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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:32:49 -0700 |
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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Japanischer Fruehling + Nachdichtungen Japanischer Lyrik + +Author: Hans Bethge + +Posting Date: October 12, 2014 [EBook #9178] +Release Date: October, 2005 +First Posted: September 11, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JAPANISCHER FRUEHLING *** + + + + +Produced by Juliet Sutherland, Charlie Kirschner and +Distributed Proofreaders + + + + + + + + + + +JAPANISCHER FRÜHLING + +NACHDICHTUNGEN JAPANISCHER LYRIK + + +HANS BETHGE + + + +DIE SEELE JAPANS + +WOMIT VERGLEICH ICH JAPANS SEELE WOHL +AM TREFFENDSTEN? MIT DEM GEHEIMEN DUFT +DER KIRSCHENBLÜTE. WENN DIE GOLDNE SONNE +DES MORGENS SIEGHAFT AUS DER DÄMMRUNG STEIGT + +MOTOORI NORINAGA + + + + +DIE SCHÖNE NUNA-KAWA-HIME SPRICHT ZUM GOTT DER ACHTMALTAUSEND SPEERE + +AUS ARCHAISCHER ZEIT + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +In rabenschwarzer Nacht komm ich heraus, +Und du wirst nahen wie die Morgenröte, +Mit Lächeln und mit strahlendem Gesicht. +Und deine Arme, die so schimmernd weiss +Wie Taku-Rinde glänzen, wirst du zärtlich +Auf meinen Busen legen, der dem Schnee +An Zartheit gleicht. Und eng verschlungen werden +Wir liegen und uns kosen und die Arme +Als Kissen unters Haupt uns betten, während +Die Schenkel nahe beieinander ruhn. + +Sprich mir von Liebessehnsucht nicht zu sehr, +Du grosser Gott der achtmaltausend Speere! + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +Komm ich heraus. + + + + +DIE WARTENDE + +KAISERIN IWA NO HIME + +Bis dass der weisse Reif des Alters sich +Auf meine rabenschwarzen Haare legt. +Will ich mein ganzes langes Leben durch +Nichts weiter tun als warten, warten, warten +Auf dich, den meine ganze Seele liebt. + + + + +LIEBESWERBUNG + +KAISER YURYAKU + +Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Korbe, +Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Spaten, +Das dort am Hügel emsig Kräuter pflückt! + +Sag mir, wo ragt dein Haus, ich bitte dich, +Und nenne deinen Namen mir! Im ganzen, +Vom Himmel treu geliebten Lande Japan. + +Bin ich der Herrscher! Und mein Herz wünschtinnig. +Dich als Gemahlin heimzuführen, Holde! +Ich bitte dich, wer bist du,--sag es mir! + + + + +DER GLÜCKLICHE + +MUNETO + +Ihr sagt, dass ich ein Wilder sei. Nun gut. +Ich bin den Vögeln im Gebüsch befreundet +Und kenne alle Bäume. Und die Blumen. + +Auf bunter Bergflur blühen nur für mich, +Und das Geraun des Waldes kündet mir +Geheimnisvoll die Wunder der Natur. + +Ja, ich bin reich! Dich neid ich nimmermehr, +Geschmeidiger Hofmann in dem seidnen Kleide, +Denn du hast nichts, was meinem Glücke gleicht. + + + + +IN ERWARTUNG + +PRINZESSIN NUKADA + +Ich wartete auf dich, von Sehnsucht fast +Verzehrt,--da, ein Geräusch: du nahst! du nahst! + +Zu früh gejubelt, sehnsuchtsbanges Herz! +Es war der trügerische Wind des Herbstes, +Der raschelnd durch den Bambusvorhang fuhr. + + + + +DAS ELEND DER WELT + +OKURA + +Die Welt ist elend, jammervoll +Und nimmer wert, dass wir sie lieben. +O weh, dass ich kein Vogel bin! +Ich wünschte, dass ich Flügel hätte, +Um ihr für immer zu entfliehn. + + + + +EINSAM + +HITOMARO + +Trostlos, allein zu schlafen diese Nacht, +Die endlos lang ist, wie der lange Schweif +Des Goldfasanen, dessen helle Stimme +Ich von dem Berg herüberklingen höre. + + + + +DIE GELIEBTE IM SEGELBOOT + +HITOMARO + +Rings um die Küste braut der Morgennebel +Und hüllt in graue Dämmerung Land und Meer. + +Mit neidischem Sinn verbirgt er meinen Augen +Das Segelboot, nach dem mein Herz sich sehnt. + +Voll unruhvollen Klopfens: denn ich weiss, +Dass meine Liebste darin kommen wird. + + + + +KRIEGSZUG + +HITOMARO + +Da tat der Held das Schwert um seinen Leib +Und nahm den Bogen in die feste Hand +Und schritt dem Heer des Kaisers stolz voran. + +Und alle Trommeln fingen an zu dröhnen +Wie Donnergroll, und die Drommeten klangen, +Dass man erschrak wie vor des Tigers Schrei. +Und hoch wie Feuerzungen flatterten +Die Fahnen,--ja, wie Feuer auf dem Felde +In Frühlingsnächten, von dem Wind entfacht, +So lohten flammend sie zum Himmel auf. +Und in der Hand der Krieger schwirrten jetzt +So fürchterlich die Bogen, dass man glaubte, +Ein grimmer Sturmwind jage mit Gebrüll +Durch den verschneiten winterlichen Wald; +Und so wie wilder Schneefall in der Luft +Sich ineinander schüttet,--also schwirrten +Die Pfeile durcheinander, dicht an dicht. + + + + +TRÜBES LIED + +OZI + +Die Blüten rieseln nieder. Dichter Nebel +Verbirgt den See. Die wilden Gänse rufen +Erschreckt am heiligen Teich von Iware. + +Düstere Träume schatten um mein Haupt. +Mein Herz ist schwer. Wenn übers Jahr die Gänse +Von neuem rufen, hör ich sie nicht mehr. + + + + +AN DEN SCHNEE + +KAISER MOMMU + +Die Wolken sind von Flocken ganz erfüllt, +Der Wald scheint voll von weissen Weidenkätzchen, +Das ganze Firmament ist schimmernd hell, +Vom Wind getrieben weht der Schnee am Flusse,-- +Wenn ich die weissbedeckten Pflaumenbäume +In meinem Garten sehe, möcht ich glauben, +Sie blühten schon vom Frühling ganz und gar. + + + + +DER FUJI-YAMA + +AKAHITO + +Zum Himmel schauend, sehe ich den Gipfel +Des Fuji-Yama gross und feierlich +Ins Ewige schimmern; also ragt er schon +Seit jenen Zeiten, da die Erde sich +Vom Himmel schied; blick ich zu ihm empor, +So ist mir, dass der Glanz der Sonne sich +Verdunkelt, und der milde Schein des Mondes +Verschwindet ganz; die weissen Wolken aber +Tragen Bedenken, über seinen Gipfel +Dahinzuschweben, und es sinkt der Schnee +Mit stiller Ehrfurcht sanft auf ihn hinab. + +O Fuji-Yama, deine Herrlichkeit +Wird man noch preisen in den fernsten Tagen; +Bis zu der Dichter spätesten Geschlechtern +Wird deines Ruhmes Glanz nicht untergehn. + + + + +BETRACHTUNG + +AKAHITO + +Wenn stets der Kirschenbaum so wundervoll +Wie jetzt auf allen Höhen blühen würde, +Wir liebten seine schneeige Schönheit dann +Nicht so wie jetzt, da nur den Lenz sie ziert. + + + + +DIE TRAUERWEIDE + +MUSHIMARO + +Die Trauerweide auf dem Grab des Mädchens +Lässt ihre Zweige nur nach einer Seite +Hinüberhangen. Eines Jünglings Hügel +Erhebt sich dort. Wer möchte nun noch zweifeln, +Wem jenes toten Mädchens Liebe galt? + + + + +DER MOND + +EDELDAME ISHIKAWA + +Seht, wie er sieghaft durch die Wolken bricht! +Sein wunderbarer Glanz flicht Silbernetze, +Die über Land und Meer sich schimmernd breiten, +Auch über meinen Strand, wo nun die Steinchen +Des Sandes klar wie Diamanten schimmern. + + + + +FRÜHLINGS ENDE + +KIBINO + +Der Wind trieb alle Blütenblätter von +Den Zweigen weg. Der Frühling, der schon lange +Kränklich und blass war, ist geschwunden. Nur +Der süsse Duft der Pflaumenblüte blieb +Am Ärmel meines seidenen Gewandes +Gleich einem schönen, müden Traum zurück. + + + + +FRÜHLINGS ENDE + +OKISHIMA + +Im Bambushaine meines Gartens hör ich +Die Nachtigall mit müder Stimme klagen,-- +Sie trauert, weil die weissen Pflaumenblüten +In Scharen von den Bäumen niederfallen, +Weil nun der Lenz mit seinen Wundern flieht. + + + + +IN DER FREMDE + +YAKAMOCHI + +Verbannt von meinem Kaiser, leb ich nun +Fünf Jahre schon in fremdem, wildem Lande, +Entbehrend deinen Anblick, süsses Weib. + +Nie darf ich mehr zur Nacht mein müdes Haupt +Auf deinem lieben, weichen Arme betten; +Hör, was ich tat in meiner Einsamkeit: + +Ich säte Nelken aus in meinem Garten; +Wenn sie in Blüte stehn, so denk ich immer +An dich, die meine schönste Nelke war. + +Dies ist der einzige Trost, geliebtes Weib, +In meiner öden Fremde. Ohne ihn +Würf ich mein Leben unbedenklich ab. + + + + +HEIMWEH + +YAKAMOCHI + +Wenn sich der Abend niedersenkt und Nebel +Eintönig wallen übers graue Meer, +Und wenn die Kraniche mit müder Stimme +Ins Dunkel rufen, traurig anzuhören,-- +Dann denk ich meiner Heimat, schmerzdurchweht. + + + + +DER BLÜTENZWEIG + +FUJIWARA NO HIROTSUGU + +Nimm diesen Blütenzweig! In jedem Blatte +Der zarten Blüten schlummert hundertfach +Ein Liebeswort aus unruhvoller Brust. + +O weise meine Liebe nicht zurück! + + + + +DER FREUND DES WEINES + +TABITO + +Wenn ich nicht wäre, was ich bin: ein Mensch,-- +Ich möchte eine Reisweinflasche sein, +Um recht nach Herzenslust in meinen Hals +Den edeln Saft zu saugen, den ich liebe. + + + + +AM UFER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Von jenem Ufer winkt mir die Geliebte, +Hier stehe ich, mit ruhelosem Sinn, +Das Herz erfüllt von ungestümer Sehnsucht, +Und seufze, seufze endlos. Hätt ich doch +Ein rotlackiertes Schifflein jetzt zur Hand +Und auch ein Ruder, voller Kunst besetzt +Mit Edelsteinen,--hurtig wie der Wind +Lenkt ich hinüber, um mit ihr zu plaudern, +Und schmiegte glücklich mich an ihre Brust! + + + + +BITTE AN DEN HUND + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Wenn mein Geliebter in der Nacht +Den Binsenzaun durchbricht und leise +Zu mir hereinsteigt,--Hund, ich rate +Dir ernstlich: hülle dich in Schweigen, +Verrate ihn den Leuten nicht,-- +Es soll dir gut gehn, lieber Hund! + + + + +DER TEICH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dir, Teich von Miminaschi, gilt mein Hass, +Denn meine Liebste hat verzweifelnd sich +In dich gestürzt und ist in dir ertrunken. +Warum bist du nicht schnell vertrocknet, als +Die Holde kam, in dir den Tod zu finden? +Ich hasse dich, erbarmungsloser Teich! + + + + +TRENNUNG + +UNBEKANNTER DICHTER + +Trotz aller Hindernisse, +Die dem eilenden Flusse +Entgegentreten: +Alle Wasser, die sich trennen, +Um Bänke und Riffe herum, +Strömen doch endlich. +Endlich wieder +Jubelnd zusammen! + + + + +VERTRAUEN + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Die Mutter hat aufs strengste mir verboten, +An deiner Brust zu schlafen, mein Geliebter, +Obwohl mir das Orakel klar verhiess, +Dass ich dereinst die Deine werden soll. +So lauter wie das nie getrübte Wasser +Des Teiches von Kiyosmi ist mein Herz +Und ist so tief auch wie der Grund des Teiches, +Und immer wird es deiner treu gedenken +Und wird vertrauend harren in Geduld, +Bis dass ich ganz mit dir vereinigt bin. + + + + +ÜBER DIE HEIDE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Was für ein Mensch ist das, um dessentwillen +Du, schöne Frau, mit Mühe und voll Sehnsucht +Die Heide von Miyake überquerst? + +Beschwerlich ists, durch das Gestrüpp zu wandern. +Qualvoll ist dieser Gang für Frauenlenden, +Weh, wenn dich deine Eltern sähen, Kind! + +So zart wie weisses Linnen glänzt dein Antlitz, +Dein langes Haar ist dunkel wie das Innre +Der Mina-Muscheln, die das Meer ausspeit. + +Ein Kamm aus Buchsbaum steckt in deinen Haaren. +Wem eilst du zu? Wer bist du, holdes Wesen? +O Götterlust, mein Weib eilt zu mir her. + +Da sie die Sehnsucht nicht ertragen kann! + + + + +BANGNIS + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich lehne mich an deine Brust, Geliebter, +Und das Vertrauen, das ich in dich setze, +Ist so, als ob ich einem grossen Schiff +Mich anvertraute. Lang und immer länger +Denk ich an dich, so wie die Efeuranken +Hinkriechen an der Mauer, lang und länger. +O wären wir vor Unheil stets bewahrt! +Ich schlinge meinen Ärmel um die Schultern +Und stelle fromme Weihgefässe auf +Und flehe zu den Göttern, die im Himmel +Und auf der Erde walten, dass sie dir +Und mir und unsrer Liebe gnädig seien! + + + + +DIE SCHÖNE KURTISANE + +UNBEKANNTER DICHTER + +O liebliche Tamana, lächelnde +Verführerin, die Schlankheit deiner Lenden +Ist dem geschmeidigen Leib der Biene gleich. + +Dein Busen ist von edler Form, du stehst +Wie eine Blume da, du hast ein Lächeln, +Dass alle Leute, die vorübergehn, + +Die Schritte hemmen. Ungerufen naht sich +Die Schar der Männer, steht vor deinem Tore, +Von dir berauscht und voll Begehr nach dir. + +Im Hause, das dem deinen nahe liegt, +Macht sich der Gatte von der Gattin frei +Und steckt dir zu den Schlüssel seiner Türe. + +Vernarrt in dich ist alles. Du verstehst es, +Die Herzen zu gewinnen durch ein Lächeln, +Und Üppigkeit und Wollust sind dein Teil. + + + + +QUALVOLLE EIFERSUCHT + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich habe heut den ganzen langen Tag, +Seitdem die Sonne überm Horizont +Heraufkam, und die ganze lange Nacht, +In der ich schlaflos in das Dunkel starrte, +Getobt vor Jammer und geweint vor Wut! + +Denn du, ich weiss es, hast in einer Hütte +(Ich möchte sie den Flammen übergeben!) +Auf alten, schlechten, strohgeflochtnen Matten +(Die wert sind auf dem Kehricht zu vermodern!) +Die plumpen Wangen einer Bauerndirne +Gestreichelt und geküsst, und hast in Liebe +Bei ihr geweilt die ganze lange Nacht! + + + + +VERGEBENES BEMÜHEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dass wir uns lieben, hab ich abgestritten, +Mit heftigen Worten hab ich es geleugnet, +Ich habe mich so angestrengt mit Leugnen, +Wie man sich anstrengt, wenn man einen Lastkahn +Am Kap des leuchtenden Naniwa-Hafens +Mit einem Seile mühevoll dahinzieht,-- +Und dennoch bin ich, nichts hat mir genützt, +In das Gerede aller Welt gekommen! + +WUNSCH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nicht wertvoll scheint das Leben mir; jedoch +Da ich so sehr dich liebe, wünsch ich wohl, +Dass ich noch lange, lange leben möge, +Um lang noch meine Liebe zu geniessen. + + + + +DIE TRÄUME + +FRAU KOMACHI + +Seit ich im Traum den Mann seh, den ich liebe,-- +Seit jener Zeit erst liebe ich der Träume +Buntfarbene Falter als das köstlichste +Geschenk der Nacht, das ich nicht missen möchte. + + + + +EINSAM + +FRAU KOMACHI + +Der Blüten holde Schönheit ist entwichen, +Der rauhe Regen hat sie ganz zerstört, +Indessen ich, zwecklos in diesem Dasein, +Einsam den Blick ins Leere schweifen liess. + + + + +DAS LOTUSBLATT + +HENJO + +Ganz ohne Makel, weiss und leuchtend, blüht +Das Lotusblatt. Es scheint ganz ohne Trug-- +Und dennoch lügt es: denn das eitle will +Uns glauben machen, dass im edeln Schmucke +Von Diamanten es erstrahle,--und +Es sind doch Tropfen Taus nur, die es zieren! + + + + +FAMILIENSTOLZ + +HENJO + +Die Meinen sind so stolz, dass sie verlangen: +Der Name, den wir tragen, solle immer +So völlig unverfälscht sein wie die dunkle, +Von künstlichen Essenzen nicht berührte +Nachtfarbe meines ungekämmten Haars. + + + + +SCHWERMUT + +PRINZ NARIHIRA + +Wenn nie die Blüten auf den Kirschenbäumen +Erstünden, brauchte unser Herz auch nie +Zu klagen, wenn die holden Blüten sterben. + +Dir gilt mein Hass, o Mond. Denn viele Monde, +Die sich allmählich aneinanderfügen, +Berauben mich der Wonnen meiner Jugend. + +Ich weine meine Ärmel feucht bei Nacht, +Sie werden feuchter als vom Tau des Herbstes, +Denn du bist fern, der meine Sehnsucht gilt. + + + + +TAGELIED EINES MÄDCHENS + +PRINZ NARIHIRA + +Nimm dich in acht, o Hahn, der krähend von +Der Liebe Bett uns aufscheucht! Wenn der Tag +Erschienen ist, so schleudr ich in den Rachen +Des Fuchses dich, damit er dich vertilgt. +Der du den Liebsten mir so schnell, so schnell +Entführst durch dein abscheuliches Geschrei! + + + + +LIEBESKUMMER + +PRINZ NARIHIRA + +Da ich am Morgen durch die Büsche ging +Des taubenetzten, herbstlichen Gefildes, +Nässt ich den Ärmel mir. Doch ganz durchfeuchtet +Ward er erst nachts von meinen vielen Tränen, +Da jene mich allein liess, die ich liebe. + + + + +SEHNSUCHT NACH DER NACHTIGALL + +TOMONORI + +Ich will den Frühlingswind, o Nachtigall, +Mit weichen Blumendüften zu dir senden, +Damit sie dir den Weg herüberweisen +In unsre Flur,--wir warten schon so lang! + + + + +DAUER IM WECHSEL + +TOMONORI + +Der Kirschbaum stand in Blüten. Schwarz und jung +Fiel mir das Haar vom Haupt, indes ich tanzte. + +Der Kirschbaum stand in Blüten. Frisch und jung +Erglänzten sie,--mein Haar war grau geworden. + +Heut wieder blüht der Kirschbaum. Himmlisch jung +Wie immer lächeln seine Blüten nieder,-- + +Mein Haar ward weiss, ich stehe sinnend da. + + + + +GLEICHE SEHNSUCHT + +TOMONORI + +Der Abend kommt herab. Nun wandr ich an +Den Sao-Fluss, im Windhauch seines Ufers +Die Freundin zu erwarten. Was erklingt +Im Dunkel so voll Sehnsucht? Horch, das ist +Der einsam-schwermutvolle Ruf der Möwe, +Die sich nach der Gefährtin sehnt, wie ich. + + + + +DIE WILDGANS + +OCHI + +Vorüber ist die böse Winternacht. +Der Lenz zog ein. Dort durch die Silberwolken +Breitet die Wildgans kreischend ihre Flügel. + +Sie strebt nach Norden, wo seit Monden schon +Das Mädchen weilt, nach dem mein Herz sich sehnt. +O Wildgans, nimm mich mit auf deinen Flügeln! + + + + +FRÜHLINGSREGEN + +OTOMO KURONUSHI + +Sie weinen alle, da die Kirschenblüten +Zur Erde rieseln. Dieses fällt mir ein: +Ob wohl der Regen, der im Frühling fällt, +Die Tränenflut der trauernden Menschen ist? + + + + +BETRACHTUNG + +FRAU ISE + +Am Ufer von Naniwas Seebucht seh ich Rohr +Mit kleinen Spannen schwanken in dem feinen Windhauch. + +Gelehnt an deine liebe Schulter, muss ich denken, +Ob ich wohl leben könnte, wenn mich das Geschick. + +Die allerkleinste Spanne Zeit von dir entfernt +Zu weilen zwänge, mein zu sehr Geliebter! + + + + +TRÜBSINN + +MITSUNE + +Du flohest in die Berge, voller Hass +Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun +Dich auch der dunkle Trübsinn überfällt,-- +Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund? + + + + +HEUTE! + +MITSUNE + +Bald wird der Sturmwind durch die Fluren heulen +Und Laub und Früchte von den Bäumen schütteln +Und Blüten knicken, wo er immer weht. +Drum, willst du Blüten pflücken,--tu es heute! +Vielleicht, vielleicht ists morgen schon zu spät. + + + + +AN EINEN FREUND + +MITSUNE + +Du kommst nur, um die Blumen blühn zu sehen +Bei meinem Hause. Sind sie erst verwelkt, +So weiss ich wohl, dass ich mich Tag für Tag +Umsonst nach deinem Kommen sehnen werde. + + + + +ERINNERUNG + +TADAMINE + +Da ich von ihr auf ewig schied, stand fühllos +Und blass der Mond am Morgenhimmel da. + +Nichts quält mich schrecklicher seit jenem Morgen, +Als wenn ich in der Frühe, müd erwacht, +Den Mond in fahler Dämmerung hängen seh. + + + + +FROMMER WUNSCH + +TADAMINE + +Ich wünschte wohl, dass ich in Mondschein mich +Verwandeln könnte. Endlich würde dann +Das Mädchen, das ich so voll Inbrunst liebe. +Mit schmachtendem Gefühle mich betrachten, +Während es jetzt nur grausam zu mir ist. + + + + +HALTLOS + +TADAMINE + +So wie die Wasserlinsen auf dem Fluss +Ganz wurzellos und ohne jeden Halt +Hierhin und dahin ziehn: so treib auch ich +Haltlos umher im Strome meiner Liebe. + + + + +DAS KLAGENDE HERZ + +FUKAYOBU + +Vergleichbar einer Wildgans ist mein Herz, +Das krank von Sehnsucht dir entgegenschlägt. +Es irrt umher und klagt voll banger Unruh, +So wie die Wildgans in dem Meer der Luft. + + + + +DIE ALLERERSTEN BLÜTEN + +MASAZUMI + +Froh sprudeln durch die Ritzen nun des Eises, +Das vor dem Lenz zergeht, die weissen Wellen +Des Giessbachs auf: die ersten weissen Blüten +Des lieben Frühlings möchten sie uns sein. + + + + +DAUERNDE ERINNERUNG + +KI NO ARITOMO + +Ich wünsche ein Gewand mir von der Farbe +Der Kirschenblüten. Wenn die Blüten dann +Schon lang verwelkt sind, werd ich immer doch +Durch mein Gewand an ihre Lust gemahnt. + +JUBEL + +TSURAYUKI + +Was seh ich Helles dort? Aus allen Gründen +Zwischen den Bergen quellen weisse Wolken +Verlockend auf,--die Kirschen sind erblüht! +Der Frühling ist gekommen, wunderbar! + + + + +BLÜTEN UND HERZEN + +TSURAYUKI + +Ihr meint, zu balde weht die Kirschenblüte +Im Wind dahin? Ach, flüchtiger ist manches. +Verändert sich das Herz des Menschen nicht +Oft schneller, als ein Windhauch sich erhebt? + + + + +SCHNEE IM FRÜHLING + +TSURAYUKI + +Der Frühling naht mit seinem Dunst. Die Bäume +Setzen schon Knospen an. Doch von dem Himmel +Fällt Schnee auf Schnee, als wollt er nimmer enden. +Wie sonderbar,--nun sinken Blüten nieder, +Obwohl der Lenz noch keine Blüten schuf. + + + + +BLÜTENSCHNEE + +TSURAYUKI + +Leis senkt sich Schnee auf uns herab, und dennoch +Weht lauer Windhauch zart an unsre Stirnen. +Geschah ein Wunder denn? O welch ein Schnee, +Des Heimat nie der Himmel war! Es ist ja +Der holde, duftgeborene Frühlingsschnee +Der Kirschenblüten! + + + + +SEITDEM ICH DICH LIEBE + +ATSUTADA + +Seitdem ich dich liebe, +Vergleiche ich meine Gefühle +Und meine kühnen Gedanken +Mit jenen, die ich früher hegte. + +Und ich erkenne, +Dass ich früher +Ganz gedankenlos +Und, ach, ganz fühllos war. + + + + +GESTEIGERTE SEHNSUCHT + +ATSUTADA + +Sehr gross war meine Sehnsucht, eh ich zur +Geliebten kam. Doch jetzt, da ich bei ihr +Glückselige Zeit verbringen durfte, bin ich +Wohl ganz beschwichtigt und gestillt? O nein! +Viel mächtiger ist meine Sehnsucht nun, +Viel ungebändigter als je zuvor! + + + + +ANKUNFT DES FRÜHLINGS + +UNBEKANNTER DICHTER + +Noch glänzt der Schnee hernieder von den Bergen, +Doch regt sich schon der Frühling in dem Tal. +Die Tränen, die die Nachtigall geweint hat. + +Und die zu Eis gefroren waren, tauen +Allmählich auf. Im holden Duft der Tage +Erklingt nun bald das Lied der Frühlingsbraut. + +Der Nebel, der noch um die Büsche schleift. +Ist nur ein leichtes, schmächtiges Gewebe,-- +Ein Windhauch durch die Flur--und er zerstiebt. + +Wie herrlich glänzt die Weide schon am Bach! +Auf ihrem dünnen, wallenden Gezweige +Reiht sich der Tau zu silbernen Perlen auf. + +Und gar der Pflaumenbaum! Er steht schon prunkend +Im Kleide seiner weissen Blüten da, +Verklärend jedes Auge, das ihn schaut. + +Welch holdes Wesen war es, das ihn leise +Gestreift hat mit dem seidnen Saum des Ärmels, +Da es versonnen ihm vorüberging? + + + + +LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Liebe rast durch meine Brust, +So wie durch weite, dunkle Wälder +Ein Berggewässer unterm Laub +Der ungeheuren Bäume rast. + +Die Fichte trotzt auf Felsenhöhen +Fast ohne Nahrung Wind und Wetter. +Die Liebe braucht noch weniger Reichtum, +Um froh zu trotzen aller Welt! + + + + +DAS ALTER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn ich erführe, dass das Alter mich +Besuchen wollte,--flugs schlöss' ich die Tür, +Und "Ich bin nicht zu Hause!" würd ich rufen, +Und nimmermehr liess ichs zu mir herein. + + + + +LIEBEN UND STERBEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wer hat der Liebe denn den Namen "Liebe" +Dereinst gegeben? Viel bezeichnender +Hätt er den Namen "Sterben" ihr verliehn, +Denn Lieben, das ist Sterben,--wahrlich, wahrlich! + + + + +DAS MÄDCHEN AUF DER BRÜCKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Das rauschende Gewässer Katashiwas +Ist überwölbt von einer schönen Brücke, +Der purpurroter Lack zum Schmuck gereicht. +Ein zartes Mädchen wandelt unbegleitet +Mit kleinen Füssen trippelnd drüber hin; +Ein blaues Kleid mit rotem Rande schmiegt sich +An ihre feinen Hüften wohlig an. +O wüsste ich, ob ihre Hand noch frei ist, +Ob nicht ein andrer schon dies Herz gewann! +Schnell sagt mir, wo sie wohnt! Ich wills versuchen, +Ob ich sie noch für mich gewinnen kann! + + + + +LIEBESQUALEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Ärmel meines Kleides sind durchfeuchtet +Von vielen Tränen. Allen, die mich fragen, +Sag ich, dass es vom Frühlingsregen sei. + +Ich meinte immer, dass das Kraut Vergessen +Auf Beeten wachse. Nun hab ich erfahren, +Dass es in liebelosen Herzen blüht. + +Unsinnig ist es, Worte hinzuschreiben +In fliessendes Gewässer. Doch der Gipfel +Des Wahnsinns ist es: seine Liebesträume. + +Zu widmen einer Frau, die fühllos ist. + + + + +HERBST + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Gräser und die Bäume und die Blumen +Veränderten die Farben ganz und gar,-- +Nur an des grossen Meeres Wellenblumen, +Den immer gleichen, kannst du nicht erkennen, +Dass nun der bunte Herbst gekommen ist. + + + + +SCHATTEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich bin vor lauter Sehnsucht abgemagert +Gleich einem Schatten. Könnt ich wenigstens +Ersetzen nun den Schatten der Geliebten, +Dass ich zu ihren Füssen weilen dürfte! + +Jedoch auch dieser Dienst bleibt mir versagt. + + + + +SCHNEE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn so wie dort der Schnee gewaltig anwächst, +Sich auch die öden Nächte mehren würden, +Da du mir fern bist,--o ich wünschte wohl, +Dass mich das Dasein länger nicht bedrücke, +Dass ich so bald hinschwände wie der Schnee. + + + + +IMMER WIEDER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich weiss es: alle Mühe ist umsonst, +Dir zu begegnen. Dennoch, immer wieder. +Geh ich hinaus und hoffe dich zu finden,-- +Wie könnt ich ruhn, da ich voll Sehnsucht bin! + + + + +SCHLAFLOS + +UNBEKANNTER DICHTER + +In schlafgemiedner Nacht hör ich die Rufe +Des Kuckucks aus den Bergen klingen. Ach, +Bist du von Liebesschmerzen auch geplagt, +Dass du nicht schlafen kannst, o ferner Vogel? + + + + +UNERWIDERTE LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich wünschte, dass es möglich sei, die Herzen +Der Menschen zu vertauschen. Dann, o Freund, +Nachdem mein armes Herz du eingetauscht. +Würdest auch du einmal begreifen lernen, +Wie Liebe quält, die nicht erwidert wird. + + + + +SEHNSÜCHTIGER GEDANKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn du zur Blüte sprächest: Welke nicht, +Bleib an dem Zweige haften, den du zierst,-- +Und es geschähe wirklich, was du wünschest,-- +Gäb es wohl Holderes in dieser Welt? + + + + +DER DUFTENDE ÄRMEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Mein Ärmel duftet köstlich, da ich Blüten +Vom Pflaumenbaume pflückte. Dicht bei mir +Hebt plötzlich eine Nachtigall melodisch +Zu singen an, vom Duft herbeigelockt: +Die Holde meint, hier sei ein Baum erblüht. + + + + +DAS KOPFKISSEN + +KANEMORI + +O Fürst, Ihr bietet Euren Arm mir an +Als Kissen für die Nacht? Ich wag es nicht,-- +Denn sicher: Eure Liebe wär verrauscht, +Bevor die Nacht noch in den Tag verrinnt; +Ich aber, recht entflammt erst, würde nimmer +Vor Liebesschmerz und Sehnsucht meine Ruhe +Zurückgewinnen,--darum quält mich nicht. + + + + +HEIMLICHE LIEBE + +KANEMORI + +Obgleich ich mir die grösste Mühe gebe, +Mein leidenschaftlich Fühlen zu verbergen, +Ist doch mein Angesicht so sehr verwandelt, +Dass jeder, den ich treffe, mich mit Schrecken +Befragt, welch eine Krankheit in mir wühle, +Da ich so ganz und gar verändert sei. + + + + +BEI BETRACHTUNG DES MONDES + +UNBEKANNTE KURTISANE + +Sehr weit von dir entfernt, betracht ich mit +Verliebtem Auge den gestirnten Himmel. + +O! wenn der Mond sich jetzt in einen Spiegel +Verwandeln würde, mir dein Bild zu zeigen! + +Doch er bleibt Mond und lacht nur meiner Qual. + + + + +UNMÖGLICHKEIT + +OKI KASSI + +Wie könnt ich deine wundervolle Schönheit, +Die allzu spröde, die ich ohne Hoffnung +Anbete, aus dem wirren Sinn mir reissen, +Da sie mir jede Nacht im Traum erscheint, +Um mir zu sagen, dass ich hoffen solle! + + + + +SCHWERMUT + +TERANGE + +Ich armer Tropf! Ein anderer besitzt +Das Herz des schönen Mädchens, das ich liebe. + +Mir kommt die Trauerweide in den Sinn +Am Rande meines Gartens. Mir gehört. + +Die Weide zwar, doch ihre Zweige schmücken +Des Nachbars Garten und den meinen nicht. + + + + +VERZWEIFLUNG + +SIGEYUKI + +So wie die Woge +Im Sturmwind +Am felsigen Ufer zerbricht,-- +So zerschellt meine Liebe +An deines Hochmuts +Trotzigen Felsen, +Kalte Geliebte. + + + + +DIE VERLASSENE + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Freund, ahnst du nicht, +Wie unendlich traurig und lang +Die Nacht ist, vom Abend her +Bis zur schimmernden Morgenröte, +Wenn ich einsam, einsam, einsam +Seufzend daliege +Auf meiner tränenbefeuchteten +Binsenmatte? + +Ahnst du das nicht? + + + + +NOCH EINMAL + +FRAU IZUMI SHIKIBU + +Noch einmal lass mich, o Geliebter, +Bevor ich diese Welt verlasse, +Dein liebes Antlitz wiedersehen, +Dass ich es tief in meine Seele +Einpräge und es mit mir nehme +Ins dunkle Land der Ewigkeit. + + + + +DIESELBE NACHT + +FRAU INNO BETTO + +Wie kommt es, +Dass ein und dieselbe durchwachte Nacht +Deinem Herzen die Ruhe gab. +Während sie mich +Für den Rest meines Lebens +Mit ganz wahnsinniger +Liebe erfüllt hat? + + + + +ERREGUNG + +FRAU HORIKAWA + +O Gott, ob er mir treu bleibt? Himmel! Himmel! +Ich weiss es nicht; ich weiss nur, dass mein Hirn, +Seitdem das Morgenrot ihn von mir riss, +So ganz verwirrt ist wie mein dunkles Haar, +Das seine Wildheit mir so wirr gemacht. + + + + +JAMMER DER ERDE + +FUJIWARA NO TOSHINARI + +Auf dieser Erde ward kein Weg gebahnt, +Dem Kummer und dem Elend zu entfliehn. + +Selbst wenn ich in die tiefen Berge streife, +Wohin mich eine alte Sehnsucht zieht, +Tönt das Geschrei der abendlichen Hirsche +Wehklagend melancholisch an mein Ohr. + + + + +GEDANKEN + +SAIGYO + +So wie der Rauch des Fuji-Yama blass +Und ziellos in die windigen Lüfte steigt. +Um dann zu sterben an dem weiten Himmel: +So steigen die Gedanken, die ich hege, +Ziellos und zwecklos und auf flüchtigen Pfaden +Ins Blau hinein und schwinden spurlos hin. + + + + +SCHWERMUT + +SAIGYO + +Und wer in seinem Herzen noch so sehr +Verhärtet ist: ein Weh durchschauert ihn, +Und Schwermut senkt sich tief in sein Gemüt, +Wenn er zur Dämmrung aus den sumpfigen Wiesen +Die Schnepfen in den Abend steigen sieht. + + + + +VOM MOND + +SAIGYO + +Vom Mond soll ich in Versen zu euch reden? +O zwecklos. Denn wer könnte das begreifen, +Was mich erfüllt, was mich im Innersten +Bewegt und in mir aufblüht tief und dunkel. +Wenn sich mein Herz in unruhvollen Nächten +Zu dir emporhebt, o geliebter Mond? + + + + +ABSCHIED VON DEN BLÜTEN + +SAIGYO + +So innig hab ich mit den holden Blüten +Des Frühlings mich befreundet, dass mir scheint, +Wir seien eins geworden, sie und ich. +Da sie nun welken, von der Zeit bezwungen. +Und traurig hingehn, mich alleine lassend. +Füllt sich mein Herz mit namenlosem Jammer, +Und schluchzend nehm ich Abschied, fassungslos. + + + + +BLÜTEN + +SAIGYO + +Wie kommt es, dass die Blüten nimmermehr +Aufhören, meine Seele zu entzücken? +Ich habe längst mich von der ganzen Welt +Zurückgezogen; alles ist mir gleich.-- +Wie aber kommt es, dass ich ganz beglückt +Beim Anblick einer schönen Blüte bin? + + + + +DAS ALTER + +KIUTSUNE + +Einst lagen volle Blumen, wie der Schnee so weiss. +Auf meinem schwarzen Haar; sie leuchteten +Und waren köstlich, doch der Sturm hat sie verweht. + +Die weissen Blüten, die das Haupt mir heute zieren, +Sind nicht von jenen, die der Wind verweht. +Des Alters Blumen sind erblüht in meinem Haar. + + + + +STEUERLOS + +SONE NO YOSHITAKA + +So wie der Schiffer, der sein Steuerruder +Verlor auf wilder See, nun der Gewalt +Der Elemente preisgegeben hintreibt: +So fühl ich meine Liebe steuerlos +Hintreiben auf dem Meere des Gefühls. + + + + +AN DIE KIRSCHENBLÜTEN + +SAKINO DAISOJO GYOSON + +Duftige Kirschenblüten! Liebliche +Mitwisser meiner Qual! Zeigt doch ein wenig +Mitleid mit diesem Herzen,--denn nur ihr +Kennt ja mein grosses Weh; den andern allen +Muss ichs verschweigen, dass ich elend bin. + + + + +AN DIE WILDGÄNSE + +PRINZ MUNENAGA + +Eilt nicht so sehr, Wildgänse dort am Himmel, +In eure alte Heimat heimzukehren,-- +Wisst ihr denn nicht, dass eurer Heimat Berge +Euch längst vergassen, da ihr ferne wart? + + + + +LIEBESBRIEF + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Gross ist mein Wunsch, dein Angesicht zu schauen. +Und gross ist meine Lust, mit dir zu plaudern,-- +Doch muss ich solcher Freuden mich enthalten. + +Denn wenn durch Zufall einer von den Meinen +Oder auch einer von den Nachbarn nur +Erführe, dass wir beieinander waren, + +Ich würde Qualen leiden wegen des +Geschwätzes, das man führte. Dass mein Ruf, +Mein guter Ruf verloren ginge, war. + +Mir völlig gleich. Doch würd ich trostlos sein, +Wenn des verlornen guten Rufes wegen +Du weniger mich liebtest als zuvor. + + + + +VERGEBENES WARTEN +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA + +Ich harre meiner Liebsten in der Nacht. +Ich höre, wie die Glocke Stund um Stunde +Ins Dunkel ruft. Abscheulich ist fürwahr +Der Schrei des Hahns, wenn er die Liebenden, +Die sich umarmen, auseinanderreisst. +Doch er bedeutet nichts, verglichen mit +Der fürchterlichen Qual, da man umsonst +Mit wilder Sehnsucht auf die Liebste harrt! + + + + +UM MIT DIR ZU LEBEN + +VOLKSLIED + +Um mit dir zu leben, die ich liebe, +Wäre es mir recht, +In ärmlicher Hütte zu hausen, +Mich am Webstuhl zu mühen +Oder am Spinnrad. + +Um mit dir zu leben, die ich liebe. +Wäre es mir recht, +Die Wäsche zu waschen +Im fliessenden Fluss +Oder das Gras in der Sonne zu schneiden. + + + + +DER LIEBESLAUT + +KURTISANE SEGAWA + +Da traf ein Laut, ein zarter Liebeslaut, +Der aus dem ersten Stockwerk kam, mein Ohr: +Und das war süss und lieblich wie das Säuseln +Der Frühlingsblumen, die um Mitternacht +Am More-Flusse ihren Duft verstreun. + + + + +DIE WEIDE IM WIND + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Sommerweide +Zeigt ihren schlanken Stamm, +Wenn der wehende Wind +Durch ihre feinen Zweige fährt. + +Deine schlanken Füsse, meine Weide, +Sah ich heute, +Da der verliebte Wind +Kosend durch deine Kleider fuhr. + + + + +NACH DEM BADE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn sie dem Bad entsteigt, so flammt +Ihr schönes Antlitz feurig auf, +Dass sie dem roten Ahorn gleicht, +Der herrlich durch den Herbsttag glänzt. + + + + +BESCHRÄNKUNG + +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA + +Ach, eng begrenzt ist der Besitz, den uns +Das Schicksal schenkt. Zuerst geht unsre Sehnsucht +Nach einem ragenden Gebirg. Sodann +Scheint uns ein Berg genug,--dann gar ein Hügel, +Und wird auch der uns nicht zuteil, so sind +Zufrieden wir mit einem Blütenbusch. + + + + +LEICHTES SPIEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nichts leichter, als ein Mädchenherz +Beim milden Duft der Pflaumenblüten +Bis in die Tiefen zu betören +Durch Liebessang und Flötenspiel! + + + + +DIE MORGENGLOCKE + +SANDARA + +Wenn du, erbarmungslose Morgenglocke, +Den Schmerz der Liebestrennung ahnen würdest. +Du würdest nicht die wahre Stunde rufen +Beim Morgengrauen,--sondern würdest gerne +Bereit sein, lügnerisch die Zeit zu künden. + + + + +TÄUSCHUNG + +YORIKITO + +Ich glaubte, dass die weissen Blüten +Des Frühlings mir entgegentrieben. + +Ich irrte mich. Es war das Glänzen, +Das Liebesglänzen deiner Schönheit. + + + + + +GELEITWORT +ANMERKUNGEN +ANORDNUNG + + + + +GELEITWORT + +Die japanische Lyrik lässt sich gut mit den japanischen +Tuschzeichnungen vergleichen: sie gibt, gleich jenen, mehr Andeutung +als Ausführung, sie will in aller Kürze einen fest umrissenen Eindruck +erreichen, sie hat einen vorwiegend impressionistischen Charakter. Wir +finden in ihr, gerade wie in den japanischen Zeichnungen, vor allem +die Liebe für das Zarte und Blütenhafte, für Frühling, Blumen und +feinen Duft. Die einzelnen Persönlichkeiten treten in dieser lyrischen +Kunst nicht stark hervor, im Gegensatz zur chinesischen. + +Japan ist das Land der Gelegenheitsdichter. Wir besitzen Gedichte von +Kaisern und Kaiserinnen, Hofleuten, Gelehrten und Kurtisanen. Im +zehnten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung war die Dichtkunst in Japan so +verbreitet, dass sich der Kaiser Daïgo veranlasst sah, ein +"Ministerium für poetische Angelegenheiten", wie wir heute sagen +würden, einzusetzen. Ein solches Ministerium gibt es jetzt nicht mehr, +aber die Freude an der Formung kleiner Gedichte ist in Japan noch +heute allgemein. + +Seit alters her gibt es für das japanische lyrische Gedicht nur eine +einzige, streng bewahrte, klassische Form: Tanka oder Uta genannt. Ein +solches Tanka besteht immer aus einunddreissig Silben, die sich auf +die fünf Zeilen des Gedichtes folgendermassen verteilen: 5-7-5-7-7. + +Das Tanka ist reimlos. Die japanische Sprache ist für den Reim nicht +geschaffen, denn sämtliche Worte endigen auf einen der fünf Vokale a, +e, i, o, u. Wollte man also reimen, so müsste man immer wieder zu den +gleichen monotonen Reimen einfacher Vokale greifen, und das wäre auf +die Dauer mehr grotesk als schön. Nein, die Aufgabe des japanischen +Dichters ist es im Gegenteil, die einzelnen Zeilen seines Tanka +möglichst auf verschiedene Vokale endigen zu lassen, um so eine +möglichst grosse Reichhaltigkeit an Klängen zu erzielen. + +Die Regeln des Tanka wurden schon 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung +durch Sosano-Ono-Mikoto, einen Dichter des heroischen Zeitalters, +fixiert. Im Jahre 905 nach Christi Geburt wurden sie durch den Dichter +Tsurayuki, den ersten Minister der Poesie unter Kaiser Daïgo, in der +Vorrede zu jener berühmten ersten grossen Anthologie, welche sich +Manyoshu nennt, befestigt. Diese Regeln wurden nie einer Veränderung +unterworfen und sind heute genau dieselben wie vor 2600 Jahren. In +alten Zeiten pflegte man auch mehrere Utas zu längeren Gedichten +zusammenzusetzen (Naga-Uta). Seit dem sechzehnten Jahrhundert +beschränkte man sich, besonders in Scherzgedichten, nicht selten auf +die ersten drei Zeilen eines Uta, um Gedichte von besonders +epigrammatischer Kürze zu bilden. Das sind die einzigen Varianten der +alten Form,--wenn man von Formvarianten hier überhaupt sprechen kann. + +Die ausserordentliche Kürze des Uta oder Tanka hat ihre Nachteile. Die +Dichter wollen möglichst viel in einem solchen Kurzgedicht ausdrücken +und werden nicht selten dunkel durch übertriebene Kondensierung. +Kommentatoren haben alte berühmte Tankas immer wieder ausgelegt, und +über den Sinn so mancher Gedichte aus klassischer Zeit hat man sich +bis heute nicht einig werden können. + +Die Blütezeit der japanischen Lyrik liegt weit zurück. Die erste +klassische Epoche wird repräsentiert durch die schon erwähnte grosse +Anthologie Manyoshu ("Sammlung der Myriaden Blätter"), die vermutlich +durch den Sammeleifer des Dichters Yakamochi zusammengebracht und im +Jahre 759 abgeschlossen wurde. Sie vereinigt in 20 Büchern 4500 +Gedichte; aus der grossen Zahl der in ihr vertretenen Dichter ragen +neben Yakamochi vor allem der Elegiker Hitomaro, der Landschafter +Akahito und der Realist Okura hervor. Hitomaro gilt in Japan als der +grösste Dichter der Nation. Man hat ihm Tempel errichtet, und sein +Leben, von dem man wenig weiss, ist durch die Legende phantastisch +ausgeschmückt worden. Es geht das Gerücht, ein Poet brauche nur +Hitomaro anzurufen, um ein gutes Gedicht bilden zu können. + +Die Dichter der bald folgenden zweiten, "goldenen" klassischen Epoche +sind uns in einer anderen, 1100 Gedichte umschliessenden Anthologie, +im Kokinshu ("Sammlung alter und neuer Gedichte") erhalten, das im +Auftrage des Kaisers Daïgo durch den Dichter Tsurayuki gesammelt und +im Jahre 905 beendet wurde. Hier sind neben dem zarten Tsurayuki +besonders der mannhafte Henjo und der schwermütige Prinz Narihira zu +nennen, dessen hervorragende körperliche Schönheit noch heute +sprichwörtlich in Japan ist. + +Manyoshu und Kokinshu sind die wichtigsten aller japanischen +Anthologien, deren später, zumeist auf Veranlassung der Kaiser, noch +viele hergestellt wurden. Auch die Lieder unseres Buches gehen zum +grossen Teil auf jene beiden unerreichten klassischen Sammlungen +zurück. + +Der Blüte folgte ein trostloser Verfall. Hundert Jahre etwa hielt sich +die Dichtung noch auf einem würdigen Niveau, dann gelangte ein öder, +pedantischer Formalismus zur Herrschaft und legte alle freien +poetischen Regungen jahrhundertelang in Fesseln. Das Versemachen wurde +als eine erlernbare Beschäftigung betrachtet, die man nach bestimmten +starren Zunftgesetzen auszuüben hatte, wie es ja auch in Deutschland +eine Zeitlang Sitte war. Auch in Japan wurden, genau wie bei uns, +Sängerwettstreite (Uta-Awase) veranstaltet, die sich übrigens bis in +die neueste Zeit erhalten haben und die eine allgemeine Veredelung der +Poesie im Lande bezwecken sollten, während sie in Wirklichkeit gerade +das Gegenteil zur Folge hatten. Sogar den Frauen wurden solche +Sangeswettstreite eingeräumt, auf denen zumeist recht alberne Themata +zu Utas poetisch "verarbeitet" wurden. Der Preis der Sieger bestand +darin, dass ihre Poesien dem Kaiserpaare vorgelesen und zugleich mit +den eigenen Gedichten des Kaisers oder der Kaiserin veröffentlicht +wurden. + +Die eigentliche Entwickelung der japanischen Literatur seit der +klassischen Zeit bis heute hat dem Roman und dem Drama gegolten, aber +nicht der Lyrik. Motoori Norinaga, eine energische Kämpfernatur, die +man etwa mit Lessing vergleichen kann, hat sich gegen Ende des +achtzehnten Jahrhunderts leidenschaftlich bemüht, dem schrecklichen +Formelwesen der japanischen Liederdichtung ein Ende zu bereiten; sein +Streben war auch von einigen Erfolgen begleitet, aber eine wirkliche +Blüte hat die japanische Lyrik bis heute nicht wieder zu erreichen +vermocht, auch nicht durch jene von Europa beeinflussten +revolutionären Versuche, dem Versbau neue Formen zu erschliessen, die +von einigen kühnen Dichtern der letzten Zeit ausgegangen sind. + +Was die Nachdichtungen des vorliegenden Bandes angeht, so habe ich, +obwohl ein Freund konzentrierten Ausdrucks, erst in zweiter Linie auf +Knappheit der Form gehalten und vor allem der Klarheit und +Durchsichtigkeit mich befleissigt. Hätte ich überall die Knappheit der +Originale beibehalten wollen, so wäre ich oft gezwungen gewesen, den +Gedichten erklärende Fussnoten beizugeben, und auf diese Weise wäre +die Lektüre recht umständlich und überhaupt eine andere geworden, als +ich mir für diese Verse wünschte. Mir lag daran, Gedichte zu bilden, +die durch sich selbst einen poetischen Reiz ausüben sollten, und ich +möchte hoffen, dass von der japanischen Farbe wenigstens so viel auf +sie übergegangen ist, wie man bei derartigen Nachbildungen verlangen +muss. + +Die Vorbilder für meine Nachdichtungen sind vor allem in der +Geschichte der japanischen Literatur von Karl Florenz zu finden; auch +die kleinen Bücher von Enderling, Hauser, Kurth und Lange habe ich +verwertet. + +Hans Bethge + + + + +ANMERKUNGEN + +Zur Aussprache: ch lautet wie tsch, j wie dsch, y wie deutsches j, +sh wie sch; s ist scharfer dentaler Zischlaut (wie in Hast), z weicher +dentaler Zischlaut (wie in Sohn): r ist Zungen-r.--Die Vokale sind +kurz; ei lautet wie e. + +Seite 5. Fragment eines grösseren Gedichtes. + +Seite 7. Dies Gedicht steht an der Spitze der Sammlung Manyoshu. + +Seite 8. Muneto soll Aïnos zu Vorfahren gehabt haben. Er wurde deshalb +von den Höflingen gehänselt und richtete dieses Gedicht an sie. + +Seite 13. Fragment eines längeren Gedichtes an den Prinzen Takechi. + +Seite 14. Ozi wurde, da er Ansprüche auf den Thron geltend machte, +gefangen genommen und auf Befehl der Kaiserin Taizyo hingerichtet, im +Alter von vierundzwanzig Jahren. Das "Trübe Lied" soll er im Angesicht +des Todes gedichtet haben. + +Seite 16. Akahito steht in der Schätzung der Japaner gleich neben +Hitomaro. Die beiden berühmten Dichter werden "die beiden Weisen" +genannt. + +Seite 35. Naniwa, von je wichtig für die Schiffahrt, ist das jetzige +Osaka. + +Seite 37, 38. Frau Onono Komachi war ebenso berühmt durch ihre +Dichtungen wie durch ihre Schönheit und ihren Leichtsinn. + +Seite 49. Frau Ise war die Geliebte des Kaisers Uda, dem sie auch +ins Exil folgte; sie soll nach dem Tode ihres Freundes im Elend +gestorben sein. + +Seite 105. Das Yehon Chitoseyama, erschienen 1740, ist eine Sammlung +didaktisch-moralischer Gedichte. + + + + +ANORDNUNG + +CHRONOLOGISCH + +MOTOORI NORINAGA (1730-1801) + Die Seele Japans. Als Motto +AUS ARCHAISCHER ZEIT + Die schöne Nuna-Kawa-Hime +KAISERIN IWA NO HIME (4. Jahrhundert nach Chr.) + Die Wartende +KAISER YURYAKU (451-479 nach Chr.) + Liebeswerbung +MUNETO (7. Jahrhundert nach Chr.) + Der Glückliche +PRINZESSIN NUKADA (2. Hälfte des 7. Jahrhunderts) + In Erwartung +OKURA (etwa 660-733) + Das Elend der Welt +HITOMARO (etwa 662-709) + Einsam + Die Geliebte im Segelboot + Kriegszug +OZI (663-687) + Trübes Lied +KAISER MOMMU (697-707) + An den Schnee +AKAHITO (Mitte des 8. Jahrhunderts) + Der Fuji-Yama + Betrachtung +MUSHIMARO + Die Trauerweide +EDELDAME ISHIKAWA (8. Jahrhundert) + Der Mond +KIBINO (gestorben 775) + Frühlings Ende +OKISHIMA (8. Jahrhundert) + Frühlings Ende +YAKAMOCHI (gestorben 785) + In der Fremde + Heimweh +FUJIWARA NO HIROTSUGU + Der Blütenzweig +TABITO + Der Freund des Weines +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung MANYOSHU + (abgeschlossen im Jahre 759): + Am Ufer + Bitte an den Hund + Der Teich + Trennung + Vertrauen + Über die Heide + Bangnis + Die schöne Kurtisane + Qualvolle Eifersucht + Vergebenes Bemühen + Wunsch +FRAU KOMACHI (gestorben etwa 870) + Die Träume + Einsam +HENJO (815-890) + Das Lotusblatt + Familienstolz +PRINZ NARIHIRA (825-880) + Schwermut + Tagelied eines Mädchens + Liebeskummer +TOMONORI (845-905) + Sehnsucht nach der Nachtigall + Dauer im Wechsel + Gleiche Sehnsucht +OCHI (9. Jahrhundert) + Die Wildgans +OTOMO KURONUSHI (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts) + Frühlingsregen +FRAU ISE (um 900) + Betrachtung +MITSUNE (859-907) + Trübsinn + Heute! + An einen Freund +TADAMINE (868-965) + Erinnerung + Frommer Wunsch + Haltlos +FUKAYOBU + Das klagende Herz +MASAZUMI + Die allerersten Blüten +KI NO ARITOMO + Dauernde Erinnerung +TSURAYUKI (882-946) + Jubel + Blüten und Herzen + Schnee im Frühling + Blütenschnee +ATSUTADA (gestorben 943) + Seitdem ich dich liebe + Gesteigerte Sehnsucht +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung KOKINSHU + (abgeschlossen im Jahre 905): + Ankunft des Frühlings + Liebe + Das Alter + Lieben und Sterben + Das Mädchen auf der Brücke + Liebesqualen + Herbst + Schatten + Schnee + Immer wieder + Schlaflos + Unerwiderte Liebe + Sehnsüchtiger Gedanke + Der duftende Ärmel +KANEMORI (10. Jahrhundert) + Das Kopfkissen + Heimliche Liebe +UNBEKANNTE KURTISANE + Bei Betrachtung des Mondes +OKI KASSI + Unmöglichkeit +TERANGE + Schwermut +SIGEYUKI + Verzweiflung +UNBEKANNTE DICHTERIN (10. Jahrhundert) + Die Verlassene +FRAU IZUMI SHIKIBU (um 1000) + Noch einmal +FRAU INNO BETTO (12. Jahrhundert) + Dieselbe Nacht +FRAU HORIKAWA (12. Jahrhundert) + Erregung +FUJIWARA NO TOSHINARI (1113-1204) + Jammer der Erde +SAIGYO (1118-1190) + Gedanken + Schwermut + Vom Mond + Abschied von den Blüten + Blüten +KIUTSUNE (13. Jahrhundert) + Das Alter +SONE NO YOSHITAKA + Steuerlos +SAKINO DAISOJO GYOSON + An die Kirschenblüten +PRINZ MUNENAGA (1312-1385) + An die Wildgänse +UNBEKANNTE DICHTERIN (16. Jahrhundert) + Liebesbrief +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA (17. Jahrhundert) + Vergebenes Warten +VOLKSLIED + Um mit dir zu leben +KURTISANE SEGAWA (18. Jahrhundert) + Der Liebeslaut +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Die Weide im Wind +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Nach dem Bade +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA (18. Jahrhundert) + Beschränkung +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Leichtes Spiel +SANDARA (18. Jahrhundert) + Die Morgenglocke +YORIKITO (19. Jahrhundert) + Täuschung + + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Japanischer Fruehling, by Hans Bethge + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JAPANISCHER FRUEHLING *** + +***** This file should be named 9178-8.txt or 9178-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/1/7/9178/ + +Produced by Juliet Sutherland, Charlie Kirschner and +Distributed Proofreaders + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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WENN DIE GOLDNE SONNE +DES MORGENS SIEGHAFT AUS DER DAEMMRUNG STEIGT + +MOTOORI NORINAGA + + + + +DIE SCHOeNE NUNA-KAWA-HIME SPRICHT ZUM GOTT DER ACHTMALTAUSEND SPEERE + +AUS ARCHAISCHER ZEIT + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +In rabenschwarzer Nacht komm ich heraus, +Und du wirst nahen wie die Morgenroete, +Mit Laecheln und mit strahlendem Gesicht. +Und deine Arme, die so schimmernd weiss +Wie Taku-Rinde glaenzen, wirst du zaertlich +Auf meinen Busen legen, der dem Schnee +An Zartheit gleicht. Und eng verschlungen werden +Wir liegen und uns kosen und die Arme +Als Kissen unters Haupt uns betten, waehrend +Die Schenkel nahe beieinander ruhn. + +Sprich mir von Liebessehnsucht nicht zu sehr, +Du grosser Gott der achtmaltausend Speere! + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +Komm ich heraus. + + + + +DIE WARTENDE + +KAISERIN IWA NO HIME + +Bis dass der weisse Reif des Alters sich +Auf meine rabenschwarzen Haare legt. +Will ich mein ganzes langes Leben durch +Nichts weiter tun als warten, warten, warten +Auf dich, den meine ganze Seele liebt. + + + + +LIEBESWERBUNG + +KAISER YURYAKU + +Du schoenes, schlankes Maedchen mit dem Korbe, +Du schoenes, schlankes Maedchen mit dem Spaten, +Das dort am Huegel emsig Kraeuter pflueckt! + +Sag mir, wo ragt dein Haus, ich bitte dich, +Und nenne deinen Namen mir! Im ganzen, +Vom Himmel treu geliebten Lande Japan. + +Bin ich der Herrscher! Und mein Herz wuenschtinnig. +Dich als Gemahlin heimzufuehren, Holde! +Ich bitte dich, wer bist du,--sag es mir! + + + + +DER GLUECKLICHE + +MUNETO + +Ihr sagt, dass ich ein Wilder sei. Nun gut. +Ich bin den Voegeln im Gebuesch befreundet +Und kenne alle Baeume. Und die Blumen. + +Auf bunter Bergflur bluehen nur fuer mich, +Und das Geraun des Waldes kuendet mir +Geheimnisvoll die Wunder der Natur. + +Ja, ich bin reich! Dich neid ich nimmermehr, +Geschmeidiger Hofmann in dem seidnen Kleide, +Denn du hast nichts, was meinem Gluecke gleicht. + + + + +IN ERWARTUNG + +PRINZESSIN NUKADA + +Ich wartete auf dich, von Sehnsucht fast +Verzehrt,--da, ein Geraeusch: du nahst! du nahst! + +Zu frueh gejubelt, sehnsuchtsbanges Herz! +Es war der truegerische Wind des Herbstes, +Der raschelnd durch den Bambusvorhang fuhr. + + + + +DAS ELEND DER WELT + +OKURA + +Die Welt ist elend, jammervoll +Und nimmer wert, dass wir sie lieben. +O weh, dass ich kein Vogel bin! +Ich wuenschte, dass ich Fluegel haette, +Um ihr fuer immer zu entfliehn. + + + + +EINSAM + +HITOMARO + +Trostlos, allein zu schlafen diese Nacht, +Die endlos lang ist, wie der lange Schweif +Des Goldfasanen, dessen helle Stimme +Ich von dem Berg herueberklingen hoere. + + + + +DIE GELIEBTE IM SEGELBOOT + +HITOMARO + +Rings um die Kueste braut der Morgennebel +Und huellt in graue Daemmerung Land und Meer. + +Mit neidischem Sinn verbirgt er meinen Augen +Das Segelboot, nach dem mein Herz sich sehnt. + +Voll unruhvollen Klopfens: denn ich weiss, +Dass meine Liebste darin kommen wird. + + + + +KRIEGSZUG + +HITOMARO + +Da tat der Held das Schwert um seinen Leib +Und nahm den Bogen in die feste Hand +Und schritt dem Heer des Kaisers stolz voran. + +Und alle Trommeln fingen an zu droehnen +Wie Donnergroll, und die Drommeten klangen, +Dass man erschrak wie vor des Tigers Schrei. +Und hoch wie Feuerzungen flatterten +Die Fahnen,--ja, wie Feuer auf dem Felde +In Fruehlingsnaechten, von dem Wind entfacht, +So lohten flammend sie zum Himmel auf. +Und in der Hand der Krieger schwirrten jetzt +So fuerchterlich die Bogen, dass man glaubte, +Ein grimmer Sturmwind jage mit Gebruell +Durch den verschneiten winterlichen Wald; +Und so wie wilder Schneefall in der Luft +Sich ineinander schuettet,--also schwirrten +Die Pfeile durcheinander, dicht an dicht. + + + + +TRUEBES LIED + +OZI + +Die Blueten rieseln nieder. Dichter Nebel +Verbirgt den See. Die wilden Gaense rufen +Erschreckt am heiligen Teich von Iware. + +Duestere Traeume schatten um mein Haupt. +Mein Herz ist schwer. Wenn uebers Jahr die Gaense +Von neuem rufen, hoer ich sie nicht mehr. + + + + +AN DEN SCHNEE + +KAISER MOMMU + +Die Wolken sind von Flocken ganz erfuellt, +Der Wald scheint voll von weissen Weidenkaetzchen, +Das ganze Firmament ist schimmernd hell, +Vom Wind getrieben weht der Schnee am Flusse,-- +Wenn ich die weissbedeckten Pflaumenbaeume +In meinem Garten sehe, moecht ich glauben, +Sie bluehten schon vom Fruehling ganz und gar. + + + + +DER FUJI-YAMA + +AKAHITO + +Zum Himmel schauend, sehe ich den Gipfel +Des Fuji-Yama gross und feierlich +Ins Ewige schimmern; also ragt er schon +Seit jenen Zeiten, da die Erde sich +Vom Himmel schied; blick ich zu ihm empor, +So ist mir, dass der Glanz der Sonne sich +Verdunkelt, und der milde Schein des Mondes +Verschwindet ganz; die weissen Wolken aber +Tragen Bedenken, ueber seinen Gipfel +Dahinzuschweben, und es sinkt der Schnee +Mit stiller Ehrfurcht sanft auf ihn hinab. + +O Fuji-Yama, deine Herrlichkeit +Wird man noch preisen in den fernsten Tagen; +Bis zu der Dichter spaetesten Geschlechtern +Wird deines Ruhmes Glanz nicht untergehn. + + + + +BETRACHTUNG + +AKAHITO + +Wenn stets der Kirschenbaum so wundervoll +Wie jetzt auf allen Hoehen bluehen wuerde, +Wir liebten seine schneeige Schoenheit dann +Nicht so wie jetzt, da nur den Lenz sie ziert. + + + + +DIE TRAUERWEIDE + +MUSHIMARO + +Die Trauerweide auf dem Grab des Maedchens +Laesst ihre Zweige nur nach einer Seite +Hinueberhangen. Eines Juenglings Huegel +Erhebt sich dort. Wer moechte nun noch zweifeln, +Wem jenes toten Maedchens Liebe galt? + + + + +DER MOND + +EDELDAME ISHIKAWA + +Seht, wie er sieghaft durch die Wolken bricht! +Sein wunderbarer Glanz flicht Silbernetze, +Die ueber Land und Meer sich schimmernd breiten, +Auch ueber meinen Strand, wo nun die Steinchen +Des Sandes klar wie Diamanten schimmern. + + + + +FRUEHLINGS ENDE + +KIBINO + +Der Wind trieb alle Bluetenblaetter von +Den Zweigen weg. Der Fruehling, der schon lange +Kraenklich und blass war, ist geschwunden. Nur +Der suesse Duft der Pflaumenbluete blieb +Am Aermel meines seidenen Gewandes +Gleich einem schoenen, mueden Traum zurueck. + + + + +FRUEHLINGS ENDE + +OKISHIMA + +Im Bambushaine meines Gartens hoer ich +Die Nachtigall mit mueder Stimme klagen,-- +Sie trauert, weil die weissen Pflaumenblueten +In Scharen von den Baeumen niederfallen, +Weil nun der Lenz mit seinen Wundern flieht. + + + + +IN DER FREMDE + +YAKAMOCHI + +Verbannt von meinem Kaiser, leb ich nun +Fuenf Jahre schon in fremdem, wildem Lande, +Entbehrend deinen Anblick, suesses Weib. + +Nie darf ich mehr zur Nacht mein muedes Haupt +Auf deinem lieben, weichen Arme betten; +Hoer, was ich tat in meiner Einsamkeit: + +Ich saete Nelken aus in meinem Garten; +Wenn sie in Bluete stehn, so denk ich immer +An dich, die meine schoenste Nelke war. + +Dies ist der einzige Trost, geliebtes Weib, +In meiner oeden Fremde. Ohne ihn +Wuerf ich mein Leben unbedenklich ab. + + + + +HEIMWEH + +YAKAMOCHI + +Wenn sich der Abend niedersenkt und Nebel +Eintoenig wallen uebers graue Meer, +Und wenn die Kraniche mit mueder Stimme +Ins Dunkel rufen, traurig anzuhoeren,-- +Dann denk ich meiner Heimat, schmerzdurchweht. + + + + +DER BLUETENZWEIG + +FUJIWARA NO HIROTSUGU + +Nimm diesen Bluetenzweig! In jedem Blatte +Der zarten Blueten schlummert hundertfach +Ein Liebeswort aus unruhvoller Brust. + +O weise meine Liebe nicht zurueck! + + + + +DER FREUND DES WEINES + +TABITO + +Wenn ich nicht waere, was ich bin: ein Mensch,-- +Ich moechte eine Reisweinflasche sein, +Um recht nach Herzenslust in meinen Hals +Den edeln Saft zu saugen, den ich liebe. + + + + +AM UFER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Von jenem Ufer winkt mir die Geliebte, +Hier stehe ich, mit ruhelosem Sinn, +Das Herz erfuellt von ungestuemer Sehnsucht, +Und seufze, seufze endlos. Haett ich doch +Ein rotlackiertes Schifflein jetzt zur Hand +Und auch ein Ruder, voller Kunst besetzt +Mit Edelsteinen,--hurtig wie der Wind +Lenkt ich hinueber, um mit ihr zu plaudern, +Und schmiegte gluecklich mich an ihre Brust! + + + + +BITTE AN DEN HUND + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Wenn mein Geliebter in der Nacht +Den Binsenzaun durchbricht und leise +Zu mir hereinsteigt,--Hund, ich rate +Dir ernstlich: huelle dich in Schweigen, +Verrate ihn den Leuten nicht,-- +Es soll dir gut gehn, lieber Hund! + + + + +DER TEICH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dir, Teich von Miminaschi, gilt mein Hass, +Denn meine Liebste hat verzweifelnd sich +In dich gestuerzt und ist in dir ertrunken. +Warum bist du nicht schnell vertrocknet, als +Die Holde kam, in dir den Tod zu finden? +Ich hasse dich, erbarmungsloser Teich! + + + + +TRENNUNG + +UNBEKANNTER DICHTER + +Trotz aller Hindernisse, +Die dem eilenden Flusse +Entgegentreten: +Alle Wasser, die sich trennen, +Um Baenke und Riffe herum, +Stroemen doch endlich. +Endlich wieder +Jubelnd zusammen! + + + + +VERTRAUEN + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Die Mutter hat aufs strengste mir verboten, +An deiner Brust zu schlafen, mein Geliebter, +Obwohl mir das Orakel klar verhiess, +Dass ich dereinst die Deine werden soll. +So lauter wie das nie getruebte Wasser +Des Teiches von Kiyosmi ist mein Herz +Und ist so tief auch wie der Grund des Teiches, +Und immer wird es deiner treu gedenken +Und wird vertrauend harren in Geduld, +Bis dass ich ganz mit dir vereinigt bin. + + + + +UEBER DIE HEIDE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Was fuer ein Mensch ist das, um dessentwillen +Du, schoene Frau, mit Muehe und voll Sehnsucht +Die Heide von Miyake ueberquerst? + +Beschwerlich ists, durch das Gestruepp zu wandern. +Qualvoll ist dieser Gang fuer Frauenlenden, +Weh, wenn dich deine Eltern saehen, Kind! + +So zart wie weisses Linnen glaenzt dein Antlitz, +Dein langes Haar ist dunkel wie das Innre +Der Mina-Muscheln, die das Meer ausspeit. + +Ein Kamm aus Buchsbaum steckt in deinen Haaren. +Wem eilst du zu? Wer bist du, holdes Wesen? +O Goetterlust, mein Weib eilt zu mir her. + +Da sie die Sehnsucht nicht ertragen kann! + + + + +BANGNIS + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich lehne mich an deine Brust, Geliebter, +Und das Vertrauen, das ich in dich setze, +Ist so, als ob ich einem grossen Schiff +Mich anvertraute. Lang und immer laenger +Denk ich an dich, so wie die Efeuranken +Hinkriechen an der Mauer, lang und laenger. +O waeren wir vor Unheil stets bewahrt! +Ich schlinge meinen Aermel um die Schultern +Und stelle fromme Weihgefaesse auf +Und flehe zu den Goettern, die im Himmel +Und auf der Erde walten, dass sie dir +Und mir und unsrer Liebe gnaedig seien! + + + + +DIE SCHOeNE KURTISANE + +UNBEKANNTER DICHTER + +O liebliche Tamana, laechelnde +Verfuehrerin, die Schlankheit deiner Lenden +Ist dem geschmeidigen Leib der Biene gleich. + +Dein Busen ist von edler Form, du stehst +Wie eine Blume da, du hast ein Laecheln, +Dass alle Leute, die voruebergehn, + +Die Schritte hemmen. Ungerufen naht sich +Die Schar der Maenner, steht vor deinem Tore, +Von dir berauscht und voll Begehr nach dir. + +Im Hause, das dem deinen nahe liegt, +Macht sich der Gatte von der Gattin frei +Und steckt dir zu den Schluessel seiner Tuere. + +Vernarrt in dich ist alles. Du verstehst es, +Die Herzen zu gewinnen durch ein Laecheln, +Und UEppigkeit und Wollust sind dein Teil. + + + + +QUALVOLLE EIFERSUCHT + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich habe heut den ganzen langen Tag, +Seitdem die Sonne ueberm Horizont +Heraufkam, und die ganze lange Nacht, +In der ich schlaflos in das Dunkel starrte, +Getobt vor Jammer und geweint vor Wut! + +Denn du, ich weiss es, hast in einer Huette +(Ich moechte sie den Flammen uebergeben!) +Auf alten, schlechten, strohgeflochtnen Matten +(Die wert sind auf dem Kehricht zu vermodern!) +Die plumpen Wangen einer Bauerndirne +Gestreichelt und gekuesst, und hast in Liebe +Bei ihr geweilt die ganze lange Nacht! + + + + +VERGEBENES BEMUEHEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dass wir uns lieben, hab ich abgestritten, +Mit heftigen Worten hab ich es geleugnet, +Ich habe mich so angestrengt mit Leugnen, +Wie man sich anstrengt, wenn man einen Lastkahn +Am Kap des leuchtenden Naniwa-Hafens +Mit einem Seile muehevoll dahinzieht,-- +Und dennoch bin ich, nichts hat mir genuetzt, +In das Gerede aller Welt gekommen! + +WUNSCH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nicht wertvoll scheint das Leben mir; jedoch +Da ich so sehr dich liebe, wuensch ich wohl, +Dass ich noch lange, lange leben moege, +Um lang noch meine Liebe zu geniessen. + + + + +DIE TRAeUME + +FRAU KOMACHI + +Seit ich im Traum den Mann seh, den ich liebe,-- +Seit jener Zeit erst liebe ich der Traeume +Buntfarbene Falter als das koestlichste +Geschenk der Nacht, das ich nicht missen moechte. + + + + +EINSAM + +FRAU KOMACHI + +Der Blueten holde Schoenheit ist entwichen, +Der rauhe Regen hat sie ganz zerstoert, +Indessen ich, zwecklos in diesem Dasein, +Einsam den Blick ins Leere schweifen liess. + + + + +DAS LOTUSBLATT + +HENJO + +Ganz ohne Makel, weiss und leuchtend, blueht +Das Lotusblatt. Es scheint ganz ohne Trug-- +Und dennoch luegt es: denn das eitle will +Uns glauben machen, dass im edeln Schmucke +Von Diamanten es erstrahle,--und +Es sind doch Tropfen Taus nur, die es zieren! + + + + +FAMILIENSTOLZ + +HENJO + +Die Meinen sind so stolz, dass sie verlangen: +Der Name, den wir tragen, solle immer +So voellig unverfaelscht sein wie die dunkle, +Von kuenstlichen Essenzen nicht beruehrte +Nachtfarbe meines ungekaemmten Haars. + + + + +SCHWERMUT + +PRINZ NARIHIRA + +Wenn nie die Blueten auf den Kirschenbaeumen +Erstuenden, brauchte unser Herz auch nie +Zu klagen, wenn die holden Blueten sterben. + +Dir gilt mein Hass, o Mond. Denn viele Monde, +Die sich allmaehlich aneinanderfuegen, +Berauben mich der Wonnen meiner Jugend. + +Ich weine meine Aermel feucht bei Nacht, +Sie werden feuchter als vom Tau des Herbstes, +Denn du bist fern, der meine Sehnsucht gilt. + + + + +TAGELIED EINES MAeDCHENS + +PRINZ NARIHIRA + +Nimm dich in acht, o Hahn, der kraehend von +Der Liebe Bett uns aufscheucht! Wenn der Tag +Erschienen ist, so schleudr ich in den Rachen +Des Fuchses dich, damit er dich vertilgt. +Der du den Liebsten mir so schnell, so schnell +Entfuehrst durch dein abscheuliches Geschrei! + + + + +LIEBESKUMMER + +PRINZ NARIHIRA + +Da ich am Morgen durch die Buesche ging +Des taubenetzten, herbstlichen Gefildes, +Naesst ich den Aermel mir. Doch ganz durchfeuchtet +Ward er erst nachts von meinen vielen Traenen, +Da jene mich allein liess, die ich liebe. + + + + +SEHNSUCHT NACH DER NACHTIGALL + +TOMONORI + +Ich will den Fruehlingswind, o Nachtigall, +Mit weichen Blumendueften zu dir senden, +Damit sie dir den Weg herueberweisen +In unsre Flur,--wir warten schon so lang! + + + + +DAUER IM WECHSEL + +TOMONORI + +Der Kirschbaum stand in Blueten. Schwarz und jung +Fiel mir das Haar vom Haupt, indes ich tanzte. + +Der Kirschbaum stand in Blueten. Frisch und jung +Erglaenzten sie,--mein Haar war grau geworden. + +Heut wieder blueht der Kirschbaum. Himmlisch jung +Wie immer laecheln seine Blueten nieder,-- + +Mein Haar ward weiss, ich stehe sinnend da. + + + + +GLEICHE SEHNSUCHT + +TOMONORI + +Der Abend kommt herab. Nun wandr ich an +Den Sao-Fluss, im Windhauch seines Ufers +Die Freundin zu erwarten. Was erklingt +Im Dunkel so voll Sehnsucht? Horch, das ist +Der einsam-schwermutvolle Ruf der Moewe, +Die sich nach der Gefaehrtin sehnt, wie ich. + + + + +DIE WILDGANS + +OCHI + +Vorueber ist die boese Winternacht. +Der Lenz zog ein. Dort durch die Silberwolken +Breitet die Wildgans kreischend ihre Fluegel. + +Sie strebt nach Norden, wo seit Monden schon +Das Maedchen weilt, nach dem mein Herz sich sehnt. +O Wildgans, nimm mich mit auf deinen Fluegeln! + + + + +FRUEHLINGSREGEN + +OTOMO KURONUSHI + +Sie weinen alle, da die Kirschenblueten +Zur Erde rieseln. Dieses faellt mir ein: +Ob wohl der Regen, der im Fruehling faellt, +Die Traenenflut der trauernden Menschen ist? + + + + +BETRACHTUNG + +FRAU ISE + +Am Ufer von Naniwas Seebucht seh ich Rohr +Mit kleinen Spannen schwanken in dem feinen Windhauch. + +Gelehnt an deine liebe Schulter, muss ich denken, +Ob ich wohl leben koennte, wenn mich das Geschick. + +Die allerkleinste Spanne Zeit von dir entfernt +Zu weilen zwaenge, mein zu sehr Geliebter! + + + + +TRUEBSINN + +MITSUNE + +Du flohest in die Berge, voller Hass +Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun +Dich auch der dunkle Truebsinn ueberfaellt,-- +Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund? + + + + +HEUTE! + +MITSUNE + +Bald wird der Sturmwind durch die Fluren heulen +Und Laub und Fruechte von den Baeumen schuetteln +Und Blueten knicken, wo er immer weht. +Drum, willst du Blueten pfluecken,--tu es heute! +Vielleicht, vielleicht ists morgen schon zu spaet. + + + + +AN EINEN FREUND + +MITSUNE + +Du kommst nur, um die Blumen bluehn zu sehen +Bei meinem Hause. Sind sie erst verwelkt, +So weiss ich wohl, dass ich mich Tag fuer Tag +Umsonst nach deinem Kommen sehnen werde. + + + + +ERINNERUNG + +TADAMINE + +Da ich von ihr auf ewig schied, stand fuehllos +Und blass der Mond am Morgenhimmel da. + +Nichts quaelt mich schrecklicher seit jenem Morgen, +Als wenn ich in der Fruehe, mued erwacht, +Den Mond in fahler Daemmerung haengen seh. + + + + +FROMMER WUNSCH + +TADAMINE + +Ich wuenschte wohl, dass ich in Mondschein mich +Verwandeln koennte. Endlich wuerde dann +Das Maedchen, das ich so voll Inbrunst liebe. +Mit schmachtendem Gefuehle mich betrachten, +Waehrend es jetzt nur grausam zu mir ist. + + + + +HALTLOS + +TADAMINE + +So wie die Wasserlinsen auf dem Fluss +Ganz wurzellos und ohne jeden Halt +Hierhin und dahin ziehn: so treib auch ich +Haltlos umher im Strome meiner Liebe. + + + + +DAS KLAGENDE HERZ + +FUKAYOBU + +Vergleichbar einer Wildgans ist mein Herz, +Das krank von Sehnsucht dir entgegenschlaegt. +Es irrt umher und klagt voll banger Unruh, +So wie die Wildgans in dem Meer der Luft. + + + + +DIE ALLERERSTEN BLUETEN + +MASAZUMI + +Froh sprudeln durch die Ritzen nun des Eises, +Das vor dem Lenz zergeht, die weissen Wellen +Des Giessbachs auf: die ersten weissen Blueten +Des lieben Fruehlings moechten sie uns sein. + + + + +DAUERNDE ERINNERUNG + +KI NO ARITOMO + +Ich wuensche ein Gewand mir von der Farbe +Der Kirschenblueten. Wenn die Blueten dann +Schon lang verwelkt sind, werd ich immer doch +Durch mein Gewand an ihre Lust gemahnt. + +JUBEL + +TSURAYUKI + +Was seh ich Helles dort? Aus allen Gruenden +Zwischen den Bergen quellen weisse Wolken +Verlockend auf,--die Kirschen sind erblueht! +Der Fruehling ist gekommen, wunderbar! + + + + +BLUETEN UND HERZEN + +TSURAYUKI + +Ihr meint, zu balde weht die Kirschenbluete +Im Wind dahin? Ach, fluechtiger ist manches. +Veraendert sich das Herz des Menschen nicht +Oft schneller, als ein Windhauch sich erhebt? + + + + +SCHNEE IM FRUEHLING + +TSURAYUKI + +Der Fruehling naht mit seinem Dunst. Die Baeume +Setzen schon Knospen an. Doch von dem Himmel +Faellt Schnee auf Schnee, als wollt er nimmer enden. +Wie sonderbar,--nun sinken Blueten nieder, +Obwohl der Lenz noch keine Blueten schuf. + + + + +BLUETENSCHNEE + +TSURAYUKI + +Leis senkt sich Schnee auf uns herab, und dennoch +Weht lauer Windhauch zart an unsre Stirnen. +Geschah ein Wunder denn? O welch ein Schnee, +Des Heimat nie der Himmel war! Es ist ja +Der holde, duftgeborene Fruehlingsschnee +Der Kirschenblueten! + + + + +SEITDEM ICH DICH LIEBE + +ATSUTADA + +Seitdem ich dich liebe, +Vergleiche ich meine Gefuehle +Und meine kuehnen Gedanken +Mit jenen, die ich frueher hegte. + +Und ich erkenne, +Dass ich frueher +Ganz gedankenlos +Und, ach, ganz fuehllos war. + + + + +GESTEIGERTE SEHNSUCHT + +ATSUTADA + +Sehr gross war meine Sehnsucht, eh ich zur +Geliebten kam. Doch jetzt, da ich bei ihr +Glueckselige Zeit verbringen durfte, bin ich +Wohl ganz beschwichtigt und gestillt? O nein! +Viel maechtiger ist meine Sehnsucht nun, +Viel ungebaendigter als je zuvor! + + + + +ANKUNFT DES FRUEHLINGS + +UNBEKANNTER DICHTER + +Noch glaenzt der Schnee hernieder von den Bergen, +Doch regt sich schon der Fruehling in dem Tal. +Die Traenen, die die Nachtigall geweint hat. + +Und die zu Eis gefroren waren, tauen +Allmaehlich auf. Im holden Duft der Tage +Erklingt nun bald das Lied der Fruehlingsbraut. + +Der Nebel, der noch um die Buesche schleift. +Ist nur ein leichtes, schmaechtiges Gewebe,-- +Ein Windhauch durch die Flur--und er zerstiebt. + +Wie herrlich glaenzt die Weide schon am Bach! +Auf ihrem duennen, wallenden Gezweige +Reiht sich der Tau zu silbernen Perlen auf. + +Und gar der Pflaumenbaum! Er steht schon prunkend +Im Kleide seiner weissen Blueten da, +Verklaerend jedes Auge, das ihn schaut. + +Welch holdes Wesen war es, das ihn leise +Gestreift hat mit dem seidnen Saum des Aermels, +Da es versonnen ihm vorueberging? + + + + +LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Liebe rast durch meine Brust, +So wie durch weite, dunkle Waelder +Ein Berggewaesser unterm Laub +Der ungeheuren Baeume rast. + +Die Fichte trotzt auf Felsenhoehen +Fast ohne Nahrung Wind und Wetter. +Die Liebe braucht noch weniger Reichtum, +Um froh zu trotzen aller Welt! + + + + +DAS ALTER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn ich erfuehre, dass das Alter mich +Besuchen wollte,--flugs schloess' ich die Tuer, +Und "Ich bin nicht zu Hause!" wuerd ich rufen, +Und nimmermehr liess ichs zu mir herein. + + + + +LIEBEN UND STERBEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wer hat der Liebe denn den Namen "Liebe" +Dereinst gegeben? Viel bezeichnender +Haett er den Namen "Sterben" ihr verliehn, +Denn Lieben, das ist Sterben,--wahrlich, wahrlich! + + + + +DAS MAeDCHEN AUF DER BRUECKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Das rauschende Gewaesser Katashiwas +Ist ueberwoelbt von einer schoenen Bruecke, +Der purpurroter Lack zum Schmuck gereicht. +Ein zartes Maedchen wandelt unbegleitet +Mit kleinen Fuessen trippelnd drueber hin; +Ein blaues Kleid mit rotem Rande schmiegt sich +An ihre feinen Hueften wohlig an. +O wuesste ich, ob ihre Hand noch frei ist, +Ob nicht ein andrer schon dies Herz gewann! +Schnell sagt mir, wo sie wohnt! Ich wills versuchen, +Ob ich sie noch fuer mich gewinnen kann! + + + + +LIEBESQUALEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Aermel meines Kleides sind durchfeuchtet +Von vielen Traenen. Allen, die mich fragen, +Sag ich, dass es vom Fruehlingsregen sei. + +Ich meinte immer, dass das Kraut Vergessen +Auf Beeten wachse. Nun hab ich erfahren, +Dass es in liebelosen Herzen blueht. + +Unsinnig ist es, Worte hinzuschreiben +In fliessendes Gewaesser. Doch der Gipfel +Des Wahnsinns ist es: seine Liebestraeume. + +Zu widmen einer Frau, die fuehllos ist. + + + + +HERBST + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Graeser und die Baeume und die Blumen +Veraenderten die Farben ganz und gar,-- +Nur an des grossen Meeres Wellenblumen, +Den immer gleichen, kannst du nicht erkennen, +Dass nun der bunte Herbst gekommen ist. + + + + +SCHATTEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich bin vor lauter Sehnsucht abgemagert +Gleich einem Schatten. Koennt ich wenigstens +Ersetzen nun den Schatten der Geliebten, +Dass ich zu ihren Fuessen weilen duerfte! + +Jedoch auch dieser Dienst bleibt mir versagt. + + + + +SCHNEE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn so wie dort der Schnee gewaltig anwaechst, +Sich auch die oeden Naechte mehren wuerden, +Da du mir fern bist,--o ich wuenschte wohl, +Dass mich das Dasein laenger nicht bedruecke, +Dass ich so bald hinschwaende wie der Schnee. + + + + +IMMER WIEDER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich weiss es: alle Muehe ist umsonst, +Dir zu begegnen. Dennoch, immer wieder. +Geh ich hinaus und hoffe dich zu finden,-- +Wie koennt ich ruhn, da ich voll Sehnsucht bin! + + + + +SCHLAFLOS + +UNBEKANNTER DICHTER + +In schlafgemiedner Nacht hoer ich die Rufe +Des Kuckucks aus den Bergen klingen. Ach, +Bist du von Liebesschmerzen auch geplagt, +Dass du nicht schlafen kannst, o ferner Vogel? + + + + +UNERWIDERTE LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich wuenschte, dass es moeglich sei, die Herzen +Der Menschen zu vertauschen. Dann, o Freund, +Nachdem mein armes Herz du eingetauscht. +Wuerdest auch du einmal begreifen lernen, +Wie Liebe quaelt, die nicht erwidert wird. + + + + +SEHNSUECHTIGER GEDANKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn du zur Bluete spraechest: Welke nicht, +Bleib an dem Zweige haften, den du zierst,-- +Und es geschaehe wirklich, was du wuenschest,-- +Gaeb es wohl Holderes in dieser Welt? + + + + +DER DUFTENDE AeRMEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Mein Aermel duftet koestlich, da ich Blueten +Vom Pflaumenbaume pflueckte. Dicht bei mir +Hebt ploetzlich eine Nachtigall melodisch +Zu singen an, vom Duft herbeigelockt: +Die Holde meint, hier sei ein Baum erblueht. + + + + +DAS KOPFKISSEN + +KANEMORI + +O Fuerst, Ihr bietet Euren Arm mir an +Als Kissen fuer die Nacht? Ich wag es nicht,-- +Denn sicher: Eure Liebe waer verrauscht, +Bevor die Nacht noch in den Tag verrinnt; +Ich aber, recht entflammt erst, wuerde nimmer +Vor Liebesschmerz und Sehnsucht meine Ruhe +Zurueckgewinnen,--darum quaelt mich nicht. + + + + +HEIMLICHE LIEBE + +KANEMORI + +Obgleich ich mir die groesste Muehe gebe, +Mein leidenschaftlich Fuehlen zu verbergen, +Ist doch mein Angesicht so sehr verwandelt, +Dass jeder, den ich treffe, mich mit Schrecken +Befragt, welch eine Krankheit in mir wuehle, +Da ich so ganz und gar veraendert sei. + + + + +BEI BETRACHTUNG DES MONDES + +UNBEKANNTE KURTISANE + +Sehr weit von dir entfernt, betracht ich mit +Verliebtem Auge den gestirnten Himmel. + +O! wenn der Mond sich jetzt in einen Spiegel +Verwandeln wuerde, mir dein Bild zu zeigen! + +Doch er bleibt Mond und lacht nur meiner Qual. + + + + +UNMOeGLICHKEIT + +OKI KASSI + +Wie koennt ich deine wundervolle Schoenheit, +Die allzu sproede, die ich ohne Hoffnung +Anbete, aus dem wirren Sinn mir reissen, +Da sie mir jede Nacht im Traum erscheint, +Um mir zu sagen, dass ich hoffen solle! + + + + +SCHWERMUT + +TERANGE + +Ich armer Tropf! Ein anderer besitzt +Das Herz des schoenen Maedchens, das ich liebe. + +Mir kommt die Trauerweide in den Sinn +Am Rande meines Gartens. Mir gehoert. + +Die Weide zwar, doch ihre Zweige schmuecken +Des Nachbars Garten und den meinen nicht. + + + + +VERZWEIFLUNG + +SIGEYUKI + +So wie die Woge +Im Sturmwind +Am felsigen Ufer zerbricht,-- +So zerschellt meine Liebe +An deines Hochmuts +Trotzigen Felsen, +Kalte Geliebte. + + + + +DIE VERLASSENE + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Freund, ahnst du nicht, +Wie unendlich traurig und lang +Die Nacht ist, vom Abend her +Bis zur schimmernden Morgenroete, +Wenn ich einsam, einsam, einsam +Seufzend daliege +Auf meiner traenenbefeuchteten +Binsenmatte? + +Ahnst du das nicht? + + + + +NOCH EINMAL + +FRAU IZUMI SHIKIBU + +Noch einmal lass mich, o Geliebter, +Bevor ich diese Welt verlasse, +Dein liebes Antlitz wiedersehen, +Dass ich es tief in meine Seele +Einpraege und es mit mir nehme +Ins dunkle Land der Ewigkeit. + + + + +DIESELBE NACHT + +FRAU INNO BETTO + +Wie kommt es, +Dass ein und dieselbe durchwachte Nacht +Deinem Herzen die Ruhe gab. +Waehrend sie mich +Fuer den Rest meines Lebens +Mit ganz wahnsinniger +Liebe erfuellt hat? + + + + +ERREGUNG + +FRAU HORIKAWA + +O Gott, ob er mir treu bleibt? Himmel! Himmel! +Ich weiss es nicht; ich weiss nur, dass mein Hirn, +Seitdem das Morgenrot ihn von mir riss, +So ganz verwirrt ist wie mein dunkles Haar, +Das seine Wildheit mir so wirr gemacht. + + + + +JAMMER DER ERDE + +FUJIWARA NO TOSHINARI + +Auf dieser Erde ward kein Weg gebahnt, +Dem Kummer und dem Elend zu entfliehn. + +Selbst wenn ich in die tiefen Berge streife, +Wohin mich eine alte Sehnsucht zieht, +Toent das Geschrei der abendlichen Hirsche +Wehklagend melancholisch an mein Ohr. + + + + +GEDANKEN + +SAIGYO + +So wie der Rauch des Fuji-Yama blass +Und ziellos in die windigen Luefte steigt. +Um dann zu sterben an dem weiten Himmel: +So steigen die Gedanken, die ich hege, +Ziellos und zwecklos und auf fluechtigen Pfaden +Ins Blau hinein und schwinden spurlos hin. + + + + +SCHWERMUT + +SAIGYO + +Und wer in seinem Herzen noch so sehr +Verhaertet ist: ein Weh durchschauert ihn, +Und Schwermut senkt sich tief in sein Gemuet, +Wenn er zur Daemmrung aus den sumpfigen Wiesen +Die Schnepfen in den Abend steigen sieht. + + + + +VOM MOND + +SAIGYO + +Vom Mond soll ich in Versen zu euch reden? +O zwecklos. Denn wer koennte das begreifen, +Was mich erfuellt, was mich im Innersten +Bewegt und in mir aufblueht tief und dunkel. +Wenn sich mein Herz in unruhvollen Naechten +Zu dir emporhebt, o geliebter Mond? + + + + +ABSCHIED VON DEN BLUETEN + +SAIGYO + +So innig hab ich mit den holden Blueten +Des Fruehlings mich befreundet, dass mir scheint, +Wir seien eins geworden, sie und ich. +Da sie nun welken, von der Zeit bezwungen. +Und traurig hingehn, mich alleine lassend. +Fuellt sich mein Herz mit namenlosem Jammer, +Und schluchzend nehm ich Abschied, fassungslos. + + + + +BLUETEN + +SAIGYO + +Wie kommt es, dass die Blueten nimmermehr +Aufhoeren, meine Seele zu entzuecken? +Ich habe laengst mich von der ganzen Welt +Zurueckgezogen; alles ist mir gleich.-- +Wie aber kommt es, dass ich ganz beglueckt +Beim Anblick einer schoenen Bluete bin? + + + + +DAS ALTER + +KIUTSUNE + +Einst lagen volle Blumen, wie der Schnee so weiss. +Auf meinem schwarzen Haar; sie leuchteten +Und waren koestlich, doch der Sturm hat sie verweht. + +Die weissen Blueten, die das Haupt mir heute zieren, +Sind nicht von jenen, die der Wind verweht. +Des Alters Blumen sind erblueht in meinem Haar. + + + + +STEUERLOS + +SONE NO YOSHITAKA + +So wie der Schiffer, der sein Steuerruder +Verlor auf wilder See, nun der Gewalt +Der Elemente preisgegeben hintreibt: +So fuehl ich meine Liebe steuerlos +Hintreiben auf dem Meere des Gefuehls. + + + + +AN DIE KIRSCHENBLUETEN + +SAKINO DAISOJO GYOSON + +Duftige Kirschenblueten! Liebliche +Mitwisser meiner Qual! Zeigt doch ein wenig +Mitleid mit diesem Herzen,--denn nur ihr +Kennt ja mein grosses Weh; den andern allen +Muss ichs verschweigen, dass ich elend bin. + + + + +AN DIE WILDGAeNSE + +PRINZ MUNENAGA + +Eilt nicht so sehr, Wildgaense dort am Himmel, +In eure alte Heimat heimzukehren,-- +Wisst ihr denn nicht, dass eurer Heimat Berge +Euch laengst vergassen, da ihr ferne wart? + + + + +LIEBESBRIEF + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Gross ist mein Wunsch, dein Angesicht zu schauen. +Und gross ist meine Lust, mit dir zu plaudern,-- +Doch muss ich solcher Freuden mich enthalten. + +Denn wenn durch Zufall einer von den Meinen +Oder auch einer von den Nachbarn nur +Erfuehre, dass wir beieinander waren, + +Ich wuerde Qualen leiden wegen des +Geschwaetzes, das man fuehrte. Dass mein Ruf, +Mein guter Ruf verloren ginge, war. + +Mir voellig gleich. Doch wuerd ich trostlos sein, +Wenn des verlornen guten Rufes wegen +Du weniger mich liebtest als zuvor. + + + + +VERGEBENES WARTEN +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA + +Ich harre meiner Liebsten in der Nacht. +Ich hoere, wie die Glocke Stund um Stunde +Ins Dunkel ruft. Abscheulich ist fuerwahr +Der Schrei des Hahns, wenn er die Liebenden, +Die sich umarmen, auseinanderreisst. +Doch er bedeutet nichts, verglichen mit +Der fuerchterlichen Qual, da man umsonst +Mit wilder Sehnsucht auf die Liebste harrt! + + + + +UM MIT DIR ZU LEBEN + +VOLKSLIED + +Um mit dir zu leben, die ich liebe, +Waere es mir recht, +In aermlicher Huette zu hausen, +Mich am Webstuhl zu muehen +Oder am Spinnrad. + +Um mit dir zu leben, die ich liebe. +Waere es mir recht, +Die Waesche zu waschen +Im fliessenden Fluss +Oder das Gras in der Sonne zu schneiden. + + + + +DER LIEBESLAUT + +KURTISANE SEGAWA + +Da traf ein Laut, ein zarter Liebeslaut, +Der aus dem ersten Stockwerk kam, mein Ohr: +Und das war suess und lieblich wie das Saeuseln +Der Fruehlingsblumen, die um Mitternacht +Am More-Flusse ihren Duft verstreun. + + + + +DIE WEIDE IM WIND + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Sommerweide +Zeigt ihren schlanken Stamm, +Wenn der wehende Wind +Durch ihre feinen Zweige faehrt. + +Deine schlanken Fuesse, meine Weide, +Sah ich heute, +Da der verliebte Wind +Kosend durch deine Kleider fuhr. + + + + +NACH DEM BADE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn sie dem Bad entsteigt, so flammt +Ihr schoenes Antlitz feurig auf, +Dass sie dem roten Ahorn gleicht, +Der herrlich durch den Herbsttag glaenzt. + + + + +BESCHRAeNKUNG + +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA + +Ach, eng begrenzt ist der Besitz, den uns +Das Schicksal schenkt. Zuerst geht unsre Sehnsucht +Nach einem ragenden Gebirg. Sodann +Scheint uns ein Berg genug,--dann gar ein Huegel, +Und wird auch der uns nicht zuteil, so sind +Zufrieden wir mit einem Bluetenbusch. + + + + +LEICHTES SPIEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nichts leichter, als ein Maedchenherz +Beim milden Duft der Pflaumenblueten +Bis in die Tiefen zu betoeren +Durch Liebessang und Floetenspiel! + + + + +DIE MORGENGLOCKE + +SANDARA + +Wenn du, erbarmungslose Morgenglocke, +Den Schmerz der Liebestrennung ahnen wuerdest. +Du wuerdest nicht die wahre Stunde rufen +Beim Morgengrauen,--sondern wuerdest gerne +Bereit sein, luegnerisch die Zeit zu kuenden. + + + + +TAeUSCHUNG + +YORIKITO + +Ich glaubte, dass die weissen Blueten +Des Fruehlings mir entgegentrieben. + +Ich irrte mich. Es war das Glaenzen, +Das Liebesglaenzen deiner Schoenheit. + + + + + +GELEITWORT +ANMERKUNGEN +ANORDNUNG + + + + +GELEITWORT + +Die japanische Lyrik laesst sich gut mit den japanischen +Tuschzeichnungen vergleichen: sie gibt, gleich jenen, mehr Andeutung +als Ausfuehrung, sie will in aller Kuerze einen fest umrissenen Eindruck +erreichen, sie hat einen vorwiegend impressionistischen Charakter. Wir +finden in ihr, gerade wie in den japanischen Zeichnungen, vor allem +die Liebe fuer das Zarte und Bluetenhafte, fuer Fruehling, Blumen und +feinen Duft. Die einzelnen Persoenlichkeiten treten in dieser lyrischen +Kunst nicht stark hervor, im Gegensatz zur chinesischen. + +Japan ist das Land der Gelegenheitsdichter. Wir besitzen Gedichte von +Kaisern und Kaiserinnen, Hofleuten, Gelehrten und Kurtisanen. Im +zehnten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung war die Dichtkunst in Japan so +verbreitet, dass sich der Kaiser Daigo veranlasst sah, ein +"Ministerium fuer poetische Angelegenheiten", wie wir heute sagen +wuerden, einzusetzen. Ein solches Ministerium gibt es jetzt nicht mehr, +aber die Freude an der Formung kleiner Gedichte ist in Japan noch +heute allgemein. + +Seit alters her gibt es fuer das japanische lyrische Gedicht nur eine +einzige, streng bewahrte, klassische Form: Tanka oder Uta genannt. Ein +solches Tanka besteht immer aus einunddreissig Silben, die sich auf +die fuenf Zeilen des Gedichtes folgendermassen verteilen: 5-7-5-7-7. + +Das Tanka ist reimlos. Die japanische Sprache ist fuer den Reim nicht +geschaffen, denn saemtliche Worte endigen auf einen der fuenf Vokale a, +e, i, o, u. Wollte man also reimen, so muesste man immer wieder zu den +gleichen monotonen Reimen einfacher Vokale greifen, und das waere auf +die Dauer mehr grotesk als schoen. Nein, die Aufgabe des japanischen +Dichters ist es im Gegenteil, die einzelnen Zeilen seines Tanka +moeglichst auf verschiedene Vokale endigen zu lassen, um so eine +moeglichst grosse Reichhaltigkeit an Klaengen zu erzielen. + +Die Regeln des Tanka wurden schon 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung +durch Sosano-Ono-Mikoto, einen Dichter des heroischen Zeitalters, +fixiert. Im Jahre 905 nach Christi Geburt wurden sie durch den Dichter +Tsurayuki, den ersten Minister der Poesie unter Kaiser Daigo, in der +Vorrede zu jener beruehmten ersten grossen Anthologie, welche sich +Manyoshu nennt, befestigt. Diese Regeln wurden nie einer Veraenderung +unterworfen und sind heute genau dieselben wie vor 2600 Jahren. In +alten Zeiten pflegte man auch mehrere Utas zu laengeren Gedichten +zusammenzusetzen (Naga-Uta). Seit dem sechzehnten Jahrhundert +beschraenkte man sich, besonders in Scherzgedichten, nicht selten auf +die ersten drei Zeilen eines Uta, um Gedichte von besonders +epigrammatischer Kuerze zu bilden. Das sind die einzigen Varianten der +alten Form,--wenn man von Formvarianten hier ueberhaupt sprechen kann. + +Die ausserordentliche Kuerze des Uta oder Tanka hat ihre Nachteile. Die +Dichter wollen moeglichst viel in einem solchen Kurzgedicht ausdruecken +und werden nicht selten dunkel durch uebertriebene Kondensierung. +Kommentatoren haben alte beruehmte Tankas immer wieder ausgelegt, und +ueber den Sinn so mancher Gedichte aus klassischer Zeit hat man sich +bis heute nicht einig werden koennen. + +Die Bluetezeit der japanischen Lyrik liegt weit zurueck. Die erste +klassische Epoche wird repraesentiert durch die schon erwaehnte grosse +Anthologie Manyoshu ("Sammlung der Myriaden Blaetter"), die vermutlich +durch den Sammeleifer des Dichters Yakamochi zusammengebracht und im +Jahre 759 abgeschlossen wurde. Sie vereinigt in 20 Buechern 4500 +Gedichte; aus der grossen Zahl der in ihr vertretenen Dichter ragen +neben Yakamochi vor allem der Elegiker Hitomaro, der Landschafter +Akahito und der Realist Okura hervor. Hitomaro gilt in Japan als der +groesste Dichter der Nation. Man hat ihm Tempel errichtet, und sein +Leben, von dem man wenig weiss, ist durch die Legende phantastisch +ausgeschmueckt worden. Es geht das Geruecht, ein Poet brauche nur +Hitomaro anzurufen, um ein gutes Gedicht bilden zu koennen. + +Die Dichter der bald folgenden zweiten, "goldenen" klassischen Epoche +sind uns in einer anderen, 1100 Gedichte umschliessenden Anthologie, +im Kokinshu ("Sammlung alter und neuer Gedichte") erhalten, das im +Auftrage des Kaisers Daigo durch den Dichter Tsurayuki gesammelt und +im Jahre 905 beendet wurde. Hier sind neben dem zarten Tsurayuki +besonders der mannhafte Henjo und der schwermuetige Prinz Narihira zu +nennen, dessen hervorragende koerperliche Schoenheit noch heute +sprichwoertlich in Japan ist. + +Manyoshu und Kokinshu sind die wichtigsten aller japanischen +Anthologien, deren spaeter, zumeist auf Veranlassung der Kaiser, noch +viele hergestellt wurden. Auch die Lieder unseres Buches gehen zum +grossen Teil auf jene beiden unerreichten klassischen Sammlungen +zurueck. + +Der Bluete folgte ein trostloser Verfall. Hundert Jahre etwa hielt sich +die Dichtung noch auf einem wuerdigen Niveau, dann gelangte ein oeder, +pedantischer Formalismus zur Herrschaft und legte alle freien +poetischen Regungen jahrhundertelang in Fesseln. Das Versemachen wurde +als eine erlernbare Beschaeftigung betrachtet, die man nach bestimmten +starren Zunftgesetzen auszuueben hatte, wie es ja auch in Deutschland +eine Zeitlang Sitte war. Auch in Japan wurden, genau wie bei uns, +Saengerwettstreite (Uta-Awase) veranstaltet, die sich uebrigens bis in +die neueste Zeit erhalten haben und die eine allgemeine Veredelung der +Poesie im Lande bezwecken sollten, waehrend sie in Wirklichkeit gerade +das Gegenteil zur Folge hatten. Sogar den Frauen wurden solche +Sangeswettstreite eingeraeumt, auf denen zumeist recht alberne Themata +zu Utas poetisch "verarbeitet" wurden. Der Preis der Sieger bestand +darin, dass ihre Poesien dem Kaiserpaare vorgelesen und zugleich mit +den eigenen Gedichten des Kaisers oder der Kaiserin veroeffentlicht +wurden. + +Die eigentliche Entwickelung der japanischen Literatur seit der +klassischen Zeit bis heute hat dem Roman und dem Drama gegolten, aber +nicht der Lyrik. Motoori Norinaga, eine energische Kaempfernatur, die +man etwa mit Lessing vergleichen kann, hat sich gegen Ende des +achtzehnten Jahrhunderts leidenschaftlich bemueht, dem schrecklichen +Formelwesen der japanischen Liederdichtung ein Ende zu bereiten; sein +Streben war auch von einigen Erfolgen begleitet, aber eine wirkliche +Bluete hat die japanische Lyrik bis heute nicht wieder zu erreichen +vermocht, auch nicht durch jene von Europa beeinflussten +revolutionaeren Versuche, dem Versbau neue Formen zu erschliessen, die +von einigen kuehnen Dichtern der letzten Zeit ausgegangen sind. + +Was die Nachdichtungen des vorliegenden Bandes angeht, so habe ich, +obwohl ein Freund konzentrierten Ausdrucks, erst in zweiter Linie auf +Knappheit der Form gehalten und vor allem der Klarheit und +Durchsichtigkeit mich befleissigt. Haette ich ueberall die Knappheit der +Originale beibehalten wollen, so waere ich oft gezwungen gewesen, den +Gedichten erklaerende Fussnoten beizugeben, und auf diese Weise waere +die Lektuere recht umstaendlich und ueberhaupt eine andere geworden, als +ich mir fuer diese Verse wuenschte. Mir lag daran, Gedichte zu bilden, +die durch sich selbst einen poetischen Reiz ausueben sollten, und ich +moechte hoffen, dass von der japanischen Farbe wenigstens so viel auf +sie uebergegangen ist, wie man bei derartigen Nachbildungen verlangen +muss. + +Die Vorbilder fuer meine Nachdichtungen sind vor allem in der +Geschichte der japanischen Literatur von Karl Florenz zu finden; auch +die kleinen Buecher von Enderling, Hauser, Kurth und Lange habe ich +verwertet. + +Hans Bethge + + + + +ANMERKUNGEN + +Zur Aussprache: ch lautet wie tsch, j wie dsch, y wie deutsches j, +sh wie sch; s ist scharfer dentaler Zischlaut (wie in Hast), z weicher +dentaler Zischlaut (wie in Sohn): r ist Zungen-r.--Die Vokale sind +kurz; ei lautet wie e. + +Seite 5. Fragment eines groesseren Gedichtes. + +Seite 7. Dies Gedicht steht an der Spitze der Sammlung Manyoshu. + +Seite 8. Muneto soll Ainos zu Vorfahren gehabt haben. Er wurde deshalb +von den Hoeflingen gehaenselt und richtete dieses Gedicht an sie. + +Seite 13. Fragment eines laengeren Gedichtes an den Prinzen Takechi. + +Seite 14. Ozi wurde, da er Ansprueche auf den Thron geltend machte, +gefangen genommen und auf Befehl der Kaiserin Taizyo hingerichtet, im +Alter von vierundzwanzig Jahren. Das "Truebe Lied" soll er im Angesicht +des Todes gedichtet haben. + +Seite 16. Akahito steht in der Schaetzung der Japaner gleich neben +Hitomaro. Die beiden beruehmten Dichter werden "die beiden Weisen" +genannt. + +Seite 35. Naniwa, von je wichtig fuer die Schiffahrt, ist das jetzige +Osaka. + +Seite 37, 38. Frau Onono Komachi war ebenso beruehmt durch ihre +Dichtungen wie durch ihre Schoenheit und ihren Leichtsinn. + +Seite 49. Frau Ise war die Geliebte des Kaisers Uda, dem sie auch +ins Exil folgte; sie soll nach dem Tode ihres Freundes im Elend +gestorben sein. + +Seite 105. Das Yehon Chitoseyama, erschienen 1740, ist eine Sammlung +didaktisch-moralischer Gedichte. + + + + +ANORDNUNG + +CHRONOLOGISCH + +MOTOORI NORINAGA (1730-1801) + Die Seele Japans. Als Motto +AUS ARCHAISCHER ZEIT + Die schoene Nuna-Kawa-Hime +KAISERIN IWA NO HIME (4. Jahrhundert nach Chr.) + Die Wartende +KAISER YURYAKU (451-479 nach Chr.) + Liebeswerbung +MUNETO (7. Jahrhundert nach Chr.) + Der Glueckliche +PRINZESSIN NUKADA (2. Haelfte des 7. Jahrhunderts) + In Erwartung +OKURA (etwa 660-733) + Das Elend der Welt +HITOMARO (etwa 662-709) + Einsam + Die Geliebte im Segelboot + Kriegszug +OZI (663-687) + Truebes Lied +KAISER MOMMU (697-707) + An den Schnee +AKAHITO (Mitte des 8. Jahrhunderts) + Der Fuji-Yama + Betrachtung +MUSHIMARO + Die Trauerweide +EDELDAME ISHIKAWA (8. Jahrhundert) + Der Mond +KIBINO (gestorben 775) + Fruehlings Ende +OKISHIMA (8. Jahrhundert) + Fruehlings Ende +YAKAMOCHI (gestorben 785) + In der Fremde + Heimweh +FUJIWARA NO HIROTSUGU + Der Bluetenzweig +TABITO + Der Freund des Weines +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung MANYOSHU + (abgeschlossen im Jahre 759): + Am Ufer + Bitte an den Hund + Der Teich + Trennung + Vertrauen + UEber die Heide + Bangnis + Die schoene Kurtisane + Qualvolle Eifersucht + Vergebenes Bemuehen + Wunsch +FRAU KOMACHI (gestorben etwa 870) + Die Traeume + Einsam +HENJO (815-890) + Das Lotusblatt + Familienstolz +PRINZ NARIHIRA (825-880) + Schwermut + Tagelied eines Maedchens + Liebeskummer +TOMONORI (845-905) + Sehnsucht nach der Nachtigall + Dauer im Wechsel + Gleiche Sehnsucht +OCHI (9. Jahrhundert) + Die Wildgans +OTOMO KURONUSHI (2. Haelfte des 9. Jahrhunderts) + Fruehlingsregen +FRAU ISE (um 900) + Betrachtung +MITSUNE (859-907) + Truebsinn + Heute! + An einen Freund +TADAMINE (868-965) + Erinnerung + Frommer Wunsch + Haltlos +FUKAYOBU + Das klagende Herz +MASAZUMI + Die allerersten Blueten +KI NO ARITOMO + Dauernde Erinnerung +TSURAYUKI (882-946) + Jubel + Blueten und Herzen + Schnee im Fruehling + Bluetenschnee +ATSUTADA (gestorben 943) + Seitdem ich dich liebe + Gesteigerte Sehnsucht +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung KOKINSHU + (abgeschlossen im Jahre 905): + Ankunft des Fruehlings + Liebe + Das Alter + Lieben und Sterben + Das Maedchen auf der Bruecke + Liebesqualen + Herbst + Schatten + Schnee + Immer wieder + Schlaflos + Unerwiderte Liebe + Sehnsuechtiger Gedanke + Der duftende Aermel +KANEMORI (10. Jahrhundert) + Das Kopfkissen + Heimliche Liebe +UNBEKANNTE KURTISANE + Bei Betrachtung des Mondes +OKI KASSI + Unmoeglichkeit +TERANGE + Schwermut +SIGEYUKI + Verzweiflung +UNBEKANNTE DICHTERIN (10. Jahrhundert) + Die Verlassene +FRAU IZUMI SHIKIBU (um 1000) + Noch einmal +FRAU INNO BETTO (12. Jahrhundert) + Dieselbe Nacht +FRAU HORIKAWA (12. Jahrhundert) + Erregung +FUJIWARA NO TOSHINARI (1113-1204) + Jammer der Erde +SAIGYO (1118-1190) + Gedanken + Schwermut + Vom Mond + Abschied von den Blueten + Blueten +KIUTSUNE (13. Jahrhundert) + Das Alter +SONE NO YOSHITAKA + Steuerlos +SAKINO DAISOJO GYOSON + An die Kirschenblueten +PRINZ MUNENAGA (1312-1385) + An die Wildgaense +UNBEKANNTE DICHTERIN (16. Jahrhundert) + Liebesbrief +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA (17. Jahrhundert) + Vergebenes Warten +VOLKSLIED + Um mit dir zu leben +KURTISANE SEGAWA (18. Jahrhundert) + Der Liebeslaut +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Die Weide im Wind +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Nach dem Bade +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA (18. Jahrhundert) + Beschraenkung +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Leichtes Spiel +SANDARA (18. Jahrhundert) + Die Morgenglocke +YORIKITO (19. Jahrhundert) + Taeuschung + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Japanischer Fruehling, by Hans Bethge + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JAPANISCHER FRUEHLING *** + +This file should be named 7jpfr10.txt or 7jpfr10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7jpfr11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7jpfr10a.txt + +Produced by Juliet Sutherland, Charlie Kirschner and Distributed Proofreaders + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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WENN DIE GOLDNE SONNE +DES MORGENS SIEGHAFT AUS DER DÄMMRUNG STEIGT + +MOTOORI NORINAGA + + + + +DIE SCHÖNE NUNA-KAWA-HIME SPRICHT ZUM GOTT DER ACHTMALTAUSEND SPEERE + +AUS ARCHAISCHER ZEIT + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +In rabenschwarzer Nacht komm ich heraus, +Und du wirst nahen wie die Morgenröte, +Mit Lächeln und mit strahlendem Gesicht. +Und deine Arme, die so schimmernd weiss +Wie Taku-Rinde glänzen, wirst du zärtlich +Auf meinen Busen legen, der dem Schnee +An Zartheit gleicht. Und eng verschlungen werden +Wir liegen und uns kosen und die Arme +Als Kissen unters Haupt uns betten, während +Die Schenkel nahe beieinander ruhn. + +Sprich mir von Liebessehnsucht nicht zu sehr, +Du grosser Gott der achtmaltausend Speere! + +Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, +Komm ich heraus. + + + + +DIE WARTENDE + +KAISERIN IWA NO HIME + +Bis dass der weisse Reif des Alters sich +Auf meine rabenschwarzen Haare legt. +Will ich mein ganzes langes Leben durch +Nichts weiter tun als warten, warten, warten +Auf dich, den meine ganze Seele liebt. + + + + +LIEBESWERBUNG + +KAISER YURYAKU + +Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Korbe, +Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Spaten, +Das dort am Hügel emsig Kräuter pflückt! + +Sag mir, wo ragt dein Haus, ich bitte dich, +Und nenne deinen Namen mir! Im ganzen, +Vom Himmel treu geliebten Lande Japan. + +Bin ich der Herrscher! Und mein Herz wünschtinnig. +Dich als Gemahlin heimzuführen, Holde! +Ich bitte dich, wer bist du,--sag es mir! + + + + +DER GLÜCKLICHE + +MUNETO + +Ihr sagt, dass ich ein Wilder sei. Nun gut. +Ich bin den Vögeln im Gebüsch befreundet +Und kenne alle Bäume. Und die Blumen. + +Auf bunter Bergflur blühen nur für mich, +Und das Geraun des Waldes kündet mir +Geheimnisvoll die Wunder der Natur. + +Ja, ich bin reich! Dich neid ich nimmermehr, +Geschmeidiger Hofmann in dem seidnen Kleide, +Denn du hast nichts, was meinem Glücke gleicht. + + + + +IN ERWARTUNG + +PRINZESSIN NUKADA + +Ich wartete auf dich, von Sehnsucht fast +Verzehrt,--da, ein Geräusch: du nahst! du nahst! + +Zu früh gejubelt, sehnsuchtsbanges Herz! +Es war der trügerische Wind des Herbstes, +Der raschelnd durch den Bambusvorhang fuhr. + + + + +DAS ELEND DER WELT + +OKURA + +Die Welt ist elend, jammervoll +Und nimmer wert, dass wir sie lieben. +O weh, dass ich kein Vogel bin! +Ich wünschte, dass ich Flügel hätte, +Um ihr für immer zu entfliehn. + + + + +EINSAM + +HITOMARO + +Trostlos, allein zu schlafen diese Nacht, +Die endlos lang ist, wie der lange Schweif +Des Goldfasanen, dessen helle Stimme +Ich von dem Berg herüberklingen höre. + + + + +DIE GELIEBTE IM SEGELBOOT + +HITOMARO + +Rings um die Küste braut der Morgennebel +Und hüllt in graue Dämmerung Land und Meer. + +Mit neidischem Sinn verbirgt er meinen Augen +Das Segelboot, nach dem mein Herz sich sehnt. + +Voll unruhvollen Klopfens: denn ich weiss, +Dass meine Liebste darin kommen wird. + + + + +KRIEGSZUG + +HITOMARO + +Da tat der Held das Schwert um seinen Leib +Und nahm den Bogen in die feste Hand +Und schritt dem Heer des Kaisers stolz voran. + +Und alle Trommeln fingen an zu dröhnen +Wie Donnergroll, und die Drommeten klangen, +Dass man erschrak wie vor des Tigers Schrei. +Und hoch wie Feuerzungen flatterten +Die Fahnen,--ja, wie Feuer auf dem Felde +In Frühlingsnächten, von dem Wind entfacht, +So lohten flammend sie zum Himmel auf. +Und in der Hand der Krieger schwirrten jetzt +So fürchterlich die Bogen, dass man glaubte, +Ein grimmer Sturmwind jage mit Gebrüll +Durch den verschneiten winterlichen Wald; +Und so wie wilder Schneefall in der Luft +Sich ineinander schüttet,--also schwirrten +Die Pfeile durcheinander, dicht an dicht. + + + + +TRÜBES LIED + +OZI + +Die Blüten rieseln nieder. Dichter Nebel +Verbirgt den See. Die wilden Gänse rufen +Erschreckt am heiligen Teich von Iware. + +Düstere Träume schatten um mein Haupt. +Mein Herz ist schwer. Wenn übers Jahr die Gänse +Von neuem rufen, hör ich sie nicht mehr. + + + + +AN DEN SCHNEE + +KAISER MOMMU + +Die Wolken sind von Flocken ganz erfüllt, +Der Wald scheint voll von weissen Weidenkätzchen, +Das ganze Firmament ist schimmernd hell, +Vom Wind getrieben weht der Schnee am Flusse,-- +Wenn ich die weissbedeckten Pflaumenbäume +In meinem Garten sehe, möcht ich glauben, +Sie blühten schon vom Frühling ganz und gar. + + + + +DER FUJI-YAMA + +AKAHITO + +Zum Himmel schauend, sehe ich den Gipfel +Des Fuji-Yama gross und feierlich +Ins Ewige schimmern; also ragt er schon +Seit jenen Zeiten, da die Erde sich +Vom Himmel schied; blick ich zu ihm empor, +So ist mir, dass der Glanz der Sonne sich +Verdunkelt, und der milde Schein des Mondes +Verschwindet ganz; die weissen Wolken aber +Tragen Bedenken, über seinen Gipfel +Dahinzuschweben, und es sinkt der Schnee +Mit stiller Ehrfurcht sanft auf ihn hinab. + +O Fuji-Yama, deine Herrlichkeit +Wird man noch preisen in den fernsten Tagen; +Bis zu der Dichter spätesten Geschlechtern +Wird deines Ruhmes Glanz nicht untergehn. + + + + +BETRACHTUNG + +AKAHITO + +Wenn stets der Kirschenbaum so wundervoll +Wie jetzt auf allen Höhen blühen würde, +Wir liebten seine schneeige Schönheit dann +Nicht so wie jetzt, da nur den Lenz sie ziert. + + + + +DIE TRAUERWEIDE + +MUSHIMARO + +Die Trauerweide auf dem Grab des Mädchens +Lässt ihre Zweige nur nach einer Seite +Hinüberhangen. Eines Jünglings Hügel +Erhebt sich dort. Wer möchte nun noch zweifeln, +Wem jenes toten Mädchens Liebe galt? + + + + +DER MOND + +EDELDAME ISHIKAWA + +Seht, wie er sieghaft durch die Wolken bricht! +Sein wunderbarer Glanz flicht Silbernetze, +Die über Land und Meer sich schimmernd breiten, +Auch über meinen Strand, wo nun die Steinchen +Des Sandes klar wie Diamanten schimmern. + + + + +FRÜHLINGS ENDE + +KIBINO + +Der Wind trieb alle Blütenblätter von +Den Zweigen weg. Der Frühling, der schon lange +Kränklich und blass war, ist geschwunden. Nur +Der süsse Duft der Pflaumenblüte blieb +Am Ärmel meines seidenen Gewandes +Gleich einem schönen, müden Traum zurück. + + + + +FRÜHLINGS ENDE + +OKISHIMA + +Im Bambushaine meines Gartens hör ich +Die Nachtigall mit müder Stimme klagen,-- +Sie trauert, weil die weissen Pflaumenblüten +In Scharen von den Bäumen niederfallen, +Weil nun der Lenz mit seinen Wundern flieht. + + + + +IN DER FREMDE + +YAKAMOCHI + +Verbannt von meinem Kaiser, leb ich nun +Fünf Jahre schon in fremdem, wildem Lande, +Entbehrend deinen Anblick, süsses Weib. + +Nie darf ich mehr zur Nacht mein müdes Haupt +Auf deinem lieben, weichen Arme betten; +Hör, was ich tat in meiner Einsamkeit: + +Ich säte Nelken aus in meinem Garten; +Wenn sie in Blüte stehn, so denk ich immer +An dich, die meine schönste Nelke war. + +Dies ist der einzige Trost, geliebtes Weib, +In meiner öden Fremde. Ohne ihn +Würf ich mein Leben unbedenklich ab. + + + + +HEIMWEH + +YAKAMOCHI + +Wenn sich der Abend niedersenkt und Nebel +Eintönig wallen übers graue Meer, +Und wenn die Kraniche mit müder Stimme +Ins Dunkel rufen, traurig anzuhören,-- +Dann denk ich meiner Heimat, schmerzdurchweht. + + + + +DER BLÜTENZWEIG + +FUJIWARA NO HIROTSUGU + +Nimm diesen Blütenzweig! In jedem Blatte +Der zarten Blüten schlummert hundertfach +Ein Liebeswort aus unruhvoller Brust. + +O weise meine Liebe nicht zurück! + + + + +DER FREUND DES WEINES + +TABITO + +Wenn ich nicht wäre, was ich bin: ein Mensch,-- +Ich möchte eine Reisweinflasche sein, +Um recht nach Herzenslust in meinen Hals +Den edeln Saft zu saugen, den ich liebe. + + + + +AM UFER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Von jenem Ufer winkt mir die Geliebte, +Hier stehe ich, mit ruhelosem Sinn, +Das Herz erfüllt von ungestümer Sehnsucht, +Und seufze, seufze endlos. Hätt ich doch +Ein rotlackiertes Schifflein jetzt zur Hand +Und auch ein Ruder, voller Kunst besetzt +Mit Edelsteinen,--hurtig wie der Wind +Lenkt ich hinüber, um mit ihr zu plaudern, +Und schmiegte glücklich mich an ihre Brust! + + + + +BITTE AN DEN HUND + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Wenn mein Geliebter in der Nacht +Den Binsenzaun durchbricht und leise +Zu mir hereinsteigt,--Hund, ich rate +Dir ernstlich: hülle dich in Schweigen, +Verrate ihn den Leuten nicht,-- +Es soll dir gut gehn, lieber Hund! + + + + +DER TEICH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dir, Teich von Miminaschi, gilt mein Hass, +Denn meine Liebste hat verzweifelnd sich +In dich gestürzt und ist in dir ertrunken. +Warum bist du nicht schnell vertrocknet, als +Die Holde kam, in dir den Tod zu finden? +Ich hasse dich, erbarmungsloser Teich! + + + + +TRENNUNG + +UNBEKANNTER DICHTER + +Trotz aller Hindernisse, +Die dem eilenden Flusse +Entgegentreten: +Alle Wasser, die sich trennen, +Um Bänke und Riffe herum, +Strömen doch endlich. +Endlich wieder +Jubelnd zusammen! + + + + +VERTRAUEN + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Die Mutter hat aufs strengste mir verboten, +An deiner Brust zu schlafen, mein Geliebter, +Obwohl mir das Orakel klar verhiess, +Dass ich dereinst die Deine werden soll. +So lauter wie das nie getrübte Wasser +Des Teiches von Kiyosmi ist mein Herz +Und ist so tief auch wie der Grund des Teiches, +Und immer wird es deiner treu gedenken +Und wird vertrauend harren in Geduld, +Bis dass ich ganz mit dir vereinigt bin. + + + + +ÜBER DIE HEIDE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Was für ein Mensch ist das, um dessentwillen +Du, schöne Frau, mit Mühe und voll Sehnsucht +Die Heide von Miyake überquerst? + +Beschwerlich ists, durch das Gestrüpp zu wandern. +Qualvoll ist dieser Gang für Frauenlenden, +Weh, wenn dich deine Eltern sähen, Kind! + +So zart wie weisses Linnen glänzt dein Antlitz, +Dein langes Haar ist dunkel wie das Innre +Der Mina-Muscheln, die das Meer ausspeit. + +Ein Kamm aus Buchsbaum steckt in deinen Haaren. +Wem eilst du zu? Wer bist du, holdes Wesen? +O Götterlust, mein Weib eilt zu mir her. + +Da sie die Sehnsucht nicht ertragen kann! + + + + +BANGNIS + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich lehne mich an deine Brust, Geliebter, +Und das Vertrauen, das ich in dich setze, +Ist so, als ob ich einem grossen Schiff +Mich anvertraute. Lang und immer länger +Denk ich an dich, so wie die Efeuranken +Hinkriechen an der Mauer, lang und länger. +O wären wir vor Unheil stets bewahrt! +Ich schlinge meinen Ärmel um die Schultern +Und stelle fromme Weihgefässe auf +Und flehe zu den Göttern, die im Himmel +Und auf der Erde walten, dass sie dir +Und mir und unsrer Liebe gnädig seien! + + + + +DIE SCHÖNE KURTISANE + +UNBEKANNTER DICHTER + +O liebliche Tamana, lächelnde +Verführerin, die Schlankheit deiner Lenden +Ist dem geschmeidigen Leib der Biene gleich. + +Dein Busen ist von edler Form, du stehst +Wie eine Blume da, du hast ein Lächeln, +Dass alle Leute, die vorübergehn, + +Die Schritte hemmen. Ungerufen naht sich +Die Schar der Männer, steht vor deinem Tore, +Von dir berauscht und voll Begehr nach dir. + +Im Hause, das dem deinen nahe liegt, +Macht sich der Gatte von der Gattin frei +Und steckt dir zu den Schlüssel seiner Türe. + +Vernarrt in dich ist alles. Du verstehst es, +Die Herzen zu gewinnen durch ein Lächeln, +Und Üppigkeit und Wollust sind dein Teil. + + + + +QUALVOLLE EIFERSUCHT + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Ich habe heut den ganzen langen Tag, +Seitdem die Sonne überm Horizont +Heraufkam, und die ganze lange Nacht, +In der ich schlaflos in das Dunkel starrte, +Getobt vor Jammer und geweint vor Wut! + +Denn du, ich weiss es, hast in einer Hütte +(Ich möchte sie den Flammen übergeben!) +Auf alten, schlechten, strohgeflochtnen Matten +(Die wert sind auf dem Kehricht zu vermodern!) +Die plumpen Wangen einer Bauerndirne +Gestreichelt und geküsst, und hast in Liebe +Bei ihr geweilt die ganze lange Nacht! + + + + +VERGEBENES BEMÜHEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Dass wir uns lieben, hab ich abgestritten, +Mit heftigen Worten hab ich es geleugnet, +Ich habe mich so angestrengt mit Leugnen, +Wie man sich anstrengt, wenn man einen Lastkahn +Am Kap des leuchtenden Naniwa-Hafens +Mit einem Seile mühevoll dahinzieht,-- +Und dennoch bin ich, nichts hat mir genützt, +In das Gerede aller Welt gekommen! + +WUNSCH + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nicht wertvoll scheint das Leben mir; jedoch +Da ich so sehr dich liebe, wünsch ich wohl, +Dass ich noch lange, lange leben möge, +Um lang noch meine Liebe zu geniessen. + + + + +DIE TRÄUME + +FRAU KOMACHI + +Seit ich im Traum den Mann seh, den ich liebe,-- +Seit jener Zeit erst liebe ich der Träume +Buntfarbene Falter als das köstlichste +Geschenk der Nacht, das ich nicht missen möchte. + + + + +EINSAM + +FRAU KOMACHI + +Der Blüten holde Schönheit ist entwichen, +Der rauhe Regen hat sie ganz zerstört, +Indessen ich, zwecklos in diesem Dasein, +Einsam den Blick ins Leere schweifen liess. + + + + +DAS LOTUSBLATT + +HENJO + +Ganz ohne Makel, weiss und leuchtend, blüht +Das Lotusblatt. Es scheint ganz ohne Trug-- +Und dennoch lügt es: denn das eitle will +Uns glauben machen, dass im edeln Schmucke +Von Diamanten es erstrahle,--und +Es sind doch Tropfen Taus nur, die es zieren! + + + + +FAMILIENSTOLZ + +HENJO + +Die Meinen sind so stolz, dass sie verlangen: +Der Name, den wir tragen, solle immer +So völlig unverfälscht sein wie die dunkle, +Von künstlichen Essenzen nicht berührte +Nachtfarbe meines ungekämmten Haars. + + + + +SCHWERMUT + +PRINZ NARIHIRA + +Wenn nie die Blüten auf den Kirschenbäumen +Erstünden, brauchte unser Herz auch nie +Zu klagen, wenn die holden Blüten sterben. + +Dir gilt mein Hass, o Mond. Denn viele Monde, +Die sich allmählich aneinanderfügen, +Berauben mich der Wonnen meiner Jugend. + +Ich weine meine Ärmel feucht bei Nacht, +Sie werden feuchter als vom Tau des Herbstes, +Denn du bist fern, der meine Sehnsucht gilt. + + + + +TAGELIED EINES MÄDCHENS + +PRINZ NARIHIRA + +Nimm dich in acht, o Hahn, der krähend von +Der Liebe Bett uns aufscheucht! Wenn der Tag +Erschienen ist, so schleudr ich in den Rachen +Des Fuchses dich, damit er dich vertilgt. +Der du den Liebsten mir so schnell, so schnell +Entführst durch dein abscheuliches Geschrei! + + + + +LIEBESKUMMER + +PRINZ NARIHIRA + +Da ich am Morgen durch die Büsche ging +Des taubenetzten, herbstlichen Gefildes, +Nässt ich den Ärmel mir. Doch ganz durchfeuchtet +Ward er erst nachts von meinen vielen Tränen, +Da jene mich allein liess, die ich liebe. + + + + +SEHNSUCHT NACH DER NACHTIGALL + +TOMONORI + +Ich will den Frühlingswind, o Nachtigall, +Mit weichen Blumendüften zu dir senden, +Damit sie dir den Weg herüberweisen +In unsre Flur,--wir warten schon so lang! + + + + +DAUER IM WECHSEL + +TOMONORI + +Der Kirschbaum stand in Blüten. Schwarz und jung +Fiel mir das Haar vom Haupt, indes ich tanzte. + +Der Kirschbaum stand in Blüten. Frisch und jung +Erglänzten sie,--mein Haar war grau geworden. + +Heut wieder blüht der Kirschbaum. Himmlisch jung +Wie immer lächeln seine Blüten nieder,-- + +Mein Haar ward weiss, ich stehe sinnend da. + + + + +GLEICHE SEHNSUCHT + +TOMONORI + +Der Abend kommt herab. Nun wandr ich an +Den Sao-Fluss, im Windhauch seines Ufers +Die Freundin zu erwarten. Was erklingt +Im Dunkel so voll Sehnsucht? Horch, das ist +Der einsam-schwermutvolle Ruf der Möwe, +Die sich nach der Gefährtin sehnt, wie ich. + + + + +DIE WILDGANS + +OCHI + +Vorüber ist die böse Winternacht. +Der Lenz zog ein. Dort durch die Silberwolken +Breitet die Wildgans kreischend ihre Flügel. + +Sie strebt nach Norden, wo seit Monden schon +Das Mädchen weilt, nach dem mein Herz sich sehnt. +O Wildgans, nimm mich mit auf deinen Flügeln! + + + + +FRÜHLINGSREGEN + +OTOMO KURONUSHI + +Sie weinen alle, da die Kirschenblüten +Zur Erde rieseln. Dieses fällt mir ein: +Ob wohl der Regen, der im Frühling fällt, +Die Tränenflut der trauernden Menschen ist? + + + + +BETRACHTUNG + +FRAU ISE + +Am Ufer von Naniwas Seebucht seh ich Rohr +Mit kleinen Spannen schwanken in dem feinen Windhauch. + +Gelehnt an deine liebe Schulter, muss ich denken, +Ob ich wohl leben könnte, wenn mich das Geschick. + +Die allerkleinste Spanne Zeit von dir entfernt +Zu weilen zwänge, mein zu sehr Geliebter! + + + + +TRÜBSINN + +MITSUNE + +Du flohest in die Berge, voller Hass +Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun +Dich auch der dunkle Trübsinn überfällt,-- +Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund? + + + + +HEUTE! + +MITSUNE + +Bald wird der Sturmwind durch die Fluren heulen +Und Laub und Früchte von den Bäumen schütteln +Und Blüten knicken, wo er immer weht. +Drum, willst du Blüten pflücken,--tu es heute! +Vielleicht, vielleicht ists morgen schon zu spät. + + + + +AN EINEN FREUND + +MITSUNE + +Du kommst nur, um die Blumen blühn zu sehen +Bei meinem Hause. Sind sie erst verwelkt, +So weiss ich wohl, dass ich mich Tag für Tag +Umsonst nach deinem Kommen sehnen werde. + + + + +ERINNERUNG + +TADAMINE + +Da ich von ihr auf ewig schied, stand fühllos +Und blass der Mond am Morgenhimmel da. + +Nichts quält mich schrecklicher seit jenem Morgen, +Als wenn ich in der Frühe, müd erwacht, +Den Mond in fahler Dämmerung hängen seh. + + + + +FROMMER WUNSCH + +TADAMINE + +Ich wünschte wohl, dass ich in Mondschein mich +Verwandeln könnte. Endlich würde dann +Das Mädchen, das ich so voll Inbrunst liebe. +Mit schmachtendem Gefühle mich betrachten, +Während es jetzt nur grausam zu mir ist. + + + + +HALTLOS + +TADAMINE + +So wie die Wasserlinsen auf dem Fluss +Ganz wurzellos und ohne jeden Halt +Hierhin und dahin ziehn: so treib auch ich +Haltlos umher im Strome meiner Liebe. + + + + +DAS KLAGENDE HERZ + +FUKAYOBU + +Vergleichbar einer Wildgans ist mein Herz, +Das krank von Sehnsucht dir entgegenschlägt. +Es irrt umher und klagt voll banger Unruh, +So wie die Wildgans in dem Meer der Luft. + + + + +DIE ALLERERSTEN BLÜTEN + +MASAZUMI + +Froh sprudeln durch die Ritzen nun des Eises, +Das vor dem Lenz zergeht, die weissen Wellen +Des Giessbachs auf: die ersten weissen Blüten +Des lieben Frühlings möchten sie uns sein. + + + + +DAUERNDE ERINNERUNG + +KI NO ARITOMO + +Ich wünsche ein Gewand mir von der Farbe +Der Kirschenblüten. Wenn die Blüten dann +Schon lang verwelkt sind, werd ich immer doch +Durch mein Gewand an ihre Lust gemahnt. + +JUBEL + +TSURAYUKI + +Was seh ich Helles dort? Aus allen Gründen +Zwischen den Bergen quellen weisse Wolken +Verlockend auf,--die Kirschen sind erblüht! +Der Frühling ist gekommen, wunderbar! + + + + +BLÜTEN UND HERZEN + +TSURAYUKI + +Ihr meint, zu balde weht die Kirschenblüte +Im Wind dahin? Ach, flüchtiger ist manches. +Verändert sich das Herz des Menschen nicht +Oft schneller, als ein Windhauch sich erhebt? + + + + +SCHNEE IM FRÜHLING + +TSURAYUKI + +Der Frühling naht mit seinem Dunst. Die Bäume +Setzen schon Knospen an. Doch von dem Himmel +Fällt Schnee auf Schnee, als wollt er nimmer enden. +Wie sonderbar,--nun sinken Blüten nieder, +Obwohl der Lenz noch keine Blüten schuf. + + + + +BLÜTENSCHNEE + +TSURAYUKI + +Leis senkt sich Schnee auf uns herab, und dennoch +Weht lauer Windhauch zart an unsre Stirnen. +Geschah ein Wunder denn? O welch ein Schnee, +Des Heimat nie der Himmel war! Es ist ja +Der holde, duftgeborene Frühlingsschnee +Der Kirschenblüten! + + + + +SEITDEM ICH DICH LIEBE + +ATSUTADA + +Seitdem ich dich liebe, +Vergleiche ich meine Gefühle +Und meine kühnen Gedanken +Mit jenen, die ich früher hegte. + +Und ich erkenne, +Dass ich früher +Ganz gedankenlos +Und, ach, ganz fühllos war. + + + + +GESTEIGERTE SEHNSUCHT + +ATSUTADA + +Sehr gross war meine Sehnsucht, eh ich zur +Geliebten kam. Doch jetzt, da ich bei ihr +Glückselige Zeit verbringen durfte, bin ich +Wohl ganz beschwichtigt und gestillt? O nein! +Viel mächtiger ist meine Sehnsucht nun, +Viel ungebändigter als je zuvor! + + + + +ANKUNFT DES FRÜHLINGS + +UNBEKANNTER DICHTER + +Noch glänzt der Schnee hernieder von den Bergen, +Doch regt sich schon der Frühling in dem Tal. +Die Tränen, die die Nachtigall geweint hat. + +Und die zu Eis gefroren waren, tauen +Allmählich auf. Im holden Duft der Tage +Erklingt nun bald das Lied der Frühlingsbraut. + +Der Nebel, der noch um die Büsche schleift. +Ist nur ein leichtes, schmächtiges Gewebe,-- +Ein Windhauch durch die Flur--und er zerstiebt. + +Wie herrlich glänzt die Weide schon am Bach! +Auf ihrem dünnen, wallenden Gezweige +Reiht sich der Tau zu silbernen Perlen auf. + +Und gar der Pflaumenbaum! Er steht schon prunkend +Im Kleide seiner weissen Blüten da, +Verklärend jedes Auge, das ihn schaut. + +Welch holdes Wesen war es, das ihn leise +Gestreift hat mit dem seidnen Saum des Ärmels, +Da es versonnen ihm vorüberging? + + + + +LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Liebe rast durch meine Brust, +So wie durch weite, dunkle Wälder +Ein Berggewässer unterm Laub +Der ungeheuren Bäume rast. + +Die Fichte trotzt auf Felsenhöhen +Fast ohne Nahrung Wind und Wetter. +Die Liebe braucht noch weniger Reichtum, +Um froh zu trotzen aller Welt! + + + + +DAS ALTER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn ich erführe, dass das Alter mich +Besuchen wollte,--flugs schlöss' ich die Tür, +Und "Ich bin nicht zu Hause!" würd ich rufen, +Und nimmermehr liess ichs zu mir herein. + + + + +LIEBEN UND STERBEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wer hat der Liebe denn den Namen "Liebe" +Dereinst gegeben? Viel bezeichnender +Hätt er den Namen "Sterben" ihr verliehn, +Denn Lieben, das ist Sterben,--wahrlich, wahrlich! + + + + +DAS MÄDCHEN AUF DER BRÜCKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Das rauschende Gewässer Katashiwas +Ist überwölbt von einer schönen Brücke, +Der purpurroter Lack zum Schmuck gereicht. +Ein zartes Mädchen wandelt unbegleitet +Mit kleinen Füssen trippelnd drüber hin; +Ein blaues Kleid mit rotem Rande schmiegt sich +An ihre feinen Hüften wohlig an. +O wüsste ich, ob ihre Hand noch frei ist, +Ob nicht ein andrer schon dies Herz gewann! +Schnell sagt mir, wo sie wohnt! Ich wills versuchen, +Ob ich sie noch für mich gewinnen kann! + + + + +LIEBESQUALEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Ärmel meines Kleides sind durchfeuchtet +Von vielen Tränen. Allen, die mich fragen, +Sag ich, dass es vom Frühlingsregen sei. + +Ich meinte immer, dass das Kraut Vergessen +Auf Beeten wachse. Nun hab ich erfahren, +Dass es in liebelosen Herzen blüht. + +Unsinnig ist es, Worte hinzuschreiben +In fliessendes Gewässer. Doch der Gipfel +Des Wahnsinns ist es: seine Liebesträume. + +Zu widmen einer Frau, die fühllos ist. + + + + +HERBST + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Gräser und die Bäume und die Blumen +Veränderten die Farben ganz und gar,-- +Nur an des grossen Meeres Wellenblumen, +Den immer gleichen, kannst du nicht erkennen, +Dass nun der bunte Herbst gekommen ist. + + + + +SCHATTEN + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich bin vor lauter Sehnsucht abgemagert +Gleich einem Schatten. Könnt ich wenigstens +Ersetzen nun den Schatten der Geliebten, +Dass ich zu ihren Füssen weilen dürfte! + +Jedoch auch dieser Dienst bleibt mir versagt. + + + + +SCHNEE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn so wie dort der Schnee gewaltig anwächst, +Sich auch die öden Nächte mehren würden, +Da du mir fern bist,--o ich wünschte wohl, +Dass mich das Dasein länger nicht bedrücke, +Dass ich so bald hinschwände wie der Schnee. + + + + +IMMER WIEDER + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich weiss es: alle Mühe ist umsonst, +Dir zu begegnen. Dennoch, immer wieder. +Geh ich hinaus und hoffe dich zu finden,-- +Wie könnt ich ruhn, da ich voll Sehnsucht bin! + + + + +SCHLAFLOS + +UNBEKANNTER DICHTER + +In schlafgemiedner Nacht hör ich die Rufe +Des Kuckucks aus den Bergen klingen. Ach, +Bist du von Liebesschmerzen auch geplagt, +Dass du nicht schlafen kannst, o ferner Vogel? + + + + +UNERWIDERTE LIEBE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Ich wünschte, dass es möglich sei, die Herzen +Der Menschen zu vertauschen. Dann, o Freund, +Nachdem mein armes Herz du eingetauscht. +Würdest auch du einmal begreifen lernen, +Wie Liebe quält, die nicht erwidert wird. + + + + +SEHNSÜCHTIGER GEDANKE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn du zur Blüte sprächest: Welke nicht, +Bleib an dem Zweige haften, den du zierst,-- +Und es geschähe wirklich, was du wünschest,-- +Gäb es wohl Holderes in dieser Welt? + + + + +DER DUFTENDE ÄRMEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Mein Ärmel duftet köstlich, da ich Blüten +Vom Pflaumenbaume pflückte. Dicht bei mir +Hebt plötzlich eine Nachtigall melodisch +Zu singen an, vom Duft herbeigelockt: +Die Holde meint, hier sei ein Baum erblüht. + + + + +DAS KOPFKISSEN + +KANEMORI + +O Fürst, Ihr bietet Euren Arm mir an +Als Kissen für die Nacht? Ich wag es nicht,-- +Denn sicher: Eure Liebe wär verrauscht, +Bevor die Nacht noch in den Tag verrinnt; +Ich aber, recht entflammt erst, würde nimmer +Vor Liebesschmerz und Sehnsucht meine Ruhe +Zurückgewinnen,--darum quält mich nicht. + + + + +HEIMLICHE LIEBE + +KANEMORI + +Obgleich ich mir die grösste Mühe gebe, +Mein leidenschaftlich Fühlen zu verbergen, +Ist doch mein Angesicht so sehr verwandelt, +Dass jeder, den ich treffe, mich mit Schrecken +Befragt, welch eine Krankheit in mir wühle, +Da ich so ganz und gar verändert sei. + + + + +BEI BETRACHTUNG DES MONDES + +UNBEKANNTE KURTISANE + +Sehr weit von dir entfernt, betracht ich mit +Verliebtem Auge den gestirnten Himmel. + +O! wenn der Mond sich jetzt in einen Spiegel +Verwandeln würde, mir dein Bild zu zeigen! + +Doch er bleibt Mond und lacht nur meiner Qual. + + + + +UNMÖGLICHKEIT + +OKI KASSI + +Wie könnt ich deine wundervolle Schönheit, +Die allzu spröde, die ich ohne Hoffnung +Anbete, aus dem wirren Sinn mir reissen, +Da sie mir jede Nacht im Traum erscheint, +Um mir zu sagen, dass ich hoffen solle! + + + + +SCHWERMUT + +TERANGE + +Ich armer Tropf! Ein anderer besitzt +Das Herz des schönen Mädchens, das ich liebe. + +Mir kommt die Trauerweide in den Sinn +Am Rande meines Gartens. Mir gehört. + +Die Weide zwar, doch ihre Zweige schmücken +Des Nachbars Garten und den meinen nicht. + + + + +VERZWEIFLUNG + +SIGEYUKI + +So wie die Woge +Im Sturmwind +Am felsigen Ufer zerbricht,-- +So zerschellt meine Liebe +An deines Hochmuts +Trotzigen Felsen, +Kalte Geliebte. + + + + +DIE VERLASSENE + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Freund, ahnst du nicht, +Wie unendlich traurig und lang +Die Nacht ist, vom Abend her +Bis zur schimmernden Morgenröte, +Wenn ich einsam, einsam, einsam +Seufzend daliege +Auf meiner tränenbefeuchteten +Binsenmatte? + +Ahnst du das nicht? + + + + +NOCH EINMAL + +FRAU IZUMI SHIKIBU + +Noch einmal lass mich, o Geliebter, +Bevor ich diese Welt verlasse, +Dein liebes Antlitz wiedersehen, +Dass ich es tief in meine Seele +Einpräge und es mit mir nehme +Ins dunkle Land der Ewigkeit. + + + + +DIESELBE NACHT + +FRAU INNO BETTO + +Wie kommt es, +Dass ein und dieselbe durchwachte Nacht +Deinem Herzen die Ruhe gab. +Während sie mich +Für den Rest meines Lebens +Mit ganz wahnsinniger +Liebe erfüllt hat? + + + + +ERREGUNG + +FRAU HORIKAWA + +O Gott, ob er mir treu bleibt? Himmel! Himmel! +Ich weiss es nicht; ich weiss nur, dass mein Hirn, +Seitdem das Morgenrot ihn von mir riss, +So ganz verwirrt ist wie mein dunkles Haar, +Das seine Wildheit mir so wirr gemacht. + + + + +JAMMER DER ERDE + +FUJIWARA NO TOSHINARI + +Auf dieser Erde ward kein Weg gebahnt, +Dem Kummer und dem Elend zu entfliehn. + +Selbst wenn ich in die tiefen Berge streife, +Wohin mich eine alte Sehnsucht zieht, +Tönt das Geschrei der abendlichen Hirsche +Wehklagend melancholisch an mein Ohr. + + + + +GEDANKEN + +SAIGYO + +So wie der Rauch des Fuji-Yama blass +Und ziellos in die windigen Lüfte steigt. +Um dann zu sterben an dem weiten Himmel: +So steigen die Gedanken, die ich hege, +Ziellos und zwecklos und auf flüchtigen Pfaden +Ins Blau hinein und schwinden spurlos hin. + + + + +SCHWERMUT + +SAIGYO + +Und wer in seinem Herzen noch so sehr +Verhärtet ist: ein Weh durchschauert ihn, +Und Schwermut senkt sich tief in sein Gemüt, +Wenn er zur Dämmrung aus den sumpfigen Wiesen +Die Schnepfen in den Abend steigen sieht. + + + + +VOM MOND + +SAIGYO + +Vom Mond soll ich in Versen zu euch reden? +O zwecklos. Denn wer könnte das begreifen, +Was mich erfüllt, was mich im Innersten +Bewegt und in mir aufblüht tief und dunkel. +Wenn sich mein Herz in unruhvollen Nächten +Zu dir emporhebt, o geliebter Mond? + + + + +ABSCHIED VON DEN BLÜTEN + +SAIGYO + +So innig hab ich mit den holden Blüten +Des Frühlings mich befreundet, dass mir scheint, +Wir seien eins geworden, sie und ich. +Da sie nun welken, von der Zeit bezwungen. +Und traurig hingehn, mich alleine lassend. +Füllt sich mein Herz mit namenlosem Jammer, +Und schluchzend nehm ich Abschied, fassungslos. + + + + +BLÜTEN + +SAIGYO + +Wie kommt es, dass die Blüten nimmermehr +Aufhören, meine Seele zu entzücken? +Ich habe längst mich von der ganzen Welt +Zurückgezogen; alles ist mir gleich.-- +Wie aber kommt es, dass ich ganz beglückt +Beim Anblick einer schönen Blüte bin? + + + + +DAS ALTER + +KIUTSUNE + +Einst lagen volle Blumen, wie der Schnee so weiss. +Auf meinem schwarzen Haar; sie leuchteten +Und waren köstlich, doch der Sturm hat sie verweht. + +Die weissen Blüten, die das Haupt mir heute zieren, +Sind nicht von jenen, die der Wind verweht. +Des Alters Blumen sind erblüht in meinem Haar. + + + + +STEUERLOS + +SONE NO YOSHITAKA + +So wie der Schiffer, der sein Steuerruder +Verlor auf wilder See, nun der Gewalt +Der Elemente preisgegeben hintreibt: +So fühl ich meine Liebe steuerlos +Hintreiben auf dem Meere des Gefühls. + + + + +AN DIE KIRSCHENBLÜTEN + +SAKINO DAISOJO GYOSON + +Duftige Kirschenblüten! Liebliche +Mitwisser meiner Qual! Zeigt doch ein wenig +Mitleid mit diesem Herzen,--denn nur ihr +Kennt ja mein grosses Weh; den andern allen +Muss ichs verschweigen, dass ich elend bin. + + + + +AN DIE WILDGÄNSE + +PRINZ MUNENAGA + +Eilt nicht so sehr, Wildgänse dort am Himmel, +In eure alte Heimat heimzukehren,-- +Wisst ihr denn nicht, dass eurer Heimat Berge +Euch längst vergassen, da ihr ferne wart? + + + + +LIEBESBRIEF + +UNBEKANNTE DICHTERIN + +Gross ist mein Wunsch, dein Angesicht zu schauen. +Und gross ist meine Lust, mit dir zu plaudern,-- +Doch muss ich solcher Freuden mich enthalten. + +Denn wenn durch Zufall einer von den Meinen +Oder auch einer von den Nachbarn nur +Erführe, dass wir beieinander waren, + +Ich würde Qualen leiden wegen des +Geschwätzes, das man führte. Dass mein Ruf, +Mein guter Ruf verloren ginge, war. + +Mir völlig gleich. Doch würd ich trostlos sein, +Wenn des verlornen guten Rufes wegen +Du weniger mich liebtest als zuvor. + + + + +VERGEBENES WARTEN +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA + +Ich harre meiner Liebsten in der Nacht. +Ich höre, wie die Glocke Stund um Stunde +Ins Dunkel ruft. Abscheulich ist fürwahr +Der Schrei des Hahns, wenn er die Liebenden, +Die sich umarmen, auseinanderreisst. +Doch er bedeutet nichts, verglichen mit +Der fürchterlichen Qual, da man umsonst +Mit wilder Sehnsucht auf die Liebste harrt! + + + + +UM MIT DIR ZU LEBEN + +VOLKSLIED + +Um mit dir zu leben, die ich liebe, +Wäre es mir recht, +In ärmlicher Hütte zu hausen, +Mich am Webstuhl zu mühen +Oder am Spinnrad. + +Um mit dir zu leben, die ich liebe. +Wäre es mir recht, +Die Wäsche zu waschen +Im fliessenden Fluss +Oder das Gras in der Sonne zu schneiden. + + + + +DER LIEBESLAUT + +KURTISANE SEGAWA + +Da traf ein Laut, ein zarter Liebeslaut, +Der aus dem ersten Stockwerk kam, mein Ohr: +Und das war süss und lieblich wie das Säuseln +Der Frühlingsblumen, die um Mitternacht +Am More-Flusse ihren Duft verstreun. + + + + +DIE WEIDE IM WIND + +UNBEKANNTER DICHTER + +Die Sommerweide +Zeigt ihren schlanken Stamm, +Wenn der wehende Wind +Durch ihre feinen Zweige fährt. + +Deine schlanken Füsse, meine Weide, +Sah ich heute, +Da der verliebte Wind +Kosend durch deine Kleider fuhr. + + + + +NACH DEM BADE + +UNBEKANNTER DICHTER + +Wenn sie dem Bad entsteigt, so flammt +Ihr schönes Antlitz feurig auf, +Dass sie dem roten Ahorn gleicht, +Der herrlich durch den Herbsttag glänzt. + + + + +BESCHRÄNKUNG + +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA + +Ach, eng begrenzt ist der Besitz, den uns +Das Schicksal schenkt. Zuerst geht unsre Sehnsucht +Nach einem ragenden Gebirg. Sodann +Scheint uns ein Berg genug,--dann gar ein Hügel, +Und wird auch der uns nicht zuteil, so sind +Zufrieden wir mit einem Blütenbusch. + + + + +LEICHTES SPIEL + +UNBEKANNTER DICHTER + +Nichts leichter, als ein Mädchenherz +Beim milden Duft der Pflaumenblüten +Bis in die Tiefen zu betören +Durch Liebessang und Flötenspiel! + + + + +DIE MORGENGLOCKE + +SANDARA + +Wenn du, erbarmungslose Morgenglocke, +Den Schmerz der Liebestrennung ahnen würdest. +Du würdest nicht die wahre Stunde rufen +Beim Morgengrauen,--sondern würdest gerne +Bereit sein, lügnerisch die Zeit zu künden. + + + + +TÄUSCHUNG + +YORIKITO + +Ich glaubte, dass die weissen Blüten +Des Frühlings mir entgegentrieben. + +Ich irrte mich. Es war das Glänzen, +Das Liebesglänzen deiner Schönheit. + + + + + +GELEITWORT +ANMERKUNGEN +ANORDNUNG + + + + +GELEITWORT + +Die japanische Lyrik lässt sich gut mit den japanischen +Tuschzeichnungen vergleichen: sie gibt, gleich jenen, mehr Andeutung +als Ausführung, sie will in aller Kürze einen fest umrissenen Eindruck +erreichen, sie hat einen vorwiegend impressionistischen Charakter. Wir +finden in ihr, gerade wie in den japanischen Zeichnungen, vor allem +die Liebe für das Zarte und Blütenhafte, für Frühling, Blumen und +feinen Duft. Die einzelnen Persönlichkeiten treten in dieser lyrischen +Kunst nicht stark hervor, im Gegensatz zur chinesischen. + +Japan ist das Land der Gelegenheitsdichter. Wir besitzen Gedichte von +Kaisern und Kaiserinnen, Hofleuten, Gelehrten und Kurtisanen. Im +zehnten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung war die Dichtkunst in Japan so +verbreitet, dass sich der Kaiser Daïgo veranlasst sah, ein +"Ministerium für poetische Angelegenheiten", wie wir heute sagen +würden, einzusetzen. Ein solches Ministerium gibt es jetzt nicht mehr, +aber die Freude an der Formung kleiner Gedichte ist in Japan noch +heute allgemein. + +Seit alters her gibt es für das japanische lyrische Gedicht nur eine +einzige, streng bewahrte, klassische Form: Tanka oder Uta genannt. Ein +solches Tanka besteht immer aus einunddreissig Silben, die sich auf +die fünf Zeilen des Gedichtes folgendermassen verteilen: 5-7-5-7-7. + +Das Tanka ist reimlos. Die japanische Sprache ist für den Reim nicht +geschaffen, denn sämtliche Worte endigen auf einen der fünf Vokale a, +e, i, o, u. Wollte man also reimen, so müsste man immer wieder zu den +gleichen monotonen Reimen einfacher Vokale greifen, und das wäre auf +die Dauer mehr grotesk als schön. Nein, die Aufgabe des japanischen +Dichters ist es im Gegenteil, die einzelnen Zeilen seines Tanka +möglichst auf verschiedene Vokale endigen zu lassen, um so eine +möglichst grosse Reichhaltigkeit an Klängen zu erzielen. + +Die Regeln des Tanka wurden schon 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung +durch Sosano-Ono-Mikoto, einen Dichter des heroischen Zeitalters, +fixiert. Im Jahre 905 nach Christi Geburt wurden sie durch den Dichter +Tsurayuki, den ersten Minister der Poesie unter Kaiser Daïgo, in der +Vorrede zu jener berühmten ersten grossen Anthologie, welche sich +Manyoshu nennt, befestigt. Diese Regeln wurden nie einer Veränderung +unterworfen und sind heute genau dieselben wie vor 2600 Jahren. In +alten Zeiten pflegte man auch mehrere Utas zu längeren Gedichten +zusammenzusetzen (Naga-Uta). Seit dem sechzehnten Jahrhundert +beschränkte man sich, besonders in Scherzgedichten, nicht selten auf +die ersten drei Zeilen eines Uta, um Gedichte von besonders +epigrammatischer Kürze zu bilden. Das sind die einzigen Varianten der +alten Form,--wenn man von Formvarianten hier überhaupt sprechen kann. + +Die ausserordentliche Kürze des Uta oder Tanka hat ihre Nachteile. Die +Dichter wollen möglichst viel in einem solchen Kurzgedicht ausdrücken +und werden nicht selten dunkel durch übertriebene Kondensierung. +Kommentatoren haben alte berühmte Tankas immer wieder ausgelegt, und +über den Sinn so mancher Gedichte aus klassischer Zeit hat man sich +bis heute nicht einig werden können. + +Die Blütezeit der japanischen Lyrik liegt weit zurück. Die erste +klassische Epoche wird repräsentiert durch die schon erwähnte grosse +Anthologie Manyoshu ("Sammlung der Myriaden Blätter"), die vermutlich +durch den Sammeleifer des Dichters Yakamochi zusammengebracht und im +Jahre 759 abgeschlossen wurde. Sie vereinigt in 20 Büchern 4500 +Gedichte; aus der grossen Zahl der in ihr vertretenen Dichter ragen +neben Yakamochi vor allem der Elegiker Hitomaro, der Landschafter +Akahito und der Realist Okura hervor. Hitomaro gilt in Japan als der +grösste Dichter der Nation. Man hat ihm Tempel errichtet, und sein +Leben, von dem man wenig weiss, ist durch die Legende phantastisch +ausgeschmückt worden. Es geht das Gerücht, ein Poet brauche nur +Hitomaro anzurufen, um ein gutes Gedicht bilden zu können. + +Die Dichter der bald folgenden zweiten, "goldenen" klassischen Epoche +sind uns in einer anderen, 1100 Gedichte umschliessenden Anthologie, +im Kokinshu ("Sammlung alter und neuer Gedichte") erhalten, das im +Auftrage des Kaisers Daïgo durch den Dichter Tsurayuki gesammelt und +im Jahre 905 beendet wurde. Hier sind neben dem zarten Tsurayuki +besonders der mannhafte Henjo und der schwermütige Prinz Narihira zu +nennen, dessen hervorragende körperliche Schönheit noch heute +sprichwörtlich in Japan ist. + +Manyoshu und Kokinshu sind die wichtigsten aller japanischen +Anthologien, deren später, zumeist auf Veranlassung der Kaiser, noch +viele hergestellt wurden. Auch die Lieder unseres Buches gehen zum +grossen Teil auf jene beiden unerreichten klassischen Sammlungen +zurück. + +Der Blüte folgte ein trostloser Verfall. Hundert Jahre etwa hielt sich +die Dichtung noch auf einem würdigen Niveau, dann gelangte ein öder, +pedantischer Formalismus zur Herrschaft und legte alle freien +poetischen Regungen jahrhundertelang in Fesseln. Das Versemachen wurde +als eine erlernbare Beschäftigung betrachtet, die man nach bestimmten +starren Zunftgesetzen auszuüben hatte, wie es ja auch in Deutschland +eine Zeitlang Sitte war. Auch in Japan wurden, genau wie bei uns, +Sängerwettstreite (Uta-Awase) veranstaltet, die sich übrigens bis in +die neueste Zeit erhalten haben und die eine allgemeine Veredelung der +Poesie im Lande bezwecken sollten, während sie in Wirklichkeit gerade +das Gegenteil zur Folge hatten. Sogar den Frauen wurden solche +Sangeswettstreite eingeräumt, auf denen zumeist recht alberne Themata +zu Utas poetisch "verarbeitet" wurden. Der Preis der Sieger bestand +darin, dass ihre Poesien dem Kaiserpaare vorgelesen und zugleich mit +den eigenen Gedichten des Kaisers oder der Kaiserin veröffentlicht +wurden. + +Die eigentliche Entwickelung der japanischen Literatur seit der +klassischen Zeit bis heute hat dem Roman und dem Drama gegolten, aber +nicht der Lyrik. Motoori Norinaga, eine energische Kämpfernatur, die +man etwa mit Lessing vergleichen kann, hat sich gegen Ende des +achtzehnten Jahrhunderts leidenschaftlich bemüht, dem schrecklichen +Formelwesen der japanischen Liederdichtung ein Ende zu bereiten; sein +Streben war auch von einigen Erfolgen begleitet, aber eine wirkliche +Blüte hat die japanische Lyrik bis heute nicht wieder zu erreichen +vermocht, auch nicht durch jene von Europa beeinflussten +revolutionären Versuche, dem Versbau neue Formen zu erschliessen, die +von einigen kühnen Dichtern der letzten Zeit ausgegangen sind. + +Was die Nachdichtungen des vorliegenden Bandes angeht, so habe ich, +obwohl ein Freund konzentrierten Ausdrucks, erst in zweiter Linie auf +Knappheit der Form gehalten und vor allem der Klarheit und +Durchsichtigkeit mich befleissigt. Hätte ich überall die Knappheit der +Originale beibehalten wollen, so wäre ich oft gezwungen gewesen, den +Gedichten erklärende Fussnoten beizugeben, und auf diese Weise wäre +die Lektüre recht umständlich und überhaupt eine andere geworden, als +ich mir für diese Verse wünschte. Mir lag daran, Gedichte zu bilden, +die durch sich selbst einen poetischen Reiz ausüben sollten, und ich +möchte hoffen, dass von der japanischen Farbe wenigstens so viel auf +sie übergegangen ist, wie man bei derartigen Nachbildungen verlangen +muss. + +Die Vorbilder für meine Nachdichtungen sind vor allem in der +Geschichte der japanischen Literatur von Karl Florenz zu finden; auch +die kleinen Bücher von Enderling, Hauser, Kurth und Lange habe ich +verwertet. + +Hans Bethge + + + + +ANMERKUNGEN + +Zur Aussprache: ch lautet wie tsch, j wie dsch, y wie deutsches j, +sh wie sch; s ist scharfer dentaler Zischlaut (wie in Hast), z weicher +dentaler Zischlaut (wie in Sohn): r ist Zungen-r.--Die Vokale sind +kurz; ei lautet wie e. + +Seite 5. Fragment eines grösseren Gedichtes. + +Seite 7. Dies Gedicht steht an der Spitze der Sammlung Manyoshu. + +Seite 8. Muneto soll Aïnos zu Vorfahren gehabt haben. Er wurde deshalb +von den Höflingen gehänselt und richtete dieses Gedicht an sie. + +Seite 13. Fragment eines längeren Gedichtes an den Prinzen Takechi. + +Seite 14. Ozi wurde, da er Ansprüche auf den Thron geltend machte, +gefangen genommen und auf Befehl der Kaiserin Taizyo hingerichtet, im +Alter von vierundzwanzig Jahren. Das "Trübe Lied" soll er im Angesicht +des Todes gedichtet haben. + +Seite 16. Akahito steht in der Schätzung der Japaner gleich neben +Hitomaro. Die beiden berühmten Dichter werden "die beiden Weisen" +genannt. + +Seite 35. Naniwa, von je wichtig für die Schiffahrt, ist das jetzige +Osaka. + +Seite 37, 38. Frau Onono Komachi war ebenso berühmt durch ihre +Dichtungen wie durch ihre Schönheit und ihren Leichtsinn. + +Seite 49. Frau Ise war die Geliebte des Kaisers Uda, dem sie auch +ins Exil folgte; sie soll nach dem Tode ihres Freundes im Elend +gestorben sein. + +Seite 105. Das Yehon Chitoseyama, erschienen 1740, ist eine Sammlung +didaktisch-moralischer Gedichte. + + + + +ANORDNUNG + +CHRONOLOGISCH + +MOTOORI NORINAGA (1730-1801) + Die Seele Japans. Als Motto +AUS ARCHAISCHER ZEIT + Die schöne Nuna-Kawa-Hime +KAISERIN IWA NO HIME (4. Jahrhundert nach Chr.) + Die Wartende +KAISER YURYAKU (451-479 nach Chr.) + Liebeswerbung +MUNETO (7. Jahrhundert nach Chr.) + Der Glückliche +PRINZESSIN NUKADA (2. Hälfte des 7. Jahrhunderts) + In Erwartung +OKURA (etwa 660-733) + Das Elend der Welt +HITOMARO (etwa 662-709) + Einsam + Die Geliebte im Segelboot + Kriegszug +OZI (663-687) + Trübes Lied +KAISER MOMMU (697-707) + An den Schnee +AKAHITO (Mitte des 8. Jahrhunderts) + Der Fuji-Yama + Betrachtung +MUSHIMARO + Die Trauerweide +EDELDAME ISHIKAWA (8. Jahrhundert) + Der Mond +KIBINO (gestorben 775) + Frühlings Ende +OKISHIMA (8. Jahrhundert) + Frühlings Ende +YAKAMOCHI (gestorben 785) + In der Fremde + Heimweh +FUJIWARA NO HIROTSUGU + Der Blütenzweig +TABITO + Der Freund des Weines +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung MANYOSHU + (abgeschlossen im Jahre 759): + Am Ufer + Bitte an den Hund + Der Teich + Trennung + Vertrauen + Über die Heide + Bangnis + Die schöne Kurtisane + Qualvolle Eifersucht + Vergebenes Bemühen + Wunsch +FRAU KOMACHI (gestorben etwa 870) + Die Träume + Einsam +HENJO (815-890) + Das Lotusblatt + Familienstolz +PRINZ NARIHIRA (825-880) + Schwermut + Tagelied eines Mädchens + Liebeskummer +TOMONORI (845-905) + Sehnsucht nach der Nachtigall + Dauer im Wechsel + Gleiche Sehnsucht +OCHI (9. Jahrhundert) + Die Wildgans +OTOMO KURONUSHI (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts) + Frühlingsregen +FRAU ISE (um 900) + Betrachtung +MITSUNE (859-907) + Trübsinn + Heute! + An einen Freund +TADAMINE (868-965) + Erinnerung + Frommer Wunsch + Haltlos +FUKAYOBU + Das klagende Herz +MASAZUMI + Die allerersten Blüten +KI NO ARITOMO + Dauernde Erinnerung +TSURAYUKI (882-946) + Jubel + Blüten und Herzen + Schnee im Frühling + Blütenschnee +ATSUTADA (gestorben 943) + Seitdem ich dich liebe + Gesteigerte Sehnsucht +UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung KOKINSHU + (abgeschlossen im Jahre 905): + Ankunft des Frühlings + Liebe + Das Alter + Lieben und Sterben + Das Mädchen auf der Brücke + Liebesqualen + Herbst + Schatten + Schnee + Immer wieder + Schlaflos + Unerwiderte Liebe + Sehnsüchtiger Gedanke + Der duftende Ärmel +KANEMORI (10. Jahrhundert) + Das Kopfkissen + Heimliche Liebe +UNBEKANNTE KURTISANE + Bei Betrachtung des Mondes +OKI KASSI + Unmöglichkeit +TERANGE + Schwermut +SIGEYUKI + Verzweiflung +UNBEKANNTE DICHTERIN (10. Jahrhundert) + Die Verlassene +FRAU IZUMI SHIKIBU (um 1000) + Noch einmal +FRAU INNO BETTO (12. Jahrhundert) + Dieselbe Nacht +FRAU HORIKAWA (12. Jahrhundert) + Erregung +FUJIWARA NO TOSHINARI (1113-1204) + Jammer der Erde +SAIGYO (1118-1190) + Gedanken + Schwermut + Vom Mond + Abschied von den Blüten + Blüten +KIUTSUNE (13. Jahrhundert) + Das Alter +SONE NO YOSHITAKA + Steuerlos +SAKINO DAISOJO GYOSON + An die Kirschenblüten +PRINZ MUNENAGA (1312-1385) + An die Wildgänse +UNBEKANNTE DICHTERIN (16. Jahrhundert) + Liebesbrief +AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA (17. Jahrhundert) + Vergebenes Warten +VOLKSLIED + Um mit dir zu leben +KURTISANE SEGAWA (18. Jahrhundert) + Der Liebeslaut +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Die Weide im Wind +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Nach dem Bade +AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA (18. Jahrhundert) + Beschränkung +UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) + Leichtes Spiel +SANDARA (18. Jahrhundert) + Die Morgenglocke +YORIKITO (19. Jahrhundert) + Täuschung + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Japanischer Fruehling, by Hans Bethge + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK JAPANISCHER FRUEHLING *** + +This file should be named 8jpfr10.txt or 8jpfr10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8jpfr11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8jpfr10a.txt + +Produced by Juliet Sutherland, Charlie Kirschner and Distributed Proofreaders + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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