w&uuml;rde mein Ruf
+gelitten haben.</p>
+<p>Indem wir hier nur die am h&auml;ufigsten in Marokko
+vorkommenden Krankheiten vorf&uuml;hren, beginnen wir mit der,
+welche am verbreitetsten ist, so verallgemeinert, dass heute fast
+keine Familie in Marokko n&ouml;rdlich vom Atlas existirt, welche
+von dieser Krankheit unber&uuml;hrt geblieben w&auml;re:
+Syphilis.</p>
+<p>Unter Syphilis verstehen die Marokkaner vom Ulcus syphiliticum
+an alle jene Krankheiten, welche wir als Syphilis universalis,
+constitutionelle Syphilis und ihre Producte bezeichnen. Der
+Marokkaner nennt diese Krankheit "die grosse," Mrd-el-kebir, oder
+die "Frauenkrankheit," Mrd-el-nssau&iuml;n. Einzelne Formen, z.B.
+das Ulcus syphiliticum nennt er Grah, ohne aber diese, wie andere
+syphilitische Erscheinungen, z.B. Bubonen, Ulcerationen im
+Schlunde, Ausschl&auml;ge herpetischer Art, f&uuml;r Syphilis zu
+halten; ebensowenig rechnet der Marokkaner zum Mrd-el-kebir die
+Krankheiten der Harnr&ouml;hre und Scheide. Also unseren
+secund&auml;ren und terti&auml;ren Erscheinungen entspricht das
+Mrd-el- kebir, um so mehr tritt dies heraus, als selbst nicht
+sichtbare, sondern nur f&uuml;hlbare Erscheinungen, die
+n&auml;chtlichen Knochenschmerzen (satar) von dem Marokkaner zum
+Mrd-el-kebir gerechnet werden.</p>
+<p>Es giebt in der That fast kein Individuum in Marokko, das sein
+Leben ohne diese Krankheit zubr&auml;chte. Leo<a href=
+"#F045"><sup>45</sup></a> schon meint, dass nicht der zehnte Theil der
+Einwohner der Berberei dieser Seuche entgehe. Leo behauptet ferner,
+diese Krankheit sei ehedem nicht in Afrika bekannt gewesen, selbst
+nicht dem Namen nach; er sagt: "sie fing dort zu der Zeit, als
+K&ouml;nig Ferdinand (der Katholische) die Juden aus Spanien
+verjagt hatte, an; viele von denselben waren angesiechet, und das
+Gift steckte die woll&uuml;stigen Mauren, die mit J&uuml;dinnen
+nach ihrer Ankunft in Afrika zu vertraut umgingen, auch an, und
+griff nach und nach so um sich, dass wohl keine Familie in der
+Berberei gefunden wird, die das Uebel nicht gehabt h&auml;tte, oder
+noch h&auml;tte. Sie halten es f&uuml;r unleugbar, dass es aus
+Spanien herkomme, und nennen es folglich auch die spanische
+Krankheit." Wie dem nun auch sein mag, ob diese Krankheit in
+Marokko erst nach der Judenvertreibung aus Spanien bekannt wurde,
+oder schon <i>vorher</i> grassirte, heute ist sie unter dem Namen
+"spanische Krankheit" in Marokko <i>nicht</i> bekannt. Aber Alle,
+die in Marokko gewesen sind, constatiren das <i>allgemeine</i>
+Verkommen. So sagt Jackson in seinem Account p. 190: "they call it
+the <i>great disease</i> and it had now spread itself into so many
+varieties, that I am persuaded, there is scarcely a moor in Barbary
+who has not more or less of the virus in his blood."</p>
+<blockquote><a name="F045" id="F045"></a>[Fu&szlig;note 45: Leo
+Africanus, Uebersetzung von Lorsbach.]</blockquote>
+<p>Es giebt wohl keine Form der syphilitischen Krankheit, welche in
+Marokko unbekannt w&auml;re, und da sie keine gr&uuml;ndlichen
+Heilverfahren dagegen in Anwendung bringen, so wird dies Uebel
+erblich durch ganze Triben fortgesetzt. H&auml;ufig genug h&ouml;rt
+man ein Individuum sagen, "mein Vater war ganz gesund, und ohne
+Ursache bin ich vom Mrd-el-kebir befallen," forscht man aber nach,
+so erfahrt man bald, dass m&uuml;tterlicherseits oder von
+grosselterlicher Seite her die Krankheit existirte und bei den
+Eltern nur latent war oder so schwach auftrat, dass sie nicht
+beachtet wurde.</p>
+<p>Als Mittel gegen den Mrd-el-kebir wenden die Marokkaner mit
+bestem Erfolg die heissen Schwefelquellen von Ain-Sidi-Yussuf an.
+Da ich nicht selbst jenes bei Fes gelegene, wahrscheinlich das zu
+den R&ouml;merzeiten schon unter dem Namen Aquae Dacicae bekannte
+Bad besucht habe, so kann ich weder &uuml;ber die Temperatur noch
+&uuml;ber die Bestandtheile desselben berichten. Nach den Aussagen
+der Araber ist aber unzweifelhaft Schwefel Hauptbestandteil und ist
+das Wasser so heiss, dass darin Badende das Bassin, welches die
+eigentliche Quelle enth&auml;lt, nicht betreten k&ouml;nnen, dort
+soll das Wasser fast siedend sein. Die Badebassins befinden sich in
+einiger Entfernung davon, nachdem das Wasser auf Umwegen eine
+Abk&uuml;hlung erhalten hat. Die das Wasser Gebrauchenden baden in
+grossen gemeinschaftlichen Bassins, Frauen von den M&auml;nnern
+getrennt.</p>
+<p>Eine Kur dauert mit t&auml;glichem Baden, wobei mau oft
+stundenlang im Bassin hockt, so lange bis man geheilt ist, oder die
+Unwirksamkeit glaubt erprobt zu haben. Jahrelanges Baden ist nichts
+Seltenes, und weniger als eine dreimonatelange Kur wird wohl nie
+versucht. Die Marokkaner trinken das nach faulen Eiern riechende
+Wasser nicht. Man kann sich denken, welche Vollheit immer in
+Ain-Sidi-Yussuf ist, indess campiren alle Leute, f&uuml;r
+Badeeinrichtung ist n&auml;mlich gar nicht gesorgt und auf einem
+w&ouml;chentlich Einmal abgehaltenen Markte ebendaselbst, werden
+die Lebensmittel und Vorr&auml;the eingekauft. Eine besondere
+Di&auml;t wird bei der Kur nicht beobachtet, was bei der einfachen
+marokkanischen Kost auch nicht nothwendig ist.</p>
+<p>Vom Gebrauche dieser B&auml;der habe ich die
+&uuml;berraschendsten Erfolge gesehen, manchmal nach kurzem (d.h.
+nach 5-6monatlichem, t&auml;glichem, meist zweimaligem Baden, wobei
+die Leute behaupteten, jedesmal zwei Stunden im Bade zugebracht zu
+haben), manchmal nach l&auml;ngerem Gebrauche. Indess ist dies Bad
+wie alle Schwefelb&auml;der kein specifisches Mittel und nicht nur
+kamen oft genug R&uuml;ckfalle, Wiederausbruch der Syphilis vor,
+sondern sehr oft zeigt sich das Bad vollkommen wirkungslos. Der
+Marokkaner sagt nat&uuml;rlich nie, dass das Wasser des Bades die
+Heilung bewirkt: Sidi Yussuf oder dessen Segen bewirken die
+Genesung.</p>
+<p>Mercur wird &auml;usserst selten gebraucht, und fast nur in den
+St&auml;dten. Man kennt dort, wo europ&auml;ische Apotheken sind,
+die einfache Mercurialsalbe und macht &ouml;rtliche Einreibungen.
+Auch Juden in den St&auml;dten des <i>inneren</i> Landes
+pr&auml;pariren und verkaufen Ung. mercuriale cinerum. Am
+h&auml;ufigsten wird das Quecksilber angewandt, indem man es in
+seiner wahren Gestalt in eine stark erhitzte Pfanne sch&uuml;ttet
+und dann die Quecksilberd&auml;mpfe einathmet. Aber wenn auch
+manchmal sowohl von den &ouml;rtlichen Einreibungen, wie von den
+Inhalationen Besserung erfolgt, so unterliegen dann aber die
+Meisten den Folgen der Mercurialvergiftung. Jod und seine
+Verbindungen sind g&auml;nzlich unbekannt. Am gebr&auml;uchlichsten
+ist noch die Sarsaparilla, nicht nur das Decoct der Wurzel, sondern
+auch diese selbst im pulverisirten Zustande wird genossen. Aber nur
+Wenige in Marokko sind im Stande, eine durchgreifende Kur mit
+diesem f&uuml;r dortige Verh&auml;ltnisse recht kostspieligen
+Medicament, welches die Portugiesen importiren, machen zu
+k&ouml;nnen. Man h&auml;lt sodann ausserordentlich viel auf
+Ortsver&auml;nderung, Di&auml;t und Schwitzen, d.h.
+Ortsver&auml;nderung wird nur insofern gepriesen, als die Leute
+dabei in heissere Gegenden gehen, meist s&uuml;dlich vom Atlas. Die
+dann erfolgende gr&ouml;ssere Transpiration soll manchmal Heilung
+bewirken. Entziehung der Nahrung bringt indess nach den Aussagen
+der Marokkaner nur Stillstand der Krankheit herbei. Jackson
+erz&auml;hlt, dass zur Zeit, als er in Agadir war, der dortige
+Bascha, Namens Hayane, seine schwarzen Soldaten dadurch von der
+Krankheit heilte, dass er sie schwere Lasten bergauf tragen liess,
+welches eine m&auml;chtige Schweissbildung hervorbrachte. Innerlich
+giebt man an einigen Orten auch eine Abkochung der Rinde von
+Coloquinthen (Cucumis colocynthis). Dieses drastische Purgirmittel
+soll das Gift des Mrd-el-kebir aus dem K&ouml;rper entfernen, aber
+nie habe ich geh&ouml;rt, dass es irgend gewirkt h&auml;tte.</p>
+<p>Ebenfalls giebt man diese Decoction gegen blennorrho&iuml;sche
+Affectionen, in der Regel aber werden diese durch eine Abkochung
+von Melonenkernen behandelt, welches unschuldige Mittel innerlich
+gegeben wird. Injectionen bei dieser Krankheit werden nie
+angewandt. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass nebenher Amulette
+und Zauberspr&uuml;che hier wie bei <i>allen</i> Krankheiten in
+Anwendung sind. Kleine Zettelchen mit Koran- oder anderen
+Spr&uuml;chen werden in die Kleidungsst&uuml;cke oder in kleine
+lederne S&auml;ckchen gen&auml;ht und diese umgehangen, oder ein
+solches beschriebenes Papierchen wird in einer Tasse mit Wasser
+abgewaschen und dies dem Patienten zu trinken gegeben, oder endlich
+das Amulet selbst wird als Medicin hinabgeschluckt; man denke sich,
+welche Wirkung es haben muss, wenn der Kranke einen Koran- Spruch
+gegessen hat.</p>
+<p>F&auml;lle von constitutioneller Syphilis, die ich selbst
+behandelte mittelst Jodkali und Mercur, hatten die
+&uuml;berraschendsten Erfolge. Aeusserlich wandte ich die
+Inunctions-Kur, innerlich Jodkali an, mit 0,5 anfangend, bis zu 3
+oder 4 Gr. auf einmal t&auml;glich, in Wasser gel&ouml;st, gegeben.
+Aus Mangel an Medicamenten musste ich indess auch bald zu den
+Amuletten greifen.</p>
+<p>Intermittirende Fieber<a href="#F046"><sup>46</sup></a> kommen in den
+Niederungen l&auml;ngs der Fl&uuml;sse, in den sumpfigen Ebenen
+best&auml;ndig und zu jeder Jahreszeit vor. Der Marokkaner wird
+ebenso gut davon befallen wie der Europ&auml;er, und das krankhafte
+Aussehen von Kindern und Frauen der Rharb-Provinzen deuten genug
+an, dass diese haupts&auml;chlich dieser Krankheit unterliegen. Der
+Grund liegt darin, dass der Mann durch h&auml;ufigen Ortswechsel
+seine Gesundheit leichter wieder herstellen kann. Meist ist das
+Fieber das gew&ouml;hnliche, alle 48 Stunden auftretende, sehr
+h&auml;ufig beobachtet man auch Febr. quartanae, und die damit
+Behafteten werden ihr Fieber fast nie wieder los. Man kennt in
+Marokko den Segen des Chinin nicht, das erste Mittel, zu dem man
+greift (ausser den Amuletten und Zauberspr&uuml;chen), ist eine
+starke Purganz, die aber nat&uuml;rlich keine Heilung bewirkt. In
+den marokkanischen St&auml;dten, namentlich in den
+Hafenst&auml;dten, hat man in letzterer Zeit angefangen trotz des
+hohen Preises Chinin zu kaufen.</p>
+<blockquote><a name="F046" id="F046"></a>[Fu&szlig;note 46: Fieber:
+el Homma.]</blockquote>
+<p>Weit verbreitet sind Leberleiden und Gelbsucht<a href=
+"#F047"><sup>47</sup></a>, gegen welche man das Kraut des K&uuml;mmel
+(Cuminum cyminum L.) anwendet, arabisch Schemssuria genannt; als
+ger&uuml;hmtes Mittel wird dagegen auch Schih (Art. odorif.)
+genommen. H&auml;ufige Magenbeschwerden, Folgen grosser
+Unm&auml;ssigkeiten, die namentlich nach den Festlichkeiten
+beobachtet werden, und alle die Krankheiten, wie Rheumatismus,
+Gicht, Kopfschmerz<a href="#F048"><sup>48</sup></a>, halbseitiger
+Kopfschmerz, der oft beobachtet wird, alle Arten von
+Entz&uuml;ndungen, versucht man durch &auml;usserliches Bestreichen
+mit heissem Eisen zu heilen. Gegen Durchfall, Ruhr, Dysenterie
+wendet man Gummi arabicum, in Substanz gegessen, dann eine Pflanze
+"Kebbar" (Capparis spinosa) an, deren Holz gestampft und abgekocht
+wird, endlich auch rohes Opium.</p>
+<blockquote><a name="F047" id="F047"></a>[Fu&szlig;note 47:
+Gelbsucht, Bu-Sfor, d.h. w&ouml;rtlich: Vater des
+Gelben.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F048" id="F048"></a>[Fu&szlig;note 48: Alle
+diese Krankheiten, welche bei uns mit Schmerz endigen (arabisch
+udja), dr&uuml;ckt der Marokkaner ebenso aus, z.B. Kopfschmerz udja
+el ras u.s.w.]</blockquote>
+<p>Es ist unglaublich, wie besondere Freunde die Marokkaner von der
+Feuerkur, &uuml;berhaupt von allen recht schmerzhaften
+Heilverfahren sind. In Fes giebt es daher auch eigene
+Special-Feuer&auml;rzte. Man sieht sie auf der Hauptstrasse, welche
+Neu-Fes mit Alt-Fes verbindet, auf dem Boden hocken. Vor sich haben
+sie einen kleinen eisernen Topf mit einem Rost darin, worauf sich
+ein gut unterhaltenes Kohlenfeuer befindet. Nebenan steht ein
+K&ouml;rbchen mit Holzkohlen, daneben liegt auch ein
+Ziegenschlauch, der zum Anblasen dient. Ein Kranker erscheint, er
+hat Nachts ohne Zelt zubringen m&uuml;ssen, es hat geregnet, und
+Folge davon war, dass er sich einen Hexenschuss geholt. Er
+pr&auml;sentirt sich beim ber&uuml;hmten Feuerdoctor Si-Edris, um
+so ber&uuml;hmter, da er lesen kann, Thaleb ist: ein dicker neben
+ihm liegender Foliant, einziges Buch, das er besitzt, bezeugt es.
+Trotzdem Doctor Si-Edris nur das eine Buch besitzt, hat er es,
+obschon er sechzig Jahre alt ist, noch nicht ganz durchgelesen. Ist
+es so schwer zu verstehen? Keineswegs! Aber das hat seine
+Gr&uuml;nde, erstens hat Doctor Edris es im Lesen keineswegs zu
+einer grossen Fertigkeit gebracht, er verf&auml;hrt dabei so rasch
+wie bei uns ein sechs- oder siebenj&auml;hriges Kind, sodann ist
+der Inhalt des Buches, wenn auch f&uuml;r den Mohammedaner sehr
+gewichtig und zu wissen nothwendig, doch &auml;usserst langweilig.
+Das Buch enth&auml;lt n&auml;mlich von hinten bis vorn nichts
+Anderes als die Phrase: "Lah illaha il Allah Mohammed resul ul
+Lah", oder: "es giebt mir einen Gott und Mohammed ist sein
+Gesandter"<a href="#F049"><sup>49</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F049" id="F049"></a>[Fu&szlig;note 49: Als die
+Spanier die Stadt Tetuan einnahmen, fiel ihnen ein Buch in die
+Hand, welches von Anfang bis Ende nur die Worte "Gottlob",
+"Hamd-al-Lahi" enthielt.]</blockquote>
+<p>Mittlerweile hat unser Specialarzt mehrere Eisenst&auml;be, zwei
+Fuss lang und mit sonderbaren Kn&ouml;pfen, Haken und anderen
+Formen am heisszumachenden Ende versehen, in das vor ihm stehende
+Feuer geschoben. Mit dem Schlauche facht er die Gluth besser an,
+endlich ist das Eisen weiss. Der Kranke hat sich unterdessen auf
+den Bauch gelegt, seine Kleidungsst&uuml;cke in die H&ouml;he
+schiebend, und die Vorbeigehenden, welche sehen, dass einer "das
+Feuer bekommen" soll, bilden einen dichten Haufen. Der wichtige
+Augenblick ist da, der Doctor ergreift ein Eisen und mit dem
+Ausrufe "Bi ism Allah" macht er bed&auml;chtig mit demselben auf
+dem R&uuml;cken und der Kreuzgegend einige Striche, es zischt und
+ein unangenehmer Geruch von verbrannter Haut zieht den Umstehenden
+in die Nase. Der Patient zeigt bei dieser Operation, welche
+Si-Edris mit wundervoller Langsamkeit vornimmt, weil er glaubt zu
+grosse Eile schade seinem Ansehen, die gr&ouml;sste Ausdauer und
+Standhaftigkeit, er beisst die Z&auml;hne zusammen und allein die
+stark ausbrechenden Schweisstropfen verrathen seinen Schmerz.</p>
+<p>Wie vernichtet bleibt er nach beendeter Operation eine Zeit lang
+auf dem Boden liegen, aber keine Klage ber&uuml;hrt das Ohr der
+Umstehenden, die den Rosenkranz durch die Finger laufen lassen und
+mit den Lippen Gott und Mohammed preisen. Aber was geschieht? Der
+Patient, der wohlhabend sein muss, dreht seinen Kopf: "Si-Edris,
+Si-Edris," ruft er.&mdash;"Malk, was willst du?" ist die kurze
+Antwort des ber&uuml;hmten Arztes.&mdash;"Masal-en-nar, noch ein
+Feuer!&mdash;" "Mlech attini haki, gut, gieb mir mein
+Honorar",<a href="#F050"><sup>50</sup></a> erwiedert der Doctor. Unter
+Seufzen und Aechzen holt der Kranke aus irgend einer Falte eines
+Kleides eine Mosona (ungef&auml;hr einen viertel Groschen), reicht
+sie dem Doctor und die Feuerkur beginnt aufs Neue. Si-Edris
+l&auml;sst sich wie alle marokkanischen Aerzte immer im Voraus sein
+Honorar zahlen; sein grosser Ruf hat ihn &uuml;brigens
+&uuml;berm&uuml;thig gemacht, er l&auml;sst nicht mit sich dingen.
+W&auml;hrend alle anderen Aerzte und auch die Feuerdoctoren, immer
+mit sich handeln lassen, thut dies Si-Edris nicht, von dem festen
+Preise: f&uuml;r ein einmaliges Feuer eine Mosona zu nehmen, ist er
+seit Jahren nicht herabgekommen.</p>
+<blockquote><a name="F050" id="F050"></a>[Fu&szlig;note 50:
+W&ouml;rtlich: gieb mir mein Recht.]</blockquote>
+<p>Der grosse Ruf, dessen sich als Heilmittel in Marokko das Feuer
+erfreut, liegt eben darin, dass in vielen F&auml;llen recht gute
+Erfolge erzielt werden.</p>
+<p>Aber welche Revolution brachte ich unter Fes' Aerzte, als sich
+auf ein Mal das Ger&uuml;cht verbreitete, ich habe "en-nar-bird"
+<i>kaltes Feuer</i> und der Segen des kalten Feuers sei bedeutend
+gr&ouml;sser. Ich f&uuml;rchtete, da, alle Patienten zu mir kamen,
+um sich mit <i>kaltem Feuer</i><a href="#F051"><sup>51</sup></a> brennen zu
+lassen, dass meine Collegen irgend etwas gegen mich unternehmen
+w&uuml;rden, und obschon ich noch Vorrath von
+<i>H&ouml;llenstein</i> hatte, gab ich vor, das kalte Feuer sei zu
+Ende, und schickte von da an alle Kranke, die sich brennen lassen
+wollten, zu meinen w&uuml;rdigen Collegen.</p>
+<blockquote><a name="F051" id="F051"></a>[Fu&szlig;note 51: Lapis
+infernalis.]</blockquote>
+<p>Ebenso erzielte ich sp&auml;ter mit spanischem Fliegenpflaster
+wenn nicht Erfolge, so doch das gr&ouml;sste Renomm&eacute;. Der
+Marokkaner liebt es sich selbst zu qu&auml;len mit starken Mitteln,
+und wenn ein Zugpflaster nach vierundzwanzigst&uuml;ndigem Liegen
+auf dem R&uuml;cken, auf dem Bauche oder auf dem Kopfe (der
+Marokkaner tr&auml;gt den Kopf ganz glatt rasirt) eine m&auml;chtige mit
+Wasser gef&uuml;llte Blase bildete, war er zufrieden, einerlei ob
+er geheilt war oder nicht. Merkw&uuml;rdig genug, obschon
+&uuml;berall in Marokko die spanische Fliege<a href=
+"#F052"><sup>52</sup></a> k&auml;uflich zu haben ist, so kennt der Marokkaner
+die <i>guten</i> medicinischen Eigenschaften derselben nicht. Sie
+dient nur dazu Begierden anzustacheln, indem Cantharidenpulver mit
+anderen Gew&uuml;rzen und Haschisch durch Honig oder Zucker zu
+einer Paste verbunden wird, Madjun genannt, welche sie angeblich
+gegen Impotenz einnehmen oder auch um die Potenz zu erh&ouml;hen.
+Es ist wohl kaum n&ouml;thig zu sagen, welch' entsetzliche Folgen
+oft aus dem Genuss dieses Madjun entspringen.</p>
+<blockquote><a name="F052" id="F052"></a>[Fu&szlig;note 52: In den
+sumpfigen Niederungen von L'Areisch kommt die spanische Fliege
+h&auml;ufig vor.]</blockquote>
+<p>Lungenkrankheiten, namentlich Tuberculose sind in Marokko fast
+ganz unbekannt, leichtere Affectionen dieser Art werden nur durch
+Amulette geheilt, d.h. man l&auml;sst die Natur walten.</p>
+<p>Ein allgemeines Uebel ist noch Wassersucht in ihren
+verschiedenen Vorkommnissen. Die Ursache dazu liegt wohl zum Theil
+in der mangelhaften Kleidung, wo bei pl&ouml;tzlich eintretender
+K&auml;lte oder schnell wechselnder Witterung, die
+Hautausd&uuml;nstungen nicht mehr regelrecht vor sich gehen
+k&ouml;nnen und Unterdr&uuml;ckung des Schweisses stattfindet. Zum
+Theil ist, und dies gilt namentlich von den St&auml;dtern, durch
+die vielen heissen B&auml;der die Haut &auml;usserst empfindlich
+geworden. Syphilitische Einfl&uuml;sse m&ouml;gen zur
+H&auml;ufigkeit der Hydropsie auch noch mit beitragen. Viele
+Eingeborene schreiben auch einer bestimmten Oertlichkeit und deren
+Trinkwasser die Ursache zu; so steht das Trinkwasser von Tanger im
+Rufe, Wassersucht zu erzeugen, ob mit Recht, lasse ich dahin
+gestellt sein. Vern&uuml;nftig genug wendet man in diesem Falle
+Purgantien an, ohne indess allein mit diesen eine Heilung
+herbeif&uuml;hren zu k&ouml;nnen. Diuretica sind nicht
+gebr&auml;uchlich. Ebensowenig ist die Paracentese bekannt.</p>
+<p>Eine Abzapfung, die ich in Tafilet bei einer alten Frau mit
+einer gew&ouml;hnlichen Schusterahle und eigends dazu angefertigten
+Cannule aus Blech machte, hatte den besten Erfolg: mehrere
+Moschee-Eimer Fl&uuml;ssigkeit w&uuml;rden abgezapft, und ich galt
+als der erste Arzt der Welt. Als ich ein Jahr sp&auml;ter den Ort
+wieder besuchte, hatte indess eine neue Wasseransammlung die Frau
+get&ouml;dtet. Da die Einwohner aber nur Ged&auml;chtniss f&uuml;r
+den augenblicklichen, f&uuml;r sie &uuml;berraschenden Erfolg
+bewahrt zu haben schienen, so war ich dort nach wie vor als ein
+wahrer Wunderdoctor von Kranken aller Art &uuml;berlaufen, so dass
+ich wirklich froh war, als ich dem Orte f&uuml;r immer Lebewohl
+sagen konnte.</p>
+<p>Die levantische Pest, die in fr&uuml;herer Zeit oft genug in
+Marokko auftrat, wahrscheinlich eingeschleppt durch die
+Mekka-Pilger, und welche der Marokkaner mit dem bezeichnenden Worte
+"er ist befallen", oder "davon betroffen" "medrub" ausdr&uuml;ckt,
+scheint jetzt seit Langem nicht mehr beobachtet worden zu sein. Die
+letzte bedeutende durchs ganze Land verbreitete Pest war im Jahre
+1799, im April dieses Jahres starben daran zuerst Leute in Fes und
+die Krankheit soll derart gew&uuml;thet haben, dass allein in
+dieser Stadt 65000(?) Menschen, wenn man Jackson trauen darf,
+gestorben sind. Wenn aber eine solche Seuche auftritt, erniedrigt
+sich der d&uuml;nkelhafte Mohammedaner soweit, dass er
+dem&uuml;thig den "Rabiner" bittet, in den Medressen der Juden
+&ouml;ffentliche Gebete zum Aufh&ouml;ren der Krankheit abzuhalten,
+und gemeinsam durchziehen Mohammedaner und Juden die Strassen, um
+Gott und die Heiligen um Schonung zu bitten. Der Jude muss
+hinterher allerdings b&uuml;ssen, der glaubensstolze Mohammedaner
+erinnert sich, dass er sich so weit erniedrigte, mit Juden
+gemeinschaftliche Sache gemacht zu haben, und wehe dem Juden, der
+sich dann unter Mohammedaner wagt. Mittel sind keine in Gebrauch,
+man kennt nur das resignirte Sichdreingeben.</p>
+<p>Merkw&uuml;rdigerweise kommt Typhus nur selten und an bestimmte
+Oertlichkeiten gebunden, Hundswuth aber nie vor. Typhus, Ruhr,
+Dysenterien, die der Marokkaner kaum von einander unterscheidet,
+werden stets mit Oliven&ouml;l, innerlich getrunken, behandelt.
+Fehlt das Oel, so wird es durch ungesalzene fl&uuml;ssige Butter
+ersetzt. Man zwingt den Kranken, Oel hinabzutrinken bis zu zwei
+Flaschen des Tags. Wirklich habe ich nach diesem Mittel manchmal
+Heilung eintreten sehen; wage aber nicht zu sagen, ob es die Natur
+oder das Oel waren, welche Heilung bewerkstelligt hatten.</p>
+<p>Dass die Hundswuth bei den Hunden in Marokko noch nie beobachtet
+worden, ist wieder eine Best&auml;tigung, dass rohes Fleisch
+fressende Hunde nicht spontan von dieser Krankheit befallen
+werden.</p>
+<p>In neuerer Zeit ist mehrfach Cholera in Marokko beobachtet
+worden, so noch im Jahre 1860, wo sie in verschiedenen St&auml;dten
+des Innern zahlreiche Opfer forderte. Der Marokkaner hat keinen
+Namen f&uuml;r diese Krankheit und man sagte mir, es sei eine Art
+vom medrub (Pest). Man begn&uuml;gt sich damit, sobald man von der
+Krankheit befallen ist, zu sagen: "Gott ist der Gr&ouml;sste" oder
+"es stand geschrieben".</p>
+<p>Gem&uuml;ths- und Geisteskrankheiten kommen in Marokko selten
+vor: im ganzen Lande ist nur ein Geb&auml;ude, um Tobs&uuml;chtige
+aufzunehmen. Leichte F&auml;lle von Gem&uuml;thskranken l&auml;sst
+man frei umherlaufen, sie werden als Heilige verehrt. Und die
+Tobs&uuml;chtigen, d.h. solche, welche ihre Mitmenschen
+sch&auml;digen, werden, sind sie in oder in der N&auml;he der
+Hauptstadt in ein eigenes Geb&auml;ude in Fes eingesperrt, von
+einer medicinischen Behandlung ist aber nicht die Rede; das Haus
+ist weiter nichts als ein Gef&auml;ngniss f&uuml;r jene
+Ungl&uuml;cklichen.</p>
+<p>Die durchnarbten Gesichter der Marokkaner allein geben
+hinl&auml;nglich Zeugniss, wie m&auml;chtig in diesem Lande zu
+Zeiten die Blattern (Djidri genannt) herrschen. F&uuml;r diese hat
+man nur Amulette in Gebrauch.</p>
+<p>Prophylaktisch &uuml;brigens kennen die Marokkaner die
+Kuhpockenimpfung, welche Heilart, wie die Marokkaner behaupten,
+ihre arabischen Vorfahren schon von ihrer Heimathsinsel mit
+hergebracht haben. Die Vaccination wird leider in Marokko gar nicht
+regelm&auml;ssig vorgenommen, der Mohammedaner ist viel zu sehr
+Fatalist, als dass er, ohne dazu gezwungen zu sein, aus freiem
+Antriebe zu einem solchen Schutzmittel greifen sollte. In den
+arabischen Triben, wo man vaccinirt, wird folgendes Verfahren
+angewandt: Mit einer gesch&auml;rften Kante eines Feuersteins
+werden die Zwischenr&auml;ume der Finger an deren Wurzeln geritzt,
+gew&ouml;hnlich nimmt man nur die rechte Hand, weil die linke an
+und f&uuml;r sich als unrein gilt. Die Lymphe wird direct von der
+Kuh genommen, und man hat Acht, dieselbe wohl einzureiben.
+Uebertragen der Lymphe von dem Menschen auf den Menschen kennt man
+nicht.</p>
+<p>Wie in fr&uuml;heren Jahren die Pest &ouml;fter in Marokko und
+zwar bedeutend allgemeiner auftrat, so auch der Aussatz. Lepra
+orientalis, bekannt in Marokko unter dem Namen Djidam, kommt in den
+n&ouml;rdlichen Theilen von Marokko fast gar nicht vor. Allerdings
+begegnet man in Fes, Mikenes und anderen n&ouml;rdlichen
+St&auml;dten Leuten mit Elephantiasis; ob aber diese Krankheit
+immer Folge des Aussatzes ist, wage ich nicht zu behaupten. Die mit
+Elephantiasis Behafteten leben &uuml;berdies nicht abgesondert von
+der &uuml;brigen Menschheit, sondern verheirathen sich mit
+Gesunden. Meistens aber wird dann beobachtet, dass von den Kindern
+einer solchen Ehe, eines oder das andere angeborene Elephantiasis
+besitzt.</p>
+<p>Die Lepr&ouml;sen d&uuml;rfen aber nur unter sich heirathen, sie
+d&uuml;rfen keine Stadt bewohnen, sondern m&uuml;ssen sich immer im
+Freien aufhalten.<a href="#F053"><sup>53</sup></a> Da Niemand etwas von
+ihnen kaufen w&uuml;rde, treiben sie kein Handwerk oder Gewerbe,
+sie leben von den Almosen ihrer Mitmenschen. Man findet sie einzeln
+oder in Familien am Wege, schon von Weitem rufen sie dem
+Vorbeikommenden "Medjdum", d.h. ein mit Aussatz Behafteter, zu,
+stellen ein Tellerchen an den Weg und das Almosen in Geld oder in
+Lebensmitteln wird hinein geworfen. Einzelne gr&ouml;ssere
+auss&auml;tzige Familien besitzen sogar Heerden und ackern.</p>
+<blockquote><a name="F053" id="F053"></a>[Fu&szlig;note 53: Bei der
+Stadt Marokko ist ein eigenes Dorf f&uuml;r Auss&auml;tzige und die
+Insassen dieses Dorfes heirathen freilich nur unter sich, im
+Verkehr haben sie &uuml;brigens die gr&ouml;sste Freiheit mit den
+&uuml;brigen Bewohnern.]</blockquote>
+<p>Was das Aeussere dieser ausgestossenen Menschen anbetrifft, so
+zeigen sie manchmal &uuml;ber den ganzen K&ouml;rper die
+widerlichsten weissen Flecke, anderen fehlen einige Partien, die
+Nase, die Ohren, Augen, noch andere zeigen Jauchen absondernde
+Wunden, von wulstiger und verdickter Haut umgeben, Krusten und hart
+anzuf&uuml;hlende Beulen bedecken oft den ganzen K&ouml;rper. Oft
+aber ist bei einem Auss&auml;tzigen von alle dem nichts zu sehen,
+man bemerkt keine einzige der angegebenen Erscheinungen, er hat
+&auml;usserlich vollkommen das Aussehen eines gesunden
+Menschen.</p>
+<p>Nach der Meinung der Marokkaner verursacht der Genuss des
+Argan&ouml;ls (Oel vom Baume des Elaeodendron Argan, der auf den
+westlichen Abh&auml;ngen des grossen Atlas w&auml;chst) diese
+Krankheit oder beg&uuml;nstigt dieselbe. Ob dies der Fall ist, wage
+ich nicht zu best&auml;tigen. Die in Mogador und Asfi lebenden
+Europ&auml;er haben nichts von einer solchen Wirkung dieses Oels
+gemerkt; und was dagegen spricht, ist das, dass in der Provinz Abda
+und Schiadma, wo doch haupts&auml;chlich der Arganbaum w&auml;chst,
+gar keine Lepr&ouml;se anzutreffen sind, w&auml;hrend andererseits
+in Haha, wo ebenfalls der Argan vorkommt, die meisten
+Auss&auml;tzigen anzutreffen sind. Auffallend ist, dass die Kranken
+als Linderung ihrer Schmerzen innerlich einen Absud der
+Arganbl&auml;tter nehmen, und auch &auml;usserlich auf offene
+Wunden zerstampfte Arganbl&auml;tter legen. Ein Teig aus
+Henne-Bl&auml;ttern<a href="#F054"><sup>54</sup></a> mit Erde gemischt wird
+ebenfalls zu Verband bei den offenen Geschw&uuml;ren gebraucht.</p>
+<blockquote><a name="F054" id="F054"></a>[Fu&szlig;note 54:
+Lawsonia inermis, L.]</blockquote>
+<p>Kr&auml;tze kommt &uuml;berall vor, aber weniger, als man bei
+dem entsetzlichen Schmutze, an dem diese V&ouml;lker Gefallen
+finden, denken sollte. Aus Kr&auml;tze wird nicht viel Wesen
+gemacht, und Heilung wird erzielt durch kr&auml;ftige Einreibung
+von brauner Schmierseife und Sand; Schmierseife wird &uuml;berall
+in Marokko fabricirt, zu halben Theilen von beiden eingerieben,
+habe ich selbst Heilung bei verschiedenen F&auml;llen erfolgen
+sehen.</p>
+<p>Eine ungleich widerlichere Krankheit und &auml;usserst
+verbreitet ist der Kopfgrind. Meistens sind die Knaben damit
+behaftet, im Alter von zwanzig Jahren verliert er sich von selbst.
+Ob die Tinea in Marokko Folge des Rasirens ist (jeder
+m&auml;nnliche Marokkaner tr&auml;gt den Kopf von fr&uuml;hester
+Jugend an, rasirt), ist wohl anzunehmen. Der Reiz, der dadurch
+entsteht bei ganz jungen Kindern, monatlich und noch &ouml;fter mit
+halbscharfem Messer die Haare dicht &uuml;ber der Wurzel zu
+entfernen, oft abzureissen, kann wohl Veranlassung zu einer solchen
+Krankheit geben. Bei den M&auml;dchen beobachtet man Grind sehr
+selten. Man braucht gegen diese Krankheit gar nichts, und sie ist
+so allgemein, dass Niemand in der Gesellschaft eines Grindigen
+Abscheu oder Ekel empfindet. Nach dem zwanzigsten Jahre sind die
+Meisten der M&uuml;he, ihren Kopf zu rasiren, &uuml;berhoben, da
+die Krankheit im Kindesalter sie ihrer s&auml;mmtlichen Haare
+beraubt hat.</p>
+<p>Von Parasiten kommen nur Kopf- und Kleiderl&auml;use vor, beide
+haften an jeder Frau, w&auml;hrend die m&auml;nnliche
+Bev&ouml;lkerung nur den Pediculus vestimenti<a href=
+"#F055"><sup>55</sup></a> cultivirt, da sie in der Regel kein Kopfhaar hat,
+diejenige m&auml;nnliche Jugend indess, welche einen Zopf
+tr&auml;gt, hat auch Kopfl&auml;use. Der Pedic. pubis ist nirgends
+anzutreffen, weil sich Alle, sowohl die m&auml;nnliche als die
+weibliche Bev&ouml;lkerung, diejenigen Partien des K&ouml;rpers, wo
+derselbe vorzukommen pflegt, rasirt erhalten.</p>
+<blockquote><a name="F055" id="F055"></a>[Fu&szlig;note 55: Von dem
+Pedic. vestimenti existiren in Marokko mehrere Arten.]</blockquote>
+<p>Wurmkrankheiten sind selbstverst&auml;ndlich auch im Lande.
+Obschon die Lebensweise und Nahrung sehr f&ouml;rderlich f&uuml;r
+diese Entozoen sein muss, h&ouml;rt man doch selten dar&uuml;ber
+klagen. Spul- und Madenw&uuml;rmer, eine h&auml;ufige Erscheinung,
+werden behandelt durch eine Abkochung von Sater (Thymian<a href=
+"#F056"><sup>56</sup></a>) und Kelil (Rosmarin<a href="#F057"><sup>57</sup></a>),
+denen noch andere starkduftende Kr&auml;uter zugesetzt werden. Aber
+auch durch eine Decoction der Wurzel der Rtemwurzel (Genista
+Saharae). Genannte beide bilden indess Hauptbestandteile. Taenia
+Solium, der auch vorkommt, wird (nach den Aussagen der
+marokkanischen Collegen) erfolgreich derart behandelt, dass man
+zuerst eine Portion Haschisch (Cannabis ind.) geniesst und
+sp&auml;ter, wenn der Wurm berauscht ist, ihn durch irgend ein
+Purgirmittel abtreibt. Als Dose wurde angegeben ein Essl&ouml;ffel
+voll pulverisirten und gedorrten Haschichkrautes [Haschischkrautes]
+<a href="#F058"><sup>58</sup></a>, und als Abf&uuml;hrungsmittel haben sie
+eine Zusammensetzung aus Sennesbl&auml;ttern (w&auml;chst wild im
+s&uuml;dlichen Marokko), Schwefel und Alo&euml;s, welches innerlich
+gegeben wird. Der Guineawurm kommt &auml;usserst selten vor, und
+dann nur von Schwarzen aus dem S&uuml;den eingeschleppt. Die
+Behandlung desselben, sowie sie von den Schwarzen in Centralafrika
+practicirt wird, ist in Marokko nicht bekannt.</p>
+<blockquote><a name="F056" id="F056"></a>[Fu&szlig;note 56: Thymus
+hyrtus, Willd.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F057" id="F057"></a>[Fu&szlig;note 57:
+Rosmarinus offic.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F058" id="F058"></a>[Fu&szlig;note 58:
+Allerdings eine starke Dosis.]</blockquote>
+<p>Nicht nur der ungeheure Schmutz, in dem sich alle
+nordafrikanischen V&ouml;lker gefallen, sondern auch Oertlichkeiten
+und Klima haben Augenkrankheiten von je her in Marokko
+beg&uuml;nstigt. Und je mehr man nach dem S&uuml;den kommt, desto
+h&auml;ufiger werden dieselben, bis man in den Oasen der grossen
+Sahara die Bev&ouml;lkerung derart von Augenleiden aller Art
+afficirt findet, dass ein Individuum mit beiden gesunden Augen
+schon zu <i>Ausnahmen</i> geh&ouml;rt. Wie der Staub auch sein mag,
+ob ihn der Gebli oder Samum aufwirbelt, ob er im Norden mehr mit
+animalischen oder vegetabilischen Atomen, im S&uuml;den des Atlas
+mit anorganischen, mikroskopisch kleinen Theilen geschw&auml;ngert
+ist, immer wirkt er gleich sch&auml;dlich auf die Augen.</p>
+<p>Es hat dies zur Folge, dass Hornhautkrankheiten allt&auml;gliche
+Erscheinungen sind. Chronische Hornhautentz&uuml;ndung nennt der
+Marokkaner Bu Tillis, d.h. den Vater des Schleiers. Manchmal heilen
+sie derartige F&auml;lle im Entstehen dadurch, dass sie Feuer im
+Nacken, an den Schl&auml;fen, hinter den Ohren &ouml;rtlich
+anwenden. Meist aber enden alle Augenkrankheiten mit Erblinden.
+Citronensaft und Wasser gemischt und in die Augen getr&ouml;pfelt,
+wird h&auml;ufig genug angewandt. Auch Antimon (Koh&ouml;l) ist in
+vielen Gegenden Gebrauch; es wird dies im Atlas gefundene Metall,
+dessen sich alle Frauen nicht nur Marokko's, sondern ganz
+Nordafrika's als Sch&ouml;nheitsmittel bedienen, und das auch
+unsere Theaterdamen, um den Glanz der Augen zu erh&ouml;hen,
+anwenden, oft mit Erfolg gebraucht. Man bestreicht mit Koh&ouml;l
+die Augenlider, mittelst eines feinen Holzspatels und unzweifelhaft
+hat dies Mittel gute Pr&auml;servativeigenschaften bei dort
+herrschenden Augenkrankheiten. Als Arzneimittel wird es deshalb
+auch vielfach von den M&auml;nnern gebraucht. Die Wirksamkeit des
+Spiesglanzes als Pr&auml;servativmittel erhellt schon daraus, dass
+bei weitem mehr M&auml;nner von Augenkrankheiten betroffen werden
+als Frauen. Als &auml;usserstes Mittel gegen
+Augenkrankheiten<a href="#F059"><sup>59</sup></a> f&uuml;hre ich noch an,
+dass in einigen Orten pulverisirter Pfeffer in die Augen geblasen
+wird.</p>
+<blockquote><a name="F059" id="F059"></a>[Fu&szlig;note 59: Ich
+bediene mich dieses allgemeinen Ausdrucks, da der Marokkaner nicht
+unterscheidet, ob die Hornhaut, die Lider, der Augapfel, die
+Liderhaut etc. erkrankt ist, sondern alles dies Augenkrankheit,
+Mrd-el- aiun, nennt.]</blockquote>
+<p>Von inneren Mitteln gegen Augenkrankheiten ist nat&uuml;rlich
+keine Spur vorhanden, als ich einige Male versuchte durch Calomel,
+innerlich gegeben, oder durch Purgantien Ableitungen
+herbeizuf&uuml;hren, wurde mir ernstlich gesagt, mit solchen
+Mitteln aufzuh&ouml;ren: "nicht der Bauch sei erkrankt, sondern die
+Augen".</p>
+<p>Schwarzer und grauer Staar sind unter einer Bev&ouml;lkerung,
+bei der fast jedes Individuum augenkrank ist, nichts Seltenes, und
+merkw&uuml;rdig genug, giebt es in Marokko einige Familien, die
+sich damit besch&auml;ftigen, Staaroperationen und zwar mit Erfolg
+auszu&uuml;ben. Diese Familien sind vorzugsweise auf dem
+<i>grossen</i> Atlas ans&auml;ssig, die F&auml;higkeit den Staar zu
+stechen geht vom Vater auf den Sohn &uuml;ber, der nat&uuml;rlich
+bei jenem in die Lehre geht. Die beiden Doctoren-Staarstecher, die
+ich kennen lernte, waren Berber ihrer Abkunft nach. Ohne sich mit
+anderen Krankheiten zu besch&auml;ftigen, verschm&auml;hten sie es
+sogar, andere Augenkrankheiten als Staarerblindungen in Behandlung
+zu nehmen. Sie machten f&uuml;r dortige Verh&auml;ltnisse gute
+Gesch&auml;fte und man w&uuml;rde sie wirklich als gute
+Special&auml;rzte haben hinstellen k&ouml;nnen, wenn sie die
+F&auml;higkeit gehabt h&auml;tten, irgend wie eine Diagnose zu
+stellen, geschweige von einer Prognose zu reden. Aber da kam es oft
+genug vor, dass irgend eine andere Krankheit der inneren Theile des
+Auges, wohl gar Gutta serena mit Gutta opaca verwechselt wurde. Da
+ich nicht selbst der Operation eines Staares beigewohnt habe, so
+kann ich nur anf&uuml;hren, dass mittelst eines glattgeschliffenen
+nadelf&ouml;rmigen Instruments der Einstich, nach Aussage der
+Staardoctoren, <i>seitw&auml;rts</i> gemacht wird, dass nach der
+Beschreibung sodann die Linse zerst&uuml;ckelt wird, um sp&auml;ter
+resorbirt zu werden. Eine Extraction oder Depression der Linse war
+offenbar diesen Leuten nicht bekannt.</p>
+<p>Sehen wir, wenn es auf eine chirurgische Operation ankommt, wie
+bei der Staarstechung, die Heilkunde auf einer bedeutend
+h&ouml;heren Stufe als bei <i>inneren</i> Krankheiten, so ist das
+im Allgemeinen in der Chirurgie auch der Fall. Es ist dies auch
+ganz nat&uuml;rlich. Bei Verwundungen, bei &auml;usseren
+Verletzungen kennt auch der gew&ouml;hnliche Mensch gemeiniglich
+die <i>Ursache</i>, er kann es dann bedeutend leichter unternehmen,
+eine Heilung zu versuchen. Und nicht nur in ganz uncivilisirten
+L&auml;ndern, oder in halbcivilisirten wie Marokko, auch in den am
+weitesten in der Cultur vorgeschrittenen findet man, dass die
+Chirurgie auf einer h&ouml;heren Stufe steht als die Heilkunde
+innerer Krankheiten.</p>
+<p>Reine Hiebwunden, die durch das fast &uuml;berall ge&uuml;bte
+Faustrecht so h&auml;ufig unter den Bewohnern Marokko's vorkommen,
+werden entweder mit einem Teig verbunden, der aus Henne (Lawsonia
+inermis) und Chobis (Malva parviflora) geknetet wird, oder man
+verbindet die Wunden mit geschmolzener salzloser Butter, in welche
+vorher, sobald die Butter siedend ist, ein S&auml;ckchen mit Schih
+(Artemisia odorif.) getaucht worden ist. Hierdurch bekommt die
+Butter einen starken aromatischen Gehalt, nimmt einen fast
+K&ouml;lnischem Wasser gleichenden Geruch an, der sp&auml;ter
+selbst nicht vom &uuml;belstriechenden Eiter verdr&auml;ngt wird.
+Wunden auf diese Art behandelt, nehmen fast immer einen guten
+Verlauf. In vielen Gegenden verbindet man die Wunden mit
+Rinderkoth, namentlich nomadisirende St&auml;mme glauben an die
+Heilkraft der verdauten Kr&auml;uter.</p>
+<p>Verwundungen, welche die Knochen verletzen, einerlei ob sie
+durch Kugeln oder Hiebwunden herr&uuml;hren, werden auf gleiche Art
+rationell behandelt. Ist eine vollkommene Knochenzerschmetterung
+vorhanden, so wird ein <i>fester</i> Verband angelegt, um die
+Heilung der zerschmetterten Knochen mittels Callusbildung
+herbeizuf&uuml;hren. Man k&uuml;mmert sich nicht um Herausziehen
+der Knochensplitter oder Kugelst&uuml;cken<a href="#F060"><sup>60</sup></a>,
+so schnell wie m&ouml;glich wird der Verband angelegt. Eine aus
+Ziegen- oder Schafleder bestehende Binde, die ihren Halt durch
+kleine Rohrst&auml;bchen, die hineingen&auml;ht werden, bekommt,
+wird um die verletzten Theile gelegt und das Ganze dann mit Thon
+umkleistert. Ein solcher Verband soll nach den Regeln der dortigen
+Chirurgie 28 Tage liegen bleiben. Das einzige Misslingen bei diesem
+Verbande liegt darin, dass nicht geh&ouml;rig f&uuml;r Eiterabfluss
+gesorgt wird, und dadurch f&uuml;r den Patienten oft missliche
+Zust&auml;nde eintreten.</p>
+<blockquote><a name="F060" id="F060"></a>[Fu&szlig;note 60: Man
+ladet meistens mit zerhacktem Blei.]</blockquote>
+<p>Fracturen werden ebenfalls durch festen Verband geheilt, ohne
+dass man aber vorher einrichtet. Nat&uuml;rlich werden dabei meist
+schiefe Heilungen erzielt, und oftmals sieht man R&ouml;hrenknochen
+die Weichtheile durchbohren, und es entstehen dann f&uuml;r immer
+offene Wunden. Nie f&auml;llt es ein irgend wie zu amputiren. Der
+Marokkaner h&auml;lt das f&uuml;r s&uuml;ndhaft. Die durch die
+Gerechtigkeit abgehauenen H&auml;nde oder F&uuml;sse werden
+sorgf&auml;ltig vergraben, weil sie sonst am Auferstehungstage
+fehlen k&ouml;nnten, und die St&uuml;mpfe werden in siedende Butter
+oder kochendes Oel getaucht, um die Blutung zu stillen.
+Verrenkungen einrichten kennt man nicht, so dass gew&ouml;hnliche
+Folge eine schmerzhafte Entz&uuml;ndung mit oft b&ouml;sem Ausgang
+ist. Nat&uuml;rlich ist selbst bei schwersten Verwundungen von
+einer inneren Behandlung nie die Rede, aber Amulette,
+Zauberspr&uuml;che u. dergl. m. sind auch hier an der
+Tagesordnung.</p>
+<p>Was die Geburtsh&uuml;lfe anbetrifft, so ist es schwer
+dar&uuml;ber nur das Geringste anzugeben, da nur Frauen als
+Beistand geduldet werden. Die Wendung sowie die Zange sind
+unbekannt, einzelne Praktiken, die mir erz&auml;hlt wurden, sind zu
+abgeschmackt, als dass ich sie hier wiedergeben sollte. Nur so viel
+kann ich bezeugen, dass einst meine Hauswirthin in einer kleinen
+Oase der W&uuml;ste, Nachts mit einem Kinde niederkam und am andern
+Morgen trotzdem ihre gew&ouml;hnliche Besch&auml;ftigung
+verrichtete.</p>
+<h2><a name="K06" id="K06"></a>6. Uesan el Dar Demona.</h2>
+<p>Es giebt B&uuml;cher genug, die &uuml;ber Marokko handeln, und
+keine Geographie &auml;lteren oder neueren Ursprungs
+unterl&auml;sst es, irgend ein Capitel diesem Reiche zu widmen;
+aber wie Afrika im Allgemeinen noch heute ein Terra incognita
+f&uuml;r uns ist, so ist von all den Staaten, welche an den
+K&uuml;sten liegen, namentlich an den K&uuml;sten des Mittelmeers,
+kein Land so wenig bekannt wie Marokko und von allen St&auml;dten
+in Marokko ist Uesan die unbekannteste. So sehen wir denn auch,
+dass ein Hems&ouml;, Ali Bey, Richardson und Renou nur ganz
+oberfl&auml;chlich des Ortes Uesan im Vor&uuml;bergehen
+erw&auml;hnen.</p>
+<p>Ali Bey verlegt Uesan auf den 24&deg; 42' 29" N. Br. und 7&deg;
+55' 10" L. von Paris, Renou, der die Breite gelten l&auml;sst,
+glaubt aber Uesan die L&auml;nge von 7&deg; 58' geben zu
+m&uuml;ssen. Dieselbe Position finden wir auch auf Petermanns
+trefflichen Karten von Marokko<a href="#F061"><sup>61</sup></a>. Bis
+genauere Messungen an Ort und Stelle angestellt sind, k&ouml;nnen
+wir uns auch einstweilen recht gut daran halten. Die Stadt Uesan
+liegt etwa 900 Fuss &uuml;ber dem Meeresspiegel, erfreut sich also
+unter diesen Breiten eines &auml;usserst g&uuml;nstigen Klimas.</p>
+<blockquote><a name="F061" id="F061"></a>[Fu&szlig;note 61:
+Mittheilungen, Jahrg. 1865.]</blockquote>
+<p>Vortheilhafter wird die Lage noch dadurch, dass die Stadt am
+Fusse des m&auml;chtigen und zweigipfligen Berges Bu-Hell&ouml;l
+aufgebaut ist. Dieser herrliche Berg, dessen ganze Nordseite von
+der Stadt an bis zum Gipfel zum Theil mit Oliven, zum Theil mit
+immergr&uuml;nen Eichen und Wachholder bewaldet ist, h&auml;lt
+wirksam die heissen S&uuml;dwinde ab, w&auml;hrend er zugleich den
+regentragenden Nord- und Nordwestwinden einen Damm
+entgegensetzt.</p>
+<p>Der ganze Gebirgscomplex, der sich um Uesan herumzieht, steht im
+innigen Zusammenhange mit dem sogenannten kleinen Atlas. Ersteigt
+man den Bu- Hell&ouml;l, so sieht man &uuml;ber die Rharbebenen
+hinweg die blauen Fluthen des atlantischen Oceans, w&auml;hrend
+andererseits nach Norden und Osten der Blick eine vollkommen
+zusammenh&auml;ngende Gebirgslandschaft vor sich hat bis zu den
+zackigen Berggipfeln, der Habib, der Srual, der Schischauun und in
+erster N&auml;he der Erhona.</p>
+<p>Es scheint, dass Uesan von einem Nachkommen Mulei Edris, Namens
+Mulei Abd- Allah Scherif, etwa um das Jahr 900 n. Chr. als Sauya
+gestiftet wurde. Da nun Edris der Gr&uuml;nder der Stadt Fes als
+der directeste Nachk&ouml;mmling des Propheten angesehen wird, so
+ist seine m&auml;nnliche Nachfolge in erster Linie noch heute in
+demselben Ansehen. Aus diesem Grunde sind die Sch&uuml;rfa von
+Uesan, d.h. die Edrisiten, bedeutend heiliger gehalten als die
+&uuml;brigen von Mulei Ali stammenden, wozu die Familie des Sultans
+geh&ouml;rt.</p>
+<p>Dennoch haben aber diese Vorrechte genug, und was der
+kaiserlichen Familie an Heiligkeit directer Abkunft abgeht, ersetzt
+sie eben dadurch dass sie die regierende ist. Bei den Mohammedanern
+nun ist aber das Heiligsein ganz anders als bei uns Christen.</p>
+<p>Mein seltsamer Anzug, halb christlich, halb mohammedanisch,
+hatte rasch einen Haufen Neugieriger herbeigezogen, mein Begleiter
+und ich wurden umdr&auml;ngt und befragt, wer ich sei, was ich
+wolle, woher ich komme, wohin ich wolle u. dergl. unversch&auml;mte
+Fragen mehr. Es ist vollkommen falsch, wenn man glaubt der
+Mohammedaner sei schweigsam, ernst und nicht neugierig; in Afrika
+habe ich &uuml;berall das Gegentheil erfahren. Manchmal freilich
+mag der Vornehme, der Mann vom "grossen Zelte," sich gegen Christen
+so zur&uuml;ckhaltend benehmen, aber nie gegen seines Gleichen. Und
+man erinnere sich, dass ich als Mohammedaner reiste.</p>
+<p>Nachdem die Neugier befriedigt und nachdem namentlich die Menge
+beruhigt war &uuml;ber meinen Glauben, d.h. nachdem ich auf ihre
+Aufforderungen zum "Bezeugen" mehrere Male "es giebt nur Einen Gott
+und Mohammed ist sein Gesandter" geantwortet hatte, sagten sie aus,
+"Sidi" bef&auml;nde sich mit den Sch&uuml;rfa und Tholba im Rharsa
+es Ssultan, so hiess man Garten und Gartenhaus des
+Grossscherifs.</p>
+<p>Man kann sich denken, mit welcher Spannung ich der ersten
+Zusammenkunft mit diesem Manne, der in den Augen der meisten
+Marokkaner h&ouml;her als Gott, ja h&ouml;her als der Prophet
+gehalten wird, entgegen sah.</p>
+<p>Meine Begleiter und ich gingen also nach seinem Landsitze, der
+sich bald, er liegt nur ca. 5 Minuten ausserhalb der Stadt, unseren
+Blicken zeigte. Wie erstaunt war ich, ein Haus halb im
+neuitalienischen, halb im maurischen Style zu erblicken. Dort ist
+Sidna,<a href="#F062"><sup>62</sup></a> sagte man mir. Aus den Fenstern des
+oberen Stockes sah ich eine Menge Neugieriger herabgucken, vorne
+stand ein junger Mann in franz&ouml;sischer Capit&auml;ns-Uniform
+mit dem Degen an der Seite, ein langes Fernrohr in der Hand. Jetzt
+rasch durch ein hohes gew&ouml;lbtes Steinthor in den Garten
+tretend, befanden wir uns bald vor der Hauptth&uuml;r, welche
+direct auf eine enge und so niedrig gebaute Treppe ging, dass jeder
+nur etwas grosse Mann sich b&uuml;cken musste, um
+hinaufzuschreiten. Oben angekommen, riefen uns mehrere uniformirte
+Sklaven ein "Okaf" (Halt) entgegen, das aber gleich vom lauten
+"sihd" (marokk. Ausruf, bedeutend "tritt n&auml;her") des
+Grossscherifs &uuml;bert&ouml;nt wurde.</p>
+<blockquote><a name="F062" id="F062"></a>[Fu&szlig;note 62: Der
+Titel Sidna, d.h. "unser Herr," kommt eigentlich nur dem Sultan zu.
+Jeder Scherif hat den Titel sidi oder mulei, was "mein Herr"
+bedeutet Tholba, d.h. Schriftgelehrte, Standespersonen, Beamte,
+haben den Titel "sid," was Herr bedeutet. Der Plural von mulei,
+muleina, wird nur Gott und dem Propheten gegeben.]</blockquote>
+<p>Mein Begleiter prosternirte sich, k&uuml;sste die gelben Stiefel
+Sidi-el-Hadj- Abd-es-Ssalam's, und berichtete dann &uuml;ber mich.
+Ich selbst begn&uuml;gte mich, seine dargebotene Hand (der
+Grossscherif sass auf einem Teppich in einer Ecke des Zimmers) zu
+ergreifen, und sodann f&uuml;hrte ich die meine an Stirn und Mund.
+Unter der Zeit hatte ich Musse, ihn und seine Umgebung zu
+betrachten.</p>
+<p>
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam-ben-el-Arbi-ben-Ali-ben-Hammed-ben-Mohamm&eacute;d-ben-
+Thaib<a href="#F063"><sup>63</sup></a>, wie sein ganzer Titel lautet, war
+(1861) etwa 31 Jahre alt; von fast zu hoher Statur, wurde das
+Ebenmaass seines K&ouml;rpers durch eine angenehme Wohlbeleibtheit
+hergestellt. Sein Teint ist stark gebr&auml;unt, und auch etwas
+dick aufgeworfene Lippen deuteten auf Negerblut, wie denn in der
+That seine Mutter aus Haussa stammte. Eine gerade Nase, ein feurig
+schwarzes Auge, im Ganzen ein l&auml;ngliches Gesicht, so
+pr&auml;sentirte sich der Mann, dem von fast der ganzen
+mohammedanischen Welt eine abg&ouml;ttische Verehrung gezollt wird.
+Seine Bekleidung bestand in einer weiten skendrinischen<a href=
+"#F064"><sup>64</sup></a> rothen Tuchhose, einem franz&ouml;sichen
+[franz&ouml;sischen] Waffenrock mit franz&ouml;sischen Epauletten,
+auf dem Kopfe hatte er einen tunesischen Tarbusch mit schwerer
+goldener Troddel. An der Seite trug er einen &auml;usserst
+sch&ouml;n gearbeiteten Degen, wie ich sp&auml;ter erfuhr, ein
+Geschenk vom General Prim.</p>
+<blockquote><a name="F063" id="F063"></a>[Fu&szlig;note 63: In
+seinen Briefen titulirt sich Abd-es-Ssalam bis zum Grossvater,
+Thaib, seines Urgrossvaters Hammed hinauf, weil Mulei Thaib der
+Erneuerer der religi&ouml;sen Gesellschaft der Thaib gewesen ist,
+in ganz Nord- Afrika die allergr&ouml;sste religi&ouml;se
+Genossenschaft. Seines marokkanischen Ahnen Mulei Edris, oder des
+Gr&uuml;nders der Sauya Uesan, Mulei Abd Allah Scherif, wird in den
+Briefen nicht Erw&auml;hnung gethan.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F064" id="F064"></a>[Fu&szlig;note 64:
+Skendrinischen = Alexandrinischen.]</blockquote>
+<p>Eine goldene Sch&auml;rpe, die er um hatte, enthielt zugleich
+einen Revolver vom System Lefaucheux, der &uuml;berdies mittelst
+einer rothseidenen Schnur um den Hals befestigt war.
+"Merkw&uuml;rdig," dachte ich, "den Mohammedanern ist durch den
+Koran verboten, Gold und Seide auf ihren Kleidern zu tragen, und
+nun sehe ich den directesten Spr&ouml;ssling des Propheten damit
+&uuml;berladen.["] Die &uuml;brigen Anwesenden bestanden zum Theil
+aus nahen Anverwandten, also ebenfalls Abk&ouml;mmlingen
+Mohammed's, dann aus Tholba, endlich aus vielen Fremden von
+vornehmer und geringer Herkunft. Ueberdies ging es ohne Unterlass
+aus und ein, da ging kein Mann oder keine Frau aus dem Gebirge
+vorbei (das Gartenhaus lag an einer sehr frequenten Strasse), ohne
+rasch heraufzuspringen, um den Grossscherif zu k&uuml;ssen und um
+einige Mosonat<a href="#F065"><sup>65</sup></a> niederzulegen. Da kamen
+Processionen von Ferne, um den uld en nebbi (Sohn des Propheten) zu
+besuchen, von diesen wurde nur der "Emkadem" (geistige Vorsteher
+und Hauptgeldeinsammler) vorgelassen, die anderen aber einstweilen
+fortgeschickt, um in die f&uuml;r Fremdenaufnahme eingerichteten
+weiten Hallen der Sauya in Uesan einquartiert zu werden und um
+sp&auml;ter en bloc den Segen zu empfangen.</p>
+<blockquote><a name="F065" id="F065"></a>[Fu&szlig;note 65: Mosona,
+eine imagin&auml;re marokkanische M&uuml;nze, besteht aus 6 flus,
+pl. von fls. Ein fls. ist ungef&auml;hr gleich einem
+franz&ouml;sischen Centime.]</blockquote>
+<p>Sidi winkte; gleich darauf brachte ein kleiner uniformirter
+Neger Namens Zamba eine silberne Platte, darauf stand ein silberner
+Theetopf, eine Schale mit grossen St&uuml;cken Zucker, eine
+Theeb&uuml;chse, und, ausser den sechs &uuml;blichen kleinen
+Theetassen, ein Glas, woraus Sidi seinen Thee nehmen sollte. Alles
+dieses wurde vor den Sidi zun&auml;chstsitzenden Scherif, einen
+schon &auml;lteren Mann, Namens Sidi el Hadj Abd-Allah, gesetzt,
+und dann ging die Bereitung des Thees vor sich.</p>
+<p>Der Hadj Abd-Allah nahm eine t&uuml;chtige Hand voll gr&uuml;nen
+Thees, warf ihn in den Topf, w&auml;hrend ein anderer kleiner
+Neger, Ssalem, schon das siedende Wasser in Bereitschaft hielt; der
+erste geringe Aufguss diente nur dazu, den Thee zu reinigen. Sodann
+wurde eine t&uuml;chtige Portion Zucker in den Topf geworfen, und
+nun derselbe mit kochendem Wasser gef&uuml;llt. Unter der Zeit
+hatte der Hadj auch schon einige aromatische Kr&auml;uter in
+Bereitschaft, als Minze, Wermuth und Luisa, die noch obendrein
+hineingeworfen wurden. Nach einiger Zeit wurde sodann f&uuml;r Sidi
+ein Glas gef&uuml;llt, nachdem jedoch vorher der Hadj Abd-Allah
+mehrere Male durch Kosten sich &uuml;berzeugt, dass der Thee genug
+gezuckert sei. Sodann wurden die &uuml;brigen sechs Tassen
+gef&uuml;llt, und sie den G&auml;sten von den beiden kleinen
+Sklaven pr&auml;sentirt; da wohl 30 Leute anwesend sein mochten,
+ohne die vielen Besucher, die ab- und zugingen, die meisten auch
+drei Tassen tranken, wie es die Sitte erheischt, so kann man sich
+denken, dass es ziemlich lange dauerte, ehe Alle, da nur sechs
+Tassen vorhanden waren, befriedigt wurden. Es versteht sich von
+selbst, dass die Theekanne verschiedene Male wieder
+nachgef&uuml;llt wurde.</p>
+<p>Unter der Zeit wurden die verschiedensten Gespr&auml;che
+gef&uuml;hrt, Sidi wollte vor allem von den politischen
+Zust&auml;nden in Europa unterrichtet sein, und ich merkte, dass es
+ihn &auml;rgerte, dass einige &auml;ltere Sch&uuml;rfa mich
+fragten, wann, wo und wie ich zum Islam &uuml;bergetreten, ob ich
+auch vollkommen &uuml;berzeugt sei, dass die mohammedanische
+Religion besser sei als die j&uuml;dische und christliche, ob ich
+auch ordentlich "bezeugen" k&ouml;nne etc.</p>
+<p>Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam, der wohl merkte, wie unangenehm mir
+solche Fragen sein mussten, sprang auf und winkte zu folgen. Alle
+erhoben sich, da er aber auf mich speciell gedeutet hatte, so blieb
+die ganze Versammlung im Zimmer und setzte sich wieder,
+w&auml;hrend er und ich, begleitet von seinen beiden
+G&uuml;nstlingen und einigen Dienern, die einen Teppich, ein
+Fernrohr, Doppelflinte etc. trugen, in den Garten hinabgingen.</p>
+<p>Diese beiden G&uuml;nstlinge, Ibrahim und Ali, die den ganzen
+Tag nicht von der Seite des Grossscherifs wichen, waren
+Ssalami<a href="#F066"><sup>66</sup></a>, d.h. j&uuml;dische Renegaten! Der
+eine, aus Fes geb&uuml;rtig, war Schriftgelehrter, und aus freiem
+Antrieb &uuml;bergetreten, Ali aber, aus Uesan geb&uuml;rtig, war,
+wegen Diebstahls verfolgt, in die Sauya gefl&uuml;chtet, und hatte
+sich dann, um der Strafe zu entgehen, mohammedanisirt. Beide trugen
+franz&ouml;sische Capit&auml;ns-Uniform mit weiten Hosen und rothem
+Tarbusch. Sie waren beide verheirathet und wohnten sogar beide im
+Hause von Sidi, der ihnen je einen Fl&uuml;gel abgesondert
+angewiesen hatte. Sie waren zu der Zeit die Personen, die Sidi gar
+nicht entbehren konnte, Alles ging durch ihre H&auml;nde.</p>
+<blockquote><a name="F066" id="F066"></a>[Fu&szlig;note 66: Ein vom
+Judenthum zum Islam Uebertretender bekommt in Marokko den Namen
+Ssalami, d.h. Gl&auml;ubiger, ein vom Christenthum Uebertretender
+bat den Namen Oeldj, d.h. w&ouml;rtlich christlicher
+Sklave.]</blockquote>
+<p>Im Garten angekommen, gefiel sich Sidi darin, mir seine
+europ&auml;ischen Einrichtungen zu zeigen; hier war auf einem
+Bassin ein Schiffchen mit R&auml;dern, eine Nachahmung der
+europ&auml;ischen Dampfschiffe, dort kostbare Blumen aus Europa und
+Amerika, Gew&auml;chse feinerer Art, wie sie im &uuml;brigen
+Marokko unbekannt sind, zwischen denen k&uuml;nstliche
+Springbrunnen auf verschiedenste Art Wasserstrahlen auswarfen,
+sogar eine kleine Eisenbahn mit Wagen, welche durch ein Radwerk in
+Bewegung gesetzt wurde.</p>
+<p>"Der Sultan, die Grossen und auch die Sch&uuml;rfa," fing Sidi
+an, "wollen nichts vom Fortschritt wissen, deshalb sind wir auch
+von den Spaniern geschlagen; wenn ich nur k&ouml;nnte, ich
+w&uuml;rde Alles einf&uuml;hren wie es bei den Christen ist, d.h.
+vor allem eine feste Gesetzgebung und regelm&auml;ssiges
+Militair."&mdash;"Aber, wenn du nur willst, Sidi," erwiederte ich,
+"so wird der Sultan auch wollen und m&uuml;ssen."&mdash;"Der Sultan
+und ich sind beide vom Volk abh&auml;ngig, und dass ich mich
+christlich kleide, was doch die T&uuml;rken jetzt auch thun, nimmt
+man gewaltig &uuml;bel." Unter diesen Gespr&auml;chen waren wir
+durch einen bl&uuml;henden Rosengarten, wo Jasmin und die
+k&ouml;stlich duftende Verbena Luisa mit Heliotropen und Veilchen
+ihre Wohlger&uuml;che der Luft spendeten, zu einem pr&auml;chtigen
+Orangenhain gekommen. "Diesen ganzen Garten hat mir der Sultan
+geschenkt," sagte Sidi, "oder eigentlich zur&uuml;ckgeschenkt, denn
+mein Grossvater, Ali, schenkte ihn seinem Vater." Nach dem
+Orangengarten kamen ausgedehnte Olivenpflanzungen, wir drangen bis
+dahin durch, kehrten dann zur&uuml;ck, wo wir die Sch&uuml;rfa und
+Tholba noch im Zimmer versammelt fanden.</p>
+<p>Gleich nach der R&uuml;ckkehr Sidi's stellten sich Sklaven ein
+mit Sch&uuml;sseln auf dem Kopf. Alles nahm Platz, da wurde zuerst
+eine Maida (kleiner Tisch) vor Sidi gestellt, und, nachdem Sklaven
+ein messingenes Becken und eine Kanne gebracht, die H&auml;nde
+abgewaschen. Ein Handtuch, vielleicht hatte es schon einmal als
+Hemd gedient, war f&uuml;r Alle zum Abtrocknen bereit. Es bildeten
+sich Gruppen: Sidi ass aus einer Sch&uuml;ssel mit 5 oder 6
+Sch&uuml;rfa, hier sass wieder eine Gruppe, dort eine andere, ich
+selbst wurde eingeladen, an der Sch&uuml;ssel der beiden
+G&uuml;nstlinge Ali und Ibrahim, zu der ausserdem noch zwei Vettern
+von Sidi zugezogen waren, theilzunehmen. Man ass, mit Ausnahme des
+Tisches, an dem Sidi sass, mit grosser Hast, um ja nicht zu kurz zu
+kommen. Die Speisen waren gut, gebratenes Fleisch, gebratene
+H&uuml;hner, und bei jeder Sch&uuml;ssel lagen f&uuml;nf oder sechs
+Brode, die vorher gebrochen wurden. So, dachte ich, ass man zur
+Zeit Jesu aus einer Sch&uuml;ssel und mit den H&auml;nden.</p>
+<p>Sidi, der in Frankreich gewesen, konnte es nicht lassen ein paar
+Mal her&uuml;berzusehen: "Mustafa (diesen Namen hatte ich
+angenommen), hast du schon oft mit der Hand gegessen?" fragte er.
+"Gott erbarm dich!" rief ein graub&auml;rtiger Scherif, "essen denn
+die Christenhunde nicht mit der Hand?" "Nein," erwiederte der
+Grossscherif, "als ich auf der franz&ouml;sischen Fregatte nach
+Mekka reiste, ass ich mit einer Gabel." "Gott sei meinem Vater
+gn&auml;dig," erwiederte jener, "unser Herr Mohammed hat mit der
+rechten Hand gegessen, Mohammad ist der Liebling Gottes, und der
+Segen Gottes ruht auf seinen Nachkommen." Sidi, wohl um ein
+religi&ouml;ses Gespr&auml;ch abzuschneiden, rief einen Sklaven,
+gab ihm ein saftiges St&uuml;ck Fleisch, das er vom Knochen
+abgel&ouml;st hatte: "gieb das Mustafa." Von dem Augenblick, d.h.
+seitdem ich aus der Hand Sidi's einen Bissen erhalten hatte, wurde
+ich als sein erkl&auml;rter G&uuml;nstling angesehen.</p>
+<p>Nach beendetem Essen wurde Kaffee herumgereicht, und nachdem man
+noch eine Zeitlang gesessen und darauf in Gemeinschaft das l'Asser
+Gebet abgehalten war, befahl Sidi sein Pferd. Er bestieg einen
+ausgezeichneten Fuchs, die beiden G&uuml;nstlinge Ali und Ibrahim
+hatten nicht minder sch&ouml;ne Pferde zur Verf&uuml;gung, und nun
+ging's heimw&auml;rts. Vor den Thoren des Gartens lauerten Haufen
+von Menschen, alte und junge, M&auml;nner und Weiber, die sich
+bem&uuml;hten, seinen Fuss oder den Saum des Burnus zu
+ber&uuml;hren, oder auch nur sein Pferd, denn diesem wird dadurch,
+dass der Sohn des Propheten es besteigt, ebenfalls eine Heiligkeit
+mitgetheilt, und man kann den Segen herausziehen.</p>
+<p>Einige von den Sch&uuml;rfa bestiegen ebenfalls Pferde oder
+Maulthiere, die meisten folgten zu Fuss. Unter ihnen war ich; einer
+der Emkadem<a href="#F067"><sup>67</sup></a> Sidi's hatte sich meiner Hand
+bem&auml;chtigt, als ob ich nicht allein gehen k&ouml;nnte, oder um
+ja ein von Sidi ihm anvertrautes Gut nicht zu verlieren: "ich soll
+f&uuml;r dich sorgen," sagte er, und so betraten wir Uesan el Dar
+Demana.</p>
+<blockquote><a name="F067" id="F067"></a>[Fu&szlig;note 67:
+Emkadem, Verwalter oder Intendant.]</blockquote>
+<p>Eine enge Strasse f&uuml;hrte uns gleich in die eigentliche
+Sauya, d.h. das heilige Viertel, das Sidi bewohnt, welches von der
+&uuml;brigen Stadt durch Mauern und Thore geschieden ist. Denn wenn
+auch die ganze Stadt (Uesan el dar demana heisst: Uesan das Haus
+der Zuflucht) ein geheiligtes Asyl ist, so ist doch speciell das
+Stadtquartier, welches Sidi bewohnt, heilig und unverletzlich. In
+diesem Quartier, gleich unterhalb seiner Hauptwohnung, bekam ich im
+"Rheat"<a href="#F068"><sup>68</sup></a> einen Pavillon als Wohnung
+angewiesen, der einstmals reizend gewesen sein musste, jetzt aber
+etwas vernachl&auml;ssigt aussah.</p>
+<blockquote><a name="F068" id="F068"></a>[Fu&szlig;note 68: Rheat
+heisst eigentlich Blumengarten, Blumenterrasse.]</blockquote>
+<p>Dieser Rheat war zur Zeit Sidi-el-Hadj-el-Arbiis, des Vaters des
+jetzigen Grossscherifs, ein &uuml;ppiger Garten gewesen;
+k&uuml;nstlich vom Djebel Bu Hell&ouml;l hergeleitete Wasser
+tr&auml;nkten die Orangen- und Granatb&auml;ume, h&uuml;bsche
+Veranden und Kubben im reinsten maurischen Style erbaut, aufs
+pr&auml;chtigste geschm&uuml;ckt mit Stucco-Arabesken, mit echten
+Slaedj<a href="#F069"><sup>69</sup></a> von Fes, standen an den
+sch&ouml;nsten Punkten, und von einer jeden hatte man eine
+unvergleichliche Aussicht auf die gegen&uuml;berliegende
+Gebirgslandschaft. Sie dienten dazu, die zahlreichen Pilger
+aufzunehmen, eine einzelne Kubba enthielt manchmal hundert solcher
+frommer Leute, die monatelang auf m&uuml;hevollste Art gereist
+waren, um Uesan und den Sohn des Propheten zu sehen: hier auf den
+Terrassen der Kubben, im Schatten der Arkaden einer Veranda ruhten
+sie aus von ihren entbehrungsvollen Wegen, sie schauten auf das
+Bild zu ihren F&uuml;ssen, sie bewunderten die Bauten, vor allem
+aber priesen sie Gott, dass er ihnen die Gnade erzeigt habe,
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam sehen zu k&ouml;nnen, dass er ihnen die
+Gunst gew&auml;hrt habe, seine Nahrung geniessen zu k&ouml;nnen,
+denn alle Pilger, mochten auch 1000 vorhanden sein, werden zweimal
+t&auml;glich aus der K&uuml;che Sidi's gespeist.</p>
+<blockquote><a name="F069" id="F069"></a>[Fu&szlig;note 69: Slaedj
+sind kleine Fliesen von Thon verschiedenfarbig glasirt, man benutzt
+sie um den Fussboden damit zu belegen.]</blockquote>
+<p>Zwischen dem Rheat und dem Hauptgeb&auml;ude befindet sich eine
+grosse Djema<a href="#F070"><sup>70</sup></a>, die auch Freitags zum Chotba
+benutzt wird; ein freier Platz, auf dem die Pferde Sidi's
+angebunden stehen, f&uuml;hrte dann aufs Hauptgeb&auml;ude. Dies
+zeigt nach aussen die Th&uuml;r, welche zu den
+K&uuml;chenr&auml;umen f&uuml;hrt, eine Schule, worin die
+S&ouml;hne Sidi's mit vielen anderen Altersgenossen ihren
+t&auml;glichen Unterricht erhalten, und eine andere sehr niedrige
+Th&uuml;r, welche zur eigentlichen Wohnung des Grossscherifs
+f&uuml;hrte.</p>
+<blockquote><a name="F070" id="F070"></a>[Fu&szlig;note 70:
+Marokkanischer Ausdruck f&uuml;r Moschee.]</blockquote>
+<p>Man kommt zuerst in einen von zwei Orangenb&auml;umen
+beschatteten Hof, auf diesen Hof &ouml;ffnen sich eine Veranda und
+eine reizende Kubba<a href="#F071"><sup>71</sup></a>, deren eine Seite
+ebenfalls nach dem Hofe zu offen war. In diesen R&auml;umlichkeiten
+empf&auml;ngt Sidi, und namentlich nach dem Freitagsgebet findet
+hier immer ein grosses Essen statt, woran, alle die Theil nehmen,
+die mit Sidi gemeinschaftlich das Chotba-Gebet verrichtet haben.
+Das eigentliche Wohngeb&auml;ude, welches an diesen Hof
+st&ouml;sst, besteht aus mehreren Abtheilungen. Zuerst kommen
+verschiedene Zimmer, zu denen man mittelst einer niedrigen
+Th&uuml;r und einer Treppe hinangelangt und welche die Bibliothek
+Sidi's enthalten, dann folgen einige auf europ&auml;ische Art
+eingerichtete. Ausser seinen beiden kleinen S&ouml;hnen, seinen
+G&uuml;nstlingen, Ali und Ibrahim, und einigen Sklaven, die Nachts
+vor seiner Th&uuml;r schlafen, hat der Grossscherif diese Zimmer
+von Niemand betreten lassen, f&uuml;r seine Frauen, f&uuml;r seine
+n&auml;chsten Verwandten sind sie ein vollkommenes Harem. Da ich
+die Beschreibung der Zimmer gegeben habe, brauche ich wohl kaum zu
+sagen, dass es mir ebenfalls verg&ouml;nnt war, sie zu betreten:
+ich musste mehrere Male auf einem Harmonium spielen, welches in
+einem dieser Zimmer seinen Platz hat. Von diesen R&auml;umen
+gelangt man in die H&auml;user seiner Frauen: das Harem.
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam hatte im Anfang der sechziger Jahre drei
+rechtm&auml;ssige Frauen.</p>
+<blockquote><a name="F071" id="F071"></a>[Fu&szlig;note 71: Mit dem
+Worte Kubba bezeichnet man eine viereckige R&auml;umlichkeit mit
+gew&ouml;lbtem oder nach oben spitz zulaufendem
+Dache.]</blockquote>
+<p>Mittelst eines Thores gelangt man aus dieser Sauya in die
+eigentliche Stadt Uesan; eine enge Strasse windet sich den Berg
+hinan, &uuml;berall kleine L&auml;den, hier findet man siedende
+Sfindj (in Oel gebackene Kuchen), dort werden Kiftah (Leber und
+Fleischst&uuml;ckchen) &uuml;ber Kohlenfeuer ger&ouml;stet, hier
+werden Fische gebacken, dort liegen flache Brode aus: es ist dies
+die Gark&uuml;chenstrasse, sie geht allm&auml;lig in die Gasse der
+Oelh&auml;ndler &uuml;ber, welche zugleich Butter und braune
+Schmierseife (diese wird in Marokko bereitet), eingemachte Oliven
+und Chlea (in Butter eingeschmortes Fleisch) verkaufen. Grosse
+Thorwege der auf die Strasse m&uuml;ndenden H&auml;user zeigen uns
+Fonduks (marokkanische Gasth&ouml;fe), und die zahlreichen Esel,
+Maulthiere und Kameele, die man im Innern erblickt, sagen, dass
+hier viel Leben und Treiben herrscht.</p>
+<p>So ist es auch in der That! Die grossen Schaaren von Pilgern,
+welche t&auml;glich in Uesan zusammenstr&ouml;men, ziehen viele
+Kaufleute herbei. Die Pilger, die in der Sauya eine dreit&auml;gige
+Gastfreundschaft geniessen, bleiben oft noch l&auml;nger, sie haben
+Waaren oder Kleinigkeiten zum Verkauf mitgebracht, andererseits
+wollen sie Uesaner Gegenst&auml;nde erhandeln. Man kann sich
+denken, dass Alles was von Uesan kommt f&uuml;r besonders gut gilt,
+die Frau zu Hause will Brod vom "dar demana" haben, oder ein
+St&uuml;ck Zeug, der Sohn muss eine h&ouml;lzerne Schreibtafel vom
+ssuk es Uesan (Markt von Uesan) haben, dann pr&auml;gt er sich die
+Koranspr&uuml;che viel leichter ein, der Grossvater muss einen
+neuen Rosenkranz von Mulei Thaib haben und die echten werden nur in
+Uesan verkauft.</p>
+<p>Zahlreiche kleine Kaffeeh&auml;user, mit heimlichen Zimmerchen,
+wo "Kif"<a href="#F072"><sup>72</sup></a> geraucht wird, liegen allerorts
+zerstreut und meist an den sch&ouml;nsten Punkten der Stadt, welche
+&uuml;brigens, wohin man sieht, &uuml;ber paradiesische Gegenden
+das Auge schweifen l&auml;sst. Viele dieser Kaffeeh&auml;user, wie
+&uuml;berhaupt die meisten Buden, geh&ouml;ren Sidi zu, der sie
+vermithet oder auch an seine G&uuml;nstlinge tempor&auml;r zum
+Ausnutzen &uuml;berl&auml;sst.</p>
+<blockquote><a name="F072" id="F072"></a>[Fu&szlig;note 72: Kif
+heisst eigentlich Ruhe, Wohlergehen, wird aber von den Marokkanern
+auf das Kraut Cannabis indica &uuml;bertragen, welches jene Ruhe,
+mit der ein starker Rausch verbunden ist,
+hervorbringt.]</blockquote>
+<p>In einigen dieser Kaffeeh&auml;user wird sogar zur Traubenzeit
+Wein, und fast zu allen Zeiten Schnaps, der von Gibraltar her
+importirt wird, verkauft. Denn auch hierin offenbart Uesan seine
+Aehnlichkeit mit andern religi&ouml;sen St&auml;dten, dass es ein
+Ort der Laster und Schwelgerei ist. Wie h&auml;ufig sah ich
+Sch&uuml;rfa, die n&auml;chsten Anverwandten
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalams in einem total betrunkenen Zustande.
+Aber ebensowenig wie die gr&ouml;ssten Ausschweifungen, die
+gr&ouml;bsten Verst&ouml;sse gegen Sitte und Religion, je Rom den
+Charakter einer heiligen Stadt genommen haben, ebensowenig leidet
+der Ruf Uesans darunter. Der Grossscherif selbst hat bei Lebzeiten
+seines Vaters der Flasche fleissig zugesprochen, und ob er nicht
+noch manchmal im Innersten seines Hauses, an der Seite seiner
+G&uuml;nstlinge dem Bacchus opfert, wer wollte darauf mit
+Gewissheit Nein sagen? Oeffentlich freilich ist er jetzt die
+Enthaltsamkeit selbst, er raucht nicht, er schnupft nicht, er nimmt
+weder Kif noch Opium (beides, obschon ebenso religionswidrig wie
+Weintrinken, wird in Marokko keineswegs f&uuml;r sehr s&uuml;ndhaft
+gehalten), kurzum, &auml;usserlich lebt er sehr streng nach den
+Vorschriften des Islam, wie duldsam er aber ist, geht daraus
+hervor, dass er, sobald ich mit ihm und seinen G&uuml;nstlingen
+allein war, uns erlaubte, in seiner Gegenwart zu rauchen.</p>
+<p>Kommt man noch weiter in die Stadt, so hat man die Kessaria vor
+sich, d.h. die Strassen, wo Kleidungsst&uuml;cke Tuche,
+Baumwollenzeuge und Wollfabrikate verkauft werden. Hier sieht man
+auch jene sch&ouml;nen in ganz Marokko bekannten Djelaba Uesania
+ausbieten, Ueberw&uuml;rfe aus feinster weisser Wolle gewebt. Man
+durchschreitet die Atharia, d.h. die Strassen, wo Gew&uuml;rze,
+Essenzen und Kramwaaren feil geboten werden, und befindet sich nun
+vis &agrave; vis der grossen Moschee von Mulei Abd-Allah
+Scherif.</p>
+<p>Diese Djemma ist eine der ber&uuml;hmtesten im ganzen
+marokkanischen Reiche, hier liegt der Gr&uuml;nder Uesans, der
+Stifter der Sauya, die heute dar demana, d.h. Zufluchtsort
+f&uuml;rs ganze Reich<a href="#F073"><sup>73</sup></a> ist, begraben. Wie
+alle marokkanischen Moscheen bildet ein grosser Hofraum, dann
+verschiedene S&auml;ulenreihen, deren Gallerien man Schiffe nennen
+kann, die architektonische Anordnung. Ausser Mulei Abd-Allah liegt
+der Hadj el Arbi, der Vater des jetzigen Grossscherifs, in der
+Moschee begraben. Ein kostbarer Sarkophag mit Tuch &uuml;berhangen,
+birgt in einer Nebencapelle die irdischen Reste dieses grossen
+Heiligen. In der That war kein Abk&ouml;mmling des Propheten so
+wunderth&auml;tig wie der Vater Sidi's, namentlich soll er die Gabe
+gehabt haben, die Fruchtbarkeit der Weiber zu vermehren. Er selbst
+hatte freilich nur einen Sohn, den jetzigen Grossscherif, der ihm
+im sp&auml;ten Lebensalter von einer Sklavin geboren wurde.</p>
+<blockquote><a name="F073" id="F073"></a>[Fu&szlig;note 73:
+H&auml;ufig entfliehen Leute ans den Gef&auml;ngnissen des Sultans,
+gelingt es ihnen Uesan zu erreichen, wo sie sich entweder in das
+Grabgew&ouml;lbe eines Heiligen fl&uuml;chten, oder zu den
+F&uuml;ssen des Pferdes des Grossscherifs legen, so werden sie
+immer begnadigt. Schwere Verbrecher d&uuml;rfen aber die Sauya
+nicht mehr verlassen, sonst sind sie vogelfrei.]</blockquote>
+<p>Wie gross aber von jeher Macht und Ansehn der Sch&uuml;rfa von
+Uesan gewesen ist, geht am besten aus einer Beschreibung von Ali
+Bey hervor T.I. p. 269: Je parlerai ici des deux plus grands saints
+qui existent maintenant dans l'empire de Maroc: l'un est Sidi Ali
+Ben-Hamet qui r&eacute;side &agrave; Wazen (dies ist der Grossvater
+Sidi's und Wazen ist englische Schreibart f&uuml;r Uesan) etc.
+Ferner p. 270: J'ai d&eacute;j&agrave; remarqu&eacute; que ce don
+de saintet&eacute; &eacute;tait h&eacute;r&eacute;ditaire dans
+certaines familles (A. Bey best&auml;tigt hier meine oben
+angef&uuml;hrte Thatsache von der mohammedanischen erblichen
+Heiligkeit). Le p&egrave;re de Sidi Ali &eacute;tait un grand
+saint, Ali l'est &agrave; pr&eacute;sent et son fils
+a&icirc;n&eacute; commence &agrave; l'&ecirc;tre aussi.</p>
+<p>Ausser diesen Hauptstadttheilen sind dann noch verschiedene
+Strassen, wo Handwerke betrieben werden: hier werden gelbe
+Pantoffeln, dort rothe Frauenschuhe verfertigt, hier arbeiten
+Sattler, dort sind Schmiede, hier wird gedrechselt, dort wird
+geschneidert; &uuml;berall halten sie die verschiedenen Handwerke
+beisammen. Auch eine M&auml;lha, d.h. ein Judenquartier, giebt es,
+und warum auch nicht, hatte nicht Rom auch sein Ghetto? Es giebt
+keine marokkanische Stadt, ja es giebt keine marokkanische Oase in
+der Sahara, wo nicht Juden w&auml;ren<a href="#F074"><sup>74</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F074" id="F074"></a>[Fu&szlig;note 74: In
+Tuat, welches politisch zu Marokko gerechnet wird, sind allerdings
+keine Juden, Tuat aber liegt geographisch ausserhalb Marokko's, es
+geh&ouml;rt seiner Lage nach zu Algerien.]</blockquote>
+<p>In Uesan unter dem milden Scepter Sidi's lebten die Juden
+ziemlich ertr&auml;glich, aber in anderen St&auml;dten Marokko's
+Israelit sein, heisst die H&ouml;lle hier auf Erden haben. Dennoch
+d&uuml;rfen sie auch in Uesan keinen rothen Tarbusch tragen,
+sondern nur einen schwarzen, sie d&uuml;rfen die Oeffnung des
+Burnus nicht wie die Muselmanen nach vorn tragen, sondern
+m&uuml;ssen dieselbe auf der Seite haben, sie d&uuml;rfen keine
+gelbe oder rothe Pantoffeln, sondern nur schwarze und auch diese
+nur in ihren H&auml;usern und in der M&auml;lha tragen. Sie
+m&uuml;ssen, sobald sie einem Gl&auml;ubigen begegnen, links
+ausweichen, endlich sind ihnen verschiedene Strassen, wie bei der
+Hauptmoschee oder bei den Grabst&auml;tten der Heiligen vorbei,
+g&auml;nzlich untersagt. Sie d&uuml;rfen ausserdem in den
+St&auml;dten und Oertern nie ein Pferd besteigen und m&uuml;ssen
+jeden Mohammedaner mit "Sidi," d.h. "mein Herr," anreden. Man
+k&ouml;nnte Seiten vollschreiben, wollte man all die Vexationen,
+die Erniedrigungen und Dem&uuml;thigungen, welchen die Juden in
+Marokko unterworfen sind, aufschreiben.</p>
+<p>v. Augustin<a href="#F075"><sup>75</sup></a> sagt p. 129: "Auf dem Markte
+m&uuml;ssen sich die armen Juden die emp&ouml;rendsten Erpressungen
+von den Marokkanern gefallen lassen, und unter ihren
+Bedr&uuml;ckern stehen obenan die Garden des Sultans, welche sich
+alle m&ouml;glichen Frechheiten erlauben. Nicht selten reisst ein
+solcher Halbmensch dem Juden eine Waare aus den H&auml;nden, welche
+dieser eben einem K&auml;ufer vorzeigt, und hat dieser selbst nicht
+die feste Absicht sie zu kaufen und wehrt sich gegen solche
+Eingriffe, so schreitet jener unbek&uuml;mmert und laut lachend mit
+seinem Raube fort, trotz des Jammergeschreies, welches ihm von dem
+Beraubten nacht&ouml;nt, welcher aber dennoch seine Bude nicht
+verlassen darf, um den R&auml;uber zu verfolgen, weil sie sonst in
+wenigen Augenblicken rein ausgepl&uuml;ndert w&auml;re. Wagte er es
+aber, sich thats&auml;chlich zu widersetzen, so kann er sich
+versichert halten, halbtodt geschlagen zu werden, oder man
+f&uuml;hrt ihn zum Kadi, wo er Unrecht bekommen muss, da kein Jude
+einen Mohammedaner schlagen darf."</p>
+<blockquote><a name="F075" id="F075"></a>[Fu&szlig;note 75: Marokko
+in seinen geographischen etc. Zust&auml;nden, von Frhrn. v.
+Augustin, Pesth 1845.]</blockquote>
+<p>Man kann die Bev&ouml;lkerung von Uesan auf 10,000 Einwohner
+rechnen, wenn man die der D&ouml;rfer Rmel und Kascherin, die mit
+Uesan zusammenh&auml;ngend sind, hinzurechnet. Von diesen sind etwa
+800 bis 1000 Juden. An manchen Tagen vermehrt sich die
+Bev&ouml;lkerung um einige 1000 Pilger, namentlich zur Zeit der
+grossen Feste.</p>
+<p>Die Tendenz des jetzigen Sultans von Marokko,
+Sidi-Mohammed-ben-Abd-er- Rahman, ist darauf aus, den Einfluss der
+Sch&uuml;rfa so viel wie m&ouml;glich einzuschr&auml;nken, und so
+hat er es denn auch durchgesetzt, dass gegenw&auml;rtig ein Kaid
+und einige Maghaseni (Reiter von der regelm&auml;ssigen Cavallerie
+des Sultans, die in Friedenszeiten auch zu Polizeidienst gebraucht
+werden), welche die Regierung des Sultans repr&auml;sentiren
+sollen, in Uesan wohnen. Ihr Einfluss ist aber gleich Null, und sie
+selbst sind angewiesen, in wichtigen Sachen die Entscheidung Sidi's
+einzuholen. Wie einflussreich beim marokkanischen Gouvernement der
+Grossscherif von Uesan ist, geht allein schon daraus hervor, dass
+kein marokkanischer Kaiser anerkannt wird, wenn er vorher nicht
+gewissermassen die Weihe vom Grossscherif von Uesan erhalten hat.
+Als nach dem Tode des Sultans Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Hischam
+verschiedene Bewerber um den Thron von Fes auftraten, und
+namentlich der &auml;lteste Sohn des Sultan Sliman, ein gewisser
+Mulei-Abd-er-Rahman-ben- Sliman, mit viel gr&ouml;sseren Rechten
+zur Nachfolge hervortrat, verdankte Sidi Mohammed seine rasche
+Besteigung des Thrones nur dem Umst&auml;nde, dass Sidi-
+el-Hadj-Abd-es-Ssalam ihm nach Mekines entgegen reiste und durch
+seine Anerkennung (er stieg von seinem Pferde und f&uuml;hrte das
+edle Ross dem Sultan zu Fuss entgegen, der es bestieg und dann sein
+Pferd dem Grossscherif zum Geschenk machte) alle Mitbewerber aus
+dem Felde schlug.</p>
+<p>Der Einfluss des Grossscherifs ist indess nicht bloss deshalb so
+gross, weil er der directe Nachkomme Mohammeds, sondern weil er der
+reichste Mann im ganzen Kaiserreich Marokko ist. Es giebt in
+Marokko keinen Tschar, keinen Dnar, keinen Ksor<a href=
+"#F076"><sup>76</sup></a>, in dem der Grossscherif nicht eine Filialsauya
+oder einen Emkadem h&auml;tte. Die Emkadem sind angewiesen, in
+ihren Sprengeln j&auml;hrlich Geld zu sammeln, das, wie der
+Peterspfennig nach Rom, in die Gasse Sidi's nach Uesan fliesst. In
+der ganzen Provinz Oran, in der Oase Tuat sind fast alle
+Mohammedaner "Fkra," d.h. "Anh&auml;nger" Mulei Thaib's von Uesan.
+Der reelle Einfluss geht bis Rhadames im Osten, bis Timbuktu im
+S&uuml;den. Aber selbst in Alexandrien, in Aegypten, in Mekka, in
+Arabien, sind Sauya des Grossscherifs von Uesan.</p>
+<blockquote><a name="F076" id="F076"></a>[Fu&szlig;note 76: Ksor,
+Ortschaften in den Oasen.]</blockquote>
+<p>Um den Glauben der Mohammedaner, d.h. die Opferwilligkeit, wach
+zu halten, werden j&auml;hrlich zahlreiche Sch&uuml;rfa, die
+n&auml;chsten Verwandten Sidi's in die ganze mohammedanische Welt
+geschickt, um die Wunder und Herrlichkeit Uesans zu verk&uuml;nden.
+Sidi beklagte sich bitter, dass die Franzosen in letzter Zeit den
+Sch&uuml;rfa von Uesan verboten hatten, in Algerien ihre Rundreisen
+zu machen. Es hat dies aber seinen guten Grund, zum Theil wollen
+damit die Franzosen verh&uuml;ten, dass so viel Geld ausser Landes
+geht, zum Theil aber hatten die Sch&uuml;rfa sich in Politik
+gemischt, die Gl&auml;ubigen gegen ihre ketzerischen Herren
+aufgereizt, was die algerische Regierung sich nat&uuml;rlich nicht
+gefallen lassen konnte.</p>
+<p>W&auml;hrend der ganzen Zeit meines Aufenthalts erfreute ich
+mich der gr&ouml;ssten Zuneigung und Gastfreundschaft des
+Grossscherifs.</p>
+<p>Ich musste fast den ganzen Tag mit ihm zubringen, von Morgens
+fr&uuml;h, wo er mich rufen liess, Kaffee mit ihm und seinen
+G&uuml;nstlingen zu trinken, bis Abends, wo er sich in seine
+Wohnung zur&uuml;ckzog. Wenn ich manchmal Zeuge war, wie er im
+selben Augenblicke den Leuten, die soeben ihr Geld, ihre
+Kostbarkeiten ihm geopfert hatten, mit ernstester Miene den Segen
+ertheilte, und dann, sobald sie den R&uuml;cken gekehrt hatten,
+sich &uuml;ber sie lustig machte, auch wohl sagte: "was f&uuml;r
+Thoren sind diese Leute, mir ihr Geld zu bringen", so dachte ich
+den aufgekl&auml;rtesten Mann vor mir zu haben, andererseits sah
+ich aber so viele Thatsachen, wo er von seiner eigenen Macht, von
+seinem besseren "Sein" &uuml;berzeugt war, dass es mir schwer
+wurde, diese Widerspr&uuml;che zu erkl&auml;ren.</p>
+<p>Aber Alles dient in Uesan dazu, von Jugend auf dem Grossscherif
+einzupr&auml;gen, dass nicht nur die Mohammedaner, die vor Gott
+allein Gl&auml;ubigen, sondern dass unter den Mohammedanern die
+Araber (der Koran darf z.B. bei allen mohammedanischen V&ouml;lkern
+nur arabisch gelehrt werden) das auserw&auml;hlte Volk sind, dass
+im auserw&auml;hlten Volk die Sch&uuml;rfa als Nachkommen Mohammeds
+den vorz&uuml;glichsten Platz einnehmen, und dass unter den
+Sch&uuml;rfa wieder der directeste Nachkomme der von Gott am
+meisten Bevorzugte ist. In dieser Art und unter dieser Auffassung
+wird der Sohn Sidi's erzogen. Dieser, Namens Sidi-el-Arbi,
+entwickelte denn auch zu der Zeit schon ganz den Stolz und
+Eigend&uuml;nkel, den eine solche Lehre hervorbringen muss. Dass
+trotzdem bei Sidi sowohl als auch, wie es den Anschein hatte, bei
+seinem &auml;ltesten Sohne, Sidi-el-Arbi, Herzensg&uuml;te und eine
+gewisse Bescheidenheit nicht unterdr&uuml;ckt werden konnte, ist
+wohl darin zu suchen, dass immer fremdes Blut in die Familie kommt,
+wie denn Sidi's Mutter, wie schon gesagt, eine Haussa ist. Es
+beruht dies auf dem Gesetz der Erblichkeit, denn w&auml;hrend
+Hochmuth, Eigend&uuml;nkel etc. v&auml;terlicherseits mitgebracht
+wird, k&ouml;nnen andererseits die Eigenschaften, welche von
+m&uuml;tterlicher Seite in die Familie kommen, nicht
+unterdr&uuml;ckt werden.</p>
+<p>Dass aber der spanische Krieg auch keineswegs nachhaltend
+civilisatorisch auf den Grossscherifs wirkte, sah ich daraus, dass
+er, als ich sp&auml;ter wieder Uesan besuchte, seine christliche
+Militairuniform abgelegt hatte, und daf&uuml;r sich mit einer
+Djelaba wie die &uuml;brigen Sch&uuml;rfa kleidete. Er mochte, wohl
+recht haben; auf meine Frage nach dem Beweggrund, erwiederte er:
+sein Ansehen leide, und er m&uuml;sse, um die Gelder reichlich
+fliessen zu machen, dem Volke in seinen Vorurtheilen nachgeben.</p>
+<p>Die Haltung des Grossscherifs hat aber nat&uuml;rlich auf das
+ganze Leben und Treiben in Uesan den gr&ouml;ssten Einfluss. Und
+wenn wir auch Fortschritte in Tanger und Mogador constatiren
+k&ouml;nnen, wo die gr&ouml;ssere Frequenz mit Europa neben Hotels
+in ersterer Stadt sogar Dampffabriken ins Leben gerufen hat, wo man
+angefangen hat, den Christen heute mit den Gl&auml;ubigen eine
+gleichberechtigte Stellung einzur&auml;umen, so braucht man solche
+Fortschritte von Uesan nicht zu f&uuml;rchten. Sollte es einem
+Europ&auml;er heute gelingen, nach dieser heiligen Stadt
+hinzukommen, er kann sicher sein, Uesan el dar demana so zu finden,
+wie es geschildert ist, d.h. auf demselben Standpunkte der Bildung,
+auf dem es sich seit Jahrhunderten schon befunden hat: man glaubt
+sich ins volle Mittelalter zur&uuml;ckversetzt.</p>
+<h2><a name="K07" id="K07"></a>7. Eintritt in marokkanische
+Dienste.</h2>
+<p>Ich blieb nicht lange in Uesan, trotzdem "Sidi" wollte, ich
+sollte ganz bei ihm bleiben; als er dann aber mich fest zum
+Weitergehen entschlossen sah, stellte er auf liebensw&uuml;rdige
+Art ein Maulthier zur Disposition, und empfahl mich einem Kaufmann
+aus Uesan, der ebenfalls nach Fes reisen wollte. Abends vorher, ehe
+ich Uesan verliess, musste ich im Hause dieses Kaufmanns zubringen,
+um die Zeit nicht zu verschlafen; der Hadj Hammed, so heisst der
+Mann, war ein grosser Freund von Musik und hatte als Abschiedsfest
+verschiedene Freunde geladen, die auch alle musikalisch waren. Man
+kann sagen, dass eine Art Soir&eacute;e musicale abgehalten wurde,
+denn Hadj Kassem, ein alter graub&auml;rtiger Musikus aus Lxor,
+ber&uuml;hmt in Marokko wegen seiner Spielfertigkeit auf dem Alut,
+wie Liszt bei uns auf dem Klavier, war auch zugegen, andererseits
+war sein Sch&uuml;ler, ein Neger Ssalem, ein fast ebenso
+bedeutender K&uuml;nstler auf der Violine wie weiland Paganini,
+auch anwesend. Man denke aber ja nicht in Marokko an Fl&uuml;gel,
+Klaviere, Harmonium oder dergleichen, denn wenn auch Sidi sich
+solche Instrumente hatte kommen lassen, wenn auch beim Sultan
+dergleichen zu finden sein m&ouml;chten, so kennt das Volk sie
+nicht. Ich glaube kaum, dass das marokkanische Volk f&uuml;r unsere
+Musik Verst&auml;ndniss haben w&uuml;rde; wenn es musikalisch
+denken k&ouml;nnte, wenn es &uuml;berhaupt ein Urtheil abgeben
+k&ouml;nnte, w&uuml;rde es vielleicht unsere Musik mit
+"Zukunftsmusik" bezeichnen.</p>
+<p>Ich konnte an dem Abend s&auml;mmtliche Instrumente, deren sich
+die Marokkaner bedienen, kennen lernen. Eingeb&uuml;rgert von
+europ&auml;ischen Instrumenten hat man Guitarre, Violine und
+Violoncell, welch letzteres in Marokko als Bass dient. Ausser
+diesen hat man &auml;hnliche abenteuerlicher Art, und im Lande
+selbst angefertigte Instrumente!<a href="#F077"><sup>77</sup></a> Da ist das
+Saiteninstrument "Alut", eine Art Guitarre, nur mit gew&ouml;lbtem
+Boden, es hat auf den vier Saiten die Laute g, e, a, d. Da ist ein
+Streichinstrument mit zwei Saiten, "Erbab" genannt, von dem der
+Hals auch hohl und resonirend ist, es hat die Grundlaute d, a; der
+Fiedelbogen dazu besteht aus einem Bogen so gross wie eine Hand,
+und die Streiche dazwischen haben nur eine Spannung von etwa 4 bis
+5 Zoll. Endlich hat man noch eine gr&ouml;ssere Art "Kuitra" mit
+drei Saiten, dem Cello entsprechend, mit den T&ouml;nen d, h, g.
+Als Blasinstrumente besitzen die Marokkaner das "Schebab", eine
+kurze Fl&ouml;te mit verschiedenen L&ouml;chern; die "Rheita", ein
+kleines Instrument mit clarinetartigen T&ouml;nen, endlich eine
+grosse Posaune, "El-Bamut" genannt. Trommeln verschiedener Form und
+Gr&ouml;sse, Schellen u. dgl. vervollst&auml;ndigen die Liste der
+Instrumente. Dass ein Unterschied in der Anwendung der Instrumente
+Seitens der Araber, Juden und Neger best&auml;nde, wie H&ouml;st
+bemerkt haben will, ist mir nie aufgefallen. Von allen Instrumenten
+ist die "Rheita" allein das, welches einen angenehmen Ton
+hervorbringt. Unsere europ&auml;ischen Instrumente, Violine,
+Guitarre u.s.w. werden von ihnen auf ohrzerreissende Art behandelt.
+Das eigentliche Nationalinstrument der Marokkaner ist aber die
+"Gimbri", ein kleines zweisaitiges Instrument, eine Guitarre oder
+Violine im Kleinen. Der Resonanzkasten ist gemeiniglich nicht
+grosser als 4 oder 5 Zoll Durchmesser, irgend eine trockne
+K&uuml;rbisschale oder auch ein aus Holz geschnitztes Becken ist
+gut dazu, ein St&uuml;ck d&uuml;nnes Leder oder Pergament wird
+dar&uuml;ber gespannt, ein Stiel daran befestigt und die Saiten
+aufgezogen. Jeder verfertigt es selbst, meist ist e und a Grundton.
+Die "Gimbri" wird nicht gestrichen, aber auch nicht einfach mit den
+Fingern geknipst, sondern man bedient sich dazu eines
+H&ouml;lzchens, wie bei uns es die Klavierstimmer haben, um
+&uuml;ber die Saiten dieses Instrumentes zu fahren. Bei
+gr&ouml;sseren Concerten findet &uuml;brigens die Gimbri keine
+Anwendung.</p>
+<blockquote><a name="F077" id="F077"></a>[Fu&szlig;note 77: Siehe
+H&ouml;st p. 260, der Abbildungen von verschiedenen marokkanischen
+Instrumenten giebt.]</blockquote>
+<p>Wenn <i>uns</i> nun aber auch Alles wie Katzenmusik vorkommt, so
+muss man doch keineswegs glauben, dass die Marokkaner ganz ohne
+musikalisches Gef&uuml;hl sind, nur sind eben ihre Empfindungen
+f&uuml;r Musik anders als unsere. Was f&uuml;r uns Harmonie und
+Consonanz ist, h&ouml;ren sie als Dissonanz, ohne aber deshalb in
+ihrer eignen Musik gewisser Regeln zu entbehren.</p>
+<p>Der Abend ging angenehm hin; hatte ich auch keinen musikalischen
+Genuss, so war doch Alles neu. Mit dem Spielen der St&uuml;cke war
+immer Gesang verbunden. Und auffallend war es mir, dass je mehr
+Jemand n&auml;selte oder Fistelt&ouml;ne hervorbrachte, er desto
+mehr bewundert wurde.</p>
+<p>Fr&uuml;h am andern Morgen wurde aufgesessen, ich ritt ein gutes
+Maulthier. Wie Spanien ist Marokko das Land der Maulthiere, die
+meist braun oder grau von Farbe sind. Die guten Maulthiere sind
+theurer als die guten Pferde, aber nicht so theuer wie die besten
+Pferde. Man kann schon f&uuml;r 30 bis 40 franz&ouml;sische
+(F&uuml;nffranken-) Thaler ein gutes Pferd kaufen, aber unter 60
+bis 80 Thaler kein starkes gutes Maulthier bekommen. Edle Pferde,
+wie sie der Sultan besitzt oder vornehme Sch&uuml;rfa und Kaids,
+werden aber selbst in Marokko bis 1000 Thaler gesch&auml;tzt. Dies
+ist die Summe, welche mir als die h&ouml;chste angegeben wurde.</p>
+<p>Zu Pferde oder Maulthier braucht man von Uesan nach Fes
+anderthalb Tage, aber da die Hitze jetzt immer gr&ouml;sser wurde,
+die Wege sehr schlecht waren, und weil Hadj Hammed unterwegs
+allerlei Gesch&auml;fte abzuschliessen hatte, brauchten wir drei
+Tage. Er machte Eink&auml;ufe, oder auch bekam hier ein
+T&ouml;pfchen mit Butter, dort einige Eier zum Geschenk, was zur
+Folge hatte, dass zuerst sein, dann auch mein Maulthier so beladen
+war, dass wir beide zu Fuss gehen mussten. Man kann sich einen
+Begriff von der Macht und dem Reichthum
+Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's machen, wenn ich anf&uuml;hre, dass
+fast alles Land bis dicht vor Fes <i>sein pers&ouml;nliches
+Eigenthum</i> ist. Dennoch glaube ich kaum, dass er viel baares
+Verm&ouml;gen besitzt, da die grosse Zahl der Pilger, welche in
+Uesan auf liberalste Weise bewirthet werden, wieder Alles
+verausgaben macht.</p>
+<p>Die ganze Gegend, welche man durchzieht, ist gebirgig und aufs
+reichste angebaut, Getreidefelder von Weizen und Gerste wechseln ab
+mit Olivenwaldungen, G&auml;rten bestanden mit Orangen, Granaten,
+Aprikosen, Pfirsichen, Quitten, Mandeln, Feigen und Weinreben,
+lachen am Wege. Man hat zwei bedeutende Wasser zu
+&uuml;berschreiten, den Ued Uerga, ungef&auml;hr auf halbem Wege
+zwischen Uesan und Fes, circa sieben Stunden von letzterer Stadt
+entfernt, und den Sebu. Beide waren so bedeutend angeschwollen,
+dass wir mit einer F&auml;hre &uuml;bersetzen mussten. Die
+F&auml;hren waren ebenfalls Eigenthum des Grossscherifs von
+Uesan.</p>
+<p>Abends 5 Uhr des dritten Tages waren wir endlich vor Fes, der
+Hauptstadt des Landes. Mich &uuml;berw&auml;ltigte fast der Anblick
+der ausgedehnten H&auml;usermasse, aus denen hier und da hohe Sma
+(Minarets) hervorragten. Wir, zogen rasch durch die lange Strasse
+dahin und ich wurde derart zur "Mhalla", d.h. der Zeltlagerung der
+Soldaten gef&uuml;hrt. F&uuml;r einen Obersten der Armee, Hadj
+Asus, hatte ich ein Empfehlungsschreiben des Grossscherifs. Nicht
+nur wurde ich gut aufgenommen, sondern Hadj Asus, dessen
+Zeltgenosse und Gast ich bleiben musste, versprach mir schon
+f&uuml;r den folgenden Tag eine Anstellung.</p>
+<p>Am andern Tage war grosse Revue vor dem Sultan; die ganze
+regelm&auml;ssige Armee, circa 4000 Mann, musste in ziemlich guter
+Ordnung vor dem unter einem Baldachin sitzenden Sultan
+vorbeidefiliren; sobald eine Abtheilung in unmittelbare N&auml;he
+des Sultans kam, riefen s&auml;mmtliche Soldaten "Allah ibark amar
+Sidna", "der Herr segne die Seele unseres gn&auml;digen Herrn". Die
+Anf&uuml;hrer selbst pr&auml;sentirten die S&auml;bel,
+prosternirten sich und k&uuml;ssten den Boden. Sobald die
+Abtheilung des Hadj Asus herankam, defilirt und gerufen, und dann
+Hadj Asus seinen Gruss verrichtet hatte, wurde er in die N&auml;he
+des unbeweglich dasitzenden Sultans gerufen. Ursache war, dass ich
+mich seinem Zuge angeschlossen hatte, und mit Offizieren und
+Soldaten den Parademarsch mitmachte. Nat&uuml;rlich musste meine
+Erscheinung Aufsehen erregen, denn ich hatte einen ziemlich langen
+schwarzen Ueberrock an, der bis auf die Kniee reichte, darunter
+guckte die Unterhose kaum hervor, gelbe, recht abgenutzte
+Pantoffeln und ein rother Fes, das war meine &uuml;brige
+Bekleidung. Hadj Asus kam freudestrahlend zur&uuml;ck.</p>
+<p>Der Sultan hatte sich in der That &uuml;ber meine
+Pers&ouml;nlichkeit informirt; Hadj Asus hatte ihm gesagt, ich sei
+zum Islam &uuml;bergetreten, habe vom Grossscherif eine Empfehlung
+gebracht und w&uuml;nsche in die Armee als Arzt einzutreten: ein
+"Achiar" (Fi el cheir, d.h. das ist gut) war die Antwort des
+Sultans gewesen, und Hadj Asus war den ganzen Tag &uuml;ber ausser
+sich &uuml;ber das Gl&uuml;ck, vom Sultan angeredet worden zu
+sein.</p>
+<p>Nach der Parade wurde ich sodann dem Kriegsminister vorgestellt,
+einem Schwarzen, Si Abd-Allah genannt, der besondere Meldungen
+unter einem schirmartigen Zelte sitzend entgegennahm. Er war sehr
+zufriedengestellt &uuml;ber meine Antworten und sagte, dass ich am
+folgenden Tage meine Anstellung zu erwarten habe. Am folgenden Tage
+wurde ich denn auch benachrichtigt, ich sei zum obersten Arzte der
+ganzen Armee seiner Majest&auml;t ernannt.</p>
+<p>Als Obliegenheit wurde mir bezeichnet, alle Soldaten, die sich
+krank meldeten, zu untersuchen und zu behandeln. Die Medicamente
+hatten sie von mir zu bekommen, mussten aber daf&uuml;r zahlen, da
+mir &uuml;berhaupt von der Regierung auch keine zur Disposition
+gestellt wurden. Mein Gehalt war t&auml;glich auf 2-1/2 Unzen
+angesetzt, ungef&auml;hr 3 bis 4 Groschen. So klein das nun auch
+klingt, so sind doch die Verh&auml;ltnisse in Marokko derart, dass
+man damit recht gut existiren konnte, zumal mir volle Freiheit
+blieb, Privatpraxis zu treiben, wo und soviel ich wollte. Man
+k&uuml;mmerte sich &uuml;berdies nicht viel um mich. Mein Quartier
+hatte ich vorl&auml;ufig beim Hadj Asus behalten; wenn ich aber den
+ganzen Tag von der "Mhalla" abwesend war, fragte Niemand danach.
+Ich sollte ein Pferd, Maulthiere, Diener zur Disposition erhalten,
+habe dieselben doch nie bekommen. Meine Nahrung hatte ich mir
+selbst zu beschaffen, es war das freilich meine wenigste Sorge,
+heute war ich Gast bei diesem, morgen bei jenem. Wenn gerade keine
+Hungersnoth in Marokko ist, hat ein lediger Mann daf&uuml;r nicht
+zu sorgen.</p>
+<p>Nach einigen Tagen liess der Baschagouverneur von Fes,
+Ben-Thaleb, mich rufen. Er hatte von der Ankunft eines
+europ&auml;ischen Arztes geh&ouml;rt, und selbst an chronischem
+Asthma leidend, bat er mich ihn zu behandeln, zu gleicher Zeit aber
+auch bei ihm Wohnung zu nehmen. Ich nahm diesen Vorschlag mit
+Freuden an. Hadj Asus hatte nichts dagegen, dass ich beim Bascha
+wohnte; dieser, einer der reichsten und einflussreichsten Beamten
+des ganzen Kaiserreiches, hatte wohl Anspruch auf seine
+R&uuml;cksicht.</p>
+<p>Um die Zeit kam denn auch Joachim Gatell, der vorhin
+erw&auml;hnte Spanier, der den Namen Sma&euml;l angenommen hatte,
+nach Fes. Er wurde Si-Mohammed-Chodja, einem andern Commandanten
+der regelm&auml;ssigen Truppe zugetheilt, und erhielt bald darauf
+ein selbstst&auml;ndiges Commando &uuml;ber die Artillerie.
+Sp&auml;ter sollten wir genauer mit einander bekannt werden, als es
+jetzt der Fall war. Denn der Sultan hatte nach Verlauf von
+ungef&auml;hr vier Wochen Befehl zum Aufbruche gegeben. Es war die
+Zeit des Residenzwechsels gekommen und der Sultan beschloss, das
+Hoflager und die "Mhalla" nach Mikenes zu verlegen. Nat&uuml;rlich
+durfte ich nun auch nicht in Fes bleiben, da alle Truppen mit
+Ausnahme derer, welche den beiden Gouverneuren beigegeben waren,
+mit dem Sultan fort mussten.</p>
+<p>Schwer w&uuml;rde es sein, ein richtiges Bild von diesem
+eigenth&uuml;mlichen Ausmarsche zu entwerfen. Alles lief bunt
+durcheinander. Da waren die sogenannten regelm&auml;ssigen
+Soldaten, in Begleitung ihrer Weiber (fast jeder Soldat ist
+verheirathet), Kinder und Sklaven. Kaufleute dr&auml;ngten sich
+dazwischen, hier bot einer Brod feil, hier Zwiebeln, dort hatte ein
+anderer ein Brettchen mit verschiedenen F&auml;chern und Schachteln
+darauf; eine ambulante Gew&uuml;rzkrambude, Zimmt, Pfeffer, Nelken
+u. dgl. war da zu haben. Hier bot einer Fleisch, dort Fische feil.
+Und da kam der Sultan selbst daher, ein grosser gl&auml;nzender
+Haufe, die Minister, die h&ouml;chsten Beamten des Landes umgaben
+ihn, ein langer, langer Tross beladener Maulthiere und Kameele
+folgte. Dann der Harem, &uuml;ber hundert Frauen und junge
+M&auml;dchen, dicht verschleiert auf Maulthieren daherreitend,
+diese allein eine geschlossene Masse bildend, denn auf schnellen
+Pferden hielten die Eunuchen diese Lieblingsweiber des Herrschers
+zusammen. Es war dies gewissermassen der ambulante Harem des
+Sultans, die sch&ouml;nsten, j&uuml;ngsten und fettesten
+Frauenzimmer der vier Harems von Fes, Mikenes, Arbat und Maraksch,
+meist Kinder von 12 bis 15 Jahren. Endlich kam die grosse
+Abtheilung der Maghaseni, der unregelm&auml;ssigen jedoch
+besoldeten Cavallerie; es mochten wohl 10000 Pferde zugegen sein.
+Man denke sich nun diesen Menschen- und Thierkn&auml;uel ohne
+Ordnung und einheitliche Leitung in Bewegung, der eine schnell, der
+andere langsam, der hier marschirend, der dort, dieser hier
+laufend, jener langsam seinen Weg fortsetzend, wie ein Jeder es
+eben f&uuml;r gut fand.</p>
+<p>Als wir, ich befand mich unter den Ersten, Mikenes erreichten,
+war der ganze Weg zwischen Fes und Mikenes noch mit Menschen und
+Thieren &uuml;berschwemmt, denn als die ersteren in letzterer Stadt
+eintrafen, waren noch lange nicht alle von Fes aufgebrochen. Zwei
+Tage dauerte es, bis die ganze Armee, vielleicht in allem etwa
+40,000 Menschen, eingetroffen waren, und das Terrain zwischen
+beiden St&auml;dten ist derart eben und sch&ouml;n, derart ohne
+alle Hindernisse, dass man fortw&auml;hrend mit mehreren Armeen,
+fast m&ouml;chte ich sagen im Frontmarsche von einer Stadt zur
+andern marschiren kann. Die Armee lagerte an der Aussenseite der
+Stadt, der Sultan selbst bezog sein Palais.</p>
+<p>Was mich anbetrifft, gebunden, da zu sein, wo die Armee ist,
+hatte ich andererseits Freiheit genug, wohnen zu k&ouml;nnen wo ich
+wollte, und miethete deshalb in einem Funduk der Stadt ein Zimmer
+zum Wohnen, w&auml;hrend ich andererseits ein "Hanut", Bude, in der
+belebtesten Strasse in Gemeinschaft mit einem Franzosen, Namens
+Abd-Allah bezog. Ich prakticirte oder hielt ein Polyclinicum ab.
+Meine Medicamente bestanden wie die der marokkanischen Aerzte aus
+einem grossen Kohlenbecken, mit Eisenst&auml;ben zum
+Weissgl&uuml;hen, aus grossen T&ouml;pfen mit Salben,
+Kampher&ouml;l, Brechpulver, Abf&uuml;hrungsmitteln und
+verschiedenen unsch&auml;dlichen gef&auml;rbten Mehlpulversorten
+f&uuml;r Hypochonder und hysterische Kranke. Und was nie und
+nirgends in Marokko gesehen war: ich hatte ein grosses
+Aush&auml;ngeschild; darauf hatte Sma&euml;l (Joachim Gatell) mit
+grossen und sch&ouml;nen Buchstaben gemalt: "Mustafa nemsaui tobib
+ua djrahti", d.h. Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt. Es ist
+kaum zu glauben, welch Aufsehen es erregte in einem Lande, wo die
+Annoncen, Anzeigen, Aush&auml;ngeschilde noch nicht etwa in der
+Kindheit liegen, sondern wo sie noch gar nicht geboren sind, ein
+solches Schild zu f&uuml;hren. Von Morgens fr&uuml;h bis Abends
+sp&auml;t stand Jung und Alt, Vornehme und Geringe, M&auml;nner und
+Weiber vor der Bude, und buchstabirten (lesen kann Niemand in
+Marokko, aber buchstabiren k&ouml;nnen alle St&auml;dter) die
+langen arabischen Buchstaben, welche zwei grosse Bogen Papier
+einnahmen. Der Erfolg war vollst&auml;ndig.</p>
+<p>Ich hatte vorhin erw&auml;hnt, dass ich mich mit einem Franzosen
+Namens Abd- Allah zusammengethan hatte, weil ich allein nicht die
+Miethe f&uuml;r die Bude von Anfang an zu Stande bringen konnte.
+Dieser Franzose, ein ehemaliger Spahisoffizier, war vor
+ungef&auml;hr zwanzig Jahren mit der Casse seiner Compagnie nach
+Marokko entflohen, hatte bei dem vorletzten Sultan Muley-
+Abd-er-Rahman gute Aufnahme gefunden, sein Geld (wie er selbst
+angab 20,000 Franken) mit liederlichen Dirnen in Saus und Braus,
+aber in einigen Jahren durchgebracht. Hernach hatte er sich dem
+Hofe angeschlossen, hatte nat&uuml;rlich geheirathet und lebte nun
+von mechanischen Fertigkeiten. So behauptete er, der Introducteur
+des soufflets in Marokko zu sein, und seine damalige
+Besch&auml;ftigung bestand darin, neue P&uuml;ster anzufertigen,
+alte auszubessern. Von Zeit zu Zeit pflegte er nach irgend einem
+Hafenplatz zu gehen, von wo er sich neue Vorr&auml;the holte. Ohne
+besonderes Wissen, trotzdem er darauf pochte, franz&ouml;sischer
+Offizier gewesen zu sein, war er ein harmloser Mensch, was man
+nicht immer von den &uuml;brigen Renegaten sagen kann. Er war
+&uuml;brigens vollkommen durch seinen langen Aufenthalt in Marokko
+marokkanisirt, und liess den Rosenkranz auf ebenso scheinheilige
+Art und Weise durch die Finger gleiten, wie der beste Thaleb oder
+Faki es nur kann.</p>
+<p>Aber sonderbar genug sah unsere Bude aus, auf der einen Seite
+arbeitete der Franzose P&uuml;ster, auf der andern Seite
+quacksalberte ich, denn so muss ich, wenn ich aufrichtig sein will,
+meine &auml;rztliche Praxis in Marokko nennen.</p>
+<p>Das ausgeh&auml;ngte Plakat, dann &uuml;berhaupt die Ankunft
+eines europ&auml;ischen Arztes, hatten indess viel L&auml;rm
+gemacht, und der Ruf davon war bis zu den Ohren des ersten
+Ministers, Si-Thaib-Bu-Aschrin, gedrungen. Eines Abends kamen
+einige seiner Diener und ergriffen meine Hand; ich hatte kaum noch
+Zeit, den Franzosen Abd-Allah zu bitten, als Dolmetsch mit zu
+kommen, und fort ging's. Wir trafen Si-Thaib gerade beim Nachtmahl
+mit mehreren anderen Beamten des Hofes, die seine G&auml;ste waren.
+Im &auml;ussersten Winkel des Zimmers spielten drei Musikanten auf
+einer Rheita, Kuitra und Erbab. Si-Thaib lud uns beide gleich ein,
+mit an die Maida (kleiner flacher Tisch) zu r&uuml;cken, aber
+Abd-Allah dankte f&uuml;r sich und mich, und wir zogen uns,
+w&auml;hrend die hohen W&uuml;rdentr&auml;ger von einer
+Sch&uuml;ssel zur andern &uuml;bergingen, in ein Nebenzimmer
+zur&uuml;ck, und bald darauf brachten uns Sklaven die angebrochenen
+Sch&uuml;sseln, worin allerdings noch reichliche und recht gut
+zubereitete Speisen sich befanden, die mir aber widerlich zu
+ber&uuml;hren waren, weil jene W&uuml;rdentr&auml;ger, so hoch sie
+nun auch in Marokko sein m&ouml;gen, mit ihren kaum gewaschenen
+H&auml;nden darin herum ger&uuml;hrt hatten. Anstandshalber
+<i>musste</i> ich aber einige Bissen von jeder Sch&uuml;ssel
+nehmen, und dabei nicht vergessen, die Grossmuth Si-Thaib's und die
+G&uuml;te der Speisen zu preisen. Abd-Allah sagte mir dann auch, es
+w&uuml;rde sehr unschicklich gewesen sein, h&auml;tten wir die
+Einladung Si-Thaib's, mit ihm zu essen, angenommen, er w&uuml;rde
+aber jetzt &uuml;ber unsere Bescheidenheit und unser Savoir-vivre
+hoch erfreut sein.</p>
+<p>Das Zimmer, worin Si-Thaib sich aufhielt, war eine sogenannte
+Mensa, d.h. ein Gemach im ersten Stocke. Lang, wie alle
+marokkanischen Zimmer, war es elegant m&ouml;blirt, d.h. durch das
+Zimmer zog sich ein weicher Beni-Snassen- Teppich, und der hohen
+ogivischen Th&uuml;r gegen&uuml;ber waren noch andere Teppiche auf
+diesem. Hierauf lagen sodann wollene Matratzen und Kissen. Mehrere
+Lampen von Messing, alterth&uuml;mlich gestaltet, hingen von der
+Decke des Zimmers und auch einige silberne Leuchter mit
+Stearinkerzen brannten in den Nischen. Der Plafond des Zimmers war
+bunt bemalt, und an den W&auml;nden desselben Arabesken in
+Gyps.</p>
+<p>Als auch wir abgegessen hatten, wurden wir ins Zimmer gerufen
+und durften am Thee theilnehmen, der nur in kleinen aus sehr feinem
+Porzellan bestehenden T&auml;sschen herumgereicht wurde. Si-Thaib
+hielt mir sodann seine F&uuml;sse hin und fragte mich, was Krankes
+daran sei. Abd-Allah, der Franzose, hatte mir vorher schon
+mitgetheilt, der Minister leide an Podagra ich hatte also eine
+leichte M&uuml;he, ihm seine Krankheitserscheinungen zu sagen.
+Dennoch bef&uuml;hlte ich die F&uuml;sse vorher genau, fragte nach
+einigen anderen Umst&auml;nden, um der ganzen Sache mehr Ansehen zu
+geben, und als ich ihm dann schliesslich sagte, er h&auml;tte die
+Ministerkrankheit (mrd el u&iuml;sirat wird in Marokko das Podagra
+genannt), war er h&ouml;chst erfreut, dass ich seiner Meinung nach
+aus blossen &auml;usseren Kennzeichen seine Krankheit erkannt
+hatte.&mdash;Er fragte mich sodann, ob ich Anh&auml;nger der
+heissen oder der kalten Mittel sei (nach Meinung der Marokkaner
+haben die Medicamente entweder erhitzende oder abk&uuml;hlende
+Eigenschaften), und als ich mich f&uuml;r die ersten erkl&auml;rte,
+fand ich, dass ich auch darin seinen Geschmack getroffen hatte.</p>
+<p>Si-Thaib entliess uns huldvollst und f&uuml;gte beim Abschied
+hinzu, ich solle am andern Tage eine seiner Wohnungen beziehen, um
+ihn an seinem Podagra zu behandeln. Aber es sollte anders kommen,
+schon am folgenden Tage fr&uuml;h kamen Maghaseni vom Dar es
+Ssultan (Palast des Sultans) mit der Weisung, rasch dahin zu
+kommen; kaum liess man mir Zeit, die Pantoffeln anzuziehen und den
+Burnus umzuh&auml;ngen. Dort angekommen, erkl&auml;rte mir ein
+Beamter des Sultans, Ben Thaleb, der Gouverneur von Alt-Fes, habe
+an den Sultan geschrieben, ob ich nicht zur&uuml;ckkehren
+d&uuml;rfe, um ihn zu behandeln, der Kaiser habe diese Bitte
+gew&auml;hrt und ich habe auf der Stelle abzureisen. Mein Protest,
+nach Hause zur&uuml;ckkehren zu m&uuml;ssen, um meine Sachen zu
+holen, um die Medicamente mitzunehmen, um den Bekannten Lebewohl zu
+sagen, alles das half nichts; die Antwort war immer: "der Sultan
+hat gesagt, du solltest <i>gleich</i> abreisen, also <i>musst</i>
+du auch <i>gleich</i> abreisen". Ein gesatteltes Maulthier stand
+bereit, ein Maghaseni zu Pferde war als Begleiter da, und so musste
+ich fort, wie ein Packet ohne eigenen Willen. Da der Sultan
+befohlen hatte, selben Abends noch in Fes anzukommen, wurde scharf
+geritten, und vor Sonnenuntergange war die Hauptstadt erreicht und
+bald darauf war ich wieder beim Gouverneur der Alt-Stadt.</p>
+<p>Ich hatte indess einen guten Tausch gemacht, Ben-Thaleb sorgte
+daf&uuml;r, einen Dolmetsch kommen zu lassen, einen eingeborenen
+Algeriner Thaleb, Namens Si- Abd-Allah, der leidlich gut
+Franz&ouml;sisch verstand, ich bekam eine gute Wohnung, Pferde,
+Maulthiere, Diener zur Disposition; Essen und der dazu
+geh&ouml;rende Thee wurden vom Bascha geschickt, und ich hatte
+daf&uuml;r weiter keine Verpflichtung, als mich t&auml;glich eine
+oder zwei Stunden mit dem Bascha zu unterhalten. Dass ich bei
+diesem mehrmonatlichen Aufenthalt in Fes hinl&auml;nglich
+Gelegenheit hatte, die Stadt kennen zu lernen, braucht wohl kaum
+erw&auml;hnt zu werden.</p>
+<h2><a name="K08" id="K08"></a>8. Die Hauptstadt Fes</h2>
+<p>Die Hauptstadt des Sultans von Marokko ist nur von wenigen
+Europ&auml;ern besucht worden, ebenso d&uuml;rftig sind die
+Nachrichten, welche Augenzeugen davon gegeben haben. Am
+ausf&uuml;hrlichsten, fast weitschweifig, handelt Leo von Fes,
+n&auml;chst ihm giebt eine auf eigener Anschauung beruhende
+Beschreibung der spanische General Badia (Ali Bey-el-Abassi). Alle
+anderen Berichte &uuml;ber Fes beruhen nur auf Kundschaft und
+H&ouml;rensagen.</p>
+<p>Ob der Ort, wo heute Fes steht, von den R&ouml;mern bewohnt war,
+ist nach so wenigen Untersuchungen schwer zu entscheiden, aber
+h&ouml;chst wahrscheinlich. Die Lage ist so ausgezeichnet, so
+f&uuml;r eine Stadt in jeder Beziehung anlockend, dass eine so
+g&uuml;nstige Position den Alten gewiss nicht entgangen ist.
+Ueberdies haben wir in der N&auml;he Punkte, welche wir mit
+Sicherheit als von den R&ouml;mern bewohnte kennen. Wir erkennen
+die Stadt Volubilis im heutigen Serone, eine Stadt, die zur Zeit
+Leo's Gualili oder Walili hiess, und von der er sagt, dass sie
+ausser dem Grabmale vom &auml;lteren Edris nur drei oder vier
+H&auml;user habe. Heute nun ist Walili oder, wie sie jetzt genannt
+wird, Serone, ein St&auml;dtchen von 4-5000 Einwohnern, und das
+Grabmal Mulei Edris-el-Kebir, wie der Vater des Gr&uuml;nders der
+Stadt Fes genannt wird, ist noch immer ein ber&uuml;hmter
+Wallfahrtsort. Wir haben sodann in den Aquae Dacicae einen sicheren
+Anhaltepunkt in der N&auml;he von Fes; k&ouml;nnen wir uns genau
+auf das Itinerarium Antonini verlassen, so w&uuml;rden wir nicht
+anstehen, Fes das alte Volubilis zu nennen, denn die Entfernung, 16
+Mill., stimmt genau mit den ber&uuml;hmten heissen Schwefelquellen
+von Ain Sidi- Yussuf<a href="#F078"><sup>78</sup></a>, die sich
+n&ouml;rdlich zu West von Fes befinden. Die Aquae Dacicae sollen
+nach dem Itinerarium Antonini 16 Mill. n&ouml;rdlich von Volubilis
+gelegen sein. Die alten Aquae Dacicae, jetzt Ain-Sidi-Yussuf
+genannt, sind heute noch die ber&uuml;hmtesten Thermalen von
+Marokko.</p>
+<blockquote><a name="F078" id="F078"></a>[Fu&szlig;note 78: ain =
+Quelle.]</blockquote>
+<p>Die heutige Stadt Fes wurde nach Leo im Jahr 185 der Hedschra
+von Edris gegr&uuml;ndet, dieser war ein naher Verwandter von
+Harun-al-Raschid und ein noch n&auml;herer von Mohammed selbst,
+denn Edris war Enkel von Ali, dem Schwiegersohn Mohammed's. Edris'
+Vater selbst ist jener Edris-ben-Abd- Allah, der aus Jemen gekommen
+war und sich in Walili niedergelassen hatte, sein Sohn wurde ihm
+erst nach seinem Tode von einer gothischen Sklavin geboren. Renou
+giebt an, Edris habe die Stadt 793 n. Chr. gegr&uuml;ndet, welches
+Jahr mit dem 177. Jahre der Mohammedaner correspondirt Marmol
+l&auml;sst Fes an Jahre 793 n. Chr. erbaut werden, stimmt aber
+irrth&uuml;mlicher Weise dieses Jahr mit dem 185. Jahre der
+Hedschra. W&auml;hrend noch Andere f&uuml;r das Gr&uuml;ndungsjahr
+von Fes 808 n. Chr. ansetzen, verlegt Dapper es auf das Jahr 801 n.
+Chr. Es geht hieraus hervor, dass wir nicht ganz mit Bestimmtheit
+das Jahr angeben k&ouml;nnen, sondern uns damit begn&uuml;gen
+m&uuml;ssen, zu wissen, dass die Stadt gegen das Ende des 8. oder
+im Anfange des 9. Jahrhunderts gegr&uuml;ndet wurde.</p>
+<p>Ebenso unbestimmt sind die Angaben, woher der Name Fes kommt.
+Leo leitet den Namen davon her, weil bei den ersten Grabstichen die
+Gr&uuml;nder Gold, Silber (Fodda oder Fedda) gefunden h&auml;tten;
+Andere meinen, die Stadt habe den Namen vom Fl&uuml;sschen gleichen
+Namens, was die Stadt durchschneidet, noch Andere leiten den Namen
+der Stadt von Fes her, was im Arabischen eine "Hacke" bedeutet. Was
+die Schreibart anbetrifft, so finden wir ebensowenig
+Uebereinstimmung; Einige schreiben Fes, Andere Fas, noch Andere
+Fez, und doch d&uuml;rfte Fes die alleinig richtige sein, wenn wir
+die arabische Schreib- und Aussprechungsweise zu Grunde legen.</p>
+<p>Fes liegt nach Ali Bey auf dem 34&deg; 6' 3" n&ouml;rdl. Breite,
+dem 7&deg; 18' 30" &ouml;stl. L&auml;nge von Paris, und da bis
+jetzt keine anderen Bestimmungen vorliegen, so m&uuml;ssen wir
+diese festhalten.</p>
+<p>Es herrscht eine grosse Confusion &uuml;ber die &ouml;rtliche
+Lage von Fes. So sagt Leo: "Die Stadt besteht fast ganz aus Bergen
+und H&uuml;geln; nur der mittelste Theil ist eben, und Berge sind
+auf allen vier Seiten." Ali Bey: "Die Stadt Fes ist auf den
+Abh&auml;ngen verschiedener H&uuml;gel gelegen, welche die Stadt
+von allen Seiten, mit Ausnahme von Norden her, umgeben." Thatsache
+ist, dass Fes, als Ganzes betrachtet, denn die Stadt besteht aus
+zwei vollkommen getrennten St&auml;dten, von allen Seiten, mit
+Ausnahme vom S&uuml;den her, von Bergen umschlossen ist. Ebenso
+werden die die Stadt durchziehenden Gew&auml;sser unter
+verschiedenen Namen aufgef&uuml;hrt, und es hat dies zum Theil
+seinen Grund darin, dass die Araber in sehr vielen F&auml;llen
+f&uuml;r einen und denselben Fluss verschiedene Benennungen haben,
+je nach seiner Quelle, nach seinem mittleren oder unteren Laufe. So
+hat denn das kleine Fl&uuml;sschen, welches s&uuml;dwestlich von
+Fes etwa 20 Kilometer entfernt entspringt, zuerst den Namen
+Ras-el-ma, &auml;ndert aber den Namen, sobald es die Stadt
+erreicht, in Ued-Fes um; es verbindet sich dieses Fl&uuml;sschen
+mit einem st&auml;rkeren, aus S&uuml;dost kommenden Flusse zwischen
+Neu- und Alt-Fes, und beide durchstr&ouml;men nun die Stadt
+ebenfalls unter dem Namen Ued Fes, um sp&auml;ter Ued Sebu genannt
+zu werden. Der gr&ouml;ssere Fluss, der von S&uuml;d-S&uuml;d-Ost
+in Neu-Fes eindringt, heisst aber oberhalb der Stadt, wie ich auf
+meiner zweiten Reise in Marokko constatiren konnte, ebenfalls Ued
+Sebu. Wenn noch andere Namen aufgef&uuml;hrt werden f&uuml;r diese
+W&auml;sser, als von Renou Oued el Kant'ra (Br&uuml;ckenfluss), von
+dem Renou glaubt, es sei dies der von Edris genannte Fluss Ued
+S'enh&acirc;dja, oder von Graberg von Hems&ouml; Vad-el-Gieuhari
+und Vad-Matrusin, oder von Marmol Ouad-el-Djouhour (Perlenfluss),
+so muss ich gestehen, dass diese Namen mir w&auml;hrend meines
+Aufenthalts in Fes nicht bekannt geworden sind.</p>
+<p>Die Stadt pr&auml;sentirt sich also derart, dass sie fast mit
+von Norden nach S&uuml;den (mit etwas von Nordwest nach S&uuml;dwest
+geneigter) gerichteter Achse gelegen ist und aus zwei St&auml;dten
+besteht, Fes-el-bali<a href="#F079"><sup>79</sup></a>, Alt-Fes, und
+Fes-el-djedid, Neu-Fes. Beide St&auml;dte aber liegen keineswegs
+dicht neben einander, sondern sind durch eine zwei Kilometer lange
+Strasse, aufs dichteste von H&auml;usern bestanden, verbunden, so
+dass es, von oben gesehen, das Aussehen hat wie zwei getrennte
+St&auml;dte, welche communiciren durch eine eng gebaute Strasse.
+Alt-Fes bildet den n&ouml;rdlichen Theil und ist mit Ausnahme von
+S&uuml;den her von Bergen umschlossen, zum Theil namentlich nach
+Osten zu an die Bergwand hinaufgebaut, Neu-Fes bildet den
+s&uuml;dlichen Stadttheil und liegt vollkommen in einer Ebene.
+N&ouml;rdlich von Neu-Fes verbinden sich der Sebu und das von
+Ras-el-ma<a href="#F080"><sup>80</sup></a> kommende W&auml;sserchen, um
+Alt-Fes zu durchfliessen, Alt-Fes wird so in zwei H&auml;lften
+getheilt, durch sechs steinerne Br&uuml;cken mit einander
+verbunden, die westliche Seite ist die kleinere. Beide St&auml;dte
+sind mit 30-40 Fuss hohen Mauern umgeben, welche von etwa 500 zu
+500 Schritt mit viereckigen hervorspringenden Th&uuml;rmen versehen
+sind. Die Mauern sind an der Basis zwei Meter und mehr dick,
+verj&uuml;ngen sich nach oben zu einem Meter, und haben auf der
+Zinne einen Umgang, gesch&uuml;tzt durch eine etwa 5 Fuss hohe und
+1-2 Fuss dicke crenelirte Mauer. Die Th&uuml;rme selbst sind
+eingerichtet, Gesch&uuml;tze aufnehmen zu k&ouml;nnen.</p>
+<blockquote><a name="F079" id="F079"></a>[Fu&szlig;note 79:
+Fes-el-bali sollte eigentlich Fes-el-kedim heissen, denn das Wort
+kedim entspricht genau unserm "alt", w&auml;hrend "bali" mehr das
+"abgen&uuml;tzt" in sich schliesst.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F080" id="F080"></a>[Fu&szlig;note 80:
+Ras-el-ma heisst eigentlich weiter nichts als Kopf des Wassers d.h.
+Quelle.]</blockquote>
+<p>Die Mauer von Alt-Fes sowie die Th&uuml;rme befinden sich in
+&auml;usserst mangelhalftem Zustande, die von Neu-Fes ist besser
+erhalten, und ist an manchen Stellen eine doppelte, so namentlich
+nach S&uuml;dwesten und S&uuml;den zu, wo die &auml;ussere Mauer
+ausserdem 80 Fuss hohe Th&uuml;rme hat.</p>
+<p>Die Mauern sowohl wie die Th&uuml;rme sind aus einer gegossenen
+oder vielmehr gestampften Masse aufgef&uuml;hrt, welche zwischen
+Brettern eingestampft wird und an der Luft, mit Kalk und Cement
+vermischt, eine grosse H&auml;rte erlangt. Die Ecken, Bogen, Seiten
+der Thore sind indess aus behauenen Steinen hergestellt, denn die
+Masse, so widerstandsf&auml;hig sie im grossen Ganzen auch ist, so
+leicht zerbr&ouml;ckelt sie doch an den Ecken und Kanten. Aus eben
+dieser Masse sind auch die meisten grossen Geb&auml;ude
+hergestellt, viele aber auch aus im Feuer gebrannten Ziegeln;
+gerundete Dachziegel endlich sind das Material, das man zur
+Bedeckung der Moscheen genommen hat; die Wohnh&auml;user verlangen
+solche nicht, da alle platte D&auml;cher haben.</p>
+<p>Wenn auf diese Art die Stadt gegen Landesfeinde vollkommen
+gesch&uuml;tzt erscheint&mdash;denn so sehr die Mauern auch Verfall
+drohen, w&uuml;rden sie dennoch Schutz gegen regellose Angriffe
+gew&auml;hren&mdash;, so wenig haltbar w&uuml;rde sich Fes einem
+Angriffe irgend einer europ&auml;ischen Macht gegen&uuml;ber
+zeigen. Selbst die beiden Forts ausserhalb der Stadt tragen nichts
+zum Schutze gegen einen Angriff von aussen her bei, weil sie selbst
+von anderen Anh&ouml;hen von n&auml;chster N&auml;he aus beherrscht
+sind. Das eine dieser Forts liegt im S&uuml;dosten der Stadt auf
+einer Anh&ouml;he und ist ein mit vier Bastionen versehenes
+Viereck, offenbar von ehemaligen europ&auml;ischen Renegaten nach
+Vauban'schem System recht gut angelegt. Im Westen der Stadt auf der
+n&auml;chsten Anh&ouml;he befindet sich eine Lunette, diese
+letztere, nach der Stadt zu in ihrer Kehlseite nur durch Pallisaden
+geschlossen, ist wie das vorhin erw&auml;hnte Quadrilat&auml;r aus
+behauenen Steinen erbaut, und beide sind &uuml;berdies mit tiefen
+Gr&auml;ben versehen. Ob diese Steine, welche grosse Quadern aus
+Sandstein sind, eigens zu diesen Bauten gehauen worden sind oder
+von alten R&ouml;merwerken herstammen, konnte ich nicht erfahren;
+w&auml;re letzteres der Fall, so w&auml;re das ein Beweis mehr, an
+der jetzigen Stelle von Fes eine alte R&ouml;merniederlassung,
+vielleicht Volubilis, suchen zu m&uuml;ssen. Keines der beiden
+Forts hatte Kanonen im Jahr 1861/62, und beide waren auch ohne jede
+Bewachung.</p>
+<p>Die Stadt Fes wird in 18 Quartiere getheilt, von denen zwei auf
+die Neustadt, die &uuml;brigen auf Alt-Fes kommen, davon hat
+Alt-Fes sieben Thore, inclusive des nach der Neustadt zu
+f&uuml;hrenden, w&auml;hrend Neu-Fes nur drei hat, von denen das
+eine auf Alt-Fes gerichtet ist. Der L&auml;nge nach wird die Stadt
+von einer Strasse durchschnitten, welche hinl&auml;nglich breit
+ist, denn &uuml;berall k&ouml;nnen vier oder f&uuml;nf Menschen
+neben einander gehen, oft auch noch mehr. Die G&auml;sschen aber,
+die sich von dieser Hauptstrasse in die verschiedenen Quartiere
+hinschl&auml;ngeln, sind &auml;usserst schmal, manchmal so eng,
+dass zwei sich Begegnende sich an einander vorbeidr&uuml;cken
+m&uuml;ssen. Es sind dann zahlreiche Pl&auml;tze vorhanden, aber
+kein einziger mit Ausnahme des grossen Platzes in Neu-Fes, der sich
+vor dem Palaste des Sultans befindet, welcher mehr als 500 Menschen
+aufnehmen k&ouml;nnte, wenn sie dichtgedr&auml;ngt bei einander
+stehen. Hierdurch erlangt die Stadt ein &auml;usserst d&uuml;steres
+Aussehen, was noch dadurch vermehrt wird, dass kein einziges Haus
+nach der Strassenseite Fenster hat, und fast alle zwei oder drei
+Stockwerke hoch sind.</p>
+<p>Ein grosser Uebelstand ist auch der, dass man gar keine
+Pflasterung in Fes kennt, man ist im Sommer einem entsetzlichen
+Staube ausgesetzt und hat im Winter die gr&ouml;sste M&uuml;he,
+durch den tiefen Schmutz fortzukommen. Gegen diesen haben
+allerdings die Bewohner eine eigene Art Holzschuhe erfunden mit 2-3
+Zoll hohen Abs&auml;tzen unter dem Hacken und den Fussspitzen, aber
+oft reichen selbst diese nicht aus. Auch in Tunis, wo &auml;hnliche
+Verh&auml;ltnisse w&auml;hrend der nassen Jahreszeit sind, hat man
+diese Holzunterschuhe, die unter dem gew&ouml;hnlichen Schuhzeuge
+befestigt werden, und wie alt ihr Gebrauch ist, geht daraus hervor,
+dass schon Leo ihrer erw&auml;hnt.</p>
+<p>Das Innere der H&auml;user ist oft sehr h&uuml;bsch
+eingerichtet, obgleich man nat&uuml;rlich an M&ouml;bel, wie sie
+bei uns in Gebrauch sind, nicht denken muss. Der Marokkaner will
+gar keinen Fortschritt, so wie seine V&auml;ter gelebt haben, will
+auch er leben, und Neuerungen einf&uuml;hren, ist die gr&ouml;sste
+S&uuml;nde. So sind denn auch alle Einrichtungen so, wie sie vor
+Hunderten von Jahren gewesen sind. Gelangt man durch eine starke,
+meist dick mit Eisen beschlagene Th&uuml;r durch einen umgebogenen
+Gang<a href="#F081"><sup>81</sup></a> in das innere einer Wohnung, so kommt
+man zuerst auf einen mehr oder weniger grossen nach oben offenen
+Hofraum, der meist viereckig von Form ist. Bei Reichen und Armen
+ist dieser Raum gepflastert, oft mit Marmorfliessen (weche [welche]
+von Spanien und Portugal kommen), meist aber mit Sleadj. Es sind
+dies kleine Fliesse mit bunt glasirter Farbe, und da sie in
+allerlei Formen hergestellt werden, sternartig, dreieckig,
+viereckig etc., so legen die Erbauer die h&uuml;bschesten Muster
+damit zusammen. Eine einzelne Sleadj ist nicht grosser als 1-2 Zoll
+Seitenl&auml;nge; man verfertigt sie in Fes selbst. Auch die
+Zimmerb&ouml;den sind meist aufs reizendste mit diesen Sleadj
+ausgelegt.</p>
+<blockquote><a name="F081" id="F081"></a>[Fu&szlig;note 81: Ein
+gerader Gang darf von der Strasse nicht ins Innere des Hauses
+f&uuml;hren, weil sonst, bliebe ja einmal aus Versehen die
+Hausth&uuml;r offen stehen, der Blick eines Fremden in den Hofraum
+fallen k&ouml;nnte.]</blockquote>
+<p>In der Mitte des Haushofes befindet sich ein springender oder
+jedenfalls fliessender Quell, auch in der &auml;rmsten Wohnung
+fehlt er nicht. Bei den Reichen befinden sich zu dem Ende meist
+h&uuml;bsche Marmorbecken, welche ebenfalls aus Europa bezogen
+werden, im Hofe. Die Vertheilung des Wassers in der Stadt ist
+n&auml;mlich so ausgezeichnet, dass Can&auml;le weit oberhalb der
+Stadt von den Fl&uuml;ssen abgeleitet sind, und so auch die
+h&ouml;chsten Stadttheile mit reinem Wasser versorgen. In Neu-Fes
+hat man an einem Canal sogar grosse R&auml;der erbaut, welche, wie
+in Italien die Bew&auml;sserungsr&auml;der, mittelst ihrer eigenen
+vom Wasser bewirkten Umdrehung Wasser auf die H&ouml;he schaffen.
+Nach Leo sollen diese Wasserr&auml;der schon 100 Jahre vor seiner
+Ankunft in Fes gewesen sein und von einem Genueser
+herr&uuml;hren.</p>
+<p>Ebenso gut ist f&uuml;r die Abf&uuml;hrung der Unreinigkeiten
+aus den H&auml;usern gesorgt, das lebendige Wasser f&uuml;hrt allen
+Unrath mittelst kleiner unterirdischer Can&auml;le in den Ued
+Fes<a href="#F082"><sup>82</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F082" id="F082"></a>[Fu&szlig;note 82: Leo
+giebt an: es seien &uuml;ber 150 &ouml;ffentliche Latrinen in Fes,
+und s&auml;mmtliche wurden durch fliessendes Wasser von selbst
+reingehalten. Ob so viele in Fes sind, kann ich nicht behaupten,
+jedenfalls wird, da man in allen marokkanischen St&auml;dten, auch
+in den Oasen, &ouml;ffentliche Latrinen findet, auch wohl in Fes
+daf&uuml;r gesorgt sein. Man findet sie &uuml;brigens nicht nur mit
+Moscheen verbunden, sondern h&auml;ufig auch ganz unabh&auml;ngig
+von solchen.]</blockquote>
+<p>Die Zimmer der H&auml;user, von denen sich in der Regel drei
+oder vier auf den Hofraum &ouml;ffnen, sind stets sehr lang, sehr
+hoch, aber auch nie breiter, als dass ein grosser Mensch der Breite
+nach darin liegen kann. Grosse und hohe Th&uuml;ren, wie immer mit
+hufeisenf&ouml;rmigen Bogen f&uuml;hren zu den Zimmern; im Sommer
+und bei gutem Wetter sind sie offen, im Winter verschlossen, und
+man gelangt durch eine kleine Th&uuml;r, eine Art
+Schl&uuml;pfth&uuml;r (Poterne), welche sich in jeder grossen
+befindet, ins Zimmer. An beiden Seiten der Th&uuml;r sind manchmal
+kleine viereckige, oder auch ogivische stark vergitterte Fenster,
+Glasscheiben hat man erst in letzter Zeit angefangen
+einzuf&uuml;hren, M&ouml;bel nach unserem Sinne sind nirgends
+vorbanden. Bei den Reichen findet man Teppiche, Wollmatratzen,
+feine Matten, und auch die W&auml;nde der Zimmer 3-4 Fuss hoch mit
+h&uuml;bschen Matten ausgeschlagen; auch manchmal Betten an den
+Enden der Zimmer auf europ&auml;ischen Bettstellen, aber diese
+werden mehr als Luxus, als Schmuck betrachtet, es w&uuml;rde nie
+Jemandem einfallen, darin zu schlafen.</p>
+<p>Die W&auml;nde der Zimmer sind weiss ausgekalkt, aber unterhalb
+des Plafond laufen manchmal Arabesken herum, oft in Form von
+Koranspr&uuml;chen.</p>
+<p>Die Plafonds der Zimmer sind bunt bemalt, oft azur mit Gold, oft
+aber auch mit Holzschnitzerei bedeckt oder mit Holzst&uuml;ckchen
+ausgelegt. In den W&auml;nden sind h&auml;ufig nischenartige
+Vertiefungen angebracht, welche als Schr&auml;nke dienen; ebenso
+findet man bei der wohlhabenden Classe Holzschr&auml;nke, oft aus
+sehr h&uuml;bschen Holzschnitzwerken gearbeitet, oder mit
+Perlmutterst&uuml;ckchen, Elfenbein oder Ebenholzst&uuml;ckchen
+ausgelegt.</p>
+<p>W&auml;hrend im Hofe rings um die inneren W&auml;nde ein durch
+steinerne S&auml;ulen getragener Bogengang l&auml;uft, der zugleich
+Schatten gegen die senkrechte Sonne gew&auml;hrt, dient dieser
+Bogengang f&uuml;r das zweite Stockwerk als Vorplatz, von dem aus
+man in die Zimmer gelangt; und ist noch ein drittes Stockwerk
+vorhanden, so gehen die Gallerien ebenfalls h&ouml;her. Die oberen
+Zimmer unterscheiden sich in der Anordnung durch nichts von den
+unteren; ganz oben auf dem platten Dache, welches aus gestampfter
+und cementirter Erdmasse besteht, befindet sich manchmal noch ein
+Zimmer, Mensa genannt; hier geben die Frauen vorzugsweise ihre
+Gesellschaften. Der Zugang nach oben geschieht mittelst Treppen,
+die immer sehr schmal, und, wenn im Innern des Hauses, niedrig
+angelegt sind; aber so sehr man darauf sieht, den Raum in Breite
+und H&ouml;he bei der Treppe zu beschr&auml;nken, so wenig sieht
+man darauf, die Abs&auml;tze selbst kurz zu machen; im Gegentheil,
+diese sind so hoch, dass manchmal ein ausserordentlicher
+Kraftaufwand erforderlich wird, um einen Absatz zu ersteigen.</p>
+<p>Von aussen werden die H&auml;user bisweilen durch anstrebende
+Pfeiler verst&auml;rkt oder durch Bogeng&auml;nge
+auseinandergehalten; es tr&auml;gt dies keineswegs dazu bei, die
+ohnehin schon schmalen Gassen passirbarer zu machen, und wo man ja
+einmal eine etwas breitere Strasse antrifft, kann man sicher sein,
+dass die Anwohner dies derart durch Ueberbauen der zweiten und
+dritten Etage benutzt haben, dass die breiteren Strassen hiedurch
+fast zu den dunkelsten gemacht sind.</p>
+<p>Nachts werden nicht nur die Stadtthore geschlossen, sondern auch
+die Thore, welche die verschiedenen Quartiere von einander trennen,
+und da die Quartiere gemeiniglich durch mehrere Strassen mit
+einander communiciren, so kann man sich denken, wie viele Thore
+alle Abende verschlossen werden m&uuml;ssen. Man sagt: es sei dies
+eine Sicherheitsmassregel, und haupts&auml;chlich sei dieselbe
+gegen Diebe gerichtet. In der That wird dadurch alle Communication
+Nachts aufgehoben; nach dem l'Ascha (das letzte Gebet) ist es
+unm&ouml;glich, aus seiner Strasse oder seinem Quartier
+herauszukommen. W&auml;hrend des Chotba-Gebetes am Freitag werden
+ebenfalls alle Thore abgeschlossen, nicht nur in Fes, sondern in
+allen St&auml;dten Marokko's, ja im ganzen Rharb (die arabischen
+Geographen rechnen alles Land westlich vom Nil zum Rharb, d.h. dem
+Westen, alles &ouml;stlich davon zum Schirg, d.h. dem Osten)
+herrscht diese Sitte, wie ich sp&auml;ter in Rhadames, Tripolis,
+Bengasi, Tunis und anderen St&auml;dten zu erfahren Gelegenheit
+hatte. Es soll dies deshalb geschehen, weil einer alten Sage zu
+Folge sich um die Zeit des Chotba- Gebetes die Christen der
+mohammedanischen St&auml;dte bem&auml;chtigen w&uuml;rden.
+Wahrscheinlich ist es aber ein alter Brauch der Regierungen, die
+sich dann mit ihrer ganzen Macht in den Moscheen befinden und sich
+so gegen ihr eigenes Volk sichern wollen.</p>
+<p>An &ouml;ffentlichen Geb&auml;uden der Stadt sind die
+Pal&auml;ste des Sultans, die Moscheen, die Funduks, B&auml;der und
+Grabst&auml;tten hervorzuheben.</p>
+<p>Der grosse Palast des Sultans nimmt den ganzen
+s&uuml;dwestlichen Theil von Neu- Fes ein; von dem Innern dieses
+Geb&auml;udes kann ich nur wenig berichten, da ich hier nicht dem
+Leser die &uuml;bertriebenen Beschreibungen der Bewohner von Fes
+wiedergeben mag, die mehr nach Fabeln aus 1001 Nacht klingen, als
+auf Wirklichkeit beruhen. Grossartige Ruinen deuten allerdings auf
+einstige grossartige Bauten hin, aber <i>alle</i> Bauten der
+Mohammedaner haben das Eigenth&uuml;mliche, dass sie meist schon
+<i>gleich</i> nach dem Entstehen ein ruinenhaftes Aussehen
+bekommen. Der Palast besteht eigentlich aus weiter nichts als
+vielen grossen mit Arkaden versehenen H&ouml;fen mit Springbrunnen,
+auf welche sich die Zimmer &ouml;ffnen, Pferdest&auml;lle,
+Bedientenstuben, Wachtzimmer, Empfangsh&ouml;fe&mdash;diar el
+meshuar genannt&mdash;wechseln damit ab. An der
+s&uuml;d&ouml;stlichen Ecke, durch hohe Mauern von den &uuml;brigen
+Theilen des Palais getrennt, befindet sich das Harem, welches Platz
+f&uuml;r mehr als 1000 Frauen hat. Zwischen der kaiserlichen
+Wohnung und der s&uuml;dwestlichen Stadtmauer befindet sich ein
+grosser Garten, in welchen ich mehrere Male Zutritt bekam. Man
+findet hier fast alle feineren europ&auml;ischen Gem&uuml;se, auch
+Blumenkohl, Artischocken und dgl. Von langen geraden G&auml;ngen
+durchschnitten, sind diese an den Seiten eingefasst von Beeten mit
+Rosen, Jasmin und Luisa, und fast alle Wege sind zu Tunnels und
+Laubeng&auml;ngen umgeschaffen, wo die rankenden Weinreben
+k&uuml;hlenden Schatten gew&auml;hren. Eine kleine Veranda, vor
+einem Theil des Palais gelegen&mdash;und davor ein besonderes
+abgeschlossenes G&auml;rtchen, worin nur Blumen gezogen werden,
+dienen zum Privatgebrauche des Kaisers.</p>
+<p>Ein zweiter Palast des Sultans ist zwischen Neu- und Alt-Fes
+gelegen und hat den etwas sonderbaren Namen Bu-Djelud<a href=
+"#F083"><sup>83</sup></a>. Es ist dies, abgesehen von dem halbverfallenen
+Aussehen, ein h&uuml;bsches Geb&auml;ude, und,
+eigenth&uuml;mlicherweise im Renaissancestyl, vermischt mit
+maurischer Architektur errichtet, was wohl daher r&uuml;hrt, dass
+europ&auml;ische Renegaten die Erbauer waren. Es gelang mir leider
+nicht (da der Sultan in Mikenes war), in das Innere zu kommen;
+ebenso war mir auch der Garten verschlossen, welcher damit
+verbunden ist, und dessen herrliche Baumgruppen, aus denen schlanke
+Palmen hervorragten, ich oft im Vor&uuml;bergehen bewunderte.
+Dieser Garten war den Damen des Harems reservirt.</p>
+<blockquote><a name="F083" id="F083"></a>[Fu&szlig;note 83:
+Bu-Djelud heisst Vater der Felle; wahrscheinlich befand sich hier
+am Flusse&mdash;denn dieser Palast liegt hart am
+Ued-Sebu&mdash;eine Gerberei. Eine &auml;hnlich sonderbare
+Benennung hat ja auch der Palast der franz&ouml;sischen Herrscher
+in Paris: Tuilerie.]</blockquote>
+<p>Eine halbe Stunde von Neu-Fes entfernt, nach dem S&uuml;den zu,
+befindet sich eine sultanatliche Wohnung, von einem &auml;usserst
+grossen und mit hoher Mauer umringten Garten umgeben; in diesem
+Geb&auml;ude h&auml;lt sich der Sultan manchmal auf, um die
+Sommerfrische zu geniessen; zum Theil wohnen sodann die Minister,
+die Grossen des Reichs, die Gouverneure der Provinzen, welche zum
+Besuch anwesend sind, mit in dem weitl&auml;ufigen Geb&auml;ude,
+zum Theil campiren sie in ihren Zelten ausserhalb des Gartens.</p>
+<p>Zwischen diesem Landsitz in Neu-Fes ist auch gew&ouml;hnlich die
+Mhalla, d.h. der Lagerplatz des Heeres. Dieses muss immer da sein,
+wo der Sultan sich aufh&auml;lt; und da in Neu-Fes f&uuml;r die
+Truppen, welche der Sultan immer um sich hat, nicht
+hinl&auml;nglich Platz ist, so campiren sie hier unter Zelten. Von
+Weitem gesehen, sieht dieses Zeltlager, inmitten der gr&uuml;nen
+Wiesen, durchschl&auml;ngelt vom Ued-Fes, sehr malerisch aus, aber
+im Innern herrscht die gr&ouml;sste Unreinlichkeit und
+Verwirrung.</p>
+<p>Die stehende Macht des Sultans bestand 1862 aus etwa 4000
+Infanteristen, welche aufs bunteste cost&uuml;mirt sind.
+Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman, jetziger Sultan und derselbe, dem
+zu Lebzeiten seines Vaters eine so empfindliche Niederlage durch
+den Marschall Bugeaud bei Isly<a href="#F084"><sup>84</sup></a> beigebracht
+wurde, war im Feldzuge gegen die Spanier nicht gl&uuml;cklicher
+gewesen. Indess hatte er so viel Einsehen bekommen, dass er
+begriff, mit seinen regellosen Schaaren nicht gegen
+europ&auml;ische Streitkr&auml;fte k&auml;mpfen zu k&ouml;nnen.</p>
+<blockquote><a name="F084" id="F084"></a>[Fu&szlig;note 84: Am 14.
+August 1844. Der jetzige Sultan entkam seiner Gefangennahme nur
+dadurch, dass er beim Eindringen der Franzosen in sein Zelt dieses
+mit dem S&auml;bel schlitzte, und aufs Pferd sich schwingend, von
+diesem aus dem Bereich der Feinde getragen wurde.]</blockquote>
+<p>Er glaubte nun ein regelm&auml;ssiges stehendes Heer zu haben,
+wenn er Leute auf europ&auml;ische Art uniformiren liess, und so
+sah man hier Uniformst&uuml;cke s&auml;mmtlicher Nationen,
+gemeinsam ist allen nur der rothe Fes und die gelben Pantoffeln;
+auch hatte man angefangen, kurze bis an die Knie gehende Hosen
+einzuf&uuml;hren, da es den Berbern und Arabern unm&ouml;glich
+schien, lange Hosen zu tragen. Diese Infanterie ist in vier Theile
+oder Bataillone getheilt, je von einem "Agha" commandirt,
+untergetheilt sind sie wieder in vier Abtheilungen, denen ein Kaid
+(Hauptmann) vorsteht, und noch kleinere Abtheilungen werden von
+Califat-el-kaid (Lieutenants) und Mkadem (Unterofficier)
+commandirt. Die Mannschaft selbst besteht aus Berbern, Arabern,
+Negern und spanischen Renegaten, welche letztere Str&auml;flinge
+von Ceuta, Penon oder Mellila her desertiren. Diese Renegaten sind
+vorzugsweise Hornisten, Tamboure oder bei der Capelle angestellt.
+Denn da die englische Regierung die Instrumente geschenkt hat, so
+hat der Sultan eine Capelle einrichten lassen, welche aber auf noch
+viel haarstr&auml;ubendere Art deutsche Walzer oder italienische
+St&uuml;cke zum Besten giebt, als die t&uuml;rkischen Regimenter.
+Die Capelle hat 24 Mitglieder, w&auml;hrend der Hornisten und
+Tamboure f&uuml;r jede Compagnie je zwei vorhanden sind. Die
+Trommeln sind &auml;hnlich wie die des deutschen Heeres, die
+H&ouml;rner sind gleich denen der Engl&auml;nder.</p>
+<p>Die Bewaffnung besteht aus alten franz&ouml;sischen
+Steinschlossgewehren, fast alle mit der Jahreszahl 1813. Der
+Sultan, hat diese im Preise von 40 Fr. das St&uuml;ck kaufen lassen
+(er h&auml;tte daf&uuml;r auch Z&uuml;ndnadeln bekommen
+k&ouml;nnen), aber die Zwischenh&auml;ndler haben ihr Profitchen
+dabei gemacht. Das Commando geschieht in t&uuml;rkischer Sprache,
+was den Uebelstand f&uuml;r den Soldaten hat, dass derselbe das
+Commando nur mechanisch verstehen lernt. Jede Compagnie hat eine
+Fahne, jedes Bataillon (ich nenne so die vom "Agha" commandirte
+Atheilung [Abtheilung]) eine etwas gr&ouml;ssere, die Farben der
+Fahnen sind roth, gelb, blau, je nachdem der Chef Vorliebe f&uuml;r
+diese oder jene Farbe hat.</p>
+<p>Der gemeine Soldat bekommt sechs Mosonat L&ouml;hnung, und muss
+sich hierf&uuml;r Alles halten, was bei den billigen
+Verh&auml;ltnissen in Marokko auch recht gut angeht, zumal die
+Kleidung vom Sultan geliefert wird. Die h&ouml;heren Stellen sind
+allerdings nicht besonders bezahlt, so bekommt ein Agha,
+Bataillonschef, nur ein Metcal t&auml;glich (= 40 Mosonat oder etwa
+= 2 Francs). Da diese aber ausser den Pferderationen Korn, Aecker
+und Vieh vom Sultan bekommen, &uuml;berdies die Gelder der
+beurlaubten Soldaten zum gr&ouml;ssten Theil in ihre Tasche
+fliessen, so stehen sie sich nicht schlecht. Denn von 1000 Mann,
+die ein Agha commandirt, sind h&ouml;chstens 800 zur Stelle, die
+200 fehlenden werden aber gef&uuml;hrt, und der Sold davon
+t&auml;glich vom "Amin el Lascari," d.h. dem Zahlmeister,
+bezogen.</p>
+<p>Man kann sich einen Begriff von dieser regelm&auml;ssigen Armee,
+welche aus den gr&ouml;ssten Taugenichtsen des ganzen Reiches
+zusammengesetzt ist, machen, wenn ich einige kurze Personalnotizen
+der Befehlshaber, mit denen ich bekannt wurde, hier gebe.</p>
+<p>Der Agha des einen Bataillons war ehedem ein Verk&auml;ufer von
+roher Seide und Seidengarn in Fes, Namens Hadj-Asus, er verdankte
+seine Stellung bloss dem Umstande, dass er Hadj, d.h. Pilger nach
+Mekka war. Marokko, welches so weit von Mekka entfernt liegt, hat
+verh&auml;ltnissm&auml;ssig nur wenig Pilger aufzuweisen, und
+obgleich die Dampfer jetzt die frommen Gl&auml;ubigen auf
+erstaunlich billige Weise von Tanger nach Alexandria und von da
+nach Djedda schaffen, so hat dadurch keineswegs die Zahl der Pilger
+zugenommen, weil eine Dampfschifffahrt nicht als so verdienstlich
+angesehen wird<a href="#F085"><sup>85</sup></a> wie eine Pilgerfahrt zu
+Fusse. Und die grosse Landpilgerkarawane, welche fr&uuml;her
+j&auml;hrlich von Fes, Maraksch und Tafilet abging, hat f&uuml;r
+die ersten beiden Orte zu existiren aufgeh&ouml;rt.</p>
+<blockquote><a name="F085" id="F085"></a>[Fu&szlig;note 85: Eine
+Dampfwallfahrt bei den Christen wird ebenfalls bedeutend geringer
+angerechnet, als wenn man den Wallfahrtsort auf Erbsen rutschend
+erreicht, wir d&uuml;rfen uns also keineswegs hierin &uuml;ber die
+Mohammedaner wundern oder gar lustig machen.]</blockquote>
+<p>Der zweite Agha, ein gewisser Si-Hammuda, geborener Algeriner,
+hat sich dadurch seine Stellung erworben, weil er ein
+franz&ouml;sischer Proscribirter ist; seinem Stande nach schwang
+er, ehe der Sultan das Schwert ihm in die Hand gab, die Elle. Der
+dritte Agha, ein gewisser Si-Mohammed-Chodja, ein geborener
+Tunesier, weiss wohl selbst nicht, wie er zum Milit&auml;rstande
+gekommen ist, er ist von Haus aus Thaleb, d.h. Schriftgelehrter.
+Der vierte und letzte Agha ist ein gewisser Ben-Kadur; von Haus aus
+Kaid einer Bergtribe, sind diesem letzteren wenigstens nicht
+kriegerische Eigenschaften abzusprechen, aber vom eigentlichen
+europ&auml;ischen Milit&auml;rwesen hat er ebensowenig einen
+Begriff wie die &uuml;brigen. Ich k&ouml;nnte, da ich Gelegenheit
+hatte, alle Kaids kennen zu lernen, so fortfahren, aber dies wird
+gen&uuml;gen.</p>
+<p>Indess sei noch erw&auml;hnt, dass zwei wirkliche
+franz&ouml;sische Officiere, Eingeborne der Tirailleurs
+indig&egrave;nes, es nie weiter bringen konnten als zum Lieutenant,
+weil sie im Verdachte standen Christen zu sein, w&auml;hrend ein
+anderer, ein "Sussi", Herumstreicher (Eingeborne aus der Provinz
+Sus), gleich zum Hauptmann oder Kaid ernannt wurde. Da diese
+Ernennung w&auml;hrend meiner Anwesenheit in Fes erfolgte, so kann
+ich hier anf&uuml;hren, dass sie aus dem Grunde geschah, weil
+dieser "Sussi" vor den Augen des Sultans in
+Seilt&auml;nzerkunstst&uuml;cken sich ausgezeichnet hatte. Er hatte
+ehedem einer Gesellschaft angeh&ouml;rt, wie sie h&auml;ufig aus
+dem Sus kommen, und mit dieser nicht nur die ganze mohammedanische
+Welt, sondern auch ganz Europa durchzogen; so behauptete er auch in
+Deutschland gewesen zu sein, und da er mir mehrere St&auml;dte
+Deutschlands mit Namen nennen konnte, musste ich es wohl glauben,
+denn welcher andere Marokkaner h&auml;tte eine deutsche Stadt
+namentlich gekannt; das geographische Wissen der gr&ouml;ssten
+marokkanischen Gelehrten, soweit es Europa betrifft,
+beschr&auml;nkt sich auf Baris (Paris), Lundres (London), Manta
+(Malta), Blad Andalus (Spanien), Bortugan (Portugal), Musgu
+(Russland), Nemsa (Deutschland) und Stambul (Konstantinopel). Kann
+ein Thaleb oder Faki der Reihe nach diese Namen auskramen, so
+glaubt er wenigstens ein Humboldt oder Ritter zu sein.</p>
+<p>Man&ouml;vrirt wird denn auch nie mit dieser oben geschilderten
+"regelm&auml;ssigen" Truppe, und die Exercitien beschr&auml;nken
+sich auf Paradem&auml;rsche, auf ssalam dur (pr&auml;sentirt das
+Gewehr) und einige andere Griffe. Ein grosser Uebelstand ist, dass
+die meisten Soldaten verheirathet sind und Kinder haben, viele auch
+Sklaven besitzen, kurz man kann sagen, dass der Sultan mit seiner
+bunt nach aller Herren L&auml;nder Art uniformirten Truppe sich
+keineswegs eine regelm&auml;ssige Armee oder nur den Kern dazu
+geschaffen hat. Aber die seit Jahrhunderten bestehende
+Unfehlbarkeit des Sultans hat dazu gef&uuml;hrt, dass diese
+Pers&ouml;nlichkeiten anfangen sich selbst f&uuml;r unfehlbar zu
+halten, und der Sultan glaubt in der That mit der Ernennung irgend
+eines Menschen zum Bataillonschef wirklich dadurch einen
+t&uuml;chtigen Chef gemacht zu haben.</p>
+<p>Besser ist die Cavallerie organisirt (nach Sir Drummond Hay
+16000 Mann stark), weil sie auf einheimische Verh&auml;ltnisse
+basirt ist. Die Cavalleristen bekommen zwei Mosonat t&auml;glich
+mehr, als die Infanteristen, haben aber daf&uuml;r ihre Pferde zu
+unterhalten. Sie sind eingetheilt in kleine Truppen von 50-60
+Pferden, welche einem Kaid untergeben sind. Das Commando ist hier
+arabisch. Der Cavallerist hat eine lange Steinschlossflinte und
+einen ziemlich geraden S&auml;bel als Bewaffnung; wer sich selbst 1
+oder 2 Pistolen anschafft, glaubt dann aufs vollkommenste
+ausger&uuml;stet zu sein. Der S&auml;bel wird an einer seidenen
+oder baumwollenen Schnur von der rechten Schulter zur linken Seite
+herabh&auml;ngend getragen. Die S&auml;ttel sind jene mit hohen
+Lehnen nach hinten, mit hohem Knaufe nach vorne versehenen und
+allgemein unter Arabern und Berbern gebr&auml;uchlichen. Von
+Exercitien und Man&ouml;vern ist bei der Cavallerie noch weniger
+die Rede, die ganze Kunst des Cavalleristen beschr&auml;nkt sich
+darauf, im schnellsten Laufe das Pferd fortzureiten und
+w&auml;hrend des Rittes die Flinte abzufeuern. Da die grossen
+Steigb&uuml;gel sehr kurz h&auml;ngen und so eingerichtet sind,
+dass der ganze Fuss darin Platz hat, so <i>stehen</i> beim
+schnellen Reiten meistens die Cavalleristen. Auf diese Art wird
+auch der Angriff gemacht, man saust mit Windeseile heran, schiesst
+ohne zu zielen das Gewehr ab, und das dann von selbst wendende
+Pferd tr&auml;gt den Angreifer zur&uuml;ck. Die Cavallerie hat nur
+Hengste.</p>
+<p>Seit dem Kriege mit Spanien hat der Sultan von Marokko auch
+Feldartillerie angeschafft, aber eben so ungl&uuml;cklich berathen
+wie in Beschaffung seiner Uniformst&uuml;cke, hat er wohl kein
+einziges Gesch&uuml;tz, welches dem andern gleich w&auml;re. Die
+Artilleristen, welche diese Kanonen zu bedienen haben, sind fast
+alle spanische Renegaten; auch einen Franzosen fand ich dort, der
+Hauptmann war, und einen Deutschen, der in der Heimath
+Maurergeselle gewesen, die Kelle mit der Kanone vertauscht und von
+Sidi Mohammed, dem Hakem el mumenin (Beherrscher der
+Gl&auml;ubigen), dem er verschiedene Arbeiten in seinem Palais
+aufgemauert hatte, zum Kaid el Tobdjieh, d.h. zum
+Artillerie-Hauptmann war ernannt worden. Ich brauche wohl kaum
+hinzuzuf&uuml;gen, dass alle diese Renegaten dort verheirathet
+sind, mithin factisch und f&uuml;r immer sich zu marokkanischen
+B&uuml;rgern erkl&auml;rt haben. Einem einzigen Europ&auml;er
+gelang es jedoch, sich eine achtenswerthe Stellung in Marokko zu
+erringen. Freilich war auch dieser nur zum Schein Mohammedaner
+geworden, und, zugleich mit mir die Hauptstadt Fes betretend, hat
+er jetzt seit langem Marokko den R&uuml;cken gekehrt. Es ist dies
+der Spanier Joachim Gatell, der in Marokko den Namen Ismael
+angenommen hatte. Da in seiner Beschreibung "L'ouad Noun et el
+Tekna" eine interessante Schilderung des marokkanischen
+Kriegslebens enthalten ist, so lasse ich sie hier &uuml;bersetzt
+aus den Bulletins de la Soci&eacute;t&eacute; de Geographie de
+Paris folgen.</p>
+<p>Auf der 279. Seite erz&auml;hlt Gatell: "Im Jahr 1861 war so
+eben der Krieg zwischen Spanien und Marokko beendet. Die
+Erz&auml;hlungen, welche man zu der Zeit vom marokkanischen Volke
+machte, von den Sitten, vom Muthe, den barbarischen
+Gebr&auml;uchen, dem Fanatismus der Bewohner, erregten in mir die
+Idee in das Innere des Landes einzudringen, trotz der
+F&auml;hrlichkeiten, denen ich dabei ausgesetzt sein konnte. Ich
+reiste also nach Fes ab, wo sich der Hof befand, und, um besser
+meine Absicht zu erreichen, trat ich in die regelm&auml;ssige Armee
+des Sultans. Obschon ich nur &auml;usserst wenig vom Waffenhandwerk
+verstand, wurde ich gleich zum Officier bef&ouml;rdert." Nach einer
+Schilderung der Campagne gegen die Beni Hassen, wobei Gatell zum
+Chef der "Garde-Artillerie" des Sultans ernannt wurde, f&auml;hrt
+er fort die Expedition gegen die Rhamena zu schildern: "Wir hatten
+29 St&uuml;ck, einen M&ouml;rser eingeschlossen; aus den Magazinen
+von Arbat nahmen wir 55 Centner Pulver in F&auml;ssern, und
+ausserdem eine Menge fertiger Munition in Kisten mit, und fingen so
+an die Aufst&auml;ndischen zu verfolgen.["] Ein Theil der
+Seragua-Kabylen vereinigte sich so eben mit den Rhamena, nichts
+desto weniger ging auch jetzt die kaiserliche Armee mit
+marokkanischer W&uuml;rde und Langsamkeit vorw&auml;rts: es schien,
+als wenn wir einen Spaziergang im Sonnenschein zu machen,
+keineswegs aber den Feind anzugreifen h&auml;tten. Die Hauptstadt
+war bedroht, aber um eine solche Kleinigkeit k&uuml;mmern sich dort
+die Leute nicht. "&mdash;Wir werden zeitig genug ankommen, und wenn
+nicht, so ist es Gottes Wille. Die marokkanische Majest&auml;t darf
+nie Eile zeigen, oder auch nur den Anschein haben sich zu sehr um
+den Gang der Ereignisse zu k&uuml;mmern." Gatell erz&auml;hlt
+sodann, wie man nicht den Bewohnern den Krieg machte, sondern den
+Getreidefeldern, welche angez&uuml;ndet wurden, und als sie endlich
+vier Stunden von Marokko im Angesichte der Rhamena waren, die
+Aufst&auml;ndischen auseinandergesprengt wurden; hiebei feuerte die
+Artillerie 15 Sch&uuml;sse ab und warf 8 Bomben.</p>
+<p>Was die sogenannte schwarze Garde des Sultans von Marokko
+anbetrifft, die "Buchari," die unter den fr&uuml;heren Kaisern,
+namentlich unter Mulei Ismael eine so grosse Rolle spielte, so ist
+dieselbe heute sehr zusammengeschmolzen; kaum einige hundert Mann
+stark, dient sie jetzt nur zu Prunkaufz&uuml;gen, und scheint gegen
+den Feind nicht mehr verwendet zu werden, wenigstens nahmen die
+Buchari am Kriege gegen Spanien keinen Antheil. Dem ganzen Heere
+steht ein Schwarzer, Namens Abd-Allah, als Kriegsminister vor, er
+hat das Verdienst ehemals als Sklave mit dem jetzigen Sultan
+auferzogen worden zu sein. Unter ihm stehen verschiedene "Amin,"
+welche f&uuml;r die geldlichen und sonstigen Angelegenheiten der
+Armee zu sorgen haben. Nach diesem Besuche bei der Armee wenden wir
+uns wieder zur Stadt Fes zur&uuml;ck.</p>
+<p>Von den &uuml;brigen erw&auml;hnenswerthen Geb&auml;uden haben
+wir nur zwei Moscheen zu nennen. Es ist dies zun&auml;chst die
+Djemma Karubin (die den Cherubim gewidmete Moschee). Diese Moschee
+ist wohl die gr&ouml;sste in ganz Nordafrika. Die Bewohner Fes'
+behaupten, sie ruhe auf mehr als 360 S&auml;ulen, ja Einige
+sprachen von 800; ich konnte mich nat&uuml;rlich nicht daran machen
+sie zu z&auml;hlen, aber wenn man von dem Hofe der Moschee ins
+Innere sieht, glaubt man einen Wald von S&auml;ulen vor sich zu
+haben. Wenn man der Beschreibung von Leo trauen darf, so hat die
+Djemma 31 grosse Thore, das Dach ruht auf 38 Bogen der L&auml;nge
+und 20 Bogen der Breite nach; es w&uuml;rde dies schon &uuml;ber
+900 S&auml;ulen ergeben. Ali Bey giebt 300 S&auml;ulen an.</p>
+<p>Die Moschee Karubin liegt ziemlich im Mittelpunkt von Alt-Fes,
+und ist wie fast alle Moscheen derart gebaut, dass sie aus einem
+grossen, von hohen Mauern und Arkaden umgebenen Hofraum und aus
+einem bedeckten Theile besteht, der eigentlichen Moschee. Ganz aus
+&uuml;berkalkten Ziegeln erbaut, ist das Dach, oder vielmehr sind
+die Dachreihen ebenfalls mit Ziegeln &agrave; cheval gedeckt, und
+nicht glatt. Das ziemlich hohe Minerat ist, wie &uuml;berall in
+Marokko, &auml;usserst plump und vierseitig aufgef&uuml;hrt. Im
+Hofe des Geb&auml;udes springen aus zwei reizenden und grossartigen
+Marmorfontainen Wasserstrahlen, &uuml;berhaupt sind die
+Wasseranlagen, die kleinen H&auml;uschen, worin die vor dem Gebete
+nothwendigen Ablutionen verrichtet werden, ausgezeichnet und
+zahlreich.</p>
+<p>Der verdeckte Theil der Moschee hat wie alle diese Geb&auml;ude
+vollkommen nackte gegypste W&auml;nde, der ganze Fussboden ist aber
+zum Theil mit kostbaren Teppichen, und &uuml;berall wenigstens mit
+feinen Matten belegt. Auch an den W&auml;nden und um die
+S&auml;ulen ziehen sich halbmannshoch h&uuml;bsche Strohmatten
+hinauf. Wie in allen Moscheen des Rharb ist an und in der
+&ouml;stlichen Wand die Nische, welche die Gebetsrichtung "Kibla"
+angiebt. Gleich links davon ist eine Treppe, von welcher herab
+Freitags das Chotba-Gebet abgelesen wird. Der erste Priester der
+Moschee tritt nach einem kurzen Gebet, mit einem langen Stock in
+der rechten Hand versehen, auf die dritte Stufe (die Treppe
+enth&auml;lt f&uuml;nf oder sechs Stufen), und liest dann mit
+einf&ouml;rmiger Stimme das Freitagsgebet ab, der Schluss ist immer
+von einem Gebete f&uuml;r den jemaligen Regenten begleitet; im
+ganzen Rharb, d.h. Marokko, und auch in den s&uuml;dalgerischen
+Ortschaften bezieht sich das Gebet auf Mohammed-ben-Abd- er-Rhaman,
+im Osten aber, incl. Tunis und Aegypten, auf Abd-ul-Asis-Chan. Ob
+die Mohammedaner in Algerien, wie fr&uuml;her f&uuml;r den
+T&uuml;rkensultan, heute noch f&uuml;r denselben F&uuml;rsten den
+Segen herabflehen, oder f&uuml;r den jemaligen franz&ouml;sischen
+Regenten, kann ich nicht sagen.</p>
+<p>Die Moschee Karubin hat das Eigenth&uuml;mliche, dass
+<i>mehrere</i> Mimber oder Gebetstreppen vorhanden sind. Freitags
+zum Chotba-Gebet wird allerdings nur die eine links von der
+Gebetsnische befindliche benutzt, aber die &uuml;brigen dienen als
+Lehrst&uuml;hle, von denen aus zu sonstiger Zeit den Gl&auml;ubigen
+gepredigt und gelehrt wird. Wenn aber Ali Bey meint, nur die
+Karubin, habe den Vorzug eine besondere Abtheilung f&uuml;r Frauen
+zu haben, und es sei dies zu verwundern, weil Mohammed den Frauen
+im Paradiese keinen Platz zuerkannt habe, so kann ich entgegnen,
+dass die Frauen in allen Moscheen Zutritt haben. F&uuml;r
+gew&ouml;hnlich gehen die mohammedanischen Frauen allerdings Behuf
+des Gebetes nicht in die Moschee, keineswegs aber ist den Frauen
+die Moschee verboten, ebensowenig wie den Frauen das Mekka-Pilgern
+verboten ist. Es ist ein Irrthum zu glauben Mohammed habe den
+Frauen das Paradies verschlossen, in der 17. Sure heisst es
+w&ouml;rtlich<a href="#F086"><sup>86</sup></a>: "die in Geduld ausharren,
+werden wir mit herrlichem Lohn ihr Thun belohnen. Wer rechtschaffen
+handelt, <i>sei es Mann oder Frau</i>, und sonst gl&auml;ubig ist,
+wollen wir ein <i>gl&uuml;ckliches Leben</i> geben, und ausserdem
+noch mit <i>herrlichem Lohn</i> sein Thun vergelten." Und an vielen
+anderen Stellen im Koran, namentlich noch in der 13. Sure
+erw&auml;hnt Mohammed der Frauen als Theilnehmer der
+zuk&uuml;nftigen Paradiesesfreuden.</p>
+<blockquote><a name="F086" id="F086"></a>[Fu&szlig;note 86:
+Uebersetzung des Koran von Dr. Ullmann, Bielefeld,
+1867.]</blockquote>
+<p>Was die Architektur der grossen Karubin anbetrifft, so ist
+dieselbe keineswegs eine sch&ouml;ne zu nennen. Zumal von aussen,
+wo dies grosse Geb&auml;ude eingepfercht zwischen Buden und
+H&auml;usern sich befindet, nimmt es sich h&ouml;chst
+unvortheilhaft aus, &uuml;berdies lassen sich immer nur einzelne
+Partien, da wo Thore sind, &uuml;berblicken. Aber selbst wenn die
+Karubin frei st&auml;nde, w&uuml;rde sie sehr unharmonisch
+aussehen, da die einzelnen Theile in gar keinem Verh&auml;ltniss
+zum Ganzen stehen. Die H&ouml;he der Moschee, die H&ouml;he der
+S&auml;ulen, etwa 20 Fuss hoch, ist viel zu gering zur kolossalen
+Baute, um einen guten Anblick zu gew&auml;hren. Der Hof w&uuml;rde
+einen vorteilhaften Eindruck machen, erh&ouml;ht durch die beiden
+herrlich skulptirten Marmorfontainen (diese sind nach den Aussagen
+der Bewohner von Fes von europ&auml;ischen Renegaten gemeisselt),
+wenn nicht hier dieselben Missverh&auml;ltnisse zu Tage
+tr&auml;ten. Dazu kommt noch, dass der Mohammedaner, und namentlich
+der Araber, der geschworenste Feind von Symmetrie ist. Hier stehen
+zwei S&auml;ulen 8 Fuss, dort 7 Fuss auseinander, hier ist eine
+S&auml;ule 21 Fuss hoch, dort 20 oder 22 Fuss. Hier ist eine
+einfache, dort eine Doppels&auml;ule, hier hat eine S&auml;ule,
+dort keine ein Capit&auml;l. Dazu sieht das Ganze so gedr&uuml;ckt
+aus, als wenn Alles halb in den Boden hinein versunken
+w&auml;re.</p>
+<p>Es ist in keiner Zeichnung bis heute den Arabern gelungen etwas
+Symmetrisches zu schaffen, und im Grossen wie im Kleinen, in der
+Baukunst, in der Weberei, in ihren Arabesken, in ihren
+Holzschnitzereien, in ihrer Plafondirung, in ihrer Parquetirung,
+&uuml;berall tritt uns die Unregelm&auml;ssigkeit st&ouml;rend
+entgegen. Es giebt keinen einzigen von Arabern gewebten Teppich,
+dessen Muster so wie es angefangen zu Ende gef&uuml;hrt ist, es
+giebt kein Zelt, welches aus gleichm&auml;ssig gewebten
+St&uuml;cken vollendet ist, ein arabischer Haik (d.h. Tuch) hat
+sicher, falls an der einen Seite 3 Streifen als Einfassung sind, an
+der anderen 2 oder 4, es giebt keine Th&uuml;r, die eine vollkommen
+durchgef&uuml;hrte Holzschnitzerei aufzuweisen h&auml;tte, und es
+giebt keinen einzigen Bau, der einen vollkommen durchgef&uuml;hrten
+Plan erkennen liesse. Ich kann, nicht umhin hier anzuf&uuml;hren,
+dass wir da, wo die Araber allein gebaut haben, nirgends ein
+vollkommen sch&ouml;nes Product der sogenannten maurischen
+Architektur vorfinden. An der ganzen Nordk&uuml;ste von Afrika
+finden wir nirgends eine Baute, die sich durch vollkommene
+Sch&ouml;nheit auszeichnete, in ihrem eigenen Vaterlande noch
+weniger. Aus den Abbildungen von Niebuhr ersehen wir, dass die
+Moscheen von Mekka und Medina plumpe, rohe Geb&auml;ude sind.
+Vollkommen sch&ouml;ne maurische Geb&auml;ude finden wir nur da, wo
+die Araber mit Christen untermischt sesshaft waren: in Spanien und
+Syrien. M&ouml;glicherweise m&ouml;gen christliche Architekten,
+christliche Handwerker und Sklaven mehr ihre Hand dabei im Spiele
+gehabt haben, als wir heute wissen. Es k&ouml;nnte nach vier- oder
+f&uuml;nfhundert Jahren mit den Prachtbauten, die von Mohammed Ali
+Pascha bis auf Ismael Pascha in Aegypten errichtet werden, ebenso
+ergehen, d.h. k&auml;men unsere Nachkommen nach einer solchen
+Spanne Zeit nach Aegypten, so w&uuml;rden sie sagen, dass die
+Aegypter unserer Tage es wohl verstanden h&auml;tten, in der
+maurischen Architektur Prachtbauten zu errichten. Heute aber haben
+wir gl&uuml;cklicherweise feste und t&auml;gliche geschichtliche
+Aufzeichnungen, wir wissen, dass die Moscheen und Pal&auml;ste in
+Aegypten, die in diesem Jahrhundert dort erbaut wurden, nicht von
+Arabern oder Aegyptern herr&uuml;hren, sondern von
+europ&auml;ischen Architekten und Handwerkern errichtet worden
+sind; ich nenne unter ersteren bloss Hrn. Franz von Darmstadt und
+den verewigten v. Diebitsch von Berlin.</p>
+<p>Mit der Karubin ist ein Geb&auml;ude verbunden, welches die
+ziemlich bedeutende Bibliothek, nat&uuml;rlich nur aus Manuscripten
+zusammengesetzt, enth&auml;lt; nach einer oberfl&auml;chlichen
+Sch&auml;tzung, die ich machte, sind wenigstens f&uuml;nftausend
+B&auml;nde vorhanden. Der ganze B&uuml;cherschatz befindet sich
+&uuml;brigens in einem sehr verwahrlosten Zustande, und es ist ein
+Wunder, dass Staub und Motten nicht schon gr&ouml;ssere
+Verw&uuml;stungen angerichtet haben. Es ist ziemlich leicht
+B&uuml;cher von der Bibliothek zum Lesen zu bekommen, auch ist es
+gestattet Abschriften zu nehmen (nat&uuml;rlich nur den
+Gl&auml;ubigen), es ist aber streng untersagt, irgendwie ein Buch
+zu entlehnen, um es mit nach Hause zu nehmen, und da die dortigen
+Bibliotheken mit unseren Einrichtungen, Katalogen, Scheinen und
+dergleichen nicht bekannt sind, ist diese Massregel sehr
+nothwendig.</p>
+<p>Es wird heutzutage noch immer in der Karubin gelehrt, obgleich
+von der einst so ber&uuml;hmten Schule nur noch ein schwacher
+Schatten &uuml;brig ist. Man legt den Koran aus, d.h. disputirt
+&uuml;ber &auml;ussere Kleinigkeiten, denn am eigentlichen Dogma
+darf nicht ger&uuml;ttelt werden; wer nur im Geringsten zweifelte
+an irgend einem Glaubenssatze, w&uuml;rde gleich als Ketzer
+beschuldigt werden, w&uuml;rde des Abfalls vom Islam geziehen
+werden, und da in Marokko noch wie ehedem bei uns f&uuml;r
+dergleichen Zweifler die Todesstrafe bl&uuml;ht, so h&uuml;tet sich
+wohl Jeder irgendwie an einem Worte des Buches, welches vom Himmel
+herabgekommen ist, zu r&uuml;tteln. Dagegen h&ouml;rt man die
+gelehrtesten Erkl&auml;rungen &uuml;ber Formen und
+Aeusserlichkeiten, z.B. ob Mohammed am Feste nach dem ersten
+Ramadhan ein <i>schwarzes</i> oder <i>weisses</i> Lamm geopfert
+habe, wie gross die H&ouml;lle sei, ob im Paradiese auch die und
+die Speise w&uuml;rde verabreicht werden, und dergleichen
+Albernheiten mehr. Es werden sodann die vier Species gelehrt, aber
+nur auf nothd&uuml;rftige Art und Weise; ich bemerke hiebei, dass
+der Marokkaner, mit Ausnahme der Addition, bei dem Abziehen,
+Vervielf&auml;ltigen und Theilen ganz andere Verfahren in Anwendung
+bringt, als wie wir sie in unseren Schulen zu erlernen pflegen.
+Auch geographischer Unterricht wird ertheilt, oder soll vielmehr
+gelehrt werden, denn in einem Lande, wo man von Erdbeschreibung so
+wenig Kenntniss hat, dass man die Vorstellung hegt, Portugal sei
+gr&ouml;sser als Frankreich, sieht es gewiss traurig mit der
+Kenntniss der Erde aus. So glauben denn auch die Marokkaner, dass
+ihr Land das gr&ouml;sste und ihr Volk das erste und
+m&auml;chtigste der Welt sei.</p>
+<p>Auch Astronomie wird getrieben, aber nur in Verbindung mit
+Astrologie. Einige der gelehrten Marokkaner stehen auf dem
+Ptolem&auml;ischen Standpunkte, sie haben eine Idee von den grossen
+Planeten; dass die Erde sich um die Sonne dreht, darf &uuml;brigens
+nicht gelehrt werden, wenn man sich &uuml;berhaupt zu einer solchen
+Vorstellung emporschwingen k&ouml;nnnte [k&ouml;nnte], es steht das
+im Widerspruch mit dem Koran. Es giebt sodann Geschichtslehre und
+im ganzen kann man dieser Lehrabtheilung noch den gr&ouml;ssten
+Beifall zollen. Ich h&ouml;rte interessante Vorlesungen derart mit
+an, welche die Geschichte der Araber im Bled Andalus (Spanien) zum
+Gegenstand hatten. Endlich ist eine Abtheilung f&uuml;r Djerumia,
+d.h. arabische Grammatik vorhanden, die aber auch aus dem
+Gew&ouml;hnlichen nicht herauskommt.</p>
+<p>Alle diese F&auml;cher werden in der Karubin selbst gelehrt, so
+dass man hier zu jeder Tageszeit auf Lehrer und Sch&uuml;ler
+st&ouml;sst. Die Lehrer sind aus dem Fonds der Moschee besoldet und
+zum Theil die Sch&uuml;ler auch, alle haben wenigstens freies Logis
+und freie Kost. Die Karubin wird f&uuml;r eine der reichsten
+Moscheen gehalten, ein Drittel der L&auml;den oder Gew&ouml;lbe in
+Fes geh&ouml;ren ihr zu, die Aecker und G&auml;rten sind zahlreich,
+und wenn manchmal auch die fr&uuml;heren Machthaber von Fes sich
+aller Eink&uuml;nfte der Moschee und ihrer G&uuml;ter
+bem&auml;chtigten, so machten daf&uuml;r andere dies doppelt wieder
+gut. Die mohammedanische Geistlichkeit hat ebenso gut einsehen
+gelernt wie andere, dass die Macht der Geistlichkeit auf <i>Geld
+und Grundbesitz</i> beruhe, und, eigenth&uuml;mlich genug, obschon
+auch Mohammed lehrt wie Jesus Christus, "ihr sollt kein Gold und
+Silber in euren Taschen tragen," "ihr sollt dem Mammon nicht
+dienen," sehen wir, dass die mohammedanische Geistlichkeit nicht
+weniger darauf bedacht ist Sch&auml;tze anzusammeln, um zu Macht zu
+kommen, als die aller anderen Religionen.</p>
+<p>Wie reich die Karubin schon zur Zeit Leo's war, geht aus seiner
+Beschreibung hervor: "die t&auml;gliche Einnahme macht 200 Ducaten
+<a href="#F087"><sup>87</sup></a> aus, in der Nacht z&uuml;ndet man 900
+Lampen an, ausserdem giebt es grosse Leuchter, von denen jeder
+Platz f&uuml;r 1500 Lampen hat etc." Jene grossen Leuchter
+m&uuml;ssen wohl im Laufe der Zeit verschwunden sein; aus
+christlichen Glocken, wie Leo erz&auml;hlt, geschmolzen, dienten
+sie einem Sultan vielleicht sp&auml;ter dazu, in Kanonen umgegossen
+zu werden. Die zahlreichen &uuml;brigen Oell&auml;mpchen und
+grossen Krsytallkronleuchter [Krystallkronleuchter] sind aber noch
+vorhanden. In einem anstossenden Zimmer befinden sich noch
+verschiedene grosse Uhren, Compasse, Magnete u. dergl., ohne dass
+ich eigentlich w&uuml;sste, dass man sich dieser Sachen
+bediene.</p>
+<blockquote><a name="F087" id="F087"></a>[Fu&szlig;note 87:
+"Ducaten" in der deutschen Uebersetzung Leo's von Lorsbach, ist
+wohl dahin zu verstehen, dass Ducaten = einem Metkal, also
+ungef&auml;hr = 1 Fr. 25 C. ist, aber immerhin w&uuml;rde die
+t&auml;gliche Summe 250 Fr. f&uuml;r damalige Zeit eine grosse
+Summe sein.]</blockquote>
+<p>Die andere Moschee, welche wegen ihrer eigenth&uuml;mlichen
+Bauart einerseits, dann wegen ihrer Ber&uuml;hmtheit als Asyl zu
+nennen ist, ist die, welche den Namen und die irdischen Reste des
+Gr&uuml;nders der Stadt tr&auml;gt, die Djemma el Mulei Edris. Sie
+ist dicht bei der vorigen gelegen, nur durch eine schmale Gasse
+davon getrennt. Sie zeigt sich eigentlich auch nur von dieser
+Gasse, Bab es ssinsla<a href="#F088"><sup>88</sup></a>, Kettenthor genannt,
+mit einem grossartigen und h&uuml;bschen Portale in Hufeisenform,
+alle anderen Seiten sind ummauert. Die Mulei Edris Moschee
+unterscheidet sich dadurch von allen &uuml;brigen kirchlichen
+Geb&auml;uden Marokko's, dass sie keinen Hof hat, denn eine kleine
+Arkadenreihe ist offenbar erst sp&auml;ter angelegt. Es deutet dies
+auf das hohe Alterthum des Geb&auml;udes hin, wobei man die
+Nachahmung des christlichen Tempels noch wahrnehmen kann.</p>
+<blockquote><a name="F088" id="F088"></a>[Fu&szlig;note 88: Bab es
+ssinssla oder ssilsla = Kette, weil sie mit einer eisernen Kette
+quer&uuml;ber abgeschlossen ist, jedoch so dass man zu Fusse an
+beiden Seiten vorbeigehen kann. Aber hier in dieser heiligen
+Strasse, bei dem Portale Mulei Edris' vorbei, darf kein Jude
+(Christen kommen ja ohnedies nicht nach Fes) sich zu zeigen wagen,
+Tod oder sein Uebertritt zum Islam w&uuml;rde unmittelbare Folge
+einer Ueberschreitung des Verbotes sein. Aber auch Gl&auml;ubige
+d&uuml;rfen in dieser Strasse nicht rauchen oder sich dem Opium-
+und Haschisch-Genusse hingeben.]</blockquote>
+<p>Das Hauptgeb&auml;ude, welches auf einen kleinen von Arkaden
+eingeschlossenen Vorhof folgt, besteht in einem einzigen nach Osten
+gerichteten Schiffe; fast viereckig von Form, ohne S&auml;ulen wird
+das Ganze von einem sehr hohen achteckigen Dache bedeckt, welches
+inwendig aus Holzskulpturen besteht, dessen &auml;ussere Seite
+jedoch Ziegel zeigt. Diese Dachziegeln sind bei allen monumentalen
+Geb&auml;uden immer selber Art und auf selbe Art gelegt, wie in
+Italien und Spanien. Dicht bei der Kibla-Nische befindet sich das
+pr&auml;chtige Grabmal Mulei Edris', dessen kostbare Tuchdecken
+alle Jahre erneuert werden. Das Innere der Moschee enth&auml;lt
+ausserdem viel Gold und Silber, Ger&auml;the, Offranden, was
+eigentlich gegen die Satzungen des Koran streitet. Auch an der
+Aussenwand der Djemma el Mulei Edris befindet sich eine silberne
+Tafel mit massiv goldenen und erhabenen Buchstaben, welche eine
+Legende der Erbauung der Moschee enth&auml;lt. Diese Tafel ist, um
+der Witterung vollkommen widerstehen zu k&ouml;nnen, unter
+Glas.</p>
+<p>Die Moschee, welche Asyl ist, d.h. wo gefl&uuml;chtete
+Verbrecher vor der Verfolgung weltlicher Gerechtigkeit sicher sind,
+ist ausserdem Sauya. Freilich ist mit dieser Sauya kein
+religi&ouml;ser Orden verbunden, der eigentliche religi&ouml;se
+Orden Mulei Edris befindet sich in Uesan, aber sonst hat sie nicht
+nur Einrichtungen, um Pilger zu beherbergen und zu bewirthen,
+sondern auch eine grossartige Schule ist damit verbunden.</p>
+<p>Alle &uuml;brigen Moscheen von Fes, obschon noch sehr grosse
+vorhanden, so namentlich eine von Mulei Sliman in Neu-Fes
+errichtete, sind gegen diese beiden gehalten kaum der Beschreibung
+werth. Es befinden sich im ganzen jetzt in Fes eilf Moscheen, in
+welchen Freitags das Chotba-Gebet gehalten wird, welchen man also
+gewissermassen den Rang unserer christlichen Pfarrkirchen
+zuerkennen k&ouml;nnte. Im &uuml;brigen giebt es aber noch eine
+sehr grosse Anzahl Moscheen, manche gr&ouml;sser an Umfang als
+jene, worin Chotba gelesen werden, obschon die Zahl von 700, welche
+Leo anf&uuml;hrt, heute nicht mehr existirt und auch wohl zu seiner
+Zeit &uuml;bertrieben war.</p>
+<p>Ebenso existiren heute nicht jene zwei Collegien f&uuml;r
+Studenten, von denen Leo so grossartige Berichte giebt; ausser den
+Lehrst&uuml;hlen an der Karubin hat Fes nur niedrige Schulen,
+Medressa, worin den Sch&uuml;lern nothd&uuml;rftig und mechanisch
+lesen und schreiben gelehrt wird. Solcher Schulen giebt es eine
+grosse Anzahl, vielleicht &uuml;ber hundert.</p>
+<p>Hospit&auml;ler hat Leo auch aufgef&uuml;hrt, es sind dies aber
+keine Hospit&auml;ler nach unserem Sinne, d.h. Krankenh&auml;user,
+sondern vielmehr Hospit&auml;ler (Gasth&auml;user) im wahren Sinne
+des Wortes. Schon die Beschreibung, die Leo davon giebt, deutet
+darauf hin, dass man es zu seiner Zeit ebenso wenig mit
+Hospit&auml;lern oder Lazarethen nach unserem Sinne zu thun hatte.
+Es sind dies Stifte, wo Pilger, Reisende, m&uuml;de Wanderer
+ausruhen k&ouml;nnen, und w&auml;hrend einer gewissen Zeit
+unentgeltlich Kost und Logis erhalten. Es war dieser Brauch, in den
+St&auml;dten solche Stifte zu haben, nicht nur in mohammedanischen
+L&auml;ndern heimisch, sondern zur Zeit, als das Gasthofleben noch
+nicht so ausgebildet war wie jetzt, auch in allen christlichen
+L&auml;ndern zu finden. In vielen europ&auml;ischen St&auml;dten
+existiren noch jetzt solche Einrichtungen, z.B. in Savoyen, in
+Frankreich und Italien. Eigentliche Hospit&auml;ler, d.h.
+Krankenh&auml;user, giebt es in Fes nicht.</p>
+<p>Indess besitzt Fes eine Anstalt, wie sie keine andere Stadt
+Marokko's aufzuweisen hat; eine Irrenanstalt oder vielmehr ein
+Narrenhaus. Man denke sich aber keineswegs eine Anstalt, welche
+Heilung oder Wohlbehagen dieser ungl&uuml;cklichen Gesch&ouml;pfe
+im Auge h&auml;tte, mit dergleichen Versuchen plagt sich der
+Mohammedaner nicht. Man findet in diesem Geb&auml;ude, in dem zur
+Zeit als ich es besuchte etwa 30 Individuen sein mochten, nur
+Tobs&uuml;chtige oder Irre, die durch ihr Wesen dem Nebenmenschen
+sich gef&auml;hrlich gemacht haben; gutm&uuml;thige Narren, Idioten
+u.s.w. l&auml;sst man ruhig laufen, ebenso die religi&ouml;s
+Wahnsinnigen, die noch obendrein als Heilige verehrt werden.</p>
+<p>Der Zustand in diesem Narrenhause ist ein entsetzlicher, und es
+gleicht dasselbe mehr einer Gef&auml;ngnissh&ouml;hle als sonst
+einem Geb&auml;ude. In langen Zimmern, worin auf dem blossen
+Steinboden im gr&ouml;ssten Schmutze halbverhungerte Gestalten mit
+dicken eisernen Ketten an die W&auml;nde festgemauert sind, fast
+alle nackt, ohne jegliche Pflege und Sorgfalt, verbleiben diese
+Ungl&uuml;cklichen hier, um die Welt nie wieder zu betreten. Die
+Anstalt selbst wird durch Verm&auml;chtnisse unterhalten.</p>
+<p>Erw&auml;hnt zu werden verdienen sodann die vielen B&auml;der,
+welche zum Theil Privaten geh&ouml;ren, zum Theil Eigenthum der
+Regierung oder der Moscheen sind. Eingerichtet sind sie wie alle
+warmen B&auml;der im Orient, in Aegypten oder den &uuml;brigen
+Berberst&auml;dten, so dass ich eine specielle Beschreibung nicht
+f&uuml;r nothwendig halte. Der Luxus der algerinischen oder
+&auml;gyptischen B&auml;der ist hier aber nicht bekannt,
+Handt&uuml;cher zum Abtrocknen werden nicht gereicht, daf&uuml;r
+sind sie aber auch so billig, dass selbst der Aermste sich
+h&auml;ufig den Genuss einer gr&uuml;ndlichen Reinigung
+gew&auml;hren kann. Die B&auml;der geringster Sorte kosten nur 3
+Flus, die theuersten nicht ganz 2 Mosonat.</p>
+<p>Gasth&auml;user oder Fenaduk (pl. von Funduk) giebt es zweierlei
+Art in Fes. Es m&ouml;chte auffallen, dass bei der Anwesenheit von
+Sauyat bei der Einrichtung der eben erw&auml;hnten Hospizen,
+ausserdem noch Gasth&ouml;fe nothwendig sind, namentlich wenn man
+in Erw&auml;gung zieht, dass der Marokkaner der gastfreieste Mensch
+der Welt ist. Und dennoch ist dem so. Die Gastfreiheit ist auf dem
+Land eine fast m&ouml;cht' ich sagen unbegrenzte; aber in den
+St&auml;dten, wo t&auml;glich ein so grosser Zusammenfluss von
+Fremden ist, wird sie nat&uuml;rlich nicht ge&uuml;bt. In den
+Sauyat und Hospizen ist es Regel, einen Fremden nicht l&auml;nger
+als drei Tage zu behalten. Man hat also, um die Fremden, welche
+einen l&auml;ngeren Aufenthalt nehmen wollen, zu beherbergen,
+Gasth&ouml;fe einrichten m&uuml;ssen. Die grosse Zahl solcher
+Geb&auml;ude spricht f&uuml;r den grossen Fremdenverkehr in Fes,
+obschon die Zahl von 200, die Leo angiebt, wohl &uuml;bertrieben
+ist.</p>
+<p>Es giebt Fenaduk, welche gebaut sind, Menschen und Vieh zu
+beherbergen, und solche die nur Platz f&uuml;r Menschen und
+allenfalls f&uuml;r ihre Waaren haben. Erstere haben in der Regel
+eine entsetzliche Einrichtung. Ein grosser, meist viereckiger und
+ungepflasterter Hofraum, wo sich Pferde mit Kameelen, Maulthiere
+mit Eseln um den Platz streiten, wird von allen Seiten von kleinen
+Zimmern umgeben, die nur Zugang und Licht durch eine kleine
+niedrige Th&uuml;r bekommen. Meist sind diese Zimmer selbst nicht
+gr&ouml;sser, als dass man ausgestreckt darin liegen kann. Von
+Aufwartung ist nat&uuml;rlich keine Rede, der Neuangekommene muss,
+hat er &uuml;berhaupt Sinn f&uuml;r Reinlichkeit, den Schmutz, den
+sein Vorg&auml;nger als Andenken im Zimmer zur&uuml;ckgelassen hat,
+eigenh&auml;ndig hinauskehren. Ein Portier, der meist kauadji
+(Kaffee- Ausschenker) ist, steht dem Ganzen vor, oft ist er
+Besitzer, oft Verwalter, oft bloss Miether. Die Geb&uuml;hren
+stehen nat&uuml;rlich mit der schlechten Einrichtung im Einklange,
+f&uuml;r ein Zimmer zahlt man durchschnittlich t&auml;glich nur
+eine Mosona, f&uuml;r ein Thier ebenso viel.</p>
+<p>Viel besser sind die Fenaduk eingerichtet, wo man nur Reisende
+aufnimmt, die ohne Thiere sind. Diese sind meistens mitten in der
+Stadt gelegen, einige sogar in der eigentlichen Kesseria, dem
+Handelscentrum, der "B&ouml;rse" k&ouml;nnte man fast sagen, von
+Fes. Grosse mehrst&ouml;ckige Geb&auml;ude, sind die Zimmer dieser
+Gasth&ouml;fe ger&auml;umig, haben oft, ausser der Th&uuml;r nach
+dem Hofe oder nach den Gallerien zu, noch vergitterte
+Fenster&ouml;ffnungen. Die Zimmer sind gut ausgeweisst, der
+Fussboden mit "Slaedj" belegt, sonst aber ist von M&ouml;beln
+nat&uuml;rlich nichts zu finden; aber der bemittelte oder reiche
+Kaufmann hat auch sein ganzes Meublement bei sich: eine gute
+Matratze, ein Teppich, einige Matten und Kisten
+vervollst&auml;ndigen dasselbe. Es fehlt auch der grosse
+Messingteller, ssenia, nicht mit dem Theetopf aus Britannia-Metall
+und sechs kleinen Theetassen. Ein Bochradj, d.h. ein Kessel zum
+Sieden des Wassers, ist auch unentbehrlich. Die Miethe von solchen
+Zimmern variirt von vier Mosonat bis zu sechs und mehr per Tag. Die
+Kaffeebuden, welche sich am Eingang oder im Innern eines solchen
+Funduk befinden, geh&ouml;ren zu den besten.</p>
+<p>Solche Wirthsh&auml;user, wie Leo sie beschreibt, als von
+unanst&auml;ndigen Wirthen, sog. el kahuate bewohnt, wo auch
+l&uuml;derliche Weibspersonen sich herumtreiben, giebt es jetzt in
+Fes nicht mehr, vor den Thoren ist allerdings ein Viertel, welches
+in dieser Hinsicht in schlechtem Rufe steht; eigentliche
+Prostitution aber findet man &uuml;berhaupt in Marokko nur in
+Mikenes.</p>
+<p>Dagegen giebt es zahlreiche Kaffeeh&auml;user, wo Kif, d.h. das
+getrocknete Kraut vom indischen Hanfe (Can. indica) geraucht und
+gegessen wird, auch Opium wird in diesen Kaffeeh&auml;usern
+gegessen; die Sitte des <i>Opiumrauchens</i> kennt man im Rharb
+nicht. Die Polizei oder Regierung thut gegen diese sch&auml;dlichen
+Gen&uuml;sse nichts, wie denn auch Haschisch und Opium mit Taback
+zusammen nur von solchen Kaufleuten in der Stadt verkauft wird, die
+sich dazu einen Schein von der Regierung gekauft haben. Es herrscht
+also&mdash;denn nicht nur in Fes ist dies der Fall, sondern in
+allen binnenl&auml;ndischen marokkanischen
+St&auml;dten&mdash;f&uuml;r die St&auml;dte eine Art Taback-,
+Opium- und Haschisch-Regie.</p>
+<p>Anst&auml;ndige Leute h&uuml;ten sich indess wohl, in solche
+Kaffeeh&auml;user zu gehen, obschon fast Jeder in Fes dem
+Gen&uuml;sse des Haschisch fr&ouml;hnt, aber nur heimlich und im
+Innern der Wohnung. Desto strenger ist dagegen der Verkauf von
+Schnaps und Wein verboten, obschon beides in Fes f&uuml;r Geld und
+gute Worte zu haben ist; ersterer wird von den Juden destillirt aus
+Feigen, Rosinen oder Datteln, wird wohl auch von Gibraltar her
+eingeschmuggelt; letzterer wird in der Lesezeit von Juden sowohl
+wie von Mohammedanern bereitet.</p>
+<p>Es w&uuml;rde zu weit f&uuml;hren, wollten wir alle Handwerke,
+Industrien, Manufacturen und Handelszweige einzeln auff&uuml;hren.
+Es gen&uuml;gt, wenn wir hier vorzugsweise das nennen, wodurch Fes
+heut excellirt, und wenn wir hervorheben, dass selbst heute Fes
+noch immer den ersten Rang unter allen Handelsst&auml;dten vom
+ganzen Rharb einnimmt.</p>
+<p>Um letzteres zu erh&auml;rten, f&uuml;hre ich nur an, dass mir
+w&auml;hrend meines Aufenthaltes in Fes manchmal Facturen gezeigt
+wurden, von franz&ouml;sischen, englischen oder spanischen
+Handlungsh&auml;usern herstammend, die sich auf 50,000 Frcs.
+beliefen. Man kann in der That also wohl behaupten, dass Fes auch
+Engros-Handel besitzt, wie es denn wirklich vornehme Kaufleute
+genug dort giebt, welche mit Marseille, Gibraltar, Cadix oder
+Lissabon Auseinandersetzungen haben, welche die eben
+angef&uuml;hrte Summe j&auml;hrlich noch &uuml;bersteigen. Es
+versteht sich von selbst, dass dieser Handel meist durch
+Vermittlung abgeschlossen wird; aber auch oft genug kommt es vor,
+dass ein Fessi auf der Pilgerfahrt nach Mekka Station in Marseille
+macht, dass er in Gibraltar l&auml;ngeren Aufenthalt hat, ja ich
+lernte Kaufleute in Fes kennen, die direct, bloss um Waaren zu
+kaufen oder um Handelsbeziehungen anzukn&uuml;pfen, eine Reise nach
+Cadix oder Lissabon unternommen hatten.</p>
+<p>Alle diejenigen, welche in den berberischen Staaten gewesen
+sind, welche sich in den leichter zug&auml;nglichen St&auml;dten
+Bengasi, Tripolis, Sfax, Tunis und anderen Orten aufgehalten haben,
+wissen, wie gross das Vertrauen europ&auml;ischer Kaufleute ist;
+den Eingebornen werden oft Waaren von sehr bedeutendem Werth auf
+Credit verabfolgt. Man borgt selbst Kaufleuten aus dem fernen
+Innern, wo jede Reclamation, falls man betrogen w&uuml;rde,
+unm&ouml;glich w&auml;re. Und doch kommt es sehr selten vor, dass
+irgend Jemand sich eines Betrugs schuldig macht. Von Timbuctu,
+Kano, Bornu, Mursuk und Rhadames sehen wir Kaufleute auf Credit in
+Tunis, Tripolis oder Kairo Waaren entnehmen; sie ziehen damit in
+ihre Heimath, jahrelang bleiben sie manchmal verschollen, aber
+nachdem sie ihre Waaren verkauft haben, laufen immer Gegenwaaren
+oder Gelder ein, und der europ&auml;ische Kaufmann wird
+befriedigt.</p>
+<p>So machen es die Fessi auch; die Waaren, welche sie sich en gros
+von Europa holen, bestehen vorzugsweise in roher und verarbeiteter
+Seide, in Baumwollenstoffen, Tuchen, Papier, Waffen, d.h. langen
+Flinten und S&auml;beln, Pulver, Thee, Zucker, Droguen und
+Gew&uuml;rzen. Es giebt &uuml;berhaupt jetzt fast keinen Artikel,
+den man in Fes nicht f&auml;nde.</p>
+<p>Die Engros-H&auml;ndler haben ihre Waaren bei sich im Hause, die
+meisten aber haben zugleich ein Hanut, d.h. ein
+Verkaufsgew&ouml;lbe, wo sie entweder selbst verkaufen oder
+verkaufen lassen. Der Punkt, wo der Haupthandelssitz ist, heisst
+die Kessaria; derselbe liegt im Centrum von Alt-Fes, dicht bei der
+Karubin- und Mulei-Edris-Moschee, die zum Theil von der Kessaria
+umgeben sind.</p>
+<p>Leo will das Wort Kessaria vom lateinischen Caesar ableiten; zur
+Zeit der r&ouml;mischen Herrschaft h&auml;tten in den
+mauritanischen St&auml;dten einige ummauerte Centren bestanden,
+damit die kaiserlichen Beamten hier ihre Zolle erh&ouml;ben, und wo
+zu gleicher Zeit dann die innewohnenden Kaufleute die Verpflichtung
+gehabt h&auml;tten, mit ihren eigenen G&uuml;tern das Eigenthum der
+kaiserlichen Regierung zu besch&uuml;tzen. Man findet &uuml;brigens
+den Ausdruck Kessaria als Marktplatz in allen St&auml;dten
+Nordafrika's.</p>
+<p>In dieser Kessaria finden wir alle feineren und vorzugsweise die
+von Europa kommenden Waaren. Die Kessaria besteht aus einem grossen
+Complex von nicht f&uuml;r Thiere zug&auml;nglichen Strassen, zum
+Theil durch H&auml;user, zum Theil aber auch nur durch Gew&ouml;lbe
+gebildet. Alle Strassen sind &uuml;berdacht. Wir haben hier
+G&auml;nge mit Buden wo Specereien, andere wo Essenzen, andere wo
+Thee und Zucker<a href="#F089"><sup>89</sup></a>, andere wo Porzellan, d.h.
+vorzugsweise Vasen, Gl&auml;ser, Tassen und Teller, andere wo
+Tuche, andere wo Seidenstoffe, andere wo Lederwaaren verkauft
+werden. Auch Uhrl&auml;den, zwei oder drei, ja sogar eine Pharmacie
+ist vorhanden, wenn man so eine Ansammlung fast aller Medicamente,
+worunter auch Chinin, Tartarus stib. und Ipecacuanha, nennen kann.
+Ein gewisser Djaffar hat sich diese Medicamente von Lissabon
+geholt, und ein Verzeichniss in portugiesischer Sprache zeigt
+zugleich die zu gebende Dose an und die Krankheit, wogegen die
+Medicin gegeben wird.</p>
+<blockquote><a name="F089" id="F089"></a>[Fu&szlig;note 89: Thee
+und Zucker wird in ganz Marokko als eine zusammenh&auml;ngende
+Waare verkauft, wenigstens h&auml;lt es sehr schwer Thee allein zu
+bekommen. Auf ein halbes Pfund Thee werden f&uuml;nf Pfund Zucker
+gerechnet. Der Thee selbst, von Engl&auml;ndern importirt, ist von
+der gr&uuml;nen Sorte und schlechter Qualit&auml;t.]</blockquote>
+<p>Tritt man aus der Kessaria heraus, so kommt man ins eigentliche
+industrielle Leben hinein. Hier eine lange Reihe von Buden, wo
+gelbe, rothe und buntfarbige Pantoffel verarbeitet werden, dort
+dicht dabei Gerber, welche das buntgef&auml;rbte weiche Corduan,
+Marocain- und Saffian-Leder verkaufen. Zeigt schon der Name an,
+dass zuerst die Kunst, das Schaf- und Ziegenleder zu jener
+sch&ouml;nen Weiche, mit der gr&ouml;ssten Z&auml;higkeit
+verbunden, zuzubereiten, von den Mohammedanern in Cordova erfunden
+wurde, sp&auml;ter aber die ber&uuml;hmtesten Gerbereien in Marokko
+selbst und noch sp&auml;ter in Saffi (Asfi) sich befanden, so
+scheinen heute die sch&ouml;nsten Leder in Fes bereitet zu werden,
+wenigstens sind in ganz Nordafrika die Leder von Fes als die
+feinsten und dauerhaftesten ger&uuml;hmt.</p>
+<p>Aber man kommt nicht gleich aus der Kessaria in die
+labyrinthischen Handwerkerstrassen, man hat, wenigstens auf dem
+Wege nach Neu-Fes hin, zuerst die Blumenbuden zu durchwandern, und
+es bilden die Blumen einen h&uuml;bschen Uebergang von der
+Industrie zum Handel. Es ist eigenth&uuml;mlich, welche Vorliebe
+von jeher die Bewohner von Fes vor den &uuml;brigen Marokkanern
+f&uuml;r Blumen gehabt zu haben scheinen, wie denn auch die Cultur
+derselben in G&auml;rten &uuml;berall hervortritt.</p>
+<p>Das Haus, welches der Bascha-Gouverneur von Fes mir als
+Aufenthalt angewiesen hatte, lag am Abhange der &ouml;stlichen
+H&uuml;gel. Von einem Arme des Ued Fes durchflossen, waren ausser
+Orangen, Feigen, Oliven, Aprikosen, Pfirsichen und Granaten,
+&uuml;berall bl&uuml;hende Rosenst&ouml;cke, grosse B&uuml;sche
+Jasmin, Nelken, Veilchen und stark duftende Kr&auml;uter.</p>
+<p>Diese findet man denn auch vorzugsweise in der Blumenabtheilung,
+hier sind Jasmin, Basilik, Nelken, Hyazinthen, Rosen, Narcissen,
+Pfefferminze, Absinth, Thymian, Majoran, dort sind ganze
+Blumenbouquets, Meschmum en nuar genannt, zu haben. Gem&uuml;se und
+Obstbuden schliessen sich daran.</p>
+<p>Von solchen Gewerken, worin Fes noch heute vorzugsweise
+gl&auml;nzt, nenne ich ferner die T&ouml;pferwaaren. Grosse
+Sch&uuml;sseln, kleine Leuchter und Lampen und dergleichen
+Gegenst&auml;nde werden aus einem porcellanartigen Thone sehr
+sch&ouml;n hergestellt. Nach Art unserer alten deutschen Thonwaaren
+sind sie mit groben blauen Figuren bemalt und glasirt.</p>
+<p>Hieran schliessend, erw&auml;hne ich der "Slaedj," kleine
+Fliesen von bunten Farben, die ebenfalls in Fes fabricirt werden.
+Wenn einst die Waffenschmiede in diesen L&auml;ndern ber&uuml;hmt
+waren, so sieht man jetzt in den Gew&ouml;lben nur europ&auml;ische
+Fabrikate ausgestellt. Ebenso haben die fr&uuml;her so bekannten
+rothen M&uuml;tzen (daher der Name "Fes," den wir jetzt noch den
+rothen M&uuml;tzen geben) sich nicht auf ihrer einstigen H&ouml;he
+halten k&ouml;nnen, nicht nur die von Tunis sind jetzt bedeutend
+besser, sondern selbst in Livorno werden sie billiger und
+sch&ouml;ner hergestellt. Besonders hervorheben m&uuml;ssen wir
+sodann die Manufacturwaaren von seidenen Sch&auml;rpen, 3-4 Fuss
+breit, 40-50 Fuss lang; es sind diese seidenen von Gold
+durchwirkten Stoffe das Kostbarste, was Fes auf den
+mohammedanischen Markt bringt, und heutzutage das Einzige, worin es
+un&uuml;bertroffen dasteht.</p>
+<p>Von allen &uuml;brigen Handwerken finden wir in Fes nichts, was
+die Stadt vorzugsweise auszeichnete, aber alle sind in so grosser
+Menge vertreten, dass man auf den ersten Blick sieht, es wird hier
+nicht bloss f&uuml;r die Bed&uuml;rfnisse der Stadt gearbeitet,
+sondern f&uuml;r das ganze Land.</p>
+<p>Die lange Strasse, welche Alt-Fes mit Neu-Fes verbindet, ist
+denn auch weiter nichts als ein Bazar, und es herrscht hier
+nat&uuml;rlich die gr&ouml;sste Frequenz, nicht nur weil alle Leute
+vorzugsweise diesen verh&auml;ltnissm&auml;ssig breiten Weg
+benutzen, um von einer zur andern Stadt zu kommen, sondern auch
+weil ein Hauptkarawanenweg hier durchf&uuml;hrt, auf dem sich
+best&auml;ndig lange Reihen von beladenen Kameelen, Maulthieren und
+Eseln fortbewegen. Verfolgt man diesen Weg weiter nach Neu-Fes
+hinein, so findet man sich gleich darauf vor dem ummauerten
+Stadttheile der Juden, der Melha. Die Juden aber d&uuml;rfen
+<i>nur</i> in Neu-Fes und hier abgesondert von den Gl&auml;ubigen
+in einem ummauerten Viertel, das gleich an das kaiserliche Palais
+st&ouml;sst, wohnen. Und sie sind gern hier, denn so sehr sie auch
+den Vexationen und Erpressungen der Regierung des Sultans
+ausgesetzt sind, so haben sie doch l&auml;ngst einsehen gelernt,
+dass es besser ist unter dem Schutze selbst der despotischsten
+Herrschaft zu wohnen, als der Willk&uuml;r eines dummen und
+fanatischen Volkes preisgegeben zu sein. Im Judenviertel herrscht
+&uuml;brigens, was Handel und Wandel, was Industrie und Handwerke
+anbetrifft, eben das gesch&auml;ftliche und rege Treiben, wie in
+der Kessaria und den Strassen von Alt-Fes.</p>
+<p>Vorzugsweise sieht man Gold- und Silberarbeiten in den
+H&auml;nden der Juden, die Nadeln, welche dazu dienen, das Haar der
+Frauen oder ihre Kleider zu befestigen, Fingerringe, Arm- und
+Fussb&auml;nder (auch die marokkanischen Frauen tragen oberhalb der
+Kn&ouml;chel schwere kupferne oder silberne Ringe) werden fast
+ausschliesslich von den Juden hergestellt. Ebenso ist die Secca,
+d.h. M&uuml;nze, nur von den Juden bedient. Es ist dies ein
+ziemlich ansehnliches Geb&auml;ude, welches Theil des Palastes des
+Sultans ist und unmittelbar an die Melha anst&ouml;sst.</p>
+<p>An einheimischen M&uuml;nzen haben die Marokkaner jetzt nur den
+Fls (pl. flus), eine kleine Kupferm&uuml;nze, welcher auf einer
+Seite das Salomon'sche Siegel, d.h. das bayerische Bierzeichen
+(zwei durcheinandergehende Dreiecke), und auf der anderen Seite
+Jahreszahl und Pr&auml;gungsort (auch in Tetuan befindet sich eine
+M&uuml;nze) zeigt, dann zwei Flus-St&uuml;cke, udjein genannt,
+ebenfalls gepr&auml;gt. Sechs Flus bilden die imagin&auml;re
+M&uuml;nze, Mosona genannt: eine Mosona giebt es nicht
+gepr&auml;gt. Sie ist ungef&auml;hr gleich einem Sou.</p>
+<p>Vier Mosonat bilden sodann eine Okia, d.h. Unze, ebenfalls nur
+ein Ausdruck, aber acht Mosonat oder zwei Unzen ist die kleinste,
+und 10 Mosonat oder 2-1/2 Unzen die gr&ouml;sste
+<i>gepr&auml;gte</i> Silberm&uuml;nze. 10 Unzen bilden die
+imagin&auml;re M&uuml;nze Metkal. Und die einzige
+<i>gepr&auml;gte</i> Goldm&uuml;nze, Bendki genannt, besteht aus
+2-1/2 Metkal. Im &uuml;brigen gelten die franz&ouml;sischen und die
+spanischen Silberm&uuml;nzen im ganzen Lande, und
+franz&ouml;sisches, spanisches und englisches Geld &uuml;berall
+n&ouml;rdlich vom Atlas. Der einst so beliebte spanische
+Bu-Medfa-Thaler, so genannt von den beiden Herkuless&auml;ulen,
+welche die Marokkaner f&uuml;r Kanonen halten, ist fast ganz aus
+dem Handel verschwunden, dagegen hat der franz&ouml;sische
+f&uuml;nf Francs-Thaler Platz gegriffen. Frankreich l&auml;sst
+f&uuml;r Marokko auch silberne 20 Centimes- St&uuml;cke
+schlagen<a href="#F090"><sup>90</sup></a>, welche in Marokko im Werthe einer
+Unze cursiren. Der &ouml;sterreichische Maria-Theresien-Thaler, der
+sonst in ganz Afrika ohne Nebenbuhler herrscht, wird in Marokko
+&auml;usserst selten gefunden.</p>
+<blockquote><a name="F090" id="F090"></a>[Fu&szlig;note 90:
+Wenigstens muss man so annehmen, da man in Frankreich selbst die 20
+Cent.-St&uuml;cke fast gar nicht sieht, hingegen in Marokko sie
+&auml;usserst zahlreich und von allen Jahrg&auml;ngen vertreten
+findet.]</blockquote>
+<p>Die Maasse und Gewichte sind in Marokko fast f&uuml;r jede Stadt
+<i>verschieden</i>, f&uuml;r die L&auml;nge hat man die Elle, Draa
+mit Br&uuml;chen als Unterabtheilung, dann Zoll, f&uuml;r das
+Gewicht das Pfund, Unze, Metkal (letzteres f&uuml;r Goldstaub)
+f&uuml;r fl&uuml;ssige und trockene Sachen, endlich verschiedene
+Maasse.</p>
+<p>Administrirt wird die Stadt von zwei Gouverneuren, von denen der
+eine den Titel "Bascha" hat und Alt-Fes vorsteht, w&auml;hrend der
+andere "Kaid" genannt wird und &uuml;ber Neu-Fes herrscht. Es
+scheint hieraus hervorzugehen, einestheils dass die Regierung des
+Sultans beide St&auml;dte als vollkommen getrennt betrachtet, und
+andererseits Neu-Fes mehr als eine Festung angesehen, w&auml;hrend
+Alt-Fes als wichtiger gehalten wird, dadurch dass man es von einem
+Bascha administriren l&auml;sst. In den Wohnungen des Bascha und
+Kaid wird zu gleicher Zeit t&auml;glich Recht gesprochen. Der Kadi
+jeder Stadt findet sich dort t&auml;glich ein, und alle
+Rechtsf&auml;lle werden auf der Stelle zur Entscheidung gebracht.
+Es kann sodann an den Bascha oder Kaid appellirt werden, und von
+diesen an den Grosswessier oder Sultan selbst.</p>
+<p>Es kommt gar nicht selten vor, dass Kl&auml;ger sich von dem
+Kadi an den Bascha und von diesem an den Sultan wenden. Gegen
+Stockstrafe oder Knutenhiebe wird fast nie remonstrirt, wohl aber
+gegen Geldbusse. Der Kadi and Bascha haben Strafverm&ouml;gen in
+unbegrenztem Masse, indess werden selten Knutenhiebe &uuml;ber 300
+an der Zahl ausgetheilt, die Geldbussen aber so hoch wie
+m&ouml;glich hinaufgetrieben. Gr&ouml;sserer Diebstahl hat immer
+das Abhacken zuerst der linken, dann beim R&uuml;ckfall das der
+rechten Hand zur Folge. Hat man keine H&auml;nde mehr zum
+Abschlagen, so kommen die F&uuml;sse an die Reihe, oft bei grossen
+Diebst&auml;hlen oder gravirenden Umst&auml;nden werden auch gleich
+die F&uuml;sse abgehauen. So wurden einem Landbewohner, der im
+Sommer, als ich mich in Fes befand, ein Pferd des Sultans gestohlen
+hatte, der rechte Fuss und die linke Hand abgehackt. Das aus der
+Altstadt nach Neu-Fes zu f&uuml;hrende Thor hat immer eine Menge
+solcher Troph&auml;en auszuweisen, auch K&ouml;pfe von
+hingerichteten Verbrechern haben hier ihren Ausstellungsort,
+w&auml;hrend meiner Anwesenheit in Fes sah ich indess keinen Kopf
+ausgestellt.</p>
+<p>Das Recht wird &uuml;brigens vollkommen willk&uuml;rlich
+gesprochen, und Bestechungen sind an der Tagesordnung.</p>
+<p>In Neu-Fes war in den ersten sechziger Jahren ein Schwarzer, ein
+ehemaliger Sklave Namens Faradji Kaid. Dieser hatte schon seit mehr
+als 50 Jahren diesen Posten inne, und galt als ein Ph&auml;nomen.
+Er hatte unter Sultan Sliman die Stelle bekommen, sie unter
+Abd-er-Rhaman behauptet, und war auch von Sidi Mohammed, dem
+jetzigen Sultan, best&auml;tigt worden. Im ersten Jahre der
+Regierung des jetzigen Kaisers wurde Faradji verl&auml;umdet, man
+machte den Sultan auf seine ungeheuren Reichth&uuml;mer aufmerksam,
+man deutete darauf hin, dass Faradji, der doch ehemals nur Sklave
+gewesen, diese grossen Reichth&uuml;mer wohl nur durch Erpressung,
+Bestechung oder gar dadurch, dass er sich am Eigenthum des Sultans
+selbst vergriffen, habe erwerben k&ouml;nnen. Der Sultan liess
+Faradji kommen, und befahl ihm, da er geh&ouml;rt habe Faradji habe
+<i>fremdes</i> Eigenthum, er &uuml;berdies ja als ehemaliger Sklave
+nichts besessen habe, das fremde Eigenthum, und namentlich das was
+ihm, dem Sultan, zukomme, von seinem zu sondern. Der schlaue
+Faradji erwiederte nichts, ging in den Pferdestall des Sultans,
+entledigte sich seiner Kleidungsst&uuml;cke, zog einen alten
+wollenen Kittel &uuml;ber, und fing an den Stall zu kehren. Der
+Sultan fragte einige Zeit sp&auml;ter nach Faradji, und war
+erstaunt als derselbe im &auml;rmlichsten Anz&uuml;ge vor ihm
+erschein. Befragt, warum dies, erwiederte er: "Ja Herr, Du befahlst
+meine Habe von der Deinigen zu trennen! Als ich von Deinem
+Grossoheim Mulei Sliman gekauft wurde, hatte ich nichts als diesen
+wollenen Sklavenkittel, den ich zum Andenken meiner Herkunft
+aufbewahrt habe, und auch dieser geh&ouml;rt ja, streng genommen,
+nicht einmal mir, wie konnte ich also mein Eigenthum von Deinem
+trennen, bin ich nicht noch immer Dein Sklave? Lass von Deinem
+Diener alles nehmen, alles was ich verwaltete, ist Dein
+rechtm&auml;ssiges Eigenthum."</p>
+<p>Man kann sich denken, dass der auf diese Art die Grossmuth des
+Sultans anrufende Faradji leichtes Spiel hatte, in der That umarmte
+ihn Sidi Mohammed, und Faradji wurde aufs neue in seine
+Kaidw&uuml;rde eingesetzt, und ihm alle seine G&uuml;ter gelassen.
+Als der Sultan von Neu-Fes nach Mikenes &uuml;bersiedelte, besuchte
+ich mehreremal Faradji, er war immer sehr freundlich und
+zuvorkommend, pflegte den ganzen Morgen, auf einem Teppich sitzend,
+vor dem Magazin (es ist dies der officielle Ausdruck f&uuml;r das
+Palais des Sultans, und bedeutet zugleich die ganze Regierung)
+zuzubringen. Faradji war ein stattlicher schwarzer Greis mit
+intelligenten Gesichtsz&uuml;gen und sch&ouml;nem, wenn auch nur
+sp&auml;rlichem weissem Barte. Seiner eigenen Meinung nach war er
+1863 neunzig Jahre alt, was wohl eher zu wenig als zu viel sein
+d&uuml;rfte, da er schon unter Sultan Sliman<a href=
+"#F091"><sup>91</sup></a>, also zur Zeit als Ali Bey Marokko besuchte, Kaid
+war.</p>
+<blockquote><a name="F091" id="F091"></a>[Fu&szlig;note 91: Die
+jetzige Dynastie in Marokko wird die der Filali genannt, weil der
+Gr&uuml;nder Mulei Ali ans Tafilet (der Bewohner Tafilets heisst
+ein Filali) stammt. Dessen Sohn Mulei Mohammed wurde von seinem
+Bruder Mulei Arschid vom Throne gest&uuml;rzt, und dieser, der von
+1664-1672 regierte, war nach Jussuf ben Taschfin der
+m&auml;chtigste Monarch. Die Grausamkeit dieses Sultans wurde von
+den raffinirten Grausamkeiten Mulei Isma&euml;ls, der sein Bruder
+war und ihm 1672 folgte, noch &uuml;bertroffen. Isma&euml;l, jetzt
+einer der gr&ouml;ssten Heiligen von Marokko, regierte bis 1727.
+Nach ihm folgte Mulei Ahmed Dehabi, vierter Sohn Isma&euml;ls,
+regierte jedoch nur bis 1729; sein Bruder Mulei-Abd-Allah folgte
+bis 1757, und nach ihm kam sein Sohn Sidi Mohammed, der bis 1790
+regierte und im Jahre 1760 Mogador gr&uuml;ndete. Die beiden
+folgenden S&ouml;hne, Mulei Mohammed Mahdi el Tisid und Mulei
+Haschem regierten nach einander zusammen nur zwei Jahre. Mulei
+Sliman behauptete sodann den Thron von 1792-1822, und nach ihm
+regierte Mulei Abd-er-Rhaman ben Hischam bis 1859, und dessen
+zweiter Sohn, Sidi Mohammed, behauptet heute noch den
+Thron.]</blockquote>
+<p>Si Mohammed ben Thaleb, der Bascha von Alt-Fes, dessen Gast ich
+w&auml;hrend der ganzen Zeit meines Aufenthalts in Fes war, hatte
+freilich ein ganz anderes Schicksal. Er war ein Mann von
+rechtlichem Charakter und vollkommen vorurteilsfrei, was in Marokko
+viel sagen will; ich finde in meinem Tagebuch sogar die Notiz: "Ben
+Thaleb war der einzige wirklich ehrliche und durchaus rechtliche
+Mensch, den ich in Marokko kennen lernte." Geb&uuml;rtig aus Ain
+Tifa, einem Orte etwa einen Tagemarsch s&uuml;d&ouml;stlich von der
+Stadt Marakisch gelegen, war er fast unabh&auml;ngiger Herrscher
+&uuml;ber eine dortige Berbertribe, welche seiner eigenen Aussage
+nach sieben Hauptst&auml;mme umfasste. M&auml;chtig und reich (er
+verkaufte j&auml;hrlich f&uuml;r etwa 200,000 Fr. Mandeln nach
+Ssuera), w&auml;re er gewiss lieber in seiner Stellung als
+Berberchef geblieben, wie er &uuml;berhaupt nie fr&ouml;hlicher und
+vergn&uuml;gter war, als wenn seine Stammgenossen, Berber von der
+Heimath, ihn in Fes besuchten und er mit ihnen Schellah oder
+Tamashirt reden konnte. Aufst&auml;nde, wie sie so h&auml;ufig in
+Marokko vorkommen, verwickelten seine Berberst&auml;mme im Jahre
+1846 gegen die kaiserliche Regierung; Ben Thaleb selbst betheiligte
+sich jedoch nicht daran, sondern hielt mit seiner ganzen Familie
+zum Sultan. Der Aufstand endete, wie in der Regel, mit der
+Niederlage der Rebellen, der Sultan Abd-er-Rhaman aber, um einen so
+m&auml;chtigen Stamm f&uuml;r immer an sein Haus zu ketten,
+ernannte ihren Schich Ben Thaleb zum Bascha-Gouverneur von Fes,
+welche Stelle als die erste nach dem U&iuml;sirat (Ministerium) im
+ganzen Reich betrachtet wird. Der Berberstamm wurde durch eine so
+schmeichelhafte Auszeichnung, die seinem Chef widerfuhr, vollkommen
+zum Sultan hin&uuml;bergezogen, und auch Ben Thaleb schien diesen
+Platz, der mehr als jeder andere abwirft, zuerst nicht ungern
+angenommen zu haben.</p>
+<p>Indess schon zu Lebzeiten Mulei-Abd-er-Rhaman's war Ben Thaleb
+wiederholt um seinen Abschied eingekommen, er hatte in Erfahrung
+gebracht, dass ein Gouverneur von Alt-Fes, der reichsten Stadt des
+Landes, nie eines nat&uuml;rlichen Todes st&uuml;rbe. In Marokko
+haben n&auml;mlich die Beamten eine ganz andere Stellung als bei
+uns. Nicht dass sie vom Staate, wie denn dort Staat und Sultan noch
+eins sind, oder vom Herrscher Gehalt bekommen, m&uuml;ssen sie im
+Gegentheil der Regierung, oder der Casse des Sultans, Gelder
+abliefern. Sie k&ouml;nnen allerdings daf&uuml;r von ihren
+Schutzbefohlenen so viel erpressen, wie sie wollen. Da nun jeder
+Beamte darauf ausgeht, seinen S&auml;ckel zu f&uuml;llen, ausserdem
+aber grosse Summen dem Sultan abzuf&uuml;hren hat, so kann man sich
+denken, wie schlecht das Volk dabei f&auml;hrt, und meistens sind
+Uebersteuerungen und willk&uuml;rliche Erpressungen die Ursachen
+der so h&auml;ufigen Revolten. Es ist dieses System auch
+andererseits Ursache der schlechten Cultur des Bodens; abgesehen
+davon, dass weder Berber noch Semiten je etwas im Ackerbau
+geleistet haben, giebt sich kein Mensch M&uuml;he, den Boden so
+ergiebig wie m&ouml;glich zu machen, weil er weiss, dass die
+Erzeugnisse der Regierung verfallen sind. Ebenso ist der Handel
+dadurch gel&auml;hmt, der reiche Kaufmann von Fes sieht mit Bangen
+dem Tage entgegen, wo die Regierung sich seiner Ersparnisse
+bem&auml;chtigt, und es giebt deshalb auch in keiner Stadt, in
+keinem Ort Jemand, der nicht seinen geheimen Schatz h&auml;tte, der
+in der Regel vergraben ist.</p>
+<p>Der Bascha ben Thaleb regierte im Jahre, als ich Fes betrat, die
+Stadt seit 13 Jahren. Da er seinen Abschied auch von Sidi Mohammed
+nicht bekommen konnte, tr&ouml;stete er sich mit den Gedanken,
+diesem bei seinem Regierungsantritt den wichtigsten Dienst
+geleistet zu haben, und rechnete auf seine Erkenntlichkeit.</p>
+<p>Wie bei jedem Kaiserwechsel, so waren auch bei dem Tode
+Mulei-Abd-er- Rhaman's grosse Unruhen und Fehden um die Nachfolge
+ausgebrochen. Es war vor allen der &auml;lteste Sohn des Sultan
+Sliman, Namens Mulei Abd-er-Rhaman- ben-Sliman, der mit H&uuml;lfe
+der Franzosen hoffte, den Thron seines Vaters wieder zu gewinnen,
+aber trotzdem er seinen Sohn H&uuml;lfe bittend an den gerade mit
+der Niederwerfung der Beni Snassen besch&auml;ftigten
+franz&ouml;sischen General Martimprey schickte, konnte er nicht
+aufkommen. Da war ferner der erste Sohn des verstorbenen Sultans
+und &auml;lterer Bruder des jetzt regierenden, auch er wurde aus
+dem Felde geschlagen, und wurde wie der ersterw&auml;hnte nach
+Tafilet verbannt<a href="#F092"><sup>92</sup></a>. Der jetzt regierende
+Sultan Sidi Mohammed verdankte seine schnelle Installirung
+haupts&auml;chlich dem Umstande, dass sich Sidi el
+Hadj-Abd-es-Ssalam von Uesan f&uuml;r ihn erkl&auml;rte, dass er
+schon bei Lebzeiten des Vaters Califa, d.h. Stellvertreter des
+Sultans gewesen und grosse Sch&auml;tze angesammelt hatte, und dass
+sich Ben Thaleb, der Gouverneur von Fes, sofort zu seiner Partei
+bekannte.</p>
+<blockquote><a name="F092" id="F092"></a>[Fu&szlig;note 92: Beide
+Prinzen, die ich dort kennen lernte im Jahre 1863, lebten in
+freiwilliger Verbannung, obschon man in Marokko behauptet, die
+Regierung habe sie dorthin verbannt. Die Lage ist aber derart,
+dass, wenn der Sultan seines Bruders und Vetters habhaft werden
+k&ouml;nnte, er sie sicher w&uuml;rde hinrichten
+lassen.]</blockquote>
+<p>Der Bascha von Alt-Fes hatte indess gar nicht so leichtes Spiel,
+denn wenn auch Faradji, der Gouverneur von Neu-Fes, des jetzigen
+Sultans Panier ergriff, so hatte dieser mit seinen wenigen Soldaten
+genug zu thun, um das Palais des Sultans und Neu-Fes vor
+Pl&uuml;nderung und Angriff zu sch&uuml;tzen. Ben Thaleb hatte aber
+ausser einem Dutzend Maghaseni (Reiter) nur von seinen eigenen, mit
+Flinten bewaffneten Berbern vielleicht 50 Mann zur Verf&uuml;gung. Der
+jetzige Sultan war mit der Armee noch fern von der Hauptstadt.</p>
+<p>Eines der wichtigsten Quartiere der Stadt, das der Djemma Mulei
+Edris, vorzugsweise von Sch&uuml;rfa (Abk&ouml;mmlingen Mohammed's)
+bewohnt, emp&ouml;rte sich nun sofort nach dem Tode Abd-er-Khaman's
+und rief den &auml;ltesten Sohn des Sultan Sliman zum Nachfolger
+aus. Aber sie hatten nicht auf Ben Thaleb's eiserne Energie
+gerechnet: er liess fast vom ganzen Quartiere die erwachsenen
+M&auml;nner decimiren, die H&auml;user der vornehmsten Sch&uuml;rfa
+wurden dem Boden gleich gemacht, und alles was am Leben blieb,
+wurde seines Eigenthums beraubt. Diejenigen nun, welche wissen was
+es heisst, einen Scherif in Marokko beleidigen, strafen oder gar
+t&ouml;dten, k&ouml;nnen sich denken, welche Aufregung dieses
+Verfahren Ben Thalebs hervorrief, der nicht einmal Araber,
+geschweige Scherif, sondern nur ein Brebber<a href="#F093"><sup>93</sup></a>
+war. Aber der Berber-Schich war nicht der Mann, sich
+einsch&uuml;chtern zu lassen, andererseits vertheilte er den
+anderen Quartieren der Stadt je 2000 Metkal, ein ganz artiges
+S&uuml;mmchen f&uuml;r 17 Quartiere. So brachte er durch Strenge
+und G&uuml;te es dahin, dass Fes den jetzigen Sultan gleich
+anerkannte, und als der Vetter des Sultans mit seinem Heere vor die
+Hauptstadt r&uuml;ckte, wurde er von den Bewohnern von Fes, an
+deren Spitze Faradji und Ben Thaleb standen, feindselig empfangen;
+er musste fliehen, als Sidi Mohammed herbeir&uuml;ckte, diesem
+wurden die Thore ge&ouml;ffnet, und damit hatte Marokko einen
+Sultan,</p>
+<blockquote><a name="F093" id="F093"></a>[Fu&szlig;note 93:
+Bezeichnung f&uuml;r Berber in Marokko. Man sieht hieraus, dass der
+Araber den Wahn, den Mohammed lehrte, das arabische Volk sei besser
+als jedes andere, noch immer aufrecht erhalten. Es trug dies
+wesentlich zum Untergange des arabischen Volkes bei, wie denn auch
+die Juden den D&uuml;nkel das auserw&auml;hlte Volk Gottes zu sein
+schwer genug haben b&uuml;ssen m&uuml;ssen.]</blockquote>
+<p>Als Gast des Bascha's bezog ich mit meinem Dolmetsch, welcher
+Hauptmann der regelm&auml;ssigen Armee des Sultans war, ein Zimmer,
+welches zur Privatmoschee des Bascha's geh&ouml;rte, welche gleich
+neben seiner Amtswohnung gelegen ist. Mit zunehmender W&auml;rme
+wurde der Aufenthalt in diesem Zimmer bald unertr&auml;glich, und
+als eines Tages der Bascha fragte, wie ich mit meiner Behandlung
+zufrieden sei, machte ich ihn auf die unertr&auml;gliche Hitze
+aufmerksam. Er rief einen seiner Diener und fragte ihn, welche
+Wohnung in der N&auml;he der seinigen auf der Stelle zu haben sei;
+dieser bezeichnete einen reizenden Sommersitz, welcher, obschon in
+der Stadt gelegen, einen h&uuml;bschen Garten habe, vom Fes-Flusse
+durchzogen w&uuml;rde, an die Wohnung des Bascha anstiesse, "aber,
+f&uuml;gte er hinzu, der Scherif, dem es geh&ouml;rt, hat seinen
+Sommeraufenthalt schon darin genommen." "Geh' auf der Stelle und
+sage ihm, ich brauche seine Wohnung," war des Bascha's kurze
+Antwort "Und du Mustafa,"<a href="#F094"><sup>94</sup></a> fuhr er fort,
+"kannst heute noch umziehen, und wirst nun gewiss zufrieden sein."
+Der Scherif schien indess nicht grosse Eile zu haben; vielleicht
+glaubte er auch, weil er Scherif (Abk&ouml;mmling Mohammed's) sei,
+dem Befehle trotzen zu k&ouml;nnen. Kurz, als ich am folgenden Tage
+Ben Thaleb besuchte und er sich nach meiner Wohnung erkundigte,
+musste ich gestehen ich sei, weil der Eigenth&uuml;mer sich noch
+immer in seinem Hause bef&auml;nde, noch in meinem Moschee-Zimmer.
+Aber kaum liess der Bascha mich vollenden; ein Diener wurde
+gerufen, er bekam Befehl, auf der Stelle den Scherif mit seinem
+beweglichen Eigenthum auf die Strasse zu setzen; so geschah es, und
+an demselben Tage konnte ich einziehen. Es w&uuml;rde nichts
+gen&uuml;tzt haben, h&auml;tte ich zartf&uuml;hlend gegen diesen
+Befehl, den Eigenth&uuml;mer aus seinem Besitze zu vertreiben,
+protestiren wollen, Niemand w&uuml;rde ein solches Benehmen
+verstanden haben, da das <i>unfehlbare Benehmen</i>, d.h.
+willk&uuml;rliches Betragen, sich vom Sultan auch auf seine Beamten
+&uuml;bertragen hat.</p>
+<blockquote><a name="F094" id="F094"></a>[Fu&szlig;note 94: Es war
+dies mein in Marokko angenommener Name.]</blockquote>
+<p>Folgendes nun wirft auch Licht auf das summarische
+Gerichtsverfahren in Marokko und Fes &uuml;berhaupt, und ich
+schreibe die hier folgenden Zeilen w&ouml;rtlich aus meinem damals
+gef&uuml;hrten Notizbuch ab.</p>
+<p>Das neue Haus, welches ich bezog, hat ein Stockwerk und ist
+nicht nach Art der Wohnh&auml;user in Fes eingerichtet, sondern
+nach anderen Regeln erbaut. Mitten im Garten liegend, fliesst unter
+dem Hause der kleine Ued Fes, der hier in den Garten tritt und in
+einer 4' tiefen und 6' breiten gemauerten Rinne l&auml;uft, bis er
+an eine dem Hause gegen&uuml;berliegende Veranda kommt, und unter
+dieser in einen andern Garten tritt. Das Haus selbst hat unten eine
+ger&auml;umige Veranda, einen Salon und ein Zimmer, das
+alkovenartig (eine Art von Kubba) hinten angebaut ist; oben sind
+drei Zimmer, die wir unbewohnt liessen; ebenso wurde das platte
+Dach selten benutzt. Der mir als Dolmetsch beigegebene Offizier
+schlief mit mir im hintern alkovenartigen Zimmer; in der einzigen
+Th&uuml;r, welche zum Salon f&uuml;hrte, schliefen drei Diener zwei
+andere in der Veranda, und zwei waren in der
+gegen&uuml;berliegenden Veranda, wo wir der Bequemlichkeit halber
+auch unsere Pferde stehen hatten. So bewacht, dachten wir nicht im
+entferntesten an Diebstahl, zudem in Fes Nachts, weil die einzelnen
+Quartiere, wie fr&uuml;her schon erw&auml;hnt ist, abgeschlossen
+sind, die grosse Communication ganz aufgehoben ist.</p>
+<p>Eines Abends hatten wir, der Kaid oder Hauptmann und ich, auf
+unserem Teppich liegend, sp&auml;t Abends Thee getrunken, beim
+silbernen Mondschein, am Rande des vorbeipl&auml;tschernden
+Fl&uuml;sschens, unter duftenden Orangenb&auml;umen hatten wir die
+Zeit vergessen, und der Muden ilul (das erste Avertissement zum
+Gebet wird im Sommer schon um 1 Uhr Morgens von den Minarets
+gegeben) ert&ouml;nte, als wir schlafen gingen. Wir mochten kaum
+eine halbe Stunde geschlafen haben, als einer der Diener "Sserakin,
+Sserakin" (Diebe, Diebe) rief. Alle liefen wir hinaus mit Gewehren
+bewaffnet, aber nichts war zu finden. Wie h&auml;tte aber auch ein
+Dieb herein und so schnell hinauskommen k&ouml;nnen: an drei Seiten
+hatte der Garten fast 20 Fuss hohe Mauern, und die vierte Seite
+f&uuml;hrte mittelst einer senkrechten, etwa 30 Fuss hohen
+Mauerwand in einen anderen Garten, unm&ouml;glich konnte er hier
+hinuntergesprungen sein. Indess fanden wir, nach unserer Behausung
+zur&uuml;ckgekehrt, dass wirklich ein Dieb dagewesen sein musste,
+es fehlten von meinen Kleidungsst&uuml;cken, die ich abgelegt
+hatte, Hosen, Pantoffeln, dann der Turban des Hauptmanns, ferner
+ein erst Tags zuvor angebrochener Hut Zucker, endlich unser ganzes
+Theeservice, Eigenthum des Bascha's. Eine genauere Untersuchung
+ergab, dass der Dieb unter der Gartenth&uuml;r sich
+durchgew&uuml;hlt, und wahrscheinlich schon mehrere G&auml;nge
+gemacht hatte.</p>
+<p>Auf unsere am anderen Morgen erfolgte Anzeige wurden von Ben
+Thaleb s&auml;mmtliche umwohnenden B&uuml;rger verhaftet, sie
+mussten die Sachen in Gemeinschaft ersetzen, ausserdem ein jeder 20
+"Real" (so nennt man die franz&ouml;sischen f&uuml;nf
+Francs-St&uuml;cke) Caution erlegen, bis der Dieb von ihnen selbst
+ermittelt w&auml;re. Mit Erlegung der 20 Reals erlangten sie zwar
+ihre Freiheit wieder, aber ich glaube kaum, dass sie je wieder zu
+ihrem Gelde gekommen sind, sollte es ihnen auch gelungen sein den
+Dieb zu ermitteln. Ich bemerke hiebei, dass ich einige Jahre
+sp&auml;ter in Leptis magna von der t&uuml;rkischen Beh&ouml;rde
+eine ganz &auml;hnliche Justiz &uuml;ben sah, als einem meiner
+Diener aus dem Zelt ein Revolver Nachts gestohlen wurde.</p>
+<p>Ausser den beiden Gouverneuren der Stadt giebt es sodann
+Vorsteher der einzelnen Quartiere, Vorsteher der Moscheen,
+Einsammler der Gelder, Marktv&ouml;gte, einen Marktkaid der
+Kessaria, und einen Marktkaid des grossen, einmal in der Woche
+ausserhalb der Stadt abgehaltenen Marktes. Die Marktv&ouml;gte und
+der Marktkaid haben haupts&auml;chlich die Obliegenheit
+Streitigkeiten zu schlichten und Ordnung zu halten. An jedem Thore
+findet man einen Kaid el Bab, der die Thore zu &ouml;ffnen und zu
+schliessen, sowie den Zoll zu erheben hat, es ist sodann eine
+Hauptzollamt in der Stadt, endlich sind als Beh&ouml;rden noch die
+Zunftmeister zu nennen, da jedes Handwerk zu einer Zunft verbunden
+ist, welcher ein Meister, der den Titel Kebir hat, vorsteht.</p>
+<p>Die n&auml;chste Umgebung der Stadt zeigt im Norden, Osten und
+Westen die bl&uuml;hendsten G&auml;rten, die man sich nur denken
+kann, im S&uuml;dwesten sind Vorst&auml;dte; fast vor allen Thoren
+ziehen sich Gr&auml;berreihen und Gottes&auml;cker hin, von denen
+einige &auml;usserlich recht stattlich aussehende gr&ouml;ssere
+Grabmonumente aufzuweisen haben. Indess liegt in diesen
+kaiserlichen Grabmonumenten eine gewisse Einf&ouml;rmigkeit, alle
+haben viereckige Form, dar&uuml;ber eine achteckige oder viereckige
+oder auch ganz runde Bedachung. Im Innern findet man in der Regel
+einen Sarkophag, oft mit Tuch &uuml;berzogen, oft aber auch nur aus
+einem h&ouml;lzernen Gestell bestehend. Neben einem solchen
+Hauptgrabe findet man manchmal zwei bis sechs und noch mehre
+kleinere einfache Gr&auml;ber; entweder waren es Kinder der hier
+begrabenen F&uuml;rsten oder manchmal auch Vornehme und Grosse des
+Landes, die gegen hohe Geldsummen das Recht erwarben, sich an der
+Seite ihres Sultans begraben lassen zu k&ouml;nnen. Von der jetzt
+<i>regierenden</i> Dynastie ist niemand in oder ausserhalb Fes'
+beerdigt, sie hat ihre Grabst&auml;tten in Mikenes.</p>
+<p>Ein grosser und f&uuml;r uns Europ&auml;er fast
+unertr&auml;glicher Uebelstand ist, dass dicht vor den Thoren sich
+verwesende Berge, oft 50 Fuss hoch, von crepirten Thieren befinden;
+seit Jahrhunderten ist es Brauch, jedes todte Vieh, allen Unrath
+vor die Thore der Stadt zu bringen, aber so dicht an den Wegen sind
+diese verpestenden H&uuml;gel errichtet, dass es eine Qual ist, aus
+der Stadt heraus und in dieselbe hinein zu kommen.</p>
+<p>Der die Stadt beherrschende Berg, der im Norden und Nordwesten
+sich um dieselbe herumzieht, heisst Djebel-Ssala, er hat vielleicht
+1000 Meter absolute H&ouml;he. Unter dem Vorwande, Kr&auml;uter
+f&uuml;r Bascha Ben Thaleb suchen zu wollen, bekam ich eines Tages
+Erlaubniss hinauf zu reiten; durch einen breiten G&uuml;rtel
+lachender Feigen- und Orangeng&auml;rten, wo ausserdem Pfirsiche,
+Aprikosen, Granaten, Wein und Kirschen gezogen werden, gelangt man
+in Oelwaldungen, das zweite Drittel ist von immergr&uuml;nen
+Eichen, von Lentisken und anderen das Laub nicht verlierenden
+B&auml;umen bestanden, das letzte Drittel hat nur Buschwerk und
+Zwergpalmen. Oben auf dem Berge, von dem aus man eine
+pr&auml;chtige Uebersicht &uuml;ber die Stadt, &uuml;ber die Ebene
+bis zum grossen Atlas und &uuml;ber das nach Westen sich ziehende
+Serone-Gebirge hat, traf ich einen Einsiedler, Sidi Mussa, schon
+seit 50 Jahren in einer H&ouml;hle auf dem Ssala-Berge lebend. Im
+Rufe grosser Heiligkeit, lebt er von den Gaben der Pilger, hat aber
+ausserdem eine grosse Bienenzucht. Auf dem Plateau des Ssala-Berges
+sind mehrere Quellen und sogar G&auml;rten und Ackerbau.</p>
+<p>Was die Bev&ouml;lkerung von Fes anbetrifft, welche wir auf
+100,000 Seelen sch&auml;tzen k&ouml;nnen und die vor der Cholera im
+Jahre 1859 wohl noch 20,000 mehr betrug, so besteht dieselbe
+vorzugsweise aus Arabern und Berbern.</p>
+<p>W&auml;hrend aber auf dem Lande die Mischung von Berbern und
+Arabern bedeutend seltener ist, kommt sie in den St&auml;dten
+h&auml;ufiger vor, indess doch nicht der Art, dass man sagen
+k&ouml;nnte, ein Volk habe das andere absorbirt. Aeusserlich
+unterscheiden sich die Bewohner von Fes, wie die der &uuml;brigen
+St&auml;dte von den Landbewohnern durch grosse Weisse der Haut, es
+hat dies aber einzig seinen Grund darin, dass sie fast nie der
+Sonne ausgesetzt sind, da selbst, wenn sie auf die Strassen gehen,
+diese so eng sind, dass sie nur auf kurze Zeit von der Sonne
+beschienen werden. Der Grund der h&auml;ufigen Corpulenz bei den
+M&auml;nnern ist denn auch nur darin zu suchen, dass sie wenig
+Uebung, wenig Bewegung bei verh&auml;ltnissm&auml;ssig
+kr&auml;ftiger Kost haben. Im allgemeinen sind trotz des sehr
+hellen Teint die Leute von Fes sehr h&auml;sslich, namentlich
+h&auml;ufig findet man wulstige Lippen und krauses, obschon langes
+Haar. Negerblut ist hier unverkennbar, wie denn &uuml;berhaupt in
+ganz Marokko viel Negerblut unter die Arabern gekommen ist. Fes vor
+den &uuml;brigen St&auml;dten des Landes zeichnet sich noch dadurch
+aus, dass mit den arabischen und berberischen Elementen sich stark
+das j&uuml;dische gemischt hat. Nicht etwa durch freiwillige
+Heirathen, sondern dadurch, dass h&uuml;bsche J&uuml;dinnen
+gezwungen werden, in den Harem des Sultans oder eines Grossen des
+Reichs zu treten oder durch gezwungene Uebertritte, durch
+Kinderraub; so pflegen denn auch die &uuml;brigen Bewohner des
+Landes von den Familien in Fes zu sagen: die H&auml;lfte derselben
+habe j&uuml;disches Blut in ihren Adern.</p>
+<p>Die Zahl der Juden in Fes, welche, wie alle marokkanischen, zum
+Theil direct von Pal&auml;stina eingewandert, zum Theil von Spanien
+zur&uuml;ckvertrieben sind, mag sich auf 8-10,000 belaufen. Sie
+leben hier ebenso ungl&uuml;ckselig wie in den &uuml;brigen
+marokkanischen St&auml;dten. Der verstorbene Sultan Abd-er- Rhaman
+glaubte es durchsetzen zu k&ouml;nnen, den Juden eine Art
+Emancipation zu verschaffen, und gestattete den Juden gleiche
+Tracht mit den Moslemin. Der erste Ungl&uuml;ckliche, der es wagte
+seine Melha (den Juden-Ghetto) mit rothem Fes, mit gelben
+Pantoffeln zu verlassen, kehrte nie zur&uuml;ck: er wurde
+gesteinigt. Der Sultan hatte, trotz seiner Unfehlbarkeit, nicht die
+Macht den religi&ouml;s-fanatischen Wuthausbruch seiner Unterthanen
+zu d&auml;mpfen.</p>
+<p>Der religi&ouml;se Fanatismus, der ja allen semitischen
+Religionen innewohnt, ist &uuml;berhaupt eine der schlimmen Seiten
+der Bewohner von Fes. Wie oft habe ich selbst mich von irgend einem
+Lumpen auf der Strasse angehalten gesehen, der mir mit den Worten
+"Scha had," d.h. bezeuge, den Weg vertrat, und er und die sich
+rasch ansammelnde Menge liessen mich sicher nicht eher passiren,
+als bis ich "Lah il Laha il Allah" gesagt hatte, bekanntlich die
+Glaubensformel der Mohammedaner.</p>
+<p>Die Tracht der Bewohner von Fes ist die der &uuml;brigen
+St&auml;dter, d.h. es kann hier nur von der Kleidung der Reichen
+die Rede sein, da ein Armer nur seinen Haik, d.h. ein langes weiss
+wollenes Umschlagetuch und ein cattunenes Hemd darunter zum
+Anziehen hat, sonst aber barfuss und barhaupt daherkommt. Im Winter
+wird freilich der wollene Burnus dar&uuml;ber gezogen, der manchmal
+aus schwarzer, manchmal aus weisser Wolle besteht.</p>
+<p>Der Anzug des wohlhabenden Bewohners von Fes ist indess viel
+reichhaltiger. Auf dem Kopf tr&auml;gt er einen hohen spitz
+zulaufenden rothen Fes, Saschia genannt, um den ein weisser Turban,
+Rasa, gewickelt wird. Ueber ein langes weissbaumwollenes Hemd,
+Camis, vervollst&auml;ndigen eine Tuchweste mit vielen
+Kn&ouml;pfen, und bis oben eng anschliessend und zugekn&ouml;pft,
+Ssodria, dann ein Tuchkaftan aus schreienden Farben und eine weite
+Hose, Ssrual, den Anzug, gelbe Pantoffel bilden die Fussbekleidung.
+Die meisten J&uuml;nglinge und M&auml;nner tragen Fingerringe aus
+Silber mit werthlosen Steinen, einige haben Ringe mit Steinen,
+welche man im Wasser aufl&ouml;sen kann (nach der Aussage des
+Besitzers), und welche Aufl&ouml;sung alsdann ein Mittel gegen
+Vergiftung ist. Einen solchen Ring besass Ben Thaleb auch, dennoch
+entging er nicht seinem Tode.</p>
+<p>Sehr unangenehm ist die entsetzliche Unreinlichkeit, welche
+&uuml;berall herrscht; die Kleider werden nie gewechselt, sondern,
+wenn einmal angezogen, immer Tag und Nacht, so lange auf dem
+K&ouml;rper getragen, bis man neue Kleidungsst&uuml;cke anschafft.
+Allerdings spricht Leo von grossen &ouml;ffentlichen Waschanstalten
+in Fes; ich konnte leider solche zu meiner Zeit nicht mehr
+constatiren. Der reiche Bewohner kauft sich einmal, wohl auch
+zweimal, im Jahr einen neuen Anzug, bei Gelegenheit eines grossen
+Festes. Das altgewordene bekommen sodann die Kinder, Verwandten,
+Diener, oder auch arme Freunde zum Weitertragen. Der Arme kauft
+sich, nachdem er lange darauf gespart hat, einen Anzug, legt ihn
+dann aber nie wieder ab, bis er absolut unbrauchbar geworden ist.
+Freilich findet <i>einmal</i> im Jahr eine grosse Kleiderreinigung,
+eine allgemeine W&auml;sche, statt: am Tage vor dem aid-el- kebir,
+dem grossen Bairain der T&uuml;rken. Da an diesem Tag Jeder geputzt
+erscheint, wer es kann sich ein neues Kleid kauft, und wer nicht,
+doch darauf h&auml;lt so rein als m&ouml;glich zu erscheinen, so
+sehen wir denn am Tage vor dem aid-el-kebir alle Welt, Jung und
+Alt, M&auml;nner und Frauen den Wasserpl&auml;tzen zueilen; man
+entledigt sich der Kleidungsst&uuml;cke und wie besessen tanzt und
+springt Jeder auf seinem Zeuge herum, um mit den F&uuml;ssen den
+jahrelangen Schmutz herauszustampfen: eine einfache Handw&auml;sche
+w&uuml;rde dazu nicht gen&uuml;gen.</p>
+<p>Die Nationalspeise der Fessi ist ebenfalls Kuskussu&mdash;ein
+Mehlgericht, welches aus geperltem Weizen- oder Gerstenmehl
+bereitet und mittelst Dampf gekocht wird. Der nahe Sebu liefert
+indess ausgezeichnete Fische, die man in einer gepfefferten und
+durch Tomaten rothgef&auml;rbten Oelsauce stets fertig auf dem
+Marktplatze bekommen kann. Hammel-, Ziegen- und Schaffleisch ist
+gleichfalls billig zu haben, und in Fes wird wohl mehr animalische
+Nahrung consumirt, als im ganzen &uuml;brigen Lande, die
+St&auml;dte ausgeschlossen, zusammen.</p>
+<p>Wie alle Marokkaner, sind auch die Fessi grosse Liebhaber von
+Thee, der vor dem Essen gereicht wird; die Manier zu essen ist aber
+eben so unsauber bei den vornehmsten Fessi, wie im ganzen Lande.
+Mehrere Personen hocken um eine irdene Sch&uuml;ssel, die in einem
+niedrigen Tischchen, etwa zwei Zoll hoch, Maida genannt,
+aufgetragen wird. Alles kauert auf der Erde, in solcher Stellung,
+wie Jeder sie nehmen will; nachdem ein Sklave oder einer der
+Gesellschaft Wasser zum Abwaschen der H&auml;nde herumgereicht hat,
+sp&uuml;lt man sodann diese ab, und ein <i>gemeinsames</i> Handtuch
+bei den Reichen dient zum Trocknen, bei Unbemittelten trocknet man
+sich einfach die H&auml;nde mit dem Zipfel seines Burnus. Dann, auf
+ein gegebenes Zeichen, greift mit dem Worte "Bi' Ssm' Allah" (Im
+Namen Gottes) ein Jeder mit der Rechten in die Sch&uuml;ssel, um
+den erhaschten Bissen zum Munde zu f&uuml;hren. Alle befleissigen
+sich einer ausserordentlichen Eile, um nicht zu kurz zu kommen, nur
+bei sehr Reichen wird langsam gegessen, weil da mehrere
+Sch&uuml;sseln folgen. Es geh&ouml;rt &uuml;brigens zum guten Ton
+f&uuml;r die Frauen, Diener und Kinder, oder auch f&uuml;r die
+herumlungernden Armen, Anstandsbrocken in der Sch&uuml;ssel zu
+lassen. Eine grosse Auszeichnung aber ist es jedenfalls f&uuml;r
+einen Fremden, wenn der Wirth selbst mit seiner schmutzigen Hand in
+die Sch&uuml;ssel fahrt, einen Lockina, d.h. Bissen oder Mundvoll,
+hervorholt und ihn dem Gast in den Mund schiebt. Obschon ich nicht
+lange Zeit brauchte um mich an diese Art des Essens zu
+gew&ouml;hnen, denn Hunger &uuml;berwindet Alles, so hatte ich doch
+l&auml;ngere Zeit n&ouml;thig zu lernen <i>geschickt</i> und
+<i>anst&auml;ndig</i> zu essen, denn es geh&ouml;rt
+Geschicklichkeit dazu die oft halb fl&uuml;ssigen Bissen mit
+Eleganz an den Mund zu bef&ouml;rdern, namentlich, wenn man nicht
+zu kurz kommen will.</p>
+<p>Ein Trunk Wasser, eine abermalige oberfl&auml;chliche
+Handabsp&uuml;lung und ein nie unterlassenes "Hamd ul Lah" (Lob sei
+Gott) beschliesst jedes Mahl.</p>
+<h2><a name="K09" id="K09"></a>9. Mikenes und Heimreise nach
+Uesan.</h2>
+<p>Ben Thaleb hatte geglaubt, auf die Dankbarkeit des Sultans
+rechnen zu k&ouml;nnen, der seine Thronbesteigung gewissermassen
+ihm zum Theil verdankte. Verschiedene Male war Ben Thaleb um seinen
+Abschied eingekommen, er hatte nun seit mehr als 13 Jahren der
+reichsten Stadt des Landes vorgestanden. Vielleicht hoch in den
+F&uuml;nfzigen, hoffte er seine letzten Lebensjahre ruhig in seiner
+Heimath, inmitten seiner treuen Berbertribe beschliessen zu
+k&ouml;nnen. Da starb er eines Tags, pl&ouml;tzlich, ohne vorher
+auch nur ernstlich unwohl gewesen zu sein.</p>
+<p>Dem Sultan musste der Tod des Bascha's &auml;usserst
+erw&uuml;nscht sein. Er hatte gerade jetzt Kriegsentsch&auml;digung
+zu zahlen. Spanien verlangte f&uuml;r Zur&uuml;ckziehung der
+Truppen aus Tetuan 23 Millionen spanische Thaler. Woher das Geld
+nehmen? Den grossen Schatz, der in Mikenes sein soll, wollte oder
+konnte er nicht anbrechen. Wie froh musste der Sultan sein, dass
+Ben Thaleb in diesem Augenblick ihm den Gefallen that, zu sterben;
+er war somit Erbe seines ganzen baaren Verm&ouml;gens geworden.</p>
+<p>Sobald der Tod Ben Thaleb's ruchbar geworden war, kamen seine
+Diener, Sklaven und Maghaseni vor meine Wohnung unter dem drohenden
+Geschrei, ich habe den Bascha vergiftet, und man m&uuml;sse mich
+t&ouml;dten. Gl&uuml;cklicher Weise f&uuml;r mich war der
+&auml;lteste Sohn des Bascha's da, um mich zu besch&uuml;tzen. Noch
+am Abend vorher waren wir bei seinem Vater, dem Bascha, gemeinsam
+zum Thee gewesen, derselbe hatte, genesen von einem leichten
+Unwohlsein, noch am Abend einen Ochsen, als Opfer und Geschenk an
+die Moschee Mulei Edris geschickt, und noch am selben Abend
+&auml;usserte sich der Bascha in Gegenwart dieses Sohnes, dass
+Mustafa (mein angenommener Name) stets sein volles Vertrauen gehabt
+habe, und dass ich ihn bei seinem leichten Unwohlsein stets zur
+Zufriedenheit behandelt habe. "Und," f&uuml;gte er hinzu, als ob er
+ein Vorgef&uuml;hl seines nahen Todes habe, "wenn Gott mein Dasein
+verk&uuml;rzen sollte, so besch&uuml;tze Mustafa, der mein Gast
+gewesen ist."</p>
+<p>Eingedenk der Worte seines Vaters, trieb Si-Hammadi (so hiess
+der Sohn) seine Leute auseinander, und schon nach zwei Tagen befahl
+er, mit ihm nach Mikenes zu reisen, zum Sultan. So sagte ich denn
+Fes Lebewohl, um es nie wieder zu betreten.</p>
+<p>Si-Hammadi, von einer gl&auml;nzenden Suite umgeben, dann mein
+Dolmetsch Si- Mustafa und ich mit unserem Tross, endlich eine Reihe
+von wenigstens 200, mit schweren Kisten bepackten Maulthieren und
+vielleicht 100 Kamelen ebenso beladen, von Maghaseni escortirt, das
+war unsere Karavane. Ich wusste nicht, was aus diesem gleichartig
+gepackten Zuge machen, seine Gep&auml;ckthiere hatte Si-Hammadi
+ausserdem noch, bis ich erfuhr, dass dies das vom Bascha
+hinterlassene Baarverm&ouml;gen sei, ungef&auml;hr zwei Millionen
+spanische und franz&ouml;sische Thaler. Die Summe mochte nicht
+&uuml;bertrieben sein, in Anbetracht, dass ein Maulthier mit
+leichter M&uuml;he hundert Pfund Silber = 2000 franz&ouml;sische
+Thaler, ein Kamel aber ohne Beschwerde das Dreifache tragen konnte.
+Ohne Anhalt erreichten wir in einem Tage das nahe Mikenes.</p>
+<p>In Mikenes angekommen, verabschiedete ich mich von Si-Hammadi
+und nahm im Funduk el Attarich in der Stadt Logis, ging Abends noch
+ins Lager hinaus, um meine milit&auml;rischen Bekannten zu
+begr&uuml;ssen, welche sich ebenso sehr wunderten, mich jetzt
+pl&ouml;tzlich wieder zu sehen, als sie vorher erstaunt gewesen
+waren, eines Morgens mein Hanut mit dem sch&ouml;nen
+Aush&auml;ngeschild ohne Arzt zu finden, und erst sp&auml;ter nach
+und nach inne wurden, ich sei auf allerh&ouml;chsten Befehl nach
+Fes zur&uuml;ckgeschickt worden.</p>
+<p>Anderen Tages machte ich bei dem Grosswessier einen Besuch, er
+war schon von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte, als ob ich
+selbst nichts dabei zu sagen h&auml;tte, schon Befehl gegeben,
+f&uuml;r mich Zimmer einzurichten, in einem Hause, welches neben
+dem seinigen lag. Ich hatte Abends vorher Ismael (Joachim Gatell)
+im Lager gesehen, wie kl&auml;glich er dort unter den thierischen
+Soldaten die Zeit verbrachte, und war daher froh, mich von der
+Armee fern halten zu k&ouml;nnen. Die mir von Si-Thaib zur
+Verf&uuml;gung gestellte Wohnung war neu und ger&auml;umig und ich
+lud Ismael ein, dieselbe zu theilen. Da er dies Anerbieten gern
+annahm, hatten wir beide jetzt eine angenehme Zeit vor uns, wir
+konnten unsere Erlebnisse und Entt&auml;uschungen uns mittheilen,
+wieder einmal europ&auml;isch denken und f&uuml;hlen. So viel
+merkte ich wohl, dass Ismael von seiner Lage noch weniger erbaut
+war, wie ich, der ich fern von den marokkanischen Soldaten gelebt
+hatte.</p>
+<p>Aber auch sein Unangenehmes hatte der Aufenthalt bei Si-Thaib
+f&uuml;r mich. Der erste Minister hatte nicht aus
+Uneigenn&uuml;tzigkeit mir seine Wohnung angeboten, sondern nur um
+mich zur Hand haben, Krankenw&auml;rterdienste bei ihm zu
+verrichten. Jeden Mittag, wenn, er vom Maghasen (Palais des Sultans
+und Sitz der Regierung) zur&uuml;ckkam, wurde ich gerufen. Ich
+hatte dann die unangenehme Pflicht, ihm seine kranken F&uuml;sse
+mit Kampherspiritus zu reiben. Nur auf diese Art glaubte er
+Linderung in seinen Podograschmerzen zu haben, versprach sich sogar
+Heilung davon. Und dies Gesch&auml;ft war keineswegs ein
+angenehmes, beim Beginn der Operation unterhielt er mich meist
+&uuml;ber Politik, wobei er die verr&uuml;cktesten Ansichten
+auskramte, auch Religion wurde aufgetischt, nach einer halben
+Stunde pflegte er zur&uuml;ckgelehnt auf seiner Matratze
+einzuschlafen. Ich durfte aber nicht etwa das Reiben einstellen,
+sonst erwachte er sogleich und befahl fortzufahren; oft habe ich
+mit dieser Verrichtung zwei bis drei Stunden zubringen
+m&uuml;ssen.</p>
+<p>Si-Hammadi, der Sohn des Bascha's von Fes, hatte dann bei
+Ablieferung der Gelder einen so g&uuml;nstigen Bericht &uuml;ber
+mich gemacht, dass ich eines Tags durch die Botschaft
+&uuml;berrascht wurde, ich sei zum Leibarzt des Sultans ernannt und
+habe von jetzt an alle Tage die Frauen des Sultans zu behandeln.
+Vorher beschenkte mich Si-Hammadi noch mit einem meergr&uuml;nen
+Tuchanzug, grosse Auszeichnung als Belohnung f&uuml;r die Dienste
+bei seinem Vater.</p>
+<p>Es kamen nun jeden Morgen zwei Maghaseni aus dem Harem, um mich
+zu rufen. Dort angekommen, nahm mich der Oberste der Eunuchen, Herr
+Kampher, in Empfang und bald darauf wurde ich in ein Vorgemach
+gef&uuml;hrt, wo ich die Damen vorfand, welche sich behandeln
+lassen wollten. Im Anfange wollten sich die Frauen nicht
+entschleiern, als ich aber darauf bestand, ging Herr Kampher, der
+sowie einige andere Eunuchen als Herr Moschus<a href=
+"#F095"><sup>95</sup></a>, Herr Atr' urdi (Rosenessenz) etc., nat&uuml;rlich
+immer zugegen war, ins Harem zur&uuml;ck, meldete dies dem Sultan,
+kam aber dann mit dem Bescheid: "Unser Herr (Sidna) sagt, da du ja
+doch nur ein Rumi und eben erst &uuml;bergetretener Christenhund
+bist, brauchen sich die Frauen deinetwegen nicht zu geniren." Somit
+fielen die Umschlaget&uuml;cher (eigentliche Schleier werden weder
+in Marokko, noch sonst wo von mohammedanischen Frauen zum Verdecken
+des Gesichtes benutzt) und ich hatte alle Tage Gelegenheit, die
+Reize der Frauen des Sultans bewundern zu k&ouml;nnen. Man glaube
+&uuml;brigens nur nicht, dass irgendwie besondere Sch&ouml;nheiten
+im Harem w&auml;ren, oder diese m&uuml;ssten sich nicht gezeigt
+haben, meistens waren es sehr junge Gesch&ouml;pfe mit recht vollen
+Formen. Die oft kostbaren Anz&uuml;ge und die vielen Schmucksachen
+waren mit Schmutz &uuml;berladen, and in der Regel an den Kleidern
+irgend etwas zerrissen. Die meisten schienen nur aus Neugier zu
+kommen, um den "Christenhund" zu sehen. Alle aber, abgesehen von
+ihrem albernen und l&auml;ppischen Wesen, waren recht freundlich
+und h&auml;tte ich nicht die Vorsicht gebraucht, Herrn Kampher zu
+sagen, die und die, nachdem sie zwei oder drei Mal zur Visite
+gekommen war, nicht wieder vorzuf&uuml;hren, so w&auml;re wohl nach
+einiger Zeit der ganze Harem herausgekommen. Sie schienen das
+Krankmelden als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten, eine
+ernstlich Kranke habe ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes
+nicht gesehen. Ich h&uuml;tete mich denn auch sehr, irgend wie
+selbst Medicin zu geben, obschon mir jetzt die dem Sultan von der
+K&ouml;nigin Victoria geschenkte Arzneikiste zur Verf&uuml;gung
+stand. Ich beschr&auml;nkte mich auf di&auml;tetische Anordnungen
+und culinarische Recepte, die oft grosse Heiterkeit hervorriefen,
+aber, wie mir Herr Kampher sagte, immer streng befolgt wurden, da
+die Marokkaner jedem Extraessen (d.h. alles was nicht Kuskussu ist)
+irgend eine besondere Heilkraft beilegen.</p>
+<blockquote><a name="F095" id="F095"></a>[Fu&szlig;note 95: Alle
+Eunuchen haben stets stark duftende, aromatische
+Namen.]</blockquote>
+<p>Von meinem Gehalt hatte ich seit meiner Reise nach Fes nichts
+mehr zu sehen bekommen, wahrscheinlich regalirte sich Hadj Asus
+damit, auch nach der Ernennung zum Leibarzte war von meiner
+Gehaltsauszahlung oder Erh&ouml;hung desselben keine Rede.
+Allerdings sagte mir Si-Thaib mehrere Male, ich solle nur zum Amin
+(Schatzmeister) des Sultans gehen, der Sultan habe Befehl gegeben,
+ich solle jetzt t&auml;glich 5 Unzen Silber, also ca. 8 Sgr.
+beziehen, ich enthielt mich aber dessen. Des Hofes war ich so
+m&uuml;de, dass ich nur daran dachte, wie ich fortkommen
+k&ouml;nne. Ueberdies fehlte es nicht an Geld, die Grossen des
+Reiches glaubten alle verpflichtet zu sein, weil ich Arzt des
+Sultans war, sich von mir behandeln zu lassen, und irgend ein
+Bittsteller, der bei Si-Thaib erschien, kam sicher auch um sich von
+mir behandeln zu lassen. Und weil er glaubte, ich geh&ouml;re mit
+zum Hause des Ministers, hielt er sich verpflichtet, auch mir ein
+Geschenk zu machen; indem er Medicin daf&uuml;r verlangte, meinte
+er auf diese Art zwei Fliegen mit einer Klappe zu fangen.</p>
+<p>Ich war daher so besch&auml;ftigt, dass ich nur die Abende
+f&uuml;r mich hatte, bekam daher von Mikenes wenig zu sehen.
+Freitags hatte ich jedoch Zeit, eine oder die andere Moschee zu
+besuchen, die, welche den Namen Mulei Ismael hat, ist jetzt die
+ber&uuml;hmteste, und da der "blutd&uuml;rstige Hund" Mulei Ismael
+l&auml;ngst einer der ber&uuml;hmtesten Heiligen von Marokko
+geworden ist, hat die Moschee, in der sich das Grabmal Mulei
+Ismaels, Mulei Sliman's, Mulei Abd-er- Rhaman's und noch anderer
+Sultane dieser Dynastie befindet, Asylrecht erhalten. Die
+Ber&uuml;hmtheit dieser Moschee als Asyl Verbrecher gegen das
+Gesetz zu sch&uuml;tzen, scheint durch die Leichen der eben
+genannten Herrscher Marokko's fast eben so gross geworden zu sein,
+wie die der heiligen Moschee Mulei Edris Serone, und die des Mulei
+Edris in Fes.</p>
+<p>Eines Tages war ich Zeuge, dass verschiedene Artilleristen,
+welche wegen nicht erhaltener L&ouml;hnung revoltirt hatten, in die
+Djemma Mulei Ismael's fl&uuml;chteten. Sie blieben dort mehrere
+Tage, sogar w&auml;hrend eines Freitag- Gebetes, an welchem Tage
+der Sultan selbst in dieser Moschee das Chotba zu h&ouml;ren
+pflegt, und erst die positive Zusage vollkommener Straflosigkeit
+machte sie aus ihrem Zufluchtsorte hervorkommen. Ob diese
+sp&auml;ter gehalten worden ist, weiss ich nicht, glaube es aber,
+da dem Sultan nat&uuml;rlich daran liegt, die Heiligkeit des Ortes,
+worin seine Vorfahren begraben liegen, aufrecht zu erhalten und zu
+erh&ouml;hen.</p>
+<p>Die Zahl der Einwohner wird von allen Schriftstellern &uuml;ber
+Marokko verschieden angegeben, H&ouml;st nennt &uuml;ber 10,000
+Einwohner, Hems&ouml; 56,000 Ew., Leo 6000 Feuerstellen, Marmol
+8000 Ew., Diezo de Torres 5000 Ew., Jackson 110,000 Ew. Das Wahre
+d&uuml;rfte auch hier in der Mitte liegen, wenn man eine
+ungef&auml;hre Zahl von 40,000-50,000 Seelen annimmt. Marmol,
+H&ouml;st und Hems&ouml; haben das alte Silda des Ptolemaeus in
+Mikenes sehen wollen. Nach Walsin- Esterhazy<a href=
+"#F096"><sup>96</sup></a> wurde Mikenes von einer Abtheilung der Znata, der
+Mekn&acirc;ca, gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts gegr&uuml;ndet.
+Der eigentliche Gr&uuml;nder der Stadt war aber Mulei Ismael, der
+hier best&auml;ndig residirte, und unter dem sie ihre
+Ber&uuml;hmtheit erlangte und von der Zeit eine der vier Residenzen
+des Reiches geblieben ist. Einige Stunden s&uuml;dw&auml;rts vom
+Abhange des Berges Mulei Edris Serone gelegen, hat die Stadt die
+reizendsten G&auml;rten, die man sich denken kann. Schon Leo hebt
+die kernlosen (?) Granaten und wohlriechenden Quitten hervor, und
+dass die Stadt einen grossen Oliven-Reichthum hat, bekundet das
+Beiwort Meknas-el-situna, d.h. das olivenreiche. Zum Theil liegen
+die G&auml;rten innerhalb der Mauer.</p>
+<blockquote><a name="F096" id="F096"></a>[Fu&szlig;note 96: Siehe:
+Renou pag. 254.]</blockquote>
+<p>Das heisst die eigentliche Stadt mit der Kasbah und dem Palais
+des Sultans, ist durch eine sehr gut erhaltene, von hohen
+viereckigen Th&uuml;rmen flankirte Mauer umgeben, und innerhalb
+dieser hohen Mauer befindet sich auch der pr&auml;chtige Garten des
+Sultans. Dann zieht sich eine Stunde entfernt eine andere,
+niedrigere, an manchen Stellen zwiefache Mauer um die Stadt, um die
+n&auml;chsten G&auml;rten zu sch&uuml;tzen.</p>
+<p>Mikenes hat fast durchweg eine Bev&ouml;lkerung, die in irgend
+einer Beziehung zum Hofe oder zum Heere steht. Die von Hems&ouml;
+angef&uuml;hrte und dem Leo nachgeschriebene grosse Eifersucht der
+M&auml;nner auf ihre Frauen d&uuml;rfte wohl nicht gr&ouml;sser
+sein, als in den anderen marokkanischen St&auml;dten, besonders
+sch&ouml;n fand ich die Frauen nicht. Mikenes ist die einzige Stadt
+in Marokko, wo &ouml;ffentliche Prostitutionsh&auml;user sind. Im
+Uebrigen sind die Strassen gerader, reinlicher, die H&auml;user in
+einem besseren Zustande, als in irgend einer anderen Stadt des
+Reiches. Sogar der Palast des Sultans zeichnet sich dadurch aus,
+obschon der Theil, den Mulei Ismael mit Marmors&auml;ulen, die er
+von Livorno und Genua kommen liess, schm&uuml;ckte, in Ruinen
+liegt. Diese sch&ouml;nen Monolithen liegen als Zeugen j&uuml;ngst
+vergangener Gr&ouml;sse im Staube. Kein anderes Geb&auml;ude
+zeichnet sich irgendwie aus, selbst die Moschee Mulei Ismaels,
+welche doch Begr&auml;bnissstelle der jetzigen Dynastie ist, liegt
+halb in Verfall. Die Stadt wird durch eine ausgezeichnete
+Wasserleitung mit Wasser versorgt, irre ich nicht, von einem in den
+Ued Bet gehenden Bache aus, der nordw&auml;rts von der Stadt
+entspringt.</p>
+<p>Erw&auml;hnen muss ich eines Abstechers nach Mulei Edris Serone,
+einer ungef&auml;hr 3 Stunden n&ouml;rdlich von Mikenes gelegenen
+Stadt; indess kann ich von diesem reizend gelegenen Orte nichts
+weiter anf&uuml;hren, als was ich bei Beschreibung der Stadt Fes
+schon mitgetheilt habe. Trotzdem ich Leibarzt des Sultans war, im
+Hause des ersten Ministers wohnte, alle Gebr&auml;uche und Sitten
+der Mohammedaner aufs Genaueste mitmachte, war ich dennoch immer
+mit misstrauischen Augen angesehen. Nach irgend einer Oertlichkeit
+direct fragen, ging schon gar nicht. Man w&uuml;rde gleich gesagt
+haben, ich sei ein Spion.</p>
+<p>Gl&uuml;cklicher Weise trat ein Ereigniss ein, was mich aus des
+Sultans Dienste befreite, eine englische Gesandtschaft wurde in
+Aussicht gestellt, und nach einigen Wochen traf auch Sir Drummond
+Hay mit zahlreichem Gefolge und escortirt von einer starken
+Abtheilung Maghaseni in Mikenes ein. Man kann sich denken, wie
+gross meine Freude war. Seit &uuml;ber einem Jahre, so viel Zeit
+war nun verflossen, hatte ich nichts von Europa geh&ouml;rt, hatte
+weder einen Brief noch eine Zeitung gehabt, und erhielt nun auf
+einmal B&uuml;cher, Zeitungen, und konnte mich mit gebildeten
+Herren unterhalten. Im Anfange hatte ich grosse Schwierigkeit zu
+Sir Drummond Hay zu gelangen, da die marokkanische Regierung den
+strengsten Befehl ausgegeben hatte, keinen Renegaten auf die
+Gesandtschaft zuzulassen. Nur durch eine List verschaffte ich mir
+Einlass, indem ich Si-Tbaib sagte: ich m&uuml;sse seiner Krankheit
+wegen mit dem der englischen Gesandtschaft beigegebenen Arzte
+sprechen. Das wurde bewilligt und ich durfte dann, von meinem
+ehemaligen Dolmetsch begleitet, die Gesandtschaft betreten.</p>
+<p>Sir Drummond bewohnte eines der sch&ouml;nsten H&auml;user der
+Stadt, worin es sogar an europ&auml;ischen M&ouml;beln nicht
+fehlte, da der Sultan alle dergleichen Utensilien besitzt, sie aber
+f&uuml;r seine Person nicht gebraucht. Ueberhaupt wurde die
+Gesandtschaft mit einer Zuvorkommenheit und Artigkeit behandelt,
+wie sie Sir Drummond Hay, dem eigentlichen geheimen Herrscher von
+Marokko, zukommt. Auf den Strassen, vom Volke, &uuml;berall wo die
+Gesandtschaft sich zeigte, wurde sie aufs respectvollste
+begr&uuml;sst. So gut wie der Sultan, f&uuml;hlt das Volk, dass nur
+England eine wirkliche H&uuml;lfe gegen die Spanier und Franzosen
+ist. Es versteht sich von selbst, dass Sir Drummond sich mit aller
+Freiheit bewegen konnte, ebenso die &uuml;brigen Herren der
+Gesandtschaft.</p>
+<p>Was mich anbetrifft, so gab mir Sir Drummond ein Schreiben
+(arabisch ausgefertigt) und sagte mir, dasselbe durch den ersten
+Minister dem Sultan vorzeigen zu lassen. In diesem Schreiben war
+betont, die marokkanische Regierung solle mich nicht mit den
+&uuml;brigen Renegaten verwechseln und mir meine Freiheit
+wiedergeben. Das Bl&auml;ttchen Papier wirkte Wunder. Als Si- Thaib
+mir dasselbe nach einigen Tagen wieder einh&auml;ndigte, f&uuml;gte
+er hinzu, der Sultan habe das Blatt gelesen, und gesagt, ich
+k&ouml;nne thun was ich wollte, sei vollkommen frei, Mikenes zu
+verlassen, ja ich d&uuml;rfe &uuml;berall im "Rharb" reisen und
+mich aufhalten, wo ich es f&uuml;r gut f&auml;nde. Wer war froher
+als ich. Jetzt aber war auch der Wunsch das eigentliche Land
+Marokko zu durchreisen, erst recht wachgerufen, und namentlich
+f&uuml;hlte ich einen starken Trieb von nun an weiter in das Innere
+Afrika's einzudringen. Aber ich war mir nun auch erst recht bewusst
+geworden, wie viel noch abging, solche gef&auml;hrliche Reisen ohne
+Mittel ausf&uuml;hren zu k&ouml;nnen. Wenn auch einestheils gerade
+diese Mittellosigkeit ein grosser Schutzbrief f&uuml;r mich war, so
+hatte ich andererseits im Arabischen wenige Fortschritte bis dahin
+gemacht. Der Umstand, dass ich fortw&auml;hrend einen Dolmetsch zur
+Seite gehabt, machte, dass ich kaum mehr von dieser Sprache
+verstand als beim Beginn meiner Reise. Auch war ich mit den Sitten
+und Gebr&auml;uchen des eigentlichen Volkes noch zu wenig vertraut.
+Ebenso wenig wie man diese z.B. in London was das englische Volk,
+in Berlin was das deutsche Volk anbetrifft, in Erfahrung bringen
+kann, zu dem Ende vielmehr das eigentliche Land selbst besuchen
+muss, ebenso wenig ist dies in Marokko in der Hauptstadt der Fall,
+und bislang war ich eigentlich nur in Fes und Mikenes gewesen.</p>
+<p>Ich beschloss nun nach der heiligen Stadt Uesan
+zur&uuml;ckzukehren. Wo konnte ich besser Sitten, Gewohnheiten und
+auch die Sprache des Volkes kennen lernen, als in dieser grossen
+Pilgerstadt, wo t&auml;glich Hunderte, oft Tausende von Pilgern aus
+ganz Nordafrika, ja oft noch von weiter her zusammenstr&ouml;men.
+Und es traf sich nun sehr gl&uuml;cklich f&uuml;r mich, dass gerade
+zwei von den n&auml;chsten Anverwandten des Grossscherifs in
+Mikenes waren. Diese hatten in der Besoffenheit einen Maghaseni des
+Sultans ums Leben gebracht, und waren selbst nach Mikenes gekommen,
+um sich deshalb beim Kaiser zu entschuldigen. Sie wurden nicht nur
+nicht ger&uuml;gt oder gar bestraft f&uuml;r ihre im Trunk
+begangene Handlung, sondern der Sultan betrachtete es als einen
+besonderen Act der H&ouml;flichkeit, dass solche heilige Leute und
+noch dazu wirkliche Vettern des Grossscherifs, keinen Anstand
+nahmen, sich wegen einer solchen Kleinigkeit bei ihm selbst zu
+entschuldigen, und im Grunde genommen sah er es wohl nur f&uuml;r
+einen Vorwand an, Geschenke von ihm zu bekommen. Die erhielten sie
+denn auch beide. Sidi Mohammed ben Abd-Allah und sein Bruder, Sidi
+Thami, verliessen reich beschenkt die kaiserliche Residenz.</p>
+<p>Si Thaib Bu Aschrin hatte die G&uuml;te mir einen Brief f&uuml;r
+die beiden Sch&uuml;rfa zu geben, welche direct nach Uesan
+zur&uuml;ckreisen wollten. Und so sagte ich denn dem Hofe des
+Sultans Lebewohl, nur Trauer empfindend, dass Ismael (Joachim
+Gatell), der die ganze Zeit bei mir gewohnt hatte, jetzt wieder ins
+Lager zur&uuml;ck musste, und da er nicht, wie ich, die Protection
+der englischen Gesandtschaft genoss, nicht daran denken durfte, so
+bald seine Befreiung zu bekommen.</p>
+<p>Den folgenden Morgen begab ich mich mit meinem Gep&auml;ck zur
+Wohnung der Sch&uuml;rfa, und bald war Alles gepackt und wir
+sattelfest. Sidi Mohammed, ein fetter junger Mann von dreissig
+Jahren, und sein einige Jahre j&uuml;ngerer Bruder, Sidi Thami,
+waren noch von zwei alten Sch&uuml;rfa begleitet und hatten
+mindestens 30 Diener als Gefolge. Wir verliessen gegen 8 Uhr
+Morgens Mikenes durch das Nordthor, zogen den Bergen entgegen,
+indem wir die Stadt Serone etwas &ouml;stlich liegen liessen. Die
+Reisen zu Pferde oder Maulthier sind in Marokko keineswegs
+unangenehm, die mit hohen Lehnen versehenen S&auml;ttel, vorn mit
+einem Knauf, worauf man die H&auml;nde legen, die grossen
+Steigb&uuml;gel, in welche man den ganzen Fuss schieben kann,
+lassen die Erm&uuml;dung weit sp&auml;ter erfolgen, als bei
+europ&auml;ischem Reitzeuge. Freilich muss ein Europ&auml;er sich
+die M&uuml;he nehmen, den Sattel durch wollene Decken etwas zu
+polstern, denn wenn sich die H&auml;rte desselben schon ertragen
+liesse, ist er doch sehr uneben, was auf die Dauer unbequem
+ist.</p>
+<p>Wir waren ohne Rast den ganzen Tag unterwegs, da Sidi Mohammed
+Ben Abd- Allah wohl besonderen Grund haben musste so schnell zu
+reisen, denn sonst pflegen die Grossen in Marokko nur, kleine
+Tagem&auml;rsche zu machen. Als ich mich in der H&ouml;he der Berge
+von Mulei Edris etwas entfernte von unserer Karawane, wurde ich der
+Gegenstand einer Ovation, die in der N&auml;he wohnenden Leute, die
+von der Durchkunft von Sch&uuml;rfa von Uesan geh&ouml;rt hatten,
+wohl im Glauben ich sei auch ein Scherif, kamen haufenweise herbei,
+mir die Hand und den Saum der Djilaba k&uuml;ssend. Sie verlangten
+auch das Foetha (Segen), das ich gl&uuml;cklicherweise auswendig
+wusste. Hoffentlich haben sie eben soviel Nutzen von meinem Segen
+gehabt, als von dem eines wirklichen Scherifs! Aber wenn sie es
+gewusst h&auml;tten, ich sei ein zum Islam Uebergetretener, wie
+w&uuml;rden sie mich verflucht haben. Gut, dass wir in den Zeiten
+leben, wo Fluch und Segen von Menschen gesprochen, den Zauber ihrer
+Allmacht verloren haben.</p>
+<p>Bei Sonnenuntergang hielten wir bei einem dem Grossscherif von
+Uesan geh&ouml;renden Duar (Zeltdorf). Da ich kein Zelt hatte,
+luden die beiden Sch&uuml;rfa mich ein, das ihrige mit zu theilen.
+Das Zelt eines Grossen von Marokko zeichnet sich durch
+Ger&auml;umigkeit aus. Aus starkem weiss und blaugestreiften
+Leinenzeug bestehend, ist es inwendig weiss und mit
+verschiedenartig zusammengen&auml;htem bunter Tuch gef&uuml;ttert.
+Meist von nur einer Stange getragen, kann die rund ums Zelt gehende
+gerade aufstrebende Seitenumfassung abgenommen werden, was
+namentlich bei Sonnenschein und grosser Hitze eine grosse
+Annehmlichkeit gew&auml;hrt, da das Dach des Zeltes, gewissermassen
+ein grosser Schirm, frei stehen bleibt und dem k&uuml;hlenden Winde
+der Durchlass offen steht.&mdash;Ich war froh, als der Koch der
+Sch&uuml;rfa sogleich ein Mahl auftrug, da ich den ganzen Tag
+nichts genossen hatte, als ein St&uuml;ckchen Brod und Trauben.
+Gegen Mitternacht kam denn auch der Mul' el Duar oder
+Dorfvorsteher, mehrere Sch&uuml;sseln voll Kuskussu verschiedener
+Art, und andere mit gebratenem Fleisch wurden niedergesetzt. Meine
+M&uuml;digkeit war indess so gross, dass ich vorzog weiter zu
+schlafen, trotz der wiederholten Aufforderungen am Mahle
+theilzunehmen.</p>
+<p>Frisch gest&auml;rkt erweckte man mich am anderen Morgen mit
+einer Tasse Kaffee (die Sch&uuml;rfa von Uesan trinken auch Kaffee)
+und sodann kam wieder ein reichliches Mahl der Leute des
+Zeltdorfes, welche daf&uuml;r mit Thee bewirthet wurden. Wie am
+vorhergegangenen Tage war die Gegend h&uuml;gelig, wohlangebaut und
+zahlreiche Duar deuteten auf eine verh&auml;ltnissm&auml;ssig
+dichte Bev&ouml;lkerung. Bald nach dem Aufbruche am zweiten Tage
+passirten wir die Fl&uuml;sse Sebu und Uarga, letzteren etwas
+oberhalb der Stelle, wo er in den Sebu einf&auml;llt. Ueberall wie
+am ersten Tage waren die Sch&uuml;rfa der Gegenstand der
+gr&ouml;ssten Verehrung, im ganzen Lande gelten die Sch&uuml;rfa
+Uesan's als die gr&ouml;ssten Heiligen. Die Sitte will es, dass ein
+Vornehmer nie seinen Einzug Abends h&auml;lt, so wurde denn auch an
+dem Tage schon um 5 Uhr Nachmittags Halt gemacht in einem Duar, der
+Sidi Abd-Allah selbst geh&ouml;rte. Nur noch einige Stunden am
+anderen Morgen, und wir hatten den Berg Bu-Hall&ouml;l vor uns, an
+dessen anderer Seite Uesan gelegen ist.</p>
+<p>Sobald wir den Berg umgangen, kamen uns die Verwandten und
+Bekannten der Sch&uuml;rfa entgegen, die durch den j&uuml;ngeren
+Bruder, der am Abend vorher noch die Stadt erreicht hatte, waren
+benachrichtigt worden. Sidi Thami hatte auch dem Grossscherif schon
+meine Zur&uuml;ckkunft mitgetheilt.</p>
+<p>Ich konnte indess nicht direct nach der Wohnung des
+Grossscherifs gehen, da ich vorher bei Sidi Abd-Allah
+fr&uuml;hst&uuml;cken musste. Ein naher Verwandter von Sidi el Hadj
+Abd es Ssalam, ist er, was Reichthum und Macht anbetrifft, von den
+Uesaner Sch&uuml;rfa der dritte, denn Sidi Mohammed ben Akdjebar,
+obschon entfernterer Linie, hat nach dem Grossscherif den
+gr&ouml;ssten Einfluss und den gr&ouml;ssten Reichthum. Die
+&uuml;brigen Sch&uuml;rfa, fast die ganze Stadt besteht aus
+Abk&ouml;mmlingen Mohammed's, haben in Uesan selbst gerade keinen
+Einfluss, da ihrer zu viele sind.</p>
+<p>Gleich darauf ging ich dann, nachdem ich meinen meergr&uuml;nen
+Anzug angelegt hatte, zum Grossscherif, den ich von einer
+zahlreichen Menge umgeben in seinem Landhause antraf. Aufs
+freundlichste aufgenommen, liess er sogleich eine Wohnung f&uuml;r
+mich einrichten, und mich ein &uuml;ber das andere Mal willkommen
+heissend, sagte er, ich solle mich von nun an ganz wie zu seinem
+Hause geh&ouml;rig betrachten.</p>
+<p>Ehe ich nun meine Erlebnisse in Uesan schildere, m&ouml;chte ich
+Einiges &uuml;ber die derzeitigen politischen Zust&auml;nde in
+Marokko sagen, und kn&uuml;pfe daran zugleich einige Worte
+&uuml;ber die sonstige und jetzige Stellung der christlichen
+Consuln.</p>
+<h2><a name="K10" id="K10"></a>10. Politische Zust&auml;nde</h2>
+<p>Marokko hat eine Regierung so despotisch und tyrannisch
+eingerichtet, wie man sie eben nur da findet, wo zu gleicher Zeit
+geistige und weltliche Herrschaft in <i>einer</i> Person vereint
+ist, und der Grund zu diesem absolutesten Despotismus liegt doch
+keineswegs im Charakter des arabischen oder berberischen Volkes,
+einzig und allein die <i>mohammedanische Religion</i> ist Schuld
+daran.</p>
+<p>In allen L&auml;ndern, auf welche sich der Islam ausgedehnt hat,
+ist es &auml;hnlich. In der T&uuml;rkei, in Persien, in Aegypten,
+in Tunis, &uuml;berall die absoluteste monarchische Herrschaft, ja
+sogar in Centralafrika hat die mohammedanische Religion in den
+Staaten, von denen sie Besitz ergriffen hat, dem jeweiligen
+F&uuml;rsten unbeschr&auml;nkte Macht verliehen, so in Uadai,
+Bornu, Sokoto und Gando.</p>
+<p><i>Vor</i> dem Islam lebten die Araber in kleinen Triben unter
+patriarchalischen Herrschern, und wenn die Berber Nordafrika's es
+zuweilen vermochten, sich zu K&ouml;nigreichen zu vereinigen, so
+war dennoch die Gemeindeabtheilung, kleine von einander
+unabh&auml;ngige Republiken, ihre Urregierungsform. So finden wir
+in Nordafrika die Araber und Berber noch da, wo sie sich
+unabh&auml;ngig von den grossen Staaten zu erhalten gewusst
+haben.</p>
+<p>Nach der Entstehung des Islam folgte es von selbst, die
+politische Autorit&auml;t mit der des obersten Priesters in einer
+Person zu vereinigen. Nach unten giebt es im Mohammedanismus keine
+Hierarchie, keine Priesterkaste, keine privilegirten Menschen, mit
+Ausnahme derer, welche Mohammed selbst als bevorzugt bezeichnete:
+das sind seine eigenen Nachkommen.</p>
+<p>Freilich die vollkommene Unbeschr&auml;nktheit, wie sie jetzt
+die Sultane von Marokko gemessen, "absolute Unfehlbarkeit," kam
+erst dann zu Stande, als im Anfange des 16. Jahrhunderts Sultane
+aus der Familie der Sch&uuml;rfa auf den marokkanischen Thron
+kamen. Seit der Zeit hat im eigenen Lande der Marokkaner die Macht
+und <i>Unfehlbarkeit</i> der Herrscher immer mehr zugenommen, das
+Wohl, die Bildung und der Fleiss des Volkes aber von dem Augenblick
+an auf merkw&uuml;rdige Weise abgenommen.</p>
+<p>Der Sultan von Marokko nennt sich "Beherrscher" oder auch
+"F&uuml;rst der Gl&auml;ubigen," Hakem el mumenin, oder will er
+politisch als Herr des Landes sich bezeichnen, schreibt er Mul' el
+Rharb el Djoani<a href="#F097"><sup>97</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F097" id="F097"></a>[Fu&szlig;note 97: Alle
+anderen Titel, wie z.B. bei Lempiere: "Emperor of Africa" (die
+Marokkaner wissen gar nicht was Afrika ist), "emperor of Marokko,
+King of Fes, Suz and Gago, Lord of Dara and Guinea and great Sherif
+of Mohamet" (?), sind Erfindungen der Europ&auml;er
+selbst.]</blockquote>
+<p>Von seinen Unterthanen wird er "Sidna," unser Herr, oder auch
+"Sultan," "Sultana," Sultan, unser Sultan genannt. Andere
+Ansprachen sind nicht &uuml;blich. Seine erste Frau, die nicht
+nothwendig ein weiblicher Scherif zu sein braucht, hat den Titel
+Lella-Kebira, und gebiert sie einen Thronfolger, so hat sie
+f&uuml;r immer das Recht den Harem zu regieren und bei der Wahl der
+&uuml;brigen Weiber eine gewichtige Stimme. Der &auml;lteste Sohn
+bekommt den Titel Sidi el Kebir oder Mulei el Kebir, denn Sidi und
+Mulei im Singular wird immer gleichbedeutend gebraucht,
+w&auml;hrend Muleina, der Plural, nur auf den Propheten angewendet
+wird. Wie alle Mohammedaner, hat der Sultan gleichzeitig nur vier
+rechtm&auml;ssige Frauen, die nach Belieben fortgeschickt oder
+erneuert werden; wie viele unrechtm&auml;ssige, d.h. nicht
+angetraute junge M&auml;dchen und Frauen in den vier Harems sind,
+weiss der Sultan, <i>trotz seiner Unfehlbarkeit</i> wohl selbst
+nicht.</p>
+<p>Ein Gesetz &uuml;ber Erbfolge giebt es bei den Mohammedanern
+nicht, also existirt darin auch keine Regel f&uuml;r Marokko. Der
+augenblicklich auf dem Thron sitzende F&uuml;rst ist der zweite
+Sohn des verstorbenen Sultans, und dieser selbst war Neffe seines
+Vorg&auml;ngers. Er heisst Sidi Mohammed ben Abd- er-Rhaman und ist
+im Jahre 1805 geboren. Wenn schon unter seinen Vorg&auml;ngern,
+Sultan Sliman und Abd-er-Rhaman, Vieles anders am marokkanischen
+Hof geworden ist, so wechselte noch mehr unter der Regierung des
+jetzigen Herrschers, und trotzdem dieser nicht wie sein Vater
+Gelegenheit gehabt hat, mit Europ&auml;ern auf gleichem Fuss zu
+verkehren und sie so besser kennen zu lernen, sch&auml;tzt doch
+gerade Sidi Mohammed mehr als einer seiner Vorg&auml;nger die
+Christen. Der Vater Mohammed's war n&auml;mlich vor seiner
+Thronbesteigung Bascha in Mogador gewesen, hatte dort viel mit den
+Consuln verkehrt und somit europ&auml;ische Gewohnheiten und
+Gebr&auml;uche kennen gelernt. Sidi Mohammed war aber
+fortw&auml;hrend Bascha von der Stadt Marokko gewesen, ehe er
+Sultan ward.</p>
+<p>Die Regenten von Marokko haben keinen eigentlichen Divan oder
+Midjelis, und die Etikette am Hofe ist &auml;usserst streng. Es
+giebt aber gewisse Leute, die den Vorzug haben, sich setzen zu
+d&uuml;rfen, z.B. die Prinzen, Gouverneure der Provinzen, vornehme
+Sch&uuml;rfa, w&auml;hrend die gew&ouml;hnlichen Sterblichen vor
+dem Kaiser nur hocken oder knieen d&uuml;rfen. Vorgelassene
+Bittsteller d&uuml;rfen nur von weitem ihr Anliegen vorbringen in
+knieender Stellung, und nachdem sie vorher den Erdboden
+gek&uuml;sst haben. In Gegenwart des Sultans darf das Wort
+"gestorben" nicht ausgesprochen werden, damit er nie an den Tod
+erinnert werde. Man umschreibt dies, z.B. mit: er hat seine
+Bestimmung erf&uuml;llt, ebenso darf nie die Zahl "f&uuml;nf" vor
+dem Sultan ausgesprochen werden, man sagt daf&uuml;r "4 und 1" oder
+"3 und 2". Dieser sonderbare Brauch<a href="#F098"><sup>98</sup></a>
+erkl&auml;rt sich wohl daraus, weil f&uuml;nf die Zahl der Finger
+das Symbol der Hand, der despotischen Macht ist. In allen
+mohammedanischen Landen wird man auch h&auml;ufig an den
+H&auml;usern eine rothangemalte Hand oder einfach den Abdruck einer
+Hand oder mehrerer finden, man glaubt dadurch Gewalt und Einbruch
+abhalten zu k&ouml;nnen, das Haus wird hiemit unter die unsichtbare
+Macht einer starken Hand gestellt.</p>
+<blockquote><a name="F098" id="F098"></a>[Fu&szlig;note 98: S.
+Jackson, Account]</blockquote>
+<p>Spricht man in Gegenwart des Sultans von einem Juden, so wird
+vorher "Verzeihung" gebeten, "Haschak," weil die
+Juden f&uuml;r unrein gehalten werden. Fr&uuml;her galt das auch
+von den Christen, aber schon unter Abd-er-Rhaman kam diese Unsitte
+ab. Es versteht sich von selbst, dass Niemand mit Pantoffeln vor
+dem Sultan erscheint, doch haben die hohen Beamten die Erlaubniss,
+ihre gelben ledernen Stiefelchen anbehalten zu d&uuml;rfen.
+Decorationen giebt es in Marokko nicht, indess dachte man im Jahre
+1864 daran, einen Orden zu stiften, den vom Sultan Salomon (dem
+j&uuml;dischen K&ouml;nig). Modelle waren angefertigt, &auml;hnlich
+wie die, welche K&ouml;nig Theodor von Abessinien hatte machen
+lassen. Die gr&ouml;sste Auszeichnung, die der Sultan von Marokko
+gew&auml;hrt, ist die, wenn er selbst seines Burnus sich entledigt,
+und ihn einem der Anwesenden schenkt. Vornehme Personen werden zum
+Handkusse zugelassen, seine Kinder, seine Br&uuml;der und die
+allern&auml;chsten G&uuml;nstlinge d&uuml;rfen auch die
+<i>innere</i> Fl&auml;che der Hand k&uuml;ssen<a href=
+"#F099"><sup>99</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F099" id="F099"></a>[Fu&szlig;note 99: S. Aly
+Bei el Abassi.]</blockquote>
+<p>Der vom Sultan gemachte Aufwand ist verh&auml;ltnissm&auml;ssig
+gering und besteht haupts&auml;chlich in sch&ouml;nen Waffen,
+herrlichen Pferden und einem grossen Harem, bewacht von einer
+gl&auml;nzend gekleideten Schaar von Eunuchen. Die einflussreiche
+Stellung, welche diese ungl&uuml;cklichen Gesch&ouml;pfe unter den
+fr&uuml;heren marokkanischen F&uuml;rsten hatten, hat indess jetzt
+ganz aufgeh&ouml;rt und beschr&auml;nkt sich lediglich darauf,
+unbeschr&auml;nkt in dem Theile des Palastes zu herrschen, in den
+auser [au&szlig;er] dem Sultan keine Mannsperson eintreten darf.
+Aehnlich gekleidet wie die marokkanischen Maghaseni oder Reiter,
+haben s&auml;mmtliche Eunuchen silbergestickte Leibg&uuml;rtel.
+Alle haben einen stark riechenden duftenden Namen; so hiess in
+Mikenes der Eunuchenoberst "Kaid Kampher", andere hiessen Moschus,
+Amber, Thymian etc. Ein Theil des Harems ist stets mit dem Sultan
+unterwegs, dieser besteht aus den Lieblingsfrauen, Quintessenz der
+vier Harem von Fes, Mikenes, Rbat und Marokko. Marschirt der
+Sultan, so hat er zwei grosse Zelte, ein jedes umgeben von einer
+&auml;usseren vom Hauptzelte unabh&auml;ngigen Zeltwand. Beide
+Zelte sind durch einen Zeltgang verbunden: das eine bewohnt der
+Sultan, das andere ist f&uuml;r die Frauen. Im &auml;usseren Umgang
+des f&uuml;r die Frauen bestimmten Zeltes halten sich die Eunuchen
+auf.</p>
+<p>Die Regierung des jetzigen Sultans besteht aus dem ersten
+Minister, der vom Volke Uisir el Kebir genannt wird, sonst aber den
+Titel "Ketab el uamer", Schreiber des F&uuml;rsten, hat. Dieser ist
+der allm&auml;chtigste Mann im Reiche, ehemaliger Lehrer des
+Sultans, und sein Einfluss, namentlich in allen &auml;usseren
+Angelegenheiten, ist entscheidend; sein Name ist Si-Tha&iuml;b-Bu-
+Aschrin-el-Djemeni. Der unmittelbare Verkehr mit den
+europ&auml;ischen Consuln findet in Tanger statt, durch den
+dortigen Gouverneur, der den Titel Uisir- el-uasitha hat, und der
+seine Instructionen in dieser Beziehung vom Uisir- el-Kebir oder
+auch direct vom Sultan bekommt.</p>
+<p>In allen despotischen Staaten, und vorzugsweise in
+mohammedanisch- despotischen Staaten, wird manchmal der niedrigste
+und d&uuml;mmste Mann durch eine Laune des <i>unfehlbaren</i>
+Herrschers zum obersten Posten hinaufgehoben. Wer sollte sich dem
+auch widersetzen? In Marokko Niemand; allerdings giebt es fast
+allm&auml;chtige Kaids, unabh&auml;ngig in ihren Provinzen
+regierend; allerdings giebt es die Classe der Sch&uuml;rfa, der
+Abk&ouml;mmlinge Mohammeds, die sich wohl erdreisten, fern vom
+Sultan in Gegenwart des ganzen Volkes zu sagen: "Ich bin auch
+Scherif, und der Sultan hat kein besseres Blut in seinen Adern als
+ich;" allerdings ist da der Grossscherif von Uesan, der sagt, er
+stamme directer von Mohammed, als der Sultan selbst, und dieser
+allein wagt auch manchmal zu trotzen&mdash;aber sonst ist Niemand
+im Lande, der in Gegenwart des unfehlbaren Herrschers nicht von
+seiner eigenen Nichtigkeit und Unbedeutendheit &uuml;berzeugt
+w&auml;re.</p>
+<p>So ist denn auch der zweitm&auml;chtigste Mann im Reiche,
+Si-Mussa, den ich gewisserma&szlig;en "Minister des kaiserlichen
+Hauses" tituliren m&ouml;chte, weiter nichts, als ein ehemaliger
+Sklave, ein Neger von Haussa. Er hat nur das Verdienst, mit dem
+jetzigen Sultan aufgewachsen zu sein, und leitet augenblicklich
+alle inneren Palast-Affairen. Sein Bruder, Si-Abd-Allah, ebenfalls
+ein Haussa-Neger und ehemaliger Sklave, ist dermalen
+Kriegsminister.</p>
+<p>Wichtiger Posten am Hofe von Marokko ist der des Mschuar. Der
+Kaid el Mschuar hat das Amt, Bittende, Fremde, Besuchende dem
+Sultan vorzuf&uuml;hren. Da man nur ausnahmsweise, um vom Sultan
+empfangen zu werden, sein Gesuch durch einen andern Minister
+anbringen lassen kann, ist dieser Posten sehr eintr&auml;glich,
+folglich auch einflussreich. Denn jedes derartige Gesuch muss erst
+durch ein Geschenk, angemessen nach dem Reichthum des Petenten,
+unterst&uuml;tzt sein. Ebenso werden Consuln, wenn sie in
+Gesandtschaft zum Sultan kommen, oder auch in Rbat in
+gew&ouml;hnlicher Audienz empfangen werden, durch den Kaid el
+Mschuar eingef&uuml;hrt. Wie viele Plackereien damit f&uuml;r
+Europ&auml;er verbunden sind, wie vom Kaid el Mschuar abw&auml;rts
+Jeder, der ein Aemtchen hat, seinen Fremden auszubeuten bestrebt
+ist, davon hat Maltzan eine anziehende Schilderung gegeben.</p>
+<p>Der, welchen man in Marokko den Minister des Innern nennen
+k&ouml;nnte, der aber zugleich auch Gross-Siegelbewahrer ist, der
+Mul-el-taba oder Kaid-el-taba, ist derzeit auch eine vollkommen aus
+dem Staub, oder, wie der Marokkaner sich viel kr&auml;ftiger
+ausdr&uuml;ckt, aus dem Dr. ... "Sebel" heraufgekommene
+Pers&ouml;nlichkeit. Der Mul-el-Taba ber&auml;th mit dem Sultan die
+Besetzung der Kaid- oder Gouverneurstellen in den Provinzen und
+St&auml;dten.</p>
+<p>Es giebt keinen eigentlichen Schatzmeister in Marokko, oder gar
+einen Finanzminister, denn den Schl&uuml;ssel zur Hauptcasse,
+welche in Mikenes sein soll, hat der Sultan selbst. Dass eine
+Hauptabtheilung des dortigen Palastes, von aussen einen vollkommen
+viereckigen steinernen W&uuml;rfel darstellend, "el dar-el chasna,"
+oder "bit el mel", Schatzhaus heisst, kann ich aus eigener
+Anschauung best&auml;tigen; anscheinend hat dieses massive
+Geb&auml;ude von aussen gar keinen Zugang, indess liegt eine Seite
+nach dem Harem zu, von wo aus der Eingang wohl sein wird. Die
+Marokkaner behaupten, der Zugang zum Schatz sei unterirdisch
+vermittelst eines Tunnels. Das Innere wird beschrieben als eine
+ausgemauerte H&ouml;hlung, in deren Innerem wieder ein gemauertes
+Gemach enthalten sei<a href="#F100"><sup>100</sup></a>. Alles dies ist wohl
+Fabel, denn Niemand, auch nicht der Kaid-etsard oder Schatzmeister,
+hat wohl je einen Blick ins Innere gethan. Ebenso sind die Summen,
+welche im Schatzhaus angeh&auml;uft liegen sollen, wohl lange nicht
+so bedeutend, als Manche herausgerechnet haben. Franz&ouml;sische
+Schriftsteller haben die Ersparnisse der marokkanischen Regenten
+auf 300 Millionen Franken, ja auf eine Milliarde veranschlagt, ohne
+zu bedenken, dass das, was der eine Sultan zur&uuml;ckgelegt hatte,
+oft vom folgenden, der durch Usurpation und Gewaltmittel auf den
+Thron kam, in einem Tage der Pl&uuml;nderung preisgegeben wurde.
+Als z.B. an Spanien jene 22 Millionen spanische Thaler
+Kriegsentsch&auml;digung gezahlt werden mussten, fand es sich, dass
+der Staatsschatz leer war. Oder durfte und wollte der Sultan ihn
+nicht angreifen? Das Nichtvorhandensein des Geldes ist das
+Wahrscheinlichere.</p>
+<blockquote><a name="F100" id="F100"></a>[Fu&szlig;note 100: S.
+H&ouml;st p. 221, der die H&ouml;be des damaligen Schatzes auf 50
+Millionen Thaler angiebt.]</blockquote>
+<p>Eine kirchliche Beh&ouml;rde giebt es in Marokko nicht, der
+Sultan als unfehlbar vereinigt Papst, Cultusministerium oder
+oberste Synode, wie man bei den Christen dergleichen Einrichtungen
+nennt, in seiner Person.</p>
+<p>Ich unterlasse es, auf niedere Aemter am Hofe von Marokko
+einzugehen, werde jedoch einige derselben, wie sie jetzt noch
+existiren, erw&auml;hnen: den Mundkoch Mul' el tabach, den
+Sonnenschirmtr&auml;ger Mul' el schemsia, S&auml;beltr&auml;ger
+Mul' el skin, den Theeservirer Mul' el atei, Speisetr&auml;ger Mul'
+el taam. Alle diese Aemter werden meist von Sklaven versehen, viele
+aber auch, und es giebt derer noch f&uuml;nfzig, von freien weissen
+Leuten. F&uuml;r die kleinste Handthierung ist ein besonderer
+Angestellter vorhanden, z.B. f&uuml;r den, der die Pantoffel des
+Sultans umdreht, damit er sie beim Anziehen gleich wieder
+fussgerecht vor sich hat. Um den Steigb&uuml;gel zu halten, um eine
+Schale mit Wasser zu bringen, um die ausgetrunkene Theetasse in
+Empfang zu nehmen, um die Serviette zu reichen, um das Waschbecken
+zu pr&auml;sentiren, f&uuml;r jeden kleinen Dienst hat der Sultan
+einen besonderen Angestellten. Man glaube aber nicht, dass alle
+diese Leute besoldet sind. Ziemlich gute Kleidung, oft die, welche
+der Sultan oder die Prinzen abgelegt haben, und die sieh von der
+f&uuml;rstlichen Tracht durch nichts unterscheidet, als durch
+gr&ouml;ssere Fadenscheinigkeit&mdash;dann Nahrung, das ist Alles,
+was dieses Heer von Bedienten und Beamten bekommt. Aber keineswegs
+sind sie deshalb ohne Geld, von Jedem, der nach Hofe kommt, wissen
+sie etwas zu erpressen; gehen sie in die Stadt auf die M&auml;rkte,
+so entlocken sie bald hier einem ungl&uuml;cklichen Juden, dort
+einem leichtgl&auml;ubigen Landmann eine Mosona, wer w&uuml;rde der
+Bitte oder der Drohung eines Ssahab sidna widerstehen? Es ist das
+officieller Name aller Beamten und Diener. Der erste Minister des
+Sultans, wie sein letzter Sklave, sch&auml;mt sich dieses Titels
+nicht, was wiederum seinen Grund daher hat, weil in den Augen des
+Sultans der h&ouml;chste Beamte keinen gr&ouml;sseren Werth hat als
+der letzte Sklave. Vor der marokkanischen Unfehlbarkeit
+verf&auml;llt mit derselben Leichtigkeit das Haupt des
+rechtschaffensten Beamten dem Schwert, wie das eines Verbrechers,
+der es wirklich verdient hat. Eigentlich kann daher Unfehlbarkeit
+nur in einem solchen Lande vollkommen bl&uuml;hen und existiren wie
+in Marokko, d.h. in einem Lande, wo das Gesetz nichts gilt, sondern
+Alles sich der Laune eines schwachk&ouml;pfigen Fanatikers
+f&uuml;gen muss.</p>
+<p>Es giebt kein h&ouml;chstes Justizamt in Marokko; vom Kadi einer
+einzelnen Provinz oder einer Stadt, oder eines kleinen Ortes kann
+nur an den Uisir oder an den Sultan appellirt werden, welche
+letztere nach ihrem Gutd&uuml;nken das gef&auml;llte Urtheil
+best&auml;tigen oder verwerfen.</p>
+<p>Die einzelnen Provinzen und Ortschaften werden manchmal von
+Kaids und Schichs regiert, die direct, wenn es sich um Provinzen
+und um gr&ouml;ssere St&auml;dte handelt, vom Sultan ernannt
+werden. So wie wir auf den meisten Karten die verschiedenen
+Provinzen abgegrenzt finden, existiren sie in administrativer und
+gerichtlicher Beziehung nicht. Die Kaid stehen einem Kaidat vor,
+das manchmal aus einer Stadt mit verschiedenen Triben oder
+D&ouml;rfern besteht. Oft ist ein Kaid direct vom Sultan
+abh&auml;ngig, oft hat ein Kaid oder Schich 40 oder gar 100 Kaids,
+die unter ihm stehen. Ein Kaid hat manchmal nur einen Duar<a href=
+"#F101"><sup>101</sup></a>, einen Tschar<a href="#F102"><sup>102</sup></a>, eine Tribe
+zu commandiren, manchmal deren 20, 50 und noch mehr. Ein Kaid
+commandirt z.B. vielleicht zu einer Zeit die beiden Rhabprovinzen
+mit den Triben darin, oder wie zur Zeit des jetzt regierenden
+Sultans sind sie getheilt, und werden von zwei Kaids regiert. Der
+Titel "Kaid" ist der allein officielle, sowohl f&uuml;r die Beamten
+einer grossen Provinz, wie f&uuml;r die einer kleinen Ortschaft.
+Gleichbedeutend ist der Name "Schich", den man vorzugsweise in den
+Gegenden von &uuml;berwiegender Berber-Bev&ouml;lkerung antrifft.
+Der Titel "Bascha" wird nur einzelnen besonders hervorragenden
+Gouverneuren, z.B. dem von Alt-Fes, verliehen. Der Titel "Chalifa"
+schliesst immer eine Stellvertretung in sich, so hat z.B. der
+&auml;lteste Sohn des Sultans unter der Regierung des jetzigen
+Kaisers, sobald dieser nach Marokko &uuml;bersiedelt, den Titel
+"Chalifa von Fes" als seines Vaters Stellvertreter. Kehrt der
+Sultan nach Fes zur&uuml;ck, hat einer der Br&uuml;der des Sultans,
+Mulei Ali, in der Hauptstadt Marokko den Titel "Chalifa". Es ist
+dies die einzige Erinnerung daran, dass ehemals Fes und Marokko
+getrennte K&ouml;nigreiche waren.</p>
+<blockquote><a name="F101" id="F101"></a>[Fu&szlig;note 101:
+Zeltdorf.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F102" id="F102"></a>[Fu&szlig;note 102:
+Bergdorf aus H&auml;usern.]</blockquote>
+<p>Es w&uuml;rde unm&ouml;glich sein, genau die Grenzen der
+verschiedenen Provinzen Marokko's angeben zu wollen, da
+&uuml;berhaupt je nach den Launen der Regierung heute eine Provinz
+vergr&ouml;ssert, morgen verkleinert oder gar entzwei geschnitten
+wird, heute eine Tribe dieser, morgen jener Provinz einverleibt
+wird, manchmal mit den Provinzen eine geographische Bezeichnung
+f&uuml;r immer verbunden ist, manchmal auch nicht.</p>
+<p>Auf der Abdachung des Atlas nach dem Mittelmeer und Ocean,
+umfasst von der Gebirgskette, welche zwischen Cap Gehr und Cap el
+Deir hinzieht, haben wir im Norden die Andjera und Rif-Provinz,
+s&uuml;dlich von Andjera die beiden Rharb-Provinzen, und dann
+l&auml;ngs des Oceans von Norden Beni-Hassen, Schauya, Dukala,
+Abda, Schiadma und Haha. S&uuml;dlich vom Rif die Hiaina, und
+s&uuml;dlich von der Hiaina die Provinz Fes. Auf den Stufen des
+Atlas liegen &ouml;stlich von Haha die Ahmar und die Erhammena,
+dann Maroksch (District der gleichnamigen Stadt), und n&ouml;rdlich
+von Maroksch, Temsena und &ouml;stlich Scheragna. Diese soeben
+aufgef&uuml;hrten Districte, die aber keineswegs alle eine
+besondere Regierung haben, und deren Grenzen nicht genau bestimmt
+sind, d&uuml;rften die Benennungen f&uuml;r die bezeichneten
+Oertlichkeiten sein. In denselben, sind indessen Districte
+enthalten, die ebenso gut den Namen Provinz f&uuml;hren
+k&ouml;nnten. Die &ouml;stliche Partie des Garet, welche Provinz
+westlich mit dem Rif zusammenh&auml;ngt, ist in den letzten Jahren
+als Beni-Snassen bekannt geworden, ein eigener politisch begrenzter
+District, mit eigenem Kaid. S&uuml;dlich von der Provinz Fes, von
+Scheragna, Maroksch und Erhammena sind Atias aufw&auml;rts noch die
+verschiedensten Districte bis zum Kamme des Gebirges, aber die
+Namen derselben zum Theil unbekannt, zum Theil wissen wir nicht mit
+derselben Sicherheit anzugeben, wohin sie setzen. Von Fes in
+s&uuml;d&ouml;stlicher Richtung k&ouml;nnte ich constatiren den
+District der Beni Mtir und der Beni Mgill.</p>
+<p>S&uuml;dlich vom Cap Gehr l&auml;ngs des Oceans sind die
+Provinzen Sus und Nun (mit Tekna), der Staat des Sidi Hischam
+existirt nicht mehr<a href="#F103"><sup>103</sup></a>. Die Provinz Draa
+kommt nat&uuml;rlich nur soweit hier in Geltung, als sie bewohnt
+ist, das ist bis zum Umbug des Flusses nach Westen. Es folgt sodann
+&ouml;stlich vom Draa Tafilet mit seinen verschiedenen Districten,
+und nord&ouml;stlich von Tafilet die verschiedenen kleinen Oasen am
+s&uuml;d&ouml;stlichen Atlasabhange, die bedeutendste davon ist
+Figig. Endlich die s&uuml;d&ouml;stlichste Provinz von Marokko ist
+Tuat.</p>
+<blockquote><a name="F103" id="F103"></a>[Fu&szlig;note 103: Per
+Name "Dschesula" oder, wie Renou auf seiner Karte hat, Gezoula,
+existirt nirgends s&uuml;dlich vom Atlas, vielleicht soll er auf
+den Karten bloss die Gaetuler der Alten in Erinnerung
+bringen.]</blockquote>
+<p>Ueber die Einnahmen und Ausgaben des Sultans von Marokko
+l&auml;sst sich nichts Bestimmtes sagen, da keine Staatsb&uuml;cher
+dar&uuml;ber existiren, die Eink&uuml;nfte dem Zufall unterworfen
+und der Laune der einzelnen Kaids anheimgegeben sind, oft auch
+andere Umst&auml;nde eintreten, die ganz unvorhergesehen sind.</p>
+<p>Im Jahre 1778 veranschlagte H&ouml;st, auf Koustroup fussend,
+die Einnahme auf eine Million Piaster<a href="#F104"><sup>104</sup></a>,
+hervorgegangen aus Zoll, Schutzgeldern, Thorsteuern, Judenabgaben,
+Monopolen, Miethen, Strassenz&ouml;llen und ausl&auml;ndischen
+Geschenken, letztere figuriren allein mit 250,000 Piastern. An
+Ausgaben giebt er nur 300,000 an, so dass 700,000 Piaster f&uuml;r
+den Schatz geblieben w&auml;ren. Da der zu der Zeit regierende
+Sultan im Jahr 1778 zwei und zwanzig Jahre regierte, meint H&ouml;st den
+Schatz in der Bit el mel auf 13 Millionen Piaster veranschlagen zu
+k&ouml;nnen.</p>
+<blockquote><a name="F104" id="F104"></a>[Fu&szlig;note 104: Ein
+spanischer Piaster ungef&auml;hr 1 Thlr. 13 Sgr.]</blockquote>
+<p>Im Jahr 1821 giebt Hems&ouml; die Eink&uuml;nfte auf 2,600,000
+Thaler an, darunter an Geschenken f&uuml;r 225,000 Thaler. Die
+Ausgaben berechnet er auf 990,000 Thaler, und wie H&ouml;st
+schliessend, dass Sultan Soliman seit seiner Thronbesteigung im
+Jahre 1793 j&auml;hrlich eine Ersparniss von 1,600,000 Thaler
+gemacht habe, meinte er, m&uuml;sse in der Bit ei mel nach einer
+Regierung von 34 Jahren zum mindestens die Summe von 50 Millionen
+Thaler sein.</p>
+<p>Neuere Nachrichten liegen &uuml;ber den Staatshaushalt nicht,
+vor, denn Jules Duval in der Revue des deux Mondes von 1859 hat
+einfach von Hems&ouml; abgeschrieben, die Zahlen f&uuml;r die
+neuesten ausgegeben, ohne der Quelle dabei auch nur zu gedenken;
+ebenso wenig verdienen Calderons Angaben Glauben.</p>
+<p>Auch &uuml;ber Gesammtausfuhr und Einfuhr, &uuml;ber Handel und
+Wandel liegen keine statistischen Nachrichten vor. Ueber
+verschiedene H&auml;fen besitzen wir in dieser Beziehung gar kein
+Material. Agadir mit sehr bedeutender Importation von Naturalien
+aus Sudan, der Sahara, Nun, Draa und Sus hat, wie Asamor, keine
+Consuln irgend eines Staates. Und Asamor ist eine der bedeutendsten
+St&auml;dte. Aus einzelnen H&auml;fen jedoch liegen &uuml;ber ein-
+und ausgelaufene Schiffe, Tonnengehalt, Aus- und Einfuhrartikel,
+Nationalit&auml;t der Schiffe etc. genaue Angaben vor<a href=
+"#F105"><sup>105</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F105" id="F105"></a>[Fu&szlig;note 105: Siehe
+Richardson Vol II, p. 316.]</blockquote>
+<p>Serafin Calderon sch&auml;tzt den Gesammtwerth des Handels auf
+50,000,000 Thaler. England vermittle davon zwei Drittel, das dritte
+vertheile sich auf Spanier, Portugiesen, Franzosen, Belgier etc.
+Beaumier giebt die Handelsbewegung von Marokko mit einem
+j&auml;hrlichen Mittel von etwa 40 Millionen Franken an, und was
+die Wichtigkeit der daran theilnehmenden H&auml;fen anbetrifft,
+stellt er Mogador mit 5/8 voran, w&auml;hrend L'Araisch, Tanger,
+Rbat, Casablanca und Masagan je mit 1/8, und Tetuan und Saffy mit
+je 1/16 im gleichen Verh&auml;ltniss daran Theil nehmen<a href=
+"#F106"><sup>106</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F106" id="F106"></a>[Fu&szlig;note 106: Siehe
+Beaumier, D&eacute;scription sommaire de Maroc, p.
+31.]</blockquote>
+<p>Obschon nun verschiedene Tractate mit den christlichen Nationen
+geschlossen sind &uuml;ber Zoll bei Einfuhr und Ausfuhr, so hebt
+sie der Sultan manchmal ohne besonderen Grund auf, weshalb sollte
+er auch nicht? Braucht er, der unfehlbare Herrscher der
+Gl&auml;ubigen, Sklave seines Wortes zu sein? ist er nicht Herr und
+uneingeschr&auml;nkter Gebieter aller Leute, die im Rharb sich
+aufhalten, folglich auch der Christen, so lange wie sie dort
+wohnen? Giebt es &uuml;berhaupt einen F&uuml;rsten, der sich mit
+ihm messen kann? Freilich regiert der Sultan von Stambul die andere
+H&auml;lfte<a href="#F107"><sup>107</sup></a> der Gl&auml;ubigen, aber das
+ist von Gott so geschrieben. Freilich schlugen die Franzosen bei
+Isly den jetzt regierenden Sultan aufs Haupt, aber das war auch
+Mektub Allah (von Gott geschrieben); freilich nahmen die Spanier
+Tetuan, aber auch das war Mektub Allah; einige alte Wahrsager sagen
+sogar, die Christen werden einst in Mulei Edris (Fes)
+einr&uuml;cken, und man antwortet in Marokko: "Gott verfluche sie,
+aber vielleicht ist es <i>geschrieben</i>."</p>
+<blockquote><a name="F107" id="F107"></a>[Fu&szlig;note 107:
+Anschauungsweise der Marokkaner.]</blockquote>
+<h2><a name="K11" id="K11"></a>11. Consulatswesen.</h2>
+<p>Kein einziger Staat auf der ganzen Erde hat sich so in seiner
+Abgeschlossenheit zu erhalten gewusst wie Marokko. W&auml;hrend die
+T&uuml;rkei schon seit langer Zeit in diplomatischem Verkehr mit
+allen europ&auml;ischen M&auml;chten steht, in allen
+europ&auml;ischen L&auml;ndern Gesandte und Consuln unterh&auml;lt;
+w&auml;hrend China, wenn es auch noch keine Agenten in Europa hat,
+doch fortw&auml;hrend in diplomatischer Verbindung mit den
+christlichen M&auml;chten steht und das Reich der Mitte jetzt den
+Europ&auml;ern ge&ouml;ffnet ist, bleibt der &auml;usserste Westen,
+el-Rharb-el-Djoani, geheimnissvoll verschlossen.</p>
+<p>Weder die Schlacht von Isly oder des Prinzen von Joinville
+Bombardement von Tanger und Mogador, noch die Einnahme von Tetuan
+haben vermocht, irgendwie eine Ver&auml;nderung
+herbeizuf&uuml;hren. Mit Ausnahme einer einzigen Macht, Englands,
+sind die Beziehungen Marokko's zu allen &uuml;brigen M&auml;chten
+f&ouml;rmlich und kalt; sie beschr&auml;nken sich eigentlich auf
+Differenzen der Mohammedaner und Christen in den marokkanischen
+Hafenst&auml;dten.</p>
+<p>Es haben indess fr&uuml;her wohl bessere Zeiten existirt, wir
+wissen, dass nach den heftigsten Feindseligkeiten der Christen mit
+den Mohammedanern Spaniens und Marokko's Pausen eintraten, in
+welchen beide vereint den Wissenschaften oblagen. Die erste
+Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien, endlich die letzte im
+Jahre 1609, legte Grund zu jenem unausl&ouml;schlichen Hasse, den
+die Norwestafrikaner [Nordwestafrikaner] von nun an gegen alles
+Christliche kund geben. Dazu kamen auf den Thron von Marokko neue
+Dynastien, die erste der Filali oder Sch&uuml;rfa, dann zu Anfang
+des 17. Jahrhunderts die zweite Dynastie der Sch&uuml;rfa.</p>
+<p>Marokko wetteiferte um diese Zeit mit den &uuml;brigen
+Raubstaaten im Capern christlicher Schiffe, keine Macht war sicher,
+und hatte je ein europ&auml;isches Schiff das Ungl&uuml;ck an der
+gef&auml;hrlichen K&uuml;ste, die sich von der Strasse Gibraltars
+bis zur Sahara hinerstreckt, zu stranden, so waren das Schiff und
+was es enthielt unbedingt Beute der umwohnenden V&ouml;lker, die
+Bemannung aber wurde gemordet, verst&uuml;mmelt, gesch&auml;ndet,
+im besten Fall aber ins Innere geschleppt, um dort als Sklaven
+mittelst h&auml;rtester Arbeit das Leben zu fristen.</p>
+<p>Und haben diese Verh&auml;ltnisse vielleicht Besserung erfahren?
+Keineswegs! Allerdings hat schon Sultan Soliman, oder Sliman, wie
+ihn die Marokkaner nennen, die Aufhebung der christlichen Sklaven
+decretirt, und erleidet jetzt ein Schiff irgendwo an der
+marokkanischen K&uuml;ste Schiffbruch, so wird die Mannschaft nicht
+mehr verkauft, sondern gemeiniglich nach langen Leiden
+ausgeliefert. Werden unter der Zeit einige davon gemordet, werden,
+falls Frauenzimmer dabei sind, diese nicht respectirt, so hat das
+noch nie Folgen gehabt. Eigenthum wird aber auch heutigen Tages
+noch nie geachtet; der Schiffsladung beraubt, des pers&ouml;nlichen
+Eigenthums bestohlen, so werden die armen Verungl&uuml;ckten dem
+betreffenden Consul &uuml;berh&auml;ndigt. Sicher verlangt der mit
+der Uebergabe Betraute vom christlichen Consul noch ein bedeutendes
+Geschenk, m&ouml;glicherweise wird auch noch eine Rechnung f&uuml;r
+Verpflegung eingereicht. Und die Consuln zahlen und danken.</p>
+<p>Im selben Jahr 1852, als der englische Admiral Napier
+marokkanische Unbilden, gegen englische Unterthanen begangen,
+r&auml;chen wollte, aber nur unn&uuml;tzerweise seine Flotte
+angesichts der marokkanischen K&uuml;ste spazieren f&uuml;hrte, im
+selben Jahre wurde die preussische Brigg Flora an der Rifk&uuml;ste
+gepl&uuml;ndert. Vier Jahre sp&auml;ter wurde Prinz Adalbert von
+Preussen, der jetzige Admiral des Deutschen Reiches, an der
+n&auml;mlichen K&uuml;ste beim Wassereinnehmen verr&auml;therisch
+angegriffen und verwundet. Marokko hat nie Satisfaction daf&uuml;r
+gegeben, gegen Preussen liess es sich durch den schwedischen
+General-Consul damit entschuldigen (wie mir sp&auml;ter der
+marokkanische Grosswessier Si Thaib Bu Aschrin selbst
+best&auml;tigte): der Sultan habe keine Gewalt &uuml;ber die
+Rif-Bewohner, und lehne daher jede Verantwortung f&uuml;r
+dergleichen Acte ab, und mit England wurden die guten Beziehungen
+dadurch wieder hergestellt, dass das stolze K&ouml;nigreich dem
+Sultan Geschenke machte.</p>
+<p>Um die Politik Englands zu verstehen, m&uuml;ssen wir bis zum
+Jahr 1684 zur&uuml;ckgehen, zu welcher Zeit England die Stadt
+Tanger, welche Karl II. von seiner portugiesischen Gemahlin
+Katharina zwanzig Jahre fr&uuml;her bekommen hatte, freiwillig
+aufgab. Dieser unkluge Streich, einen St&uuml;tzungspunkt am
+Eingange des Mittelmeers freiwillig zu verlassen, wurde f&uuml;r
+die englische Regierung dadurch neutralisirt, dass schon 20 Jahre
+sp&auml;ter der kaiserliche Feldmarschall Prinz Georg von
+Hessen-Darmstadt Gibraltar f&uuml;r England eroberte, und
+Grossbritannien ist seitdem im stetigen Besitze dieser Veste
+geblieben.</p>
+<p>War es nun in fr&uuml;heren Zeiten England haupts&auml;chlich
+darum zu thun, mittelst Gibraltars die dortige Meerenge beherrschen
+zu k&ouml;nnen, dort am Eingange des Mittelmeeres einen sichern
+Punkt f&uuml;r eine Kriegsflotte zu besitzen, so hat die
+Dampfschifffahrt hierin eine vollst&auml;ndige Ver&auml;nderung
+hervorgerufen. Seitdem ein Dampfschiff in einer Stunde 15, ja
+ausnahmsweise 20 Knoten zur&uuml;cklegen kann, beherrscht der Fels
+von Gibraltar die Meerenge nicht mehr. Ueberdies l&auml;sst sich
+mit den weittragendsten Kanonen die ganze Passage bis zum
+afrikanischen Ufer nicht bestreichen. F&uuml;r England aber wird
+Gibraltar immer Wichtigkeit behalten wegen der N&auml;he von
+Marokko und als Sammelplatz f&uuml;r eine Flotte. Aber weit
+wichtiger in dieser Beziehung w&uuml;rde f&uuml;r England der
+Besitz von Ceuta sein. Was die Lage dieses Ortes anbetrifft, so ist
+sie ebenso g&uuml;nstig wie die von Gibraltar, in Beziehung zu
+Marokko aber bedeutend g&uuml;nstiger. Und insofern ist es wohl zu
+verstehen, dass in j&uuml;ngster Zeit immer wieder das Ger&uuml;cht
+auftauchte, England beabsichtige Gibraltar gegen Ceuta
+auszutauschen.</p>
+<p>Das Interesse nun, welches England an Marokko bindet, liegt zum
+Theil darin, weil der englische Handel, die englischen Producte
+fast ausschliesslich den marokkanischen Markt beherrschen, dann in
+Eifersucht gegen fremde M&auml;chte, vorzugsweise Spanien und
+Frankreich. Und diese Eifersucht entspringt haupts&auml;chlich
+wieder daraus, dass England f&uuml;rchtet von eben diesen
+M&auml;chten vom marokkanischen Markte verdr&auml;ngt zu werden.
+Wir wollen nicht zur&uuml;ckgreifen, und daran erinnern, wie
+England der Staat war, der die Eingeborenen Algeriens und
+namentlich Abd-el-Kader thats&auml;chlich gegen Frankreich
+unterst&uuml;tzte, wir wollen bei den letzten Ereignissen stehen
+bleiben.</p>
+<p>Als am 25. M&auml;rz 1860 Mulei Abbes und O'Donnell Frieden
+schlossen, hatte bald darauf der spanische General Kos de Olano,
+von seinen Soldaten Abschied nehmend, vollkommen Recht zu sagen:
+"Wir haben einen f&uuml;r uns neuen, ja einzigen Krieg in seiner
+Art beendigt, in welchem, nach meinem Urtheile, wir bei jeder
+Action siegreich gewesen sind, aber dennoch die Campagne verloren
+haben."</p>
+<p>Olano hatte vollkommen Recht so zu sagen, denn gewonnen haben
+die Spanier in diesem Feldzuge nichts. Das Versprechen Agadir
+abzutreten ist nicht gehalten worden, im Gegentheil, im Jahr 1862
+konnte ich mich &uuml;berzeugen, dass der Sultan Sidi Mohammed aufs
+eifrigste damit besch&auml;ftigt war, diesen Ort, der fr&uuml;her
+nur mangelhaft befestigt war, durch neue und gut ausgef&uuml;hrte
+Befestigungen zu sch&uuml;tzen. Eine Mission in Fes und Mikenes
+einzurichten, daran haben die Spanier bis jetzt nicht denken
+k&ouml;nnen, trotzdem, dass auch dies beim Friedensschluss
+verabredet war. Tetuan musste wieder herausgegeben werden, und die
+Kriegskosten sind noch lange nicht bezahlt, und werden es auch,
+wenn es so fort geht, nach eigener spanischer Berechnung in hundert
+Jahren noch nicht sein.</p>
+<p>Und wer brachte diesen f&uuml;r Spanien so ung&uuml;nstigen
+Frieden zuwege? Wer verhinderte die Spanier von Tetuan nach Tanger
+zu marschiren, wer verhinderte das Bombardement von Tanger, Mogador
+und anderen marokkanischen Hafenpl&auml;tzen? Nur England! Sidi el
+Hadj Abd es Ssalam, Grossscherif von Uesan, erz&auml;hlte mir sogar
+ein Jahr sp&auml;ter, dass englische Soldaten als Marokkaner
+verkleidet, an den Batterien in Tanger gestanden haben, um die
+Kanonen zu bedienen, falls die Spanier dennoch einen Angriff wagen
+w&uuml;rden. Nat&uuml;rlich kann ich nicht einstehen f&uuml;r die
+Wahrheit dieser Aussage, sie bekundet aber, wie innigen Antheil
+England derzeit an Marokko nimmt.</p>
+<p>Die ersten regelm&auml;ssigen Beziehungen Spaniens mit Marokko
+fanden im Jahr 1767 und 1798 statt. Wie die &uuml;brigen
+christlichen Nationen verstand auch Spanien sich zu einem
+j&auml;hrlichen Tribut, der sich indess nur auf etwa 1000 Thlr.
+belief. Freilich mussten bei einem jeden Consulatswechsel 12,000
+Thlr. extra bezahlt werden. Spanien betonte &uuml;brigens in dem
+1798 abgeschlossenen Vertrage, die Geschenke nur deshalb leisten zu
+wollen, damit die in Mikenes, Marokko, L'Araisch und Tanger
+bestehenden Kl&ouml;ster ohne Hinderniss ihre Religion aus&uuml;ben
+k&ouml;nnten. Die Kl&ouml;ster im Innern waren haupts&auml;chlich
+errichtet, christliche Sklaven freizukaufen und ihnen in Krankheit
+Beistand zu leisten, namentlich auch sie in der christlichen
+Religion zu st&auml;rken und zu erhalten. H&ouml;st in seinem 1781
+erschienenen Werke erw&auml;hnt noch dieser Kl&ouml;ster. Aber da
+der religi&ouml;se Fanatismus in Marokko bis jetzt immer noch
+wachsend gewesen ist, sah sich Spanien gen&ouml;thigt, schon Ende
+des vorigen Jahrhunderts die Kl&ouml;ster von Mikenes und Marokko
+aufzuheben; das von L'Araisch wurde 1822 geschlossen.</p>
+<p>Augenblicklich lebt der spanische Generalconsul in Tanger mit
+der Regierung von Marokko auf gutem Fusse, spanische Agenten
+theilen mit denen des Sultans s&auml;mmtliche Hafeneink&uuml;nfte
+aller H&auml;fen, damit Spanien so zu seiner
+Kriegskostenentsch&auml;digung komme.</p>
+<p>Der einzige Staat, der es verschm&auml;ht hat, je Verbindung mit
+Marokko anzukn&uuml;pfen oder gar Tribut zu zahlen, ist Russland,
+und eigenth&uuml;mlich, Russland ist in Marokko am meisten
+gef&uuml;rchtet, den Namen "Muscu" spricht jeder Marokkaner mit
+einer gemessenen ehrfurchtsvollen Scheu aus.</p>
+<p>Frankreich behauptet<a href="#F108"><sup>108</sup></a>, schon 1577
+Consuln in Fes gehabt zu haben, ob dem so ist, wollen wir dahin
+gestellt sein lassen. Die ersten diplomatischen Beziehungen waren
+der Vertrag vom 3. Sept. 1630, vom 17. und 24. Sept. 1631, vom 16.
+Jan. 1635 und vom 29. Jan. 1682<a href="#F109"><sup>109</sup></a>, endlich
+1693 zur Zeit Louis XIV. Letzterer trat erst 1767 in Kraft.
+Frankreich bezahlte keine bestimmte j&auml;hrliche Summe, aber die
+j&auml;hrlichen Geschenke giebt Hems&ouml; auf mehr als 100,000
+Thlr. an.</p>
+<blockquote><a name="F108" id="F108"></a>[Fu&szlig;note 108: Jules
+Duval, Rev. des deux mondes 1859.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F109" id="F109"></a>[Fu&szlig;note 109: Du
+Mont, Corps diplomatique t. V. VI. u. VII.]</blockquote>
+<p>Von dem ersten Tage der Eroberung Algeriens an hat Frankreich
+best&auml;ndig mit Marokko auf dem qui vive gestanden. Die Schlacht
+von Isly, durch den jetzt regierenden Sultan Sidi Mohammed
+verloren, das Bombardement von Mogador und Tanger haben keineswegs
+dazu beigetragen, die Franzosen beliebt zu machen. 1844 als Friede
+und ein neuer Vertrag geschlossen wurde, konnte Abd-er- Rhaman sich
+nicht dazu verstehen, den franz&ouml;sischen Gesandten in Fes zu
+empfangen, er ging eigens zu dem Ende nach Rbat.</p>
+<p>Seit der Zeit hat Frankreich keine ernste Streitigkeiten mit
+Marokko gehabt, die Expedition gegen die Beni-Snassen war lokal und
+geschah mit Genehmigung des Sultans, andere Differenzen, z.B.
+manchmal Auslieferungen algerinischer Verbrecher und Revolteure,
+wurden immer dadurch beigelegt, dass Marokko wo es nur konnte aufs
+schnellste Frankreichs W&uuml;nsche erf&uuml;llte. Denn England
+wird in Marokko geliebt, Spanien gehasst, aber Frankreich
+gef&uuml;rchtet. Das ist die eigene Aussage des marokkanischen
+ersten Ministers.</p>
+<p>Obgleich England nicht zu den M&auml;chten geh&ouml;rt, welche
+die &auml;ltesten Tractate mit Marokko geschlossen haben, so sehen
+wir doch schon, dass zur Zeit der Regierung der K&ouml;nigin
+Elisabeth englischer Handel sich an der marokkanischen K&uuml;ste
+entwickelte. Am 2. Januar 1718 wurde der erste<a href=
+"#F110"><sup>110</sup></a> und unter Georg II. und Sultan Mulei Hammed el
+Dahabi im Juni 1729 ein zweiter Vertrag geschlossen. Von den
+Sultanen Sidi Mohammed 1760, von Mulei Yasid 1790, und von Mulei
+Sliman 1809 wurde dieser Vertrag best&auml;tigt<a href=
+"#F111"><sup>111</sup></a>. Denn die Sultane von Marokko anerkennen die Acte
+ihrer Vorg&auml;nger nur, wenn sie dieselben ausdr&uuml;cklich
+best&auml;tigt und erneuert haben, namentlich solche mit den
+christlichen M&auml;chten. Ein Hauptgrund zu einem solchen
+Verfahren ist, dass bei einer Vertragserneuerung die betreffenden
+Staaten bedeutende Geschenke an den Sultan und seine Regierung zu
+machen haben. In einer 1815 vom englischen Parlament
+ver&ouml;ffentlichten Liste ersehen wir, dass Marokko mit einer
+j&auml;hrlichen Liste von 16,177 Pfd. St. von 1797 bis 1814
+figurirt als Kriegsunterst&uuml;tzung<a href="#F112"><sup>112</sup></a>.
+Ausserdem hat die grossbritannische Legation in Marokko &uuml;ber
+j&auml;hrliche 10,000 Piaster zu Geschenken zu verf&uuml;gen, und
+versorgt zum Theil Marokko gratis mit Munition<a href=
+"#F113"><sup>113</sup></a> und Waffen wegen der Erlaubniss, nach Gibraltar
+Vieh und Getreide so viel es braucht ausf&uuml;hren zu
+k&ouml;nnen.</p>
+<blockquote><a name="F110" id="F110"></a>[Fu&szlig;note 110: Du
+Mont, Corps diplom. T. VIII.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F111" id="F111"></a>[Fu&szlig;note 111:
+Gr&aring;berg di Hems&ouml;, p. 232.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F112" id="F112"></a>[Fu&szlig;note 112: Revue
+des deux mondes 1844. Maroc, ses moeurs et
+ressources.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F113" id="F113"></a>[Fu&szlig;note 113: S.
+Calderon.]</blockquote>
+<p>Die gr&ouml;ssten Erfolge verdankt England jedoch seinem
+jetzigen Repr&auml;sentanten in Marokko, Sir Drummond Hay. Um
+M&auml;nner zu haben, die genau mit den Sitten und mit der Sprache
+des Volkes bekannt sind, hat England zu seinen Vertretern in
+Marokko nur solche Leute genommen, die dort im Lande geboren sind.
+So auch Sir Drummond, der wie kein anderer das Land kennt, und mit
+Hoch und Niedrig umzugehen weiss. Am 9. December 1859 schloss Sir
+Drummond mit Abd-er-Rhaman einen neuen Handelsvertrag, und traf
+Bestimmungen, von denen alle christlichen M&auml;chte profitiren
+sollten. Indess beanspruchte im Vertrage von 1861, der, was das
+Commercielle anbetrifft, revidirt wurde, England f&uuml;r sich eine
+Ausnahmestellung.</p>
+<p>So heisst es z.B., Englands Consuln d&uuml;rfen residiren, in
+welchem Hafen oder in welcher Stadt<a href="#F114"><sup>114</sup></a> es
+Grossbritannien f&uuml;r gut findet, w&auml;hrend f&uuml;r die
+Consuln der &uuml;brigen M&auml;chte nur die Hafen erw&auml;hnt
+sind. Andererseits ist anzuerkennen, dass England in diesem
+Vertrage zum erstenmal f&uuml;r alle europ&auml;ischen Agenten das
+Recht erlangte, die Fahne da aufzuhissen, wo man es wollte, und
+nicht bloss wie fr&uuml;her im "unreinen Ghetto" der Juden. Und vor
+allen Dingen ist hervorzuheben, dass England den Protestanten volle
+Freiheit bei Aus&uuml;bung ihres Cultus zusicherte. Im Jahre 1862
+war Sir Drummond selbst in Mikenes w&auml;hrend eben der Zeit wie
+ich dort war, und ich konnte mich selbst &uuml;berzeugen, wie
+allm&auml;chtig sein Einfluss, mithin der Englands in Marokko ist,
+und irre ich nicht, so hat Drummond Hay im Jahre 1867 sogar in Fes
+den Sultan besucht. Derjenige, der weiss, wie sehr schwierig es
+ist, mit den marokkanischen Monarchen in Person zu verkehren,
+namentlich in einer der Hauptst&auml;dte des Landes selbst, wird
+ermessen k&ouml;nnen, welch grosses Zutrauen der derzeitige Sultan
+zum jetzigen grossbritannischen Consul hat.</p>
+<blockquote><a name="F114" id="F114"></a>[Fu&szlig;note 114: Um
+Marokko nicht zu verletzen, w&uuml;rde &uuml;brigens England wohl
+nie darauf bestehen, im Innern des Landes Consuln zu
+halten.]</blockquote>
+<p>Aber die englische Regierung, die weiss, dass solchen
+V&ouml;lkern haupts&auml;chlich durch Glanz, Reichthum und Macht
+imponirt wird, hat in Tanger ein Consulatsgeb&auml;ude herstellen
+lassen, das seiner Zeit mehr als 70,000 Thaler kostete, der
+Generalconsul und Ministerresident bezieht einen Gehalt von
+mindestens 50,000 Francs; ausserdem stehen dem englischen Minister
+zur Seite ein bezahlter Viceconsul, ein Arzt, Prediger,
+verschiedene Dolmetsche, Cavassen und Diener, alle gleichfalls hoch
+besoldet. In Mogador, Asfi, Darbeida, Dar-Djedida, Rbat, L'Araisch,
+Arsila und Tetuan unterh&auml;lt England ebenfalls bezahlte
+Consulate, Viceconsulate und Agenturen.</p>
+<p>Im Anfang der 60er Jahre vertrat England ausserdem das
+K&ouml;nigreich D&auml;nemark, Oesterreich und die deutschen
+Hansest&auml;dte.</p>
+<p>Die Hanseatischen St&auml;dte zahlten auch Tribut. 1750 musste
+Hamburg 50 Lafetten liefern, ausserdem 300 Centner Pulver
+etc.<a href="#F115"><sup>115</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F115" id="F115"></a>[Fu&szlig;note 115: Pacy,
+La piraterie musulmane, Revue africaine. 1858.]</blockquote>
+<p>Am 18. Juni 1753 (H&ouml;st, p. 284) schloss D&auml;nemark einen
+Tractat mit Marokko; da die meisten &auml;lteren Tractate
+&auml;hnlicher Art sind, heben wir daraus hervor: &sect; 6 und 10.
+Jeder D&auml;ne kann im Lande reisen und hat Sicherheit (?). Keine
+andere Nation ist der d&auml;nischen bevorzugt. &sect; 9. Kein
+d&auml;nisches schiffbr&uuml;chiges Schiff darf beraubt, oder die
+Mannschaft davon misshandelt werden (?). Kein Maure darf den
+D&auml;nen zwingen, seine Waare unter dem Werthe zu verkaufen. Kein
+Matrose darf mit Gewalt von einem d&auml;nischen Schiffe genommen
+werden. &sect; 12. Wenn ein d&auml;nisches Schiff einige von seinen
+in einem marokkanischen Hafen bereits verzollten Waaren nach einem
+anderen Hafen in Marokko bringen m&ouml;chte, so soll kein Zoll
+aufs neue von den an Bord befindlichen Waaren erlegt werden, die
+anderw&auml;rts hin bestimmt sind. Von Munition und
+Schiffsbaumaterialien wird kein Zoll bezahlt.&mdash;D&auml;nemark
+bezahlte daf&uuml;r (Hems&ouml; p. 235) j&auml;hrlich 25,000
+Thaler, und auserdem [ausserdem] f&uuml;r die Erlaubniss, eine
+Handelscompagnie an der K&uuml;ste von Sla bis Asfi anzulegen, ein
+Annuum von 50,000 Thlrn.</p>
+<p>Im Jahre 1844 hat D&auml;nemark erst aufgeh&ouml;rt Tribut an
+Marokko zu zahlen, w&auml;hrend Schweden, welches im Jahr 1763 den
+ersten Vertrag mit Marokko unterzeichnete, hierf&uuml;r dem Sultan
+einen j&auml;hrlichen Tribut von 20,000 Thalern gab. Vorher
+bestanden die Geschenke Schwedens in Naturalien: Holz, Tauwerk,
+Munition etc. 1771 unter Gustav III. wurde ein neuer Vertrag
+vereinbart, wonach Schweden j&auml;hrlich zweimal einen Gesandten
+mit Geschenken zu schicken hatte, aber 1803 derselbe alte Vertrag
+wieder erneuert, wonach Schweden 20,000 Thaler leistete, und noch
+die Dem&uuml;thigung erfuhr, dass dieses Geschenk
+<i>&ouml;ffentlich</i> durch den Consul &uuml;berreicht werden
+musste. Unter Bernadotte wurde der Tribut dann g&auml;nzlich
+aufgehoben; der schwedische Generalconsul hatte die Annuit&auml;t
+von 20,000 Thalern eines Jahres zum Bau eines
+Consulatsgeb&auml;udes<a href="#F116"><sup>116</sup></a> benutzt, und
+sp&auml;ter die Zahlung nicht weiter geleistet. Zur Zeit, als ich
+in Marokko anwesend war, vertrat Schweden und Norwegen zugleich
+Preussen.</p>
+<blockquote><a name="F116" id="F116"></a>[Fu&szlig;note 116: Siehe
+von Maltzan: "Drei Jahre im Nordwesten von Afrika."]</blockquote>
+<p>Oesterreich, das sich jetzt auch durch England vertreten
+l&auml;sst, schloss, nachdem der Kaiser Rudolph II. im Anfange des
+17. Jahrhunderts einen Gesandten an Sultan Abu Fers geschickt
+hatte, einen Vertrag mittelst des Engl&auml;nders Shirley; im Jahre
+1783 am 17. April, also ungef&auml;hr 150 Jahre sp&auml;ter
+(Schweighover, Staatsverfassung von Marokko und Fes), erneuerte es
+den Vertrag. Zu der Zeit hatte Sidi Mohammed einen Gesandten an
+Joseph II. geschickt, Namens Mohammed Abd-el-Malek, der mit dem
+Rath von Jenisch den Vertrag erneuerte und besiegelte. Im Jahre
+1815 verpflichtete sich Kaiser Franz gegen Marokko f&uuml;r Venedig
+einen j&auml;hrlichen Tribut von 10,000 Sequinen zu zahlen, wozu
+sich 1765 die Republik verpflichtet hatte. Im selben Jahre jedoch
+brach Oesterreich jede Verbindung mit Marokko ab, und h&ouml;rte,
+wohl von allen europ&auml;ischen Staaten der erste, auf, Tribut zu
+zahlen. Oesterreich verwies seine Unterthanen an Spanien. Die
+vielen Vexationen, die Sultan Abd-er-Rhaman aber gegen
+Oesterreicher aus&uuml;bte, zwangen diesen Staat zu einer
+milit&auml;rischen Demonstration. 1829 bombardirte der
+&ouml;sterreichische Admiral Bandierra einige
+K&uuml;stenst&auml;dte, aber ohne grossen Erfolg. Unter
+D&auml;nemarks Vermittelung kam am 12. Februar 1830 ein Vertrag mit
+Marokko zu Stande, von dem nur bekannnt [bekannt] ist, dass
+Oesterreich sich nicht zu Geschenken oder Tribut verpflichtete. Die
+Vertretung blieb D&auml;nemark und sp&auml;ter England
+&uuml;berlassen.</p>
+<p>Mit dem Sultan Sliman hatte im Jahr 1817 Preussen versucht
+ebenfalls einen Vertrag abzuschliessen, der aber nicht zu Stande
+kam, und seit der Zeit blieb, wie angef&uuml;hrt, die Vertretung
+dieses Landes Schweden &uuml;berlassen. Im Anfange dieses
+Jahrhunderts hatte denn auch Hamburg versucht, einen Vertrag zu
+Stande zu bringen, da ein Hamburger Artikel fr&uuml;her wie auch
+jetzt (wenigstens dem Namen nach), n&auml;mlich weisser Kattun,
+"Amburgese" genannt, sehr gesucht war; auch dieser kam nicht zu
+Stande; Hamburg liess sich dann sp&auml;ter durch Portugal
+vertreten, und zuletzt mit den &uuml;brigen Hansest&auml;dten durch
+England.</p>
+<p>1825 schloss Sardinien mit Marokko einen Vertrag und
+verpflichtete sich, bei jedesmaliger Erneuerung des Consulats
+25,000 Frcs. in Geschenken zu erlegen.</p>
+<p>Die durch die kleinen italienischen Staaten abgeschlossenen
+Vertr&auml;ge, von Sardinien (und vordem von Genua), von Toscana,
+vom K&ouml;nigreich beider Sicilien, wurden 1859 durch einen neu
+zwischen Gesammt-Italien und Marokko vereinbarten Tractat
+aufgehoben. Mau hat im letzten Jahre von Differenzen geh&ouml;rt,
+die zwischen Marokko und Italien ausgebrochen waren. Italien hat
+ebenfalls ein Generalconsulat in Tanger, und in den meisten
+Hafenpl&auml;tzen Agenturen.</p>
+<p>Die Niederlande, die am fr&uuml;hesten mit Marokko in Rapport
+waren, der erste Vertrag wurde am 5. Mai 1684, dann sp&auml;ter
+einer 1692 am 18. Juli (von Du Mont, t. VII.) geschlossen, zahlten
+j&auml;hrlich dem Sultan 15,000 Thaler. Schon 1604 hatte Sultan Abu
+Fers einen Gesandten nach Holland geschickt, der dort starb. Im
+Jahr 1815 schickte Wilhelm, K&ouml;nig der Niederlande, eigens
+einen General nach Marokko, um dem Sultan zu notificiren, er sei
+nicht mehr tribut&auml;r. Die Holl&auml;nder, heute durch England
+vertreten, besitzen eines der sch&ouml;nsten Consulatsgeb&auml;ude
+in Tanger.</p>
+<p>Portugal unterh&auml;lt wie England, Frankreich und Spanien
+einen Generalconsul und Ministerresidenten. Seitdem 1769 der Sultan
+Mohammed Masagan den Portugiesen genommen hat, sind die Beziehungen
+gut gewesen. Und Portugal ist der einzige Staat, von dem man sagen
+kann, Marokko behandle ihn auf gleichem Fuss, denn die
+j&auml;hrlichen Geschenke, welche der Sultan von Marokko an den
+K&ouml;nig von Portugal schickt, sind allerdings nicht so
+werthvoll, wie die, welche er empf&auml;ngt, deuten aber doch die
+Achtung vor der portugiesischen Macht an.</p>
+<p>Selbst die Vereinigten Staaten von Nordamerika konnten dem
+Tribute nicht entgehen, den fast alle christlichen Staaten die
+Feigheit begingen, Marokko j&auml;hrlich zu entrichten. 1795 wurde
+mit Mulei Sliman ein Vertrag auf 50 Jahre geschlossen, also bis
+1845; in diesem verpflichteten sich die Amerikaner zwar nicht zu
+einer bestimmten j&auml;hrlichen Summe, indess die Zwangsgeschenke
+betrugen alle Jahre ungef&auml;hr 15,000 Thaler. 1845 wurde eine
+neue, diesmal f&uuml;r Amerika g&uuml;nstigere Uebereinkunft
+getroffen. Amerika hat in Tanger ein Generalconsulat.</p>
+<p>Brasilien und einige kleinere amerikanische Staaten haben
+ebenfalls in Tanger und den &uuml;brigen marokkanischen Hafenorten
+Vertretung.</p>
+<p>Heute ist die Stellung der europ&auml;ischen Consuln in Marokko
+eine ganz verschiedene, aber dennoch ist die Macht derselben weit
+entfernt von der, welche die christlichen Consuln in der
+T&uuml;rkei haben. F&uuml;r das Innere gelten auch heute alle
+Vertr&auml;ge und Bestimmungen nicht, sobald sie Europ&auml;er
+betreffen; das Ansehen eines europ&auml;ischen Consuls ist im
+Innern gleich Null. Tribut zahlt heute kein einziges Consulat mehr,
+aber die mehr als k&ouml;niglichen Geschenke, die vor und nach
+namentlich England und Spanien an Marokko geleistet haben, habe ich
+selbst bewundern k&ouml;nnen; und so erfordert es ausserordentliche
+Klugheit und Gewandtheit f&uuml;r einen Consul mit den Marokkanern
+zu verkehren. Wenn F&auml;lle wie ehedem auch wohl nicht mehr
+vorkommen, wo europ&auml;ische Consuln willk&uuml;rlich auf ein
+Schiff gepackt und fortgeschickt wurden<a href="#F117"><sup>117</sup></a>,
+falls sie den Marokkanern nicht gefallen, so verweigerte doch 1842
+der Sultan dem franz&ouml;sischen Consul Pelissier in Mogador das
+Exequatur, bloss weil es Sr. marrokkanischen Majest&auml;t so
+gefiel. Leon Roche musste von Tanger abberufen werden, weil er zu
+genau die marokkanischen Interessen und Zust&auml;nde kannte, und
+England und Marokko dies nicht dulden wollten. Nach 1844 ist zwar
+Frankreich ganz anders aufgetreten.</p>
+<blockquote><a name="F117" id="F117"></a>[Fu&szlig;note 117: Die
+marokkanische Regierung kann dies heute schon deshalb nicht mehr,
+weil sie kein einziges Schiff zur Disposition hat.]</blockquote>
+<p>Was Marokko selbst anbetrifft, so hat es nie daran gedacht sich
+im Auslande vertreten zu lassen, oder aus eigenem Antriebe
+diplomatische und commercielle Verbindungen mit fremden
+M&auml;chten anzukn&uuml;pfen. Die verschiedenen Gesandtschaften,
+welche die Regenten Marokko's nach Europa schickten, hatten alle
+nur den Zweck Geschenke fl&uuml;ssig zu machen und Gelder zu
+erpressen. Eine m&ouml;chten wir ausnehmen: die von Mulei Abbes,
+Bruder des jetzigen Sultans, nach Spanien im Jahre 1860/61. Sie
+hatte nat&uuml;rlich nicht im Auge Gelder oder Geschenke zu
+bekommen, es handelte sich darum eine Erm&auml;ssigung der
+Entsch&auml;digungsgelder f&uuml;r Marokko zu erlangen, und auch
+diese wurde nicht aus freiem Antriebe entsandt. Spanien hatte
+ausdr&uuml;cklich erkl&auml;rt &uuml;ber diesen Gegenstand nur mit
+dem Bruder des Sultans im eigenen Lande verhandeln zu wollen. Und
+Marokko erlitt die Dem&uuml;thigung, dass, nachdem man Mulei Abbes
+durch Spanien spazieren gef&uuml;hrt hatte, kein Deut von den
+Kosten erlassen wurde.</p>
+<p>An Consuln besitzt Marokko nur einen<a href="#F118"><sup>118</sup></a>.
+Es ist dies der Hadj Said Guesno, der in Gibraltar gewissermassen
+das ganze Consulatswesen seines Monarchen gegen&uuml;ber den
+Christen repr&auml;sentirt. Was f&uuml;r eine Art dieser Consul
+ist, davon kann sich der Leser am besten einen Begriff machen aus
+dem Briefe eines Freundes in Gibraltar, datirt vom 18. Mai 1871:
+"Mein marokkanischer College, ein Ex-Slave, jetzt
+Pantoffelnfabrikant und schwarz wie ein Teufel, w&uuml;rde sehr
+staunen, wenn ich fragen w&uuml;rde, ob er mir einige
+Aufkl&auml;rungen geben k&ouml;nnte &uuml;ber diesen oder jenen
+Stamm, ob er arabischen oder berberischen Ursprungs sei&mdash;er
+w&uuml;rde mich gar nicht verstehen, erstens weil er &uuml;ber
+solche Dinge wohl nie nachgedacht hat, und zweitens weil sich sein
+ganzes Sinnen und Trachten auf seine gelben Pantoffeln
+concentrirt<a href="#F119"><sup>119</sup></a>."</p>
+<blockquote><a name="F118" id="F118"></a>[Fu&szlig;note 118: Der
+ehemals in Genua residirende marokkanische Consul existirt dort
+seit Jahren nicht mehr.]</blockquote>
+<blockquote><a name="F119" id="F119"></a>[Fu&szlig;note 119: Ich
+hatte diesen Freund gebeten, mir vom marokkanischen Consul einige
+Noten &uuml;ber marokkanische St&auml;mme zu
+erbitten.]</blockquote>
+<p>Dies ist der einzige w&uuml;rdige Repr&auml;sentant seiner
+unfehlbaren marokkanischen Majest&auml;t im Auslande.</p>
+<p>Es tritt nun noch die Frage auf, w&auml;re es
+w&uuml;nschenswerth f&uuml;r das <i>deutsche Reich</i> eine
+Vertretung in Marokko zu haben? Wir m&uuml;ssen dies auf alle
+F&auml;lle bejahen. Unsere politischen Interessen sind in Marokko
+so ziemlich identisch mit denen Englands, das ausserdem seine
+wichtigen commerciellen Angelegenheiten zu wahren hat. Wir stimmen
+insofern mit den Ansichten Englands vollkommen &uuml;berein, dass
+Frankreich seine Herrschaft nicht auf Marokko ausdehne. Allein
+schon die N&auml;he der franz&ouml;sischen Colonie macht es
+f&uuml;r uns nothwendig in Marokko Vertreter zu haben.</p>
+<p>Da nat&uuml;rlich eine Consulatseinsetzung in Marokko nicht so
+ohne weiteres vor sich gehen kann, so m&uuml;ssten vor allen Dingen
+erst Unterhandlungen angekn&uuml;pft werden, entweder vermittelst
+eines schon in Marokko bestehenden und anerkannten Consulats oder
+direct mit der Regierung des Sultans. W&auml;hlt man das erstere,
+so w&uuml;rde jedenfalls das grossbritannische Generalconsulat am
+geeignetsten sein, es ist die Pers&ouml;nlichkeit Sir Drummond
+Hay's, des englischen Ministers, die in Marokko beliebteste und
+geachtetste. W&auml;hlt man den Weg einer directen
+Verst&auml;ndigung, so w&uuml;rde jedenfalls das Beste sein den
+Zeitpunkt abzuwarten, wo der Sultan, der ganze Hof und die
+Regierung sich in Rbat befinden, dort den Abgesandten des deutschen
+Reiches durch einige Kriegsschiffe hinbegleiten zu lassen, damit
+dadurch zugleich Marokko eine <i>sichtbare</i> Vorstellung von der
+Macht unseres Landes bek&auml;me. Nat&uuml;rlich m&uuml;sste mit
+der Ankn&uuml;pfung diplomatischer Beziehungen ein Geschenk
+verbunden sein, aber einige 1000 Chassepots, dem Sultan gegeben,
+w&uuml;rde ein ebenso angenehmes Geschenk f&uuml;r ihn wie ein
+f&uuml;r uns erpriessliches [erspriessliches] sein.</p>
+<h2><a name="K12" id="K12"></a>12. Aufenthalt beim
+Gro&szlig;scherif von Uesan.</h2>
+<p>Ein volles Jahr verlebte ich nun in Uesan unter, im Ganzen
+genommen, angenehmen Verh&auml;ltnissen. Und die Zeit verbrachte
+ich haupts&auml;chlich damit, recht viel unter die Leute zu gehen,
+um mich mit ihren Eigenth&uuml;mlichkeiten vertraut zu machen.
+Dabei fehlte es keineswegs an Unterhaltung, Gatell hatte mir einen
+Theil seiner B&uuml;cher geliehen, so dass, wenn ich allein war,
+ich durch Lect&uuml;re meinen Geist auffrischen konnte.</p>
+<p>Ueberdies wurde der Aufenthalt in Uesan durch verschiedene
+kleinere Touren unterbrochen, die ich theils allein, theils in
+Gesellschaft des Grossscherifs machte. So unternahm ich von hier
+einen Abstecher nach L'xor, um einige Medicamente zu kaufen, die in
+Uesan, wo man nur mit Amuletten heilt, nicht zu haben waren.
+Merkw&uuml;rdigerweise schien, was seine Person und seine Familie
+anbetraf, Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam nicht sehr an die Wunderkraft
+seiner Unfehlbarkeit zu glauben, da ich mehrere Male sowohl ihm
+selbst als auch seinen beiden kleinen S&ouml;hnen Medicin
+verabfolgen musste. Der Grossscherif hatte so viel Zutrauen zu mir,
+dass er nicht das vorherige Kosten der Medicamente verlangte.</p>
+<p>Es fiel in sp&auml;ter Herbstzeit ein Besuch, den der
+Grossscherif dem Sultan in Arbat machte, wohin er von Mikenes
+&uuml;bergesiedelt war, und auf welcher Reise ich ihn begleitete.
+Und gerade auf Reisen wird das Ansehen und der Einfluss des
+Grossscherifs am anschaulichsten. Man hat keine Idee davon, wie
+weit in Marokko der Menschencultus getrieben wird. Sidi-el-Hady
+Abd-es-Ssalam reist entweder zu Pferde oder in einer Tragbahre, die
+fast wie eine verschlossene vergitterte Kiste aussieht, und die so
+niedrig ist, dass man nur darin liegen kann. Zwei Maulthiere, von
+denen eines vorne, das andere hinten geht, tragen die Bahre. Es
+w&uuml;rde vergeblich sein, die Zahl der sich herandr&auml;ngenden
+Leute sch&auml;tzen zu wollen, das ganze Land scheint
+herbeizustr&ouml;men, aus weitester Ferne kommen ganze St&auml;mme
+an den Weg, den der Grossscherif durchzieht. Man sucht ihn selbst
+zu ber&uuml;hren, oder die Tragbahre, das Pferd oder irgend einen
+anderen dem Grossscherif geh&ouml;renden Gegenstand. Man glaubt aus
+einer solchen Ber&uuml;hrung den g&ouml;ttlichen Segen ziehen zu
+k&ouml;nnen. Oft gen&uuml;gen die bewaffneten Diener nicht, mit der
+flachen Klinge den andringenden Haufen fern zu halten, und es
+m&uuml;ssen dann f&ouml;rmliche Angriffe gemacht werden, die Leute
+auseinander zu treiben.</p>
+<p>Die Gouverneure der Provinzen, die durchzogen werden, nahen sich
+immer schon von weitem ehrerbietig, und nat&uuml;rlich nie mit
+leeren H&auml;nden, sie betrachten es als eine besondere Gunst,
+wenn Sidi bei ihnen absteigt, um ein Mahl einzunehmen, oder wenn er
+gar in der N&auml;he ihrer Residenz seine Zelte
+aufschl&auml;gt.</p>
+<p>Der Grossscherif reist immer nur in kleinen Etappen, und mit
+einem zahlreichen Gefolge, welches nie aus geringerer Zahl als
+hundert Personen zusammengesetzt ist. Alle einflussreichen
+Sch&uuml;rfa, die n&auml;chsten Verwandten, seine Tholba
+(Schriftgelehrten) m&uuml;ssen mit. Alle haben, ausser dass jeder
+beritten ist, Maulthiere f&uuml;r ihr Gep&auml;ck und ihre Zelte,
+welche vom Grossscherif gestellt werden. Dieser Lagertrain
+marschirt immer voraus, so dass man, wenn man ankommt, das Lager
+schon aufgeschlagen findet. Der Grossscherif selbst hat f&uuml;r
+seine Person drei grosse Zelte, eins, in dem er die Nacht zubringt,
+eins zum Empfang bestimmt, und eins, worin er nur seine
+n&auml;chsten Freunde empf&auml;ngt.</p>
+<p>Sobald er installirt ist, d.h. auf den weichen Teppichen, welche
+die Beni- Snassen<a href="#F120"><sup>120</sup></a> verfertigen, und von
+denen ein einziger 4 Centner (eine Kameelladung) wiegt, Platz
+genommen hat, kommen aus Nah und Fern die Bittenden. Hier bringt
+einer ein Schaf, und verlangt, dass seiner Frau ein Sohn geboren
+werden soll, dort bringt einer Korn, und fleht um Segen f&uuml;r
+seinen Acker, da fragt einer ob er sein Pferd verkaufen soll, ob er
+Gl&uuml;ck dabei habe, das und das Haus zu kaufen; hier will ein
+Blinder sehend gemacht werden. Der Grossscherif hilft Allen, und je
+mehr die Bittsteller Geld und Gaben bringen, desto wirksamer ist
+der Segen.</p>
+<blockquote><a name="F120" id="F120"></a>[Fu&szlig;note 120:
+Berbervolk an der Oranischen Grenze.]</blockquote>
+<p>Manchmal kommen die komischesten Scenen dabei vor. So einstmals
+als ich mit dem Grossscherif im festverschlossenen Zelte sass, die
+Diener und Sklaven aber strengen Befehl hatten, Niemand ans Zelt
+herankommen zu lassen, sie jedoch dem andr&auml;ngenden Publikum
+nicht gewachsen sein mochten, rissen pl&ouml;tzlich die Gurten, das
+Zelt wurde gewaltsam ge&ouml;ffnet, und herein w&auml;lzte sich der
+Haufen: alte schmutzige Weiber, starkriechende Kinder, M&auml;nner
+und Greise, alle fielen &uuml;ber mich her und bedeckten mich mit
+ihren fanatischen K&uuml;ssen. Im Halbdunkel hatten sie mich als
+auf dem Teppich sitzend (der Grossscherif sass in dem Augenblick
+auf einem Stuhl) f&uuml;r den Abk&ouml;mmling Mohammed's genommen.
+Und w&auml;hrend ich unter Geschrei und Streiten ihnen klar zu
+machen suchte, ich sei nicht der Grossscherif, sass dieser auf
+seinem Stuhle, lachte aus vollem Herzen und rief: "Mustafa hennin",
+d.h. Wohlbekomm's. Ich musste nachher eine Extrareinigung mit mir
+und meinem Anz&uuml;ge vornehmen, um die greulichen und
+f&uuml;hlbaren Andenken dieser heiligen Umarmungen loszuwerden.</p>
+<p>In Arbat blieben wir nur wenige Tage, nahmen indem wir auf dem
+Hinwege den Weg durch das Gebiet der Beni-Hassen genommen hatten,
+den R&uuml;ckweg l&auml;ngs des Meeres bis zur M&uuml;ndung des
+Ssebu. Von hier gingen wir stromaufw&auml;rts bis fast zu dem
+Punkte, wo der Ordom-Fluss den Ssebu vergr&ouml;ssert, und von da
+aus direct nordw&auml;rts nach der Karia ben Auda. Die Karia ben
+Auda, eine Art befestigter H&auml;userhaufen, liegt an den
+westlichsten Vorbergen der s&uuml;dlich von Uesan streichenden
+Berge, die Karia selbst jedoch in vollkommener Ebene. Sie ist
+Residenz des Bascha's vom Rharb-el-fukani oder dem oberen Westen,
+wie diese Statthalterschaft heisst, dicht um die Karia liegen noch
+die von hohen Cactushecken umgebenen D&ouml;rfer. Die H&auml;user
+sind wie im ganzen Rharb von Steinen und Lehm gebaut und mit
+Strohd&auml;chern gedeckt, so dass man von Weitem ein deutsches
+Dorf zu sehen glaubt. Der vorz&uuml;gliche Reichthum des Landes
+besteht in Viehheerden, hier wie in Beni-Hassen vorzugsweise in
+grossen Rinderheerden; Schafe und Ziegen hingegen werden in diesen
+Provinzen verh&auml;ltnissm&auml;ssig in geringerer Zahl
+gez&uuml;chtet. Die marokkanischen Rinder halten aber keineswegs
+einen Vergleich auch nur mit den schlechtesten in Europa aus. Klein
+von Statur giebt eine marokkanische Kuh kaum mehr Milch als eine
+gute europ&auml;ische Ziege. Der Grund davon ist die Sorglosigkeit,
+mit der &uuml;berhaupt die Viehzucht in Marokko betrieben wird, und
+dann auch die mangelhafte Nahrung im Winter. Es fallt keinem
+Marokkaner ein, daran zu denken Vorrath von Heu zu machen, wie denn
+&uuml;berhaupt Wiesen zum Heumachen nirgends existiren.
+Nat&uuml;rlich giebt es hier und da l&auml;ngs der Fl&uuml;sse,
+dann auch in den feuchten Niederungen namentlich der Kharbprovinzen
+und Beni-Hassen ausgezeichnete Wiesen und Wiesengr&uuml;nde, aber
+das Gras wird nur gr&uuml;n benutzt, und ist, ohne dass Jemand
+daran denkt es zu m&auml;hen oder zu schneiden, Mitte Juli
+verbrannt von der Alles austrocknenden Sonne. Im Winter sind daher
+Rinder und auch Schafe und Ziegen auf die vertrockneten, kraftlosen
+Kr&auml;uter angewiesen, welche sie draussen finden. F&uuml;r die
+Pferde dient im Winter Stroh von Gerste oder Weizen.</p>
+<p>Wir waren kaum Angesichts der Karia, als der Kaid Abd-el-Kerim,
+von seinen Br&uuml;dern begleitet, auf uns zugesprengt kam, und uns
+zu einem Fr&uuml;hst&uuml;ck einlud. Das konnte nicht ausgeschlagen
+werden, und so zog der ganze Tross nach seiner Wohnung, wo wir ein
+reichliches Mahl schon vorbereitet fanden. Und der Kaid, der den
+Titel Bascha hat, bat Sidi so inst&auml;ndig einen Tag zu bleiben,
+dass Befehl gegeben wurde, Zelte zu schlagen.</p>
+<p>Es waren dies f&ouml;rmliche Essschlachttage, denn je h&ouml;her
+man in Marokko einen Gast ehren will, desto mehr Speisen setzt man
+ihm vor. Abends kam der Kaid ins Zelt des Grossscherifs, wo er nun
+gleichfalls mit vielen Sch&uuml;sseln bewirthet wurde, aber kaum
+war er fort, als er eine noch gr&ouml;ssere Anzahl Gerichte
+zur&uuml;ck schickte, und am anderen Morgen, als wir eben unser
+reichliches Fr&uuml;hst&uuml;ck genossen hatten, kam auch schon der
+Kaid, um uns zu einem, zweiten Mahle abzuholen, ausschlagen durfte
+man nicht, kurz w&auml;hrend der Zeit unseres dortigen Aufenthaltes
+hatte der Magen kaum eine Stunde Ruhe. Als wir uns verabschiedeten,
+legte der Kaid dem Grossscherif noch einen Beutel mit 5000 Frcs. zu
+F&uuml;ssen, wof&uuml;r er nat&uuml;rlich einen recht langen Segen
+erhielt.</p>
+<p>So langweilig, was Natur anbetrifft, die Gegend in den Rharb-
+und Beni- Hassen-Districten ist, wo Ebenen von Zwergpalmen,
+Lentisken und Lotusb&uuml;schen bestanden mit Kornfeldern und
+Wiesen wechseln und allerdings das Bild des fruchtbarsten Bodens
+zeigen, aber auf die Dauer einf&ouml;rmig erscheinen, so sehr
+&auml;ndert sich dies, wenn man das Gebirge erreicht. Gewiss giebt
+es keine romantischere Umgegend, als die der heiligen Stadt Uesan.
+Die dicht bewachsenen Berge der n&auml;chsten Umgebung, im
+Hintergr&uuml;nde die zackigen Felsen der Rifberge, die strotzende
+Fruchtbarkeit des Bodens, der dem Auge &uuml;berall das saftigste
+Gr&uuml;n der verschiedenen B&auml;ume und Stauden bietet, wie sie
+&uuml;berhaupt die L&auml;nder um das Mittelmeer in so grosser
+Mannichfaltigkeit hervorbringen, alles dies verursacht, dass die
+Zeit und wenn auch der Weg beschwerlich und erm&uuml;dend ist,
+rasch verl&auml;uft.</p>
+<p>Gegen Mittag wurde im Westen der Stadt Halt gemacht, da der
+Einzug am anderen Tage stattfinden sollte. Aber Abends hatten wir
+schon viel Besuch von Uesan, unter anderen kamen auch die kleinen
+S&ouml;hne des Grossscherifs, von denen der eine 9, der andere 7
+Jahre haben mochte, mit ihrem Lehrer herangeritten, so dass der
+Abend recht munter und vergn&uuml;gt verbracht wurde.</p>
+<p>Vor Sonnenaufgang am folgenden Tage weckten mich schon die
+Flintensch&uuml;sse und die schrecklichen Kl&auml;nge der
+unvermeidlichen Musik, es war dies nur die Einleitung zur
+statthabenden Feierlichkeit. Nachdem wir in aller Eile den Kaffee
+(ich genoss immer die Auszeichnung zum Kaffee in des Grossscherifs
+Zelt gerufen zu werden, sowie ich dort auch mit essen musste)
+getrunken und gefr&uuml;hst&uuml;ckt, stiegen wir zu Pferde und
+unter knatterndem Feuer, dem L&auml;rm der Musikanten, dem Lululu
+der Weiber setzte sich der Zug in Bewegung. Aber obschon wir nur
+eine Stunde von der Stadt entfernt waren, erreichten wir dieselbe
+erst gegen Mittag. Alle Augenblick kam eine neue Musikbande mit
+ihren abscheulichen Instrumenten und es wurde Halt gemacht, oder es
+kamen mit Flinten bewaffnete Abtheilungen, und gaben eine Salve
+dicht vor den F&uuml;ssen des Grossscherifs, man bildete Kreise und
+dann, wie die Teufel herumspringend, schossen sie ihre Flinten in
+den Boden und warfen sie darauf hoch in die L&uuml;tt, um sie
+hernach geschickt wieder aufzufangen. Reiter organisirten sich, und
+im gestreckten Galopp auf uns losjagend, schossen sie dicht vor uns
+die Flinten ab und schwenkten dann mit ihren Pferden zu beiden
+Seiten auseinander. Ich war froh, als wir endlich die Stadt
+erreichten, aber hier war uns das Entsetzlichste noch vorbehalten,
+gewissermassen der Triumphbogen, durch den der Grossscherif den
+Einzug in seine getreue und heilige Stadt Uesan halten sollte.</p>
+<p>Es nahten sich ungef&auml;hr zwanzig der Secte der Aissauin.
+Unter zitternden convulsivischen Bewegungen, unter einf&ouml;rmigen
+T&ouml;nen: "Allah, Allah" tanzten sie heran; jeder hatte eine
+Lanze, einige waren ganz nackt, andere hatten nur die
+unentbehrlichsten Lumpen um. Die Lanze trugen sie in der einen
+Hand, in der anderen einen Rosenkranz. Die Verwundungen, welche sie
+sich selbst beigebracht hatten, verursachten, dass der ganze
+K&ouml;rper mit Blut bedeckt war, einige schlugen sich auf die
+Nase, dass das Blut in Str&ouml;men herausschoss, andere schlitzten
+sich die Lippen zu Ehren Sidi's, andere zerkrazten sich die Brust
+und Gesicht, Gott zu Ehren und um dem Grossscherif, dem
+Abk&ouml;mmling des "Liebling Gottes", ihre Hingebung zu bezeugen.
+Dabei steigerte sich ihr Allah, Allah zu einem wahren Geheul,
+einigen traten die Augen aus dem Kopfe, sie schienen wahnsinnig zu
+werden, andere sch&auml;umten, die von Gott am meisten Inspirirten
+wollten sich vor die F&uuml;sse des Pferdes des Grossscherifs
+werfen, um &uuml;berritten zu werden, nur ein schneller Spornstich
+dr&uuml;ckte rasch das Pferd in die Menge, welche dicht zu beiden
+Seiten war. Ich sah, wie es auch dem Grossscherif schauderte, und
+er war wohl eben so froh als ich, als die eigentliche Sauya, das
+Allerheiligste von Uesan, erreicht war.</p>
+<p>Auch der Winter wurde nicht unangenehm verbracht; ob schon die
+Spitzen der Rif-Berge alle mit dickem Schnee &uuml;berzogen, merkte
+man in Uesan nicht viel von der K&auml;lte. Eine Einrichtung zum
+Heizen hat nat&uuml;rlich Niemand, bei grosser K&auml;lte, d.h. wenn das
+Thermometer Morgens auf +6 oder +4&deg; R. herabsinkt, oder gar
+wohl einmal unter Null ist (es soll vorkommen, ich habe es indess
+nicht erlebt), l&auml;sst man sich ein Becken mit gl&uuml;henden
+Kohlen ins Zimmer bringen. Und diesmal war der Winter so milde,
+dass die Gesellschaft, welche der Grossscherif t&auml;glich bei
+sich empfing, in einer Art von Veranda seines Hauses empfangen
+wurde, keineswegs aber in einem geschlossenen Zimmer.</p>
+<p>Bald darauf, im Januar 1862, trat ein anderes Ereigniss ein,
+welches abermals eine Reise des Grossscherifs nothwendig machte,
+und weil es charakteristisch f&uuml;r die politisch-socialen
+Zust&auml;nde des Landes ist, verdient, hier erz&auml;hlt zu
+werden. Es hatte sich eine Art von Gegen-Sultan gebildet.</p>
+<p>Man erfuhr zuerst in Uesan ger&uuml;chtweise von einem Marabut
+oder Heiligen, der in der N&auml;he der Stadt sich aufhielt, und
+vorgab alle Kranke gesund machen zu k&ouml;nnen; er predigte
+zugleich den heiligen Krieg gegen die Ungl&auml;ubigen (der Krieg
+gegen Spanien hatte den alten Fanatismus der Gl&auml;ubigen gegen
+die Christen recht wieder ins Leben gerufen) und proclamirte die
+Stunde des Sultans habe geschlagen, es w&uuml;rde ein neuer kommen,
+der bestimmt sei die gesunkene Macht der Gl&auml;ubigen wieder
+aufzulichten, und der mit erneuerter Kraft und Herrlichkeit den
+Islam der ganzen Welt auferlegen werde. Es str&ouml;mte ihm
+nat&uuml;rlich viel Volks zu, da der spanisch-marokkanische Krieg
+R&auml;uber und Strolche genug herangebildet hatte, und
+&uuml;berdies, je unwahrscheinlicher eine Prophezeiung ist, sie um
+so leichter bei den Marokkanern gl&auml;ubige Anh&auml;nger findet,
+namentlich wenn den Leidenschaften und religi&ouml;sen Eitelkeiten
+des Volkes geschmeichelt wird.</p>
+<p>Der Grossscherif verhielt sich &auml;usserst ruhig bei diesem
+Treiben, da seiner Macht und seinem Einfluss kein Abbruch geschehen
+konnte, weil der Weltverbesserer kein Scherif seiner Herkunft war,
+nicht einmal ein Thaleb, d.h. ein der Schrift kundiger Mann. Nach
+einigen Wochen, w&auml;hrend der Zeit Sidi Djellul (er hatte sich
+den Scheriftitel angemasst) einen Haufen von einigen Tausenden von
+Taugenichtsen um sich versammelt hatte, beging er indess die
+Frechheit, dem Grossscherif einen Brief zu schreiben, d.h.
+schreiben zu lassen, ihm zu sagen, er (Sidi Djellul) sei der Mann
+der Stunde (mul' el uogt, d.h. der erwartete Messias), der
+Grossscherif habe sich Angesichts dieses Briefes zu ihm zu begeben,
+und in Gemeinschaft wollten sie sodann gegen den Sultan und die
+grossen St&auml;dte ziehen. Sidi-el- Hadj Abd-es-Ssalam
+w&uuml;rdigte ihn nat&uuml;rlich keiner Antwort; sandte aber sofort
+an den Sultan einen Courier, um ihn auf die Gefahr dieses
+Abenteurers aufmerksam zu machen.</p>
+<p>Mittlerweile wuchs der Anhang Sidi Djellul's in grossen
+Proportionen. Seine Genossen lebten von Raub und Pl&uuml;ndern, und
+gr&ouml;ssere Raubz&uuml;ge stellte er in Aussicht: "Die grossen
+St&auml;dte, wie Fes, Mikenes, m&uuml;ssten ganz verschwinden, die
+Bewohner h&auml;tten ihr Geld durch Handel mit den Christen
+gewonnen, daher sei es ein gutes Werk sich dieser in den
+St&auml;dten angeh&auml;uften Sch&auml;tze zu
+bem&auml;chtigen."&mdash;Merkw&uuml;rdigerweise r&uuml;hrte sich
+nach mehreren Wochen die Regierung noch immer nicht, denn es
+h&auml;lt ungemein schwer, den Sultan zu irgend einem
+entscheidenden Schritt zu bringen.</p>
+<p>Im Anfange Februar desselben Jahres wagte er sich schon an
+befestigte Punkte; mit seinem ganzen Anhang, von denen einige mit
+Flinten, die meisten aber nur mit Kn&uuml;tteln und Lanzen
+bewaffnet waren, zog er gegen die Karia- ben-Auda, und nach einer
+dreit&auml;gigen st&uuml;rmischen Belagerung bem&auml;chtigte er
+sich derselben mit Gewalt, und enthauptete denselben Bascha
+Abd-el-Kerim, der vor Kurzem dem Grossscherif eine so grossartige
+Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die 16 oder 20 Mann Maghaseni,
+eine ebenso grosse Anzahl Diener des Bascha's wurden ebenfalls
+ermordet, die Bewohner der um die Karia gelegenen D&ouml;rfer
+entflohen zum Theil nach Uesan, zum Theil gingen sie zu Sidi
+Djellul &uuml;ber.</p>
+<p>Der Bascha wurde &uuml;brigens vom Volke kaum betrauert, seine
+Habsucht und Grausamkeit hatten ihn zum Feinde aller deren gemacht,
+denen er als Gouverneur vorstand. Was Sidi Djellul anbetrifft, so
+stieg nach der Einnahme der Karia sein Einfluss von Tage zu Tage,
+und obschon er durch den Bascha, der sich in der Karia hinter hohen
+Mauern gut vertheidigt hatte<a href="#F121"><sup>121</sup></a>, einigen
+Verlust erlitten hatte, so behauptete das leichtgl&auml;ubige Volk,
+alle die mit Sidi Djellul z&ouml;gen seien kugelfest, und
+namentlich er selbst unverwundbar. W&auml;hrend 14 Tagen schwelgten
+die R&auml;uber sodann auf der Karia, ihr Chef erliess
+Proclamationen, worin er verk&uuml;ndete mit allen Baschas so
+verfahren zu wollen, und namentlich auch mit dem Sultan.</p>
+<blockquote><a name="F121" id="F121"></a>[Fu&szlig;note 121: Er
+musste sogar Revolver und Lefaucheux'sche Flinten gehabt haben, da
+der Grossscherif sp&auml;ter von Leuten mehrere derartige Waffen
+geschenkt bekam, und die als in der Karia gefunden bezeichnet
+wurden.]</blockquote>
+<p>Endlich r&uuml;hrte sich der Sultan; sein Bruder Mulei Arschid
+hatte Befehl bekommen mit 1000 Mann Soldaten, ebenso vielen Reitern
+und 4 Kanonen &uuml;ber Media, an der M&uuml;ndung des Ssebu
+gelegen, nach der Karia zu marschiren, und Sidi-el-Hadj
+Abd-es-Ssalam war gebeten worden zum Heere zu stossen, um durch
+seine Anwesenheit der Sache des Sultans in den Augen des Volkes
+gr&ouml;sseres moralisches Gewicht zu geben. Der Grossscherif
+leistete der Bitte des Sultans Folge und mit grossem und
+kriegerischem Trosse wurde auf die Karia-el-Abessi marschirt, die
+wir in zwei Tagem&auml;rschen erreichten, am selben Tage, an
+welchem von der anderen Seite der Bruder des Sultans, Mulei Arschid
+anlangte. Der Eindruck, den das Erscheinen des Grossscherifs
+hervorbrachte, war ein ausserordentlicher. Die ganze Rharbprovinz
+war im offenen Aufruhr gewesen, Mulei Arschid hatte sich von Media
+nur mit Gewalt einen Weg bis zur Karia-el-Abessi bahnen
+k&ouml;nnen. Wir selbst aber waren dort ohne auf irgend feindselige
+Leute zu stossen angekommen, und die Leute, welche
+zur&uuml;ckgeblieben waren, sagten aus: Sidi Djellul habe sich mit
+seinem Anhang durch die Berge nach Sidi Kassem, einem s&uuml;dlich
+gelegenen Orte, gefl&uuml;chtet. Mit Ausnahme derer, die keine
+Heimath hatten und fest zu Sidi Djellul standen, war damit der
+eigentliche Aufstand ged&auml;mpft; d.h. die beiden Rharbprovinzen
+waren durch die Anwesenheit des Grossscherifs bei der Armee Mulei
+Archid's vollkommen beruhigt und hatten sich ohne weitere
+Zwangsmassregeln unterworfen.</p>
+<p>Merkw&uuml;rdigerweise wurde nun aber Sidi Djellul nicht durch
+einen raschen Marsch auf Sidi Kassem beunruhigt und er selbst mit
+seinen Anh&auml;ngern vernichtet oder gefangen gebracht. Wir
+lagerten bis Mitte M&auml;rz ruhig bei der Karia-el-Abessi. Aber
+der Anhang Sidi Djellul's verlor sich nun immer mehr, freilich
+hatte er auch den Ort Sidi Kassem noch &uuml;berrumpeln und
+pl&uuml;ndern k&ouml;nnen, die Beh&ouml;rde war mit den meisten
+Bewohnern schon vorher geflohen, es war dies aber sein letztes
+Heldenst&uuml;ck. Von fast Allen verlassen, versuchte er es das
+Grabmal von Mulei Edris el Akbar in Serone zu erreichen, wo er eine
+sichere Zufluchtsst&auml;tte gefunden haben w&uuml;rde. Aber gleich
+beim Eintritt in die Stadt, wurde er erkannt und von den
+Sch&uuml;rfa gefangen genommen. Diese, ohne weitere Umst&auml;nde,
+enthaupteten ihn, schnitten dem Rumpfe H&auml;nde und F&uuml;sse
+ab, und diese Troph&auml;en wurden dem Sultan geschickt. Sidi
+Mohammed, der Sultan, befahl den Rumpf ans Stadtthor von Serone zu
+nageln, der Kopf wurde zur Ausstellung nach Maraksch geschickt, und
+die &uuml;brigen Extremit&auml;ten den anderen St&auml;dten zur
+Ausstellung &uuml;berlassen. Die Sch&uuml;rfa aber, die
+eigenm&auml;chtig get&ouml;dtet hatten, bekamen vom Sultan ein
+Geschenk von 3000 Mitcal (c. 5000 frcs.), ein f&uuml;r Marokko sehr
+ansehnliches Geldgeschenk. Von seinen Parteig&auml;ngern wurden
+viele gefangen genommen, einfach enthauptet, einige aber auch, die
+etwas Verm&ouml;gen hatten, eingekerkert, um erst ihrer Habe
+beraubt zu werden. So endete der Versuch eines Marokkaners den
+Thron des Sultans umzust&uuml;rzen und eine andere Regierung
+einzusetzen. Nicht immer aber sind solche Revolten ohne Frucht
+geblieben, namentlich wenn der Emp&ouml;rer ein Scherif war, und am
+Hofe selbst schon Ansehen hatte, endete oft genug eine aus ebenso
+kleinen Anf&auml;ngen entsprungene Revolution damit, dass der
+regierende Sultan das Feld r&auml;umen musste, oft sogar das Leben
+verlor.</p>
+<p>Uebrigens war damit das Land keineswegs ganz beruhigt, die
+Hiaina, die Beni-Hassen, die Rifprovinzen waren in G&auml;hrung,
+man wusste nicht ob die Rifbewohner das Gebiet um Melilla abtreten
+wollten; der zu dem Ende vom Sultan an die Gebirgsst&auml;mme
+entsandte Scherif von Uesan, Sidi Mohammed ben Akdjebar, kehrte
+unverrichteter Sache zur&uuml;ck.</p>
+<p>Endlich verliessen wir mit der Armee die Karia-el-Abessi, und in
+&ouml;stlicher Richtung marschirend, zogen wir &uuml;ber den
+Ued-Teine und den Ued-Ardat, und campirten an einem Orte Had
+genannt. Hier blieben wir wiederum einige Tage liegen, und
+marschirten dann l&auml;ngs des Ardatstroms aufw&auml;rts, um bei
+einem Orte Arba zu campiren. Das Wort Arba bedeutet Mittwoch, und
+an dem Orte wird Mittwochs Markt abgehalten. In ganz Marokko
+st&ouml;sst man &uuml;berall auf Oertlichkeiten, die manchmal ohne
+alle Bewohner, die Bezeichnung Had Sonntag, Tnein Montag, Tleta
+Dienstag, Arba Mittwoch, Chamis Donnerstag, Djemma Freitag und Sebt
+Samstag f&uuml;hren. Solche Oertlichkeiten dienen als
+Marktpl&auml;tze, und es giebt ihrer Hunderte im ganzen
+marokkanischen Reich.</p>
+<p>Das Land war in dieser Gegend durchaus gewellt, &uuml;berall gut
+angebaut, und das Erdreich, schwarzer Humus, sehr fruchtbar. Wie
+man an den Ufern der Fl&uuml;sse sehen konnte, hat die Humusschicht
+meistens eine Dicke von 5-6 Meter. Von hier aus zogen wir
+nach einigen Tagen nach dem Ued-Uarga und lagerten s&uuml;dlich,
+Angesichts der Bergkette der Uled-Aissa. Das Lager war hier in
+reizender Gegend aufgeschlagen, die sch&ouml;nen Ufer des Flusses,
+von 20 Fuss hohen Oleanderstauden und Tamarisken dicht bestanden,
+die Gebirge mit zahlreichen D&ouml;rfern, die aus ihren Oliven- und
+Feigeng&auml;rten herauslugten, im S&uuml;dosten der
+eigenth&uuml;mlich geformte Berg Mulei Busta, geben der ganzen
+Landschaft eine grosse Abwechselung. Aber der Ramadhan war
+angebrochen, und da wir im Lager waren, musste ich nat&uuml;rlich
+aufs strengste die vorgeschriebenen Fasten mitmachen, was bei der
+grossen Hitze, wir waren jetzt Ende April, keineswegs angenehm
+war.</p>
+<p>Endlich kam ein Danksagebrief vom Sultan an den Grossscherif,
+wir verabschiedeten uns von Mulei Arschid und erreichten, rasch
+heimw&auml;rts ziehend, in anderthalb Tagen Uesan. Mulei Arschid
+aber vereinigte sich mit dem Sultan, der von Arbat aus mit der
+ganzen &uuml;brigen Armee gegen die Beni- Hassen ins Feld
+ger&uuml;ckt war. Da wir ganz unerwartet in Uesan eintrafen, so war
+nat&uuml;rlich auch kein Empfang.</p>
+<p>Nachdem der Ramadhan vor&uuml;ber, das Aid-el-Sserir mit grossem
+Gepr&auml;nge gefeiert worden war, und ich mich von den
+Anstrengungen des mehrere Monate dauernden Feldzuges erholt hatte,
+brach ich von Uesan auf, um Tetuan zu besuchen. Reichlich mit
+Medicamenten versehen und unter dem Titel "ssahab Sidi", d.h.
+Freund, Diener oder Anh&auml;nger des Grossscherifs, wollte ich es
+wagen, allein die Gegenden zu durchstreifen, es sollte dies
+gewissermassen als Versuch und Vorbereitung zu meiner Abreise
+dienen. Ein Spanier, schon seit 15 Jahren in Uesan ans&auml;ssig
+und dort verheirathet, begleitete mich<a href=
+"#F122"><sup>122</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F122" id="F122"></a>[Fu&szlig;note 122: Einige
+Monate sp&auml;ter wurde er, als er allein von Uesan ins Gebirge
+reiste, ermordet.]</blockquote>
+<p>Von Uesan aufbrechend, ich hatte ein eigenes Maulthier und einen
+vom Grossscherif geliehenen starken Esel, ging es &uuml;ber
+Tscheralia nach L'xor, und nach einem mehrt&auml;gigen Aufenthalt
+auf dem Westabhange der Rif-Berge, welche man von L'xor aus in
+einigen Stunden erreicht, nordw&auml;rts. Vom Orte Arba el Aiascha
+gingen wir nach Had bei Arseila, wo ich mein Maulthier verkaufen
+wollte, da es sich, als nicht besonders stark, schlecht
+bew&auml;hrt hatte. Aber wegen zu schlechten Wetters, welches uns
+zwang, einen ganzen Tag in einem Duar zuzubringen, war der Markttag
+des Had verpasst worden, und dicht bei dem Sanctuarium Mulei
+Abd-es-Ssalam ben Mschisch, einer ber&uuml;hmten Sauya und sehr
+besuchtem Wallfahrtsorte vorbeikommend, zogen wir dann durchs
+Gebirge Tetuan entgegen.</p>
+<p>Bis jetzt waren wir &uuml;berall gut aufgenommen worden, aber je
+n&auml;her wir Tetuan kamen, desto misstrauischer zeigten sich die
+Bergbewohner, und eines Abends wollten Tholba eines Dorfes, wo wir
+zu &uuml;bernachten beschlossen hatten, uns nur gegen Erlegung von
+einigen Metkal Quartier geben, "dann w&uuml;rden wir &uuml;berdies
+ihres Segens theilhaftig werden." Auf meine Erwiederung, der Segen
+des Grossscherifs von Uesan, dessen Freund ich sei, gen&uuml;ge
+mir, zogen sie sich drohend zur&uuml;ck, indessen schienen sie
+sp&auml;ter ihre Gesinnungen ge&auml;ndert zu haben, denn sie
+brachten ein reichliches Nachtessen. Auf dem Wege von Tanger nach
+Tetuan angekommen, brachten wir dann eine Nacht in dem Caravanserai
+zu, bekannt geworden durch den letzten Krieg der Spanier. Hier
+erblickte ich in den Gebirgsschluchten zum ersten Male die deutsche
+Eiche wild wachsend, welche mir sonst nirgends mehr in Marokko
+aufgestossen ist. Sonst hat man in Marokko in den Ebenen
+vorzugsweise die Korkeiche und auf den Abh&auml;ngen der Berge die
+immergr&uuml;ne Eiche und die Cerriseiche.</p>
+<p>Im Caravanserai oder Funduk hatten wir f&uuml;r n&auml;chtliches
+Unterkommen, d.h. f&uuml;r eine leere Zelle und Hofraum f&uuml;rs
+Vieh, einige Mosonat zu zahlen, f&uuml;r Geld bekamen wir auch
+etwas Brod, Milch und einige Eier. Am anderen Morgen erreichten wir
+gegen 10 Uhr die Stadt Tetuan oder Tetaun, wie die Marokkaner sie
+nennen. Die Spanier waren gerade beim Abmarsch, denn Tetuan liegt
+bekanntlich nicht unmittelbar am Meere, so dass die Truppen nicht
+direct eingeschifft werden k&ouml;nnen. Ich unterlasse es eine
+Beschreibung dieser von reizenden Orangeng&auml;rten umgebenen
+Stadt zu geben, sie ist hinl&auml;nglich aus dem letzten Kriege
+bekannt.</p>
+<p>Nach einigen Tagen Aufenthalt kehrte ich Tetuan den R&uuml;cken,
+und begab mich mit einer grossen Karavane nach Tanger. Der Weg wird
+gew&ouml;hnlich in zwei Tagen gemacht, wir brauchten indess nur
+Einen. Sehr belebt war er durch heimkehrende Tetauni (Bewohner
+Tetuans), welche w&auml;hrend der spanischen Besatzung die Stadt
+verlassen hatten, und die nun zur&uuml;ckkehrten, um von ihren
+Immobilien wieder Besitz zu nehmen. Nachdem ich sodann in Tanger
+mein Maulthier verkauft hatte, trat ich den R&uuml;ckweg nach Uesan
+an, zuerst l&auml;ngs des Strandes.</p>
+<p>Man muss indess nicht glauben, dass ein eigentlicher Weg
+l&auml;ngs des Meeres l&auml;uft, davon ist keine Spur vorhanden.
+Aber der Strand ist so breit, besteht aus so festem Sande, dass er,
+ausgenommen f&uuml;r Wagen, vollkommen eine macadamisirte Chaussee
+ersetzt. Man muss aber die Ebbezeit w&auml;hlen, weil bei Fluth das
+Meer bis dicht an die D&uuml;nen oder Felsen hinantritt. Man kann
+hier sehen, wie der Atlantische Ocean, dessen breiteste Stelle hier
+ist, selbst nach tagelangen Windstillen, dennoch immer grosse
+Wellen schl&auml;gt, und alle Zeit ist die Brandung oder das
+Rauschen der den Sand hinaufrollenden Wellen weit im Innern des
+Landes zu h&ouml;ren.</p>
+<p>Man kann recht gut, l&auml;ngs des Strandes reisend, in einem
+Tag Arseila erreichen, aber wir hatten ein Hinderniss an der
+M&uuml;ndung des Ued-Morharha, wor&uuml;ber ein ganzer Tag verging.
+Zu breit und tief an der M&uuml;ndung, um durchwatet werden zu
+k&ouml;nnen, hat man f&uuml;r Fahr-Einrichtung gesorgt, das Boot
+aber lag auf der anderen Seite, und kein F&auml;hrmann war zu
+finden oder durch Rufen herbeizulocken. Wir zogen, nachdem wir
+vergeblich versucht hatten, hindurch zu schwimmen,
+flussaufw&auml;rts, ohne eine Furt zu finden, auf das Bereden der
+Leute eines Duars kehrten wir um, und diesmal war denn auch der
+F&auml;hrmann an Ort und Stelle, und wir wurden
+hin&uuml;berbef&ouml;rdert. Ehe man Arseila erreicht, hat man dann
+noch die M&uuml;ndung des Ued-Aiascha zu passiren.</p>
+<p>Arseila, von den Alten Zilia. Zelis und Zilis genannt, wird von
+einigen Schriftstellern, darunter Hems&ouml;, H&ouml;st und Barth,
+Asila genannt. Wenn nun aber auch die Herleitung des Namens von
+Zilis unzweifelhaft ist, so ist heute doch nur die Schreibweise mit
+einem r die einzig richtige, und ist es wohl seit Jahrhunderten
+gewesen, da Leo, Marmol, Lempriere, Jackson und die meisten
+Schriftsteller so schrieben. Ohne Zweifel von den Eingeborenen
+gegr&uuml;ndet, sp&auml;ter im Besitze der Carthager, der
+R&ouml;mer, der Gothen, wurde nach Leo Arseila 712 n. Chr. von den
+Mohammedanern erobert und 200 Jahre von ihnen behauptet. Dann
+sollen die Engl&auml;nder (nach Leo) eine Zeitlang die Stadt
+besessen haben, und sp&auml;ter wieder im Besitze der Mohammedaner
+wurde sie 1471<a href="#F123"><sup>123</sup></a> von den Portugiesen erobert
+und bis zum Jahre 1545 behauptet. Seit der Zeit ist die Stadt im
+Besitze der Marokkaner geblieben.</p>
+<blockquote><a name="F123" id="F123"></a>[Fu&szlig;note 123: Nach
+Leo 1477.]</blockquote>
+<p>Ob das alte Zilis &uuml;brigens genau an der Stelle des heutigen
+Arseila gewesen ist, ob es nicht vielmehr an der M&uuml;ndung des
+Ued-Aiascha einige hundert Schritte weiter im Norden gelegen hat,
+m&ouml;chte wohl erst noch festzustellen sein. Jedenfalls ist die
+heutige Stadt so gelegen, dass sie nie besonders durch Handel und
+Wandel bl&uuml;hend gewesen sein kann. Am Strande ziehen sich
+allerdings rechtwinkelig ins Meer hinein Felsbl&ouml;cke, aber
+angenommen, sie h&auml;tten ehemals einen Hafen gebildet, so
+w&uuml;rde dies Bassin kaum gross genug gewesen sein 12-16
+Fischerb&ouml;te aufzunehmen. Ueberdies sind die Bl&ouml;cke so
+klein, dass sie bei halber Fluth schon vom Wasser bedeckt sind. Die
+M&uuml;ndung des Ued-Aiascha, wo man ebenfalls Mauer&uuml;berreste
+bemerkt hat, muss in fr&uuml;herer Zeit ein guter Hafen gewesen
+sein. Plinius sagt &uuml;berdies: "Zilis juxta flumen Zilia",
+welcher Fluss wohl kein anderer sein kann, als der
+ebenerw&auml;hnte Aiascha.</p>
+<p>Arseila, in der Gegend von Hasbat gelegen, liegt unmittelbar am
+Meere. Ein rechtwinkliges Oblongum, von halbverfallenen Mauern und
+Th&uuml;rmen umgeben, mit zwei Thoren, von denen das eine nach
+Norden, das andere nach Osten sieht, hat Arseila c. 500 Einwohner
+mohammedanischer und israelitischer Confession. Man findet in
+Arseila wie in allen Seest&auml;dten Marokko's zahlreiche Spuren
+christlicher Herrschaft an den alten Bauwerken. Einige am Boden
+liegende S&auml;ulen, ebenso S&auml;ulen, die jetzt im Innern der
+Djemma sind, d&uuml;rften vielleicht r&ouml;mischen Ursprungs sein.
+Ein Djemma, ein elendes Funduk sind die &ouml;ffentlichen
+Geb&auml;ude, ein marokkanischer Jude versieht das englische
+Consulat. Arseila besitzt nicht einmal Fischernachen, geschweige
+gr&ouml;ssere Schiffe. Trotz der n&auml;chsten sandigen Umgebung
+haben die Bewohner es verstanden, leidlich gute G&auml;rten
+anzulegen und Feigen, Melonen, Pasteken und die Rebe gedeihen
+vortrefflich. Aber kein Ort ist so theuer, was Lebensmittel
+anbetrifft, wie Arseila, und selbst Fr&uuml;chte, die in anderen
+Theilen von Marokko fast umsonst zu haben sind, kosten hier
+verh&auml;ltnissm&auml;ssig viel Geld.</p>
+<p>Die ganze Stadtbev&ouml;lkerung fanden wir unter Zelten auf
+einer gr&uuml;nen Wiese dicht am Meere gelagert, da der Sultan
+f&uuml;r sein ganzes Reich eine dreit&auml;gige Festlichkeit
+angeordnet hatte aus Freude &uuml;ber den gl&uuml;cklich
+bew&auml;ltigten Aufstand Sidi Djellul's. Wie der Juden
+Laubh&uuml;ttenfest, werden alle derartigen Feierlichkeiten der
+Marokkaner im <i>Freien</i> abgehalten, wie ja auch bei den grossen
+religi&ouml;sen Festen, Aid el kebir, aid sserir und Molud die
+gottesdienstliche Ceremonie nicht in der Moschee, sondern draussen
+auf freiem Felde celebrirt wird. Zwischen Tanger und L'Araisch
+k&ouml;nnen auch Christen in christlicher Tracht l&auml;ngs des
+Meeres reisen, ohne bef&uuml;rchten zu m&uuml;ssen bel&auml;stigt
+zu werden. So traf denn auch am selben Abend, wo wir in Arseila
+waren, ein spanischer Kaufmann ein (Christen giebt es sonst keine
+im St&auml;dtchen), der in eben dem Funduk die Nacht zubrachte,
+welches uns beherbergte.</p>
+<p>Von Arseila, das wir am anderen Morgen verliessen, bis L'Araisch
+hat man l&auml;ngs des Meeres, dessen Ufer immer denselben
+Charakter beibeh&auml;lt, nur einen halben Tagemarsch, und man
+muss, um in die Stadt zu gelangen, die M&uuml;ndung des Ued-Kus
+&uuml;bersetzen. Ohne uns aufzuhalten, erreichten wir immer durch
+einen sch&ouml;nen Korkeichenwald reisend, am selben Tage L'xor.
+Und auch hier war kein Aufenthalt f&uuml;r uns, da uns die Kunde
+wurde Sidi-el-Hadj Abd- es-Ssalam beabsichtige eine Reise nach
+Marokko. Zwei Tage darauf waren wir wohlbehalten in Uesan nach
+einer Abwesenheit von drei Wochen.</p>
+<p>Der Grossscherif, der mich wie immer sehr freundlich empfing,
+sagte mir, allerdings habe er eine Einladung vom Sultan erhalten,
+ihn nach Maraksch zu begleiten, aber sp&auml;ter habe der Sultan in
+einem anderen Briefe den Wunsch ausgedr&uuml;ckt, nicht zu kommen,
+da seine Anwesenheit in der N&auml;he des Rharb, dessen
+Bev&ouml;lkerung eben erst eine Revolution durchgemacht h&auml;tte,
+notwendiger sei, als in Maraksch.</p>
+<p>So glaubte ich denn auch, dass die Zeit gekommen sei, mein
+Geschick von dem des Grossscherifs zu trennen, dessen
+liebensw&uuml;rdige und uneigenn&uuml;tzige Gastfreundschaft ich
+nun seit einem Jahre genoss; zudem f&uuml;hlte ich, dass ich der
+arabischen Sprache t&auml;glich m&auml;chtiger wurde, denn hat man
+die ersten Schwierigkeiten &uuml;berwunden, so ist diese Sprache
+als Umgangssprache nicht schwer. Und wenn man ausgerechnet hat,
+dass ein europ&auml;ischer Landmann, ein englischer Bauer z.B. in
+seinen gew&ouml;hnlichen Lebensverh&auml;ltnissen nur ca. 400
+W&ouml;rter braucht, mit deren H&uuml;lfe er alle seine Ideen
+seinen Mitmenschen mittheilen kann, so hat man sicher in Marokko
+auch nicht mehr n&ouml;thig.</p>
+<p>Die ganze Lebensart ist so einfach, der Gegenst&auml;nde, die
+der Mensch dort n&ouml;thig hat, sind so wenige, die Unterhaltung
+ist so stereotyp und dreht sich so ziemlich immer um dieselben
+Gegenst&auml;nde, dass, wenn man einmal erst mit der Construction
+der marokkanischen Redeweise vertraut ist, und den n&ouml;thigen
+W&ouml;rtervorrath im Ged&auml;chtniss angesammelt hat, das Reden
+ganz von selbst geht. Hauptsache ist dabei, immer Gott und Prophet
+im Munde zu haben, von Paradies und H&ouml;lle zu sprechen, den
+Teufel nicht zu vergessen, und dabei and&auml;chtig mit dem Munde
+murmelnd den Rosenkranz durch die Finger gleiten zu lassen.
+F&auml;llt einem dann auch nicht gleich eine Redewendung ein, hat
+man ein Wort pl&ouml;tzlich vergessen, und sagt statt dessen: "Gott
+ist der Gr&ouml;sste", oder "Mohammed ist der Liebling Gottes",
+oder "Gott verfluche die Christen", so findet das kein Marokkaner,
+auch wenn diese Redensarten gar nicht dahin passen, auffallend, und
+er wird selbst den Satz erg&auml;nzen, oder das gesuchte Wort
+finden.</p>
+<p>Ehe ich indess Uesan verliess, bot sich mir Gelegenheit dar, mit
+einem "Emkadem", Intendant, des Grossscherifs nach der kleinen
+zwischen Fes und Udjda gelegenen Stadt Tesa zu reisen; derselbe war
+abgeschickt worden, r&uuml;ckst&auml;ndige Gelder f&uuml;r die
+Sauya Uesan einzukassiren. Den ersten Tag verfolgten wir den von
+Uesan nach Fes f&uuml;hrenden Weg und lagerten am Ued- Ssebu an
+einer Oertlichkeit, Manssuria genannt, welche aus einigen
+H&uuml;tten bestand und einem Duar, beides Eigenthum des
+Grossscherifs. Merkw&uuml;rdig ist diese Gegend dadurch, dass in
+der N&auml;he von Manssuria ein steinigtes Feld ist, aus dem
+best&auml;ndig Schwefeld&auml;mpfe und nach den Aussagen der
+Eingeborenen mitunter auch kleine Flammen emporsteigen<a href=
+"#F124"><sup>124</sup></a>. Es ist dies die mir einzig in Marokko bekannte
+Oertlichkeit, wo vulkanische Erscheinungen heute noch in
+Th&auml;tigkeit sind. Am zweiten Tage, im Thale des Ssebu
+aufw&auml;rts gehend, das die zahlreichen Kr&uuml;mmungen
+abgerechnet von Osten herkommt, blieben wir noch eine Nacht in
+einem Tschar (Bergdorf) und erreichten am dritten Tage das
+malerisch am Berge gelegene St&auml;dtchen Tesa.</p>
+<blockquote><a name="F124" id="F124"></a>[Fu&szlig;note 124:
+Vielleicht das Pyrron Pedion, dessen Ptolemaeus in Mauritania
+Tingitana erw&auml;hnt.]</blockquote>
+<p>Nach Ali Bey liegt Tesa auf dem 34&deg; 9' 32" N.&nbsp;B. und 6&deg;
+15" W.&nbsp;L.&nbsp;v.&nbsp;P. auf dem Unken Ufer des Ued-Asfor (gelber Fluss, wie
+hier der Ssebu heisst), jedoch fast eine halbe Stunde von ihm
+entfernt. Ausserdem wird die Stadt vom kleinen Ued-Tesa
+durchstr&ouml;mt, der vom S&uuml;den kommt. In der Lage, d.h. am
+Abhange eines Berges gelegen, hat Tesa eine ausserordentliche
+Aehnlichkeit mit Uesan. Leo giebt der Stadt 5000 Feuerstellen, was
+jedenfalls jetzt viel zu hoch ist, denn sie d&uuml;rfte kaum mehr
+als 5000 Einw. haben, von denen ca. 800 Seelen j&uuml;dischen
+Bekenntnisses sind. Hems&ouml; wagt die Vermuthung, dass Tesa das
+Babba der Alten ist.</p>
+<p>Die Stadt, mit einer einfachen Mauer umgeben und einer Kasbah,
+hat eine best&auml;ndige Garnison von 500 Maghaseni, eine
+Auszeichnung, die sie nur noch mit Udjda theilt, welches eine
+ebenso grosse Besatzung hat, w&auml;hrend in allen anderen
+St&auml;dten des Reiches nur ca. 20 Soldaten dem Gouverneur zur
+Verf&uuml;gung stehen. Die Lage der Stadt, die N&auml;he der
+unruhigen Hiaina, und der anderen vollkommen unabh&auml;ngigen
+Bergv&ouml;lker im Osten und S&uuml;den der Stadt machen eine so
+starke Besatzung sehr nothwendig. Tesa ist Hauptmittelpunkt des
+Handels zwischen Algerien, resp. Tlem&ccedil;en und Fes. Aber
+&ouml;stlich von Tesa ist die Gegend so unsicher, dass jede
+Karavane von einer Abtheilung Maghaseni begleitet sein muss. Stark
+besuchte Karavanenwege f&uuml;hren ausserdem von Tesa nach dem
+Figig und Tafilet. Die H&auml;user im Innern der Stadt bekunden
+Wohlhabenheit der Einwohner, die grosse Moschee, mit antiken
+monolithischen S&auml;ulen im Innern, deutet darauf hin, dass einst
+die Stadt noch bedeutender gewesen ist, als jetzt, und was die
+Gesundheit der Luft, die Reichhaltigkeit der Fruchtb&auml;ume und
+die wunderbar sch&ouml;ne Gegend anbetrifft, so kann man nur mit
+Leo &uuml;bereinstimmen, der sagt: "Billig sollte dieser Ort, wegen
+der gesunden Luft, die im Winter sowohl als im Sommer hier
+stattfindet, die k&ouml;nigliche Residenz sein."</p>
+<p>Wir waren in Tesa in der Sauya der Tkra Mulei Thaib abgestiegen,
+und wurden selbstverst&auml;ndlich gut bewirthet. Nach zwei Tagen
+Aufenthalt, als der Emkadem seine Gelder einkassirt hatte, gingen
+wir auf demselben Wege nach Uesan zur&uuml;ck, da der directere
+aber durch die Hiaina f&uuml;hrende Weg nicht genug Sicherheit bot,
+selbst f&uuml;r den Emkadem des Grossscherifs.</p>
+<p>In Uesan wieder angekommen, waren meine Tage gez&auml;hlt; es
+handelte sich nur darum, die Erlaubniss zur Abreise zu bekommen.
+Ich durfte nicht daran denken, dem Grossscherif zu sagen, dass ich
+ihn f&uuml;r immer verlassen wollte, da er sich einmal vollkommen
+mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ich w&uuml;rde immer bei
+ihm bleiben. So bekam ich denn endlich die Erlaubniss eine kleine
+Reise machen zu d&uuml;rfen, und sagte der Stadt Uesan f&uuml;r
+immer (wie ich damals glaubte, sp&auml;ter kam ich aber doch noch
+wieder nach Uesan) Lebewohl.</p>
+<h2><a name="K13" id="K13"></a>13. Reise l&auml;ngs des
+atlantischen Oceans</h2>
+<p>Nach Tanger aufbrechend, deponirte ich ein K&auml;stchen mit
+Papieren bei Sir Drummond und zog l&auml;ngs der K&uuml;ste,
+denselben Weg bis L'Araisch weiter. Als Ausr&uuml;stung hatte ich
+weiter nichts als einen Esel mit zwei Schuari (Seitenk&ouml;rben),
+welche einige Vorr&auml;the enthielten; ein spanischer Renegat, der
+gewissermassen mein Gef&auml;hrte, Diener, Eselw&auml;rter und
+Doctorgeh&uuml;lfe war, hatte sich angeschlossen. Ehe wir weiter
+zogen, blieben wir noch einige Zeit in der Stadt.</p>
+<p>L'Araisch liegt auf der &auml;ussersten Seite des linken Ufers
+des Ued-Kus derart, dass eine Seite nach dem Flusse, die andere
+nach dem Ocean Front macht. Ungef&auml;hr 4 K.-M.
+stromaufw&auml;rts des Ued-Kus am rechten Ufer lag das alte Lya der
+Punier oder wie es sp&auml;ter von den Griechen und R&ouml;mern
+genannt wurde Lina, ehedem die bedeutendste Niederlassung an dem
+atlantischen Ocean. Etwas weiter stromaufw&auml;rts fallt dort der
+Ued-Maghasen in den Kus.</p>
+<p>Die Ruinenst&auml;tte ist von Sir Drummond Hay und Barth besucht
+worden, ohne dass jedoch Beide besondere Entdeckungen gemacht
+h&auml;tten, die auch wohl kaum ohne Reinigung des Bodens und
+Ausgrabungen zu machen sind. Von Drummond Hay werden die Ruinen
+Schemmies genannt. Barth will aus den Grundmauern bei der Kasbah
+erkannt haben, dass auch auf dem heutigen Boden der Stadt L'Araisch
+eine alte libysche Stadt gelegen habe, was durch Scylax's Aussage
+best&auml;tigt w&uuml;rde.</p>
+<p>Von der von den Alten als in der M&uuml;ndung des Lixos liegend
+erw&auml;hnten Hesperiden-Insel ist heutzutage keine Spur
+vorhanden. Allerdings taucht bei tiefer Ebbe eine etwa 1 K.-M.
+haltende Sandbank, in der beutelartigen M&uuml;ndung des Flusses
+auf, und m&ouml;glicherweise, man braucht nur eine allgemeine
+Senkung der atlantischen K&uuml;ste anzunehmen, war dies die einst
+so fruchtbare Hesperiden-Insel. Diese M&uuml;ndung, im Norden durch
+hohe Sandberge gesch&uuml;tzt, k&ouml;nnte, wollte man sich die
+M&uuml;he geben die Barre wegzubaggern, zu einem trefflichen Hafen
+eingerichtet werden. Jetzt k&ouml;nnen bei Fluth h&ouml;chstens
+Schiffe von 150 Tonnen Gehalt einlaufen; als wir in L'Araisch
+waren, befanden sich sechs europ&auml;ische Schiffe im Hafen,
+ausserdem verfaulten am Strande die beiden letzten Kriegsschiffe
+der Marokkaner, zwei elende Brigantinen. Und doch hatte Marokko vor
+noch nicht hundert Jahren die Frechheit, mit seiner elenden
+Seemacht die ganze Welt herauszufordern.</p>
+<p>Der Name L'Araisch ist nach Hems&ouml; entstanden aus dem Worte
+el-araisch-ben- Aras, d.h. der Weinspalier der Beni Aros. Nachdem
+die Stadt wechselsweise im Besitze der Marokkaner und Portugiesen
+gewesen war, bem&auml;chtigte sich 1689 nach einer
+f&uuml;nfmonatlichen Belagerung Mulei Isma&iuml;l derselben. Seit
+der Zeit ist L'Araisch von den Europ&auml;ern noch oft angegriffen
+worden, so im Jahre 1785 von den Franzosen, 1829 von den
+Oesterreichern, die dabei der marokkanischen Flotte den Gnadenstoss
+versetzten.</p>
+<p>Man bemerkt in L'Araisch an den Geb&auml;uden der Stadt noch
+deutlich den christlichen Einfluss. So ist der h&uuml;bsche
+Marktplatz ein regelm&auml;ssiges Rechteck mit gew&ouml;lbten
+Arcaden versehen, die S&auml;ulen sind Monolithen aus Sandstein.
+Die Hauptmoschee, die ebenfalls nach dem Marktplatze zu Front
+macht, muss eine christliche Kirche gewesen sein, die Fa&ccedil;ade
+ist in dem sogenannten Jesuitenstyl gehalten. Ausserdem befindet
+sich noch ein anderes stattliches und mehrst&ouml;ckiges
+Geb&auml;ude, mit hohen sch&ouml;nen Fenstern versehen, am
+Marktplatze. Vielleicht war es ehemals Gouvernementsgeb&auml;ude,
+vielleicht ein Kloster, denn erst im Jahre 1822 musste eine hier
+bestehende spanische Mission aufgegeben werden. Heute steht das
+Haus leer und unbenutzt da, und der durch die Fenster streichende
+Wind, und die fressende Atmosph&auml;re wird bald das ihrige thun,
+um das Geb&auml;ude zu einer Ruine zu machen.</p>
+<p>Ausser recht gut erhaltenen aber widerstandslosen Mauern ist die
+Stadt durch ein mit vier Bastionen versehenes Fort, christlicher
+Anlage und urspr&uuml;nglich aus gutem Material erbaut,
+gesch&uuml;tzt. Dieses Fort liegt auf der westlichsten Spitze der
+Stadt nach dem Meere zu. Im Inneren dieses Forts ist ein Schloss,
+dessen runde Kuppeln man schon von Weitem sehen kann. Das Schloss
+soll vom Sultan Mulei Yasid erbaut sein. Unterhalb des Forts nach
+dem Hafen zu sind zwei gemauerte Strandbatterien. Nach S.-O. zu die
+Stadt beherrschend, befindet sich die Kasbah, ein Fort von
+viereckiger Form, an den vier Ecken mit sehr scharfwinkligen
+Bastionen versehen. Die Mauern der Kasbah, welche auch wohl eine
+Baute der Portugiesen oder Spanier ist, sind gut erhalten, aber
+trotz aller Vertheidigungsanstalten wird L'Araisch einem Angriffe
+der Europ&auml;er nicht lange Widerstand entgegensetzen
+k&ouml;nnen, einerlei ob er vom Ocean aus oder vom Lande her
+unternommen wird. Sonst hat L'Araisch keine merkw&uuml;rdigen
+Geb&auml;ude, wenn nicht eine kleine Grabst&auml;tte in den
+G&auml;rten s&uuml;dlich von der Stadt, der Lella-Minana gewidmet,
+einer Sherifa, die dort begraben liegt. Bei Lebzeiten soll sie
+Wunder gethan haben, und auch jetzt noch sollen die in der
+Grabcapelle der Lella- Minana betenden Frauen von Unfruchtbarkeit
+geheilt werden: zwei fromme in der N&auml;he wohnende Einsiedler
+&ouml;ffnen den Frauen gegen eine kleine Gabe die Th&uuml;r zum
+Grabmal und unterst&uuml;tzen sie im Beten.</p>
+<p>Die Stadt hat ca. 5000 Einwohner, von denen wohl 1200 Juden sein
+m&ouml;gen, welche letztere, wie alle Juden in den
+Hafenst&auml;dten Marokko's, sich der spanischen Sprache bedienen.
+Die wenigen Europ&auml;er, vielleicht 30 oder 40 Individuen stehen
+unter dem Schutze ihrer Consuln, deren es hier mit Ausnahme eines
+deutschen von allen Nationen giebt.</p>
+<p>Der Handel der Stadt ist nicht unbedeutend und umfasst dieselben
+Artikel, die in Tanger zur Aus- und Einfuhr kommen, d.h.
+ausgef&uuml;hrt werden besonders Wolle, Thierh&auml;ute, Wachs,
+Oel, Butter, Fr&uuml;chte: als Mandeln, Orangen, Citronen und
+Feigen, getrocknete Oliven, Eier, Federvieh (anderes Vieh
+auszuf&uuml;hren ist verboten), Getreide und
+H&uuml;lsenfr&uuml;chte. In L'Araisch kommt noch hinzu die Rinde
+der Korkeiche, die in Europa verarbeitet wird. Gummi und Kupfer
+wird aus Marokko nach Europa nicht mehr ausgef&uuml;hrt, da man
+Kupfer in Europa und Gummi von Senegal billiger beziehen kann.
+Blutigel werden ebenfalls von L'Araisch ausgef&uuml;hrt, doch mehr
+noch von Tanger und Mogador. Einfuhrartikel sind: Baumwollenstoffe,
+Tuche, rohe und gefertigte Seide, Papier, Waffen, Metalle, wie
+Eisen, Blei, Quecksilber, Schwefel, Alaun, Salpeter,
+Colonialwaaren, darunter besonders Thee und Zucker, und
+verschiedene Gegenst&auml;nde, schlechte Schmucksachen, Porzellan
+und Glaswaaren, Spiegel u. dergl. m. Die eben angef&uuml;hrten
+Gegenst&auml;nde sind so ziemlich in allen H&auml;fen des Landes im
+Handel dieselben.</p>
+<p>Der Weg zwischen L'Araisch und Media oder Mehdia l&auml;uft
+ununterbrochen auf einer Sandzunge hin, zwischen dem Meere
+einerseits, den S&uuml;mpfen und Landseen andererseits gelegen. Auf
+der ausgezeichneten Karte von A. Petermann, Mittheilungen Jahrgang
+1865, Taf. 4, dann auch auf der Karte von Renou ist dies recht
+deutlich zur Anschauung gebracht. Nehrungen und Haffe k&ouml;nnen
+nur an flachen, sandigen K&uuml;sten entstehen, und so ist es ganz
+nat&uuml;rlich, dass, wo die &uuml;brigen Bedingungen zur Haff- und
+Nehrungbildung vorhanden sind, diese entstehen. Wie der Sand
+Product des Meeres ist, so sind die Nehrungen, die aus Sand
+bestehen, immer nur an flachen K&uuml;sten mit vielem Sande zu
+beobachten. Es giebt nun Nehrungen, die an beiden Seiten noch mit
+dem Festlande zusammenh&auml;ngen, oder solche, die am Meere
+durchbrochen sind. Erstere k&ouml;nnen entstehen dadurch, dass hohe
+D&uuml;nen bei ausserordentlichen Fluthen nicht durchbrochen
+werden, vom Ocean aber Wasser durchlassen, welches Wasser dann
+hinter den parallel mit dem Meere laufenden D&uuml;nen einen See
+bildet, oder es sammelt sich landw&auml;rts der D&uuml;nen das
+Wasser von kleinen Fl&uuml;ssen an, bildet einen See, das Wasser,
+ist aber nicht stark genug, die Nehrung zu durchbrechen, oder auch
+das Wasser aus dem Landsee ergiesst sich unter der Nehrung in den
+Ocean. Nehrungen werden durchbrochen dadurch, dass sich die
+Fl&uuml;sse einen Ausgang bahnen, oder durch den Ocean selbst, in
+beiden F&auml;llen sind Haffe hergestellt.</p>
+<p>An verschiedenen Stellen von Afrika hat man Nehrungen und Haffe,
+so vor dem Delta des Nil in Aegypten, die bedeutender sind, als
+unsere deutschen in der Ostsee, oder an der K&uuml;ste von Guinea;
+die Nehrung an der K&uuml;ste von Marokko zieht sich von L'Araisch
+bis Rbat hin, hat also eine L&auml;nge von fast 17 deutschen
+Meilen.</p>
+<p>Landeinw&auml;rts von der Nehrung ist im Winter ein 2-3 Meilen
+breiter See, der im Sommer zum Sumpf wird, daher im Norden bei
+Mulei Bu Slemm der Name Mordja<a href="#F125"><sup>125</sup></a> Ras el
+Daura, und s&uuml;dlich von Mehdia, Mordja el Mehdia. Gleich
+unmittelbar &ouml;stlich vom See oder Sumpf st&ouml;sst jener
+ausgedehnte Korkeichenwald, der n&ouml;rdlich bei L'Araisch
+beginnend im S&uuml;den bei Rbat endet.</p>
+<blockquote><a name="F125" id="F125"></a>[Fu&szlig;note 125: Mordja
+heisst Sumpf]</blockquote>
+<p>Zahllose Wasserv&ouml;gel, Enten, Pelicane, Ibisse und andere
+halten sich hier auf, und im Sommer kommen Hy&auml;nen, Schakale
+und Wildschweine aus dem Korkeichenwald, um im feuchten Sumpfe zu
+jagen. Die ganze Nehrung selbst ist bewohnt von Arabern. Meistens
+haben sie ihre Zelte auf der Landseite und zwar nie
+kreisf&ouml;rmig, sondern, als ob sie gewissermassen der langen
+Form der Nehrung sich anpassen wollten, immer in einer langen Reihe
+aufgeschlagen. Die D&uuml;nen sind zum Theil gut bewachsen, meist
+mit Lentisken, aber auch Grasfutter f&uuml;r Rind- und Schafheerden
+ist reichlich vorhanden.</p>
+<p>Gew&ouml;hnlich legt man den Weg bis Mehdia l&auml;ngs des
+Wassers in zwei Tagem&auml;rschen zur&uuml;ck, der grossen Hitze
+wegen, und weil wir uns h&auml;ufig damit aufhielten, im Ocean zu
+baden, brauchten wir vier Tage. Ueberall fanden wir &uuml;brigens
+ausgezeichnete Gastfreundschaft, und die herrlichen Wassermelonen,
+welche die Nehrung hervorbringt, haben mir nirgends besser gemundet
+als hier. Zwei h&uuml;bsche Grabst&auml;tten sind unmittelbar am
+Meeresstrande erbaut: Mulei Bu Slemm<a href="#F126"><sup>126</sup></a>, eine
+Tagereise s&uuml;dlich von L'Araisch, aus mehreren Domen bestehend,
+dann Mulei Hammed bel Cheir, gleich vis-&agrave;-vis von Mehdia auf
+einer kleinen Anh&ouml;he. Gegen 3 Uhr Nachmittags am vierten Tage
+erreichten wir Mehdia, am linken Ufer des Sebu gelegen.</p>
+<blockquote><a name="F126" id="F126"></a>[Fu&szlig;note 126: Die
+meisten Geographen halten Mulei Bu Slemm f&uuml;r das alte Mamora,
+Mamora antica, und doch glaube ich kaum, dass jemals bei Bu Slemm
+dieser Ort gestanden hat.]</blockquote>
+<p>Um &uuml;berzusetzen mussten wir aber erst eine ziemlich weite
+Strecke ca. ein K.-M. stromaufw&auml;rts gehen, wo sich die
+F&auml;hre befand, sodann kehrten wir auf das linke Ufer
+zur&uuml;ck und erklommen den Pfad, der auf den steilen 417 Fuss
+(nach Barth) hohen felsigen H&uuml;gel f&uuml;hrt, auf dem Mehdia
+liegt. In einem sehr schlechten Funduk fanden wir Unterkommen.
+Mehdia ist ein kleines elendes Dorf, von vielleicht zweihundert
+Einwohnern, wegen seiner beherrschenden Lage war es einst wichtig
+und k&ouml;nnte am schiffbaren Sebu, dem Flusse, an dem Fes liegt,
+leicht wieder zu einer bl&uuml;henden Stadt gemacht werden. Die
+M&uuml;ndung des Sebu ist jedoch nicht breiter als vielleicht 1000
+Schritt, aber sehr tief unmittelbar unterhalb der Stadt. Der Sebu
+ergiesst sich aber nicht in gerader Linie in den Ocean, sondern,
+schief nach Norden geneigt. Eine starke Barre sperrt den Fluss
+ab.</p>
+<p>Als ich von Aussen den Ort besichtigte, fand ich unterhalb
+desselben ein Labyrinth von Mauern, 4 Fuss dick und 20 Fuss hoch
+aus massiven Steinen aufgef&uuml;hrt; ein Netz von viereckig
+gemauerten R&auml;umen darstellend. Die dar&uuml;ber befragten
+Bewohner wussten keine Auskunft zu geben, aber in Leo finden wir
+vollkommenen Aufschluss dar&uuml;ber:</p>
+<p>Von Jacob el Mansor, der von 1184 bis 1199 regierte, erbaut, als
+Vertheidigungsfeste des Eingangs des Sebu, wurde Mehdia sp&auml;ter
+zerst&ouml;rt und im Jahre 1515 schickte Don Manuel von Portugal
+eine Flotte dahin ab, um dort eine Festung anzulegen. Kaum im Bau
+begriffen, kam aber der zu der Zeit in Fes regierende Sultan
+Mohammed ben Oatas mit einem Heere und &uuml;berfiel Soldaten und
+Arbeiter. Leo, der als Augenzeuge diesem Ueberfalle beiwohnte,
+giebt davon eine ergreifende Schilderung. Die Portugiesen wurden
+alle get&ouml;dtet, die Schiffe verbrannt. Von 6-7000 Mann
+Besatzung, durch Verrath zur Streckung der Waffen bewogen, wurden
+die Meisten niedergemacht. Aus der M&uuml;ndung des Sebu soll der
+K&ouml;nig von Fes hernach 400 Kanonen herausgefischt haben.</p>
+<p>Sp&auml;ter, am 6. August 1614, nahmen die Spanier noch einmal
+Mamora (wie die Europ&auml;er und auch Leo Mehdia nannten),
+errichteten ein Fort, welches aber am 2?. April 1681 [? unlesbar in
+der gedruckten Ausgabe] von Mulei Ismail &uuml;berfallen und
+zerst&ouml;rt wurde. Seit der Zeit ist Mehdia, was es jetzt ist,
+ein elendes Dorf.</p>
+<p>Was nun die eben erw&auml;hnten Constructionen anbetrifft, so
+sagt Leo<a href="#F127"><sup>127</sup></a> davon: "Die Portugiesen fingen
+gleich nach ihrer Ankunft den Bau an; alle Fundamente waren schon
+gelegt, mit den Mauern und Bastionen war ein Anfang gemacht etc."
+Einen solchen <i>unfertigen</i>, nicht aber <i>zerst&ouml;rten</i>
+Eindruck machen denn auch die Bauten bei Mehdia. Was Mamora antica
+anbetrifft, so d&uuml;rfte dasselbe am anderen Ufer des Sebu zu
+suchen sein, oder vielleicht der H&uuml;gel der Stadt, der
+ebenfalls befestigt war, "Alt- Mamora", die am Strande von den
+Portugiesen errichteten Bauten dagegen "Neu-Marmora" gewesen sein.
+Aber in dem entfernten Mulei Bu Slemm Alt- Mamora suchen zu wollen
+ist vollkommen unstatthaft, weil "Mamora" immer einen felsigen
+H&uuml;gel bedeutet in Tamasirht-Sprache, ein solcher aber bei Bu
+Slemm nicht vorhanden ist.</p>
+<blockquote><a name="F127" id="F127"></a>[Fu&szlig;note 127:
+Uebersetzung von Lorsbach, p. 185.]</blockquote>
+<p>Barth f&uuml;gt noch hinzu, dass keineswegs, wie die meisten
+Geographen anzunehmen geneigt seien, hier Banasa gestanden habe
+(Hems&ouml; meint, Banasa habe gelegen, wo jetzt Mulei Bu Slemm
+ist, eine Oertlichkeit, die gar nichts Einladendes zur
+Gr&uuml;ndung einer Stadt hat), welches eine Binnenstadt am oberen
+Laufe des Sebu gewesen, sondern dass in Mamora die vom Ptolemaeus
+erw&auml;hnte Stadt Subur zu erblicken sei. Ich f&uuml;ge noch
+hinzu, dass im Lande bei den Eingebornen der Name Mamora vollkommen
+unbekannt ist.</p>
+<p>Wir blieben in Mehdia nur Nachts, am anderen Morgen fr&uuml;h
+aufbrechend, waren wir Mittags in Sla, setzten gleich &uuml;ber und
+blieben in Rbat in einem Funduk. Der Weg bot nichts Neues,
+Nehrungformation war auch hier, nur m&uuml;ssen die hiesigen
+D&uuml;nen &auml;lter sein, denn sie waren nach der Landseite dicht
+mit Eichen, welche eine ausserordentlich zart- und
+s&uuml;ssschmeckende Frucht tragen, bestanden, ausserdem waren
+Korkeichen, Lentisken und wilde Oliven sichtbar.</p>
+<p>Die Stadt Sla auf dem rechten Ufer des Bu Rgak oder
+Bu-Raba<a href="#F128"><sup>128</sup></a> gelegen, ist ein Ort, welcher von
+Aussen gesehen das allerregelm&auml;ssigste Ansehen hat. Fast
+viereckig ist die Stadt von hohen aber widerstandslosen Mauern,
+welche ausserdem viereckige Vertheidigungsth&uuml;rme haben,
+umgeben. Mit ca. 10,000 Einwohnern, d&uuml;rfen bis auf den
+heutigen Tag in Sla keine Christen und Juden wohnen, der Grund
+davon ist, dass die Bev&ouml;lkerung sich haupts&auml;chlich aus
+aus Spanien vertriebenen Mohammedanern bildete, somit den
+gl&uuml;hendsten Hass gegen Juden und Christen bewahrt hat. Am Ende
+des vorigen Jahrhunderts war Sla, das sich den marokkanischen
+Herrschern gegen&uuml;ber fast als Republik gerirte, der
+ber&uuml;chtigtste Seer&auml;ubersitz am atlantischen Ocean. Im
+Hafen von Sla und Arbat, oder in der M&uuml;ndung des Sebu, fanden
+die Piraten vor den verfolgenden Kriegsschiffen der Christen
+sichere St&auml;tten.</p>
+<blockquote><a name="F128" id="F128"></a>[Fu&szlig;note 128:
+Buragrag bei Leo und Maltzan.]</blockquote>
+<p>Sla ist offenbar, wenn auch nicht genau der Lage nach, doch was
+den Namen anbetrifft, das alte Sala. Ptolemaeus verlegt Sala
+s&uuml;d&ouml;stlich von der M&uuml;ndung des Flusses, also da wo
+Arbat heute steht. Ebenso Plinius, der Buch V, 1 sagt: "Die Stadt
+Sala am Flusse gl. N. gelegen, schon nahe der W&uuml;ste, und durch
+Elephantenheerden, noch mehr aber durch den Stamm der Autolalen
+unsicher gemacht, durch welche der Weg zum Atlasgebirge f&uuml;hrt"
+etc. Dass nun Arbat heute nicht den Namen Sla, sondern Arbat hat,
+erkl&auml;rt sich wohl aus dem Umst&auml;nde, dass nach der
+Zerst&ouml;rung des alten Sala, die neue Stadt auf dem rechten Ufer
+des Bu Raba angelegt wurde, w&auml;hrend gegen&uuml;ber die Stadt
+Rbat um 1190 von Jacub el Mansor neu gegr&uuml;ndet wurde, und nach
+Delaporte den Namen Rbat el Ftah, d.h. Wahlst&auml;tte des Sieges
+erhielt. Es ist also nicht n&ouml;thig um das alte Sala im heutigen
+Rbat wiederzufinden, wie Barth es thut, auf die Grabm&auml;ler der
+Beni-Merin bei der Mssala von Arbat hinzuweisen, welchen Ort Barth:
+"Schaleh", Hems&ouml;: "Scella, Seialla" und Marmol: "Mensala"
+aussprechen h&ouml;rten. Ich habe an anderen Orten gezeigt, dass
+jede gr&ouml;ssere marokkanische Stadt ihr Mssala hat, wo bei
+grossen religi&ouml;sen Festen die Gebete abgehalten
+werden<a href="#F129"><sup>129</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F129" id="F129"></a>[Fu&szlig;note 129:
+Maltzan sagt B. IV, p. 129: In der N&auml;he von Rabat liegt auf
+demselben Ufer des Flusses ein kleiner Ort esch = Schaleh genannt.
+Dieser Ort hat eine auffallend grosse Aehnlichkeit mit dem des
+antiken "Sala". Es sind dies aber weiter nichts als H&uuml;tten und
+H&auml;user, und Grabm&auml;ler um die "Mssala" gebaut, wie das
+auch bei Fes, Uesan etc. vorkommt.]</blockquote>
+<p>Die Stadt Sla ist von ihrem einstigen durch Piraterie erworbenen
+Reichthum sehr heruntergekommen, so dass auch die H&auml;user der
+Einwohner, die sich Slaui nennen, sehr klein und unansehnlich sind.
+Als ich mit dem Grossscherif in der Stadt war, fand sich kein
+einziges Geb&auml;ude gross genug ihn aufzunehmen, wir campirten
+daher am Strande in unseren Zelten. Innerhalb der Mauern ist die
+H&auml;lfte der Stadt jetzt unbebaut. Die beiden Moscheen sind
+gross und ger&auml;umig, aber sonst zeichnen sie sich durch nichts
+weiter aus. Der Markt oder Bazar, Kessarieh, ist &uuml;berdacht wie
+in den meisten St&auml;dten, wie zur Zeit Leo's findet man hier
+auch heute noch eine grosse Kammfabrikation aus Lentiskenholz.</p>
+<p>Rbat, sowie es jetzt steht, eine Stadt von ca. 30,000
+Einwohnern, hat ein fast modernes s&uuml;deurop&auml;isches
+Aussehen, namentlich von der Westseite her. Hier haben sich
+haupts&auml;chlich Christen und Juden H&auml;user gebaut, und
+besonders letztere sind in Rbat zahlreich vertreten, da sie wie
+auch die Christen in Sla nicht wohnen d&uuml;rfen. In der
+M&uuml;ndung des Flusses k&ouml;nnten Rbat und Sla einen guten
+Hafen haben, wenn nicht eine gef&auml;hrliche Barre auf der Rhede
+w&auml;re, und wenn f&uuml;r eine geh&ouml;rige Ausbaggerung
+gesorgt w&uuml;rde. Jetzt kann der Hafen nur Schooner und kleine
+Briggs aufnehmen. Der Handel ist indess ziemlich lebhaft, denn
+eigentlich ist Rbat jetzt der nat&uuml;rliche Hafen f&uuml;r
+Mikenes sowohl, als auch f&uuml;r Fes. Man exportirt hier
+vorzugsweise Oel, H&auml;ute und Kork. Als eigne Fabrikation
+betreibt man in Rbat haupts&auml;chlich die Verfertigung wollener
+Teppiche, an G&uuml;te und Dauerhaftigkeit kommen sie den syrischen
+gleich, im Muster und in den Farben stehen sie allerdings
+zur&uuml;ck. Ferner sind Schuhe, Burnusse und Matten
+ger&uuml;hmt.</p>
+<p>Rbat auf dem bedeutend h&ouml;her gelegenen linken Ufer des
+Flusses gelegen, hat ein Castel auf seiner &auml;ussersten nach dem
+Meere gerichteten Seite, mit sogen. bombenfesten Gew&ouml;lben, und
+dicht dabei eine ziemlich grosse Djemma (Moschee) mit einem sehr
+h&uuml;bschen Smah (Minaret). v. Maltzan taxirt den Thurm auf 180'
+und zieht ihn der Giralda von Spanien vor. Dieser Sma-Hassan ist
+wie die Moschee selbst von Sultan Mansor erbaut. Leo sagt von ihm:
+"Vor dem S&uuml;derthor liess er auch einen Thurm, dem zu Marokko
+&auml;hnlich, errichten, er hat aber viel breitere Treppen, worauf
+3 Pferde nebeneinander hinaufkommen k&ouml;nnen. Ich (Leo) rechne
+diesen Thurm in R&uuml;cksicht auf seine H&ouml;he zu den
+bewundernsw&uuml;rdigen Geb&auml;uden."&mdash;F&uuml;r Marokko,
+welches in keiner einzigen Stadt einen nur irgend bedeutend hohen
+Minaret hat, ist dieser Thurm des Hassan allerdings eine
+ausnahmsweise hohe Baute, aber im Orient trifft man bei den
+Mohammedanern bei Weitem h&ouml;here Minarets.</p>
+<p>Der Palast des Sultans ausserhalb der Stadt Rbat im S&uuml;den
+und fast hart am Meere gelegen, ein vollkommen neues Geb&auml;ude,
+und irre ich nicht, erst vom jetzigen Sultan erbaut, zeichnet sich
+nur durch Kasernenhaftigkeit aus. Es ist ein ziemlich unbedeutendes
+Geb&auml;ude, mit einer Beletage, hat viele Fenster, die aber nicht
+Glasscheiben besitzen, sondern durch h&ouml;lzerne Jalousien
+verschlagen sind. Vor dem Schlosse nach dem Strande zu befinden
+sich Erdschanzen auf europ&auml;ische Weise errichtet; einige
+Kanonen sind ebenfalls darin.</p>
+<p>Der von Maltzan erw&auml;hnte "r&ouml;mische Aquaduct"
+ausserhalb der Stadt, dessen Ruinen noch heute vorhanden sind, ist
+indess nicht r&ouml;mischen Ursprungs, wenn man anders den
+Aufzeichnungen von Leo Glauben schenken kann. Derselbe sagt p. 177:
+"Weil in der N&auml;he der Stadt kein sonderlich gutes Wasser war,
+so liess Sultan Mansor eine Wasserleitung von einer Quelle, die
+ungef&auml;hr 12 Meilen von der Stadt entfernt ist, hier anlegen;
+sie besteht aus sch&ouml;nen Mauern, welche auf Bogen ruhen, gleich
+denen, die man hier und da in Italien, vornehmlich um Rom sieht.
+Diese Wasserleitung theilet sich in viele Theile: einige
+f&uuml;hren Wasser in die Moscheen, andere in die Schulen, andere
+in die Pal&auml;ste des K&ouml;nigs, andere in die
+&ouml;ffentlichen Brunnen, dergleichen f&uuml;r alle Districte der
+Stadt gemacht wurden. Nach Mansor's Tode nahm die Stadt
+allm&auml;lig so ab, dass nicht ein Zehntel mehr &uuml;brig ist.
+Die sch&ouml;ne Wasserleitung ist in den Kriegen der Meriniden
+gegen Mansor's Nachfolger zerbrochen worden." So Leo. Ich muss
+indess bekennen, dass nach Besichtigung der Ruinen dieser
+Wasserleitung ich ebenfalls geneigt bin mit Maltzan sie f&uuml;r
+r&ouml;mischen Ursprungs zu halten, da nirgends anderswo, soviel
+ich das Land habe kennen lernen, die Marokkaner selbst irgend
+&auml;hnliche Bauten aus massiven Quadersteinen errichtet
+haben.</p>
+<p>Heutzutage entbehrt Rbat sehr dieser Wasserleitung, die
+Einwohner behelfen sich zum Theil mit dem Wasser ihrer Cisternen,
+zum Theil holen sie weither ihr Trinkwasser in Schl&auml;uchen.
+Nirgends ist daher auch das Trinkwasser theurer als in Rbat. In
+allen gr&ouml;sseren marokkanischen St&auml;dten durchziehen
+Wasserverk&auml;ufer mit einem grossen Schlauch auf dem
+R&uuml;cken, in der einen Hand eine Glocke, in der anderen einen
+Becher haltend, die Strassen und verkaufen dem Durstigen f&uuml;r
+einen Fls. den Labetrunk, der dann so bemessen ist, dass der
+K&auml;ufer so viel trinken kann, wie er Durst hat. In Rbat aber
+muss ganz genau das Maass inne gehalten werden.</p>
+<p>Im Uebrigen hat die Stadt nichts Merkw&uuml;rdiges, nur will ich
+nicht unterlassen auf die unvergleichlich sch&ouml;nen G&auml;rten
+aufmerksam zu machen, die sich l&auml;ngs des linken hohen
+Flussufers hinziehen. Was nur das gl&uuml;ckliche Klima des
+Mittelmeeres hervorbringt, findet man hier bl&uuml;hen und
+gr&uuml;nen.</p>
+<p>Ich blieb nur kurze Zait [Zeit] in Rbat, und durch die lang
+ausgedehnte jetzt leere St&auml;tte der Mhalla (die Armee des
+Sultans), welche s&uuml;dw&auml;rts der Stadt sich befand, dahin
+eilend, zog ich dem S&uuml;den weiter entgegen. Ich hatte nun
+vollkommen unbekanntes Land vor mir, bis Rbat, wo ich auch
+fr&uuml;her schon gewesen war, hatte ich fast alles Land kennen
+gelernt, was im Bereiche des "civilisirten Marokko" lag. Einsam
+ohne Karavanen zogen meine Begleiter und ich l&auml;ngs des
+Strandes dahin, den grauen Esel vor uns hertreibend. Der Weg
+l&auml;ngs des Strandes bleibt auch hier einf&ouml;rmig und
+langweilig. Indess so wenig die Natur bietet, so belebt ist
+andererseits dieser Weg durch Menschen, denn bis Asamor ist hier
+die Hauptroute von Rbat nach Marokko, von Asamor verl&auml;sst die
+Strasse das Meer, um ins Innere sich hineinzuziehen.</p>
+<p>L&auml;ngs der K&uuml;ste ziehen sich eine Menge Kasbahs hin,
+zum Theil in leidlichem Zustande, zum Theil verfallen; sie erinnern
+lebhaft an die Befestigungen in Spanien und Italien, deren
+K&uuml;sten ebenfalls &uuml;berall mit Th&uuml;rmen und Festungen
+garnirt sind. In diesen Kasbahs kann der Wanderer Schutz vor
+schlechter Witterung finden, oder &uuml;bernachten, sonst bieten
+sie aber in der Regel nichts, und die meisten sind ohne Insassen.
+Wir gingen bis Mitternacht und n&auml;chtigten sodann in der Kasbah
+Scharret, am Fl&uuml;sschen gl. N. gelegen. Diese Kasbah bildet
+zugleich eine Cavalleriekaserne, es befanden sich etwa 200 Reiter
+mit ihren Pferden in derselben. Wir konnten von diesen Reitern
+unser Abendbrod kaufen, eigentliche Kaufleute waren aber nicht
+vorhanden.</p>
+<p>Zwischen Rbat und Asamor finden sich eine Menge von kleinen
+Fl&uuml;ssen, die von Osten kommend alle das Meer <i>mit Wasser</i>
+erreichen, und auch das ganze Jahr Wasser halten. So passirten wir
+am folgenden Tage den Ued-Bu- Steka und drei andere kleine
+Fl&uuml;sse, und befanden uns Mittags am Ued- Mansuria, der an
+seiner M&uuml;ndung, zur Fluthzeit, nicht zu passiren ist. Nach
+langem Suchen fanden wir endlich stromaufw&auml;rts gehend eine
+Furth, die uns durchliess. Der auf den Karten angegebene Ort
+Mansuria <i>existirt nicht</i>. Auf dem linken Ufer des
+Fl&uuml;sschens befinden sich die Tr&uuml;mmer der Kasbah Mansuria.
+Der Ort Mansuria soll nach Leo auch nicht am Ocean, sondern zwei
+Meilen stromaufw&auml;rts am Fl&uuml;sschen, das er Guir nennt,
+gelegen sein. Aber schon zu Leo's Zeiten war das genannte
+St&auml;dtchen nur noch ein Tr&uuml;mmerhaufe.</p>
+<p>Wir gingen selben Tags noch bis zur M&uuml;ndung des Flusses
+Ued-el-Milha, an dessen linkem Ufer die Kasbah Fidala liegt. Ob
+Fidala nach der Meinung Gosselin's das alte Kerne<a href=
+"#F130"><sup>130</sup></a> gewesen sei, wage ich nicht zu entscheiden; eine
+Insel ist in der M&uuml;ndung des Flusses nicht, wohl aber ist auch
+hier eine Nehrung. Im Innern der sehr ger&auml;umigen Kasbah
+lagerte ein ganzer Stamm unter Zelten, aber auch feste Wohnungen
+waren da. Namentlich zeichnete sich die in der Mitte der Burg
+liegende Djemma durch Sauberkeit der Arbeit und gute Conservirung
+aus. Die Tholba (Schriftgelehrten) luden uns freundlichst ein, in
+derselben die Nacht zuzubringen. Die meisten H&auml;user, die in
+Fidala sind, liegen in Ruinen, der edle Styl derselben, die
+Abwesenheit des maurischen Schwibbogens an Fenstern und Th&uuml;ren
+sagen uns mit Sicherheit, dass diese Geb&auml;ude von
+Europ&auml;ern erbaut wurden. Renou behauptet indess, dass Fidala
+1773 von Sultan Mohammed gegr&uuml;ndet sei. An vielen der Fenster
+waren sogar noch Balcons.</p>
+<blockquote><a name="F130" id="F130"></a>[Fu&szlig;note 130: Kerne
+m&ouml;chte eher beim heutigen Agadir zu suchen sein, obgleich auch
+dort in der Bucht keine kleine Insel sich befindet, aber
+keineswegs, wie Kn&ouml;tel meint, die Insel im Rio do Ouro
+sein.]</blockquote>
+<p>Am folgenden Morgen passirten wir eine lange &uuml;ber den
+schmalen Fluss Ued- Dir f&uuml;hrende Br&uuml;cke, derselbe soll
+jedoch manchmal weit austreten. Die Gegend bleibt immer dieselbe,
+rechts das Meer, und links die nicht enden wollende Gegend der
+Provinz oder Landschaft Temsena, nur einmal unterbrochen durch den
+grossen l&auml;ngs der K&uuml;ste sich hinziehenden Sumpf Um-
+Magnudj. Die gut bev&ouml;lkerte Gegend bringt haupts&auml;chlich
+Mais hervor, der den Leuten als Hauptnahrung dient, indem sie ganz
+wie die Italiener eine Polenta davon bereiten. Man kann sagen, dass
+an der ganzen K&uuml;ste von L'Araisch bis Asamor nicht die zu
+Kuskussu verarbeitete Gerste, sondern der Mais oder t&uuml;rkische
+Weizen die Nationalkost ist. Auch wird davon viel nach Spanien und
+Portugal exportirt.</p>
+<p>Am selben Abend noch waren wir in Dar-beida (Weissenstadt und
+von den Spaniern Casa bianca &uuml;bersetzt), wo wir bald bei einem
+Kaffeehausbesitzer, den ich von Fes her kannte, ein gastliches
+Unterkommen fanden. Dar-beida bildet eine Art befestigten Vierecks,
+dessen Mauern jedoch ausser Stande sind, den geringsten Widerstand
+gegen Europ&auml;er zu leisten. Sowie von Masagan und Safi wird
+auch von hier aus bedeutend exportirt, und haupts&auml;chlich sind
+es Wolle, Oel, Mais, Weizen, Mandeln und Felle, welche die
+Eingeborenen den Europ&auml;ern zu Markte bringen. Die
+Einwohnerschaft von Dar-el-beida bel&auml;uft sich auf ca. 300
+[3000] Seelen, unter denen sich eine zu den &uuml;brigen
+Hafenst&auml;dten Marokko's verh&auml;ltnissm&auml;ssig grosse Zahl
+von Europ&auml;ern befindet. Ich fand es h&ouml;chst auffallend,
+dass alle Lebensmittel hier so theuer waren, vielleicht ist die
+Concurrenz der Europ&auml;er daran Schuld. In der Meeresbucht
+befanden sich sieben gr&ouml;ssere europ&auml;ische Fahrzeuge, im
+Begriffe, ihre Ladungen einzunehmen. Sie kommen meist ohne Waaren
+an, wenn man anders nicht die Silberthaler (spanische und
+franz&ouml;sische) als Importationsartikel rechnen will. Aber der
+Vortheil, den die Europ&auml;er auf die eben angef&uuml;hrten
+Exportationsartikel machen, ist ein sehr grosser. Deutschland
+betheiligt sich gar nicht daran. An Merkw&uuml;rdigkeiten hat die
+Stadt nichts aufzuweisen.</p>
+<p>Maltzan nimmt an, dass Dar-beida oder Dar-el-beida die Stadt
+Anfa Leo's sei. Es ist auch wohl nicht daran zu zweifeln, aber
+Leo's Angaben &uuml;ber die Entfernung Anfa's sind h&ouml;chst
+ungenau, er sagt: "Anfa ist eine grosse von den R&ouml;mern erbaute
+Stadt am Ufer des Oceans, ungef&auml;hr 60 Meilen vom Atlas gegen
+Norden, ungef&auml;hr 60 Meilen von Azemur gegen Osten und
+ungef&auml;hr 40 Meilen von Rabat gegen Westen gelegen." Leo
+scheint die Stadt gleich nach der Zerst&ouml;rung derselben durch
+die Portugiesen besucht zu haben, er fand sie ganz ver&ouml;det und
+von Einwohnern verlassen. Nach Maltzan wurde sie erst 1750 von
+Mulei Isma&iuml;l unter dem Namen Dar-el-beida wieder aufgebaut.
+Nach Renou wiedererbaute sie Sultan Mohammed, was wahrscheinlicher
+ist, da Isma&iuml;l von 1672-1727 regierte. Von Dar-beida nach
+Asamor brauchte ich zwei Tage. Der auf fast allen Karten Marokko's
+angegebene Ort Mediona, der an der K&uuml;ste liegen soll, existirt
+dort nicht, wohl aber ca. 3 Meilen landeinw&auml;rts; Mediona ist
+weiter nichts als eine von einigen Duar umgebene Kasbah.</p>
+<p>Endlich war die weite M&uuml;ndung des Um-Rbea, oder wie man
+gew&ouml;hnlich sagt Mrbea erreicht. Der Fluss ist so tief, dass er
+selbst zur Ebbezeit nie durchwatet werden kann, aber eine gute
+F&auml;hre ist vorhanden, mit der man &uuml;bergesetzt wird. Der
+Fluss Um-Rbea, vom Atlas entspringend, hat auf seinem linken Ufer
+die bedeutende Stadt Asamor; aber so bedeutend dieselbe ist, ich
+sch&auml;tze die Einwohnerzahl auf 30,000 [3000] Seelen, so wird
+ihrer selten in den geographischen Handb&uuml;chern gedacht. Der
+Name Asamor bedeutet aus der Tamasirht-Sprache &uuml;bersetzt, die
+Oelb&auml;ume, und eigentlich hat die ganze Stadt den Namen
+Asamor-es-Sidi-Bu-Schaib, d.h. die Oelb&auml;ume des gn&auml;digen
+Herrn Bu-Schaib. Urspr&uuml;nglich war hier n&auml;mlich weiter
+nichts als ein Sanctuarium dieses Schaib's, dessen kleine "Kubba",
+in der er begraben liegt, sich noch heute in Asamor befindet und
+die in naher Umgegend als ein grosses Heiligthum gilt. Die
+Zahlenangaben &uuml;ber den Angriff von Asamor durch die
+Portugiesen sind bei Maltzan nicht genau. Erst 1508 begannen die
+Portugiesen zu belagern, jedoch ohne Erfolg, aber im Jahre 1513
+wurde die Stadt erobert, zerst&ouml;rt und nach einem
+zweiunddreissigj&auml;hrigen Besitze von den Christen freiwillig
+aufgegeben<a href="#F131"><sup>131</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F131" id="F131"></a>[Fu&szlig;note 131: Siehe
+dar&uuml;ber Leo, Dapper und Renou.]</blockquote>
+<p>Asamor, auf einer ca. 150' hohen Anschwellung des Erdbodens
+gelegen, wird merkw&uuml;rdigerweise von Arlett mit nur 700
+Einwohnern angegeben. Andere aber, die doch auch gute Notizen
+&uuml;ber die Stadt hatten oder auch Asamor selbst gesehen haben,
+sind dar&uuml;ber auch anderer Meinung, so nennt Dapper sie
+"&uuml;beraus volkreich", Lempriere "ein grosser Ort." Die Sache
+ist n&auml;mlich die, dass von allen H&auml;fen, Asamor und Agadir
+die einzigen sind, wohin Europ&auml;er selten kommen. In
+<i>allen</i> marokkanischen Hafenst&auml;dten, so klein sie auch
+sein m&ouml;gen, giebt es Consuln und Consularagenten. So in
+Arseila, in L'Araisch, in Masagan etc., aber in der Stadt Asamor
+und Agadir sind weder christliche Consuln noch Europ&auml;er.
+Allerdings sind in Sala auch keine Consuln, aber der Grund liegt
+mehr in der N&auml;he von Neu-Sala oder Arbat, als in einer anderen
+Ursache.</p>
+<p>So ist denn auch Asamor eine vollkommen marokkanische Stadt, der
+ganze Handel, die Industrie hat etwas urw&uuml;chsig Marokkanisches
+an sich. In dieser sch&ouml;nen Flussm&uuml;ndung, welche
+meilenweit nach oben hin noch salziges Meerwasser hinauftreibt,
+sieht man nie europ&auml;ische Schiffe. Der ganze Handel von Asamor
+mit dem Binnenlande beruht auf eigner Production und Manufactur.
+Man verfertigt namentlich Haike, Burnusse, Matten, Schuhe und
+T&ouml;pfergeschirr. In der N&auml;he der Stadt ist bedeutender
+Gem&uuml;sebau, aber die Fr&uuml;chte werden mehr nach aussen hin,
+nach Dar-beida und Masagan exportirt, als in der Stadt selbst
+aufgebraucht.</p>
+<p>Ich durfte nicht unterlassen "den ber&uuml;hmten Heiligen Mulei
+Bu-Schaib zu besuchen", so sagt man in der That in Marokko,
+einerlei ob der Heilige noch lebt oder todt ist. Man redet dann
+auch einen solchen Heiligen wenn er gestorben ist so an, als ob er
+noch lebte: "es ssalamu alikum ia Mulei Bu- Schaib" etc. Als ich
+eintrat in den kleinen Grabdom, war denn auch das ganze Mausoleum
+voller Bittsteller, alle umhockten oder Umlagen den Sarkophag, d.h.
+ein h&ouml;lzernes mit rothem Tuch und reich mit Seide gesticktes
+umhangenes Holzgestell. Den gr&ouml;ssten und eigentlichen Segen
+hatten indess nur die Schriftgelehrten des Mulei Bu-Schaib, die von
+jedem Betenden eine Gabe zu erpressen wussten. Als h&ouml;chst
+merkw&uuml;rdig fiel mir auf, dass diese Tholba (Schriftgelehrte)
+durch besondere Tracht sich auszuzeichnen suchten von ihren
+Mitgl&auml;ubigen, wie die Pharis&auml;er der Bibel. Bei den
+&uuml;brigen Marokkanern unterscheidet sich aber, wie schon
+angef&uuml;hrt, der Schriftgelehrte von seinen Mitgl&auml;ubigen
+nie durch Tracht, und wenn er auch der erste Faki der Djemma Mulei
+Abd Allah Scherif von Uesan w&auml;re. Sowie durch eigne Tracht, so
+zeichneten sich denn auch diese Tholba durch grosse
+Selbstgef&auml;lligkeit und religi&ouml;se Eitelkeit aus.</p>
+<p>Ehe ich von Asamor aus weiter zog, muss ich eines kurzen
+Abstechers erw&auml;hnen, den ich von hier aus mit einer Karavane
+nach der Stadt Marokko, von den Eingebornen Marakesch genannt,
+machte. Es war nur eine kleine Karavane aus lauter Eseltreibern
+bestehend, welche T&ouml;pferwaaren ins Innere des Landes
+f&uuml;hrten, dabei bis Marokko wollten, um von dort andere Waaren
+zur&uuml;ckzubringen. In Gesellschaft dieser Leute war es
+vollkommen unm&ouml;glich irgendwie nur Aufzeichnungen zu machen.
+Die Gegend sah zu der Zeit sehr traurig aus, da es Herbst war und
+die ersehnten Regen wollten sich nicht einstellen, so dass man
+hatte glauben k&ouml;nnen in der Vorw&uuml;ste zu sein. Und doch
+muss diese Landschaft im Winter und Fr&uuml;hling ein ganz
+ver&auml;ndertes Aussehen haben. Die kahlen Lotusb&uuml;sche
+bekleiden sich dann mit frischen hellgr&uuml;nen Bl&auml;ttern, die
+einf&ouml;rmige Zwergpalme sendet neue F&auml;cher aus der Erde und
+reift ihre kleinen &auml;usserlich der Weintraube nicht
+un&auml;hnlichen Beeren, Zwiebeln und Gr&auml;ser spriessen aus der
+Erde und die Heerden kehren von den immergr&uuml;nen
+Weidepl&auml;tzen der Atlasstufen zur&uuml;ck.</p>
+<p>Wir marschirten den ersten Tag sehr anstrengend, um zur rechten
+Zeit auf dem Markte el Had (Sonntag) zu sein, und noch denselben
+Tag wieder aufbrechend, &uuml;berzogen wir sodann einen niederen
+Gebirgszug von Nordwest nach S&uuml;dost streichend, der an der
+Gegend, wo wir ihn &uuml;berschritten, den Namen Dj. Ssara
+f&uuml;hrte. Sobald man den Kamm dieser H&uuml;gel, welche zugleich
+die Wasserscheide zwischen dem Mrbea und Tensift bilden,
+&uuml;berschritten hat, erblickt man die schneeigen Gipfel des
+grossen Atlas. Aber so nahe die Berge zu sein scheinen, so fern
+sind sie noch; ehe man nur die Stadt Marokko erreicht, hat man noch
+drei Tagem&auml;rsche.</p>
+<p>Der Sultan war zu der Zeit mit der ganzen Armee dort; er hatte
+sich den Eintritt in die zweite Hauptstadt seines Landes
+erk&auml;mpfen m&uuml;ssen. Die St&auml;mme der Rhammena,
+s&uuml;dwestlich von Marokko auf den Abh&auml;ngen des Atlas
+heimisch, hatten sich kurz vor seiner Ankunft emp&ouml;rt und
+hielten die Stadt umschlossen. Aber die Rhammena hatten nicht auf
+die Kanonen des Sultans gerechnet, trotzdem sie sich ziemlich
+hartn&auml;ckig bei der Sauya-ben-Sassy s&uuml;dlich von der Stadt
+vertheidigten. Sobald die Kanonen erdr&ouml;hnten, wurden sie
+leicht bew&auml;ltigt, und nachdem so und so viel K&ouml;pfe waren
+abgeschnitten worden, welche als Warnung an s&auml;mmtliche
+St&auml;dte des Reiches vertheilt wurden, nachdem sie aller Habe
+waren beraubt worden, war wieder Ruhe im Lande.</p>
+<p>Ich blieb nur zwei Tage in Marokko und verliess das Funduk
+(Gasthaus) nur Abends, um nicht Bekannten zu begegnen. Denn
+trotzdem der Sultan durch Vermittelung des englischen Gesandten mir
+beim Weggange von Mikenes freigestellt hatte, im Lande zu bleiben
+und &uuml;berall frei hingehen zu k&ouml;nnen, f&uuml;rchtete ich,
+falls er erf&uuml;hre, ich sei in Marokko, festgehalten zu
+werden.</p>
+<p>Die Stadt Marokko ist nach Beaumier's Beobachtungen mit einem
+holosterischen Barometer 408 Meter &uuml;ber dem Meere gelegen. Die
+Einwohnezahl [Einwohnerzahl] der Stadt ist, sehr wechselnd, je
+nachdem der Sultan anwesend ist oder nicht. Sir Drummond Hay, der
+zuverl&auml;ssigste Gew&auml;hrsmann, und der von allen
+Europ&auml;ern am besten die St&auml;dte des Innern kennen lernte,
+nimmt 70,000 Einwohner an. Zur Zeit, als er dort den Sultan
+besuchte, ist das auch wohl richtig gewesen, in gew&ouml;hnlichen
+Zeiten sind aber wohl nicht mehr Bewohner in der Stadt, als wie
+Maltzan, Beaumier und Lambert annehmen: 50,000.</p>
+<p>Nach Leo und den meisten Geographen soll Marokko von
+Yussuf-ben-Taschfin erbaut sein, Renou, sich auf Cooley
+st&uuml;tzend, giebt das Jahr 1073 als Erbauungsjahr an. Es ist
+indess wohl genauer, wenn wir mit Sedillot festhalten, dass der
+Feldherr Abu-Bekr, ein Partisan von Abd-Allah-ben- Taschfin, einige
+Jahre fr&uuml;her die Stadt anlegte. Von der Bedeutung aber, wie
+Marokko unter Yussuf, unter seinem Sohne Ali gewesen ist, von
+welcher Epoche Leo sagt, die Stadt habe hunderttausend H&auml;user
+gehabt, davon hat dieselbe nur den grossen Umfang behalten. Nach
+Lambert sollen die jetzigen Mauern der Stadt, die aus Tabi (d.h.
+einer Mischung aus Thon, Kalk und kleinen Steinchen, welche Masse
+zwischen Brettern gestampft und gepresst wird) bestehen, und die
+wie die Umfassungsmauern aller marokkanischen St&auml;dte von
+Entfernung zu Entfernung flankirende Th&uuml;rme haben, vom Sultan
+Mohammed ben Abd-Allah (1757-1790), dem f&auml;higsten und
+bedeutendsten marokkanischen Kaiser der Neuzeit, gegr&uuml;ndet
+sein.</p>
+<p>Ganz entgegengesetzt zu Fes hat die Stadt Marokko mit wenigen
+Ausnahmen nur einst&ouml;ckige Wohnungen, und an den Seiten der
+<i>breiten</i> Gassen findet man oft grosse G&auml;rten. Nur im
+Handelscentrum der Stadt verengen die engstehenden H&auml;user die
+Strassen. Im Uebrigen hat die Stadt ihre Kessaria (eine ganz neu
+erbaute f&uuml;r fremde Artikel ist nach Lambert k&uuml;rzlich
+hinzugekommen), ihre Ataria, ihre grossen und kleinen Funduks, ihre
+Marktpl&auml;tze, auf denen der bedeutendste Markt vor der Djemma
+el Fanah und der andere ausserhalb der Stadt vor dem Thore "Chamis"
+abgehalten werden. Auch ein Narrenhaus, Morstan, befindet sich in
+Marokko mit &auml;hnlicher Einrichtung wie in Fes.</p>
+<p>An &ouml;ffentlichen Geb&auml;uden ist die Stadt arm, der Palast
+des Sultans, obschon &auml;usserst umfangreich, zeichnet sich durch
+nichts aus. Die ber&uuml;hmteste Moschee ist die Kutubia, so
+genannt von den Adulen (Schreibern) und Ketabat (B&uuml;chern),
+welche dort, erstere ihr Handwerk treiben, letztere ebenda zu
+kaufen sind. Der hohe Thurm der Kutubia soll nach Lambert ca. 250
+Fuss, nach Maltzan ca. 210 Fuss hoch sein, und v. Maltzan
+sch&auml;tzt die Architektur auch dieses Thurmes h&ouml;her als die
+der Giralda von Sevilla, welche doch von L&uuml;bke in seiner
+Geschichte der Architektur als eines der sch&ouml;nsten
+Baudenkm&auml;ler spanisch-maurischer Architektur hervorgehoben
+wird. Was die innere Anordnung der Djemma anbetrifft, so gleicht
+sie fast der grossen den "Erzengeln" gewidmeten Moschee in Fes.
+Auch hier die grosse Zahl von S&auml;ulen, die von Spanien
+hergeholt sein sollen, auch hier die reizenden Springbrunnen, die
+aber oft genug kein Wasser spenden. Denn die einst so sch&ouml;nen
+Wasserleitungen der Stadt, weiche von den Bergen Misfua und Mulei
+Brahim das Wasser der Stadt zuf&uuml;hren, liegen in
+verwahrlosetstem Zustande. Von den &uuml;brigen Moscheen ist wenig
+zu berichten. Das gr&ouml;sste Heiligthum der Stadt ist die Sauya
+des Sidi-bel-Abbes, im Norden der Stadt gelegen. Sidi- bel-Abbes
+ist zugleich der Schutzpatron der Stadt, er liegt dort in einer
+kleinen Kubba begraben. Alle Fremde, namentlich Pilger, werden hier
+unentgeltlich drei Tage lang verpflegt; es versteht sich, dass
+diese Sauya auch Zufluchtsort f&uuml;r Verbrecher und
+unrechtm&auml;ssig Verfolgte ist.</p>
+<p>Das Ghetto der Juden, wie in allen marokkanischen St&auml;dten
+"Milha" genannt, d.h. der gesalzene Ort, wird nach Lambert
+h&auml;ufig Spasses halber von den Mohammedanern "Messus", d.h. der
+"salzlose Ort" genannt; man sch&auml;tzt die Zahl der Juden auf
+6000 Seelen. Moses Montefiori, der im Jahre 1864 in Marokko war, um
+beim Sultan eine verbesserte Lage f&uuml;r seine ungl&uuml;cklichen
+Glaubensgenossen herbeizuf&uuml;hren, hat dies trotz seiner reichen
+Geschenke keineswegs zu Wege bringen k&ouml;nnen, sie leben dort
+heute noch in derselben ungl&uuml;cklichen und unterdr&uuml;ckten
+Art, wie bisher. F&uuml;r die Christen scheint aber dort ein
+Umschwung eingetreten zu sein. Beaumier konnte mit seiner Frau,
+freilich in seiner Eigenschaft als Consul, im Jahre 1868
+unbehindert die Stadt nach allen Richtungen hin durchziehen, und
+der schon mehrere Male genannte Hr. Lambert bewohnt Marokko seit
+Jahren. Um dies zu k&ouml;nnen, muss man aber vor allem der Sprache
+vollkommen m&auml;chtig sein, und man muss es verstehen,
+Dem&uuml;thigungen und Vexationen, &auml;hnlich wie sie von den
+Mohammedanern den Juden t&auml;glich auferlegt werden, zu ertragen.
+Aber keineswegs m&ouml;chte ich doch empfehlen, wie Hr. Lambert das
+am Ende seines der Pariser geographischen Gesellschaft
+&uuml;berreichten Berichtes thut: "die Touristen einzuladen, statt
+nach oft besuchten Gegenden zu gehen, nach Marokko zu kommen, um
+Ausfl&uuml;ge in die Umgegend zu machen". Solche sichere
+Zust&auml;nde herrschen heute im Innern dieses Landes noch
+nicht<a href="#F132"><sup>132</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F132" id="F132"></a>[Fu&szlig;note 132: Die
+Folge eines solchen franz&ouml;sischen Berichtes verursachte auch
+den Tod von Alexandrine Tinne. Sie berief sich stets auf die
+zwischen Colonel Mircher und den Tuareg vereinbarten Vertr&auml;ge,
+als man ihr rieth nicht ins Land der Tuareg zu gehen; Obschon sie
+wissen musste, dass diese Vertr&auml;ge nur auf dem
+franz&ouml;sischen Papiere existirten, da von Seiten der
+m&auml;chtigen und besitzenden Tuaregf&uuml;rsten Niemand
+erschienen war mit Oberst Mircher zu unterhandeln.]</blockquote>
+<p>Ausser diesen vereinzelten Christen und den der Zahl nach
+genannten Juden besteht die Bev&ouml;lkerung von Marokko aus
+Berbern, Arabern und Schwarzen. Letztere, vorzugsweise wie in ganz
+Marokko aus Haussa- und Bambara-Negern zusammengesetzt, fasst man
+auch hier unter dem Namen Gnaui zusammen, sie sind alle Bekenner
+des Islam, haben aber viele von ihren einheimischen Sitten
+beibehalten. Dadurch, dass man fast mehr Schellah als Arabisch in
+Marokko reden h&ouml;rt, k&ouml;nnte man versucht sein zu glauben,
+die Berberbev&ouml;lkerung sei &uuml;berwiegend. Das ist aber nur
+anscheinend und namentlich an den Markttagen, wo die ganze
+Landbev&ouml;lkerung in die Stadt hereinkommt, der Fall. Der
+eigentliche St&auml;dter ist arabischer Herkunft, hat zwar oft viel
+fremdes Blut, pocht aber darauf, f&uuml;r einen Araber gehalten zu
+werden. Wie in den &uuml;brigen St&auml;dten Marokko's findet man
+auch hier viele Bewohner aus den &uuml;brigen grossen Ortschaften
+Nordafrika's, die manchmal einzelne Jahre lang, andere auch
+f&uuml;r immer sich fixiren, oder auch noch im Alter, nachdem sie
+ein kleines Verm&ouml;gen erworben, in die Heimath
+zur&uuml;ckkehren.</p>
+<p>F&uuml;r die Auss&auml;tzigen hat man im Norden der Stadt ein
+eignes Dorf, Harrah<a href="#F133"><sup>133</sup></a> genannt; diese, die
+nur unter sich heirathen, dort eine eigene Djemma (Gotteshaus) und
+eigne Medressen (Schulen) haben, deren Vorst&auml;nde ebenfalls
+Auss&auml;tzige sind, d&uuml;rfen nie die Stadt betreten. Dagegen
+sieht man dieselben den ganzen Tag vor dem Thore "Dukala"
+herumlungern, um Almosen zu erflehen. Es giebt &uuml;brigens auch
+Beg&uuml;terte unter ihnen, denn sie treiben Industrie, haben ihren
+eignen Grund, auf dem sie ackern und G&auml;rten bebauen, und die
+&uuml;brigen Marokkaner scheuen sich nicht, mit ihnen zu handeln;
+wenn aber Lambert sagt, die Furchtlosigkeit vor den
+Auss&auml;tzigen w&uuml;rde so weit getrieben, dass die
+Stadtbewohner mit den Lepr&ouml;sen aus einer Sch&uuml;ssel assen,
+oder in einem Zimmer schliefen, so ist das wohl &uuml;bertrieben.
+In diesem Harrah giebt es eine Milha f&uuml;r die auss&auml;tzigen
+Juden.</p>
+<blockquote><a name="F133" id="F133"></a>[Fu&szlig;note 133: Mit
+diesem Worte bezeichnet man in den &ouml;stlichen St&auml;dten
+Nordafrika's das Judenquartier.]</blockquote>
+<p>Der Handel von Marokko ist gegen den von Fes gehalten gering, es
+fehlt den Marokkanern die Geschicklichkeit und der
+Unternehmungsgeist. Die einst so hoch ber&uuml;hmten Gerbereien von
+Leder (Corduan, Maroquin, Safian) liegen im Verfall, allerdings
+existiren noch ganze Strassen, wo man nur gelbe und rothe Leder,
+oder davon fabricirte Schuhe kaufen kann, aber das sch&ouml;nste
+Leder wird heute in Fes bereitet. Hauptwichtigkeit hat Marokko im
+Handel f&uuml;r die s&uuml;dw&auml;rts gelegenen Atlastheile und
+die grosse Oase des Ued-Draa. So beziehen denn auch s&auml;mmtliche
+Arabertriben, die den beschwerlichen Weg &uuml;ber den Atlas
+scheuen, ihre Dattelvorr&auml;the von Marokko, und die Marokkaner
+holen ihren Vorrath vom Draa.</p>
+<p>Schon am dritten Tage Morgens verliessen wir die Stadt wieder.
+Was mich anbetrifft, so hatte ich von derselben h&ouml;chstens ein
+Bild gewonnen, so wie es der jetzige Reisende mit nach Hause
+bringt, wenn er die Eisenbahn verl&auml;sst, um sich in irgend
+einer Stadt am Wege einen Tag lang aufzuhalten. Aus eigner
+Anschauung hatte ich nur die M&auml;rkte bei Abend, die Kutubia und
+die Sauya Sidi-bel-Abbes kennen gelernt.</p>
+<p>Der R&uuml;ckweg wurde auf dieselbe Art gemacht, nur f&uuml;r
+mich auf angenehmere Weise, da einige reiche marokkanische
+Kaufleute sich der Karavane angeschlossen hatten, welche Zelte
+hatten, und die sich ausserdem t&auml;glich den Luxus einer Tasse
+Thee erlaubten, und wenn wir in der N&auml;he eines Duars lagerten,
+daf&uuml;r sorgten, dass die ganze Karavane auf ihre Kosten Fleisch
+bekam. Es ist sehr h&auml;ufig, dass in diesem Lande, wo das
+Alleinreisen mit der gr&ouml;ssten Gefahr verbunden ist, sehr
+reiche Kaufleute sich mit Maulthierkaravanen zusammenthun, und dass
+sie unter dem "Aman", Schutz einer solchen "Gofla", Karavane weite
+Reisen zur&uuml;cklegen.</p>
+<p>Wieder angekommen in Asamor, trennten wir uns, der reichere
+Theil der Karavane zog nach dem Norden, der gr&ouml;sste Theil
+blieb im Ort selbst, oder in der Umgegend, und wir beide zogen
+l&auml;ngs des Oceans weiter, nachdem wir noch einige Tage Rast in
+der Stadt gemacht hatten. Bis zum n&auml;chsten Orte el Bridja,
+d.h. kleine Burg, von den Europ&auml;ern Masagan genannt, ist
+gerade eine deutsche Meile Weges.</p>
+<p>El Bridja, ein l&auml;nglichtes ummauertes Viereck, wird fast
+nur von Europ&auml;ern und Juden bewohnt, und der Handel, der in
+Asamor sein sollte, wird hier betrieben. Die Mohammedaner
+begn&uuml;gen sich damit ausserhalb der Stadtmauer, die
+&uuml;brigens halb in Ruinen ist, in H&uuml;tten und Zelten zu
+wohnen. In el Bridja, Masagan, oder wie sie drittens von den
+Gl&auml;ubigen genannt wird: Dar djedida, d.h. Neustadt<a href=
+"#F134"><sup>134</sup></a>, ist denn auch ein bedeutender Export-Handel, den
+Beaumier auf 1/8 der Gesammtausfuhr vom Lande anschl&auml;gt. Ich
+traf dort &uuml;ber 20 europ&auml;ische Schiffe auf der Rhede, und
+wie lebhaft der Handel dort florirt, geht am besten daraus hervor,
+dass in diesem kleinen Orte, wo 1864 sicher nicht mehr als 1000
+Einwohner waren, alle europ&auml;ische Nationen einen Vertreter
+hatten.</p>
+<blockquote><a name="F134" id="F134"></a>[Fu&szlig;note 134: Diese
+kleine Stadt scheint sich durch den Reichthum an Namen
+auszuzeichnen, man h&ouml;rt sie auch El-Maduma, d.h. die
+Zerst&ouml;rte, nennen.]</blockquote>
+<p>Wir verliessen Masagan und wieder l&auml;ngs des Meeres ziehend,
+kehrten wir Nachts bei Arabern in einem Duar (Zeltdorf) gelagert,
+ein. Ein neues Ungl&uuml;ck sollte mich hier erreichen, der Spanier
+mein Begleiter war Nachts mit dem Esel aufgebrochen und hatte das
+Weite gesucht. Er hatte mir nichts zur&uuml;ckgelassen, als was ich
+auf dem Leibe trug, und ein kleines Ledert&auml;schchen, welches
+ich als Kissen unter dem Kopfe hatte, und worin
+gl&uuml;cklicherweise etwas Geld war. Die Hauptsumme aber, alles
+was ich an Kleidung besass, hatte er aufgepackt und war damit
+verschwunden.&mdash;Es w&auml;re unn&uuml;tz gewesen
+hinterdreinlaufen zu wollen, zumal ich annehmen musste, dass die
+Leute des Zeltdorfes wohl mit ihm im Einverst&auml;ndnisse
+gehandelt hatten, denn ohne ihr Wollen h&auml;tte er sich
+unm&ouml;glich Nachts allein aus dem Duar entfernen k&ouml;nnen.
+"Mktub er Lah", es war von Gott geschrieben, sagte ich nach Sitte
+der Marokkaner, verliess das Zeltdorf, und erreichte ziemlich
+fr&uuml;h Ualidia.</p>
+<p>Dies ist jetzt ein kleines Dorf ohne alle Bedeutung, scheint
+aber fr&uuml;h eine ziemlich bedeutende Stadt gewesen zu sein. Ein
+Theil der Stadtmauern und der Thore sind noch vorhanden. An der
+K&uuml;ste befindet sich, s&uuml;dlich vom Dorfe, der beste Hafen
+des ganzen marokkanischen Ufers, wenn derselbe auch nicht gross
+ist. Es ist dieser Hafen lagunenartig, haffartig eingeschnitten,
+der Art, dass die davorliegende Nehrung von Felsen gebildet ist. In
+fr&uuml;heren Zeiten soll dieser Hafen auch benutzt worden sein,
+jetzt liegt derselbe unbeachtet und fast unbekannt da. Verschiedene
+Reisende, welche die K&uuml;sten Marokko's besucht haben, haben
+auch auf die Vortrefflichkeit des Hafens von Ualidia aufmerksam
+gemacht, unter &auml;ndern Frejus.&mdash;Nach Jackson wird Ualidia
+so genannt, weil es vom Sultan Ualid erbaut worden ist.</p>
+<p>Ich blieb in diesem Orte nur um zu fr&uuml;hst&uuml;cken, das
+Essen wurde mir auf zuvorkommende Weise von den Schriftgelehrten
+der Djemma angeboten, und alle erflehten auf mich den Segen Allah's
+herab, um mich f&uuml;r meinen Verlust zu tr&ouml;sten, und
+zugleich verfehlten sie nicht den Vater des Diebes und ihn selbst
+(in Gedanken und mit Worten) zu verbrennen, zu verfluchen und auf
+ewig zu verdammen. Leider bekam ich dadurch meinen Esel nicht
+wieder, und ihr Segen befreite mich auch nicht vom Fieber. So
+musste ich Nachmittags schon wieder Zuflucht in einem Zeltdorfe
+suchen, da ich von wahren Sch&uuml;ttelfrosten befallen wurde. Am
+anderen Tage fr&uuml;h aufbrechend, erreichte ich nach einem
+f&uuml;r mich recht anstrengenden Tagesmarsch sp&auml;t Abends
+Saffi.</p>
+<p>Saffi, wie die Europ&auml;er die Stadt, Asfi, wie sie die
+Eingeborenen nennen, liegt in einer weiten nach Westen offenen
+Bucht, deren &auml;usserster Nordpunkt vom Cap Cantin gebildet
+wird. Die Stadt liegt unmittelbar am Ocean, ist von Mauern umgeben,
+besitzt an der Nordseite ausserdem eine Kasbah und hat ca. 3000
+Einwohner, darunter einige Hundert Juden und ca. 50 Christen. Asfi
+wurde 1508 von den Portugiesen erobert, und sie blieben im Besitze
+der Stadt bis 1541, in welchem Jahre sie dieselbe freiwillig
+aufgaben. Ch&eacute;nier f&uuml;hrt an mehreren Stellen an, die
+Portugiesen h&auml;tten Asfi 1641 verlassen, was aber wohl
+irrth&uuml;mlich ist, wenn man anders nicht nachweisen kann, dass
+sie es zum zweiten Male genommen. Das beim Cap Cantin anfangende
+oder endigende Gebirge Dj. Megher tritt, Asfi umgehend,
+zur&uuml;ck, sendet aber kleine Ausl&auml;ufer bis dicht zur Stadt,
+dadurch wird die Ufer-Gegend weniger einf&ouml;rmig, und das
+Gebirge selbst muss seines reichen Baumschmuckes halber je
+n&auml;her man kommt desto romantischer sein.</p>
+<p>Ich fand in Asfi alle Funduks besetzt, fand aber bei einem Juden
+Unterkommen. Mein erster Gang war zum englischen Consul Mr.
+Carstensen, denn so sehr ich sonst auch mied, mit Europ&auml;ern in
+Ber&uuml;hrung zu kommen, so zwang mich andererseits mein Zustand,
+mich auf alle F&auml;lle wieder in den Besitz von Chinin zu setzen.
+Ich fand selbstverst&auml;ndlich den freundlichsten Empfang, nicht
+nur fand ich das ersehnte Medicament, auch mit einer kleinen
+Geldsumme half Hr. Carstensen (die ich ein Jahr sp&auml;ter die
+Freude hatte, ihm pers&ouml;nlich in Tanger zur&uuml;ckerstatten zu
+k&ouml;nnen) auf edelm&uuml;thige Art aus. Ehemaliger
+d&auml;nischer Officier, hatte Mr. Carstensen sp&auml;ter in dem
+Krimkriege unter den Engl&auml;ndern Dienste genommen, und war
+durch Verheirathung in die englische Consulatscarri&egrave;re
+gekommen. Seine Einladung, auf dem Consulate zu logiren, schlug ich
+indess wohlweislich aus, ebenso verf&uuml;hrten mich auch nicht die
+Anerbietungen des franz&ouml;sischen Consuls, dessen beiden
+S&ouml;hne, obschon Christen, auffallenderweise immer in
+marokkanischer Tracht gingen. Aber das Essen, welches mir Hr.
+Carstensen nach meinem Judenquartier w&auml;hrend meines
+Aufenthaltes schickte, Teller, Messer und Gabeln, Servietten und
+Wein fehlten auch nicht, liess ich mir herrlich schmecken. Seit
+zwei Jahren das erste Mal, dass ich das Essen nicht direct mit
+<i>den Fingern</i> in den Mund zu bringen brauchte.</p>
+<p>Ich blieb zwei Tage in dieser regen Handelsstadt, auf welche
+nach Beaumier 1/8 des gesammten Seehandels kommt. Auf der Rhede
+lagen auch hier mehrere europ&auml;ische Kauffahrer.</p>
+<p>Der Weg von Asfi bis zum Fluss Tensift ist &auml;usserst
+beschwerlich; wenn Fluth ist, tritt das Wasser n&auml;mlich dicht
+an die Felsen, und &uuml;ber diese muss man dann bergauf bergab
+klettern, da das Gebirge gegen das Meer hin sich durch zahllose
+Rinnsale zerkl&uuml;ftet. Man braucht von der Hauptstadt der
+Landschaft Abda, d.h. von Asfi bis zum Ued-Tensift, der zugleich
+die Grenze der Landschaft Schiadma ist, 6 Wegstunden.</p>
+<p>Obschon die M&uuml;ndung des Tensift sehr breit ist und hohe
+absch&uuml;ssige Ufer hat, kann man sie zur Zeit der Ebbe
+durchwaten. Aber die Eingebornen m&uuml;ssen zur Hand sein, um die
+Stelle zu zeigen. Das &auml;usserste rechte Ufer wird gebildet
+durch den s&uuml;dlichen Vorsprung des Megher-Gebirges, welches
+eigentlich mit dem Hadid-Gebirge Eins ist, denn am linken Ufer des
+Tensift zeigen die Gesteinmassen des Dj. Hadid so vollkommene
+Uebereinstimmung mit dem Megher-Gebirge, dass man zur Annahme
+berechtigt ist, der Ued-Tensift habe diesen Gebirgszug
+durchbrochen, um das Meer zu gewinnen. Einen Ort Rabat el Kus, wie
+er im Maltzan und auf verschiedenen Karten an der M&uuml;ndung des
+Tensift angegeben ist, fand ich nicht. Hingegen stiess ich (das
+Uebersetzen hatte viel Zeit weggenommen) auf dem linken Ufer auf
+die kleine Sauya Sidi el Hussein, in der ich freundliche Aufnahme
+fand und n&auml;chtigte. H&ouml;chst romantisch nahmen sich von
+hier ca. 1 Stunde entfernt, im Osten die Ruinen einer alten Burg,
+Namens Kasbah Hammiduh, aus. Mitten im Walde auf schroffem Felsen
+gelegen, hatte es ehemals wohl die Aufgabe, die Einfahrt in den
+Tensift zu vertheidigen.</p>
+<p>Die Gegend wird jetzt immer abwechselnder, tiefe Buchten, welche
+das Meer macht, bewaldete Bergabh&auml;nge, entsch&auml;digen
+f&uuml;r den langweiligen Marsch auf dem weissen Sande des
+Strandes. Ich n&auml;chtigte noch einmal bei einer Grabkapelle Sidi
+Abd Allah Bettich und erreichte sodann am dritten Tage nach meiner
+Abreise von Asfi am Morgen fr&uuml;h die Stadt Ssuera oder
+Mogador.</p>
+<p>Mogador ist eine Sch&ouml;pfung neuester Zeit. Ob der Ort
+Tamusiga des Ptolemaeus oder, wie Kn&ouml;tel will, Suriga hier
+gelegen hat, lasse ich dahin gestellt sein. Letzterer meint, der
+Name Ssuera sei von Suriga abgeleitet. So &auml;hnlich nun auch
+beide Namen sind, so d&uuml;rfte die Etymologie de Laporte's die
+richtigere sein. Er leitet Ssuera von Ssura Bildniss her, Ssuera
+w&uuml;rde dann kleines Bild bedeuten, und da in Marokko manchmal
+mit dem arabischen Diminutiv etwas H&uuml;bsches, Niedliches,
+verbunden gedacht wird, so w&uuml;rde Ssuera "liebliches Bildchen"
+bedeuten. Diese Herleitung des Wortes Ssuera von Ssura hat um so
+mehr Wahrscheinlichkeit, als die Berber die Stadt Tassurt nennen
+und dies bedeutet in der Berbersprache ebenfalls ein h&uuml;bsches
+Bildchen.</p>
+<p>Der Name Mogador kommt ohne Zweifel vom Grabmal des Heiligen
+Sidi Mogdal oder Mogdur her, dessen Kapelle sich s&uuml;dlich vom
+jetzigen Orte in nicht weiter Ferne befindet. Wenn &uuml;brigens
+die Stadt Mogador erst 1760 vom Sultan Mohammed-ben-Abd-Allah
+gegr&uuml;ndet, und wie eine noch am Hafen befindliche Inschrift
+bekundet 1184 (1773 nach J.C.) vollendet wurde, so wissen wir aus
+den Berichten der V&auml;ter der Provinz Touraine, dass der Name
+Mogador, den sie auf die vor Mogador liegenden Inseln anwenden,
+schon bedeutend fr&uuml;her vorkommt; ja, man findet Hafen und
+Insel Mogador schon auf der catalanischen Karte von 1375
+eingetragen<a href="#F135"><sup>135</sup></a>.</p>
+<blockquote><a name="F135" id="F135"></a>[Fu&szlig;note 135: Renou
+p. 43.]</blockquote>
+<p>Die Stadt liegt auf einer kurzen, flachen und nach S&uuml;dwest
+ins Meer sich senkenden Landspitze. Vor der Bucht, welche so
+gebildet wird, zieht sich dann eine gr&ouml;ssere Insel hin, und
+weiter nach S&uuml;den und dem Lande n&auml;her, noch vier kleine
+Eilande. Die grosse Insel ist durch ein Fort befestigt, das aber
+jetzt nur marokkanische Str&auml;flinge enth&auml;lt, und seit dem
+Bombardement des Prinzen Joinville am 14. August 1844 nur
+&auml;usserst nothd&uuml;rftig wieder hergestellt ist. Eine der
+kleineren flachen Inseln hat ebenfalls eine Fortification. Die
+Stadt, selbst, fast viereckig von Form, ist eigentlich nach der
+Seeseite zu befestigt, denn die Mauern nach der Landseite zu, etwa
+20' hoch sind kaum 6' dick und aus dem schlechtesten Material
+erbaut. Nach der Wasserseite aber ist die Kasbah mit ca. 30' hohen
+Mauern und Bastionen, und diese Kasbah, worin der Gouverneur, die
+Consuln, vornehme Christen und Juden wohnen, ist auch von der
+eigentlichen Stadt durch eine gleich hohe Mauer getrennt. Diese hat
+breitere und vollkommen gerade Strassen und nur einst&ouml;ckige
+Wohnungen, w&auml;hrend in der Kasbah die Strassen zwar auch
+gerade, aber eng sind, was noch um so mehr hervortritt, weil die
+H&auml;user der Kasbah meist mehrere Stock haben. Der Marktplatz
+des Ortes hat S&auml;uleng&auml;nge, &auml;hnlich wie in
+L'Araisch.</p>
+<p>Die Zahl der Bev&ouml;lkerung d&uuml;rfte 10-12000 Seelen incl.
+der Juden und Christen betragen. Dass Mogador, obschon am
+entferntesten von Europa gelegen, bislang von allen marokkanischen
+H&auml;fen den bedeutendsten Handel hatte, verdankt es nicht allein
+den Anstrengungen der marokkanischen Regierung, sondern zum Theil
+seinem reichen Hinterlande; dann auch weil Agadir den
+Europ&auml;ern verschlossen worden ist, und somit alle Producte der
+Landschaften s&uuml;dlich vom Atlas, ja von einem Theile des Sudan
+her, hier zusammenstr&ouml;men. Indess d&uuml;rfte Tanger, was
+Werth und Menge der Aus- und Einfuhr anbetrifft, wohl bald Mogador
+&uuml;berfl&uuml;geln. Importirt werden hier besonders
+Baumwollenstoffe und Thee aus England, Zucker aus Belgien und
+Frankreich, Tuche, Wachsz&uuml;ndh&ouml;lzchen und Stearinlichte
+aus Frankreich (letztere, sowie auch Salonz&uuml;ndh&ouml;lzchen,
+ebenfalls aus Wien), Bretter aus Oesterreich, Stahlwaaren und
+Waffen aus England und Deutschland, endlich eine Menge kleinerer
+Sachen aus Deutschland, welche aber nur durch Zwischenhandel dahin
+gelangen. Exportirt wird Getreide, haupts&auml;chlich Weizen,
+Gerste und Mais, trockne H&uuml;lsenfr&uuml;chte, besonders
+Saubohnen, Thierfelle, Schafwolle, und an Fr&uuml;chten Mandeln,
+Datteln, Oliven; aus dem Sudan werden Federn und Elfenbein
+gebracht, Gummi kommt heute in Mogador wohl kaum mehr zum Export.
+Ebenso hat die Sclavenausfuhr von hier, die in den dreissiger
+Jahren auch von deutschen Schiffen unter dem Namen von
+"Ebenholzhandel" stark betrieben wurde, ganz aufgeh&ouml;rt.</p>
+<p>Mogador hat wirkliche Consuln aller M&auml;chte, mit Ausnahme
+des Deutschen Reiches.</p>
+<p>Ich hatte mir in einem Funduk ein leidliches Zimmer zu
+verschaffen gewusst und blieb einige Tage in der Stadt, um meine
+Gesundheit wieder etwas herzustellen. Der englische Consul
+versorgte mich mit Chinin.</p>
+<p>Und dann sagte ich mit Mogador dem letzten Hauche der
+Civilisation Lebewohl; ich wusste, weiter nach dem S&uuml;den zu
+sei kein Christ mehr anzutreffen, ich wusste sogar, dass weiter
+nach dem S&uuml;den zu mir die arabische Sprache mit Ausnahme in
+den St&auml;dten, nichts mehr n&uuml;tzen w&uuml;rde.&mdash; Sobald
+man die Stadt verl&auml;sst, befindet man sich in grossen
+Sandpartien neueren Ursprunges, in D&uuml;nen, welche in
+j&uuml;ngster Zeit aus dem Meere ausgeworfen sein m&uuml;ssen. Ich
+wanderte zum s&uuml;dlichen Thore hinaus, ganz ohne Begleitung.
+Einige, besonders Juden und Christen, hatten mir den Weg bis Agadir
+sehr gefahrvoll vorgestellt; andere, Mohammedaner, meinten, ich
+habe nichts zu f&uuml;rchten. Nachdem man eine halbe Stunde von der
+Stadt entfernt die Kubba Sidi-Mogdal's passirt hat, des Heiligen,
+welcher der Stadt den Namen gegeben hat, und der besonders bei der
+weiblichen Bev&ouml;lkerung in grosser Verehrung steht, erreicht
+man zwei halb vom Sande verschlungene Schl&ouml;sser des
+Sultans.</p>
+<p>Der Weg, der sich Anfangs gen S&uuml;den l&auml;ngs des Meeres
+hinzieht, wendet sich bald darauf nach Osten und die D&uuml;nen
+erreichen ihr Ende. Statt dessen kommt man in einen dichten 10-12'
+hohen Binsenwald. Die Bewohner flechten Matten und K&ouml;rbe aus
+diesen Binsen, die jedoch bei Weitem nicht so dauerhaft sind, wie
+jene aus den Bl&auml;ttern der Zwergpalme oder aus Halfa. Dieser
+Binsenwald ist 3 Stunden breit, dann erreichte ich Mittags eine gut
+ummauerte Quelle mit herrlichem Trinkwasser.</p>
+<p>Von hier an nahm nun die Gegend einen ganz anderen Charakter an;
+wilde Oliven, immergr&uuml;ne Eichen, Lentisken- und
+Lotusgeb&uuml;sche wurden immer seltener, dagegen trat aber ein
+Baum, der Argan, welcher in den Landschaften von Dukala, Abda,
+Schiadma nur vereinzelt auftritt, hier derart seine Herrschaft an,
+dass man wohl annehmen muss, diese Landschaft Haha, welche die
+westlichsten Ausl&auml;ufer des Atlas in sich begreift, sei die
+eigentliche Heimath dieses n&uuml;tzlichen Baumes.
+Eigenth&uuml;mlich genug, findet sich dieser Argenbaum nur in
+diesen Gegenden, sonst <i>nirgendwo</i> auf der Erde. Der
+Elaeodendron Argan hat in der Regel die Gr&ouml;sse unserer
+Obstb&auml;ume, mit dem Oelbaume hat er aber, obschon andere
+Reisende ihn damit verglichen haben, keine Aehnlichkeit. Das helle
+saftgr&uuml;ne Blatt gleicht vielmehr den Myrtenbl&auml;ttern. Die
+Frucht selbst, von der Gr&ouml;sse einer Olive, sieht, wenn
+vollkommen reif, hochgelblich aus und hat einen widerlich
+s&uuml;ssen Geschmack, f&uuml;r Menschen ist sie vollkommen
+ungeniessbar. Aber desto mehr wird sie von den auf den
+Bergabh&auml;ngen weidenden Ziegen und Schafen aufgesucht. Und da
+der Baum das ganze Jahr hindurch nach und nach Fr&uuml;chte
+zeitigt, so hat man hier die fettesten und sch&ouml;nsten Heerden.
+Der braune faltenreiche Stein der Frucht, l&auml;nglich von Gestalt
+und so gross wie ein Aprikosenkern, schliesst einen weissen Kern
+ein, der &auml;usserst bitter schmeckt, aber ein sehr gutes Oel
+liefert, das in diesen Gegenden allgemein von den Eingeborenen zur
+Speisebereitung benutzt wird. Auch in Mogador wird das Oel von den
+Eingeborenen benutzt, von den Europ&auml;ern aber nicht. Ich selbst
+habe es nat&uuml;rlich immer essen m&uuml;ssen, und fand, hat man
+sich erst etwas an den eigenth&uuml;mlich angebrannten oder
+r&auml;ucherigen Geschmack gew&ouml;hnt, das Oel vollkommen
+geniessbar. Der Arganbaum erreicht bisweilen die H&ouml;he und den
+Umfang, dass seine St&auml;mme als Nutzholz verwerthet werden
+k&ouml;nnen. F&uuml;r die Zukunft, d.h. wenn Marokko in den Kreis
+der Civilisation wird gezogen worden sein, dem es sich auf die
+Dauer ebenso wenig wie ein anderes Land wird entziehen
+k&ouml;nnen&mdash;wird dieser Baum der Landschaft Haha eine grosse
+Rolle spielen. Leider denken jetzt die Eingeborenen so wenig daran,
+materiell ihre Lage zu verbessern, dass sie es verschm&auml;hen,
+die Fr&uuml;chte des Arganbaumes, von dem es ausgedehnte und dichte
+Waldungen giebt, zu sammeln und zu Markte zu bringen, sondern es
+vorziehen, sie meist auf dem Boden verfaulen zu lassen.</p>
+<p>Ich &uuml;bernachtete in einer Sauya, wo nur der Thaleb Arabisch
+verstand, alle &uuml;brigen, Berber ihrer Nationalit&auml;t nach,
+sprechen und verstanden nur Schellah. Es war hier das letzte Dorf,
+wenn man einige H&uuml;tten und Zelte, die sich um die Sauya herum
+gruppirt hatten, so nennen will. Denn wenn die Gegend schon dadurch
+einen eigenth&uuml;mlichen Reiz bek&ouml;mmt, dass der im
+herrlichsten Gr&uuml;n prangende Arganbaum so vorwiegend sein Reich
+hier inne hat, so wird man andererseits, je weiter man in Haha nach
+dem S&uuml;den zu vordringt, durch die eigenth&uuml;mliche Bauart,
+durch das merkw&uuml;rdige Wohnen der Eingebornen ber&uuml;hrt. Im
+Norden vom Atlas, im eigentlichen Marokko (Rharb el Djoani) wohnen
+alle Eingeborenen, einerlei ob Berber oder Araber, entweder in
+H&auml;usern aus Stein zu St&auml;dten und D&ouml;rfern
+<i>vereint</i>, oder in Zelten zu Zeltd&ouml;rfern <i>vereint.
+Einzelne</i> Wohnungen, <i>einzelne</i> Zelte findet man fast nie.
+Hier ist nun Alles anders. Man glaubt sich pl&ouml;tzlich ins
+Mittelalter zur&uuml;ckversetzt, die kleinen Berge und fast jeden
+H&uuml;gel sieht man von einer grossen kastellartigen Burg
+gekr&ouml;nt. Sei es nun, dass es von jeher diesen Berbern gefallen
+hat so zu wohnen, sei es, dass die grosse Unsicherheit der Gegend,
+die steten Feindseligkeiten der einzelnen St&auml;mme und Familien,
+ein solches <i>befestigtes</i> Wehrsystem nothwendig machte, gewiss
+ist es einzig in seiner Art. Denn die St&auml;dte, D&ouml;rfer,
+Zeltd&ouml;rfer oder <i>unbefestigte einzelne</i> Wohnungen fehlen
+ganz und gar. Vier, f&uuml;nf oder noch mehr Familien bewohnen
+solche kastellartige Schl&ouml;sser, welche meist viereckig von
+Form eine H&ouml;he von 20 bis 30 Fuss haben. Fast alle haben an
+zwei Ecken hohe flankirende Th&uuml;rme, und fast alle haben oben
+auf der Umfassungsmauer Zacken. Sie sind aus soliden Steinen mit
+M&ouml;rtel aufgef&uuml;hrt, haben einen schmalen Graben, besitzen
+nur Ein Thor, welches in der Regel durch eine Zugbr&uuml;cke von
+dem umgebenden Terrain erreicht wird.</p>
+<p>Im Innern dient der ganze untere Raum, sowie der grosse Hof
+f&uuml;rs Vieh, die Menschen haben in der zweiten Etage, die einen
+gew&ouml;lbten Boden hat, ihre St&auml;tte, zu der man mittelst
+einer Leiter, die man im Nothfalle nach sich ziehen kann,
+hinaufk&ouml;mmt; jede Familie hat nur ein Zimmer.</p>
+<p>Da die hier vom grossen Atlas entspringenden Fl&uuml;sschen alle
+nur im Winter Wasser fortschwemmen, so haben die Eingeborenen
+f&uuml;r Cisternen gesorgt, die man manchmal am Wege, manchmal an
+irgend einer Oertlichkeit, die den Erbauern g&uuml;nstig schien,
+eingerichtet findet. Diese Cisternen sind ganz in der Art und Weise
+gebaut, wie die der R&ouml;mer. Es sind 15 bis 20 Fuss lange, 5 bis
+10 Fuss breite, 20 Fuss tiefe und aus behauenen Steinen
+ausgemauerte Gruben, die oben <i>&uuml;berw&ouml;lbt</i> sind.
+Durch ein kreisrundes Loch wird mittelst eines Eimers das Wasser
+heraufgeholt, welches selbst, aus Regeng&uuml;ssen oder aus einem
+Rinnsale gesammelt, mittelst eines anderen Loches hineinfliesst.
+Cisternen mit mehreren Abtheilungen sind mir nicht zu Gesichte
+gekommen, indess m&ouml;gen sie auch vielleicht existiren. Einzelne
+dieser Wasserbeh&auml;lter, und dieses sind die schlechteren,
+scheinen aus verh&auml;ltnissm&auml;ssig neuer Zeit herzustammen,
+die Mehrzahl aber tr&auml;gt ein sehr altes Gepr&auml;ge an
+sich.</p>
+<p>Am zweiten Tage hielt ich der grossen Strasse (d.h. man muss
+dabei an marokkanische Strassen denken) folgend durchaus
+s&uuml;dliche Richtung, es ging bergauf bergab, denn ich hatte alle
+die unz&auml;hligen, oft breiteren, oft schm&auml;leren westlichen
+Abh&auml;nge des Atlas zu &uuml;bersteigen. Dabei war man
+fortw&auml;hrend im herrlichsten Arganwald, und hin und wieder
+tauchten Schl&ouml;sser und Burgen, oder auch nur die hohen
+Wartth&uuml;rme derselben vor meinen erstaunten Augen auf. Mittags
+desselben Tages hatte ich noch Gelegenheit, in einem solchen
+Schlosse einer Hochzeit beizuwohnen. Schon von Weitem h&ouml;rte
+ich durch den Wald die Musik, vorz&uuml;glich das Trommeln und das
+Ui-Ui-Ui der alten Weiber. Ich ging dem L&auml;rm nach, und kaum
+hatte mich die lustige Gesellschaft erblickt, als ich mit
+"Willkommen, Willkommen" begr&uuml;sst wurde. Die Berber halten es
+f&uuml;r ein gutes Zeichen, wenn wirkliche Fremde von weither zu
+einer Hochzeit sich einstellen. Man war am zweiten Tage; die Braut,
+das Kind einer fremden Burg, war noch nicht geholt; es geschieht
+das erst am dritten Tage. Dagegen amusirten sich die beiderseitigen
+Anverwandten auf Kosten des Vaters des Br&auml;utigams ungeheure
+Quantit&auml;ten von Nahrung zu vertilgen, dabei wurde getanzt (von
+Sclavinnen, mit denen sich die Berber nicht nach Art der Araber
+vermischen), musicirt und allerlei Allotria getrieben. Der
+Br&auml;utigam selbst, ein junger h&uuml;bscher Mann von etwa 25
+Jahren vom Stamme der Ait-Ischar, sass in einem neuen Gewande,
+schweigend auf einer Erh&ouml;hung. Mit Ausnahme einiger
+Redensarten verstand Niemand Arabisch, selbst ihr Schriftgelehrter
+sprach die Religions- und Schriftsprache nur sehr mangelhaft. Es
+war daher sehr schwer f&uuml;r mich, mich mit ihnen n&auml;her
+einzulassen. Sie hatten &uuml;brigens bald genug herausgebracht,
+dass ich grossen Hunger hatte, und ein reichliches Mahl von
+Kuskussu, von Brod, Butter und Honig half dem ab. Aber
+wahrscheinlich hatte ich der Mahlzeit auf zu berberische oder
+arabische Weise gehuldigt, d.h. meinen Magen &uuml;berladen (ich
+hatte seit dem Abend vorher nichts genossen); denn kaum hatte ich
+meine Wanderung s&uuml;dw&auml;rts wieder angetreten, als ich vom
+heftigsten Fieber abermals &uuml;berfallen wurde.</p>
+<p>Nur mit M&uuml;he ging es vorw&auml;rts, aber da ich mitten im
+Walde war, musste ich Abends ein Unterkommen zu erreichen suchen.
+Gerade als die Sonne untergehen wollte, entdeckte ich ein
+stattliches Schloss, wanderte den H&uuml;gel hinauf, und obschon
+die Leute kein Wort von dem verstanden, was ich wollte, merkten sie
+doch, ich w&uuml;nsche nur ein Unterkommen, und das gaben sie
+mir.</p>
+<p>Am anderen Morgen befand ich mich bedeutend besser, ich hatte
+eine grosse Gabe Chinin genommen, und das Fieber war endlich
+gewichen. Der Weg hielt dieselbe Richtung, die Berge wurden nun
+immer wilder und h&ouml;her, aber die Gegend gleich gut
+bev&ouml;lkert und reich mit hellgr&uuml;nen Arganb&auml;umen
+bewaldet. Das leere Bett des Ued-Tamer wurde durchstiegen, der
+st&auml;rkste und l&auml;ngste Gebirgsausl&auml;ufer des Atlas, der
+Dj. Ait-Uakal (Cap Gher) erreicht, und sobald ich den Kamm dieses
+H&ouml;henzuges &uuml;berschritten hatte, wandte sich der Weg nach
+Westen und bald darauf hatte ich das Meer erreicht. Es war
+Nachmittags, als ich es endlich zu Wege gebracht hatte, die steile
+K&uuml;ste hinabzuklimmen, mit gr&ouml;sstem Staunen aber bemerkte
+ich, wie gleich darauf ebenfalls eine Karavane, aus beladenen Eseln
+und Maulthieren bestehend, diesen Weg herabklomm. Hatte ich
+gewollt, so w&uuml;rde ich wohl noch am selben Tage Agadir erreicht
+haben, aber meine Schw&auml;che n&ouml;thigte mich Zuflucht in
+einer dicht am Meere gelegenen Burg zu suchen.</p>
+<p>Am anderen Morgen l&auml;ngst des Meeres weiter gehend,
+erreichte ich gegen 10 Uhr Fonti, das Dorf, welches am Fusse des
+Berges gelegen ist, auf dem sich Agadir oder Santa-Cruz befindet.
+Das Dorf Fonti hat seinen Namen von einer Quelle, die sich auf dem
+Berge von Agadir etwas unterhalb der Stadt befindet, die
+Portugiesen nannten die Quelle Fonte, woraus die Eingebornen Fonti
+machten und dies Wort auch auf das Dorf am Strande ausdehnten. Ich
+war anfangs der Meinung diese Oertlichkeit sei die Stadt Agadir, da
+wegen des starken Nebels, welcher die ganze obere Partie des Berges
+einh&uuml;llte, nichts von Geb&auml;uden zu erblicken war.</p>
+<p>Fonti selbst ist nur ein &auml;rmliches Nest aus kleinen
+H&uuml;tten, ist aber dennoch auf gewisse Art befestigt. Nach der
+Landseite zu wird es durch den Berg von Agadir und zwei Mauern, die
+sich l&auml;ngs des Berges hinaufziehen, gesch&uuml;tzt, nach der
+Seeseite war der Ort offen, weil er der Aermlichkeit selbst wegen
+keinen Angriff zu f&uuml;rchten hatte. Nach dem Kriege mit Spanien
+scheint aber Sultan Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman anderer Meinung
+geworden zu sein.</p>
+<p>Irren wir nicht, so existirte ein geheimer Vertrag in den
+Friedensartikeln, wonach die Marokkaner diesen Ort, d.h. Agadir,
+den Spaniern abtreten sollten, oder jedenfalls war die Rede davon,
+dass die europ&auml;ischen M&auml;chte wieder das Recht haben
+sollten hier Consuln zu installiren. Aber nach Sitte der Marokkaner
+dachte man nicht daran sein Wort zu halten. Aufs Eifrigste war man
+deshalb besch&auml;ftigt den Ort Fonti durch massiv steinerne
+Batterien auf europ&auml;ische Weise zu befestigen, und leider
+waren es spanische Renegaten, die sich zu diesen Arbeiten hergaben.
+Auch bei der <i>Quelle</i>, Fonti wurden neue Batterien
+errichtet.</p>
+<p>Ob nun aber diese Befestigung dennoch hinl&auml;nglich sein
+wird, auch nur ein einziges Kanonenboot vom Bombardement und von
+der Zerst&ouml;rung der Werke abzuhalten, m&ouml;chte ich
+bezweifeln. Sonst hat der untere Ort, dessen Einwohner
+ausschliesslich vom Fischfange leben, noch Bedeutung als
+Zollstation, alle Waaren, die aus dem Sus, dem Nun und s&uuml;dlich
+davon gelegenen Districte kommen, m&uuml;ssen hier ihren
+Eingangszoll zahlen, so dass bei Agadir die eigentliche politische
+Grenze des Kaiserreiches ist. Sobald die Sonne die Nebel
+zertheilte, zeigte sich hoch oben auf dem Berge Agadir, und ich
+machte mich auf, den steilen Berg zu erklimmen.</p>
+<h2><a name="K14" id="K14"></a>14. Reise s&uuml;dlich vom Atlas
+nach der Oase Draa</h2>
+<p>Die eigentliche Stadt liegt auf einem nach allen Seiten fast
+gleich absch&uuml;ssigen Berge, der eine H&ouml;he von 800
+Fuss<a href="#F136"><sup>136</sup></a> &uuml;ber dem Meere haben mag. Sie
+bildet ein l&auml;ngliches Viereck, dessen schmale Seite dem Meere
+zugewandt ist. Die hohen krenelirten Mauern sowie die Bastionen,
+die jene unregelm&auml;ssig flankiren, sind, obgleich in gutem
+Zustande was das Aeussere anbetrifft, doch aus schlechtem Material
+aufgef&uuml;hrt, so dass sie die Stadt fast ohne Widerstand gegen
+einen Angriff der Europ&auml;er lassen w&uuml;rden. Ebenso sind die
+wenigen Kanonen, die sich in den Batterien befinden, ihres Alters
+wegen fast unbrauchbar.</p>
+<blockquote><a name="F136" id="F136"></a>[Fu&szlig;note 136: Nach
+Arlett 198 Meter.]</blockquote>
+<p>Die Stadt Agadir wurde um 1500 von einem portugiesischen
+Edelmann<a href="#F137"><sup>137</sup></a> gegr&uuml;ndet. Man nannte die
+Stadt Santa-Cruz, w&auml;hrend die Berber den Ort Tigimi-Rumi, die
+Araber ihn Dar-Rumia nannten. Einige Zeit sp&auml;ter erwarb der
+K&ouml;nig von Portugal die Veste, und liess den Namen Santa-Cruz
+bestehen. Zur Zeit Leo's war der Ort noch im Besitze von Portugal,
+Leo nannte den Ort Gargessem. Im Jahre 1536 wurde die Festung vom
+Scherif Mulei Ahmed erobert, und blieb seitdem immer im Besitze der
+Marokkaner. Schon 1572 liess Mulei Abdallah eine Batterie bei den
+Quellen "Fonti" errichten.</p>
+<blockquote><a name="F137" id="F137"></a>[Fu&szlig;note 137: Siehe
+Renou p. 36.]</blockquote>
+<p>Der Name Agadir, der offenbar gleich nach Eroberung der Stadt
+durch die Marokkaner gang und g&auml;be wurde, bedeutet in der
+Tamasirht-Sprache "Umfassungsmauer," auch "Festung". Renou p. 38
+f&uuml;gt noch hinzu: "Da Agadir ein generischer Name ist, sollte
+man noch einen zweiten, um denselben zu vervollst&auml;ndigen,
+erwarten. In der That nennt sich die Stadt, die uns angeht,
+Agadir-n-Ir'ir, die Festung des Ellenbogen, d.h. des Vorgebirges"
+etc. etc.</p>
+<p>Was das Innere der Stadt anbetrifft, so sind alle H&auml;user,
+ausgenommen das der Regierung, welches der Kaid bewohnt, sowie die
+Djemma, die sich in gutem Zustande befindet, halb oder ganz
+verfallen. Ich glaube die Einwohnerzahl schon zu gross anzugeben,
+wenn ich sie auf 1000 Seelen sch&auml;tze<a href="#F138"><sup>138</sup></a>.
+Gr&aring;berg di Hems&ouml; glaubt kaum 600 Einwohner annehmen zu
+d&uuml;rfen. In neuerer Zeit hat sich der Ort aber etwas gehoben,
+so dass jetzt vielleicht gegen 1000 Menschen in Agadir und Fonti
+leben m&ouml;gen.</p>
+<blockquote><a name="F138" id="F138"></a>[Fu&szlig;note 138:
+Davidson sagt, Agadir habe bloss 47 Muselmanen und 62
+Juden.]</blockquote>
+<p>Der zweimalige Markt, der in der Woche ausserhalb vor dem
+einzigen Thore der Stadt abgehalten wird, f&uuml;hrt derselben
+einigen Handel zu, und es sind haupts&auml;chlich die Juden, die
+f&uuml;r die kleinen Bed&uuml;rfnisse der Stadt sowohl als auch des
+umliegenden Landes Sorge tragen.</p>
+<p>Die Stadt liegt auf der s&uuml;dwestlichsten Seite des Atlas,
+und w&auml;hrend nach Osten und Norden hin das Auge Nichts
+wahrnimmt, als sich &uuml;bereinander h&auml;ufende Berge, verliert
+sich nach dem S&uuml;den zu die Aussicht in die unendliche Ebene,
+die den Ued-Sus vom Ued-Nun trennt. Der Ued-Sus selbst ergiesst
+sich eine halbe Stunde s&uuml;dlich von der Stadt in die
+Meeresbucht. Diese ist die vortrefflichste von ganz Marokko.
+Gr&aring;berg di Hems&ouml; sagt: "Der Hafen von Agadir ist der
+sch&ouml;nste der ganzen K&uuml;ste, und der werthvollste f&uuml;r
+den Handel mit Innerafrika, namentlich wenn er in H&auml;nden einer
+europ&auml;ischen Macht sich bef&auml;nde, die denselben sehr
+leicht erwerben und davon immer mehr Vortheile w&uuml;rde ziehen
+k&ouml;nnen." So sehr wir mit Hems&ouml;, was die Ger&auml;umigkeit
+der Bucht anbetrifft, &uuml;bereinstimmen, so sehr m&ouml;chten wir
+bezweifeln, dass es heute leicht sein w&uuml;rde den Hafen
+k&auml;uflich von Marokko zu erwerben, obschon auch wir
+&uuml;berzeugt sind, dass f&uuml;r den Handel kein Hafen erbiebiger
+[ergiebiger] sein w&uuml;rde als Agadir.</p>
+<p>Gleich beim Eintritt in die Stadt wurde ich &uuml;berrascht,
+indem ich &uuml;ber dem Thore neben einer arabischen Inschrift eine
+mit lateinischen Buchstaben geschriebene bemerkte; ich war so
+gl&uuml;cklich sie sp&auml;ter unbemerkt copiren zu k&ouml;nnen.
+Sie lautet:</p>
+<center>VREEST&nbsp;.&nbsp;GOD&nbsp;.&nbsp;ENDE<br>
+EERT&nbsp;DEN&nbsp;KONING<br>
+1746.</center>
+<p>Man darf wohl annehmen, dass diese Inschrift von einem
+Renegaten, der wahrscheinlich Maurer oder Steinhauer von Profession
+war, verfertigt wurde.</p>
+<p>In Agadir angekommen, begab ich mich zuerst nach einem
+Kaffeehause, um dort nach dem Funduk Erkundigungen einzuziehen; zu
+meinem Erstaunen erfuhr ich, dass ein solches nicht vorhanden sei,
+und auch dies deutet genugsam die Unbedeutendheit des Ortes an. Der
+Abk&ouml;mmling eines Spaniers hatte indess die
+Liebensw&uuml;rdigkeit, mir seine Tischlerwerkst&auml;tte als
+Wohnung anzubieten, was ich dankbarlichst annahm. Ausserdem was
+Kleidung, Gebr&auml;uche und Sitten anbetrifft ganz Marokkaner
+geworden, war er der gastfreundlichste Mann, und schickte
+t&auml;glich aus seiner Wohnung einige Speisen. Aber ich hatte
+nicht n&ouml;thig in dieser Beziehung dem guten Manne zur Last zu
+fallen, denn der Kaid der Stadt sandte mir t&auml;glich zu essen
+oder ich speiste in seiner Wohnung.</p>
+<p>Derselbe hatte n&auml;mlich kaum meine Ankunft in Erfahrung
+gebracht, als er mich rufen liess. Ich glaubte schon, es g&auml;lte
+ein Examen zu bestehen: wer ich sei, wes Landes, wohin ich wolle,
+was ich treibe u. dgl. m.</p>
+<p>Aber davon war keine Rede. Der arme Mann war stark erkrankt, und
+da sollte Rath geschafft werden. Gl&uuml;cklich f&uuml;r mich
+konnte ich Linderung bringen, und von dem Augenblicke an war ich in
+Agadir ein gern gesehener Gast.</p>
+<p>Meine eignen Fieberanf&auml;lle stellten sich aber wieder ein,
+wohl hervorgerufen durch die starken Nebel, die um diese Jahreszeit
+t&auml;glich dort herrschten. Es ist auffallend, wie kalt die Luft
+in Agadir war, selten durchdrang die Sonne den Nebel vor Mittag und
+die Leute versicherten, dass selbst im hohen Sommer diese starken
+Nebel selten vor Mittag zerstreut w&uuml;rden.</p>
+<p>Ich blieb sieben Tage in Agadir und konnte mich hinl&auml;nglich
+erholen. Vom Verlassen des Ortes, um spazieren zu gehen, konnte
+nicht die Rede sein, da die ganze Gegend &auml;usserst unsicher
+ist. Unsicherer wird sie noch dadurch, dass Schmuggler in den
+Gebirgsabh&auml;ngen oberhalb von Agadir ihr Wesen treiben. Der Ort
+Fonti am Meere ist n&auml;mlich, wie gesagt, das eigentliche
+Eingangsthor f&uuml;r die directen Karavanen vom Sudan, wenigstens
+f&uuml;r die, welche den Weg &uuml;ber Nun eingeschlagen haben.</p>
+<p>Ich schloss mich sodann einer durchpassirenden Karavane an, um
+mit ihr nach Tarudant zu gelangen. Denn wenn man auch von hier noch
+nicht Wassermangel zu bef&uuml;rchten hat, so herrscht das
+Faustrecht dennoch so sehr, dass es gerathen schien in Gesellschaft
+zu reisen. Gerade am selben Tage hatte ich in Fonti noch
+Gelegenheit mich zu &uuml;berzeugen, wie wenig fremdes Eigenthum
+respectirt wird: zwei Fremde kamen vollkommen ausgepl&uuml;ndert,
+sogar ihrer s&auml;mmtlichen Kleider beraubt in die Stadt
+gefl&uuml;chtet. Gewiss ist hier nur die reine Raubsucht der Berber
+der Beweggrund zu solchen Handlungen, keineswegs aber Mangel. Man
+k&ouml;nnte den Rlnema am Ued-Ssaura entschuldigen, wenn er ein
+R&auml;uber ist, weil er in einer der &auml;rmsten Gegenden der
+Welt lebt, aber das Land am Sus ist eins der reichsten in ganz
+Marokko.</p>
+<p>Wir brachen Nachmittags von Fonti auf, und machten Abends nach
+Sonnenuntergang Halt in einem Dorfe; Duar, d.h. Zeltd&ouml;rfer,
+findet man in diesem Theile s&uuml;dlich vom Atlas nicht, die ganze
+Bev&ouml;lkerung ist sesshaft. Und gleich hier am ersten Tage
+unserer Reise sollten wir einen recht greiflichen Beweis der
+R&auml;ubereien dieser V&ouml;lker haben: es wurde uns Nachts ein
+Kameel gestohlen. Wenn man nun bedenkt, dass die Kameele Nachts mit
+fest zusammengebundenen Vorderbeinen im Kreise lagen, so kann man
+sich einen Begriff von der Schlauheit und K&uuml;hnheit der Diebe
+machen. Ich sah das Thier forttreiben im schnellsten Galopp, wir
+machten uns gleich auf, man schoss, aber Alles war bei der
+Dunkelheit der Nacht vergebens. Als am anderen Morgen die
+Eigenth&uuml;mer der Karavane beim Schich der Oertlichkeit klagten,
+der w&uuml;rdige Mann hiess el-Hadj-el-Arbi, versprach er Alles zu
+thun die Diebe ausfindig zu machen, aber weitere Erfolge wurden
+nicht erzielt. Zum Gl&uuml;ck f&uuml;r die Besitzer des verlorenen
+Kameels waren die anderen Thiere stark genug, um die Ladung des
+verlorenen, die aus 4 Centner Zucker bestand, aufnehmen zu
+k&ouml;nnen. Mit dem Kameele waren aber 90 Metkal = 170 Fres.
+verloren.</p>
+<p>Ich wurde nun zum ersten Male recht in das Karavanenleben
+eingeweiht, das einfache Fr&uuml;hst&uuml;ck aus Sesometa
+(ger&ouml;stete Gerste, die grob gemahlen in Schl&auml;uchen
+mitgef&uuml;hrt wird, man geniesst sie, indem man Salz,
+Argan&ouml;l oder Oliven&ouml;l zusetzt, ganz arme Leute setzen
+bloss Wasser zu), das Treiben der Kameele, Abends das Brodbacken,
+oder erreicht man ein gastliches Dorf, Bewirthung durch die
+Bewohnerschaft&mdash;das ist der gew&ouml;hnliche Gang der Sus-
+Karavanen.</p>
+<p>Der Weg, der sich fortw&auml;hrend in &ouml;stlicher Richtung
+hinzieht, und meist dem Flusse parallel ist, geh&ouml;rt zu einem
+der sch&ouml;nsten, was die Reichhaltigkeit der Natur anbetrifft,
+den man sich nur denken kann. Als Lempriere diese herrliche Natur
+durchzog, er giebt die Distanz von Santa-Cruz (Agadir) nach
+Tarudant auf 44 engl. Meilen an, muss er sehr &uuml;bler Laune
+gewesen sein. Er sagt davon weiter nichts: ich hatte einen
+sch&ouml;nen, aber langweiligen Weg, da wir nichts als Haiden und
+Waldungen zu durchwandern hatten. Und doch kann man diese
+herrlichen Ebenen nur mit der lombardisch-venetianischen des Po
+vergleichen. Freilich fehlt der m&auml;chtige Strom, aber wie
+entz&uuml;ckend schl&auml;ngelt sich der stets Wasser f&uuml;hrende
+Sus durch die Oliven und Orangeng&auml;rten hin. Und im Norden der
+stolze Atlas, zeigt er auch nicht so hohe schneegipflige Spitzen,
+wie der Montblanc und andere Riesenberge der Schweiz und Tirols, so
+hatten die Alten doch keineswegs ganz Unrecht das kolossale
+Atlasgebirge als Tr&auml;ger des Himmels zu bezeichnen. Das Thal
+des Flusses ist ein wahrer Garten, ein Dorf, ein Haus neben dem
+anderen, Oel-, Feigen-, Stachelfeigen-, Granaten-, Pfirsich-,
+Mandel-, Aprikosen-, Orangenb&auml;ume und Weinreben bilden ein
+liebliches Durcheinander.</p>
+<p>Aber so entz&uuml;ckend die Gegend ist, so unheimlich fallt es
+auf, dass alle Welt nur bis an die Z&auml;hne bewaffnet ausgeht.
+Jeder Mann hat seine lange Flinte auf dem R&uuml;cken, sehr
+h&auml;ufig sieht man hier auch schon Doppelflinten, welche vom
+Senegal hierher dringen: ausserdem hat Jeder seinen krummen Dolch
+mit meist aus Silber gearbeiteter Scheide.</p>
+<p>Ich hatte eigentlich die Absicht nach dem Nun-District
+vorzudringen, aber die fortw&auml;hrenden Fieberanf&auml;lle, dann
+das Verlangen wieder unter civilisirte Menschen zu kommen, endlich
+die Schilderung, die man in Agadir von einem gewissen Scherif
+Sidi-el-Hussein, der in der Sauya Sidi-Hammed- ben-Mussa residiren
+sollte und &uuml;ber dessen Gebiet ich kommen m&uuml;sse, liessen
+mich davon abstehen. Man erz&auml;hlte in Agadir die
+scheusslichsten Grausamkeiten von diesem Menschen, der sogar seinen
+eignen Bruder und Sohn hatte k&ouml;pfen und vor Kurzem noch zwei
+spanische Renegaten hinrichten lassen. Das hinderte nat&uuml;rlich
+nicht, dass er im Rufe der gr&ouml;ssten Heiligkeit steht, und
+gerade um die Zeit, als ich in Agadir mich befand, war die
+Hauptperiode der Wallfahrt nach seiner Sauya, man nennt diese
+Wallfahrtszeit "Mogor". Tausende von Leuten aus der ganzen Umgegend
+zogen nach der Sauya-Sidi-Hammed-ben-Mussa, um dem Abk&ouml;mmling
+Mohammed's ihre Ersparnisse zu &uuml;berbringen, wof&uuml;r sie
+sodann den Segen und Ablass f&uuml;r ihre S&uuml;nden bekommen.</p>
+<p>Ich vermuthe, dass Sidi-Hammed-ben-Mussa der auf der
+Petermann'schen Karte angegebene Ort Wesan ist oder, wie wir
+Deutschen ihn schreiben w&uuml;rden, Uesan. Denn h&auml;ufig
+pflegten die Pilger zu sagen, sie z&ouml;gen nach Uesan, und als
+ich dann meinte, da h&auml;tten sie doch einen weiten Weg, denn
+Uesan l&auml;ge weiter entfernt und jenseits Fes', erwiederten sie,
+nicht nach Uesan Mulei Thaib's, sondern nach Uesan
+Sidi-Mohammed-ben-Mussa's wollten sie pilgern. Gatell, der nach mir
+bis zum Nun vordrang, erw&auml;hnt dieses Ortes nicht.</p>
+<p>Wir h&auml;tten sicher am zweiten Tage die Stadt Tarudant
+erreichen k&ouml;nnen, da wir aber mit Nachforschungen nach dem
+gestohlenen Kameel viel Zeit verbrachten und erst Mittags
+aufbrachen, &uuml;bernachteten wir noch ein Mal. Und an dem Tage
+w&auml;re ich selbst fast ausgepl&uuml;ndert oder gar ermordet
+worden. Ich hatte mich etwas von der Karavane entfernt, als auf
+einmal zwei bewaffnete M&auml;nner mich anhielten, und w&auml;hrend
+der eine fragte, was es Neues in Agadir g&auml;be, spannte der
+andere den Hahn seines Gewehres; sie hatten unstreitig die Absicht
+mich auszupl&uuml;ndern, als gl&uuml;cklicherweise zwei Leute der
+Karavane, auch bewaffnet und die ebenfalls zur&uuml;ckgeblieben
+waren, zu mir stiessen und mich so der Gefahr meiner
+Kleidungsst&uuml;cke beraubt zu werden, &uuml;berhoben. Zugleich
+bekam ich einen derben Verweis von ihnen, und sie verboten mir,
+mich wieder von der Karavane zu entfernen, da der Kaid von Agadir
+die Karavane verantwortlich gemacht f&uuml;r meine gl&uuml;ckliche
+Ueberkunft nach Tarudant.</p>
+<p>Das Gebirge wird immer h&ouml;her, je weiter man nach Osten
+vordringt, obgleich man fortw&auml;hrend in der Ebene bleibt.
+Unendlich viele leere Flussbetten, die nur im Fr&uuml;hjahr Wasser
+schwemmen, ziehen sich vom Atlas in den Sus hinein, aber nur ein
+einziger (auf der Petermann'schen Karte richtig eingetragen) einige
+Stunden westlich von Tarudant hat das ganze Jahr hindurch Wasser.
+Dieser Fluss ist wahrscheinlich der von Gatell erw&auml;hnte
+Ued-Eluar. Zu der Zeit, als ich ihn durchwatete, konnte ich seinen
+Namen nicht erfragen.</p>
+<p>Abends machten wir Halt bei einem Hause, das
+zuf&auml;lligerweise von Arabern bewohnt (die ganze Sus-Gegend hat
+durchaus Berberbev&ouml;lkerung) war, die wenig oder gar nicht
+Schellah verstanden. Welch ein Unterschied im Empfange!
+W&auml;hrend uns am Abend vorher, als wir in einem grossen Dorfe
+&uuml;bernachteten, Niemand etwas zu essen brachte, sondern wir
+gezwungen waren, uns selbst zu bek&ouml;stigen, versorgte hier der
+Hausherr die ganze Karavane mit Speise auf die freigebigste Art.
+Und hier hatten wir wieder einen Beweis, dass Araber
+gastfreundlicher als Berber sind.</p>
+<p>Am folgenden Morgen waren wir schon vor Sonnenaufgang wieder
+unterwegs, wir hatten heute nur einen halben Marsch zu machen, da
+wir Mittags in Tarudant eintreffen mussten. Rechts auf der linken
+Flussseite tauchte jetzt auch eine Bergkette auf, die, von
+Nordosten kommend, sich nach S&uuml;dwesten hinzieht. Je n&auml;her
+wir der Stadt kamen, desto angebauter fanden wir die Gegend,
+obgleich vom ganzen Lande, wie &uuml;berall, kaum der zw&ouml;lfte
+Theil des Bodens nutzbar gemacht wird. Kurz vor Mittag fragten mich
+meine Gef&auml;hrten, ob ich die Stadt nicht s&auml;he; auf meine
+Verneinung zeigte man mir einen nahen Palmwald, hinzuf&uuml;gend:
+das sei die Stadt, aber die Geb&auml;ude k&ouml;nne man wegen der
+hohen Palmen und buschigen Olivenb&auml;ume nicht sehen. So war es
+auch in der That, fortw&auml;hrend in einem Oelbaumwald
+fortmarschirend, befanden wir uns pl&ouml;tzlich vor den Thoren,
+ohne vorher das Geringste von den Geb&auml;uden der Stadt
+wahrgenommen zu haben. Es war gerade Mittag, als wir das Stadtthor
+durchzogen; ich trennte mich hier von den freundlichen Leuten der
+Karavane, um ein Unterkommen zu suchen, und war auch so
+gl&uuml;cklich in einem Funduk ein Zimmerchen zu finden. Die
+Th&uuml;r dieser Zelle war aber so niedrig, dass ein grosser
+Jagdhund kaum ohne zu schl&uuml;pfen, w&uuml;rde Eingang gefunden
+haben, und wenn ich auch der L&auml;nge nach mich ausstrecken
+konnte, so betrug die Breite doch kaum mehr als halbe
+K&ouml;rperl&auml;nge. Statt der M&ouml;beln bestand der Fussboden
+aus gut gestampftem Lehm.</p>
+<p>Tarudant, zwei kleine Tagem&auml;rsche vom Ocean, fast am Fusse
+des s&uuml;dlichen Atlasabhanges<a href="#F139"><sup>139</sup></a>, dessen
+s&uuml;dliche Vorberge bis fast zur Stadt stossen, liegt auf dem
+rechten Ufer des Sus, ca. eine Stunde vom Flusse selbst entfernt.
+Was die Einwohnerzahl anbetrifft, so vergleicht Renou dieselbe mit
+der von Tanger oder Lxor, Hems&ouml; giebt dieselbe auf ca. 22,000
+Seelen an, Lempriere, der selbst l&auml;ngere Zeit in Tarudant
+lebte, spricht sich nicht dar&uuml;ber ans. Die Stadt k&ouml;nnte
+indess wohl 30-40,000 Einwohner haben. Nach Renou erlangte die
+Stadt erst Wichtigkeit im Jahre 1516, zu welcher Zeit Sch&uuml;rfa
+sie neu aufbauten und betr&auml;chtlich vergr&ouml;sserten. Aber
+auch hier machte ich wieder die Erfahrung, wie wenig man sich auf
+die Aussagen der Eingebornen verlassen kann. Man hatte mir Tarudant
+geschildert als eine Stadt, die man nur mit Fes oder Marokko
+vergleichen k&ouml;nne, sowohl was Gr&ouml;sse, als auch was die
+Einwohnerzahl anbetr&auml;fe. Ich fand den Umfang der Stadt nun
+allerdings gross, gr&ouml;sser als den von Fes, reichlich so gross
+wie den von Marokko, jedoch ist fast Alles, was innerhalb der
+Stadtmauer sich befindet, Garten. Diese Stadtmauer, in sehr
+verfallenem Zustande, hat durchschnittlich eine H&ouml;he von 20
+Fuss und an der Basis 4 oder 6 Fuss, ihre Breite ist oben da, wo
+sie noch die urspr&uuml;ngliche H&ouml;he bewahrt hat, 2 Fuss. Sie
+bildet eine unregelm&auml;ssige Linie, ohne Plan und Kunst
+angelegt. Alle 50 Schritte werden die Zickzacke von Th&uuml;rmen
+flankirt, die jedoch nicht h&ouml;her als die Mauer selbst sind.
+Was das Material anbetrifft, aus dem sie sowie alle H&auml;user
+erbaut sind, so besteht dasselbe aus mit H&auml;ckerling gemischtem
+und zwischen zwei Brettern gegossenem Lehm, kann also
+europ&auml;ischen Gesch&uuml;tzen, keinen Widerstand leisten; auch
+Gr&auml;ben sind nicht einmal vorhanden.</p>
+<blockquote><a name="F139" id="F139"></a>[Fu&szlig;note 139: Leo,
+Marmol und Lempriere dr&uuml;cken die Entfernung der Stadt vom
+Atlas in Zahlen aus, ohne bedacht zu haben, dass der Fuss des
+Gebirges bei Tarudant nicht steil, sondern allm&auml;lig sich
+absenkt, man also auch sagen k&ouml;nnte, Tarudant liege
+unmittelbar am Fusse des Gebirges.]</blockquote>
+<p>Die Stadt ist ein einziger grosser Garten, nur nach dem Centrum
+dr&auml;ngen sich die H&auml;user, welche meist nur aus einem
+Erdgeschoss bestehen, mehr zusammen, und hier befinden sich auch
+die Buden und Gew&ouml;lbe, wo man arbeitet und verkauft, hier sind
+auch die Funduks. Moscheen giebt es eine grosse Anzahl,
+gr&ouml;ssere jedoch, die ein Minaret haben, nur f&uuml;nf. Die
+Hauptmoschee, Djemma-el-Kebira schlechtweg genannt, zeichnet sich
+durch nichts Besonderes aus. Den inneren grossen Hof derselben, in
+den man Orangen gepflanzt hat, umgeben ungemein plumpe S&auml;ulen,
+die eben so unf&ouml;rmliche Bogen tragen. Die zweite Hauptmoschee,
+fast eben so gross, ist dachlos, von den &uuml;brigen ist keine
+bedeutend. Ebenso habe ich in der ganzen Stadt kein einziges nur
+etwas geschmackvolles Geb&auml;ude gefunden.</p>
+<p>Einen eigentlichen besonderen Handelszweig hat die Stadt nicht,
+man lobt die Lederarbeiten und F&auml;rbereien. Hauptgewerk ist
+Kupferschl&auml;gerei, indess beschr&auml;nkt sich das bloss auf
+Kessel, auf kleine Geschirre und Sachen, wie sie von den
+Eingebornen hergestellt werden k&ouml;nnen. Aber wie ausgedehnt
+diese Manufactur ist, geht am besten daraus hervor, wenn ich
+anf&uuml;hre, dass diese kupfernen Geschirre bis Kuka, Kano und
+Timbuktu ausgef&uuml;hrt werden. Und wie ergiebig m&uuml;ssen erst
+die Kupferminen in der N&auml;he von Tarudant sein, wenn man
+bedenkt, auf wie primitive Art die Eingebornen dort eine solche
+Mine ausbeuten. Nach der Aussage der Eingebornen soll nicht nur
+dies Metall, sondern auch Gold, Silber, Eisen und Magneteisenstein
+in grosser Menge vorkommen. Alle &uuml;brigen Landesproducte sind
+wie in Agadir und im ganzen Sus-Lande sehr billig. Das Pfund
+Fleisch wird mit 2 Mosonen bezahlt, f&uuml;r eine Mosona
+erh&auml;lt man 6-10 Eier und im Fr&uuml;hjahr noch mehrere.</p>
+<p>Bei der Beschreibung von Tarudant kann ich nicht unerw&auml;hnt
+lassen, dass die einst so ber&uuml;hmten Zuckerplantagen heute
+nicht mehr existiren. Indess findet man in Marmol und Diego de
+Torres so glaubw&uuml;rdige Angaben, dass an der einstigen Existenz
+der Zuckercultur nicht gezweifelt werden kann.</p>
+<p>Als im 16. Jahrhundert die Dynastie der Sch&uuml;rfa Marokko neu
+umgestaltete, suchten sie vor allen Dingen sich in Tarudant
+festzusetzen. Es wurde Zucker um Tarudant gepflanzt und um einen
+Ausgangshafen f&uuml;r das Product zu gewinnen, unternahm der
+Scherif Mohammed die Belagerung von Santa Croce, damals den
+Portugiesen geh&ouml;rend. 1536 war dieser Hafen in den H&auml;nden
+der Gl&auml;ubigen. Ein Slami oder &uuml;bergetretener Jude hatte
+unter der Zeit M&uuml;hlen in Tarudant errichtet und von dem
+Augenblick an war der Handel mit Zucker, wie Marmol als Augenzeuge
+berichtet, der ergiebigste von allen marokkanischen
+Handelszweigen.</p>
+<p>Auch christliche Sklaven wurden nun zur Fabrikation von Zucker
+verwandt, und nicht nur aus Marokko oder aus den Sudanl&auml;ndern
+kamen Leute nach Tarudant, um Zucker zu kaufen, auch Europ&auml;er
+stellten sich ein, sobald sie erfuhren, dass man sie gut behandle.
+Der Ertrag ergab f&uuml;r den Sultan j&auml;hrlich 7500 Metkal,
+eine f&uuml;r damalige Zeit grosse Summe.</p>
+<p>In welcher Zeit der Verfall des Zuckerbaues vor sich ging, habe
+ich nicht ergr&uuml;nden k&ouml;nnen, vielleicht wurden bei einer
+der so h&auml;ufig in Marokko stattfindenden Revolten die
+Zuckerg&auml;rten zerst&ouml;rt und nachdem nicht wieder angebaut.
+Aber die Erinnerung vom einstigen Zuckerreichthum in der Provinz
+existirt in Marokko heute noch.</p>
+<p>Ich musste mehrere Wochen in Tarudant bleiben und &uuml;berstand
+w&auml;hrend dieser Zeit eine f&ouml;rmliche Krankheit, da ich
+fortw&auml;hrend von Wechselfiebern gesch&uuml;ttelt war.&mdash;Den
+zweiten Tag nach meiner Ankunft liess mich der Kadi der Stadt
+rufen. Er unterwarf mich einem langen Examen, woher ich komme,
+warum ich in Tarudant sei, wohin ich gehen wolle, warum ich
+Mohammedaner geworden sei, u.s.w. Ich glaubte schon, da er immer
+sehr ernsthaft blieb, dass er mich trotz meiner gen&uuml;genden
+Antworten, als Sohn eines Christen ins Gef&auml;ngniss senden
+w&uuml;rde, als er pl&ouml;tzlich die Unterhaltung auf die Medizin
+brachte und ein Mittel gegen Gichtschmerzen von mir verlangte.
+Zugleich wurde Thee servirt und ein gut zubereitetes
+Fr&uuml;hst&uuml;ck hereingetragen. Das Gespr&auml;ch ging dann
+haupts&auml;chlich auf die christliche Civilisation &uuml;ber, und
+ich sah mit Erstaunen im Kadi einen dem Fortschritte huldigenden
+Mann vor mir. Nach beendigtem Fr&uuml;hst&uuml;cke verabschiedete
+er mich, und sagte, er w&uuml;rde mich rufen lassen, damit ich in
+seiner Gegenwart die Medizin bereite.</p>
+<p>Am folgenden Tage gegen Abend musste ich zu ihm gehen, und da
+ich nichts Anderes zu thun wusste, so bereitete ich eine
+Kamphersalbe und liess ihn Einreibungen damit machen. Ich musste
+wieder Thee mit ihm trinken und zu Abend essen; beim Abschiede gab
+er mir ausserdem einen grossen Korb mit Datteln und einen kleineren
+mit Mandeln, dann eine Sch&uuml;ssel mit s&uuml;ssem Backwerke, das
+sehr gut zubereitet war und sich fast jahrelang h&auml;lt. Obgleich
+die Datteln und Mandeln von der letzten Ernte und von
+ausgezeichneter G&uuml;te waren, so verkaufte ich doch den
+gr&ouml;ssten Theil derselben. Ich bekam f&uuml;r das Pfund Mandeln
+den f&uuml;r dortige Gegend hohen Preis von 6 Mosonat; es war
+Missernte f&uuml;r die Mandeln gewesen, denn in guten Jahren
+erh&auml;lt man f&uuml;r Eine Mosona mehrere Pfunde.</p>
+<p>Am vierten Tage stellte sich mein Fieber heftiger als je ein,
+ich glaubte schon vom Typhus befallen zu sein; acht Tage musste ich
+meine H&ouml;hle h&uuml;ten. Ich nahm die letzte mir &uuml;brig
+gebliebene Dosis Chinin, genoss die ganze Zeit hindurch bloss
+Wasser und Brod und alle Tage einige Granat&auml;pfel, die mir der
+Fundukbesitzer aus seinem Garten brachte.</p>
+<p>Mit einer ziemlich grossen Karavane brach ich sodann auf. Sie
+setzte sich aus etwa 20 Mann und 30 St&uuml;ck beladenen
+Maulthieren und Eseln zusammen. Die Leute selbst waren aus der Oase
+Draa. Vom Thaleb des Kadi war ich ihnen empfohlen und deshalb gut
+bei ihnen aufgenommen worden. Diese Art Karavanen rechnen von
+Tarudant acht Tagem&auml;rsche, welche aber sehr stark sind; das
+Vieh wird dabei von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit der
+gr&ouml;sstm&ouml;glichsten Eile vorw&auml;rts getrieben. Es war
+also eine harte Tour f&uuml;r mich, da ich von den Fiebern
+mitgenommen, sehr ersch&ouml;pft war, und manchmal daf&uuml;r, dass
+ich mitgenommen wurde, und was Nahrung anbetrifft von den
+Eigenth&uuml;mern des Viehs freigehalten wurde, das Vieh mit
+treiben helfen musste.</p>
+<p>Den ganzen ersten Tag folgten wir dem Ued-Sus, der an beiden
+Seiten lachende G&auml;rten bildet. Rechts und links hatten wir
+hohe Berge, doch ist die Kette im Norden wenigstens noch einmal so
+hoch, als die nach S&uuml;dwesten streichende, welche &uuml;berdies
+nur ein Zweig vom grossen Atlas ist. Gegen Mittag, wir marschirten
+immer in &ouml;stlicher Richtung, machten wir bei einem Dorfe der
+Beni-Lahia Halt; es wurde dort Markt abgehalten, und die Leute
+unserer Karavane wollten nun noch Getreide einkaufen, um es mit in
+ihre Heimath zu nehmen. Nach beendetem Einkauf ging es weiter. Ich
+weiss nicht, durch welchen Zufall es kam, dass der Theil der
+Karavane, bei dem ich mich befand, von dem anderen sich trennte,
+kurz, wir verloren den Weg und es war, glaube ich, Mitternacht, als
+wir das Dorf erreichten, wo die Anderen seit Abends campirten. Dazu
+hatten wir elende Wege gehabt, da das ganze Land von breiteren und
+schm&auml;leren Rinnsalen, welche zur Bew&auml;sserung des Bodens
+dienen, durchschnitten ist, in der Dunkelheit geriethen wir nun
+alle Augenblick in ein solches Wasser, oder auch ein Esel versank
+in den Schlamm und sein Herausziehen konnte nur mit M&uuml;he und
+Zeitverlust bewerkstelligt werden.</p>
+<p>Desto k&uuml;rzer war der folgende Tagesmarsch, wir mussten sehr
+bald in einem Dorfe Halt machen, weil vor uns zwei Volksst&auml;mme
+sich bekriegten und dadurch die Gegend unsicher gemacht war. Sieben
+Tage mussten wir in diesem Orte liegen bleiben, fanden jedoch die
+gastlichste Aufnahme daselbst. Ich war mit vier Anderen in einem
+grossen Bauernhofe einquartiert und so war die ganze Karavane
+vertheilt. Endlich schienen die feindlichen Parteien Frieden
+gemacht zu haben und wir konnten aufbrechen, der Weg war offen. Wir
+folgten dem Ued-Sus, bis fast an seine Quelle, welcher Landestheil,
+wie &uuml;berall, den Namen Ras-el-Ued hat, und schlugen von da an
+eine s&uuml;d&ouml;stliche Richtung ein.</p>
+<p>So scharf markirt der s&uuml;dwestlich vom Atlas sich
+abzweigende Gebirgszug, vom Sus-Thale gesehen, sich ausnimmt, so
+wenig ist er es in der That, man k&ouml;mmt s&uuml;d&ouml;stlich
+fortgehend in keinen Gebirgszweig, sondern in ein zerrissenes
+Gebirge. Obschon man nun auch aus dem eigentlichen &uuml;berall
+culturf&auml;higen Lande heraus ist, hat man doch noch die
+eigentliche Sahara nicht erreicht. Allerdings sind die Berge nackt
+und kahl, aber die Gegend ist &auml;usserst abwechselnd, Wasser
+nicht selten und kleine Oasen auf Schritt und Tritt. Gegen
+Sonnenuntergang erreichten wir eine Oase, die erste echte
+Palmpflanzung, die ich zu sehen bekam (den Palmen in Marokko und
+Tarudant merkt man gleich an, dass sie eigentlich f&uuml;r den
+dortigen Boden und das Klima noch fremd sind), einige D&ouml;rfer
+lagen darin versteckt. Wir lagerten von jetzt an nie mehr im Dorfe,
+sondern immer im Freien, und suchten dann zu dem Ende ein zwischen
+Felsen liegendes sicheres Versteck auf. Auf diese Art marschirten
+wir 4 Tage immer in s&uuml;d&ouml;stlicher Richtung fort. Die
+Gegend bewahrte ihren eigenth&uuml;mlichen Charakter, nackte, kahle
+Felsen, von Bergen eingeschlossene Ebenen, ohne Vegetation, nur von
+Steinen bedeckt, hie und da eine Oase, welche sich schon von Weitem
+durch die hohen Palmen ank&uuml;ndigte, manchmal auch noch grosse
+Strecken mit Schih (Artemisia) bedeckt, Zeichen, dass wir die
+eigentliche Sahara noch nicht erreicht hatten, solche Bilder waren
+stets vor unseren Augen.</p>
+<p>Am f&uuml;nften Marschtage kamen wir, nachdem wir verschiedene
+Ebenen durchschritten hatten, an einen Bergpass, wie ich noch nie
+einen gesehen habe, und auch wohl kein &auml;hnlicher auf der Erde
+existirt. Mit diesem Bergpass, oder vielmehr mit dieser Schlucht,
+die ebenfalls durchschnittlich in unserer Marschrichtung war,
+hatten wir zugleich das eigentliche Gebirge hinter uns. Diese
+Schlucht war etwa 5 Schritt breit, an beiden Seiten von senkrechten
+Marmorw&auml;nden gebildet, und in derselben rieselte ein kleiner
+Bach mit reizenden gr&uuml;nen Ufern. Am Austritte der Schlucht gab
+der Bach Veranlassung zu einer Oase. Der Marmor, der sich in der
+Sonne spiegelte und stellenweise so glatt war, als ob er
+k&uuml;nstlich polirt w&auml;re, gl&auml;nzte in allen
+m&ouml;glichen Farben.</p>
+<p>Was das Interesse dieser einzigen Schlucht noch erh&ouml;hte,
+war, dass sich am Austritte oder am s&uuml;d&ouml;stlichen Ende
+derselben eine kohlensaure Quelle befand. Ich glaube, es giebt wohl
+kaum ein zweites an Kohlens&auml;ure so reiches Wasser, wie dieses;
+dicke Blasen steigen fortw&auml;hrend auf, und beim Trinken
+prickelte es Einem im Munde, als ob man Champagner tr&auml;nke. Das
+Land, worin sich diese Schlucht und Quelle befindet, heisst
+Tassanacht, und die vom Fl&uuml;sschen gebildete Oase,
+Tesna<a href="#F140"><sup>140</sup></a>. Die Gegend war hier, wie auch sonst
+fast &uuml;berall, &auml;usserst metallreich, ich fand auf dem Wege
+bei Tesna offen zu Tage liegend, Antimon-St&uuml;cke von 1-1/2 Zoll
+Dicke, reines, unvermischtes Metall.</p>
+<blockquote><a name="F140" id="F140"></a>[Fu&szlig;note 140: Siehe
+Petermann's Mitteilungen 1865, Tafel 6.]</blockquote>
+<p>Die n&auml;chsten Tage gingen vor&uuml;ber, ohne dass sich etwas
+Besonderes ereignete, ich hatte jedoch grosse M&uuml;he, diese
+anstrengenden M&auml;rsche mitzumachen, zumal mich eine
+ersch&ouml;pfende Diarrh&ouml;e, durch die ungewohnte Nahrung
+hervorgerufen, befallen hatte. Die Leute mischten n&auml;mlich Mehl
+mit gestampften Datteln zu einem Teige, gossen etwas Oel hinzu, und
+roh wurde dies genossen, oder man ass auch, bloss mit Wasser
+vermischt, gestampfte Datteln. Dazu kam, dass wir manchmal sehr an
+Durst zu leiden hatten, denn die Thiere waren alle
+&uuml;berm&auml;ssig beladen, so dass man f&uuml;r Wasser keinen
+Platz hatte. Die schlimmste Strecke war die letzte. Wir waren noch
+einen guten Tag vom Draa entfernt und lagerten Abends in einem
+&ouml;den Thale. Um den Ued-Draa am folgenden Tage fr&uuml;h zu
+erreichen, brachen wir um Mitternacht auf. Ungl&uuml;cklicher Weise
+waren meine Schuhe g&auml;nzlich unbrauchbar geworden, die Sohlen
+waren abgefallen. Ich behalf mich damit, dass mir die Leute aus den
+Lederresten Sandalen zusammenflickten, welche mit Riemen an den
+F&uuml;ssen befestigt wurden. Ueberhaupt tragen s&uuml;dlich vom
+Atlas fast alle Leute Sandalen. F&uuml;r Einen, der nicht daran
+gew&ouml;hnt ist, ist es aber ein qualvolles Schuhzeug, da die
+Riemen gleich tief einschneiden. In der dunklen Nacht stiess ich
+nun jeden Augenblick gegen einen Stein, und es schien mir eine
+Ewigkeit bis die Morgenr&ouml;the anbrach. Als endlich der Tag
+anfing und wir fr&uuml;hst&uuml;ckten, hatten wir kaum das
+n&ouml;thige Wasser, aber die Aussicht, noch wenigstens einen
+halben Tagemarsch gehen zu m&uuml;ssen, ohne Hoffnung einen Brunnen
+oder Quelle anzutreffen. Gegen Mittag war mein Gaumen ganz trocken,
+und als wir endlich von Weitem die Palmen sahen, mit dem lachenden
+Gr&uuml;n der Orangen, Feigen, Granaten, Pfirsichen und Aprikosen
+darunter, glaubte ich, sie nicht erreichen zu k&ouml;nnen; erst um
+4 Uhr Nachmittags waren wir im Dorfe Tanzetta, wo mehrere Leute
+unserer Karavane zu Hause waren. Mein Erstes war, meinen brennenden
+Durst zu l&ouml;schen, ich trank wenigstens 3 Liter Wasser auf ein
+Mal.</p>
+<h2><a name="K15" id="K15"></a>15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf
+den Reisenden. Ankunft in Algerien.</h2>
+<p>Vom ewigen Schnee des Atlas gespeist, hat der Ued-Draa, der
+l&auml;ngste der marokkanischen Str&ouml;me, Veranlassung zu einer
+der sch&ouml;nsten Oasenbildungen gegeben, wie man sie
+&uuml;berhaupt nur in der Sahara findet. Denn nur da, wo
+&uuml;berirdisch immer rieselndes Wasser ist, bildet sich so
+&uuml;ppige Vegetation und gedeihen die Fruchtb&auml;ume, die das
+gl&uuml;ckliche Klima des Mittelmeerbeckens hervorbringt. Und wenn
+man nach tagelangen M&auml;rschen durch die steinigte und
+vegetationslose brennende W&uuml;ste, jenes lachende Gr&uuml;n
+erblickt, wie es sich frisch unter dem schirmenden Dache
+hochst&auml;mmiger Palmen entwickelt, dann vergisst man fast die
+M&uuml;hen und Beschwerlichkeiten einer Fussreise durch die
+W&uuml;ste, denn man glaubt eine der Inseln der Gl&uuml;ckseligen
+erreicht zu haben.</p>
+<p>Der bewohnteste und fruchtbare Theil des Ued-Draa ist das vom
+Gebirge nach dem S&uuml;den zu laufende Flussthal, sobald der Draa
+nach dem Westen umbiegt, d.h. etwa unter dem 29&deg; N.&nbsp;B.
+f&auml;ngt er an unbewohnt und unfruchtbar zu werden. Es hat das
+seinen Grund darin, weil die vom Atlas kommenden Gew&auml;sser
+<i>st&auml;ndig</i> nur bis zu dem Punkte fliessen, den
+atlantischen Ocean aber nur ein Mal im Jahr, nach der
+<i>grossen</i> Schneeschmelze des Gebirges, erreichen. Ist der
+Draa-Fluss aus dem sonderbar geformten Gebirgslande, welches
+s&uuml;dw&auml;rts vom Atlasgebirge, unabh&auml;ngig von diesem,
+liegt, heraus, dann durchstr&ouml;mt er sein mehr oder weniger
+breites Thal, welches er sich selbst geschaffen hat. Aber auch hier
+sind die Ufer und B&auml;nke des urspr&uuml;nglichen Flussthales
+manchmal so hoch, so sonderbar geformt, dass man, vom Flussbette
+aus gesehen, sie f&uuml;r zwei nach S&uuml;den streichende paralell
+laufende Gebirge halten k&ouml;nnte. Einmal und zwar ziemlich in
+der Mitte des von Norden nach S&uuml;den laufenden Flusses erhebt
+sich aber ein wirklicher Berg, der Sagora, auf dem <i>linken</i>
+Ufer des Ued-Draa. Dass der grosse Debaya weiter nichts ist als ein
+Sebcha und nur zeitweise ein See genannt werden darf, wage ich
+Renou und Delaporte gegen&uuml;ber aufrecht zu erhalten. Renou sagt
+p. 180: "ce grand lac d'eau clouce est remplie de poissons et les
+indig&egrave;nes naviguent dessus et y font la p&ecirc;che
+d'apr&egrave;s Mr. Delaporte."&mdash;Ich will nicht in Abrede
+stellen, dass der Debaya sich ein Mal im Jahre mit Wasser
+f&uuml;llt, ich will ebenfalls nicht bezweifeln, dass er zu der
+Zeit ohne Fische sei, dass er mit Schiffchen befahren werde, aber
+das dauert nur eine kurze Zeit, vielleicht nur einige Wochen; so
+rasch, so gewaltig die Gew&auml;sser vom Atlas herabbrausen, so
+rasch und schnell eilen sie dem Ocean zu. Und wenn diese
+ausserordentlichen Schwemmungen den Debaya nicht mehr erreichen, so
+trocknet er rasch aus, wird Sebcha und zuletzt vielleicht weiter
+nichts als eine grosse Einsenkung.</p>
+<p>Es liegen ausserordentlich wenig sichere Nachrichten &uuml;ber
+die Draa-Gegend vor. Freilich als solche wird dieselbe schon im
+Mittelalter genannt. Aber darauf, dass man die Draa Landschaft
+<i>nennt</i>, h&ouml;chstens noch eine Ortschaft derselben notirt,
+beschr&auml;nkt sich auch Alles. Leo hebt nur den Ort Beni-Sabih
+hervor, offenbar die grosse von mir besuchte Ortschaft Beni- Sbih
+in der s&uuml;dlichen Provinz Ktaua. Marmol f&uuml;hrt die Stadt
+Quiteoa (offenbar Ktaua) an, er nennt auch Tinzeda, welches wohl
+mein Tanzetta ist. Ferner nennt er die Oerter Taragale, Tinzulin
+(die Provinz Tunsulin von mir), Tamegrut, Tabernost, Afra und
+Timesquit (wohl Mesgeta). Delaporte kennt ebenfalls Quiteoa.
+Mouette nennt einen Berg, den Lafera oder den h&ouml;hlenreichen
+Berg, Marmol nennt diesen Berg Taragale oder Taragalt, und es ist
+dies jedenfalls der Berg, der mir von den Eingebornen als der Dj.
+Sagora bezeichnet wurde<a href="#F141"><sup>141</sup></a>. Es ist das das
+Haupts&auml;chlichste, was vom Draalande bekannt war, denn
+Cailli&eacute; streifte auch nur die s&uuml;d&ouml;stlichste
+Umbugsecke des Thales, beim Orte Mimmssina.</p>
+<blockquote><a name="F141" id="F141"></a>[Fu&szlig;note 141: Siehe
+Renou, Empire de Maroc, p. 175 u.f.]</blockquote>
+<p>Das Draa-Land zerf&auml;llt vom Norden nach dem S&uuml;den (ich
+spreche immer nur von dem bewohnten Theile, der sich nach
+S&uuml;den bis zu dem Punkte erstreckt, wo der Draa nach dem Westen
+umbiegend seinen Lauf &auml;ndert) in f&uuml;nf Provinzen: die
+n&ouml;rdlichste Mesgeta, dann Tinsulin oder Tunsulin (Tinjulen),
+drittens Ternetta, viertens Fesuoata und endlich die
+s&uuml;dlichste und gr&ouml;sste Provinz Ktaua. Obschon in der
+Provinz Ternetta ein Kaid des Sultans residirt, also eine Regierung
+von Marokko aus eingesetzt ist, so existirt dieselbe bloss als
+nominal. Das Ansehen des Kaid und seiner Maghaseni geht wohl nicht
+&uuml;ber seinen Wohnort hinaus. Die ganze Gegend im Draa-Gebiete
+ist derart, dass jede einzelne Ortschaft unabh&auml;ngig von der
+anderen ist, und jede Gemeinde durch ihren Schich dem die Djemma,
+(Versammlung der &auml;ltesten und angesehensten M&auml;nner) zur
+Seite steht, regiert wird. Selbst nicht einmal die einzelnen
+Provinzen haben eine eigene gemeinsame Regierung. Als Hauptort oder
+Hauptstadt des Draa-Landes kann man Tamagrut bezeichnen, aber auch
+nur insofern, als hier eine ber&uuml;hmte religi&ouml;se
+Genossenschaft, eine Sauya sich befindet. Aber keineswegs ist
+Tamagrut eine officielle Hauptstadt, auch nicht einmal was
+Einwohnerzahl anbetrifft die erste. Die gr&ouml;sste Ortschaft im
+Draa-Thale ist die in Ktaua gelegene Stadt Beni-Sbih.</p>
+<p>S&auml;mmtliche Ortschaften sind mit einer hohen Thonmauer
+umgeben, einzelne haben auch noch mehr oder weniger breite und
+tiefe Gr&auml;ben. Alle haben wenigstens eine Moschee, die
+gr&ouml;sseren auch mehrere. Die H&auml;user, von gestampftem Thon
+erbaut, haben im Innern einen meist ger&auml;umigen Hofraum, haben
+alle ein flaches Dach und meistens ein Erdgeschoss und ein
+Stockwerk. Im Erdgeschoss verwahrt man das Vieh, und oben halten
+sich die Menschen auf. Die Strassen in den Ortschaften sind schmal,
+staubig und voller Unrath, obwohl auch hier wie in Tafilet und Tuat
+&uuml;berall &ouml;ffentliche Latrinen zahlreich vorhanden sind.
+Die Palmg&auml;rten, welche alle wohl eingefriedigt sind durch hohe
+Thonmauern, erhalten ihre Berieselung durch den ewig
+str&ouml;menden Ued-Draa, und da das Wasser sehr reichlich
+vorhanden ist, so hat man keine Zeitbestimmung &uuml;ber die
+Vertheilung des Wassers zu treffen n&ouml;thig gehabt. Die Datteln,
+welche in der Draa-Oase producirt werden, geh&ouml;ren zu den
+vorz&uuml;glichsten der ganzen Sahara, und da sie kein anderes
+Absatzgebiet daf&uuml;r haben als nach Marokko, das &uuml;berdies
+noch von Tafilet und Tuat und anderen kleinen Oasen seinen
+Dattelbedarf bezieht, so sind sie &auml;usserst billig, in guten
+Jahren verk&auml;uft [verkauft] man eine Kameelladung (ca. 3 Centner) f&uuml;r
+einen halben Thaler. Der Getreidebedarf muss indess von aussen
+bezogen werden, das was die Eingebornen bauen, reicht nicht hin sie
+zu ern&auml;hren, obschon das ganze Jahr hindurch gepflanzt und
+geerntet wird. Es kommt das deshalb, weil ein groser [grosser]
+Theil der G&auml;rten nur zum Gem&uuml;sebau, Kohl, R&uuml;ben,
+Carotten, Zwiebeln, Pfeffer, Knoblauch, Tomaten, Melonen etc.
+verwandt wird, und weil die gr&ouml;sste und sch&ouml;nste Provinz,
+Ktaua, derart von S&uuml;ssholz (Glycirrhiza) &uuml;berwuchert ist
+dass dies fast den ganzen fruchtbaren Boden unter den Palmen
+einnimmt.</p>
+<p>Das Thierreich bietet nichts Besonderes da, das Schaf ist in den
+s&uuml;dlichen Provinzen von Ternetta an ohne Wolle, Pferde, Esel,
+Maulthiere und Ziegen sind gut und von derselben Art wie in
+Marokko, Rinder sind sehr selten. Von V&ouml;geln hat man wild die
+Taube, Sperlinge, Schwalben, dann einen reizenden kleinen Vogel,
+ebenfalls zu den Sperlingen geh&ouml;rend, aber mit buntem Gefieder
+und h&uuml;bscher Stimme. Die Eingebornen nennen ihn Marabut (der
+Heilige) und man findet ihn frei, aber zahm in jedem Hause, jeder
+Oase s&uuml;dlich vom grossen Atlas.</p>
+<p>Was die Bev&ouml;lkerung anbetrifft, deren Zahl auf
+250,000<a href="#F142"><sup>142</sup></a> Seelen sich belaufen kann, so
+nennt man sie Draui. Der Mehrzahl nach sind sie Berber: die Araber,
+vornehmlich Sch&uuml;rfa, leben nur vereinzelt in Ksors. Zu
+erw&auml;hnen sind noch die in Palmh&uuml;tten lebenden
+Beni-Mhammed, reine Araber ihrer Abkunft nach, sie sind durchs
+ganze Draa-Thal zerstreut in kleinen Gemeinschaften von wenigen
+Familien anzutreffen. Auch einige Berberst&auml;mme haben diese Art
+des Wohnens in Palmh&uuml;tten. W&auml;hrend die Araber, welche
+diese Oase bewohnen, vorzugsweise Sch&uuml;rfa, Marabutin und vom
+Stamme der Beni- Mhammed sind, geh&ouml;ren die Berber fast alle
+der grossen Fraction der Ait- Atta an.</p>
+<blockquote><a name="F142" id="F142"></a>[Fu&szlig;note 142: In
+Petermann's Mittheilungen ist die Zahl der Bev&ouml;lkerung in
+meinem Berichte zu 25,000 angegeben: ein Schreibfehler meines
+Manuscriptes.]</blockquote>
+<p>Der Neger, der nat&uuml;rlich auch zahlreich vertreten ist, hat
+auf die <i>grosse</i> Menge der Bev&ouml;lkerung wenig Einfluss
+gehabt, aber der Draaberber, wenn er es auch nicht liebt, sich mit
+dem Schwarzen zu vermischen, hat doch unmerklich Negerblut
+aufgenommen, dann haben Sonne und Staub das Ihrige dazu beigetragen
+der Hautfarbe eine dunkle F&auml;rbung zu gehen. Die Schwarzen,
+welche man im Draa antrifft, sind meistens von Haussa und Bambara,
+auch Sonrhai-Neger sind nicht selten.</p>
+<p>Die in einigen Ksors ans&auml;ssigen Juden leben hier nicht in
+derselben unterdr&uuml;ckten und ausgestossenen Weise wie im
+&uuml;brigen Marokko, obschon sie auch hier sich manche Vexationen
+gefallen lassen m&uuml;ssen. Sie sind hier weniger dem Handel
+zugethan, vertreten hingegen mehr den eigentlichen Handwerkerstand.
+B&uuml;chsenschmiederei, Blechschl&auml;gerei, Tischlerarbeit,
+Schneiderei und Schusterei sind ihre haupts&auml;chlichsten
+Besch&auml;ftigungen. Und eben weil sie durch diese Handwerke den
+Draa-Bewohnern unentbehrlich geworden sind, werden sie weniger
+gequ&auml;lt. Nach dem heiligen Ort Tamagrut d&uuml;rfen sie indess
+nicht hinkommen, nicht einmal den dort <i>ausserhalb</i> der Stadt
+abgehaltenen Wochenmarkt besuchen. Aber damit sie die Strenge
+dieser Maassregel weniger f&uuml;hlen, hat man doch die
+R&uuml;cksicht gehabt, den Markttag f&uuml;r Tamagrut auf einen
+Samstag zu verlegen, Tag, wo es den Juden ohne das untersagt ist zu
+handeln und zu verkaufen.</p>
+<p>Ausser der Sprache bemerkt man, was das Aeussere (abgesehen
+nat&uuml;rlich von den Schwarzen) anbetrifft, zwischen den Draui
+keinen Unterschied, w&auml;re dieser nicht, w&uuml;rde man glauben,
+das Land sei von einem Volke bewohnt. Die Lebensweise der Bewohner
+ist &auml;usserst einfach. Morgens wird eine d&uuml;nne heisse und
+stark gepfefferte Mehlsuppe mit Datteln gegessen, Mittags und
+Nachmittags Datteln, wozu die Reichen ungesalzene Butter nehmen,
+auch Buttermilch dazu trinken, w&auml;hrend der Arme bloss Wasser
+zum Trunk hat, und Abends ist Kuskussu die allgemein &uuml;bliche
+Kost. So lebt der Draui t&auml;glich und Jahr aus Jahr ein.</p>
+<p>Tanzetta, Ort wo ich zuerst ankam, ist wie alle Ortschaften
+durch eine hohe Mauer umgeben und befestigt. N&ouml;rdlich dicht
+dabei liegt der nur von Sch&uuml;rfa (Abk&ouml;mmlinge Mohammed's)
+bewohnte Ort Alt-Tanzetta, und ausserhalb von Alt- Tanzetta ist
+eine Milha (Judenviertel). Eine halbe Stunde s&uuml;dlich von
+Tanzetta liegt der grosse Ort Sauya-Sidi-Barca, und dicht dabei
+erhebt sich der sonderbar geformte und unter den Draa-Bewohnern
+sehr ber&uuml;hmte Berg Sagora, ber&uuml;hmt, weil er eine
+H&ouml;hle enth&auml;lt, in welcher in der Vorzeit die Christen
+einen grossen Schatz verborgen h&auml;tten, den bis jetzt noch
+Niemand gehoben. Der Sagora bildet gerade die Mitte des Draa-Landes
+oder Draa- Thales (d.h. des von Nord nach S&uuml;d laufenden
+Stromtheiles), und er ist ein wirklicher Berg, nicht nur eine
+Erh&ouml;hung des Ufers.</p>
+<p>Nach einem Aufenthalte von acht Tagen brach ich von Tanzetta
+nach dem S&uuml;den auf, um nach dem ber&uuml;hmten Hauptorte, dem
+heiligen Tamagrut, Oertlichkeit, die nur eine kleine Tagereise
+s&uuml;dlich von Tanzetta liegt, zu kommen. Ich hatte Begleitung,
+was mir schon deshalb lieb war, da ich mich mit der berberischen
+Bev&ouml;lkerung gar nicht verst&auml;ndlich machen konnte. Da eine
+ausserordentliche Hitze herrschte, machten wir den Weg in zwei
+Tagen, und blieben am ersten Tage in einem grossen Ksor, von
+Berbern bewohnt, Namens Alaudra. Der Weg folgte nicht den
+Kr&uuml;mmungen des Flusses, sondern lief gerade
+s&uuml;dw&auml;rts, und so befanden wir uns bald in steiniger
+W&uuml;ste, bald in einem lachenden Thale. Mittags erreichten wir
+am anderen Tage Tamagrut, das sich nur durch seine Gr&ouml;sse, und
+dadurch, dass ein best&auml;ndiger Markt darin gehalten wird, von
+den &uuml;brigen Ortschaften unterscheidet. Die Sauya, nach
+Sidi-Hammed-ben-Nasser genannt, ist eine der gr&ouml;ssten, die ich
+gesehen habe.</p>
+<p>Sidi-Hammed-ben-Nasser war ein ber&uuml;hmter Heiliger, aber
+kein Nachkomme Mohammed's. Daf&uuml;r hatte Allah ihm die Gabe
+verliehen, in der eignen Sprache der Thiere mit den Thieren sich
+unterhalten zu k&ouml;nnen (nach dem Glauben der Marokkaner konnte
+das vor ihm nur Sultan Salomon, dann Harun al Raschid und Djaffer
+sein Minister); aber leider hat diese grosse Gabe auf seine
+Nachkommen sich nicht vererbt. Wenigstens kann ich constatiren,
+dass die Urenkel weder mit dem Kameele, noch mit dem Pferde oder
+anderen Thieren sich unterhalten konnten.</p>
+<p>Ich habe an anderer Stelle entwickelt, dass die Mohammedaner
+einen grossen Vorzug vor uns Christen haben: dass ihre Heiligen
+schon h&auml;ufig <i>bei Lebzeiten</i> heilig gesprochen werden,
+dass ihre Heiligen heirathen d&uuml;rfen, dass die Kinder und
+Nachkommen solcher Heiligen <i>auch</i> f&uuml;r heilig erachtet
+werden, ja, dass das Heiligsein bei den Mohammedanern
+<i>wachsend</i> ist, d.h. dass die Nachkommen solcher Heiligen
+f&uuml;r heiliger erachtet werden, als die Vorfahren selbst.</p>
+<p>Aber hat man im Christenthum nicht ganz dasselbe. Sind auch die
+P&auml;pste nicht fleischliche Nachkommen Christi, so folgt doch
+einer dem anderen als geistiger Erbe, und verfolgt man vom ersten
+Bischof in Rom, die zunehmende Macht und Heiligkeit bis zum letzten
+jetzt regierenden, der sich Gott gleich gestellt hat durch seine
+Unfehlbarkeit, so findet man, dass wir doch nicht so sehr hinter
+der anderen semitischen Schwesterreligion zur&uuml;ckstehen. Und
+ist es in den anderen christlichen Bekenntnissen nicht ebenso?</p>
+<p>Der derzeitige Besitzer der Sauya, Si-Bu-Bekr, ein Ur-Ur-Enkel
+des erw&auml;hnten Heiligen, wurde denn auch f&uuml;r viel heiliger
+gehalten, als der Vorfahr selbst. Seine Familie war &uuml;brigens
+eine, die sich von jeher durch Fr&ouml;mmigkeit, durch
+Gelehrsamkeit in den Schriften, aber auch durch Glaubenseifer
+ausgezeichnet hatte.</p>
+<p>Ich begab mich sogleich in die Sauya, wo man mich zu Sidi
+Bu-Bekr f&uuml;hrte. Es war gerade die Zeit des &ouml;ffentlichen
+Empfanges, der ehrw&uuml;rdige Greis nahm daher bei der Menge der
+Leute, die von allen Seiten herbeigestr&ouml;mt waren, wenig Notiz
+von mir, sondern gab bloss Befehl mir ein Zimmer anzuweisen. Desto
+zuvorkommender empfingen mich seine beiden S&ouml;hne, ich musste
+mehrere Wochen bei ihnen bleiben und t&auml;glich
+&uuml;berh&auml;uften sie mich mit Aufmerksamkeiten aller Art. Als
+ich Sidi<a href="#F143"><sup>143</sup></a> Bu-Bekr einige Tage sp&auml;ter
+meine Aufwartung machte, entschuldigte er sich, dass er mich nicht
+zuvorkommender empfangen, indem er nicht verstanden habe, dass ich
+von Europa (Blad-el-Rumi) k&auml;me; er fragte, ob ich mit Allem
+zufrieden sei, und gab seinen S&ouml;hnen den Auftrag f&uuml;r mich
+zu sorgen.</p>
+<blockquote><a name="F143" id="F143"></a>[Fu&szlig;note 143: Im
+eigentlichen Marokko w&uuml;rde man nur Si, nicht Sidi zu ihm
+sagen.]</blockquote>
+<p>Diese Sauya kam mir gerade wie ein Kloster vor; die grossen von
+Bogeng&auml;ngen umgebenen H&ouml;fe, in welche die Zimmerchen oder
+vielmehr die Zellen m&uuml;nden, die von l&auml;nger verweilenden
+Reisenden, oder von Studenten und Schriftgelehrten, die hier ihren
+Studien obliegen, bewohnt werden; das ewige Beten und Ablesen des
+Koran, die wallfahrenden Leute, die t&auml;glich kommen, um das
+Grab Sidi Hammed-ben-Nasser's zu besuchen, und ihre Gaben, die in
+Geld oder Sachen aller Art bestehen, zu den F&uuml;ssen des
+Marabuts legen, alles dies erinnert an unsere Kl&ouml;ster, nur ist
+hier die Pr&auml;latur in einer Familie erblich, und zwar geht bei
+den Marabutin die W&uuml;rde nur auf den &auml;ltesten Sohn
+&uuml;ber, w&auml;hrend die &uuml;brigen S&ouml;hne, einmal aus dem
+elterlichen Hause ausgeschieden, in den gew&ouml;hnlichen
+B&uuml;rgerstand zur&uuml;cktreten. Bei den Sch&uuml;rfa geht die
+W&uuml;rde auf S&ouml;hne und T&ouml;chter &uuml;ber, ist dann nur
+erblich durch die S&ouml;hne.</p>
+<p>Ehe ich weiter reiste, begab ich mich nach Ktaua, um einige
+Notizen &uuml;ber den Handel mit dem Sudan zu erhalten. Ktaua,
+diese grosse selbstst&auml;ndige Oase, hat allein f&uuml;r sich
+gegen 100 Ksors, die von Berbern, oder auch von Araber-Sch&uuml;rfa
+oder vom Stamme der Beni-Mhammed bewohnt sind. Ich ging zuerst nach
+dem grossen Orte Aduafil, ausschliesslich von Sch&uuml;rfa bewohnt.
+Von hier aus wird der haupts&auml;chlichste Handel mit dem Sudan
+betrieben. Gold (in geringer Qualit&auml;t), Elfenbein, Leder und
+Sklaven sind die haupts&auml;chlichsten Gegenst&auml;nde, welche
+man von dorther holt. An eignen Producten liefern indess die Draui
+den Schwarzen Nichts, sie k&ouml;nnen ihnen nur europ&auml;ische
+Producte zuf&uuml;hren, denn das Kupfer, welches sich von Tarudant
+aus nach dem Sudan verbreitet, geht wohl zumeist &uuml;ber Tekna
+und Nun. Die Sklaven kauft man im Sudan zu den billigen Preisen von
+15-20 Thaler, junge h&uuml;bsche und hellfarbige M&auml;dchen sind
+jedoch theurer. In Fes und Marokko werden sie dann mit bedeutendem
+Gewinne abgesetzt, zu 100 bis 150 Thaler. Von Aduafil bis Timbuktu
+brauchen die Karavanen ca. 8 Wochen, die l&auml;ngste wasserlose
+Strecke soll 10 Tage (nach Aussage der Eingebornen, jedoch halte
+ich das f&uuml;r &uuml;bertrieben) betragen.</p>
+<p>Ich blieb in Aduafil 14 Tage, und besuchte von hier aus auch die
+wichtigen Handelspl&auml;tze und M&auml;rkte Beni-Haiun und
+Beni-Sbih s&uuml;dlich gelegen. Dann begab ich mich nach
+Beni-Smigin, Ort, der am n&ouml;rdlichsten in Ktaua liegt, und nahm
+die Gelegenheit wahr, mit einer Karavane von hier nach Tafilet zu
+gehen.</p>
+<p>W&auml;hrend man auf dem Wege von der Provinz Ternetta nach
+Tafilet die grosse Oase Tessarin antrifft, hat man von Ktaua aus
+nur w&uuml;stes Land. Man braucht f&uuml;nf Tage und h&auml;lt
+immer Nordost-Richtung. Die W&uuml;ste ist indess auch hier nicht
+aller Vegetation bar, man trifft hin und wieder auf Akazien. Ich
+war froh, als ich am f&uuml;nften Tage Nachmittags von einer
+Felsanh&ouml;he die Palmen Tafilets erblickte. Vom Orte
+Beni-Bu-Ali, dem &ouml;stlichsten Ksor, auf den wir trafen, begab
+ich mich direct nach dem Hauptorte der Oase Abuam, und da ich ohne
+Bekannte war, ging ich direct in die grosse Moschee. Ich hatte
+mich, m&uuml;de wie ich vom Wege war, schlafen gelegt, fand mich
+aber unangenehm erweckt durch einen Fusstritt. Vor mir stand ein
+Scherif, er fragte, wer ich sei, wie ich hiesse, was ich wolle. Wie
+gew&ouml;hnlich antwortete ich, ich sei ein zum Islam
+&uuml;bergetretener Deutscher, Namens Mustafa (ich machte nie Hehl
+daraus, dass ich &uuml;bergetreten sei, und konnte das auch nicht,
+da ich zu der Zeit das Arabische noch sehr mangelhaft sprach).
+F&uuml;r uns Deutsche haben die Marokkaner das durch die
+T&uuml;rken den Arabern zugebrachte und aus dem Slavischen
+entlehnte Wort Nemsi. Aber mit dieser Erkl&auml;rung war der
+Scherif nicht zufrieden. Wie &uuml;berhaupt durch die drohende
+N&auml;he der Franzosen in Algerien, die Filali (Bewohner Tafilets)
+bedeutend misstrauischer gegen Fremde sind, so schien Misstrauen,
+Glaubenseifer, Religionsd&uuml;nkel und jesuitischer Fanatismus in
+diesem Scherif personificirt zu sein. Die &uuml;brigen Tholba
+wurden herbeigeholt, man wollte einen sichtbaren Beweis meines
+Islams haben, und als sie nach einigem Kopfsch&uuml;tteln
+erkl&auml;rten, dass man in dieser Beziehung mir nichts vorwerfen
+k&ouml;nne, fingen sie trotzdem an, meine Kleider zu durchsuchen.
+Und um mein Ungl&uuml;ck voll zu machen, fanden sie einen alten
+Pass, den ich aufbewahrt hatte.</p>
+<p>Mit fanatischem Geheul wurde ich nun von diesen Zeloten nach
+Rissani, der officiellen Hauptstadt, wo der Kaid des Sultans
+residirt, geschleppt, und ich glaubte schon mein letztes
+St&uuml;ndchen sei gekommen, denn was ist gegen fanatische
+Glaubenseiferer zu machen. Fortw&auml;hrend br&uuml;llten sie: "er
+ist ein Spion, er ist ein Sendling des christlichen Sultans", womit
+sie den Kaiser Napoleon der Franzosen meinten, "er ist gekommen, um
+unser Land auszukundschaften, zu verrathen und zu
+verkaufen."&mdash;So dumm sind n&auml;mlich diese fanatischen
+Leute, wie ja &uuml;berhaupt Dummheit und Fanatismus immer Hand in
+Hand mit einander gehen, dass sie &uuml;berzeugt sind, ein
+einzelner Christ k&ouml;nne nur so ohne Weiteres ihr Land
+verkaufen.</p>
+<p>Gl&uuml;cklicherweise aber traf ich im Kaid des Sultans einen
+Mann, der schon irgendwo einen Pass gesehen haben musste, oder doch
+wusste, welche Bewandniss es damit hatte, aber auch er w&uuml;rde
+wohl kaum den wutschnaubenden Volkshaufen haben bes&auml;nftigen
+k&ouml;nnen, wenn nicht zur rechten Zeit ein marokkanischer Prinz,
+nach der Meinung Vieler der rechtm&auml;ssige Sultan von Marokko,
+herbeigekommen w&auml;re: Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman.</p>
+<p>Als n&auml;mlich Sultan Sliman gestorben war, folgte nicht sein
+Sohn, sondern sein Neffe Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, und als
+dieser im Jahre 1859 starb, h&auml;tte nach dem Herkommen der
+Aelteste der Familie und zwar Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman folgen
+m&uuml;ssen. Sultan Abd-er-Rhaman hatte aber bei Zeiten daf&uuml;r
+gesorgt, dass sein Sohn Sidi Mohammed nachfolgen w&uuml;rde, und in
+der That fand im Herbste 1859 Abd-er-Rhaman-ben-Sliman den Thron
+besetzt. Da er sich bis dahin 16 Jahre in der Sauya Sidi Hamsa's,
+n&ouml;rdlich von Luxabi gelegen, verborgen aufgehalten hatte, um
+dem Dolche und Gifte seines Vetters zu entgehen, brach er Ende
+1859, von einigen wenigen Getreuen begleitet, auf nach Fes, um sich
+des Thrones zu bem&auml;chtigen. Aber schon hatte sich Bascha ben
+Thaleb und Kaid Faradji von Fes f&uuml;r den jetzigen Sultan
+erkl&auml;rt, der lange Zeit vorher dort Chalifa gewesen war und
+sie durch reiche Geschenke an sich gezogen hatte. Wenig fehlte, so
+w&auml;re der Sohn Sliman's mit seinen einigen hundert Reitern
+gefangen genommen.</p>
+<p>Dieser Mulei Abd-er-Khaman-ben-Sliman lebte jetzt in Tafilet,
+und ihm, in seiner Eigenschaft als Prinz und seinem unfehlbaren
+Charakter als Scherif&mdash; ihm war es ein Leichtes das tobende
+Volk zu bes&auml;nftigen. Es k&ouml;nnte befremdend erscheinen,
+dass dieser ge&auml;chtete und vom Throne ausgestossene Prinz so
+friedlich an der Seite des Kaids des Sultans stand, aber man muss
+bedenken, dass die Regierung von Marokko s&uuml;dlich vom Atlas nur
+eine Scheinregierung ist, und namentlich dieselbe in Tafilet gar
+keine Autorit&auml;t besitzt.</p>
+<p>Der Prinz fasste f&uuml;r mich Freundschaft, und diese wuchs
+noch, als sich herausstellte, dass ich in der Campagne der
+Franzosen gegen die Beni- Snassen 1859 schon seinen &auml;ltesten
+Sohn, der ebenfalls Abd-er-Rhaman hiess, kennen gelernt hatte.
+Derselbe war dahin gekommen, um die H&uuml;lfe des
+franz&ouml;sischen Generals Martimprey gegen seinen Verwandten, der
+den Thron von Fes usurpirt hatte, anzurufen; Martimprey lehnte
+selbstverst&auml;ndlich jede Einmischung in die inneren
+Angelegenheiten Marokko's ab. Ich blieb l&auml;ngere Zeit bei
+dieser gastfreundlichen Familie, die f&uuml;r gew&ouml;hnlich in
+Marka, Provinz Ertib der Oase Tafilet<a href="#F144"><sup>144</sup></a>,
+wohnt, und sodann bereitete ich mich vor, meine Reise zu
+vollenden.</p>
+<blockquote><a name="F144" id="F144"></a>[Fu&szlig;note 144: Die
+Beschreibung von Tafilet ist in "Uebersteigung des Atlas etc.",
+Bremen K&uuml;htmann, 2te Auflage, und in Petermann's
+Mittheilungen, Jahrgang 1865.]</blockquote>
+<p>Ich hatte im Laufe der Zeit durch Prakticiren wieder einiges
+Geld zusammengebracht, allerdings durch m&uuml;hsames Sparen, denn
+die &auml;rztliche Praxis muss in Marokko und namentlich in den
+regierungslosen Theilen ganz anders ausge&uuml;bt werden, als bei
+uns. Namentlich muss sich der Arzt, der keine starke Sippe oder
+Verwandtschaft hinter sich hat, wohl h&uuml;ten, einem Patienten
+eine Medicin zum inneren Gebrauche zu verabfolgen, denn hat er das
+Ungl&uuml;ck sodann einen Kranken durch den Tod zu verlieren, so
+ist entweder die Medicin, oder der Arzt die Ursache davon gewesen;
+andererseits hat der Arzt aber von wirklich guter Medicin gar nicht
+einmal den erhofften Erfolg, denn gesundet ein Kranker, dann haben
+weder die Medicin noch der Arzt geholfen, sondern irgend ein
+Heiliger, auch wohl Mohammed, in seltneren F&auml;llen
+Gott<a href="#F145"><sup>145</sup></a>, dies Wunder bewirkt. Es ist daher am
+besten die Praxis so auszu&uuml;ben, wie es landes&uuml;blich ist:
+durch Feuer und Amulette.</p>
+<blockquote><a name="F145" id="F145"></a>[Fu&szlig;note 145: In
+dieser Beziehung haben die Mohammedaner viel Aehnlichkeit mit den
+Katholiken: bei einem Wunder denken sie zumeist an einen Heiligen,
+seltener an ihren Propheten, in den seltensten F&auml;llen an
+Gott.]</blockquote>
+<p>Mit einer Karavane machte ich mich sodann auf den Weg und zwei
+Tage nach unserem Aufbruche von Ertib erreichten wir die
+nord&ouml;stlich davon gelegene Oase Budeneb. Wir blieben hier nur
+einen Tag, und am folgenden Tage Abends erreichten wir die Oase
+Boanan, den ganzen Weg hatten wir ebenfalls in nord&ouml;stlicher
+Richtung zur&uuml;ckgelegt. Mit einem Empfehlungsbriefe vom
+obengenannten marokkanischen Prinzen f&uuml;r den Schich der Oase
+versehen, kehrte ich bei ihm ein, und wurde auch gastfreundlich
+empfangen. Der Schich hiess Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah.</p>
+<p>Zehn Tage lang war ich sein Gast, und t&auml;glich assen wir aus
+Einer Sch&uuml;ssel. Ich hatte dort einen so langen Aufenthalt,
+weil Thaleb Mohammed der Meinung war, ich solle nur mit einer
+gr&ouml;sseren Karavane weiter reisen, da je n&auml;her der
+algerinischen Grenze, desto unsicherer der Weg sei. Zu der Zeit nun
+lebte ich noch in den Illusionen, wie man dieselben so h&auml;ufig
+durch B&uuml;cher solcher Reisenden gen&auml;hrt bekommt, die nur
+einen oberfl&auml;chlichen Blick in das Leben der Mohammedaner
+geworfen haben und uns erz&auml;hlen, wer mit einem Muselman aus
+Einer Sch&uuml;ssel gegessen habe, f&uuml;r heilig und
+unverletzlich gehalten werde. Zu der Zeit glaubte ich noch an die
+Heiligkeit des Gastrechtes. Und hierdurch unvorsichtig gemacht;
+liess ich eines Tages mein Geld sehen. Im Ganzen mochte ich ca. 60
+franz&ouml;sische Thaler haben. Aber auch f&uuml;r einige Thaler
+marokkanisches Kleingeld war darunter, welches ich den Schich bat,
+gegen franz&ouml;sisches umzutauschen, da ich wusste, dass ersteres
+in Algerien keinen Cours hatte.</p>
+<p>Thaleb Mohammed wechselte, aber von dem Augenblick an musste er
+auch schon den Entschluss gefasst haben, mich zu ermorden. Jetzt
+war nicht mehr die Rede davon eine Karavane abzuwarten, er meinte
+nun, mit H&uuml;lfe seines Dieners, der ganz gut als F&uuml;hrer
+w&uuml;rde dienen k&ouml;nnen, k&ouml;nne ich auch ohne Karavane
+die nur zwei Tagem&auml;rsche entfernte Oase Knetsa erreichen. Er
+f&uuml;gte noch hinzu, ich k&ouml;nne mich vollkommen auf seinen
+Diener verlassen, und der Preis f&uuml;r das F&uuml;hren, 8 Frcs.,
+wurde von mir im Voraus bezahlt.</p>
+<p>Mit Freuden war ich auf den Voschlag [Vorschlag] eingegangen,
+denn nach mehr als zweij&auml;hriger Anwesenheit unter diesen durch
+ihre Religion verthierten Menschen hatte ich die gr&ouml;sste
+Sehnsucht wieder unter Civilisation zu kommen. Ich fand es auch gar
+nicht auff&auml;llig, als Thaleb Mohammed vorschlug, Abends
+abzureisen, da man in der Sahara ja so h&auml;ufig die Nacht zu
+H&uuml;lfe nimmt, um der Sonne zu entgehen, und um vom Durste
+minder gequ&auml;lt zu werden.</p>
+<p>So machten wir uns Abends auf den Weg, der F&uuml;hrer, ein
+Diener und ich. Es hatte sich n&auml;mlich vom Draa her ein Pilger
+an mich angeschlossen, der gegen Kost, aber sonst ohne Lohn, in ein
+Dienstverh&auml;ltniss zu mir getreten war. Nach einem Marsche von
+etwa 4 Stunden lagerten wir in der N&auml;he eines kleinen Flusses
+und machten von trocknen Tamarisken-Aesten ein hoch und hell
+loderndes Feuer an, welches der F&uuml;hrer besonders gut im
+Brennen unterhielt, um damit seinem Herrn den Ort zu zeigen, wo wir
+gelagert w&auml;ren. Mein Diener und ich beim Feuer ausgestreckt,
+waren bald eingeschlafen, ebenso schien der F&uuml;hrer sich der
+Ruhe hinzugeben. Ausser dass ich eine Pistole trug, hatte der
+Diener und ich keine Waffen, der F&uuml;hrer hatte einen Karabiner.
+Wie lange ich geschlafen, erinnere ich nicht. Als ich erwachte,
+stand der Schich der Oase dicht &uuml;ber mich gebeugt vor mir, die
+rauchende M&uuml;ndung seiner langen Flinte war noch auf meine
+Brust gerichtet. Er hatte aber nicht, wie er wohl beabsichtigt
+hatte, mein Herz getroffen, sondern nur meinen linken Oberarm
+zerschmettert; im Begriff mit der Rechten meine Pistole zu
+ergreifen, hieb nun der Schich mit seinem S&auml;bel meine rechte
+Hand auseinander. Von dem Augenblick sank ich auch schon durch das
+aus dem linken Arm in Str&ouml;men entquellende Blut, wie todt
+zusammen. Mein Diener rettete sich durch Flucht.</p>
+<p>Als ich am folgenden Morgen zu mir kam, fand ich mich allein,
+mit 9 Wunden, denn auch noch, als ich schon bewusstlos dalag,
+mussten diese Unmenschen, um mich ihrer Meinung nach vollkommen zu
+t&ouml;dten, auf mich geschossen und eingehauen haben. Meine
+s&auml;mmtlichen Sachen, mit Ausnahme der blutdurchtr&auml;nkten
+Kleider, hatten sie weggenommen. Obgleich das Wasser nicht weit von
+mir entfernt war, konnte ich es nicht erreichen, ich war zu
+entkr&auml;ftet, um mich zu erheben, ich versuchte mich
+hinzurollen, Alles vergebens, ich litt entsetzlich vom brennenden
+Durste.</p>
+<p>In dieser h&uuml;lflosen Lage blieb ich zwei Tage und zwei
+N&auml;chte. Halb war mein Zustand wachend, halb ohnm&auml;chtig.
+Ich hatte dann die schrecklichsten Visionen. Manchmal glaubte ich
+Leute zu sehen, und strengte nun alle Kr&auml;fte an, um sie
+herbeizurufen, aber immer war es T&auml;uschung. Mit dem Leben
+hatte ich vollkommen abgeschlossen. Haupts&auml;chlich qu&auml;lte
+mich die f&uuml;rchterlichste Angst von Hy&auml;nen oder Schakalen
+angefallen und lebendig verzehrt zu werden. Denn diese
+Uebergangsgegend der Sahara ist besonders das Gebiet dieser feigen
+Raubthiere. Ich w&auml;re ihnen eine vollkommen h&uuml;lflose Beute
+geworden.</p>
+<p>Endlich am dritten Tage kamen zwei Menschen. War es diesmal
+Wirklichkeit, oder wieder T&auml;uschung? Nein, es waren Menschen,
+sie antworteten auf mein schwaches Rufen durch Winken, mit der
+Stimme. Es waren Marabutin der unfernen kleinen Sauya Hadjui. Ihre
+Freude mich lebend anzutreffen, war fast gr&ouml;sser als die
+meine. Ich stammelte nur "el ma, el ma!" (Wasser). Aber, dachte ich
+dann, ist ihre Freude auch aufrichtig? Sie hatten eiserne Hacken
+auf der Schulter, offenbar in der Absicht mich zu beerdigen, aber
+haupts&auml;chlich waren sie wohl durch den Umstand hergezogen, der
+jedenfalls ruchbar geworden war: n&auml;mlich dass man mir meine
+Kleidungsst&uuml;cke gelassen hatte, f&uuml;r die dortige so sehr
+arme Gegend immer noch ein sehr kostbarer Gegenstand.</p>
+<p>Und nun erkl&auml;rten sie zwar freundlichst mich retten zu
+wollen, aber sie m&uuml;ssten nach dem zwei Stunden entfernten
+Hadjui zur&uuml;ckkehren, um behuf meines Transportes ein Maulthier
+zu holen. So entfernten sie sich wieder, und jetzt durchlebte ich
+erst die entsetzlichste Zeit.</p>
+<p>Diese vier Stunden, die ich jetzt allein zubrachte, kamen mir
+vor, wie eine nie enden wollende Ewigkeit. "Sie haben dich nur
+verlassen, um dich sterben zu lassen, und um, wenn du gestorben
+bist, sich deiner Kleidungsst&uuml;cke zu bem&auml;chtigen", das
+war der Gedanke, der fortw&auml;hrend durchgedacht wurde, nachdem
+ich soeben durch einen Trunk Wasser zu etwas erneuertem Leben
+gekommen war. Wie konnte ich &uuml;berhaupt nach einem solchen
+Mordversuche noch Glauben zu den dortigen Menschen haben.</p>
+<p>Da endlich h&ouml;rte ich Ger&auml;usch, ich versuchte den Kopf
+zu erheben, ich sah ein starkes Maulthier, getrieben von mehreren
+Menschen, sich n&auml;hern, meine Retter waren wieder da. Mit
+Vorsicht luden sie mich auf das Thier, was keine Kleinigkeit war,
+da mein linker Arm nur noch an Haut und Muskeln hing, meine rechte
+Hand auseinanderklaffte, mein rechter Oberschenkel ebenfalls
+durchschossen war. Das Bluten hatte schon l&auml;ngst von selbst
+aufgeh&ouml;rt, es mussten sich Pfr&ouml;pfe gebildet oder die
+Ohnmachten das bewirkt haben.</p>
+<p>Wie lachte mein Herz, als ich die Palmen von Hadjui auftauchen
+sah, und doch wusste ich nicht, wie ich vor Schmerzen auf dem
+Maulthiere es w&uuml;rde aushalten k&ouml;nnen. Und die wenigen
+Palmen, die wenigen armseligen H&auml;user<a href="#F146"><sup>146</sup></a>
+schienen mir ein Paradies zu sein.</p>
+<blockquote><a name="F146" id="F146"></a>[Fu&szlig;note 146: Die
+Oase Hadjui ist nur eine ganz kleine von circa 100 Palmen
+bestandene Insel, mit etwa 50 Wohnungen.]</blockquote>
+<p>Ich wurde nach der Wohnung des Schichs der Oase gebracht. Das
+Haus Sidi- Laschmy's war aber keineswegs gross, es bestand aus
+einem Vorzimmer, Aufenthaltsort f&uuml;r das Maulthier, f&uuml;r
+einen Esel und zwei Ziegen, dann kam ein gr&ouml;sseres Gemach, das
+als Wohnzimmer f&uuml;r die ganze Familie und zugleich als
+K&uuml;che diente. Daran stiess ein kleines Zimmer, Vorrathskammer,
+endlich waren oben zwei Mensa, d.h. R&auml;umlichkeiten, die auf
+dem flachen Dache gebaut waren, und worin die beiden Br&uuml;der,
+denn Sidi-Laschmy bewohnte das Haus mit seinem j&uuml;ngeren Bruder
+Abd-er-Rhaman, mit ihrer resp. Frau schliefen. Man machte mir dicht
+neben der Feuerstelle mein Lager. Mein erster Wunsch war, nachdem
+ich etwas Mehlsuppe genossen hatte, nach einem Messer, und als man
+ein solches brachte, bat ich Sidi-Laschmy, mit einem herzhaften
+Schnitt meinen herabh&auml;ngenden Arm abzuschneiden.</p>
+<p>Aber da kam ich schlecht an. "Das kann bei euch Christen Sitte
+sein," sagte der Marabut, "aber wir schneiden nie ein Glied ab, und
+da du, der H&ouml;chste sei gelobt, jetzt rechtgl&auml;ubig bist,
+wirst du deinen Arm behalten." Mittlerweile hatten sie auch schon
+aus Ziegenfell eine Binde gen&auml;ht, in welche St&auml;be aus
+Rohr, um dem Ganzen Halt zu geben, eingezogen waren. Diese Binde
+wurde umgelegt, mit Thon umschmiert, und so eine Art festen
+Verbandes hergestellt. Der Arm wurde auf weissen W&uuml;stensand
+gebettet. H&auml;tte man nicht vergessen gehabt, den Verband zu
+fenstern, so w&auml;re er vollkommen gewesen. Die &uuml;brigen
+Wunden wurden einfach mit Baumwolle verbunden, welche von Butter,
+in welche man vorher Artemisia getaucht hatte, um sie aromatisch zu
+machen, durchtr&auml;nkt war.</p>
+<p>Welch' wonniges Gef&uuml;hl hatte ich Abends, als ich mich unter
+Dach und Fach wusste, zwar hart gebettet, denn ich lag auf Stroh
+und war nur mit Teppichen bedeckt, aber doch in Sicherheit mit der
+Aussicht wieder hergestellt zu werden und noch leben zu
+k&ouml;nnen. Man hatte mir meine Kleidung vom Leibe geschnitten, um
+das Blut heraus zu waschen, aber w&auml;hrend der Zeit befand ich
+mich in Adam's Kleidern, denn die Leute waren so arm, dass sie mir
+keine anderen verschaffen konnten. Ueberhaupt schien Hadjui einer
+der d&uuml;rftigsten Oerter zu sein, die Leute der Oase waren aber
+auch die gastfreundlichsten der Welt. Sie waren so arm, dass sie in
+der ganzen Ortschaft nicht einmal Weizen hatten, aber im Glauben,
+ich d&uuml;rfe ihre schwere Kost aus Gerstenmehl nicht geniessen,
+wurde f&uuml;r mich auf Gemeindekosten Weizen von einer anderen
+Oase gekauft. Auch Butter wurde f&uuml;r mich auf Gemeindekosten
+geholt, und die jungen Leute mussten dann und wann hinaus, um
+Strausseneier zu suchen, oder wo m&ouml;glich einen Strauss zu
+erlegen, damit ich animalische Kost bek&auml;me. Es war
+r&uuml;hrend, wie die jungen M&auml;dchen t&auml;glich an mein
+Lager kamen, um mir frisch aufgesprossene Gerste zu bringen. In
+dieser an Gr&uuml;n so armen Gegend, wo Gem&uuml;se, wie
+R&uuml;ben, Zwiebeln und Kohl zu den feinsten und kostbarsten
+Gartentr&uuml;chten [Gartenfr&uuml;chten] gerechnet werden,
+verschm&auml;ht man es nicht, das zarte Gras der Gerste zu
+geniessen.&mdash;Ja, fast erstickten mich im Anfange die Frauen
+durch ihre G&uuml;te: von dem Grundsatze ausgehend, dass der grosse
+Blutverlust nur durch grosse Quantit&auml;ten von Nahrung zu
+ersetzen sei, waren in den ersten Tagen best&auml;ndig zwei Frauen
+an meiner Seite damit besch&auml;ftigt, mir grosse Klumpen Kuskussu
+in den Mund zu schieben, und ich, des Gebrauches meiner beiden
+H&auml;nde zu der Zeit beraubt, musste es ruhig geschehen
+lassen.</p>
+<p>Endlich nach langem Schmerzenslager, um so unangenehmer deshalb,
+weil ich keine Kleidungsst&uuml;cke zum Wechseln hatte, konnte ich
+das Ende meiner Reise antreten. Die Wunden am K&ouml;rper, an den
+rechten Hand, der Schuss durchs rechte Bein waren geheilt, der
+zerschossen gewesene linke Arm hatte zwar durch Callusbildung um
+den zerschmetterten Oberarmknochen Festigkeit gewonnen, aber die
+Wunden waren offen und von Zeit zu Zeit eiterten Splitter<a href=
+"#F147"><sup>147</sup></a> heraus.</p>
+<blockquote><a name="F147" id="F147"></a>[Fu&szlig;note 147: Erst
+im Jahre 1868 war der Arm vollst&auml;ndig geheilt, nachdem ich
+stets mit offenen Wunden, die Reise nach dem Tschad-See und die
+Expedition nach Abessinien damit zur&uuml;ckgelegt
+hatte.]</blockquote>
+<p>Wir nahmen Abschied von einander und Sidi-Laschmy liess es sich
+nicht nehmen, mich bis zur grossen Ortschaft Knetsa zu begleiten.
+Auf dem Wege dahin haben die Beni-Sithe Minen mit Blei und Antimon,
+die sie bearbeiten. Knetsa mit einer Einwohnerschaft von ca. 5000
+Seelen ist eine f&uuml;r dortige Gegend ber&uuml;hmte Sauya, indess
+ebenfalls nicht von Sch&uuml;rfa, sondern nur von Marabutin
+gegr&uuml;ndet. Die Schichs Sidi Mohammed-ben-Abd-Allah und Sidi
+Ibrahim sind die ansehensten. Da ersterer sich in Fes befand, stieg
+ich bei letzterem ab, f&uuml;r beide hatte ich Empfehlungsschreiben
+von Mulei Abd-er- Rhaman-ben-S&iuml;iman von Tafilet.
+Merkw&uuml;rdigerweise hatte mir n&auml;mlich der Schich Thaleb
+Mohammed-ben-Abd-Allah von Boanan auf Bitten der Marabutin von
+Hadjui nicht nur meine Empfehlungsbriefe, sondern auch einen Theil
+meines Tagebuches zur&uuml;ckerstattet. Aber hartn&auml;ckig den
+Mordanfall l&auml;ugnend, behauptete er, diese Gegenst&auml;nde
+dort gefunden zu haben, leider waren Croquis, sowie Notizen
+&uuml;ber Einwohner, Einwohnerzahl der Ortschaften und eine ganze
+Reihe von Berge-, Fl&uuml;sse- und Orts-Namen unwiederbringlich
+verloren.</p>
+<p>Ich wurde gut in Knetsa aufgenommen, aber auf meine Klage, mich
+zu unterst&uuml;tzen gegen Thaleb Mo-hammed-ben-Abd-Allah,
+erwiederte Sidi Ibrahim, Nichts thun zu k&ouml;nnen, da sie keine
+obrigkeitliche Regierung h&auml;tten. In der That ist in diesen
+Gegenden von Regierung und Obrigkeit keine Spur vorhanden, das
+Faustrecht in der ganzen primitiven Bedeutung des Wortes herrscht
+&uuml;berall. Knetsa selbst liegt in einem breiten Ued gleichen
+Namens, der meist oberirdisch ohne Wasser ist, indess st&ouml;st
+[st&ouml;sst] man in geringer Tiefe auf eine Schicht desselben.</p>
+<p>Nach einigen Tagen Aufenthalt vernahm ich, dass eine Karavane
+von Tafilet nach Tlem&ccedil;en den westlich einen Tagemarsch
+entfernt sich erstreckenden Ued- Gehr passiren w&uuml;rde; mit
+mehreren Gef&auml;hrten brachen wir also von Knetsa auf. Unsere
+Richtung war den ganzen Tag &uuml;ber westlich, und nach einem
+f&uuml;r mich entsetzlich m&uuml;hevollen Marsche erreichten wir
+sp&auml;t Abends den Gehr. H&auml;tten an dem Tage die
+Gef&auml;hrten mich nicht unterst&uuml;tzt, so w&auml;re ich auf
+halbem Wege liegen geblieben; mein Schuhzeug war ganz zerrissen,
+meine Kr&auml;fte aber so wenig hergestellt, dass ich alle paar
+hundert Schritt ausruhen musste. Und am Gehr angekommen, erfuhr
+ich, die Karavane w&uuml;rde gar nicht nach Tlem&ccedil;en gehen,
+sondern nach dem Ued-Ssaura. Ich musste also nach Knetsa
+zur&uuml;ck, aber bald darauf traf ich denn auch Leute, die nach
+der Oase Figig reisen wollten.</p>
+<p>Sobald man Tafilet hinter sich hat, h&ouml;rt die eigentliche
+Sahara auf. Man hat alle Tage Wasser, Fl&uuml;sse, Brunnen und
+Ortschaften. Aber nirgends hat die Gegend einen
+eigenth&uuml;mlicheren, wild durch einander gemischten Charakter
+wie hier. Selbst in Abessinien, obschon dort die Berge
+m&auml;chtiger und bedeutend h&ouml;her sind, man aber nur Berge
+hat, giebt es kaum wunderlichere Formen. So sieht man auf dem Wege
+zwischen Hadjui und Knetsa einen Berg, der vollkommen die Gestalt
+einer Kirche mit daneben stehendem Thurm hat, senkrecht aus der
+Ebene hervorragen. Als ich von Weitem diese eigenth&uuml;mliche
+Formation erblickte, glaubte ich zuerst, es sei eine alte kolossale
+Baute ehemaliger Christen. Hier ist denn auch die Heimath der
+Antilopen, Gazellen und Strausse, gr&ouml;ssere reissende Thiere
+sind sehr selten, Hy&auml;nen, F&uuml;chse und Schakale
+h&auml;ufig.</p>
+<p>Man braucht von Knetsa nach Figig drei Tagem&auml;rsche, die
+aber t&uuml;chtig gemessen sind. Meine Gef&auml;hrten gingen indess
+nur bis zum Orte Bu- Schar<a href="#F148"><sup>148</sup></a>, einer kleinen
+Oase am Flusse gl. N., von den Uled Djerir bewohnt. Die
+Bu-Schar-Oase hat ausserdem noch zwei kleinere Ksors. Ich glaubte
+schon zu einem l&auml;ngeren Aufenthalte verdammt zu sein, als sich
+ein Mann erbot, mich nach Figig bringen zu wollen, gegen den
+geringen Lohn von einem (franz&ouml;sischen) Thaler. Er hatte den
+Empfehlungsbrief des Scherif- Prinzen von Tafilet an Schich
+Humo-ben-Taher von Figig gelesen und meinte, der w&uuml;rde den
+Thaler zahlen. Mit diesem guten Manne, der noch dazu einen Schlauch
+Wasser und einige Lebensmittel trug, brach ich auf. Nach zwei
+harten Tagem&auml;rschen sahen wir die dichten Palmw&auml;lder der
+Oase Figig vor uns. Es ist dies die letzte Oase nach dem Norden zu,
+deren Datteln noch gesucht werden; alle von hier an n&ouml;rdlich
+gelegenen Oasen produciren wohl noch Datteln, jedoch von geringerer
+G&uuml;te. Renou t. IX, p. 120 f&uuml;hrt nach Carette noch Figig
+als eine von "Berbern bewohnte Stadt mit 400 bis 500 H&auml;usern
+oder 2000 bis 2500 Einwohnern" an. Figig ist kein Ort oder keine
+Stadt, sondern eine ziemlich grosse, 3 bis 4 Stunden im Umfange
+haltende sehr fruchtbare Oase, mit acht Ksors, die alle befestigt
+sind, und fast fortw&auml;hrend in Feindseligkeiten mit den
+ausw&auml;rtigen Ortschaften oder unter sich selbst sind. Der
+Hauptort heisst Snaga, im SO der Oase gelegen, hier residirte auch
+Schich Humo-ben-Taher. Von den anderen Orten kann ich Maise, dann
+Hammam-Tachtani und Hammam-Fukkani (oberes und unteres Bad) nennen.
+Der Name deutet schon an, dass hier Thermalen sind, denn unter
+Hammam versteht der Araber immer "heisses Bad." Es d&uuml;rfte wohl
+nicht &uuml;bertrieben sein, wenn wenn [wenn] man die
+Gesammtbev&ouml;lkerung der Oase Figig auf 10,000 Seelen annimmt.
+Auch Juden wohnen in Snaga und Maise. Die Oase producirt ausser der
+Dattel s&auml;mmtliche Fr&uuml;chte der Mittelmeerzone. Der Handel
+ist sehr lebhaft, Araber-Nomaden, besonders aus Algerien bringen
+Butter, Oel, Felle, Wolle, Schafe, Ziegen und Getreide, und holen
+daf&uuml;r Pulver, Kleidungsst&uuml;cke, Datteln, Waffen und
+Sklaven.</p>
+<blockquote><a name="F148" id="F148"></a>[Fu&szlig;note 148: Ort,
+von Moula-Ah'med auf seiner Pilgerreise erw&auml;hnt. S.
+Renou.]</blockquote>
+<p>Leider konnte ich mein Versprechen, dem F&uuml;hrer einen Thaler
+zu geben, nicht halten. Schich Humo-ben-Taher nahm mich zwar sehr
+freundlich auf, aber einen harten Thaler f&uuml;r mich auszugeben,
+dazu war er nicht zu bewegen. Statt dessen rief er den armen Kerl,
+und ertheilte ihm seinen Segen, er meinte der Segen w&uuml;rde
+besser sein, als Geld. Betr&uuml;bt schlich der arme Mann von
+dannen, er nahm selbst Abschied von mir ohne Fluch und
+Verw&uuml;nschung, meinte nur, wenn ich das Geld gehabt h&auml;tte,
+w&uuml;rde ich ihn wohl belohnt haben. Und darin hatte er nicht
+Unrecht, denn als ich sp&auml;ter auf meiner zweiten Reise in der
+heiligen Stadt Uesan mit ihm zusammentraf, konnte ich ihm reichlich
+sein mir erwiesenes Gute zur&uuml;ckerstatten.</p>
+<p>Von Figig bis zur franz&ouml;sischen Grenze hat man noch einen
+starken Tagemarsch, nach einem mehrt&auml;gigen Aufenthalt in Snaga
+brach ich mit einer grossen Karavane von Algerinern auf und mit
+Isch hat man die Grenze des Gebietes, das dem Namen nach zu Marokko
+geh&ouml;rt, hinter sich, und bald darauf ist man auf
+franz&ouml;sischem Grund und Boden.</p>
+<p>Ehe ich aber &uuml;ber Ain-Sfran, Schellala etc. und durch
+zahlreiche Duars nomadisirender Araber kommend, G&eacute;ryville,
+die s&uuml;dwestlichste von den Franzosen besetzte Stadt,
+erreichte, vergingen noch saure, mit starken Anstrengungen
+verkn&uuml;pfte Tage.</p>
+<p>Mit G&eacute;ryville aber hatten meine Leiden ein Ende. Herr
+Burin, Commandant des Ortes, dann der dortige Militairarzt, nahmen
+mich mit der offensten Gastfreundlichkeit auf, wochenlang wurde ich
+dort aufs liebevollste im Hospitale der Garnison verpflegt, und
+bald darauf bekam ich Briefe aus der Heimath, mein &auml;ltester
+Bruder Dr. Hermann schickte die Mittel zur Weiterreise, und als ich
+dann, kurze Zeit sp&auml;ter, in Algier selbst anlangte, brachte
+nach einigen Tagen der Dampfer eben diesen Bruder, der die weite
+Reise von Bremen nicht gescheut hatte, "den Wiedergefundenen" an
+sein treues Herz zu dr&uuml;cken.</p>
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und
+Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***
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+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
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+
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+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
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+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
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+ gbnewby@pglaf.org
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+
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+Literary Archive Foundation
+
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+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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+
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